KAPITEL DREIZEHN DAS LABYRINTH DES WAHNSINNS

Es war dunkel wie im tiefsten Winkel der Hölle, und nirgendwo auch nur ein Funke von Licht. Früher einmal hatte es hier Sterne gegeben, die hell in der Finsternis strahlten, aber sie waren verschwunden. In der Dunkelwüste gab es keine Sonnen. Erfrorene Planeten trieben einsam durch eine endlos schwarze Nacht. Die Fluchtburg des Ersten Todtsteltzers fiel geräuschlos aus dem Hyperraum und glitt in den Orbit um den leblosen Eisklumpen der Wolflingswelt, die auch unter dem Namen Haden bekannt war. Die Burg hing in einem Halo ihres eigenen Lichts über dem endlosen Labyrinth auf der Oberfläche des Planeten, ein gewaltiges steinernes Raumschiff, mit Türmen und Zinnen und Wehrgängen. Das Licht der Burg reichte nicht weit. Es schien von der Dunkelheit verschluckt zu werden, trotzdem fiel ein Teil auf die Wolflingswelt hinab und strahlte die gefrorene Atmosphäre an. Keinerlei Lebenszeichen regte sich auf dem Planeten. All seine Geheimnisse lagen tief im Untergrund verborgen, sicher versteckt im Herzen der verlorenen Welt von Haden.

Im Innern der Burg hatte sich die kleine Gruppe von Rebellen vor dem großen Hauptschirm versammelt, der die Sensorenwerte von der Planetenoberfläche anzeigte. Owen Todtsteltzer, der für vogelfrei erklärte Lord des Planeten Virimonde, der sich noch immer mehr als Historiker denn als Kämpfer betrachtete, Hazel d’Ark, die Piratin, Lebefrau und zögerliche Rebellin, Jakob Ohnesorg, der Berufsrevolutionär, Ruby Reise, die Kopfgeldjägerin. Tobias Mond, der aufgerüstete Mann von Haden, endlich nach Hause zurückgekehrt. Giles, der Erste Todtsteltzer, Schöpfer des Dunkelwüsten-Projektors. Sie blickten in die Dunkelheit hinab, die Giles durch das Auslöschen von tausend Sonnen geschaffen hatte, und sie spürten das Frösteln der langen Nacht in ihren Knochen. Es gab noch Sterne, weit entfernt, am Abgrund, dem Rand zur Dunkelwüste, aber irgend etwas in der Natur der Dunkelwüste verhinderte, daß ihr Licht hereinschien. Owen bemerkte, daß seine Hand in einem Reflex auf das Schwert an seiner Hüfte gefallen war. Die Dunkelwüste hatte etwas Gefährliches an sich, eine tödliche Drohung, die sich dem bewußten Verstand entzog.

»Willkommen auf der Wolflingswelt«, sagte Giles. Er steckte noch immer in seinen abgetragenen, schmierigen Fellen und kaute bereits auf seinem dritten Proteinwürfel. Anscheinend hatten die Jahrhunderte in Stasis einen gewaltigen Appetit in ihm geweckt. Owen hatte einen der Proteinwürfel probiert, als ihm klargeworden war, daß die Maschinen der Burg im Augenblick keine andere Nahrung produzierten, und anschließend den Entschluß gefaßt, lieber zu hungern. Giles wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und betrachtete mit verschleierten Augen den Schirm.

»Das erste Licht, das seit mehr als neunhundert Jahren auf den Planeten fällt«, sagte er. »Ich schätze, es ist nur passend, wenn ich derjenige bin, der das Licht zurückbringt. Schließlich war ich es auch, der es wegnahm. Manchmal frage ich mich, ob in den dunklen Abgründen zwischen den Planeten Dinge leben. Schwarze Kreaturen, die in der endlosen Nacht treiben, die ich in einem Augenblick der Schwäche und Wut über diese Welten gebracht habe.

Das letzte Mal, als ich hier war, lebte diese Welt noch. Sie schäumte fast über vor Leben. Es gab Ozeane und Kontinente, und Tiere lebten an Land, im Wasser und in der Luft. Es gab Städte und Menschen, die darin wohnten. Es gab wunderschöne Vögel mit Feuerschwänzen, und Touristen aus allen Teilen des Imperiums besuchten auf gemieteten Gravschlitten die Seufzenden Berge. Alles ist verschwunden, zermahlen unter dem drückenden Gewicht der gefrorenen Atmosphäre, und nur das Labyrinth des Wahnsinns und die Halle der Gefallenen sind noch übrig. Und die Städte und Laboratorien der verlorenen Welt Haden, tief unten im Herzen des Planeten.

Sie liegen schon so lange in tiefem Schlaf und warten darauf, von uns geweckt zu werden.«

»Erzähl uns von den Wolflingen«, forderte Hazel den Ersten Todtsteltzer auf. Ihre Augen blieben unverwandt auf den Bildschirm gerichtet, während ihre Hände geistesabwesend die Klinge ihres Schwertes mit einem dreckigen Lumpen polierten, den Hazel hin und wieder auch als Taschentuch benutzte. »Du hast gesagt, sie wurden hier geschaffen.«

»Ja, sie wurden hier geschaffen, und sie starben hier. Alle bis auf einen. Sie waren der erste Versuch des Imperiums, genetisch manipulierte Soldaten zu erzeugen. Ein Teil Mensch, ein Teil Wolf, und ein paar ganz besondere Zutaten.

Es dauerte eine Weile, um die Mischung aufeinander abzustimmen, aber schließlich erschuf man einen vollkommenen Jäger und Mörder. Ein in der menschlichen Evolution einzigartig dastehendes Wesen. Den Wolfling.«

»Und was ging schief?« fragte Ruby. Sie beobachtete Giles mit ihrem üblichen, unberührten Gesichtsausdruck. Ihre bleiche Haut erschien beinahe geisterhaft über der schwarzen ledernen Kleidung. Owen bemerkte, daß auch sie ihre Hand in der Nähe des Schwertes hielt.

»Nichts«, erwiderte der Erste Todtsteltzer. »Die Wolflinge erfüllten alle in sie gesetzten Erwartungen. Und mehr. Und genau das Mehr machte den Wissenschaftlern angst. Die Wolflinge waren klug, weit klüger als ihre menschlichen Herren. Schneller, stärker, wilder – und auch noch klüger? Die Wissenschaftler erkannten, wie die Zukunft aussehen würde, und sie erschraken. Voller Panik riefen sie die Imperialen Streitkräfte herbei, und diese lockten die Wolflinge in eine Falle und schossen sie aus dem Hinterhalt zusammen. Natürlich wehrten sich die Wolflinge, und sie töteten eine Menge ihrer Feinde, bevor sie schließlich untergingen. Einigen gelang die Flucht, und sie wurden gejagt. Das Imperium verlor noch mehr Soldaten, aber schließlich waren alle Wolflinge tot. Alle, bis auf einen. Den Besten der Besten, den Mutigsten und Klügsten von allen. Er entkam seiner Gefangennahme und allen Fallen, die sie ihm stellten. Er war noch immer hier, als das Imperium die Jagd schließlich abblies und seine Streitkräfte zurückrief. Er wurde immer seltener gesehen, und schließlich war er nur noch ein Mythos unter vielen, eine Legende, ein Märchen, das man Kindern erzählte. Aber er war nicht tot. Er hatte sich nur unter die Oberfläche der Wolflingswelt zurückgezogen.

Und dort lebte er noch immer, als die Dunkelwüste entstand und alle starben, bis auf ihn.

Er lebte noch immer, als Wissenschaftler in die Dunkelwüste eindrangen und sich auf der Suche nach einem sicheren Ort für ihre Labors und ihre Experimente auf der verlorenen Welt Haden niederließen. Er beobachtete, wie sie an sich selbst experimentierten und immer kompliziertere Hybride aus Mensch und Maschine schufen, die Hadenmänner. Er sah zu, als sie auszogen, um das Imperium zu erobern, und er beobachtete, wie sie geschlagen und gedemütigt zurückkamen und sich in ihre Gruft zurückzogen, um auf eine bessere Zeit zu warten. Er ist noch immer dort unten. Er ist unvorstellbar alt und unvorstellbar mächtig, und er beobachtet und wartet und bewacht das Labyrinth des Wahnsinns und die Halle der Gefallenen

»Wie kommt es, daß Ihr so gut über alles Bescheid wißt?«

fragte Jakob Ohnesorg. »Ihr wart auf Shandrakor in Stasis, während die meisten der beschriebenen Ereignisse stattfanden.«

»Der Wolfling hat zu meinen Lektronen gesprochen«, antwortete Giles. »Und meine Lektronen haben mit mir gesprochen. Und jetzt wartet der Wolfling darauf, mit uns zu sprechen. Und wenn wir alle sehr höflich sind, läßt er uns vielleicht sogar am Leben.«

»Und wenn nicht?« fragte Ruby.

»Wozu brauchen wir ihn denn überhaupt?« fragte Mond.

»Das habe ich Euch bereits gesagt: Er bewacht das Labyrinth des Wahnsinns.«

»Und was ist dieses Labyrinth des Wahnsinns, wenn es zu Hause ist?« fragte Hazel schnippisch. »Etwas, das die Hadenmänner geschaffen haben?«

»O nein, meine Liebe. Das Labyrinth ist viel älter als die Hadenmänner. Das Labyrinth des Wahnsinns stammt nicht von Menschenhand. Es existierte bereits, bevor die ersten Hadenmänner ihren Fuß auf diese Welt setzten. Die Wissenschaftler der Hadenmänner enträtselten das Geheimnis, aber sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich darum zu kümmern, diese Dummköpfe.«

»Also gut«, unterbrach Owen den Redefluß seines Vorfahren. »Ich bin gespannt. Wozu dient das Labyrinth des Wahnsinns

»Evolution«, erwiderte Giles. »Es dient der Evolution selbst. Und ich bin der einzige Mensch, der je aus seinen Geheimnissen Nutzen gezogen hat. Aber jetzt wollen wir nach unten gehen und dem Wolfling guten Tag sagen. Ach übrigens, bevor ich es vergesse: Er denkt im Augenblick, daß eine ganze Armee von Rebellen in der Burg wartet. Ich möchte nicht, daß jemand ihm diese Illusion raubt. Man kann nie wissen, wann man ein As im Ärmel gebrauchen kann.«

»Wie gelangen wir nach unten?« fragte Mond. Seine rauhe Summstimme klang so ruhig und unbewegt wie immer, aber seine strahlendgoldenen Augen wandten sich nicht für eine Sekunde vom Bild des Planeten auf dem großen Hauptschirm ab. »Gibt es auf diesem fliegenden Anachronismus so etwas wie eine Pinasse oder eine Landekapsel?«

»Sicher gibt es das, aber wir können sie nicht benutzen. Es gibt keine Möglichkeit, das Labyrinth oder die Gruft der Hadenmänner aus dem Orbit zu erreichen. Wir werden hinabteleportieren. Als ich das letzte Mal hier war, ließ ich ein Portal ganz in der Nähe des Labyrinths zurück, und nach den Instrumenten der Burg zu urteilen, funktioniert es noch immer.

Damals haben wir eben noch für die Ewigkeit gebaut. Jedenfalls wenn wir nicht gerade damit beschäftigt waren, alles zu zerstören. Wenn die Herrschaften sich jetzt bereit machen würden? Wir können gehen, sobald Ihr fertig seid. Bedient Euch in der Waffenkammer, nehmt alles, was Euch geeignet erscheint. Aber laßt Euch nicht zuviel Zeit. Die Energievorräte der Burg waren schon fast erschöpft, als ich damals auf Shandrakor landete, und in den Jahrhunderten seither wurde das meiste aufgebraucht, was noch übrig war. Dieses Schiff wird nirgendwo mehr hinfliegen, bevor ich nicht Gelegenheit habe, seine Energiezellen wieder aufzuladen. Wir schweben zwar nicht in unmittelbarer Gefahr, aber wenn Ihr Euch nicht mit dem Gedanken anfreunden wollt, auf einer Welt zu stranden, deren einzige Sehenswürdigkeiten aus einer großen Gruft und einem Labyrinth bestehen, das eine fremde Rasse hinterlassen hat, dann schlage ich vor, daß wir uns ein wenig beeilen.«

Owen und Hazel gingen zusammen zur Waffenkammer der Burg, wo ein leerer Kampfanzug ohne Helm ihnen höflich die Tür öffnete. Owen betrachtete die Maschine neugierig. Er konnte sich nicht erinnern, sie bei seinem ersten Besuch in der Kammer bereits gesehen zu haben. Hazel ignorierte den Apparat vollkommen und ging schnurstracks zu den beeindruckend aussehenden Projektilwaffen. Owen beobachtete amüsiert, wie sie sich mit Pistolen und Gurten voller Munition belud. Er selbst nahm sich eine häßliche Handfeuerwaffe, die große, schwere Projektile verschoß, und stopfte sich außerdem noch ein paar Granaten in die Taschen. Zweifellos würden sie ganz gelegen kommen, aber im großen und ganzen gedachte er sich mit den Waffen zu begnügen, an deren Handhabung er gewöhnt war. Feuerwaffen waren schön und gut, aber seiner Erfahrung nach lief es am Ende immer wieder auf blanken Stahl hinaus und den Mann, der das Schwert führte. Außerdem, wenn Hazel sich weiter so mit Waffen belud, würden sie sie mit einem Karren durch die Gegend fahren müssen. Doch Hazel fuhr unermüdlich fort, weitere Waffen aufzusammeln, und bemerkte die wachsende Amüsiertheit überhaupt nicht. Schließlich fand sie eine Waffe, die so lang und schwer war, daß es ihre ganze Kraft erforderte, das Ding auch nur zu heben und damit zu zielen.

»Eine gute Wahl«, sagte Owen mit ernster Stimme. »Wenn Euch die Munition ausgeht, dann könnt Ihr sie immer noch als Keule benutzen, um Eure Feinde damit zu erschlagen.« Hazel rümpfte die Nase und legte das Gewehr zögernd zurück. Sie blickte auf ihre Waffensammlung und grinste Owen plötzlich an. »Wir haben es ganz schön weit gebracht, was, Aristo?

Von einer nicht ganz erfolgreichen Piratin und einem verbannten Lord, der um sein Leben rennen muß, bis zu den Anführern einer Rebellion gegen das Imperium. Wer hätte das vor ein paar Wochen noch gedacht!«

»Wir führen noch lange keine Rebellion an«, widersprach Owen. »Es braucht eine verdammte Menge mehr als nur uns sechs, um Löwenstein vom Eisernen Thron zu stürzen. Jakob Ohnesorg hat sein ganzes Leben gegen das Imperium gekämpft, und Ihr habt gesehen, was aus ihm geworden ist. Gut, wenn es uns gelingt, die Hadenmänner aufzuwecken und davon zu überzeugen, auf unserer Seite zu kämpfen, haben wir vielleicht eine Chance. Alle möglichen Leute könnten sich auf unsere Seite schlagen, wenn sie davon überzeugt wären, daß wir bereits eine Armee im Rücken hätten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir den Hadenmännern vertrauen dürfen. Wer weiß schon, ob sie nicht ihre eigenen dunklen Pläne verfolgen? Ihr letzter Versuch einer Rebellion kostete eine ganze Menge Unschuldiger das Leben, und es gibt nur einen einzigen Grund, aus dem sie nicht offiziell als Feinde der Menschheit gelten: Die abtrünnigen KIs von Shub sind noch schlimmer als selbst die Hadenmänner. Und das will schon etwas heißen.«

»Du siehst alles viel zu schwarz, Owen Todtsteltzer«, sagte Hazel. »Die Hadenmänner werden sich schon zu benehmen wissen, solange wir den Dunkelwüsten-Projektor in der Hand haben.« Unvermittelt wechselte sie das Thema. »Weißt du, diese Feuerwaffen hier sind großartig, wirklich. Ich habe mich in den Datenbänken umgesehen. Sie sind nicht mehr wert als Spucke, wenn es gegen Energieschilde geht, doch alles andere, worauf du mit ihnen zielst, hat nicht den Hauch einer Chance. Sie besitzen eine Eigenart, die der Lektron ›Rückstoß‹ nannte, aber ich schätze, wir werden damit klarkommen und uns rasch daran gewöhnen.«

»Jedenfalls bis uns die Munition ausgeht«, entgegnete Owen. »Schließlich können wir nicht einfach mitten in einem Gefecht zurückrennen und uns neue besorgen, oder? Ein Disruptorkristall läßt sich an jeder gewöhnlichen Energiequelle wieder aufladen und fertig. Mit diesen Waffen ist das anders.«

»Mußt du eigentlich immer die Kehrseite von allem sehen?«

fragte sie mit funkelnden Augen. »Es kommt doch ganz allein darauf an, daß das Imperium nicht erwartet, uns im Besitz derartiger Waffen zu sehen. Wir schießen ihnen die Scheiße in sechs verschiedenen Farben aus dem Gehirn, bis sie sich eine wirksame Verteidigung ausgedacht haben.«

Owen runzelte die Stirn. »Meint Ihr ernsthaft, daß das Imperium uns bis hierher verfolgt? Mitten in die Dunkelwüste

»Aber sicher. Du etwa nicht?«

»Doch«, gestand Owen unglücklich. »Sie sind uns die ganze Zeit immer dicht auf den Fersen geblieben. Und ich kenne nur einen Grund dafür, der halbwegs Sinn ergibt. Wir haben einen Verräter in unserer Gruppe.«

»Nicht unbedingt«, widersprach Hazel. »Vielleicht hat uns jemand eine Wanze untergeschoben.«

»Unmöglich«, sagte Owen. »Bestimmt hätte das eine oder andere Sicherheitssystem sie längst gefunden. Wanzen sind viel zu offensichtlich.«

»Aber… keiner von uns hätte einen Grund, die Gruppe zu verraten! Im Gegenteil… wir alle haben gute Gründe dafür, hier zu sein, und keiner von uns liebt das Imperium.«

»Und wie steht es mit Angst? Oder Erpressung? Oder Geld? Auf unsere beiden Köpfe ist eine höllische Summe Geldes ausgesetzt! Es gibt Menschen, die schon für weitaus weniger ihre Eltern verkaufen würden!«

Hazel starrte ihn an. »Und wen hast du im Verdacht, Todtsteltzer?«

»Niemanden«, entgegnete Owen fest. »Jedenfalls nicht im Augenblick. Vielleicht täusche ich mich ja auch. Wir haben eine ganze Menge durchgemacht. Manchmal fühle ich mich richtig schuldig, daß ich Euch in all meine Probleme hineingezogen habe.«

»Hör schon auf, Todtsteltzer! Ich amüsiere mich prächtig. Und du hast mich ganz gewiß nicht in etwas hineingezogen. Es war meine freie Entscheidung, deinen Arsch auf Virimonde zu retten, und auf Nebelwelt hast du dafür meinen Arsch gerettet. Wir sind quitt, und du schuldest mir nichts.«

»Ich konnte Euch nicht einfach sterben lassen.«

»Warum nicht?«

»Ihr bedeutet mir etwas«, gestand Owen zögernd. »Ich…

ich habe noch nie einen Menschen wie Euch kennengelernt, Hazel.«

Sie blickte ihn überrascht an und hob eine Augenbraue.

»Komm ja nicht auf dumme Gedanken, Bursche. Das ist eine reine Vernunftehe zwischen uns beiden.«

»Entspannt Euch, Hazel d’Ark. Todtsteltzer heiraten nur aus Statusgründen. Ihr seid vollkommen sicher.«

Hazel entschloß sich, lieber das Thema zu wechseln. »Wie stark sind deiner Meinung nach die Streitkräfte, die die Eiserne Hexe hinter uns hergeschickt hat?«

»Mindestens ein Imperialer Sternenkreuzer, vielleicht auch zwei. Wir haben ihre Leute bisher ziemlich schlecht aussehen lassen, und das ist etwas, das sie überhaupt nicht vertragen kann. Wir sollten mit einem vollen Kontingent an Kampftruppen rechnen. Vielleicht sind sogar Wampyre und Kampfesper darunter. Und gleichgültig, ob sie weiß, daß der Dunkelwüsten-Projektor hier versteckt ist oder nicht – die Angelegenheit ist für die Eiserne Hexe zu einer Frage des Stolzes geworden. Wenn sie uns nicht bald trifft, und zwar richtig hart trifft, wird das Volk denken, daß ihr die Dinge aus der Hand gleiten. Und vielleicht werden dann einige Planeten ihre eigene kleine Rebellion starten, um herauszufinden, was an den Gerüchten dran ist. Nein, Löwenstein wird so viele Truppen schicken, wie nötig sind, um uns unschädlich zu machen.«

»Prima!« sagte Hazel, hob ein Gewehr und grinste Owen an. »Laß sie nur alle kommen!«

»Manchmal macht Ihr mir wirklich angst«, sagte Owen.

Jakob Ohnesorg und Ruby Reise hatten sich bereits eine großzügige Ausrüstung in der Waffenkammer zusammengesucht und hantierten im Augenblick ohne großen Erfolg in der Küche an den Nahrungsmaschinen herum, um sie zur Produktion von etwas anderem als Proteinwürfeln zu bewegen. Sie hatten jede nur erdenkliche Kombination von Befehlen ausprobiert, einschließlich Schreien und Drohen und einiger wütender Tritte gegen den Sockel des Apparates, aber all ihre Mühen brachten immer nur weitere Proteinwürfel zum Vorschein. Sie kannten Geschichten von gestrandeten Raumfahrern, die sich lieber gegenseitig aufgefressen hatten, als weiter von Proteinwürfeln zu leben, und allmählich verstand Jakob auch, warum. Aber er war hungrig, und in seinem Alter benötigte der Körper allen Treibstoff, den er bekommen konnte, also hatte er sich dazu gezwungen, einen ganzen Würfel zu essen. Im Augenblick nagte er lustlos an einem zweiten.

Männer waren schon für weniger mit Medaillen ausgezeichnet worden.

Ruby hatte sich glatt geweigert, die Würfel auch nur anzurühren, doch ihre Stimmung hellte sich merklich auf, als sie entdeckte, daß die verdammte Maschine wenigstens einen halbwegs vernünftigen Wein zustande brachte. Die Kopfgeldjägerin leerte eine halbe Flasche, während Jakob noch immer mit seinen Würfeln kämpfte, und für ihre Verhältnisse wurde sie richtig geschwätzig. Normalerweise war es anstrengender als Zähne zu ziehen, mit der Kopfgeldjägerin eine Konversation zu führen. Aber um fair zu bleiben: Ruby war ein Mensch, der lieber handelte, als Reden zu schwingen, und die meiste Zeit über hatte sie wirklich nicht viel zu sagen. Jakob hielt es trotzdem in ihrer Gesellschaft aus. Alles, was ihn von dem ablenkte, was er im Augenblick aß, mußte eine gute Sache sein. Und so redeten sie eine ganze Weile über Gott und die Welt; meist Anekdoten über den einen oder anderen Kampf oder die besten Methoden, wie man Menschen umbrachte.

»Warum seid Ihr eigentlich Kopfgeldjägerin geworden?« wollte Ohnesorg von ihr wissen. »Es erscheint mir nicht gerade als erstrebenswerte Beschäftigung, jedenfalls nicht für die meisten Menschen.«

»Ich war gut darin, das ist alles«, erwiderte Ruby. »Und die Alternativen waren schlimmer. Kannst du dir vorstellen, wie ich in schicken Kleidern hinter einem Schreibtisch sitze und Akten staple? Oder mit einem dreckigen Bauern verheiratet bin und ein Dutzend Kinder an meinem Rockzipfel hängen?«

»Ehrlich gesagt – nein.«

»Verdammt richtig. Aber sie verheirateten mich trotzdem, als ich gerade vierzehn war. Mit dem lokalen Eintreiber der Wassergelder. Er war groß und schwer und hatte feuchte kalte Hände, und er fand es wahrscheinlich lustig, mich dauernd zu verprügeln. Er stellte auch noch andere Dinge mit mir an. Und so wartete ich eines Nachts, bis er schlief, und schnitt ihm mit einem Küchenmesser die Kehle durch. Ich sah zu, wie er starb. Es dauerte verdammt lang, und damals erkannte ich zum ersten Mal, daß ich wirklich Spaß an dieser Art von Nervenkitzel hatte. Ich raffte alles Wertvolle zusammen, das nicht gerade angenagelt war, und machte mich auf den Weg zum Raumflughafen. Seitdem bin ich allein, und ich mag es so. Es ist weniger kompliziert.«

»Habt Ihr viele Aufträge für das Imperium erledigt?«

»Sicher. Was glaubst du denn, wer die Kopfgelder bezahlt?

Aber ich bin nicht voreingenommen. Ich arbeite für jeden, der mich bezahlen kann.«

»Und was macht Ihr dann bei uns?«

»Ich konnte noch nie einer Herausforderung widerstehen.

Außerdem hat mir der Todtsteltzer soviel Beute versprochen, wie ich nur tragen kann. Nicht, daß ich bis jetzt auch nur einen Penny davon gesehen hätte.«

»Wie kommt es, daß Ihr mit Hazel befreundet seid?«

»Du stellst vielleicht Fragen, weißt du das?« Ruby nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Flasche. »Wir haben uns in Nebelhafen kennengelernt. Wir hatten gerade beide eine Pechsträhne. Sie hat mir aus der Klemme geholfen und mich hinterher für sich vereinnahmt. Ich hatte bei der Sache nichts mitzureden. Ich hätte sie schon vor Jahren fallengelassen, aber manchmal ist es gut, Freunde zu besitzen, denen man vertrauen kann und die einem den Rücken freihalten. Doch jetzt wird es Zeit, daß du auch ein paar Fragen beantwortest. Wie bist du zu einem Berufsrevolutionär geworden?«

»Ich bin überrascht, daß Ihr nichts davon gehört habt. Zu meiner Zeit war die Geschichte ziemlich bekannt. Aber ich schätze, das ist schon zu lange her, und meine Geschichte ist nicht mehr so bekannt, wie sie es eigentlich verdient hätte. Ich war ein unbedeutender Sohn aus einem noch unbedeutenderen Haus. Ich trank viel, spielte und betätigte mich ein wenig hier und ein wenig dort, und die ganze Zeit über häufte ich nichts als Schulden an. Dann schwängerte ich eine Dienstmagd, und meine Familie schickte mich zu einem Minenplaneten in der Nähe des Abgrunds, um mich von weiteren Dummheiten abzuhalten. Der Planet hieß Trigann. Es war ein entsetzlicher Ort.

Ich hatte vorher noch nie einen Fuß außerhalb meiner wohlbehüteten Welt gesetzt, und ich war entsetzt, wie die anderen achtundneunzig Prozent der Menschheit ihr Leben fristeten.

Die Umstände, unter denen die Minenarbeiter arbeiten mußten, und die Art und Weise, wie man sie und ihre Familien behandelte, waren sogar nach dem offiziellen Standard des Imperiums eine Schande, und als sie schließlich rebellierten, unterstützte ich sie, anstatt ihren Aufstand blutig zu beenden.

Irgendwann war ich dann ihr Anführer, und genau wie Ihr hatte ich etwas gefunden, in dem ich sehr gut war. Also blieb ich dabei.

Ich zog von Planet zu Planet und predigte Ungehorsam, und ich stellte Armeen auf, um die Schwachen und Wehrlosen zu schützen und die Schuldigen zu bestrafen. Die Übermacht war immer auf der Seite unserer Gegner, trotzdem gewannen wir ein paarmal, hin und wieder jedenfalls. Oft genug, um meinen Namen zu einer Legende zu machen. Ich wurde quer durch das gesamte verdammte Imperium gehetzt.«

»Und dann schnappten sie dich.«

»Ja. Ich wurde allmählich alt und langsam, und dann beging ich den Fehler, den ich schon so oft begangen habe. Ich vertraute den falschen Leuten. Ich war immer viel zu leichtgläubig.« Ohnesorg verstummte und starrte eine ganze Zeitlang schweigend auf seinen halbverzehrten Proteinwürfel, als könne er ihm ein Geheimnis entreißen. Schließlich fuhr er fort.

»Sie zerbrachen mich. Ich war so sicher, daß ich vorher sterben würde, aber ich starb nicht. Am Ende hätte ich alles gesagt, was sie von mir hören wollten, hätte jeden verraten, den ich kannte, nur damit die Foltern aufhörten.«

»Aber du hast niemanden verraten.«

»Nein, es kam nicht dazu. Es stellte sich heraus, daß ich noch wirkliche Freunde besaß. Sie befreiten mich, obwohl die meisten von ihnen dabei ihr Leben ließen. Ich kannte nicht einmal ihre Namen.«

Ruby nickte verständnisvoll. »Am Ende zerbrechen sie jeden.«

»Ja, am Ende zerbrechen sie jeden. Selbst Legenden wie Jakob Ohnesorg. Manchmal denke ich, er starb damals in der Zelle, und ich bin nur noch sein Schatten. Meine wirklichen Freunde hatten mich nicht im Stich gelassen, aber ich ließ sie im Stich. Ich wollte ihre neue Rebellion nicht anführen. Ich wollte ihnen nicht in ihrem Kampf helfen. Ich wollte nichts anderes mehr, als mich irgendwo in der Dunkelheit zu verstecken, wo meine Folterknechte mich nicht finden konnten.

Nach einer Weile erkannten meine Freunde, daß ich es ernst meinte und daß ich ihnen weder im Augenblick noch in Zukunft je wieder nützlich sein würde, trotzdem gaben sie mich immer noch nicht auf. Sie schmuggelten mich nach Nebelwelt, dem einzigen Ort in der Galaxis, wohin mir das Imperium nicht folgen würde. Ein Planet, auf dem jeder seine Geheimnisse mit sich herumträgt, aber niemand sich darum kümmert. Ich tauchte unter und verschwand. Ich nahm einen neuen Namen an. Es war überhaupt nicht schwer. Ich sah nicht wie ein legendärer Rebell aus. Ich genoß es, Jobe Eisenhand zu sein. Niemand erwartete etwas von einem Hausmeister.«

»Die ganze Zeit unter den Augen der Öffentlichkeit, und niemand hat dich erkannt«, seufzte Ruby Reise. »Ich hab’ eine Menge Zeit mit der Suche nach dir verbracht. Ich hätte das Geld auf deinen Kopf gut gebrauchen können. Und da warst du, direkt unter meinen Augen!« Sie grinste leicht.

»Aber ich bin froh, dich damals nicht gefunden zu haben. Ich wäre so enttäuscht gewesen. Jetzt bist du anders.«

Ohnesorg hob die Augenbrauen. »So, bin ich?«

»Sicher. Du wachst langsam auf, Jakob Ohnesorg. Du bist noch nicht wieder der alte, aber du bist auf dem besten Weg dorthin. Wie kommt’s, Ohnesorg? Was hat dich hinter deinem Ofen hervor und zurück ins Rampenlicht gelockt?«

»Ihr wollt die Wahrheit hören? Ich habe mich gelangweilt.

So einfach ist das. Ich mache mir die meiste Zeit über noch immer vor Angst fast in die Hosen, und meine Hände fangen an zu zittern, wenn sie denken, daß ich nicht hinsehe, aber alles ist besser, als einen verdammten Besen durch die Gegend zu schieben. Es gab eine ganze Reihe von Tagen, an denen mir sogar der Tod besser schien. Und jetzt bin ich hier, zum letzten Kampf des alten Champions, der seine beste Zeit schon lange hinter sich hat.«

»Du hast dich im Dschungel von Shandrakor verdammt gut gehalten«, sagte Ruby. »Ich kenne massenhaft Leute, die nicht lange genug überlebt hätten, um die Todtsteltzer-Fluchtburg zu erreichen. Mach dich nicht schlechter als du bist, Ohnesorg. Ich hatte nie viel übrig für Legenden, weißt du? Ich habe zu viele von ihnen getötet, immer auf der Suche nach einer richtigen. Sie starben alle genauso leicht wie jeder andere Mensch auch. Du beeindruckst mich ein gutes Stück mehr als die meisten von ihnen.«

»Oh, danke«, entgegnete Ohnesorg. »Gut, daß Ihr mich auf Nebelwelt nicht gefunden habt, was? Es wäre eine Schande gewesen, wenn ich Euch hätte töten müssen, bevor wir uns kennenlernen konnten.«

Ruby grinste und bot ihm ihre Flasche an. »Magst du einen Schluck?«

»Ich wünschte, ich könnte. Aber mein Körper kommt nicht mehr damit klar. Die Nieren haben ein paar Schläge zuviel abgekriegt. Ihr trinkt, und ich sehe Euch zu. Ich genieße es indirekt.«

»Geht dir das mit all deinen Vergnügungen so?«

»Nicht unbedingt«, erwiderte Ohnesorg. »Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, dann würde ich Euch jetzt um diesen Tisch herum jagen.«

»Großartig«, brummte Hazel an der Tür. »Genau das, was uns noch gefehlt hat. Eine betrunkene Kopfgeldjägerin und eine geile Legende. Die Imperialen Truppen werden einen Blick auf uns werfen und sich vor lauter Entsetzen in die Hosen pissen.«

»Ich bewundere den Mut des Mannes«, sagte Owen, der neben Hazel getreten war. »Ich für meinen Teil würde nicht freiwillig näher als drei Meter an Ruby Reise herantreten, wenn ich nicht mindestens einen Stuhl und eine Peitsche in den Händen hätte.«

»Ich wußte immer, daß ihr Aristos pervers seid«, entgegnete Ruby schnippisch. »Ich würde Euch ja einen Schluck anbieten, aber ich hab’ nur diese eine Flasche.«

»Gib mir einen Schluck«, sagte Hazel. »Ich könnte einen halbwegs vernünftigen Drink gut gebrauchen.«

»Ja, ja«, sagte Ohnesorg. »Ihr hattet immer schon eine Schwäche für Drinks, wenn ich mich recht erinnere.«

Hazel warf ihm einen scharfen Blick zu. »Du erinnerst dich? Ich wußte gar nicht, daß wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind.«

»Ist schon eine Zeitlang her, auf Nebelwelt. Jemand erkannte mich und lud mich zu einem Essen ein. Ich ging hin, weil ich hungrig war und kein Geld hatte. Ihr habt für meine Gastgeberin als Dienerin gearbeitet. Sie war gerade knapp an Personal, und so hat man Euch gezwungen, das Essen zu servieren.«

Rubys Kopf ruckte herum, und sie blickte Hazel mit einem sich verbreiternden Grinsen an. »Du warst eine Dienerin, Hazel?«

»Wie zur Hölle kommt es, daß du dich an mich erinnerst?«

fragte Hazel und starrte Ohnesorg wütend an.

»Ich habe ein hervorragendes Gedächtnis für Gesichter.

Und außerdem habt Ihr mir fast eine ganze Flasche ziemlich guten Portweins über die Hosen gekippt. Das letzte Paar guter Hosen, das ich besaß.«

»Du warst eine Dienerin?« fragte Ruby erneut.

Hazel runzelte die Stirn. »Ich habe mich bei dir entschuldigt, Ohnesorg.«

»Nein, habt Ihr nicht. Ihr sagtet…«

»Ist doch egal, was ich gesagt habe!«

»Aber Ihr habt selbst davon angefangen!«

»Du warst eine Dienerin? « prustete Ruby.

»Sicher«, antwortete Ohnesorg für Hazel. »Und sie sah gar nicht schlecht aus mit ihrer Schürze und dem Häubchen auf dem Kopf.«

»Darauf gehe ich jede Wette ein«, entgegnete Ruby Reise.

»Wenn du irgend jemandem davon erzählst, bring’ ich dich um!« fauchte Hazel.

»Ich glaube, sie meint es ernst«, sagte Owen.

»Mach dir keine Gedanken, meine Süße«, säuselte Ruby, noch immer grinsend. »Dein kleines Geheimnis ist bei uns vollkommen sicher.«

»Ich wollte dir eigentlich eine Frage stellen, Ohnesorg«, sagte Hazel im ernsten Tonfall von jemandem, der fest entschlossen ist, das Thema zu wechseln. »Owen und ich haben uns über die Schlachten unterhalten, in denen du gekämpft hast. Du hast Rebellionen angeführt, die sich über ganze Welten ausgedehnt haben, und du hast Armeen befehligt. Einmal hattest du sogar eine eigene Kriegsflotte. Was ich wissen will: Woher hattest du all das Geld? Kriege sind eine verdammt kostspielige Angelegenheit. Wer hat all deine Armeen und deine Raumschiffe finanziert? Ich habe jedenfalls nichts davon gehört, daß du reich und unabhängig warst. Also, wer hat die Rechnungen bezahlt?«

»Männer und Frauen, die hinter unserer Sache standen«, erwiderte Ohnesorg. »Meistens. Den Rest habe ich mir überall geholt, wo Geld zu holen war. Es gab immer Leute, die daran Interesse hatten, daß die Mächtigen gestürzt oder zumindest ernsthaft herausgefordert wurden. Politische Gruppierungen, verfolgte Religionsgemeinschaften, Geschäftsleute, die sich einen Profit vom Krieg versprachen. Junge Aristokraten, die nicht schnell genug erben konnten oder die einfach auf ein wenig Abwechslung aus waren. Im Imperium haben schon immer verschiedene Gruppierungen gegeneinander gekämpft, und sie waren stets bereit, sich gegenseitig für den geringsten Vorteil zu verkaufen. Ich lernte, nicht zu viele Fragen zu stellen.

Ich sagte mir bei mehr als einer Gelegenheit, daß ein kleineres Übel immer noch besser ist als ein größeres. Und wenn es nötig werden würde, konnte ich immer noch eine weitere Rebellion gegen die neuen Machthaber anzetteln. In jenen Tagen herrschte nie Mangel an mutigem, idealistischem Kanonenfutter.

Und auch Beute war immer reichlich zu machen. Ich nahm, was ich brauchte, um zu tun, was ich tun mußte. Und wenn ich mich hin und wieder mit Abschaum herumplagen oder schlechten Leuten vertrauen mußte – nun, an meinen Händen klebte bereits viel zuviel Blut, als daß ich sie je wieder in Unschuld hätte waschen können.« Er grinste Owen an. »Ihr blickt so schockiert drein, junger Todtsteltzer. Es tut mir leid, wenn ich Euch eine Enttäuschung nach der anderen bereite, aber so ist das Leben. Jedenfalls mein Leben. Und jetzt, wenn die Herrschaften mich entschuldigen wollen – ich denke, ein kleiner Rundgang wird meinen steifen Muskeln guttun, bevor wir nach unten müssen. Ich wünsche noch angenehme Unterhaltung.«

Ohnesorg verließ die Küche ohne ein weiteres Wort. Er hatte alles gesagt, was er hatte sagen wollen. Zweifellos würden sie jetzt über ihn reden, aber das hätten sie auch getan, wenn er dageblieben wäre, und er zog es vor, nicht dabeizusein.

Jakob zwang sich zur Ruhe, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten, dann blieb er stehen und zog eine kleine silberne Flasche aus einer Innentasche. Mit ruhigem Griff schraubte er den Deckel ab, hob die Flasche an den Mund und nahm einen tiefen Zug der fahlen, geruchlosen Flüssigkeit. Vielleicht kam er mit Alkohol nicht mehr zurecht, aber ohne einen gelegentlichen Schuß vom richtigen Stoff war er zu nichts zu gebrauchen. Früher einmal hatte er gedacht, Kampfdrogen wären nur etwas für Feiglinge und Dummköpfe, aber die Zeit hatte ihn eines Besseren belehrt. Manchmal schien der einzige Mut, den er noch besaß, aus der kleinen silbernen Flasche zu kommen. Er wollte so gerne wieder zu der Legende von einst werden, und wenn es nur für seine neuen Freunde war. Sie hatten bereits soviel durchgemacht, und ihnen stand noch soviel mehr bevor. Sie brauchten einfach eine Legende an ihrer Seite. Jakob Ohnesorg seufzte laut, hob die Flasche erneut an den Mund – und senkte sie wieder, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Er schraubte den Deckel fest und schob die Flasche zurück in seine Tasche.

Ohnesorg schlenderte durch den leeren Korridor. Seine Schritte echoten von den Wänden. Seine Beine fühlten sich bereits kraftvoller an, und sein Atem ging ruhiger. Mit ein wenig Zeit und ein paar weiteren Schlucken vom richtigen Stoff würde er vielleicht sogar wieder einen ganz passablen Krieger abgeben. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er sich daran erinnerte, welch ein guter Kämpfer er einmal gewesen war. Bereit, bei der geringsten Beleidigung oder zur Verteidigung der Ehre einer Dame oder auch seiner eigenen das Schwert zu ziehen, oder einfach nur, weil er der Beste war und niemand ihm zu nahe kommen durfte. Er war ein Meisterschütze mit jeder Art von Pistole gewesen, er hatte jedes verdammte Ding gesteuert, das fliegen oder fahren konnte, und er hatte mit den besten Generälen, die die Rebellion zu bieten hatte, über Strategie diskutiert. Jakob hatte Tag um Tag an seiner eigenen Legende geschmiedet, seinen Ruhm Welt um Welt vergrößert und dafür Sorge getragen, daß das Imperium ihn fürchtete wie niemanden sonst.

Aber das war alles schon lange vorbei. Der Krieg nimmt einem vieles, und eines der ersten Dinge ist die Jugend. Jakob Ohnesorg war alt geworden auf den Schlachtfeldern, alt und hart. Er hatte seine Jugend nie vermißt, bis ihm eines Tages auffiel, daß sie vergangen war. Trotzdem mußte er weiterhin der Beste bleiben. Die Menschen brauchten ihn, verließen sich auf ihn, hingen von ihm ab. Für lange Zeit hatte ihm das vollkommen gereicht, und er hatte all seine Kraft aus ihrer inbrünstigen Verehrung gezogen. Aber mit den Jahren und der zunehmenden Anzahl von Fehlschlägen hatte er zuerst mit dem Trinken angefangen und war schließlich über normale Drogen bei Kampfdrogen gelandet. Zuerst hatte er Gründe gehabt, dann Entschuldigungen, und am Ende war nur die Sucht geblieben. Auf Nebelwelt hatte Ohnesorg gelernt, wieder ohne Drogen zurechtzukommen, genau wie er gelernt hatte, ohne Mut oder Ehre zu leben. Die Welt eines Hausmeisters war einfach und ohne Herausforderungen, und er hatte sich dankbar in ihr verloren. Nur hin und wieder nahm er noch einen Schluck, um an einem kalten Morgen seinen Kreislauf anzuheizen. Oder in Notfällen, wie jetzt, wenn er sich überhaupt nicht wie Jakob Ohnesorg fühlte.

In einem Nebenzimmer stieß ff auf Tobias Mond. Der Hadenmann war allein und betrachtete auf einem Schirm den gefrorenen Planeten, den die Burg umkreiste. Sein Gesicht war so kühl und ausdruckslos wie immer, und er saß steif in seinem Sitz, als würde er nur deshalb warten, weil jemand ihm zu warten befohlen hatte, während er sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich aufzubrechen. Ohnesorg blieb zögernd im Eingang stehen und war sich nicht sicher, ob es klug oder notwendig war, den Hadenmann zu stören. Dann begann Mond plötzlich zu sprechen, ohne seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden.

»Kommt herein, Jakob Ohnesorg. Es ist lange her, daß wir vor einer Schlacht miteinander gesprochen haben.«

Ohnesorg fluchte innerlich und gab sich Mühe, einen entspannten und selbstbewußten Eindruck zu erwecken, als er den Raum betrat und einen Stuhl neben Mond zog. Der Hadenmann behauptete zwar, während der Eisfels-Rebellion an Ohnesorgs Seite gekämpft zu haben, aber Ohnesorg konnte sich beim besten Willen nicht an den Mann erinnern. Der Kampf um Eisfels war hart und blutig gewesen, und eine Menge guter Männer hatten ihr Leben gelassen. Doch an den Hadenmann hätte Jakob sich trotzdem erinnern müssen. Nach der gescheiterten Rebellion waren sie extrem vorsichtig gewesen. Die meisten Leute schossen bereits, wenn sie sich nur auf der Straße zeigten, nur für den Fall. Auf der anderen Seite mußte sich Jakob eingestehen, daß sein Gedächtnis nicht mehr so gut war wie früher – wie so viele andere Dinge auch. Manches sah er noch immer kristallklar vor sich, anderes schien für immer verloren zu sein, und noch mehr war einfach wirr.

Die Imperialen Hirntechs hatten ganze Arbeit an ihm geleistet. Er rutschte verstohlen auf seinem Stuhl hin und her in dem vergeblichen Bemühen, es sich bequem zu machen, und überlegte angestrengt, über was zur Hölle er mit dem Hadenmann reden sollte. Mond sprach als erster.

»Ich habe keine Erinnerung an die Stadt oder die Laboratorien von Haden«, begann er. »Ich wurde unterwegs zum Leben erweckt, auf einem Schiff während der Fahrt zwischen zwei Planeten… zwischen den Schlachten. Die Rebellion der Hadenmänner drohte zu scheitern, und meine Vorgesetzten benötigten alle Einheiten, die sie nur kriegen konnten. Ich kämpfte in zahlreichen Schlachten und auf vielen verschiedenen Welten, und ich befolgte stets nur die Befehle meiner Vorgesetzten. Ich tötete Männer und Frauen und Kinder.

Nach der Rebellion waren die meisten meines Volks gefallen oder zurück nach Haden geflohen, in ihre Gruft, und ich wurde aufgegeben und mir selbst überlassen. Ich hatte keine Ahnung, wo Haden lag. Eine Zeitlang lebte ich vom Kämpfen, weil ich nichts anderes konnte. Ich kämpfte für viele Parteien, auf vielen Planeten, aber am Ende schien es immer um das gleiche zu gehen, und ich begann mich zu langweilen. Ich verbrachte ein paar Jahre mit Reisen und suchte nach neuen Herausforderungen, doch meine Energiekristalle erschöpften sich allmählich, und die erforderliche Technologie, um sie wieder aufzuladen oder zu ersetzen, war nur auf Imperialen Stützpunkten zu finden, wo Hadenmänner keinen Zutritt hatten. Schließlich endete ich auf Nebelwelt, und ich war kaum noch besser als ein Mensch.

Könnt Ihr überhaupt ermessen, was es bedeutet, wenn man nur ein Mensch ist? Ich besaß so viele Fähigkeiten. Ich war stark und schnell, und meine Sinne nahmen soviel mehr vom Universum wahr als einfache organische Geschöpfe. Aber ich wurde mit jedem Tag schwächer, sah mit jedem Tag weniger, und selbst meine Gedanken wurden immer langsamer.

Lange Zeit fristete ich eine trostlose Existenz. Ich hatte keine Pläne mehr, keine Hoffnung, keine Zukunft. Dann drang die Nachricht von Owen Todtsteltzer an meine Ohren, dem geächteten Lord von Virimonde, und ich erinnerte mich der Machenschaften seiner Familie. Ich wagte wieder zu hoffen.

Owen Todtsteltzer führte mich mit Euch zusammen und brachte mich zu meiner verlorenen Heimat Haden und der Gruft der Hadenmänner. Jetzt habe ich die Chance, wieder unter meinesgleichen zu leben. Ich verdanke Owen Todtsteltzer alles. Aber wenn mein Volk erwacht, muß ich erneut den Befehlen meiner Vorgesetzten gehorchen, wie auch immer sie lauten mögen.«

Ohnesorg runzelte die Stirn. »Ihr meint, sie könnten sich weigern, bei der Rebellion des Todtsteltzers gegen das Imperium mitzumachen? Sie werden sicher einsehen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, sich uns anzuschließen.«

»Ihr versteht nicht. Ihr und Eure Kameraden seid alle menschlich, und für lange Zeit war das für unser Volk ein Synonym für den Feind. Es ist ein zentraler Gedanke der Hadenmänner, daß wir geschaffen wurden, um die Menschheit zu ersetzen. Ihr seid schwach, ungeschützt und unterlegen.

Aber ich habe so lange unter Menschen gelebt, und ich habe eure besonderen Stärken und Potentiale gesehen, die meiner Rasse bisher fehlen. Sie werden sagen, die Menschen hätten mich mit ihrer Schwachheit angesteckt, und vielleicht haben sie sogar recht damit. Ich weiß wirklich nicht mehr, ob ich ein Hadenmann bin oder etwas anderes, weniger oder mehr oder beides zugleich. Ich habe so lange darauf gewartet, zu meinem Volk zurückzukehren und wieder ein voll funktionsfähiger aufgerüsteter Hadenmann zu sein, aber jetzt… Ich weiß nicht mehr genau, wo ich eigentlich hingehöre. Ich weiß überhaupt nichts mehr.«

»Ihr neigt ein wenig zur Nervosität, mein lieber Mond. Das ist nur allzu menschlich.«

»Aber ich bin kein Mensch! Ich sollte nicht einmal denken wie ein Mensch. Ich bin ein Hadenmann, die nächste Stufe der menschlichen Evolution, und genau das wird mein Volk auch sagen, wenn es aus der Gruft kommt. Ich bin endlich zu Hause, auf der verlorenen Welt Haden, nur um herauszufinden, daß ich mich überhaupt nicht wie zu Hause fühle.«

Der Hadenmann sprang unvermittelt auf und verließ auf seine unnachahmlich lautlose und elegante Art den Raum.

Ohnesorg ging ihm nicht hinterher. Er bezweifelte, daß er Mond hätte einholen können, und selbst wenn, was hätte er ihm schon sagen sollen? Was konnte man jemandem sagen, der den Verlust seiner eigenen Nichtmenschlichkeit betrauerte? Also lehnte Ohnesorg sich in seinem unbequemen Stuhl zurück und betrachtete den Bildschirm. Er fragte sich, ob er den anderen von seiner Unterhaltung mit Mond berichten sollte. Der gefrorene Planet schien ihn anzustarren, stumm und voller Rätsel und Geheimnisse. Ohnesorg vernahm sich

nähernde Schritte und drehte sich rasch in seinem Stuhl um, für den Fall, daß Mond zurückkam. Aber der Mann in der Tür war Giles, der Erste Todtsteltzer. Er sah müde aus, und vielleicht fühlte er sich ein wenig verloren. Er bedeutete Ohnesorg mit einem Wink, sitzen zu bleiben, und ließ sich im Stuhl neben dem alten Berufsrevolutionär nieder. Der Todtsteltzer blickte auf die Welt, die regungslos in der Mitte des Bildschirms hing, und seufzte kurz.

»Ein häßlicher Planet. Als er noch lebte, sah er nicht viel besser aus, jedenfalls aus dem Orbit betrachtet. Vielleicht war es dadurch einfacher, ihn zu zerstören. Ich hätte nie gedacht, ihn eines Tages wiederzusehen. Als ich meine Burg auf Sandrakor landete, war ich mir sicher, daß ich dort sterben würde.

Alle hatten ihre Hand gegen mich erhoben. Einige, weil ich den Dunkelwüsten-Projektor eingesetzt hatte, und andere, weil ich fest entschlossen war zu verhindern, daß er je wieder benutzt werden würde. Niemand war mehr überrascht als ich selbst, als der Staub sich am Ende legte und ich alle Gegner besiegt hatte, die mir auf den Fersen gewesen waren. Ein Teil von mir wollte sterben. Ich begab mich in Stasis, weil ich hoffte, daß die Dinge sich von selbst erledigen würden, bevor man mich wieder aufweckte. Ich hätte es besser wissen sollen.

Alles ist noch viel verwickelter als damals. Drei verschiedene Arten von Kyborgs, abtrünnige künstliche Intelligenzen, die der Menschheit den Krieg erklärt haben, eine wahnsinnige Herrscherin auf dem Eisernen Thron und nicht nur eine, sondern gleich zwei möglicherweise gefährliche fremde Rassen.

Und zu allem Überfluß ist mein Nachkomme, der Todtsteltzer dieser Tage, ein Historiker!«

»Er ist ein guter Mann«, entgegnete Ohnesorg. »Er kämpft hervorragend, wenn es sein muß, und er trägt einen klugen Kopf auf den Schultern. Er sorgt sich um andere, und meist sind seine Beweggründe edel. Ihr hättet es ein gutes Stück schlimmer treffen können.«

»Von Euch hört man das gleiche«, sagte Giles. »Alle sagen mir, daß Ihr ein hervorragender Kämpfer und ein großartiger Anführer seid.«

Ohnesorg seufzte. »Vielleicht früher einmal. Ich bin nicht sicher, ob das auch heute noch gilt. Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, auf der einen oder anderen Welt gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen, und ich hatte alle Hoffnung auf eine Familie oder ein normales Leben aufgegeben, nur um einen Kampf zu führen, der meist von vornherein schon zum Scheitern verurteilt war. Ich habe viele gute Männer sterben sehen, immer und immer wieder, viele Männer, die besser waren als ich und alles für nichts und wieder nichts.

Das Imperium ist so stark wie eh und je, und ich bin nur noch ein alter Mann, der keinen sicheren Ort hat, um seinen Kopf niederzulegen.«

»Es geht nicht darum, zu gewinnen oder zu verlieren«, sagte Giles. »Es geht darum, so viele von den Bastarden mit sich zu nehmen wie möglich. Jeder kann wegsehen und so tun, als sähe er das Böse nicht, solange es ihn nicht betrifft.

Aber ein Mann von Ehre hat keine andere Wahl, als aufzustehen und etwas zu unternehmen. Was auch immer geschehen mag – Ihr und ich haben das Leben gelebt, das wir zu leben uns selbst aussuchten. Zu viele Menschen leben ein Leben, das ihnen andere vorschreiben, folgen Befehlen, mit denen sie nicht einverstanden sind, und kämpfen für Dinge, an die sie nicht glauben. Sie leben bedeutungslose Leben, die niemanden berühren und nichts ändern. Ob es besser war oder schlechter, Ohnesorg, Ihr und ich, wir sind aufgestanden und haben dem Bösen ins Auge geblickt. Wir sind nicht zurückgezuckt. Wir erhoben unsere Waffen und zogen in den Krieg, und selbst wenn wir die meisten Schlachten nicht gewinnen konnten, so haben wir einigen Leuten doch ziemlich in den Hintern getreten. Es war ein Unterschied, ob wir da waren oder nicht, und mehr kann ein Mensch nicht von seinem Leben verlangen.«

»Ja«, erwiderte Ohnesorg. »Und wegen uns starben eine Menge guter Leute, die uns in der Erwartung von Wundern gefolgt sind. Machen Euch die Geister nie zu schaffen, Todtsteltzer?«

»Natürlich. Einige von ihnen warten unten auf dem Planeten auf mich. Aber ich treffe meine Entscheidungen wegen der Zukunft, nicht wegen der Vergangenheit. Und Geister müssen ihren Platz kennen.«

»Es muß wundervoll sein, sich so stark und sicher zu fühlen«, sagte Ohnesorg. »Und alle Antworten zu kennen. Wenn Ihr einen Augenblick Zeit habt, dann bedauert uns arme Sterbliche mit unseren Zweifeln und Fehlern.«

Er erhob sich brüsk und ging. In der Tür rempelte er Owen an, ohne ein Wort zu sagen. Owen wandte sich um und blickte dem alten Mann hinterher, der ungestüm durch den Korridor davonstapfte. Dann sah er fragend zu seinem Vorfahren.

»Was ist denn in den gefahren?«

»Er spürt sein Alter. So ist das eben, wenn man sich auf eine Schlacht vorbereitet. Es ist eine Zeit, in der man Fremden sein Herz öffnet und auf Absolution hofft. Bist du aus dem gleichen Grund zu mir gekommen, Verwandter?«

»Nein. Ich kam einfach vorbei und hörte Stimmen.« »Und wie fühlst du dich? Bereit zum Kampf?« »Ich hoffe es wenigstens. Aber mir bleibt keine andere Wahl, oder? Seit diese Geschichte begann, wurde ich von Planet zu Planet gehetzt, und die bösen Jungs waren nie mehr als ein paar Minuten hinter mir. Keine Zeit zum Nachdenken, geschweige denn zum Rasten. Und ganz egal, in welche Richtung ich mich auch wende, ich höre immer nur Pflicht, Pflicht, Pflicht. Kämpfe für dieses, kämpfe für jenes, kämpfe für dein Recht, am Leben zu bleiben. Welche Wahl hatte ich schon in letzter Zeit?«

»Es gibt immer eine Wahl, Owen. Du kannst wählen, ob du kämpfen oder fliehen willst, ob du stark oder schwach sein willst. Du kannst wählen, den Kampf der Gerechten zu kämpfen und niemals den Kopf vor einem Halunken zu beugen. Du entstammst einer Familie von Kriegern, die sich niemals einer Überzahl gebeugt hat und niemals für eine Sache kämpfte, an die sie nicht glaubte. In unserer Familie ist es Tradition, sich allen Hindernissen zu stellen, die man uns in den Weg legt, und am Ende darüber hinwegzusteigen. Wir begegnen unseren Feinden mit kaltem Stahl in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen. Wir Todtsteltzers waren immer Helden, Krieger und Männer des Schicksals.«

»Spar dir deine feurige Rede für jemanden, der an diesen Unsinn glaubt«, erwiderte Owen. »Ich habe mir diesen Mist mein ganzes Leben lang anhören müssen, und er hat meinen Vater nicht davor bewahrt, von einem Meuchelmörder der Herrscherin umgebracht zu werden, genausowenig wie er uns retten wird, wenn die Truppen Löwensteins erst hier eintreffen. Wir sind sechs Leute, die der gesamten Macht des Imperiums gegenüberstehen. Unsere Chancen sind kleiner als null.

Unsere einzige Hoffnung zu überleben besteht darin, eine Rasse von Halbmenschen aufzuwecken, die uns vielleicht, vielleicht auch nicht in dem Augenblick umbringen, wo sie uns sehen, und sie hoffentlich davon zu überzeugen, daß sie an unserer Seite kämpfen müssen. Immer vorausgesetzt, sie entscheiden sich nicht wieder einmal, die gesamte Menschheit auszulöschen. Wir sind hoffnungslos unterlegen, besitzen keine vernünftigen Waffen, und an unseren Fingern scheint das Pech zu kleben. Ich bin Historiker, Vorfahr; ich habe gesehen, was mit Rebellionen ohne massive finanzielle Grundlage, große Armeen und eine vernünftige Machtbasis geschieht. Wir haben nicht den Hauch einer Chance, Giles. Es sieht ganz danach aus, als würden wir alle sterben, und zwar auf eine verdammt blutige Art und Weise.«

Giles lächelte sanft. »Wenn wir deiner Meinung nach sowieso sterben müssen, können wir wenigstens vernünftig sterben und so viele von ihnen mit uns nehmen wie nur irgend möglich. Wenn sonst kein Ausweg mehr bleibt, dann geh wenigstens mit dem Schwert in der Hand unter. Laß sie für ihren Sieg teuer bezahlen.«

»Oh, wie romantisch! Mein Vater hätte gut zu dir gepaßt. Er glaubte auch an diesen Mist, aber er starb trotzdem allein, mitten auf der Hauptstraße, und seine Eingeweide lagen auf dem Boden verstreut, während andere in einem großen Bogen an ihm vorbeigingen, um sich nicht die Schuhe schmutzig zu machen. Für dich mag es ja ganz vernünftig sein, wenn du so redest. Schließlich warst du Oberster Krieger des Imperiums.

Du hast ganze Armeen geführt. Aber ich, ich wollte nie ein Kämpfer sein. Ich wollte nur meine Ruhe, um Bücher zu lesen und die Geschichte zu studieren. Doch statt dessen hat man mich gezwungen zu kämpfen und Leute zu töten, die ich nicht einmal kenne, und jetzt führe ich eine Rebellion, von der ich nicht einmal sicher bin, ob ich an sie glaube.

Selbst wenn wir durch irgendein Wunder gewinnen sollten – welchen Nutzen sollte Jakob Ohnesorgs Imperium aus einem Exaristokraten wie mir schon ziehen? Ich stehe für all das, was er und seinesgleichen loswerden wollen. Wahrscheinlich endet es damit, daß sie mich vor ein Gericht stellen und wegen Ausbeutung des Volkes verurteilen. Und all das romantische Geschwätz von wegen, daß du deine Feinde mit dir ins Verderben ziehst; was hat es dir beim letzten Mal gebracht, he? Du hast den Dunkelwüsten-Projektor benutzt. Wie viele Milliarden Unschuldiger mußten deswegen sterben? Weißt du eigentlich, wie man dich in den Geschichtsbüchern nennt? Den größten Massenmörder aller Zeiten.«

»Du hast recht«, stimmte Giles seinem Nachfahren zu. »Das bin ich auch. Ich habe mein ganzes Vertrauen in den Eisernen Thron gesetzt und wurde betrogen. Du mußt einfach verstehen, wie verlockend der Projektor damals war: eine Möglichkeit, eine systemweite Rebellion auf einen Schlag zu beenden.

Ich war nicht einmal sicher, ob er funktionieren würde. Erst danach, als die ersten Berichte eintrafen, erkannte ich das ganze Ausmaß der Katastrophe, für die ich verantwortlich war. Um mich selbst zu rechtfertigen, stürzte ich mich in die Forschung und untersuchte die Beweggründe für die Rebellion. Und fand zu meinem Erstaunen heraus, daß sie die ganze Zeit über im Recht gewesen waren. Das Imperium war grausam und korrupt, sowohl was die Wahl seiner Mittel anging, als auch von seiner ganzen Natur her. Das System selbst war es, das böse war.

Also schnappte ich mir den Dunkelwüsten-Projektor und floh. Ich gab jede Ehre auf, die zu erreichen ich damals hoffen konnte, nur um sicherzustellen, daß sich der Horror niemals wiederholen könnte, der durch meinen Dunkelwüsten-Projektor ausgelöst worden war. Und damit du es weißt, wir kämpfen hier nicht zu unserem Vergnügen und auch nicht für Geld oder Ehre, du Historiker. Wir müssen kämpfen, damit das Böse nicht am Ende doch noch siegreich dasteht.«

»Siehst du«, warf Owen ein, »schon sind wir wieder bei der freien Entscheidung angelangt. Und ich habe keine. Ich kann nicht zurück zu dem, was ich einmal war: ein naiver, unschuldiger Forscher, der nie in Frage stellte, wo all sein Luxus herrührte. Ich habe zuviel gesehen; Dinge, vor denen ich früher meinen Kopf abwandte. Ich habe keine Entschuldigung dafür.

Ich war schließlich Historiker, und ich wußte von all dem Leid und der Ungerechtigkeit, auf denen das Imperium gebaut ist. Ich sagte mir nur immer wieder, daß es nichts mit mir zu tun hatte.

Mein Vater lebte für seine dunklen Machenschaften und die Intrigen gegen den Eisernen Thron, so sehr, daß er scheinbar niemals Zeit für mich hatte. Deshalb hatte ich auch nie Zeit oder Geduld für seine verdammten Intrigen. Ich richtete mir mein eigenes Leben ein: das eines stillen und politisch desinteressierten Gelehrten. Ich hätte wissen müssen, daß es so nicht ewig weitergehen konnte. Und nachdem ich erst mein Gesicht auf die blutige Kehrseite des Imperiums gerichtet hatte, konnte ich nicht mehr wegsehen. Zu viele Unschuldige wurden verletzt, Tag für Tag, aus reiner Willkür. Also werde ich der Kämpfer sein, den mein Vater immer aus mir machen wollte. Ich werde ein Rebell sein und für Gerechtigkeit kämpfen, aber bilde dir nur ja nie ein, ich mache das aus freiem Willen.«

»Natürlich machst du es aus freiem Willen«, widersprach Giles. »Du hast es selbst gesagt. Du konntest den Blick nicht mehr abwenden, nachdem du gesehen hattest, wie die Dinge wirklich standen. Genau das gleiche geschah mit Jakob Ohnesorg, mit deinem Vater und mit mir. Alle denken, sie kämpfen aus ihren eigenen Motiven heraus, aber am Ende kämpfen und sterben wir vielleicht sogar nur aus dem einen einzigen Grund… daß wir unseren Blick nicht abwenden können. Wir selbst hindern uns daran. Ein Grund zum Kämpfen, der mindestens genausogut ist wie jeder andere, wenn nicht sogar besser. Ich habe zugehört, als die anderen über dich geredet haben. Du hast kein Interesse daran, ein Kämpfer oder Held oder großer Anführer zu sein; statt dessen willst du immer nur das Richtige tun. Und genau das ist die einzige Sorte von Kämpfern und Helden und Anführern, die verdammt noch mal etwas wert sind. Wenn ich schon einen Historiker unter meinen Nachfahren haben muß, dann bin ich verdammt froh, daß es einer wie du ist. Ich hätte es ein gutes Stück schlechter treffen können.

Aber jetzt laß uns zu den anderen gehen. Wir teleportieren bald in das Labyrinth des Wahnsinns hinunter, und es gibt ein paar Dinge, die ich vorher mit euch allen besprechen möchte.

Die Situation dort unten ist, sagen wir… ziemlich kompliziert.«

»Na, das ist aber eine Überraschung!« erwiderte Owen, und sein Vorfahr lachte.

»Komm, Verwandter; es ist ein schöner Tag, für andere zu sterben, nicht für uns.«

Hazel d’Ark und Ruby Reise hatten Stühle an den Tisch in der Küche gezogen und waren mit der zweiten Flasche Wein zugange. Sie saßen weit zurückgelehnt, die Absätze der Stiefel auf dem Tisch, und schaukelten sanft auf ihren Stühlen. Der Wein schmeckte Hazel nicht besonders, aber sie trank entschlossen in der Hoffnung, der Alkohol würde die wachsende Spannung in ihr ein wenig dämpfen. Sie wurde immer nervös, wenn eine Sache wie diese bevorstand. Wenn die Dinge dann erst in Bewegung kamen, war alles wieder in Ordnung. Dann war sie meist zu beschäftigt, um sich Gedanken zu machen.

Nur das Warten zehrte an ihren Nerven. Sie blickte in Rubys kühles, ausdrucksloses Gesicht und verspürte den Wunsch, einen schweren Gegenstand nach ihrer Freundin zu werfen.

Nichts schien Ruby Reise je aus der Ruhe bringen zu können.

»So«, sagte Ruby. »Schläfst du mit ihm?«

Hazel blinzelte überrascht. »Mit wem?«

»Mit dem Aristo natürlich. Ich habe beobachtet, wie er dich ansieht. Er sieht gut aus, und er scheint auch nicht ganz unerfahren zu sein.«

»Er ist nicht mein Typ«, entgegnete Hazel.

»Komisch, früher warst du nie so wählerisch. Wenn ich daran denke, mit welchen Fieslingen du dich schon eingelassen hast… Bei einigen hätte man glatt einen Gentest verlangt, um herauszufinden, ob sie überhaupt Menschen sind. Du hattest schon immer eine Schwäche für ein nettes Lächeln und einen hübschen knackigen Arsch. Ich persönlich, ich stehe mehr auf Mond.«

»Auf den Hadenmann? Du machst wohl Witze! Ich bin nicht einmal sicher, wieviel an ihm menschlich ist. Wahrscheinlich treibt er es nur mit Getränkeautomaten!«

»Trotzdem. Ich wette, ich könnte ihm ein Lächeln entlocken, wenn ich mir Mühe gebe. Außerdem habe ich gehört, daß Hadenmänner mit allen möglichen Arten von… besonderen Aufrüstungen versehen sein sollen. Und dann gibt es ja auch noch Jakob Ohnesorg. Er ist zwar ein wenig älter und verwitterter als die Typen, nach denen ich mich normalerweise umdrehe, aber er war für mich immer ein Idol.«

Hazel hob eine Augenbraue. »Ich wußte nicht, daß du überhaupt ein Idol hattest.«

»Du weißt eben nicht alles über mich«, entgegnete Ruby.

»Und wehe, wenn du ihm etwas verrätst!«

»Keine Angst, deine kleinen perversen Geheimnisse sind bei mir sicher. Ruby, warum bist du eigentlich noch immer bei uns?«

»Du hast mir einen guten Kampf versprochen und alles an Beute, was ich nur tragen kann.«

»Die Chancen sind hoch, daß es keinerlei Beute gibt. Es ist im Gegenteil viel wahrscheinlicher, daß wir alle sterben werden. Das Imperium kann jederzeit hier auftauchen, und du kannst deinen Arsch darauf verwetten, daß sie mit einer Übermacht kommen. Ich war schon oft in der Klemme, aber noch nie so wie diesmal. Keine Hintertür, durch die man verschwinden könnte. Nur Felsen und Eis.«

»Hör auf, den Wein warm zu halten«, sagte Ruby. Sie nahm Hazel die Flasche ab und wog sie enttäuscht in der Rechten.

»Scheint, als müßten wir uns bald um Nachschub kümmern.

Sieh mal, wir haben keinen Fluchtweg, auf dem wir uns absetzen können. Der einzige Weg nach Hause führt über die Burg des alten Todtsteltzer, und Giles ist der einzige, der dieses Relikt von Schiff steuern kann. Und er ist entschlossen, sich zuerst auf der Wolflingswelt umzusehen… wir sitzen also fest, meine Süße. Versuch doch, die Vorteile zu sehen.«

»Welche Vorteile?«

»Laß mir Zeit, ich denke mir was aus. Es ist einfach ein weiterer Kampf. Ob wir gewinnen oder sterben, Hauptsache, wir haben Spaß.«

»Aber es geht gar nicht mehr um uns allein. Wenn wir wirklich den Dunkelwüsten-Projektor in die Finger bekommen und es uns gelingt, die Hadenmänner aufzuwecken, befinden wir uns plötzlich in einer Position, wo wir dem ganzen verdammten Imperium sagen können, daß es zur Hölle gehen und dort bleiben soll. Wir könnten alles ändern, alles wieder in Ordnung bringen. Wenn wir sterben, stirbt diese Chance mit uns. Das macht mich so verdammt nervös.«

»Es kommt, wie es kommt«, sagte Ruby. »Und wenn die Ereignisse erst einmal so groß geworden sind, dann spielen Leute wie du und ich keine Rolle mehr. Wenn wir je eine gespielt haben, heißt das. Wir können nur unseren Teil beitragen und keine unnötigen Risiken eingehen, damit uns niemand den Kopf von den Schultern schießt. Das überlassen wir Helden wie Ohnesorg und den beiden Todtsteltzers. Wir bleiben aus der direkten Schußlinie, kämpfen, wenn es sein muß, und halten nach einer guten Gelegenheit Ausschau. Dort unten muß es einfach das eine oder andere Wertvolle geben, das sich mitzunehmen lohnt.«

Hazel grinste. »Du änderst dich wohl nie, was? Bleib so, wie du bist, eine Kopfgeldjägerin, selbstzufrieden und böse bis ins Herz. Ohne Leute wie dich wäre das Universum verdammt langweilig.«

Ruby musterte Hazel ungerührt. »Ich weiß gar nicht, wovon du redest. Manchmal denke ich, außer mir sind alle an Bord völlig bescheuert.«

Schließlich versammelte sich die Gruppe wieder vor dem großen Hauptschirm in der Zentrale der Todtsteltzer-Burg.

Die Zentrale war ein weitläufiger Saal ohne sichtbare Instrumente oder Kontrollen und außerdem ohne auch nur die Spur eines Möbels, das man als Sitzgelegenheit hätte bezeichnen können. Owen fühlte sich nicht zum ersten Mal überflüssig.

Giles unterrichtete sie auf seine trockene, sarkastische Art und Weise, und die anderen hörten mehr oder weniger aufmerksam zu. Trotzdem schien niemand besonders darauf erpicht, daß die Besprechung zu Ende ging.

»Die Sensoren meiner Burg zeigen große künstliche Hohlräume unter der Planetenoberfläche«, sagte Giles. Eine beunruhigend detaillierte Karte erschien auf dem Bildschirm.

Owens Kopf begann alleine vom Hinsehen zu schmerzen.

»Die meisten dieser Bauwerke existierten bei meinem letzten Besuch auf der Wolflingswelt noch nicht«, sagte Giles. »Das ist die Stadt der Hadenmänner. Sie liegt auf der anderen Seite des Labyrinths des Wahnsinns. Das Portal, das ich bei meinem letzten Besuch der Wolflingswelt zurückgelassen habe, steht auf der gegenüberliegenden Seite des Labyrinths. Also bleibt uns bedauerlicherweise keine andere Wahl, als zuerst durch das Labyrinth zu gehen, bevor wir die Stadt der Hadenmänner erreichen können.«

»Und was bedeutet das genau?« wollte Owen wissen. »Du hast uns nie erklärt, was es mit diesem Labyrinth des Wahnsinns auf sich hat.«

Giles schürzte nachdenklich die Lippen. »Das Labyrinth ist ein rätselhaftes, geheimnisvolles Bauwerk. Die Wolflinge haben es errichtet, kurz bevor sie alle durch das Imperium ausgelöscht wurden. Jedenfalls fast alle. Einer von ihnen lebt noch. Er bewacht das Labyrinth. Manchmal denke ich, er bewacht es nicht, um die Menschen davon fernzuhalten, sondern um zu verhindern, daß das Labyrinth entkommt. Und was auch immer er über das Labyrinth weiß, er hat es mir nie verraten. Das Labyrinth ist… schwer zu beschreiben. Ihr werdet ja sehen. Ich bin nie selbst hindurchgegangen, aber seine Funktion ist kein Geheimnis. Das Labyrinth beeinflußt Körper und Geist und formt sie neu und… verändert sie. Ich glaube, es diente ursprünglich dazu, die Wolflinge auf die nächste Stufe der Evolution zu heben. Glücklicherweise, und ich benutze dieses Wort mit Bedacht, bekamen sie nie eine Gelegenheit, es zu benutzen. Ich bin nicht sicher, ob die Menschheit das überlebt hätte, was aus den Wolflingen entstanden wäre.«

»Moment mal!« unterbrach Hazel. »Wenn die Hadenmänner ihre Stadt unterhalb des Labyrinths errichtet haben – müssen sie dann nicht alle hindurchgegangen sein?«

»Ich glaube nicht«, erwiderte Mond. »Die Wissenschaftler gruben sich durch den gefrorenen Planeten bis zu einem ihnen geeignet erscheinenden Ort, einer großen Ansammlung natürlicher Höhlen. Bei ihrem Rückzug brachten sie den Tunnel wieder zum Einsturz, um ihre Spuren zu verwischen und zu verhindern, daß ihnen jemand folgen konnte. Am Ende war das Labyrinth für sie wahrscheinlich nur eine weitere Verteidigungseinrichtung für die Zeit, während der sie in der Gruft schliefen. Ich denke, ich sollte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß noch weitere Verteidigungsanlagen die Stadt schützen. Theoretisch zumindest sollte allein meine Gegenwart ausreichen, um sie zu entschärfen.«

»Aber du bist dir nicht sicher«, sagte Ruby Reise.

»Nein«, erwiderte Mond. »Ich war noch nie hier.«

»Das wird ja von Minute zu Minute besser«, brummte Jakob Ohnesorg. »Wenn das Labyrinth uns nicht tötet, dann tut es die Stadt. Und wenn wir die überleben, bleiben noch immer das Imperium und die Streitkräfte, die sie hinter uns hergeschickt haben.«

»Wenn Rebellion einfach wäre, könnte ja jeder eine anfangen«, entgegnete Giles.

Ohnesorg warf ihm einen bösen Blick zu.

Sie traten nacheinander durch das Transferportal, waffenstarrend bis zum Hals, und fanden sich auf einer silbern schimmernden Ebene wieder, die sich in weitem Rund bis in die Dunkelheit erstreckte. Das einzige Bauwerk bestand aus einer großen, metallenen Tür, mehr als vier Meter hoch und drei breit, die anscheinend ins Nichts führte und genau im Zentrum der erleuchteten Ebene ruhte. Das Metall glänzte bronzefarben im Licht, das aus dem Boden selbst zu stammen schien. Reihen tief eingeschnittener Schriftzüge in einer unbekannten Sprache zogen sich über die ansonsten glatten Flächen. Owen trat vor, um die Schrift eingehender zu betrachten. Die anderen blieben zögernd stehen. Owen warf ihnen einen verächtlichen Blick zu und trat ganz dicht vor die schwere Tür, ohne sie zu berühren. Die scharf konturierten Muster schienen voller geheimer Bedeutungen zu sein, die sich seinem Verstand entzogen. Er hörte ein schwaches Summen, das direkt aus der Tür kam: ein pochender, dumpfer Klang, der ihm in die Knochen fuhr. Etwas schwebte in der Luft, das spürte der junge Todtsteltzer. Er schob das Holster seiner Waffe zurecht, um den Disruptor griffbereit zu haben, und näherte das Gesicht den unbekannten Zeichen auf der Tür. Ein schwacher Schatten spiegelte sich im dunklen Metall: ein grimmiges Gesicht mit zusammengepreßten Lippen.

»Kannst du dieses Gekritzel lesen?« fragte Hazel schließlich.

»Ihr könntet ruhig etwas mehr Respekt zeigen«, sagte Owen, ohne den Blick von der Tür abzuwenden. »Ich habe so etwas schon einmal gesehen, in ein paar mehr als neunhundert Jahre alten Dateien, aber ich schätze, das hier ist eine Art Dialekt oder so. Jedenfalls haben diese Schriftzeichen überhaupt keine Gemeinsamkeiten mit der Imperialen Standardschrift.

Ich bezweifle stark, daß es außer mir mehr als ein Dutzend Gelehrte im gesamten Imperium gibt, die diese Schrift zuordnen könnten.«

»Schön, Aristo, wir sind sehr beeindruckt«, sagte Ruby Reise. »Aber kannst du sie auch entziffern? Was bedeuten die Worte?«

»Im Grunde genommen nichts weiter, als daß wir uns fernhalten sollen. Wir sollen nicht durch diese Tür gehen, weil uns sonst etwas verdammt Unangenehmes zustoßen könnte. Aber es ist keine Drohung. Ich denke, es soll eher eine… Warnung sein. Du bist so still, Giles? Würdest du vielleicht gerne etwas über diese Tür sagen?«

»Nun, ich kann dir zumindest eine interessante Sache verraten. Als ich das letzte Mal auf dem Planeten war, war sie noch nicht hier. Genausowenig wie die Ebene. Das hier war nur eine ganz gewöhnliche Höhle, die die Wolflinge aus dem soliden Gestein gehauen hatten.«

»Ich kann Euch noch eine weitere höchst interessante Einzelheit verraten«, mischte sich Jakob Ohnesorg ein. »Diese Tür spiegelt sich nicht auf dem Boden.«

Owen warf unwillkürlich einen Blick nach unten. Er konnte sein eigenes Spiegelbild und das seiner Kameraden im silbernen Boden erkennen, aber von der Tür keine Spur. Die Haare in seinem Nacken stellten sich langsam auf, als ein kalter Wind sich erhob.

»Und was machen wir jetzt, Vorfahr?« fragte er endlich und blickte zu Giles. »Was werden wir deiner Meinung nach hier finden?«

»Den Eingang zum Reich der Wolflinge und den Weg zum Labyrinth des Wahnsinns. Wegen der Wolflinge brauchst du dir keine Gedanken zu machen; sie sind alle tot. Jedenfalls bis auf den einen, den Wächter des Labyrinths. Er sollte noch immer irgendwo hier in der Gegend sein und warten.«

»Nach mehr als neunhundert Jahren?« fragte Hazel. »Du meinst, er liegt in Stasis wie du?«

»Nein«, erwiderte Giles. »Er ist unsterblich, versteht Ihr?

Sie alle waren unsterblich, jedenfalls theoretisch. Das war zumindest ein Teil des Problems. Die Wissenschaftler hatten einen Weg gefunden, wie man ewig leben konnte, aber man mußte ein Wolfling werden, damit es funktionierte. Und Wolflinge, ganz egal was sie sonst noch alles waren, menschlich waren sie nicht. Jedenfalls nicht in der Art und Weise, wie wir diesen Begriff verstehen. Ihr Verstand arbeitete… anders. Nein, er sollte noch immer hiersein. Der letzte seiner Art. Er wartet.«

»Auf was?« fragte Ruby Reise.

»Das könnt Ihr ihn gerne selbst fragen, wenn wir ihn treffen«, erwiderte Giles. »Ich für meinen Teil habe nie eine Antwort von ihm bekommen, die irgendeinen Sinn ergab.«

»Na prima«, sagte Owen. »Dann ist jetzt ja alles geklärt, oder? Oz, kannst du mich hören?«

»Ja, Owen«, erklang Ozymandius’ Stimme in seinem Kopf.

»Ich verfolge das Geschehen über deine Implantate. Unglücklicherweise reichen die Sensoren des Schiffs nicht bis zu der Stelle, an der ihr jetzt seid. Irgend etwas blockiert sie ziemlich wirkungsvoll. Ich kann die Grenzen der künstlichen Gebilde erkennen, doch ich kann nicht hineinsehen. Aber wenn einige meiner Daten einen Sinn ergeben sollen, muß sich eine gewaltige Energiequelle irgendwo ganz in eurer Nähe befinden.

Dort unten bei euch existieren einige wirklich seltsame Energieformen, Owen. Ich wünschte, ich könnte dir mehr helfen, aber im Augenblick kann ich nicht mehr sehen als du auch, und deswegen bin ich persönlich ganz froh, nicht dort zu sein.«

»Irgendwelche Empfehlungen oder Vorschläge?«

»Geh durch die Tür und warte ab, was passiert.«

»Danke schön, Oz.« Owen untersuchte die Tür aufs neue und wandte sich an seine Kameraden. »Unbekannte Metallegierung. Vielleicht zwanzig Zentimeter dick. Ein Disruptor sollte ein einigermaßen anständiges Loch hineinbrennen. Wir könnten Hazel natürlich auch eine ihrer Monsterwaffen ausprobieren lassen. Sie hungert schon die ganze Zeit nach einer Gelegenheit, damit zu spielen. Oder wir machen es uns einfach und benutzen Sprengstoff. Was meinst du dazu, Giles?«

»Ich denke, wir sollten uns wie zivilisierte Menschen benehmen und als erstes versuchen anzuklopfen.« Er warf Owen einen ernsten Blick zu, und Owen errötete leicht. Giles trat zu ihm, und die anderen folgten. »Wir können das Labyrinth nicht erreichen, ohne vorher Wolflingsterritorium zu betreten, und ich bin nicht der Meinung, daß wir einen guten Eindruck hinterlassen, wenn wir gleich als erstes diese Tür eintreten.«

»Entschuldigung«, sagte Owen. »Ich habe mich in letzter Zeit nicht in besonders guter Gesellschaft aufgehalten.«

Der junge Todtsteltzer wandte sich wieder der Tür zu, atmete tief durch und klopfte zweimal. Das Metall unter seinen Knöcheln fühlte sich eigenartig warm an. Das Geräusch war kaum zu hören; als würde es irgendwie von der Tür aufgesaugt. Eine lange Pause entstand, und Owen überlegte bereits, ob er erneut klopfen sollte, als die Tür geräuschlos aufschwang und einen dunklen, üppigen Dschungel enthüllte.

Große Bäume drängten sich auf beiden Seiten eines engen Waldweges zusammen, und das Blätterdach war von einem so satten Grün, daß es beinahe schwarz aussah. Braune Lanzen aus Sonnenlicht, in denen Staub tanzte, fielen durch die Bäume und überzogen den Boden mit einem bunten Flickenteppich. Ein starker Geruch nach Erde und verrottendem Laub und Pflanzen hing in der Luft. Owen trat so dicht vor den Durchgang, wie er nur konnte, ohne den dahinter liegenden Wald zu betreten, und versuchte angestrengt zu erkennen, wie weit sich der Wald in das Dämmerlicht erstreckte. Er schien endlos zu sein. Die anderen drängten sich hinter ihm und murmelten erstaunt. Der Wald hatte etwas an sich das Stille und Respekt verlangte. Beinahe wie eine lebende Kathedrale.

»Nun?« sagte Owen schließlich zu Giles. »War der Wald bei deinem letzten Besuch schon hier?«

»Oh ja«, erwiderte der Erste Todtsteltzer. »Ich erinnere mich ganz deutlich. Es ist der Zufluchtsort, den die Wolflinge für sich errichteten, indem sie den kalten Stein terraformierten. Was würde Wölfen besser gefallen als ein tiefer Wald, in dem sie rennen und jagen könnten?«

»Ist es gefährlich?« fragte Owen.

»Woher soll ich das wissen?« knurrte der Erste Todtsteltzer.

»In den neunhundertdreiundvierzig Jahren, seit ich das letzte Mal hier war, kann sich eine ganze Menge geändert haben.«

»Großartig«, brummte Owen. »Einfach großartig! Also gut, hört alle her! Hat jemand anderes Lust vorauszugehen? Nein?

Das habe ich mir fast gedacht. Dann folgt mir eben. Hazel, Ihr bleibt dicht hinter mir und haltet diese große Kanone schußbereit, ja? Wir sollten die Sache ruhig und überlegt angehen, aber zögert nicht, große Löcher in alles zu schießen, das gefährlich aussieht. Ich glaube nicht, daß wir hier auf sicherem Gebiet sind. Irgend etwas an diesem Wald zerrt an meinen Nerven und rührt an meinen Instinkten. Wir bleiben dicht beisammen, aber behindert Euch nicht gegenseitig. Und niemand unternimmt etwas auf eigene Faust, unter gar keinen Umständen. Ich schätze, es könnte ganz schön unangenehm werden, sich hier zu verlaufen. Wenn wir den Wolfling treffen, dann vergeßt bitte nicht, daß wir hier nur zu Gast sind, also benehmt Euch und achtet auf Eure Worte.«

»Er hält wirklich gerne Reden, was?« sagte Ruby Reise.

»Es gehört zu seinem Charme«, erwiderte Hazel.

»Was für ‘n Charme meinst du?«

»Genau den.«

Owen blickte nicht zu ihnen zurück. Er wollte ihnen nicht die Genugtuung geben. Statt dessen überprüfte er ein letztes Mal Schwert und Disruptor, um sicherzustellen, daß die Waffen im Notfall einsatzbereit waren, und trat durch die Tür. Die Hitze traf ihn wie ein Schock, und er wäre beinahe zurückgewichen, aber er riß sich zusammen. Der satte schwere Geruch des Waldes raubte ihm fast die Sinne, und die heiße Luft ließ den Schweiß, der ihm aus allen Poren brach, beinahe augenblicklich wieder verdunsten. Der Waldweg fühlte sich fest an unter seinen Schritten. Er war uneben und unmöglich von einer Maschine geschaffen worden. Owen ging weiter und gab sich die allergrößte Mühe, lässig und entspannt aufzutreten. Nur für den Fall, daß jemand ihn beobachtete. Das Licht war gedämpft und ein wenig diffus, als würde feiner Nebel in der Luft hängen. Er warf einen Blick zurück, um sich davon zu überzeugen, daß seine Kameraden noch bei ihm waren, und beinahe wäre er vor Schreck gestolpert und hingefallen, als er sah, daß sich der Wald hinter ihm bis zum Horizont erstreckte. Die offene Tür stand ganz alleine mitten auf dem Waldweg, und im Durchgang war nur ein winziger Ausschnitt der silbernen Ebene zu sehen, auf der er vor ein paar Sekunden noch gestanden hatte. Während er dorthin blickte, fiel die schwere Metalltür mit einem leisen, dumpfen Schlag ins Schloß.

»Habt ihr nicht auch das Gefühl, daß irgend jemand euch irgendwas sagen will?« fragte Hazel.

»Ich denke, wir können davon ausgehen, daß jemand von unserer Anwesenheit weiß«, sagte Owen. »Und das ist auch gut so. Ich schätze nämlich, ohne einen kundigen, freundlich gesinnten Führer kommen wir nicht weit.«

»Es gefällt mir nicht, daß uns der Fluchtweg abgeschnitten ist«, sagte Ohnesorg. »Der einzige Weg zurück in die Burg führt über das Transferportal, und das befindet sich auf der anderen Seite der Tür. Und ich gehe jede Wette ein, daß wir sie nicht wieder aufkriegen.«

»Wenn er recht hat, hat er recht«, sagte Owen. »Ich weiß noch nicht mal, wie man sie von der anderen Seite öffnen kann.«

»Wir können sie immer noch aufbrechen«, sagte Ruby.

»Ja«, stimmte Hazel ihr zu und hob enthusiastisch ihre schwere Waffe.

»Wir wollen uns das als letzte Möglichkeit offenhalten«, widersprach Giles. »Wir sind als Freunde hier, erinnert Ihr Euch? Wenn wir diesem Weg folgen, sollten wir zu dem Wolfling kommen. Geh voraus, Owen, und paß auf, wo du hintrittst.«

»Augenblick mal«, sagte Ruby. »Kann mir eigentlich mal jemand erklären, was hier nicht stimmt?« Sie ließen suchend ihre Augen schweifen und blickten Ruby fragend an. Die Kopfgeldjägerin grinste. »Es ist so still. Keine Vögel, keine Bewegung, selbst die Luft scheint zu stehen. Abgesehen von den Bäumen scheinen wir die einzigen lebenden Wesen weit und breit zu sein.«

»Aber natürlich«, erklärte Giles. »Das ist kein wirklicher Wald, sondern ein künstliches Gebilde, das die Wolflinge zu ihrem Wohlbehagen errichteten. Die Bäume sind genausowenig natürlich wie das Sonnenlicht.«

Owen runzelte die Stirn. »Du meinst, all diese Bäume sind unecht?«

»O nein, sie sind schon auf gewisse Weise echt. Und sie leben auch. Nur sind sie eben nicht natürlich, sondern künstlich.

Was meinst du denn, wie sie sonst all diese Jahrhunderte hätten überleben sollen?«

Owen beschloß, keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Die Antworten gefielen ihm nicht. Er setzte sich in Bewegung und stapfte über den Waldweg voran, und die anderen folgten ihm.

Eine Weile gingen sie schweigend durch den Wald. Das weiche Geräusch ihrer Schritte auf dem Waldboden war der einzige Laut weit und breit. Es schien noch heißer zu werden, aber sonst gab es keinerlei Veränderung. Owen wußte nicht, ob er sich deswegen erleichtert fühlen sollte oder nicht. Er hatte mit Ozymandius gesprochen, bevor sie auf den Planeten teleportiert waren, und ihn gefragt, wie kalt es seiner Meinung nach in den Tiefen des erfrorenen Planeten sein würde, und die Antwort der KI hatte ihn in keiner Weise beruhigen können. Offensichtlich arbeiteten die Sensoren der Todtsteltzer-Festung nicht vernünftig, so dicht an einem Planeten. ›Kalt mit einem ganz großen K‹, hatte die KI erwidert. ›Besser, du ziehst warme Wollsachen an.‹ Zum Glück hatten die Schiffssensoren sofort einen Temperaturanstieg in der unmittelbaren Umgebung des Portals festgestellt, nachdem Giles die Verbindung aktiviert hatte. Woraus sie schlossen, daß nicht nur irgend jemand oder irgend etwas noch immer de Systeme tief im Innern des Planeten am Laufen hielt, sondern auch, daß irgend jemand oder irgend etwas wußte, daß sie kamen. Owen wünschte nur, die Temperaturen wären etwas niedriger gewesen. Er umrundete eine Biegung und blieb wie angewurzelt stehen, als er das Wesen vor sich sah.

Sein erster Impuls war der Griff nach dem Disruptor, doch Owen zwang sich unter größter Anstrengung, Ruhe zu bewahren. Die große Gestalt, die regungslos ein Stück vor ihm wartete, war mit ziemlicher Sicherheit das gefährlichste Wesen, das er je in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, einschließlich der mörderischen Kreaturen aus dem Dschungel Shandrakors. Die anderen rannten von hinten gegen ihn, aber ein Blick über seine Schulter reichte aus, um jeden davon zu überzeugen, daß es klüger war, sich zunächst nicht weiter zu nähern.

Die Gestalt schien männlich zu sein, doch das Wesen stand nicht wie ein Mann. Es war mindestens zweieinhalb Meter groß, und sein schwerer, zottiger Kopf hatte unverkennbare Ähnlichkeit mit einem Wolf. Beängstigend breite Schultern wölbten sich über einer faßförmigen Brust, die schließlich in einen schlanken Leib mündete. Die Gestalt war vom langohrigen Kopf bis hinab zu den großen Pfoten in schwere, goldene Felle gehüllt. Die Beine waren geformt wie die eines Wolfs, und irgendwie erweckte das Wesen den Eindruck als würde es genauso gerne auf allen vieren wie aufrecht gehen.

Die pelzigen Hände endeten in langen, gezackten Krallen, und lange schmutziggelbe Reißzähne glänzten in einem grinsenden Maul. Aber das war alles noch nichts gegen die wirklich furchteinflößenden Augen. Sie waren groß und verrieten Intelligenz und eine beinahe hypnotische Wildheit. Die Rebellen hatten den Wolfling gefunden. Oder besser, er hatte sie gefunden.

Owen leckte sich über die plötzlich trockenen Lippen. Er schaffte es nicht, die Hand von der Waffe zu nehmen. Der Wolfling sah aus, als könne er jeden Augenblick angreifen, und Owen hatte keinen Zweifel daran, daß mehr als nur sein Schwert nötig war, um ihn aufzuhalten. Giles hatte den Wolfling als vollkommenen Jäger beschrieben, als genetisch manipulierte Tötungsmaschine, und nachdem Owen ihn jetzt mit eigenen Augen vor sich sah, stimmte er den Worten seines Vorfahren voll und ganz zu. Allein die Art und Weise, wie der Wolfling dastand, ließ schon ein Gefühl tödlicher Bedrohung aufkommen, als sei er nur einen Schritt von mörderischer Raserei entfernt, und sein gesamtes Äußeres, von dem wilden Blick der Augen bis hin zu den klauenbewehrten Händen, verriet die unbezähmbare Gewalt, die in ihm steckte. Der Wolfling knurrte leise, und Owen sträubten sich sämtliche Haare. Der junge Todtsteltzer schluckte mühsam. Er hatte keine Idee, wie es nun weitergehen sollte – außer sofort auf die Kreatur zu schießen. Sollte er vielleicht wie ein Selbstmörder vortreten, dem Wolfling die Hand tätscheln und ›Braver Hund‹ sagen? Er schob den Gedanken entschlossen beiseite, als der Wolfling erneut knurrte, und warf einen Blick über die Schulter zu seinem Vorfahren.

»Giles«, sagte er so ruhig und fest, wie seine Stimme es zuließ. »Ich denke, er möchte mit dir reden.«

Der Erste Todtsteltzer schob sich zwischen den anderen hindurch nach vorn und trat neben Owen. Er verbeugte sich förmlich vor der Kreatur und lächelte schwach. »Hallo Wulf.

Ist lange her, was?«

»Nicht lange genug«, grollte der Wolfling. Seine Stimme klang tief und rauh, aber die Worte schienen keine Drohung zu enthalten. »Wenn du herkommst, bringst du mir jedesmal Schwierigkeiten. Welche schlechten Nachrichten gibt es denn diesmal wieder?«

»Das Imperium ist uns auf den Fersen«, erwiderte Giles.

»Sie wollen den Projektor, ganz egal, wie hoch der Preis dafür ist. Ich will ihnen zuvorkommen. Das bedeutet, daß wir durch das Labyrinth müssen. Und das bedeutet jedenfalls, daß wir nur wenig Zeit haben. Wirst du uns helfen?«

»Zeit zum Begrüßen alter Freunde hat man immer«, sagte der Wolfling und grinste schwach. Kein beruhigender Anblick Das Wesen trat plötzlich mit einer eleganten Bewegung vor und umarmte den Ersten Todtsteltzer. Giles verschwand fast unter den Fellen. Sie lachten beide, und der Wolfling ließ ihn wieder los. Er musterte Giles mit zur Seite geneigtem Kopf und fuhr fort: »Du hast zwar gesagt, daß du eines Tages zurückkehren würdest, aber nach mehr als neunhundert Jahren hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben. Verdammt, alter Junge, es tut gut, dich wiederzusehen. Aber ich sehe, daß du in Begleitung gekommen bist. Stell mir deine Freunde vor, und ich entscheide dann, ob ich sie fresse oder nicht.«

Er grinste erneut sein entnervendes Grinsen, während Giles seine Kameraden vorstellte. Owen zog es vor anzunehmen, daß der Wolfling nur einen Scherz gemacht hatte. Alles andere wäre wirklich zu beängstigend gewesen. Hazel neigte höflich den Kopf, doch ihre Waffe blieb unverwandt auf den Wolfling gerichtet. Ruby machte sich erst gar nicht die Mühe, höflich zu erscheinen. Ohnesorg lächelte herzlich und schüttelte dem Wolfling sogar die Klauenhand, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wahrscheinlich hatte er in seiner Zeit als Berufsrebell gelernt, diplomatisch mit allen Arten von Verbündeten umzugehen. Tobias Mond und der Wolfling sahen sich für einen langen Augenblick schweigend in die Augen, und dann sah jeder wieder weg, als hätten sie beide entschieden, für den Augenblick einen Waffenstillstand einzuhalten. Owen fragte sich, was die beiden künstlichen Kreaturen voneinander denken mochten. Zwei Bastarde, die ihre Existenz menschlichem Erfindungsreichtum verdankten. Vielleicht Eifersucht?

Als er an der Reihe war, schüttelte auch Owen dem Wolfling die Hand. Es war nicht so schlimm, wie er zuerst geglaubt hatte; es war einfach, als schüttelte man jemandem die Hand, der dicke Handschuhe trug. Jedenfalls solange man nicht auf die Krallen blickte. Die Krallen waren lang und kräftig, das tiefe Gelb des Horns mit dunklen Flecken überzogen, die möglicherweise getrocknetes Blut waren, möglicherweise aber auch nicht. Owen entschied, lieber nicht nachzufragen.

Aus der Nähe roch die riesige Kreatur ziemlich streng, um nicht zu sagen sie stank; ein animalischer Geruch, der Owens Nackenhaare in einer instinktiven Reaktion erneut zu Berge stehen ließ. Er lächelte tapfer und ließ die Hand des Wolflings los, sobald es ohne Beleidigung möglich war. Das Wesen wandte sich wieder an Giles.

»Er ist dein Verwandter. Der Geruch deines Blutes ist stark in ihm, Giles. Was werdet ihr beide mit dem Projektor anfangen, wenn er wieder in euren Händen ist? Werdet ihr ihn gegen eure Feinde einsetzen oder werdet ihr ihn endgültig vernichten?«

»Wir haben noch keine Entscheidung gefällt«, antwortete Giles. »Wir denken, im Augenblick ist es einfach nur wichtig zu verhindern, daß er in unbefugte Hände gerät. Schläft er noch sicher und unberührt im Labyrinth?«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe nicht nach dem verdammten Ding gesehen, seit du es vor all den Jahrhunderten in die Mitte des Labyrinths teleportiert hast.«

»Warst du niemals neugierig?«

»Nein, nicht im geringsten. Vielleicht hätte ich den Projektor im gleichen Augenblick vernichtet, in dem mein Blick darauf gefallen wäre. Ich sah, was er aus dir gemacht hat, nachdem du ihn benutzt hattest.«

»Bring uns zum Labyrinth, Wulf«, sagte Giles. »Uns bleibt nicht viel Zeit.«

»Was ist mit der Gruft?« mischte sich Mond von hinten in die Unterhaltung. »Ihr habt versprochen, mich hinzubringen.«

Der Wolfling blickte den Hadenmann nachdenklich an.

»Viele von Eurer Art warten in der Gruft. Seid Ihr am Ende gekommen, um sie aufzuwecken?«

»Ja«, sagte Mond. »Unsere Zeit ist reif. Die Hadenmänner werden die Bühne des Imperiums wieder betreten.«

Der Wolfling nickte langsam. »Nun, Ihr klingt jedenfalls wie ein Hadenmann. Aristokratischer als Gott selbst und doppelt so arrogant. Ich würde Euch Glück wünschen, aber warum das Schicksal herausfordern? Doch seid gewarnt und vorsichtig. Wollt Ihr sehen, was von meiner Rasse geblieben ist? Es kann wirklich sehr lehrreich sein.«

Er wandte sich um und ging über den Waldweg voraus, ohne eine Antwort abzuwarten. Das Wesen bewegte sich schnell und mit einer für seine Größe überraschenden Grazie, und die anderen mußten sich beeilen, um ihm zu folgen. Der Hadenmann stapfte mit unbeweglichem Gesicht hinterher, doch seine strahlenden goldenen Augen waren unverwandt auf den Rücken des Wolflings gerichtet. Owen warf einen Blick zu Giles, doch das Gesicht seines Vorfahren verriet ebenfalls keine Gefühle. Welchen Eindruck die Halle der Gefallenen bei ihm auch immer hinterlassen haben mochte, er verriet nichts. Sie marschierten durch den schweigenden Wald, und niemand durchbrach die vollkommene Stille durch unbedachtes Reden, bis sie plötzlich an einer Abzweigung anlangten.

Der Wolfling wandte sich nach links, und schnell erreichten sie einen kahlen Felsen, einen gigantischen Felsbrocken, der mehrere hundert Meter in die Höhe ragte: ein massiver Grabstein in der Mitte des Waldes.

Owen legte den Kopf in den Nacken, aber er konnte die Spitze nicht erkennen. Der Wolfling legte seine große Hand flach auf eine Stelle im Stein, und lautlos glitt ein Teil des Felsens auf unsichtbaren Schienen zur Seite. Grelles weißes Licht fiel von innen durch den Eingang. Der Wolfling marschierte direkt hinein. Nach kurzem Zögern folgten ihm die anderen, und gemeinsam betraten sie die Halle der Gefallenen.

Es war eine gewaltige Höhle, mitten aus dem Stein gehauen, und in ihr brannte ein weißes Licht, das aus keiner sichtbaren Quelle zu stammen schien. Es kam von überall zugleich.

Nichts, das sich in irgendeinem Schatten hätte verbergen können. In die Wände waren Nischen gemeißelt worden, und darin befand sich alles, was von der Rasse der Wolflinge noch übrig war. Einige der Leichname standen stolz und aufrecht, die tödlichen Wunden offen und ungereinigt, die Körper noch beinahe vollständig, trockenes verkrustetes Blut inmitten zerrissener, matter Felle. Bei anderen fehlten Glieder oder die Köpfe, und der Rest waren Körperteile, einfach zusammengetragen, Tausende von ihnen, in Tausenden von Nischen, mit blinden Augen und zum Schrei geöffneten Mäulern, aus denen kein Geräusch mehr drang. Schweigen, das weit über Schweigen hinausging. Zerschlagen und zerschunden, und ohne jede Spur von Leben. Owen drehte sich langsam im Kreis. Sein Verstand drohte beim Anblick von soviel Tod und Zerstörung auszusetzen. Zu viele zum Zählen, Körper, Körperteile, eine ganze Rasse, einfach ausgelöscht, weil sie zu gut gewesen war.

»Willkommen in der Halle der Gefallenen«, sagte der Wolfling. »Ich habe sie im Lauf vieler Jahre mit eigenen Händen gebaut, weil niemand anderes mehr da war, der es hätte machen können. Es dauerte sehr lange, aber ich habe viel Zeit, wenn schon nichts anderes. Ich sammelte die Toten ein, die das siegreiche Imperium an Ort und Stelle hatte liegenlassen, und ich brachte sie hierher, einen nach dem anderen. Ich bin der letzte der Wolflinge, und ich will nicht, daß meine Rasse in Vergessenheit gerät. Es ist eine traurige und bittere Ehre, der letzte seiner Art zu sein, und es ist zugleich eine große Verantwortung. Hat der Todtsteltzer Euch erzählt, wie sie starben? Es macht nichts, wenn er es tat; er erinnert sich auf seine Weise, und ich mich auf die meine. Wir waren stärker und größer als die Rasse, die uns schuf, und in uns ruhte ein Potential für die Zukunft, dem sie nichts entgegenzusetzen hatten. Manchmal denke ich, sie hätten uns alles andere vergeben, nur nicht das. Und so kamen sie mit ihren Schiffen und zerstörten unseren Planeten aus sicherer Entfernung. Die letzten Überlebenden versteckten sich in Tunneln tief unter unseren brennenden Wäldern, und sie mußten ihre Truppen landen, um uns zu jagen. Für jeden Wolfling, der starb, nahmen wir hundert von ihnen das Leben. Doch sie waren einfach zu viele, und wir waren nur noch wenige. Am Ende blieb ich als einziger übrig.

Der Todtsteltzer kam einige Zeit danach hierher. Er suchte einen sicheren Platz, wo er seinen Dunkelwüsten-Projektor verbergen konnte, und er fand mich. Er entschied sich, mich am Leben zu lassen, und ich bin bis heute noch nicht sicher, ob es ein Akt der Freundschaft oder ein letztes Drehen des Messers in meiner Wunde war. Ich lebte weiter, errichtete meine Halle der Gefallenen und sammelte meine Toten ein.

Ich fand sogar eine Verwendung für die Leichen der Menschen, die zurückgelassen worden waren. Sie gaben im Lauf der Jahrhunderte gute Nahrung ab, immer und immer wieder, und selbst nach endlosem Regenerieren schmecken ihre Proteine noch. Jetzt habe ich Euch lange genug mit meinen Worten aufgehalten. Das Labyrinth des Wahnsinns wartet. Wenn Ihr bereit seid, werde ich Euch zum Eingang führen und Euch seiner liebevollen Fürsorge überlassen.«

»Was genau ist das Labyrinth des Wahnsinns?« fragte Owen neugierig. »Versteht Ihr, was es mit dem macht, der hineingeht, und warum?«

»Ich studiere es nun seit Jahrhunderten«, antwortete der Wolfling. »Aus sicherer Entfernung. Und ich bin in all den Jahrhunderten nicht ein einziges Stück weitergekommen. Es wurde von einer fremden Rasse errichtet, obwohl man seine Konstruktion manchmal den Wolflingen zuschreibt, und wenn die Fremden etwas Spezielles damit im Sinn hatten, dann sind sie jedenfalls nie zurückgekehrt, um es mir zu verraten. Ein Testament haben sie auch nicht hinterlassen. Sie kamen und verschwanden schon lange vor meiner Zeit, sogar schon lange bevor die Menschheit im Raum war. Die meisten, die versucht haben, in das Labyrinth einzudringen, starben darin. Vielleicht habt Ihr mehr Glück. Und wenn nicht… ich gebe Euch mein Wort, daß ihr nicht darin verrotten werdet, wenn ich Eure Überreste bergen kann.«

Er grinste sein beängstigendes Grinsen und stapfte aus der Halle der Gefallenen ins Freie zurück. Die anderen trotteten hinter dem Wolfling her und unterhielten sich murmelnd.

Owen ging neben Giles.

»Hat er wirklich die ganze Zeit Menschen gefressen?«

»Würde mich nicht überraschen. Wulf hatte schon immer einen ganz eigenartigen Sinn für Humor.«

»Und was ist mit all diesen Leichen in der Halle? Ich habe nirgendwo ein Anzeichen für ein Stasisfeld gesehen. Warum sind die Körper während der Jahrhunderte nicht verwest?«

Giles blickte ihn an. »Das habe ich dir bereits erklärt. Die Wolflinge waren unsterblich.«

Er ging weiter, und Owen beschloß, das Thema zu wechseln. »Je mehr ich über das Labyrinth erfahre, desto weniger verstehe ich. Der Wolfling sagte, daß es Menschen getötet hat, die hineingegangen sind. Warum ist es für dich so wichtig, daß wir hindurchgehen?«

»Das Labyrinth ist ein Test«, erwiderte Giles. »Wenn du den Test bestehst, wirst du überleben. Alles andere sind nur Gerüchte. Wenn du mehr über das Labyrinth erfahren willst, dann frag Mond. Er kann dir mehr erzählen als ich.«

»Ich selbst habe das Labyrinth noch nie gesehen, aber jeder Hadenmann kennt die Geschichte«, begann Mond. Er blickte sich nicht um, während Owen zu ihm aufschloß. Seine Stimme summte ruhig und gleichmäßig wie immer. »Die Geschichte des Labyrinths ist eng mit der Geschichte meines Volkes verknüpft. Vor sehr langer Zeit kamen Wissenschaftler in die Dunkelwüste. Sie suchten nach dem Labyrinth und dem Wolfling, der es bewachte. Als sie es schließlich gefunden hatten, gingen sie einer nach dem anderen hindurch und obwohl viele von ihnen starben und noch mehr verrückt wurden, kamen die Überlebenden größer daraus hervor, als sie hineingegangen waren. Diese wenigen Wissenschaftler waren es, die die Laboratorien von Haden schufen, die Quelle von Wundern und Errungenschaften, die weit über alles hinausgingen, was das Imperium bisher gesehen hatte. Sie arbeiteten mit unglaublicher Geschwindigkeit, kalte und präzise Gedanken, die sich durch ihre dank des Labyrinths geweiteten Geister bewegten, und gemeinsam schufen sie die ersten Hadenmänner. Die Laboratorien arbeiteten Tag und Nacht. Zuerst produzierten sie Tausende von Klonen aus ihren eigenen genetischen Kodes, und dann verwandelten sie die leeren organischen Hüllen in aufgerüstete, überlegene Menschen. Die Hadenmänner. Schließlich verwandelten sich die Wissenschaftler selbst auch noch in Hadenmänner und führten ihre Kinder in das Imperium hinaus, um sich ihrer Bestimmung zu stellen. Das war der Erste Kreuzzug.

Das Imperium dachte zuerst, es könnte uns in seinen kleinen schmutzigen Kriegen und Scharmützeln benutzen, aber sie bekamen rasch Angst vor uns. Wir lernten zu schnell und zuviel, zum Beispiel, welche Wunder wir vollbringen und daß wir alles erobern konnten, was sich uns in den Weg stellte.

Und überall, wo wir hinkamen, brachten wir das Geschenk der Umwandlung mit, der Transformation von Menschen in Hadenmänner. Wir waren die Götter der genetischen Kirche, und die Leute liefen uns scharenweise hinterher. Das Imperium versuchte sie aufzuhalten – vergeblich. Wir waren die ultimative Bestimmung der Menschheit, die Vereinigung von Mensch und Maschine in ein Ganzes, das weit größer war als die Summe seiner Teile. Was das Labyrinth begonnen hatte, wurde durch uns vollendet. Und dann begannen wir den Zweiten Kreuzzug. Wir wollten das gesamte Imperium in das verwandeln, was aus uns geworden war.

Aber das Imperium wehrte sich. Es war in so viele untereinander verfeindete Stämme gespalten, daß wir dachten, es wäre ein schwacher Gegner und leichte Beute. Doch sie fürchteten uns so sehr, daß sie ihre Differenzen beilegten, und plötzlich sahen wir uns einer einzigen, entschlossenen Macht mit all ihren Ressourcen und Möglichkeiten gegenüber. Sicher, wir waren die Überlegenen, aber sie waren zu viele, und am Ende wurden wir Opfer ihrer schieren Zahl. Die Überlebenden flohen zurück in die Dunkelheit, nach Haden, und sie legten sich in die Gruft, um die Jahrhunderte zu durchschlafen. Die Zeit mochte ohne sie vergehen, und eines Tages würden sie vielleicht wieder in einem Imperium erwachen, das eher bereit war, ihre große Überlegenheit anzuerkennen. Die wenigen von uns, die wie ich zurückblieben und den Schlaf des Friedens und der Geborgenheit nicht finden konnten, lebten, so gut es ging, in einem Imperium der Menschen, und sie wurden die ganze Zeit immer schwächer und mehr und mehr menschlich. Wir überlebten, obwohl es so leicht gewesen wäre, sich einfach niederzulegen und zu sterben, und wir überlebten nur aus einem einzigen Grund: Einer von uns mußte den Weg zu der verlorenen Welt Haden finden, um die Schlafenden zu wecken, damit wir einmal mehr für Ruhm und Bestimmung kämpfen konnten. Unsere Zeit ist gekommen, und diesmal wird unser Kampf weitergehen, bis wir entweder Erfolg haben oder alle tot sind.

Und all das nur, weil einige Männer durch das Labyrinth gegangen sind und von ihm verändert wurden. Sagt mir, Todtsteltzer: Was glaubt Ihr, was aus Euch werden wird, wenn Ihr das Labyrinth durchschritten und überlebt habt? Zu welcher neuen Bestimmung werdet Ihr die Menschheit führen?«

Owen blickte den Hadenmann lange schweigend an, dann ließ er sich zurückfallen und sprach wieder mit seinem Vorfahren. »Ich glaube nicht, daß er jemals soviel gesagt hat, seit ich ihn auf Nebelwelt kennengelernt habe. Anscheinend macht ihn die Freude geschwätzig, nach Hause zu kommen. Und du hast mir verdammt gar nichts gesagt, was du mir nicht unbedingt sagen mußtest, eh? Warum zur Hölle ist es so wichtig, daß wir durch dieses Labyrinth gehen? Was wird deiner Meinung nach geschehen?«

»Wir werden größer«, erwiderte Giles. »Wir können nicht so bleiben wie jetzt und hoffen, daß wir dennoch überleben.

Das Imperium wird uns finden und töten. Unsere einzige Hoffnung besteht in einem Schritt ins Dunkel und der Hoffnung, daß wir als neue Menschen daraus hervorgehen. Als Wesen, die auf die eine oder andere Weise imstande sind, dem Imperium zu widerstehen.«

»Und wenn wir zu etwas werden, das nicht mehr menschlich ist?« fragte Hazel.

Giles lächelte unvermittelt. »Dann sollte das Imperium besser beten, daß wir wenigstens als Pazifisten zurückkehren.«

Schließlich erreichten sie das Labyrinth des Wahnsinns und blieben stehen, um auf das Gebilde zu starren, das sich vor ihren Augen erstreckte. Der Wald endete unvermittelt, als würde allein die fremdartige Anwesenheit des Labyrinths ihn zurückwerfen. Es schien auf den ersten Blick wirklich nicht mehr als ein Labyrinth zu sein; ein einfaches Muster aus hohen stählernen Wänden, glänzend und schimmernd. Erst nachdem Owen eine ganze Weile hingesehen hatte, fiel ihm auf, daß die Konstruktion keineswegs so einfach war, wie er im ersten Augenblick gedacht hatte, sondern subtil und verschlungen wie die Windungen eines menschlichen Gehirns.

Es gab keinerlei offensichtliche Fallen, nur stählerne Wände und die schmalen Gänge dazwischen. Die Wände waren knapp vier Meter hoch und nur wenige Millimeter dick. Owen berührte das Metall und zuckte erschrocken zurück. Der Stahl war so tödlich kalt, daß bereits die kurze Berührung leichte Erfrierungen an seinen Fingerspitzen verursacht hatte. Er wich weiter zurück und blies eifrig auf seine Finger. Über dem Labyrinth gab es nichts als Dunkelheit, die auch vom schimmernden Glanz der Metallwände nicht erhellt wurde.

Das Labyrinth des Wahnsinns erstreckte sich vor Owen wie ein schlafendes Raubtier, zu groß, um außenherum zu gehen, und hinter dem Labyrinth lag die Gruft der Hadenmänner.

Owen runzelte die Stirn. Er war sich noch immer nicht sicher, was er von der Gruft halten sollte. Was immer das Labyrinth mit ihm anstellen mochte – er würde die Hilfe der aufgerüsteten Männer von Haden benötigen, wenn seine Rebellion gegen das Imperium auch nur den Hauch einer Chance haben sollte. Aber durfte er das Risiko eingehen, eine Macht zu wecken, die er nicht unter Kontrolle halten konnte? Eine Armee lebendiger Waffen, die sich dem Ziel verschrieben hatte, das Imperium im Namen ihrer eigenen Überlegenheit zu stürzen? Owen empfand keine Zuneigung für das Imperium, aber er war trotzdem noch immer ein Mensch, und das legte ihm auch eine gewisse Verantwortung auf. Er zuckte ärgerlich die Schultern. Das Imperium hatte ihn in die Ecke gedrängt, in der er jetzt stand; sie würden eben mit den Konsequenzen leben müssen. Er hoffte nur, daß das Labyrinth ihm die

Fähigkeit verleihen würde, unter Kontrolle zu halten, was er auf das Universum losließ.

Owen blickte sich zu seinen Kameraden um, die noch immer schweigend das Labyrinth betrachteten. Hazel untersuchte den Eingang, als wartete sie nur darauf, daß jemand hervorkam. Unbewußt hielt sie die größte ihrer Waffen im Anschlag. Ruby Reise zeigte sich lässig wie immer und polierte mit einem Stoffetzen die Klinge ihres Schwertes, während sie Hazel aufmerksam im Auge behielt. Jakob Ohnesorg hatte gedankenverloren die Stirn in tiefe Falten gelegt und die Lippen geschürzt, während er von einer stählernen Wand zur anderen blickte, als würde er nach Einzelheiten suchen, die ihm Aufschluß über ihre Funktionsweise gaben. Tobias Mond stand ein wenig abseits und hatte die Arme über der Brust verschränkt. Seine strahlendgoldenen Augen schienen direkt durch das Labyrinth hindurch zur Gruft der Hadenmänner zu blicken. Der Wolfling schnupperte mißtrauisch, als würde er nach Anzeichen eines sich nähernden Sturms suchen. Und schließlich Giles Todtsteltzer. Er musterte das Labyrinth, als wäre es ein würdiger Gegner in einem Spiel, dessen Regeln noch nicht ausgearbeitet waren. Owen atmete tief ein und stieß die Luft langsam wieder aus. Es beruhigte ihn nicht halb so sehr, wie er gehofft hatte. Giles hatte den ersten Schritt in das Labyrinth als einen Schritt ins Dunkel beschrieben, und genau diesen Eindruck hatte Owen jetzt. Im Labyrinth konnte alles mögliche auf sie warten. Alles. Aber er mußte hinein.

Das Imperium konnte jederzeit hier eintreffen, und ihm gingen allmählich die Verstecke aus. Der Teufel wartete vor ihm, und der Teufel saß in seinem Nacken. Es war verdammt egal, was er machte.

»Ich weiß nicht, wie es Euch geht«, ergriff Jakob Ohnesorg das Wort, »aber dieses verdammte Ding jagt mir eine Höllenangst ein. Seid Ihr sicher, daß es keine Möglichkeit gibt, es zu umgehen?«

»Nein«, sagte Mond. »Mein Volk umgab die Stadt mit allen möglichen Todesfallen, und sie sind ganz ohne Zweifel noch immer alle funktionsfähig und in exzellentem Zustand. Mein Volk baute die Fallen auf Dauer. Es wollte sichergehen, daß sein Schlaf nicht gestört werden würde.«

»Und warum haben Eure Leute dann das Labyrinth offengelassen?« fragte Hazel stirnrunzelnd.

»Weil es das Labyrinth ist, dem die Hadenmänner ihre Existenz verdanken«, erklärte der Wolfling. »Es macht ihnen angst. Vielleicht das einzige Ding, das ihnen jemals Angst eingejagt hat.«

»Ich für meinen Teil kehre zum Schiff zurück«, sagte Ruby Reise entschieden und steckte ihr Schwert in die Scheide zurück. »Das hier steht nicht in meinem Vertrag. Ich will mich nicht verändern. Ich mag mich genau so, wie ich jetzt bin.«

»Du kannst jetzt nicht einfach den Schwanz einklemmen, Ruby!« sagte Hazel.

»Meinst du? Dann paß mal auf!«

»Ich fürchte, es ist nicht mehr länger möglich auf die Todtsteltzer-Burg zurückzukehren«, meldete sich Ozymandius in ihren Köpfen. »Ein Imperialer Sternenkreuzer ist aus dem Hyperraum gefallen und in einen Orbit um den Planeten eingeschwenkt. Und diesmal ist es ein wirklich großer Bastard.

Seine Sensoren haben die Todtsteltzer-Festung augenblicklich geortet, und die Burg war gezwungen, ihre Schilde hochzufahren. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß die Unerschrocken die Burg in viele interessant geformte Fetzen schießen würde, wenn wir die Schilde lange genug abschalten, um einen von Euch an Bord zu nehmen. Also bleiben die Schilde oben.«

»Du hast wohl nur deinen Siliziumarsch im Sinn!« fauchte Ruby. »Mach gefälligst, daß du uns hier rausholst! Unternimm etwas, verdammt!«

»Wozu sollte das wohl gut sein?« fragte Giles. »Wohin könnten wir schon gehen? Sie werden uns überallhin folgen.

Unsere einzige Hoffnung besteht darin, das Labyrinth zu durchqueren und die Hadenmänner zu wecken. Sagt mir nicht, daß Ihr Angst habt, Kopfgeldjägerin!«

»Also gut, ich sage Euch nicht, daß ich Angst habe, aber irgend jemandem muß ich es sagen. Nur Dummköpfe und Tote haben niemals Angst, und ich bin weder das eine, noch habe ich die Absicht, das andere zu werden. In diesem Spiel sind mir zu viele Unbekannte. Mir gefällt nicht, wie die Chancen verteilt sind.«

»Zu meiner Zeit habe ich Schlimmeres erlebt«, sagte Ohnesorg. »Natürlich mußte ich auch einige Male den Schwanz einziehen. Bleibt einfach in meiner Nähe, Ruby. Ich halte Eure Hand, wenn es ernst wird.«

»Wenn du auch nur einen Finger an mich legst, schneide ich ihn dir ab und sorge dafür, daß du ihn persönlich frißt«, erwiderte Ruby kalt. »Das gleiche gilt für alle anderen auch.«

»Ich glaube ihr jedes Wort«, murmelte Owen, und Hazel nickte feierlich »Genug geredet«, sagte Mond. »Mein Volk erwartet mich.«

Der Hadenmann trat vor, machte einen Schritt durch den Eingang des Labyrinths und verschwand vor den Augen der anderen. Der Rest der Gruppe wartete gespannt auf eine feindliche Reaktion oder etwas Ähnliches, aber der Augenblick dehnte sich, ohne daß etwas geschah. Sie blickten sich gegenseitig an, doch es gab nichts mehr zu sagen. Also folgten sie Mond und betraten einer nach dem anderen das Labyrinth des Wahnsinns, bis alle verschwunden waren und nichts mehr darauf hindeutete, daß die kleine Gruppe von Rebellen je dagewesen war.

Owen Todtsteltzer hielt den Disruptor in der einen und das Schwert in der anderen Hand, als er das Labyrinth betrat. Aus der Nähe betrachtet, verursachte das helle Schimmern der stählernen Wände Schmerzen in seinen Augen, ganz gleich, wie sehr er die Lider auch zusammenkniff. Statik knisterte in der Luft ringsum und ließ seine Haare zu Berge stehen. Es war bitter kalt, und der Atem kondensierte in der Luft vor seinem Mund. Er erschauerte unwillkürlich und blickte rasch nach hinten, um seinen Kameraden zu erklären, daß nur die Kälte ihn hatte zittern lassen und keineswegs Furcht – und bemerkte zu seinem Erschrecken, daß er mutterseelenallein war. Owen ging rasch auf dem Weg zurück, den er gekommen war, doch obwohl er erst ein paar Schritte im Labyrinth zurückgelegt und nur wenige Biegungen umrundet hatte, fand er keine Spur mehr von seinen Freunden oder dem Eingang.

Er rief laut nach ihnen, und seine Stimme echote durch die Stille. Niemand antwortete. Er begann von neuem zu rufen, doch dann hielt er plötzlich inne. Owen hatte das untrügliche Gefühl, von jemandem oder etwas belauscht zu werden, und ganz gewiß nicht von einem seiner Kameraden. Er aktivierte sein Komm-Implantat und subvokalisierte eine Nachricht, nur für den Fall.

»Hier ist Owen. Kann mich jemand hören? Hallo! Kann mich jemand empfangen? Bitte antwortet. Oz? Oz, kannst du mich empfangen? Oz, bist du da?«

Keine Antwort. Niemand erwiderte seine Botschaft. Im Komm-Implantat war nicht einmal statisches Rauschen zu hören. Er war auf sich allein gestellt. Owen runzelte die Stirn, zog Pistole und Schwert und tastete sich vorsichtig tiefer ins Labyrinth. Am Anfang suchte er noch bei jedem Schritt mißtrauisch den Boden und die Wände vor sich nach versteckten Fallen ab, aber nach und nach dämmerte ihm, daß die Geheimnisse des Labyrinths wohl subtilerer Natur sein mußten.

Er versuchte eine Zeitlang, sich immer abwechselnd zuerst nach links und anschließend sofort nach rechts zu orientieren, doch schließlich überließ er seinen Weg dem Zufall und einem tieferen, wachsamen Instinkt.

Die Zeit verging. Irgendwann hatte er keine Vorstellung mehr, wie weit er inzwischen vorangekommen war oder wie weit sich das Labyrinth noch vor ihm erstreckte. Er vergaß den Imperialen Sternenkreuzer im Orbit genauso, wie er vergaß, warum er das Labyrinth eigentlich betreten hatte. Es gab nur noch die eiskalten stählernen Wände und die sich windenden Wege zwischen ihnen hindurch, die ihn unerbittlich zu etwas Bedeutungsvollem führen würden. Er glaubte, etwas oder jemanden atmen zu hören, ein langsames, stetiges und gigantisches Atmen, das über ihn hinwegstrich wie eine sanfte, warme Brise. Und unter dem Geräusch des Atmens das gleichmäßige, schwache Klopfen eines riesigen Herzens. Keines der beiden Geräusche konnte real sein, das wußte Owen; es war sein Bewußtsein, das versuchte, etwas Neues mit Begriffen zu belegen, die er verstehen konnte. Das Gefühl, beobachtet zu werden, nahm stetig an Intensität zu, aber das war noch nicht alles. Irgendwie gelangte er zu der Überzeugung, daß das Labyrinth selbst lebendig und sich der Anwesenheit von Eindringlingen bewußt war; nicht wie eine Laborratte in einem wissenschaftlichen Versuch, nicht einmal wie ein Antikörper in einem Blutkreislauf, sondern eher so, als wäre er die letzte… Komponente in einer Gleichung, die zuvor nicht lösbar gewesen war. Owen steckte sein Schwert und den Disruptor weg und wanderte weiter, angezogen von einem Ungewissen Versprechen oder etwas anderem, das er nicht zu benennen vermochte. Er erblickte Gesichter und hörte Stimmen, es gab Lichter und Geräusche, und Bilder aus der Vergangenheit schlugen über ihm zusammen wie die zurückkehrende Flut, hartnäckig und unaufhaltsam.

Er durchlebte seine erste Begegnung mit dem Wolfling aufs neue, halb Mensch, halb Tier, nicht gezeugt und nicht von Gott geschaffen und von seinen Schöpfern aufgegeben, weil er soviel mehr war, als sie beabsichtigt hatten. Owen hätte nicht im Traum daran gedacht, ein derartiges Wesen zu schaffen. Er hatte sich immer Kinder gewünscht, doch sich selbst als ihrer nicht wert betrachtet. Er wollte, daß seine Kinder einen wirklichen Vater hätten – nicht diese weitentrückte autoritäre Gestalt, die alles war, was er je von seinem Vater gekannt hatte.

Das Bild seiner ersten Begegnung mit Giles zeichnete sich vor Owens geistigem Auge ab, wie der Erste Todtsteltzer in seiner silbernen Säule geruht hatte wie ein Insekt, das im Bernstein eingeschlossen war, Vorfahre, Legende und noch weit mehr. Mehr oder weniger so, wie Owen sich seinen Ahnherrn immer vorgestellt hatte. Der große Krieger, dem nachzueifern Owen Todtsteltzer schon von frühester Kindheit an erzogen worden war; ein Kämpfer von unerreichbarer Perfektion… ein müder, alter Mann in schmierigen Fellen, gebeugt von der Last seiner Erfolge und Fehlschläge, schuldig des Massenmordes, der sich verzweifelt an die Ehre des Todtsteltzer-Clans klammerte.

Und Owen kämpfte sich erneut durch die tödlichen Gefahren des Dschungels von Shandrakor, der vor gewalttätigen Lebewesen nur so wimmelte; gepanzerte Gestalten mit Blut an den Zähnen und Klauen, die direkt aus seinen Alpträumen entsprungen zu sein schienen und ihn von allen Seiten zugleich bedrängten. Er wehrte sich mit Schwert und Pistole und kämpfte, weil er keine andere Wahl hatte. Er konnte, er durfte sich nicht abwenden und fliehen, weil seine Kameraden ihn brauchten.

Zurück, weiter zurück. Owen wanderte wieder durch die engen, müllübersäten Straßen von Nebelhafen, und der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Nebel umgab ihn wie eine feuchte graue Wand. Er traf Ruby Reise, kalt und furchteinflößend, und Jakob Ohnesorg, den zerbrochenen Helden, der so ganz anders war, als die Legende berichtete. Owen kniete auf dem blutbesudelten Schnee neben einem jungen Mädchen in zerschlissenen Fellen. Sie weinte hilflos wegen ihrer verstümmelten Beine, und überall war Blut, so entsetzlich viel Blut. Seine Arme waren bis zu den Ellbogen voll damit, und es tropfte von seinen Fingern. Sie war noch ein Kind, und trotz all seiner Fähigkeiten und seiner Kraft und seines Könnens war er hilflos. Owen konnte nichts für sie tun bis auf das eine, das Unaussprechliche, das er getan hatte.

Er stand allein, umzingelt und belagert von einer blutdürstigen Bande von Mördern, damit Hazel eine Chance hatte zu entkommen. Sein Schwert hieb und stach nach allen Seiten zugleich, und er beobachtete, wie seine Gegner unter der Klinge starben, aber sie waren zu viele. Am Ende begruben sie ihn unter sich. Und ein Teil von ihm dachte, daß er es nicht besser verdient hatte. Owen kämpfte trotzdem weiter. Er wußte nicht, was er sonst hätte tun sollen. Dann kehrte Hazel zurück, zusammen mit Tobias Mond, dem Hadenmann, und sie retteten ihn. Der Hadenmann. Man mußte ihn im Auge behalten und studieren, aber man durfte ihm niemals, niemals vertrauen.

Er kämpfte gegen seine eigenen Wachen, zu Hause auf den grasbedeckten Hügeln von Virimonde, und er tötete viele bekannte Gesichter, in denen Wut und Gier geschrieben stand.

Er tötete seine Mätresse, Katie DeVries, und hielt sie in den Armen, während sie starb. Owen hatte sie geliebt, aber als der Augenblick sich näherte, hatte er sie ohne zu zögern niedergestochen. So war er ausgebildet worden. Historiker. Krieger. Kämpfer. Mörder.

Er sprach mit seinem Vater, dem ehrenwerten Oberhaupt des Todtsteltzer-Clans, der für alles und jeden Zeit fand, außer für seinen eigenen Sohn. Owen hätte ihn so gerne geliebt. Er hatte versucht, seinen Vater zu bewundern, doch zwischen ihnen hatte immer ein tiefer Graben aus unterschiedlichen Ansichten über Treue, Macht und Ehre gelegen.

Aneinandergefesselt durch die Bande aus Blut, auseinandergerissen durch die Machenschaften der Politik.

Owen hatte nicht gewußt, wieviel sein Vater ihm bedeutet hatte, bis er von ihm gegangen war und ihn in einer feindlich gesinnten Welt zurückgelassen hatte. Er war davongerannt, nach Virimonde, wo er sich in der Hoffnung hinter seiner Forschung versteckt hatte, daß niemand von ihm Kenntnis nehmen würde. Owen wollte nicht in die Machenschaften und Ränke verwickelt werden, die letztendlich zum Tod seines Vaters geführt hatten. Er wollte lieber das Leben eines Gelehrten führen, nicht das eines Kriegers, und er verschloß die Ohren vor den Dingen, die er nicht hören wollte.

Owens Gedanken wirbelten weiter in die Vergangenheit schneller und schneller, und hier und da legten sie kleine Pausen ein, bei wichtigen Ereignissen und Gesichtern. Er durchlebte erneut die entscheidenden Augenblicke seines Lebens, so daß er sie verstehen und entscheiden konnte, was von alle dem wirklich wichtig für ihn gewesen war. Weiter und weiter, tiefer und tiefer. Mut. Liebe. Ehre.

Irgendwann erreichte er den Kern seines Selbst – jenen Ort, wo alle Dinge entschieden werden. Owen blickte zurück über sein Leben, vom Beginn bis zur Gegenwart, und zum ersten Mal sah er die Dinge, wie sie wirklich waren. Zum ersten Mal akzeptierte er, was für ihn wirklich von Bedeutung war. Ein Krieger zu sein, ein Mann von Ehre, durch die Verpflichtung geleitet, die in der Verteidigung seiner Freunde und einer ehrenvollen Sache begründet lag. Die Schwachen zu schützen und die Schuldigen zu strafen. Zu kämpfen, um dem Kämpfen ein Ende zu bereiten und denen Zuflucht zu gewähren, die vom Imperium verfolgt wurden. Ein Held zu sein für alle, die in Not gerieten.

Ein Todtsteltzer zu sein.

Das Labyrinth des Wahnsinns nahm den Mann, der einmal Owen Todtsteltzer gewesen war, und entfernte alles Überflüssige, bis der Kern seines Wesens offenlag. Dann errichtete es ihn von neuem, stärker und entschlossener denn je. Jetzt sah Owen seine Zukunft klar vor sich, und er würde nie wieder den Blick abwenden. Das Labyrinth beschenkte ihn mit Gaben, die er dringend benötigen würde; es gab ihm seinen Segen, und dann entließ es ihn.

Owen blickte sich um, wach und konzentriert. Die Erinnerungen an die Ereignisse im Labyrinth verblaßten bereits wie ein Traum, aus dem man vorzeitig geweckt wird. Etwas war geschehen, etwas Wunderbares, aber er hatte es bereits vergessen, weil kein Mensch es ertragen konnte, sein wahres Selbst zu deutlich zu sehen. Owens Gedanken schienen hell und klar wie die Luft nach einem Gewitterregen. Er fühlte sich gestärkt und reiner als je zuvor, und das Leben brannte in ihm wie eine helle Sonne. Er stand inmitten eines weiten, kreisförmigen Raums, umgeben von stählernen Wänden, und Owen erkannte, daß er sich mitten im Zentrum des Labyrinths befand. Im Herzen des Sturms, wo alles ruhig und friedlich war. Seine Kameraden hatten sich ebenfalls eingefunden, und alle schienen irgendwie verändert. Sie sahen entschlossener und konzentrierter aus als vorher.

»Dazu also dient das Labyrinth«, sagte Giles schließlich.

»Wulf versuchte es mir zu erklären, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Auf gewisse Weise sind wir neu geboren worden.

Wir haben eine zweite Chance bekommen. All unsere Sünden sind uns vergeben.«

»Wovon zur Hölle redest du, alter Mann?« fragte Hazel.

»Ich fühle mich, als hätte ich eine Woche durchgesoffen und keine Erinnerung mehr daran.«

»Was soll das ganze Gerede eigentlich?« mischte sich Ruby Reise ein. »Nichts ist geschehen, überhaupt nichts. Ihr habt wohl alle geträumt?«

»Nein, das stimmt nicht«, sagte Jakob Ohnesorg. »Ich…

ich war irgendwo… irgendwo anders. Warum kann ich mich nicht daran erinnern?«

»Weil Euer Verstand eine Schockbehandlung erfahren hat«, erklärte der Wolfling. »Und um Eurer geistigen Gesundheit willen habt Ihr den Schmerz vergessen. Ihr wurdet wiedergeboren, und eine Geburt ist stets ein traumatisches Erlebnis.«

Ruby blickte den Wolfling mißtrauisch an. »Du willst uns hier keinen religiösen Quatsch erzählen, oder? Das fehlt uns nämlich gerade noch: ein Werwolf, der das Evangelium predigt.«

»Was auch immer es gewesen sein mag, es hat meinen Körper genauso beeinflußt wie meinen Geist«, sagte Owen. »Ich habe mich noch nie so klar und konzentriert gefühlt. Wie steht es mit Euch, Mond?«

»Eine interessante Erfahrung«, gestand der Hadenmann »Es war wie geträumte Gleichungen, reine Mathematik, die sich in die Unendlichkeit erstreckte und auch noch das letzte Rätsel erklärte. Ich befand mich im Zentrum des Universums, und ich fühlte mich, als müßte ich nur die Hand ausstrecken, um alles zu berühren. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch meinen internen Aufzeichnungen zufolge sind erst wenige Augenblicke vergangen, seit wir das Labyrinth betreten haben. Ich würde sagen, daß wir alle einem sehr ausgeklügelten Bewußtseinstest unterzogen wurden.«

»Nein«, widersprach Giles. »Es war mehr als das. Das Labyrinth schien…«

»… lebendig«, vollendete der Wolfling den Satz, und alle nickten zustimmend. Sogar Ruby.

»Warum heißt es Labyrinth des Wahnsinns?« fragte O wen unvermittelt. »Ich habe mich nie im Leben gesünder gefühlt als jetzt.«

»Weil die meisten Menschen, die das Labyrinth betreten, nicht so gesund wieder hinauskommen«, antwortete der Wolfling. »Irgendwo unterwegs verlieren sie den Verstand. Offenbar kann nicht jeder sein wirkliches Selbst hinter all den Masken und Ausflüchten ertragen. Die meisten werden einfach verrückt. Ich bin nicht sicher, ob es daran liegt, daß sie im Labyrinth zuviel sehen, oder daran, daß sie nicht ertragen, was sie sehen. Für einige bietet selbst der Wahnsinn nicht genug Schutz. Sie sterben.«

»Einen Augenblick«, unterbrach ihn Owen. »Wie viele sterben, und wie viele werden verrückt?«

»Bis heute«, antwortete der Wolfling mit ruhiger Stimme,

»haben erst vierundzwanzig von all den Hunderten, die durch das Labyrinth gegangen sind, es gesund wieder verlassen.

Euch eingeschlossen. Ich muß schon sagen, ich bin sehr beeindruckt. Ich hätte kein Geld darauf gesetzt.«

Hazel funkelte Giles zornig an. »Und du läßt uns mir nichts dir nichts einfach hineinlaufen? Keine Warnung, nichts? Ich sollte dir dein verdammtes Herz herausreißen!«

»Verdammt richtig«, stimmte Ruby ihrer Freundin zu.

Alle hatten sich umgewandt, die Waffen auf Giles gerichtet, aber der Erste Todtsteltzer schien völlig ungerührt. »Es war notwendig«, sagte er ohne erkennbare Emotion. »Ihr wolltet den Dunkelwüsten-Projektor. Oder nicht? Nun, ich habe Euch direkt zu ihm geführt. Das hier ist der einzige Ort, wo ich ihn sicher zurücklassen konnte. Mitten im Labyrinth des Wahnsinns

Er drehte sich um und ging davon, ohne die auf ihn gerichteten Pistolen zu beachten, und nach kurzem Zögern folgten ihm die anderen. Im Zentrum der runden Fläche stand ein großer, leuchtender Kristall, beinahe vollkommen rund und vielleicht anderthalb Meter im Durchmesser. Giles blieb vor dem Kristall stehen, ohne ihn zu berühren, und starrte in das Leuchten. Sein Gesicht schien ein wenig weicher zu werden, und er lächelte. Die anderen versammelten sich um den Kristall, angezogen von ihrer Neugier und dem Ausdruck auf Giles’ Gesicht. Nur der Wolfling blieb ein wenig zurück.

Owen beugte sich über den Kristall, und das Leuchten intensivierte sich, wurde warm und golden, als der Kristall seinen Inhalt enthüllte. Ein winziger menschlicher Säugling, eingehüllt in eine einzelne Decke. Der Säugling schien nicht mehr als einige Wochen alt zu sein. Er war noch weich und runzlig, doch das Gesicht war klar und ausgeprägt, und die pummeligen Backen schimmerten ein wenig gerötet. Das Kind hatte den Daumen im Mund und schlief friedlich vor sich hin. Sein Atem ging regelmäßig, und es sah so schön und unschuldig und vollkommen hilflos aus.

»Er ist mein Klon«, sagte der Erste Todtsteltzer weich.

»Mein Sohn, in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Ein echter Todtsteltzer, geboren aus meinem eigenen Blut. Ich experimentierte mit einer neuen Methode zur Herstellung von Esperklonen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Dort seht Ihr das Resultat. Er weiß noch nicht viel über das Leben, weil ich es so eingerichtet habe. Als er das letzte Mal wach war, hat er auf mein Bestreben hin seine Esperfähigkeiten eingesetzt, und tausend Sonnen verschwanden einfach. Einfach so!

Ich hatte die Dunkelwüste geschaffen und gleichzeitig die machtvollste Waffe, die je ein Mensch besaß. So machtvoll, daß ich nicht wollte, daß sie jemals wieder benutzt wurde. Ich versetzte ihn vorsichtig in den tiefsten Schlaf und brachte ihn hierher. Mit Hilfe des Wolflings teleportierte ich ihn ins Zentrum des Labyrinths des Wahnsinns, wo er ungestört schlafen konnte, umgeben von Apparaten und Instrumenten, die ihn beschützten und versorgten und sicherstellen sollten, daß er nie wieder erwachte. Welten sind seither emporgestiegen und wieder gefallen, das Universum hat sich gedreht, und er schläft noch immer. Für all seine Nöte wird gesorgt. Er altert nicht. Was von jetzt an mit ihm geschieht, ist deine Sache, Owen.«

»Warum hast du ihn nicht in Stasis versetzt?« fragte Hazel.

»Weil Stasis bei ihm nicht wirkt«, erwiderte Giles. »Es gibt nur sehr wenig, das ihn beeinflussen kann.«

»Tötet ihn«, sagte Ruby Reise. »Zerstört dieses unnatürliche Wesen. Es ist gefährlicher, als eine Waffe je sein könnte. Es ist ein Monstrum. Tötet es jetzt, auf der Stelle, solange wir noch können.«

»Nein«, widersprach Jakob Ohnesorg sofort. »Das hier ist viel zu wichtig, um sich einfach abzuwenden. Meiner Meinung nach sehen wir hier das nächste Stadium der menschlichen Evolution vor uns.«

»Warum hast du ihn nicht damals schon getötet?« fragte Owen und blickte seinem Vorfahren in die Augen. »Du hast ihn schließlich auch geschaffen; du hast doch bestimmt eine Art Sicherung eingebaut, oder?«

Der Erste Todtsteltzer zuckte die Schultern. Er blickte zu seinem Kind und erwiderte: »Ich konnte nicht. Vielleicht kann er die Sonnen der Dunkelwüste wieder zurückbringen, wenn er älter ist.«

»Und was ist mit all den Menschen, die in der Dunkelwüste ihr Leben lassen mußten?« fragte Hazel. »Wer fragt nach ihnen?«

Giles blickte hoch und lächelte. »Vielleicht bringt er sie ebenfalls zurück.«

Lange sagte niemand ein Wort, und alle dachten über das Gehörte nach. Owen blickte über den Kristall hinweg zu Mond. »Ihr seid so still, Hadenmann. Was denkt Ihr darüber?«

»Ich denke, das alles kann warten. Über das Schicksal dieses Säuglings kann auch noch zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden. Viel wichtiger ist, daß wir aus dem Labyrinth herausfinden und mein Volk aus seiner Stasis erwecken. Ein Imperialer Sternenkreuzer befindet sich im Orbit. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie Truppen landen und hinter uns herschicken. Nach den Schlappen, die wir ihnen bisher zugefügt haben, werden sie wahrscheinlich kein Risiko mehr eingehen wollen und mit entsprechender Übermacht anrücken. Wir werden die Hilfe meines Volkes dringend benötigen, wenn wir überleben wollen.«

»Der Mann hat recht«, stimmte Ruby ihm zu. »Jeden Augenblick könnte sich eine ganze Armee auf unsere Fersen heften. Die Entscheidung über den Juniorgott hier kann wirklich warten. Wir sollten lieber zusehen, daß wir aus diesem Alptraum eines Verhaltensforschers herauskommen und die Verstärkung aufscheuchen.«

»Verzeiht mir, wenn ich Euch kaltes Wasser über den Kopf gieße«, widersprach Ohnesorg. »Aber wenn ich die Wahl habe, mich einer Armee von Elitetruppen des Imperiums zu stellen oder einer Armee von Hadenmännern, dann ziehe ich doch die Imperialen vor. Jedenfalls habe ich die Imperialen in der Vergangenheit schon hin und wieder geschlagen.«

»Panik steht Euch aber gar nicht, Ohnesorg«, sagte Mond.

»Ihr habt keinen Grund, Euch zu fürchten. Ich werde für Euch sprechen.«

»Ja, schön. Aber wird man auf Euch hören? Euer Volk schläft nun seit einer höllisch langen Zeit. Das letzte Mal, als sie geatmet haben, kämpften sie gegen die gesamte Menschheit und wollten sie durch ihresgleichen ersetzen. Wenn sie mit all ihren alten Instinkten aufwachen, kann es durchaus sein, daß wir uns in ernsten Schwierigkeiten befinden.«

»Ihr steckt bereits jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten«, erwiderte Mond. »Meine Leute könnten Euch vielleicht töten, vielleicht aber auch nicht. Die Imperialen werden Euch ganz bestimmt töten. Was ist nur aus Eurem Mut geworden, Ohnesorg? Es gab eine Zeit, da wart Ihr richtig stolz, wenn die Chancen zu Euren Ungunsten standen.«

»Ich bin eben älter geworden«, sagte Ohnesorg. »Und im Gegensatz zu den meisten meiner Zeitgenossen habe ich während meines Lebens ein paar Dinge dazugelernt. Zum Beispiel, was mit Leuten geschieht, die einen Pakt mit dem Teufel abschließen.«

»Euch bleibt wirklich keine andere Wahl«, sagte Mond entschieden. »Oder?«

Er blickte die anderen der Reihe nach in stillem Triumph an.

Owen achtete sorgfältig darauf, nicht mit seinem Disruptor auf den Hadenmann zu zielen. Mond wartete vielleicht nur darauf, daß jemand etwas Unbesonnenes tat, damit er es zu Ende führen konnte. Anscheinend hatte die Nähe seines Volkes und seiner Heimat Wunder in bezug auf seine Selbstachtung bewirkt. Hazel schniefte laut.

»Seht mal, ihr Männer könnt euch ein anderes Mal darum streiten, wer den größeren Penis hat. Der Projektor kann ebenfalls warten. Wahrscheinlich werden unsere Probleme nur noch größer, wenn wir ihn wecken. Wir sollten zuerst einmal sehen, daß wir wie der Teufel aus diesem Labyrinth verschwinden. Dieser Ort ist mir unheimlich.«

»Verdammt richtig«, meldete sich zum ersten Mal der Wolfling zu Wort, und alle wandten sich zu ihm um. In seinen Worten hatte eine eigenartige Betonung gelegen, die nahelegte, daß das Labyrinth auf ihn den gleichen Eindruck machte wie auf die Menschen. Der Gedanke verschaffte Owen eine seltsame Befriedigung. Wenn ein so extrem kraftvolles und gefährliches Lebewesen wie der Wolfling durch das Labyrinth in Angst und Schrecken versetzt werden konnte, dann hatte er jedes Recht, ebenfalls Angst zu empfinden.

»Ich stimme Hazel zu« sagte er laut. »Laßt uns von hier verschwinden.«

»Fein«, sagte Ohnesorg. »Hat jemand eine Idee, welche Richtung wir einschlagen sollen?«

»Natürlich«, sagte Hazel und deutete auf einen Ausgang, der genauso aussah wie alle anderen. Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Woher wußte ich das jetzt?«

»Es ist das Labyrinth«, erklärte der Wolfling. »Ihr seid jetzt nicht mehr die gleichen wie vorher, keiner von Euch. Euer Bewußtsein arbeitet jetzt anders. Ihr werdet Eure neuen Fähigkeiten mit der Zeit entdecken.«

Hazel warf Owen einen mürrischen Blick zu. »Ich glaube nicht, daß mir gefällt, was er da von sich gibt.«

Owen zuckte unbehaglich die Schultern. »Ich schätze, es ist zu spät, um sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen.

Was auch immer es sein mag, es ist bereits geschehen. Ihr geht voraus, Hazel, und wir folgen Euch.«

Hazel runzelte erneut die Stirn, doch sie widersprach nicht.

Unvermittelt drehte sie sich um und stapfte durch den Ausgang, auf den sie zuvor gezeigt hatte. Owen beeilte sich, ihr zu folgen, und die anderen klebten an seinen Fersen. Die schimmernden Stahlwände schlossen sich erneut um ihn, aber diesmal war das Gefühl von Klaustrophobie verschwunden.

Das Labyrinth fühlte sich neutral an, ruhig, als hätte es kein Interesse mehr an ihm. Und er fühlte sich ebenfalls anders.

Stärker. Klüger. Fähiger. Er nahm es mehr als leise Zuversicht wahr; als könne er nun wirklich mit allem fertig werden, das sich ihm in den Weg stellen mochte. In der gegenwärtigen Situation verunsicherte ihn das Gefühl allerdings etwas. Es war keineswegs natürlich, sich unter derart starkem Druck so ruhig und entspannt zu fühlen. Wenn er dem Imperium entwischen konnte, würden ihn wahrscheinlich die Hadenmänner schnappen. Alles in allem war seine augenblickliche Lebenserwartung kaum höher als die eines Goldfisches in einem Becken voller Piranhas. Nur, daß er sich nicht mehr wie der Goldfisch fühlte.

Dann gab es da noch diesen Dunkelwüsten-Projektor. Das Ding, das Sterne verschwinden ließ und auf diese Weise den Tod von Milliarden herbeigeführt hatte. Es gefiel Owen nicht, einfach davonzugehen und den Projektor zurückzulassen, aber Giles hatte gesagt, er sei geschützt und in Sicherheit, wo er war. Owen spürte instinktiv, daß sein Vorfahre recht hatte. Er zweifelte keine Sekunde daran, daß das Labyrinth sehr wohl imstande war, sich selbst gegen unerwünschte Eindringlinge zu verteidigen. Er runzelte die Stirn, als ihm in diesem Zusammenhang ein Gedanke kam. Das Labyrinth hatte die meisten Menschen getötet oder in den Wahnsinn getrieben, die den Mut besessen hatten einzudringen, doch jeder aus seiner Gruppe war sicher und wohlbehalten wieder hervorgekommen. Die Chancen für einen derartigen Zufall waren undenkbar klein. Woraus er schloß, daß es mitnichten Zufall gewesen war. Das Labyrinth hatte aus unerfindlichen Gründen entschieden, sie alle am Leben zu lassen und zu transformieren.

Der Gedanke gefiel Owen noch weniger als der erste. Er hatte keine Schwierigkeiten, sich das Labyrinth irgendwie lebendig vorzustellen, aber ob das mit Intelligenz zu tun hatte? Die Vorstellung beunruhigte ihn zutiefst, daß das Labyrinth bewußte Entscheidungen fällen könnte. Er fühlte sich mit einem Mal wie ein kleines Tier, das in den Eingeweiden eines Riesen lebte. Owen schüttelte entschieden den Kopf. Wie die Wahrheit auch immer aussehen mochte, er konnte sowieso nichts daran ändern. Außer vielleicht, daß er seinen Schritt ein wenig beschleunigte und an etwas anderes dachte. Er konzentrierte seine Gedanken auf den Dunkelwüsten-Projektor, obwohl der Klon nicht viel weniger besorgniserregend war. Er bemühte sich nach Kräften, von ihm als einer Sache zu denken und nicht als einem Säugling, und noch dazu einem menschlichen. Das würde es nur schwerer machen, den Projektor zu vernichten, wenn es nötig werden sollte. Das Ding war jedenfalls sicher, wo es sich im Augenblick befand, mitten im Labyrinth des Wahnsinns und beschützt von einer Armee von Hadenmännern. Ganz besonders, da nur sehr wenige Menschen wußten, wo der Projektor zu finden war. Er konnte sich kein besseres Versteck vorstellen.

Zu was mochte das Baby erst fähig sein, wenn es größer wurde? Wenn es ein Kind war, oder gar ein Erwachsener?

Und was war mit den Milliarden Toten? Vielleicht konnte es sie wirklich wieder zum Leben erwecken…?

Owen stellte sich vor, wie das Imperium in Flammen aufging. Ganze Planeten, die wie Kohlen in der Nacht brannten.

Die Menschheit niedergemetzelt und in alle Winde verstreut durch eine Macht, die weit über menschliches Begriffsvermögen hinausging, ohne Hoffnung auf Vernunft oder Gnade. Er durfte es nicht zulassen. Er würde den Projektor vernichten, wenn es nötig wurde. Und wenn der Projektor ihn lassen würde.

Owen folgte Hazel auf ihrem Weg durch das Labyrinth. Sie bog mal links, mal rechts ab und durchwanderte einen Gang nach dem anderen, trotzdem schien Owen der Weg nicht zufällig gewählt zu sein. Er mußte nicht erst abwarten, bis Hazel eine Abzweigung genommen hatte, sondern kannte irgendwie – auf einer tiefen Ebene seines Bewußtseins – selbst den Weg hinaus. Es war beinahe, als würde er das Labyrinth in- und auswendig kennen, ja als hätte er es selbst errichtet. Owen veränderte sich anscheinend noch immer. Er konnte es spüren.

Die glänzenden Stahlwände schienen jetzt bedeutungsvoller, sinnvoller als zuvor. Er nahm kaum hörbare Geräusche wahr; flüsternde Stimmen, als würde das Labyrinth Selbstgespräche führen. Er spürte den sanften Strom von Energien ringsum, spürte die Macht unsichtbarer Formen und den andauernden, subtilen Prozeß der Transformation, doch das ganze Ausmaß seiner Umwandlung blieb ihm noch immer verschlossen, nicht nur, weil sie so tiefgreifend war, sondern weil sein Verstand instinktiv vor einer Antwort zurückschreckte. Er konnte nicht auf diese Weise denken und gleichzeitig noch Mensch sein. Owen versuchte, den Gedanken bis zur letzten Konsequenz weiterzudenken, doch plötzlich hatte er das Labyrinth hinter sich gelassen, und seine stillen Überlegungen wurden davongeschwemmt, als die Realität über ihm zusammenschlug.

»Wo zur Hölle warst du die ganze Zeit?« schrie Ozymandius in seinem Kopf. »Ich versuche seit sechs Stunden, Verbindung mit dir aufzunehmen!«

»Wovon redest du?« erwiderte Owen. »Wir waren nicht länger als höchstens zwanzig Minuten im Labyrinth!«

»Die Zeit scheint im Labyrinth langsamer zu vergehen«, vermutete Giles.

»Das sagt er uns jetzt!« beschwerte sich Hazel. Inzwischen waren die anderen ebenfalls aus dem Labyrinth gekommen, und Owen erkannte auf allen Gesichtern den gleichen Ausdruck. Die Erfahrung der kühlen Präzision und Klarheit der Gedanken im Labyrinth schwand langsam und wich normaleren, menschlicheren Denkmustern. Owen beschloß, sich zu einem späteren Zeitpunkt mit diesem Phänomen zu befassen.

»Also gut, Oz«, sagte er mit besänftigender Stimme. »Jetzt beruhige dich und berichte, was in der Zwischenzeit geschehen ist.«

»Vielleicht sollte ich lieber erzählen, was nicht geschehen ist«, schnappte die KI. »Der Imperiale Sternenkreuzer hat Mineningenieure und Ausrüstung auf die Oberfläche gebracht und einen Weg direkt in die Stadt hinunter freigeschossen. Sie entdeckten den alten Weg, den die Hadenmänner benutzten, und haben ihn wieder in Betrieb genommen. War nicht besonders schwierig mit den großen Energiewaffen, die sie verwendeten. Im Augenblick befinden sie sich direkt auf der anderen Seite des Labyrinths, und wenn ich sage sie, dann meine ich eine ganze verdammte Armee. Die Unerschrocken ist seit Stunden dabei, mit ihren Pinassen Verstärkungen herabzuschicken. Wir reden hier von Marineinfanteristen, Kampfespern und sogar Wampyren, und sie werden von einem Investigator angeführt. Der Kapitän selbst ist gelandet, um sicherzustellen, daß man euch alle am Arsch packt. Sie wußten, wo sie uns finden würden, Owen. Sie wußten, daß wir herkommen würden. Jemand hat es ihnen verraten.«

»Sie wußten, daß wir herkommen würden?« Owen kämpfte um seine Selbstbeherrschung. »Wie konnten sie das wissen?

Niemand hatte Gelegenheit, sich mit dem Imperium in Verbindung zu setzen.«

»Es gibt einen Spion unter uns«, erwiderte Ozymandius.

»Einen geheimen Agenten, der ununterbrochen mit dem Imperium in Verbindung stand, wo wir auch hingingen. Der ganze Plan ist schon vor langer Zeit ausgearbeitet worden. Du bist nur aus einem einzigen Grund für gesetzlos erklärt worden; du solltest nämlich die Ereignisse in Gang setzen, die dem Imperium schließlich verraten würden, wo Shandrakor und der Dunkelwüsten-Projektor verborgen lagen. Du warst die ganze Zeit an der langen Leine, Owen. Und jetzt ziehen sie die Leine ein, ob du willst oder nicht.«

»Ich kann das einfach nicht glauben«, sagte Ohnesorg und blickte der Reihe nach in die leeren Gesichter seiner Kameraden. »Das Imperium war schon immer hinterhältig und verschlagen, aber… niemand von uns hat auch nur den geringsten Grund, die anderen zu verraten! Das Imperium ist unser Feind, und es will unsere Köpfe. Ohne Ausnahme!«

»Nicht ganz«, widersprach Owen langsam. »Ich bin vogelfrei, und auf meinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt. Genau wie auf den Euren und den von Hazel. Und Mond ist ein Hadenmann. Sie schießen auf ihn, sobald er den Kopf aus der Deckung nimmt. Aus rein praktischen Gründen scheiden Giles und der Wolfling aus. Aber Ruby Reise hier ist eine Kopfgeldjägerin. Als wir auf sie gestoßen sind, hat sie zugeben müssen, daß sie im Namen des Imperiums hinter uns her war.

Wir dachten, wir hätten das Imperium überboten, aber die Eiserne Hexe hat ziemlich tiefe Taschen, nicht wahr, Ruby Reise?«

»Nein!« fuhr Hazel dazwischen. »Ruby ist meine Freundin!

Sie würde mich niemals so schäbig hintergehen. Sag es ihnen, Ruby!«

»Was soll das überhaupt?« fragte die Kopfgeldjägerin kühl.

»Sieh sie dir nur an! Sie haben ihre Entscheidung längst gefällt.«

»Ich habe Euch vertraut, Ruby«, sagte Jakob Ohnesorg vorwurfsvoll. »Wir alle haben Euch vertraut. Wie konntet Ihr nur…?«

Ruby Reise trat einen Schritt zurück und hatte plötzlich eine Waffe in der Hand. »Wir wollen uns wie ruhige, zivilisierte Menschen benehmen, ja? Wenn ich wirklich ein Verräter wäre, wärt ihr inzwischen längst alle tot. Ich könnte euch alle mit dieser erstaunlichen Projektilwaffe erschießen und würde dennoch das Geld auf eure Köpfe kassieren. Sie benötigen euch nicht mehr, um den Dunkelwüsten-Projektor zu finden.

Ich könnte ihnen zeigen, wo er versteckt ist – wenn ich ein Verräter wäre. Aber das bin ich nicht! Es gibt wichtigere Dinge im Leben als Geld. Ich gebe einen Dreck auf eure verdammte Rebellion, aber Hazel ist meine Freundin. Ich würde für sie sterben, genauso wie sie für mich sterben würde. Wir beide wußten das immer.«

»Dann beweist es«, sagte Owen. »Legt Eure Waffe zur Seite.«

»Wenn ich das mache, tötet ihr mich.«

»Nein«, sagte Hazel erneut. »Das würde ich auf keinen Fall zulassen. Ruby, bitte! Leg deine Waffe weg.«

Eine lange Pause entstand. In der Luft hing eine beinahe körperlich spürbare Spannung, und Hände schwebten griffbereit über den Waffen. Dann senkte Ruby Reise langsam ihre Pistole und schob sie ins Holster zurück. Sie hakte die Hand demonstrativ weit vom Holster entfernt hinter den Gürtel und musterte die anderen mit herausfordernden Blicken. Eine weitere Pause entstand, während der Rest der Gruppe sich mißtrauisch gegenseitig beäugte, ob nicht jemand anderes zur Waffe griff, doch schließlich schienen sich alle in einem langen gleichzeitigen Seufzer zu entspannen. Owen bedachte Ruby mit einem um Verzeihung bittenden Schulterzucken und blickte dann zu seinen restlichen Kameraden.

»Aber… wenn Ruby nicht die Verräterin ist – wer dann?«

»Seht mal«, begann Ohnesorg mit fester Stimme. »Das alles macht nicht viel Sinn. Niemand von uns kann ein Verräter sein. Wir haben alle viel zuviel zu verlieren.«

»Nicht wir alle«, widersprach Hazel. »Du hast selbst zugegeben, daß das Imperium dich in seinen Folterkammern zerbrochen hat, Jakob. Du hast gesagt, du wärst entkommen, aber ganz ehrlich – wem gelingt schon die Flucht aus den Hochsicherheitstrakten der Imperialen? Wir haben deine Geschichte nie in Frage gestellt, weil du der legendäre Jakob Ohnesorg bist, aber was, wenn du überhaupt nicht geflohen bist! Was, wenn sie dich wirklich zerbrochen haben und du dich nicht erholt hast? Du würdest alles tun, was sie von dir verlangen, nicht wahr? Sie hätten dich sogar auf der Nebelwelt absetzen können, damit du uns findest. Sie wußten, daß wir der Versuchung nicht würden widerstehen können, dich mitzunehmen.

Und wer würde schon den legendären Rebellen Jakob Ohnesorg verdächtigen, ein Spion des Imperiums zu sein?«

»Netter Versuch«, erwiderte Ohnesorg. »Aber für mich gilt das gleiche wie für Ruby Reise. Wenn ich Euren Tod gewollt hätte, wärt Ihr inzwischen bereits tot. Ich hatte genug Gelegenheiten dazu. Ich bin gerne bereit, Euch meine Waffen zu übergeben, aber überlegt doch einmal selbst. Owen, Ihr habt selbst gesagt, daß das Imperium von dem Augenblick an auf Euren Fersen war, da Ihr von Virimonde vertrieben wurdet.

Ich bin erst seit relativ kurzer Zeit bei Euch. Wer immer der Verräter ist, er muß von Anfang an dabeigewesen sein.«

»Du redest über mich, Kerl!« fauchte Hazel. »Du Bastard! Du meinst mich!«

»Nein« widersprach Owen, und ein entsetzter Ausdruck erschien in seinem Gesicht. »Nicht Euch, Hazel. Sondern die einzige Person, die wirklich von Anfang an dabeigewesen ist.

Die Person, der ich alles anvertraute. Die Person, die zu allen Geheimnissen Zugriff hatte. Die über alles Bescheid wußte, was das Imperium in unserer Abwesenheit unternahm, bis hin zu dem Namen des Imperialen Schiffs auf unseren Fersen, das inzwischen im Orbit über der Wolflingswelt kreist. Du bist der Verräter, nicht wahr, Ozymandius?«

»Ja«, erwiderte die KI. Ihre Stimme blieb kühl und beherrscht. »Ich habe dem Imperium regelmäßig berichtet, seit dein Vater mich erworben hat. Die Loyalität gegenüber dem Eisernen Thron wurde mir einprogrammiert, so tief und sorgfältig versteckt, daß nur die besten Systemanalytiker sie überhaupt hätten finden können. Dein Vater vertraute niemals jemandem völlig, selbst mir nicht, und so war mein Nutzen viele Jahre lang ziemlich eingeschränkt. Bis zu dem Tag, an dem die Entscheidung gefällt wurde, deinen Vater zu töten und die gegenwärtigen Ereignisse in Gang zu setzen. Als du der Todtsteltzer wurdest, hast du mir genauso vertraut wie zu der Zeit, als du noch ein Kind warst. Du dachtest, ich wäre nichts weiter als eine Maschine, die endlos geduldig und gehorsam ist und bestenfalls eine Erweiterung deiner eigenen Persönlichkeit. Dir kam nie in den Sinn, daß ich von den gleichen Leuten entworfen und programmiert worden sein könnte, die dich verfolgten. Tut mir leid, Owen, aber ich bin der Verräter. Ich war es die ganze Zeit. Nimm’s nicht persönlich.«

»Wir sitzen in der Patsche«, sagte Hazel. »Wir können ihn noch nicht einmal abschalten. Er befindet sich in den Lektronen der Todtsteltzer-Burg in völliger Sicherheit. Er hat die Kontrolle über die Bewaffnung, über den Hyperraumantrieb, das Lebenserhaltungssystem und sogar über die Portale. Wir können nicht zurück, bevor er es nicht erlaubt. Der Mistkerl hat uns genau dort, wo das Imperium uns haben wollte.«

»Nicht unbedingt«, widersprach Giles. »Es sind immerhin meine Rechner. Achtung Lektronen! Kode Achilles Drei aktivieren.« Er warf den anderen einen ruhigen Blick zu. »Nur ein kleines Hilfsprogramm, das ich vor langer Zeit installiert habe, um meine Lektronen vor einer Übernahme durch feindliche Systeme zu schützen. Scheint fast so, als ob die Vorsichtsmaßnahme am Ende doch nicht so überflüssig war.«

»Oh, Ihr habt recht«, sagte Ozymandius. »Allerdings haben sich Rechnersysteme in den letzten neunhundert Jahren ziemlich weiterentwickelt, alter Mann. Ihr habt es zwar geschafft, mich aus den Hauptrechnern auszuschließen, und ich habe keine Kontrolle mehr über Euer antiquiertes Schiff, aber ich bin noch immer imstande, weiterzuexistieren und meiner Programmierung zu folgen. Genaugenommen hat sich gar nichts geändert. Ich kann die Streitkräfte des Imperiums noch immer mit Informationen über Euch und Eure Aktionen versorgen, und das war stets meine oberste Priorität. Mit der Zeit werde ich sehr wahrscheinlich auch imstande sein, Eure antiken Sicherheitssysteme außer Gefecht zu setzen und die Kontrolle über die Burg zurückzugewinnen. Allerdings ist jetzt offensichtlich geworden, daß Ihr und die anderen eine viel größere Bedrohung für das Imperium darstellt, als bisher angenommen. Ihr seid im Besitz neuer Waffen und neuer Informationen, und der Aufenthalt im Labyrinth des Wahnsinns scheint Euch auf unvorhergesehene Weise verändert zu haben. Ich bin deshalb ermächtigt, zur nächsten Stufe meiner Programmierung überzugehen, um Eure Flucht oder das Aufwecken der Armee der Hadenmänner zu verhindern. Owen und Hazel, aufgepaßt: Kode Blau Zwo Zwo.«

Die Worte brachen in Owens Gehirn wie rollender Donner, und er war auf der Stelle gelähmt. Er konnte noch nicht einmal mehr mit den Augen zwinkern. Er kämpfte um die Macht über seinen Körper, wollte reden, aber es war ihm nicht mehr möglich. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Hazel ebenfalls unter dem Einfluß äußerer Kontrolle stand. Zu seinem Entsetzen spürte er, wie sich seine Hand auf die Waffe senkte und sie aus dem Holster zog. Auch Hazel zog ihre Pistole, und gemeinsam hielten sie die anderen in Schach. Owen raste in seinem Kopf vor hilfloser Wut, doch er konnte nichts tun.

»Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme, die ich zu einem früheren Zeitpunkt ergriffen habe«, erklang Ozymandius’ beherrschte Stimme in ihren Köpfen. »Ich nutzte die Gelegenheit, als Owen und Hazel hilflos in der Regenerationsmaschine an Bord der Sonnenschreiter lagen. Ich pflanzte ein paar Kontrollworte in ihr Bewußtsein und versteckte sie so gut, daß sie nie von ihrer Existenz erfahren würden. Trotzdem waren sie dort und warteten darauf, von mir benutzt zu werden, wann immer ich sie brauchte. Es war nicht einmal besonders schwer. Owen und Hazel sind von diesem Augenblick an nicht mehr imstande, etwas anderes zu tun, als meine Befehle auszuführen. Also werdet Ihr bleiben, wo Ihr seid, bis die Imperialen Truppen eintreffen und Euch übernehmen können. Selbstverständlich werde ich Owen und Hazel auf jeden schießen lassen, der Widerstand leistet oder zu entfliehen versucht. Meine Programmierung erlaubt mir, einen oder auch mehrere aus Eurer Gruppe als abschreckendes Beispiel für die anderen zu töten. Genaugenommen ermutigt es mich sogar dazu. Also tut, was ich Euch sage. Owen und Hazel werden schießen, wenn es nötig ist. Den beiden bleibt gar keine andere Wahl.«

»Nein!« sagte Ruby. »Hazel wird nicht auf mich schießen. Sie könnte mich genausowenig töten wie ich sie.«

»Vergeßt nicht, daß Hazel nicht länger die Kontrolle über ihren Körper besitzt«, sagte die KI kühl. »Ich bin derjenige, der befiehlt.«

»Trotzdem«, entgegnete Ohnesorg. »Du arbeitest aus der Distanz, nicht wahr? Du kannst nur auf das reagieren, was wir tun, und das limitiert deine Möglichkeiten beträchtlich.«

»Meine elektronischen Reflexe nehmen es jederzeit mit Euren menschlichen auf. Und außerdem könnt Ihr die Kontrolle nur zurückgewinnen, indem Ihr Owen und Hazel erschießt.

Glaubt Ihr wirklich, Ihr bringt es fertig, Eure Freunde zu töten? Ich versichere Euch, daß nichts anderes reichen würde, um mich daran zu hindern, Euch zuerst zu töten.«

»Es sind nicht meine Freunde«, meldete sich Tobias Mond zu Wort. »Und meine Reflexe und meine Schnelligkeit sind jeder Maschine überlegen. Töte die anderen, wenn du willst.

Für mich zählt nur, daß ich endlich mein Volk aus seinem Schlaf erwecke.«

Der Hadenmann bewegte sich zu schnell, als daß das menschliche Auge ihm hätte folgen können, und Owen und Hazel schwenkten ihre Waffen viel zu langsam. Ohnesorg und Ruby Reise setzten sich beinahe gleichzeitig in Bewegung, um sich auf die beiden zu stürzen. Owen drückte aus kürzester Distanz ab, doch Mond hatte seinen Schutzschild bereits aktiviert, und der Schuß prallte harmlos ab und wurde auf das Labyrinth gelenkt, welches ihn einfach absorbierte. Hazel wandte sich um und wollte auf Ohnesorg schießen, doch Ruby machte einen schnellen Schritt und trat ihr ansatzlos die Waffe aus der Hand. Owen riß seine Projektilwaffe aus dem Gürtel und richtete sie auf Ohnesorg, während Hazel ihr Schwert zog. Mond wich noch weiter zurück.

»Ihr mögt Eure Zeit mit Kämpfen verschwenden. Ich gehe und wecke mein Volk.«

Er wandte sich um und war plötzlich in den tiefen Schatten auf der rechten Seite des Labyrinths verschwunden. Ohnesorg rümpfte mißbilligend die Nase.

»Man soll einem aufgerüsteten Mann eben niemals vertrauen. Sie taugten schon auf Eisfels nicht besonders, wenn es darum ging, Befehlen zu gehorchen.«

Owen wollte in seinem Kopf laut schreien, doch kein Laut drang über seine Lippen. Seine Waffe war auf Ohnesorgs Brust gerichtet, und er wußte, er würde schneller schießen, als ein Mann seinen Schild aktivieren konnte, Legende hin oder her. Er würde Ohnesorg erschießen, und Hazel würde Ruby erschießen, oder sie würde bei dem Versuch sterben. Giles umkreiste Owen und Hazel und bemühte sich um ein freies Schußfeld. Owen wußte, daß der Erste Todtsteltzer keine Sekunde zögern würde, wenn sich eine Gelegenheit bot. Sein Vorfahr war immer ein Mann gewesen, der harte Entscheidungen fällen konnte. Der Wolfling war ein unbekannter Faktor, aber er war unbewaffnet und machte keinerlei Anstalten, sich einzumischen. Owen kämpfte verzweifelt um die Kontrolle seines Körpers, aber er gehorchte ihm einfach nicht.

Sein Finger krümmte sich um den Abzug.

Und dann erwachte etwas tief in Owens Verstand, etwas Neues, tief aus dem Unterbewußten auftauchend, wo es unbemerkt von alltäglichen Gedanken und Gefühlen geruht hatte. Owen war durch das Labyrinth gegangen, und er hatte sich verändert. Die Zeit selbst schien sich zu verlangsamen und sogar stillzustehen, und plötzlich hatte er alle Zeit der Welt, um darüber nachzudenken, was zu tun war. Er besaß einen Vorteil, den Ozymandius bisher noch nicht benutzt hatte. Den Zorn. Der Zorn würde ihn schneller machen als jeden der anderen, aber die KI hatte das Kodewort für den Zorn nicht ausgelöst. Es mußte einen Grund dafür geben. Die KI hätte einen so gravierenden Vorteil nicht übersehen. Was nur bedeuten konnte, daß der Zorn auf irgendeine Art und Weise der Kontrolle Ozymandius’ über seinen Körper gefährlich werden konnte. Owen formte in Gedanken das Wort, und er legte all seine Kraft und Entschlossenheit hinein. Er konzentrierte sich, bis in seinem Verstand nichts mehr war als nur dieses eine einzige Wort, Zorn, immer und immer wieder, ein Mantra, ein Herzschlag, ein Befehl. Und trotzdem, es reichte nicht.

Und die neue Kraft in ihm, diese eigenartige Gewalt, die aus seinem Unterbewußtsein aufgetaucht war, griff hinaus und berührte den Geist seiner Kameraden, und die gleiche Kraft leuchtete in ihnen allen und bildete ein Ganzes, das weitaus größer war als die Summe seiner Teile. Langsam, aber unaufhaltsam formte Owens Mund das Wort: »Zorn!« Plötzlich flutete eine Woge aus Energie durch ihn hindurch und verband sich mit dem Neuen, das er aus dem Labyrinth mitgebracht hatte – und innerhalb eines einzigen Augenblicks zerbrach und überwand er die Kontrolle der verräterischen KI. Er trat einen Schritt von Jakob Ohnesorg zurück und senkte seine Waffe. Hazel warf sich in einem letzten verzweifelten Angriff auf ihre Freundin Ruby, doch Owen griff durch die mentale Verbindung nach draußen und hielt sie mitten im tödlichen Stoß auf. Sein Verstand, noch immer mit den anderen verbunden, war zu einem hell leuchtenden, strahlenden Etwas geworden, das sich jetzt in eine Richtung wandte, die er mehr spüren als sehen konnte. Plötzlich befand er sich an einem anderen Ort und bei Ozymandius. Es war ein fremdartiger Ort, ohne erkennbare Gestalt und Form, aber er war das Licht und Ozymandius war das Dunkel. Owen leuchtete hell wie die Sonne, stechend und alles durchdringend, und die Dunkelheit der KI umgab ihn wie die endlose, sternenlose Nacht der Dunkelwüste, dicht und alles verschlingend. Doch Owen war nicht allein. Seine Freunde waren bei ihm, und zusammen waren sie soviel mehr als zuvor. Das Licht flammte heller und heller, und die Dunkelheit wich vor ihnen zurück, wurde grau, wurde heller und heller, bis sie nichts mehr war außer einem schwachen Schatten, der sich bereits in nichts aufzulösen begann. Und wenn Owen einen letzten verzweifelten Schrei von Ozymandius hörte, so schenkte er ihm keine Beachtung.

Schließlich gab es nur noch das Licht, und es leuchtete für alle Ewigkeit.

Dann war auch das Licht wieder verschwunden, die Verbindung unterbrochen, und Owen fiel alleine zurück in seinen Körper. Er erwachte langsam, beinahe widerstrebend, und fand sich auf dem Boden neben dem Labyrinth liegend wieder. Jakob Ohnesorg kniete über ihm. Owen wandte mühsam den Kopf und sah nicht weit von sich entfernt Hazel, die verkrümmt und zuckend ebenfalls am Boden lag. Ruby Reise kniete unsicher neben ihr. Owen setzte sich vorsichtig auf.

Sein Körper fühlte sich wieder ganz wie sein eigener an. Es war beinahe so, als wäre er nach einer endlos langen Reise wieder nach Hause zurückgekehrt. Die Erinnerungen zerfaserten bereits und begannen sich aufzulösen wie ein verblassender Traum. Owen war froh, es geschehen zu lassen. Die Erfahrung war zu groß und zu kompliziert gewesen, zu angsteinflößend, als daß er ihr lange hätte widerstehen können, und er gab sich die größte Mühe, die Erinnerung ganz aus seinem Bewußtsein zu verbannen.

»Was ist passiert?« fragte Jakob Ohnesorg. »Was zur Hölle war das? Ich habe etwas Derartiges noch nie zuvor erlebt!«

»Was es auch war, es ist jedenfalls vorbei«, sagte Owen.

»Denkt nicht weiter darüber nach.«

»Was ist mit der KI? Ist ihre Kontrolle durchbrochen?«

»Ja. Ozymandius ist tot. Ich habe ihn getötet.«

»Er war nur eine Maschine«, sagte Giles und blickte auf seinen Nachfahren herab.

»Er war mein Freund«, erwiderte Owen und wandte das Gesicht ab.

»Was soll das heißen, wir haben den Kontakt zur Unerschrocken verloren?« Kapitän Schwejksam funkelte seinen Sicherheitsoffizier wütend an, K. Stelmach, der sich in steifer Habachtstellung vor ihm aufgebaut hatte. Investigator Frost stand schräg hinter ihrem Kapitän und fügte ihr eigenes, nicht unbeträchtliches Stirnrunzeln hinzu. Stelmach starrte geradeaus ins Leere und wich dem zornigen Blick seiner beiden Vorgesetzten sorgfältig aus.

»Es soll heißen, daß alle Kommunikation mit unserem Schiff unterbrochen ist, Kapitän. Unsere Komm-Implantate arbeiten noch, aber nur hier unten unter der Planetenoberfläche. Alles andere wird irgendwie blockiert.«

Schwejksam verzog unglücklich das Gesicht. Es gefiel ihm überhaupt nicht, von seinem Schiff und damit vom Imperium abgeschnitten zu sein, und erst recht nicht in einer so unsicheren Situation wie dieser. Er hatte das Gefühl, daß hier unten, tief in den Eingeweiden des gefrorenen Planeten, alles mögliche geschehen konnte. Kommsignale wurden durch den Hyperraum abgestrahlt, und aus diesem Grund gab es normalerweise keinerlei Verzögerungen beim Nachrichtenaustausch, ganz gleich, wo im Imperium man sich im Augenblick aufhielt oder mit wem man sprach. Und jetzt erzählte dieser Stelmach ihm allen Ernstes, daß irgend etwas auf oder in diesem Friedhof von Planeten die Signale blockierte, und das sollte eigentlich unmöglich sein. Schwejksams unglückliches Stirnrunzeln vertiefte sich. Es hatte ihm von Anfang an nicht gefallen, in die Dunkelwüste vorzudringen, und es hatte ihm noch viel weniger gefallen, ohne jede fortgeschrittene Bodenaufklärung landen zu müssen, erst recht, als man ihn über die Geschichte dieses Planeten in Kenntnis gesetzt hatte. Aber die Befehle der Imperatorin waren unmißverständlich gewesen.

Sie wünschte ihn an Ort und Stelle, auf der Oberfläche, damit er ohne Verzögerung Entscheidungen treffen konnte, wenn es nötig sein sollte. Die Herrscherin hatte ihm in letzter Zeit eine ganze Menge Befehle gegeben, die ihm nicht gefielen.

Schwejksam hätte den Planeten beispielsweise ein gutes Stück früher erreichen können, wenn er nicht von Nebelwelt hätte zurückfliegen und diesen Stelmach zusammen mit seinem neuen Haustier wieder aufnehmen müssen, und anschließend auch noch den Hohen Lord Dram höchstpersönlich. Wenn er nicht wegen seiner neuen Passagiere diesen Umweg hätte machen müssen, hätte er bereits wenige Minute nach dem Schiff der Rebellen hier auf der Wolflingswelt sein und vielleicht sogar verhindern können, daß sie das Labyrinth des Wahnsinns überhaupt betraten. Trotzdem gedachte er keineswegs, der Herrscherin seine diesbezüglichen Gedanken mitzuteilen.

Er war nicht sicher, ob sie es freundlich aufnehmen würde.

Ganz und gar nicht sicher.

Dram hatte keine Umstände gemacht. Er blieb für sich an Bord des Schiffs und verließ kaum je sein Quartier, und obwohl er darauf bestanden hatte, zusammen mit dem Rest der Imperialen Truppen auf der Oberfläche zu landen, achtete er sorgfältig darauf, Schwejksams Leuten nicht im Weg zu stehen. Von all seinen Leuten schien Dram am wenigsten von der beinahe hypnotischen Anziehungskraft des Labyrinths beeinflußt zu werden. Das rätselhafte Gebilde zog die Augen auf sich wie ein Magnet, rätselhaft und beunruhigend. Dram schien es nichts auszumachen. Fast schien es, als würde er jeden Tag etwas Derartiges sehen.

Im Augenblick stand Dram ein wenig abseits. Er war in seinen dunklen Umhang gehüllt und betrachtete schweigend den Eingang zu dem Labyrinth, das ihren Weg blockierte. Er hatte das Gebilde Labyrinth des Wahnsinns genannt, aber nicht verraten, aus welchem Grund es so hieß, und auch nicht, was es mit diesem Labyrinth auf sich hatte. Schwejksam konnte nur vermuten, daß der Spion im Lager der Rebellen Dram Informationen hatte zukommen lassen, die der Hohe Lord nicht mit dem Rest seiner Leute zu teilen wünschte.

Schwejksam fügte sich zähneknirschend. Offiziell trug er die Verantwortung für die Landeoperation, aber er war schlau genug, sich den Wünschen Drams zu fügen, wo immer es ratsam schien. Es war nicht gut für die Karriere, den Gemahl der Imperatorin zu verärgern, und es verringerte überdies beträchtlich die Aussichten auf das Erreichen des Pensionsalters.

Schwejksam blickte erneut zu dem Labyrinth, und das Labyrinth blickte zurück und behielt ansonsten seine Geheimnisse für sich. Frost war dafür gewesen, auf direktem Weg einzudringen und es zu durchqueren, doch Dram hatte nein gesagt.

Höflich, aber entschieden. Er brauche Zeit, um das Labyrinth zuerst zu studieren, hatte er hinzugefügt. Anscheinend war er noch immer in das Studium des rätselhaften Gebildes vertieft, denn seither hatte er kein Wort mehr gesprochen.

Schwejksam wandte seine Aufmerksamkeit wieder zu K.

Stelmach, seinem Sicherheitsoffizier. Den Augen und Ohren Ihrer Imperialen Majestät, der Eisernen Hexe, und ganz generell ein Ärgernis wie Hämorrhoiden. Teilweise wegen seiner konstanten Arroganz und Überheblichkeit, aber größtenteils wegen seines Gepäcks.

Die Unerschrocken hatte Stelmach auf dem Planeten Grendel abgeholt, und der Sicherheitsoffizier war mit einem Schoßtier an Bord gekommen. Genauer gesagt, mit einem der Schläfer aus den Gewölben des Planeten. Es stand, oder besser gesagt kauerte, an der Seite, weit weg von allen anderen.

Mehr als drei Meter groß und nur von ungefähr menschlicher Gestalt, trug es ein nie von seinem Gesicht weichendes, entnervendes, drohendes Grinsen zur Schau, das seine stählernen Zähne enthüllte. Der gesamte Körper der Kreatur war von einem blutigroten, dornigen Panzer überzogen, und seine purpurnen Augen blinzelten nie. Das Wesen roch nach bitterem Honig und getrocknetem Blut. Die langgliedrigen Hände endeten in bösartige Klauen, und sein Kauern erweckte in dem Betrachter stets den Eindruck, als könnte es jeden Augenblick aufspringen und alles angreifen, was in seiner Nähe atmete.

Schwejksam hatte eine dieser Kreaturen bei der Arbeit gesehen. Sie hatte seine Leute förmlich geschlachtet, in der grauenerregenden Stadt, die sie tief im fauligen Herzen des Planeten Grendel entdeckt hatten. Die Kreaturen waren genetisch konstruierte Mordmaschinen, und sie waren vor Jahrtausenden von einer unbekannten Rasse entwickelt worden, um einen unbekannten Feind zu bekämpfen. Wenn Gott der Herr wirklich gnädig war, dann waren die beiden Rassen inzwischen ausgestorben. Trotzdem lebte ihr tödliches Erbe in den Gewölben des Planeten Grendel weiter.

Stelmach beteuerte zwar, daß dieses spezielle Wesen jetzt keinerlei Gefahr mehr darstellte, weil es unter der Kontrolle eines kybernetischen Jochs stand, das buchstäblich die Gedanken der Kreatur lenkte und es ihr unmöglich machte, etwas anderes zu tun, als Befehle zu befolgen. Aber Schwejksam war sich da nicht so sicher. Neue Erfindungen besaßen immer Schwachstellen und Fehler, und wenn das Joch versagte, wollte er nicht in der Nähe sein. Er wollte nicht einmal auf dem gleichen Planeten sein wie das fremde Wesen. Schwejksam war sogar in Versuchung gewesen, ausdrückliche Befehle zu mißachten und der Kreatur die Passage auf der Unerschrocken zu verweigern, aber am Schluß war ihm nichts anderes übriggeblieben, als zuzustimmen. Erstens, weil K. Stelmach direkt für die Imperatorin sprach und man einen Befehl Ihrer Imperialen Majestät nicht ignorierte, wenn man den Sonnenuntergang noch erleben wollte, und zweitens, weil er den Schläfer vielleicht noch dringend gebrauchen konnte, wenn die Hadenmänner in ihrer Gruft wirklich aufgeweckt wurden, und wenn es nur aus dem Grund war, die Chancen ein wenig gleichmäßiger zu verteilen. Er würde gegen praktisch jeden nur vorstellbaren Gegner auf die Kreatur von Grendel setzen… einschließlich einer ganzen Armee von aufgerüsteten Kriegern und Kyborgs.

Seine eigene Armee, sofern man von einer Armee sprechen konnte, stand tatenlos herum und wartete sichtlich entnervt darauf, daß der Hohe Lord endlich aufwachte und sich zu einer Entscheidung durchrang. Zwei volle Kompanien Imperialer Marineinfanteristen, fünfunddreißig Kampfesper und zwanzig Wampyre. Die Infanteristen murmelte leise untereinander und warfen verstohlene Blicke zum Labyrinth, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Alkohol und Kampfdrogen wurden herumgereicht. Die Kampfesper blickten überall hin, nur nicht zum Labyrinth, und sie schienen zunehmend nervös zu werden. Die Wampyre waren die einzigen, die unbeeindruckt wirkten. Sie sahen aus wie wandelnde Tote, aber so sahen Wampyre eben aus. Sie ignorierten das Labyrinth völlig, und Schwejksam versuchte es auf seine Einbildung abzuschieben, daß sie immer hungriger zu werden schienen.

Der Kapitän der Unerschrocken seufzte leise. All das nur wegen einer Handvoll Rebellen. Er verstand noch immer nicht, was an ihnen so Besonderes sein sollte, obwohl sie ihm eine höllische Jagd geliefert und ihn am Ende bis hierher geführt hatten, mitten in die Dunkelwüste hinein. Zu einem beinahe legendären Planeten, zur Gruft von Haden und dem Dunkelwüsten-Projektor. Schwejksam hatte insgeheim die Hoffnung gehegt, man würde ihm erlauben, die Rebellen an Ort und Stelle zu eliminieren und die Angelegenheit endlich hinter sich zu bringen, aber Stelmachs Worten zufolge hatten sie die Herrscherin persönlich beleidigt und verärgert, und das bedeutete, daß sie gefangenzunehmen und lebend, wenn auch nicht unbedingt unverletzt, nach Golgatha zurückzubringen waren. Sie zu töten wäre menschlicher gewesen. Und während der ganzen Zeit, in der seine Armee wartend herumstand und nichts tat, entfernten sich die Rebellen weiter und weiter und kamen der verdammten Gruft immer näher Schwejksam bedeutete Stelmach mit einer müden Geste, sich wieder zu seinem Haustier zu begeben, und der Sicherheitsoffizier salutierte steif, bevor er kehrtmachte und davonstiefelte. Frost regte sich an Schwejksams Seite, und er wandte den Kopf zu ihr.

»Was stellt das Gebilde vor uns Eurer Meinung nach dar?«

fragte sie leise. »Allein der Anblick bereitet mir Unbehagen.«

»Nach Auskunft des Hohen Lords Dram nennt es sich das Labyrinth des Wahnsinns«, erwiderte Schwejksam, wobei er sorgfältig darauf achtete, seine Stimme ebenfalls zu dämpfen.

»Doch wenn Ihr wissen wollt, was das bedeutet, müßt Ihr raten. Ich weiß auch nicht mehr. Vielleicht weiß Dram Bescheid, aber wenn, dann verrät er es nicht. Anscheinend stellt es eine der Verteidigungseinrichtungen der Hadenmänner dar und soll Eindringlinge wie uns abwehren. Mit ziemlicher Sicherheit voller Fallen, wenngleich unsere Esper imstande sein sollten, sie rechtzeitig zu entdecken. Jedenfalls sollten sie es besser, denn ich plane, sie als erste hineinzuschicken. Ich hatte gehofft, ich könnte Stelmach dazu benutzen, den direkten Befehl zum Betreten des Labyrinths von der Herrscherin zu bekommen, aber es scheint, daß unsere Kommunikationseinrichtungen irgendwie gestört werden, und uns bleibt nichts anderes übrig, als mit den Händen in den Taschen herumzustehen und zu warten, bis der verdammte Hohe Lord Dram sich herabläßt, eine verdammte Entscheidung zu fällen.«

Frost nickte verdrießlich. »Wie hält sich Stelmachs Schoßhund?«

»Noch ist er unter Kontrolle und wartet auf seinen Einsatz.

Uns fehlt nur ein Gegner, auf den wir die Kreatur hetzen könnten. Und eine möglichst große Deckung, hinter der wir die Köpfe einziehen, wenn es soweit ist. Mir wäre ein gutes Stück wohler, wenn Stelmachs Kontrolle sich nicht nur auf ein simples An/Aus beschränken würde. Ich kann mich des unguten Gefühls nicht erwehren, daß die Kreatur ganz genau weiß, was um sie herum geschieht, und daß sie nur auf einen geeigneten Augenblick wartet, um uns auf ihre Art ihr extremes Mißvergnügen mitzuteilen.«

»Laßt sie nur«, erwiderte Frost. »Ich würde ihr schon in den Hintern treten und ihr den Tag ruinieren.«

Das Dumme daran ist, dachte Schwejksam, sie glaubt es wirklich.

Er entschloß sich, das Thema zu wechseln, bevor sie sich an der Idee zu sehr begeistern konnte. Forst war sehr wohl imstande, das fremdrassige Wesen aus einer Laune heraus anzugreifen, nur um zu sehen, was geschah. Sie war ihr ganzes Leben hindurch darauf trainiert worden, fremde Lebensformen zu töten, und für sie war der Schläfer nichts weiter als eine Herausforderung. Schwejksam bedeutete Stelmach mit einer Handbewegung, wieder herbeizukommen. Der Sicherheitsoffizier warf ihm einen bösen Blick zu, trotzdem kam er Schwejksams Befehl ohne Murren nach. Er mochte Auge und Ohr der Herrscherin sein, aber Schwejksam war sein vorgesetzter Offizier. Im Augenblick jedenfalls noch.

Stelmach versuchte, den letzten Gedanken in seinem Gesicht und seiner Haltung zum Ausdruck zu bringen, als er sich steif vor dem Kapitän der Unerschrocken aufbaute und förmlich salutierte.

»Stelmach«, begann Schwejksam und lächelte kameradschaftlich warm, »Investigator Frost und ich haben uns über Euch unterhalten. Wir sind sehr neugierig geworden, wofür das K. in Eurem Namen steht. Wir haben uns jede erdenkliche Mühe gegeben, um es herauszufinden, einschließlich einer Suche in den Schiffsdateien, aber wie es scheint, habt Ihr den Zugang zu allen Dateien blockiert. Als Euer Kapitän muß ich Euch sagen, daß es mir überhaupt nicht gefällt, wenn ein Mitglied meiner Mannschaft Informationen vor mir zu verbergen versucht. Schließlich kann man nie wissen, wozu diese Informationen eines Tages gut sein können, nicht wahr? Also seid ein guter Mann und verratet uns Euren Vornamen. Es sei denn, Ihr schämt Euch seiner.«

»Wie kommt Ihr darauf, daß ich mich schäme?« erwiderte Stelmach kühl. »An meinem Vornamen ist nichts Unehrenhaftes, dessen ich mich schämen müßte. Ich bevorzuge es lediglich ihn nicht zu benutzen.«

»Oh, fahrt nur fort«, sagte Frost. »Wir verraten nichts, wirklich. Außer natürlich es ist etwas Peinliches.«

Schwejksam fuhr ihr über den Mund und wollte eben einen neuen Anlauf starten, als der Hohe Lord Dram sich unvermittelt rührte und ohne sonderliche Eile zu ihnen hinüberschlenderte. »Schickt Eure Leute hinein, Kapitän. Zuerst die Infanteristen. Wir halten die Esper und Wampyre zurück bis wir sehen können, wie das Labyrinth auf die Marineinfanteristen reagiert.« Er warf einen kurzen Blick zu K. Stelmach. »Ihr bleibt ebenfalls zurück. Wir werden Euer Schoßtier später noch benötigen. Macht Euch keine Gedanken, Kühnhold. Ihr erhaltet Eure Chance.«

Er drehte sich um und ging zurück zum Eingang des Labyrinths. Stelmach blickte starr geradeaus, und zwei hektische rote Flecken brannten auf seinen Wangen. Schwejksam und Frost blickten sich vielsagend an und sagten kein Wort. Sie wagten es nicht. Manche Augenblicke sind einfach zu kostbar, um durch Worte gestört zu werden. Stelmach salutierte schweigend und beeilte sich, zu seinem Schläfer zurückzukehren. Er hätte eigentlich warten müssen, bis sein Kapitän ihn entlassen hatte, aber irgend etwas an seiner extremen Steifheit ließ Schwejksam vermuten, daß es keine gute Idee wäre, Kühnhold Stelmach ausgerechnet jetzt daran zu erinnern. Entschlossen schluckte er sein Grinsen hinunter und bedeutete den beiden Kompanieführern, sich bei ihm einzufinden. Sie kamen mit einer Geschwindigkeit herbei, die nur wenig unter der eines Kurzstreckensprints lag, begierig auf neue Befehle und die Gelegenheit, etwas zu tun zu bekommen, bevor ihre Leute sich unter dem Einfluß von Alkohol und Kampfdrogen gegenseitig zu verprügeln begannen.

Schwejksam nickte ihnen zu, während sie vor ihm Haltung annahmen und salutierten.

»Macht Eure Leute bereit. Auf Befehl des Hohen Lord Dram werden sich Eure beiden Kompanien in das Labyrinth begeben.« Er blickte die beiden Kommandeure scharf an, doch sie erwiderten seinen Blick seelenruhig, ohne ihre Gefühle preiszugeben. Schwejksam lächelte grimmig. »In einer idealen Welt würden wir zuerst ferngesteuerte Einheiten hineinschicken und das Labyrinth aus sicherer Entfernung von oben bis unten durchkämmen, aber offensichtlich ist unsere Welt alles andere als ideal. Es scheint, als hätten wir plötzlich nicht mehr genügend Zeit. Ich muß Euch nicht sagen, daß Ihr Eure Augen und Ohren weit offen- und Eure Sinne beisammenhalten sollt, aber ich möchte, daß Ihr sehr vorsichtig seid.

Mit Sicherheit gibt es Fallen und versteckte Gefahren, entweder durch das Labyrinth selbst, oder weil die Rebellen sie für uns zurückgelassen haben. Wir wollen unser Bestes tun, um ihnen eine Enttäuschung zu bereiten, und nichts auslösen, was wir nicht unbedingt auslösen müssen. Ich habe keine Lust, mir die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen und Briefe an Eure nächsten Verwandten abzufassen, in denen ich erkläre, warum Ihr oder Eure Leute in versiegelten Särgen nach Hause kommt.«

»Wer soll den Vorstoß anführen?« fragte Frost.

»Ich selbst werde es tun«, erwiderte der Kapitän tonlos.

»Das hier ist zu wichtig, um es jemand anderem zu überlassen, und ich wünsche keinen Widerspruch, Investigator.«

»Ich würde nicht im Traum daran denken«, sagte Frost brüsk. »Ganz besonders deswegen, weil ich aus genau dem gleichen Grund zusammen mit Euch hineingehen werde. Und ich wünsche keinen Widerspruch, Kapitän.«

Schwejksam wollte trotzdem widersprechen, als er bemerkte, daß die beiden Kompanieführer aufmerksam lauschten. Sie besaßen genug Geistesgegenwart, um nicht zu grinsen, aber Schwejksam funkelte sie dennoch wütend an. »Was ist? Habt Ihr keine Lust? Überprüft die Ausrüstung und macht Eure Männer bereit! Wir brechen in zehn Minuten auf, und ich will keine Ausreden hören. Investigator Frost und ich werden Euch anführen. Ich will, daß uns alle Esper begleiten, ohne Ausnahme. Wenn der Hohe Lord Dram etwas dagegen hat, schickt ihn zu mir, und ich werde ihn offiziell ignorieren. Wir lassen lediglich die Wampyre zurück, damit sie Kühnhold Stelmach und seinem Schoßtier Gesellschaft leisten können. Nur für den Fall. Habt Ihr Fragen? Wenn ja, dann sollten sie besser wichtig sein.«

»Jawohl, Sir«, erwiderte Jameson. Er war nur ein paar Monate länger Kompaniechef als sein Kollege Farrell, und er sorgte dafür, daß Farrell es nicht für einen Augenblick vergaß, indem er darauf bestand, immer als erster der beiden zu sprechen. Schwejksam hatte bisher nicht mehr als ein Dutzend Worte aus Farrells Mund gehört, aber er gab die Hoffnung nicht auf. Beide Kompanieführer sollten, nach ihren Akten zu urteilen, gute Leute sein, wenn es darauf ankam. Jameson blickte starr geradeaus und sprach mit gesenkter Stimme.

»Wird der Hohe Lord Dram uns in das Labyrinth begleiten, Sir?«

»Der Hohe Lord Dram… wird seine eigene Entscheidung treffen. Allerdings bezweifle ich keinen Augenblick, daß er uns folgen wird, wenn er erst sieht, wie vorsichtig und professionell wir vorgehen. Und jetzt setzt Eure Leute in Bewegung.«

Die beiden Kompanieführer salutierten und beeilten sich, zu ihren Männern zurückzukehren. Eine Reihe lauter Befehle wurde gebrüllt, und für eine Weile herrschte heilloses Durcheinander. Doch nach beeindruckend kurzer Zeit waren die Marineinfanteristen abmarschbereit. Die Wampyre schienen weder erfreut noch enttäuscht, daß man sie zurückließ. Sie versammelten sich in der Nähe K. Stelmachs und seines Schläfers und beäugten das fremdrassige Wesen neugierig.

Der Schläfer starrte ebenso interessiert zurück. Stelmach blickte sich hilfesuchend um. Schwejksam vermied es bewußt, seinem Blick zu begegnen. Die Esper hatten eine kleine Gruppe vor dem Eingang zum Labyrinth gebildet und liefen dort mit weitaufgerissenen Augen durcheinander wie erschreckte Schafe. Frost betrachtete das Treiben nachdenklich.

»Sie mögen das Labyrinth wohl nicht, wie? Ich kann mir nicht helfen, Kapitän, aber ich denke dauernd, wir täten besser daran, auf sie zu hören. Sie sehen Dinge, die uns verborgen bleiben.«

»Unglücklicherweise denke ich, Ihr habt recht«, entgegnete der Kapitän und verzog griesgrämig das Gesicht. »Ich hoffe nur, die ganze Bande hält mehr zusammen als die, die wir auf Grendel dabeihatten.«

»Ja«, sagte Frost gedehnt. »Ich bin noch immer damit beschäftigt, all das Blut und Fleisch von meinen Stiefeln zu kratzen.«

Schwejksam schenkte ihr einen gequälten Blick und schlenderte zu den wartenden Espern. Sie waren so fasziniert vom Labyrinth, daß sie seine Gegenwart erst bemerkten, als er zu sprechen begann. Einige wenige brachten etwas zustande, das halbwegs nach einem militärischen Gruß aussah, doch die meisten konnten nicht einmal richtig in Habacht stehen.

Schwejksam sah darüber hinweg. Von Espern konnte man eben keine militärischen Tugenden erwarten. Sie besaßen andere Qualitäten. Er nickte dem verantwortlichen Mann zu, einem Esper namens Gräber. Der Name paßte zu ihm. Er war groß und unglaublich hager, besaß ein knochiges Gesicht und leicht hervorquellende Augen. Schwejksam dachte unwillkürlich daß er schon Leute begraben hatte, die gesünder aussahen als Gräber, aber in der Akte stand, daß Gräber gut im Aufspüren von Dingen war, die andere übersahen, und in Schwejksam wuchs mit jeder Minute die Überzeugung, daß er jeden noch so kleinen Vorteil ausnutzen mußte, wenn es um die Überwindung des Labyrinths des Wahnsinns ging. Allein die Tatsache, daß er so dicht beim Eingang stand, erzeugte inzwischen eine Gänsehaut bei ihm. Am liebsten hätte er laut geseufzt, doch er durfte sich nicht die Blöße einer Schwäche geben, und schon gar nicht vor den Espern.

Seit er auf der Wolflingswelt gelandet war, auch bekannt unter dem Namen Haden, hatte sich rein gar nichts mehr richtig angefühlt, und niemand hatte es für nötig erachtet, ihn davor zu warnen. Niemand hatte zu Beginn dieser Angelegenheit auch nur mit einer Silbe erwähnt, daß er es mit einer ganzen Armee von Hadenmännern würde aufnehmen müssen. Nicht, daß es einen Unterschied gemacht hätte. Wenn man im allerletzten Augenblick eben noch einer Verurteilung durch ein Kriegsgericht entkommen war, dann ging man, wohin die Herrscherin einen sandte. Und wenn man Vorbehalte hatte, dann behielt man sie für sich. Schwejksam blickte streng zu Gräber, und der Esper erwiderte seinen Blick wie ein trauriger, leicht überraschter Fisch.

»Also gut, Gräber. Was stimmt nicht an diesem Labyrinth? Weshalb sind Eure Leute so aufgeregt?«

»Es lebt«, erwiderte Gräber. Seine Stimme war tonlos, aber fest. »Wir können die Gedanken des Labyrinths verstehen. Sie sind fremdartig und kalt wie Eis. Es weiß, daß wir hier sind. Es erwartet uns.«

Schwejksam seufzte unwillkürlich. Er hätte es besser wissen müssen. Ein Esper antwortete eben nicht vernünftig auf eine Frage. »Nun gut, Gräber. Soll das eine Metapher sein, oder wollt Ihr allen Ernstes behaupten, dieses Labyrinth wäre eine Art künstlicher Lebensform?«

»Mehr als das, Kapitän, viel mehr. Es ist keine menschliche Lebensform, und es wurde auch nicht von Menschenhand geschaffen.«

»Hadenmänner?«

»Keine Hadenmänner. Extraterrestrier. Fremde. Das Labyrinth steht schon sehr lange hier, Kapitän. Viel länger, als die Menschen den Raum erobert haben. Es wurde errichtet, konstruiert, und nicht geboren, aber es lebt in jeder Hinsicht. Es verfolgt seine eigenen Ziele, und sie decken sich nicht mit menschlichen Absichten oder Beweggründen. Wenn wir das Labyrinth betreten, tun wir das auf die Gefahr hin, unser Leben und selbst unsere Seelen zu verlieren. Zwischen diesen Metallwänden herrschen Kräfte, die uns verändern und weit über alles hinaus transformieren werden, was Menschen wissen. Wer auch immer das Labyrinth überlebt – er ist nicht mehr menschlich. Oder vielleicht auch… mehr als nur ein Mensch.«

»Sind die Rebellen durch das Labyrinth hindurchgegangen?« fragte Schwejksam. »Und wenn ja, haben sie es überlebt?«

»Ja, aber…«

»Kommt mir nicht mit ja, aber! Wenn die Rebellen durchgegangen sind, können wir das schon lange. Gibt es sonst noch etwas Wissenswertes, das Ihr mir mitteilen wollt?«

Gräber blickte den Kapitän aus traurigen Augen an, doch er kleidete seine Frustration nicht in Worte. Esper waren ausgebildet, um Befehle auszuführen. »Es gibt da einen Ort, in der Mitte des Labyrinths… Wir können ihn nicht sehen. Wir wagen es nicht. Etwas wartet dort, etwas Lebendiges, Machtvolles, aber es ist nicht Teil des Labyrinths.«

Schwejksam runzelte die Stirn. »Was meint Ihr mit lebendig? Ist es menschlich? Haden? Extraterrestrisch?«

»Wir wissen es nicht, Kapitän. Wir können es nicht sehen.

Etwas… hindert uns daran. Vielleicht ist es unser eigenes Bewußtsein. Ich glaube, wenn wir zu genau hinsehen, wenn wir es deutlich zu erkennen versuchen… dann werden wir alle verrückt.«

Großartig, dachte Schwejksam. Einfach großartig. Das hat mir gerade noch gefehlt. Noch mehr Komplikationen.

»Wir gehen jedenfalls hinein«, sagte er entschieden. »Ich werde als erster gehen, zusammen mit Investigator Frost, und ich möchte Euch direkt hinter uns sehen. Verteilt den Rest Eurer Leute zwischen den Infanteristen. Ein Teil von ihnen soll den Verstand weit offenhalten; wenn uns eine Gefahr droht, möchte ich frühzeitig gewarnt werden. Der Rest soll einen ESP-Schild errichten, so stark es nur geht. Ich möchte nicht, daß auch nur ein einziger verirrter Gedanke hindurchdringt. Und jetzt motiviert Eure Leute und setzt sie in Bewegung; wir brechen in wenigen Minuten auf.«

Der Kapitän stapfte davon, ohne eine Antwort abzuwarten, und gesellte sich wieder zu Frost, die ihr Schwert gezückt hatte und ein paar Lockerungsübungen veranstaltete, die jeden Feind zu Tode erschreckt hätten, der auch nur halbwegs mit einem Gehirn ausgestattet war. Schwejksam war nicht gerne derart grob zu den Espern. Er fühlte sich unbehaglich dabei, fast, als würde er ein verängstigtes Kind anbrüllen. Aber wenn er nicht grob mit ihnen umsprang, bestand die nicht ganz abwegige Möglichkeit, daß sie unter dem Druck zerbrechen würden. Was auch immer sie im Labyrinth gefunden hatten, schien sie zu Tode erschreckt zu haben. Er hoffte nur, daß sie mehr Angst vor ihm hatten als vor dem Labyrinth. Schwejksam blickte zurück auf die glänzenden Stahlwände und erschauerte unwillkürlich. Großartig. Jetzt hatten sie es doch tatsächlich fertiggebracht, auch ihm Angst einzujagen. Er versuchte sich auf Frost und ihre Schwertübungen zu konzentrieren. Sie übte unbeeindruckt weiter und kam schließlich in einer weichen, fließenden Bewegung zur Ruhe. Ihr sonst eher bleiches Gesicht erstrahlte in gesundem Rot, und sie sah ganz danach aus, als könnte sie es alleine mit einer ganzen Armee aufnehmen. Wahrscheinlich konnte sie das wirklich.

Schließlich war sie Investigator. Sie nickte Schwejksam zu und hob erneut ihr Schwert.

»Ich bin bereit, Kapitän. Können wir endlich aufbrechen?«

Schwejksam mußte unwillkürlich grinsen. »Habt Ihr eigentlich vor nichts auf der Welt Angst, Investigator?«

»Nein. Angst ist nicht gut für einen Investigator. Sie stört die Verdauung und hinterläßt tiefe Falten im Gesicht. Und außerdem – je größer die Herausforderung, desto größer die zu gewinnende Ehre. Zumindest hat uns das Imperium es so auf der Akademie gelehrt. Oder wollt Ihr etwa behaupten, man hat uns belogen?«

»Was? Das Imperium soll seine eigenen Leute belügen?

Vergeßt die Idee rasch wieder. Und jetzt laßt uns aufbrechen, Investigator. Ich will die Rebellen einholen, bevor sie die Hadenmänner aufwecken können.«

»Schnickschnack«, sagte Frost.

So kam es, daß Schwejksam und Frost und der Esper Gräber gar nicht lange nach ihrer Ankunft auf der Wolflingswelt vorsichtig das Labyrinth des Wahnsinns betraten, gefolgt von einer kleinen Armee schwerbewaffneter Marineinfanteristen und Esper. Das Labyrinth verschluckte sie ohne ein einziges Geräusch, und innerhalb von Sekunden waren sie aus den Augen derer verschwunden, die wartend hinter ihnen zurückblieben. Dram beobachtete mit unbewegtem Gesicht, wie die Truppen ins Labyrinth vorstießen, einer nach dem anderen, und er blickte noch lange auf die rätselhaft glänzenden Wände, nachdem der letzte seiner Leute verschwunden war. Unter seinem langen Umhang, unsichtbar für jeden Beobachter, waren seine Hände so fest zu Fäusten geballt, daß die Knöchel weiß hervortraten.

Zuerst schien das Labyrinth ein ganz normales Labyrinth zu sein. Jede der glänzenden Wände sah genau aus wie alle anderen, und was das Labyrinth auch immer an Überraschungen für sie bereithielt, es schien sie für sich behalten zu wollen.

Gräber übernahm von Anfang an die Führung. Er hielt den Kopf hoch erhoben, als wollte er den richtigen Weg mit der Nase erschnüffeln. Der Esper wählte die Abzweigungen und Biegungen mit unerschütterlicher Sicherheit und Konzentration, und Frost und Schwejksam folgten ihm dicht auf dem Fuß. Frost hielt kampfbereit Schwert und Disruptor in den Händen, und Schwejksam achtete ebenfalls darauf, die Hand stets in der Nähe seiner Waffe zu haben, ohne sie jedoch zu berühren. Er wollte nicht, daß seine Leute ihm die Nervosität anmerkten. Es war schlecht für die Moral, ganz zu schweigen von der Disziplin. Seine Leute marschierten in einer langen Reihe hinter ihm her, und Infanteristen und Esper schienen sich gleichermaßen unwohl zu fühlen. Die Männer blieben dicht beisammen, und die Unterführer hatten alle Mühe, ihre Leute daran zu hindern, sich zu einem wirren Haufen zusammenzudrängen. Es wurde wenig gesprochen, und die bleierne Stille ringsum ermutigte auch keine Unterhaltung. Wenn etwas auf sie zukam, und die Infanteristen waren sich mit jedem Schritt sicherer, daß etwas auf sie zukam, dann wollten sie es rechtzeitig hören. Die Esper konzentrierten sich auf ihren mentalen Schild und versuchten, überhaupt nicht an das verdammte Labyrinth zu denken.

Es dauerte wirklich nicht lange, bis Schwejksam herausfand, daß er das Labyrinth nicht mochte. Die Atmosphäre war bedrückend, und die schmalen Wege zwischen den schimmernden Wänden erweckten allmählich ein unbehagliches, klaustrophobisches Gefühl in ihm. Er fühlte sich wie in einem Sarg. Der letzte Gedanke sorgte dafür, daß sich die Falten auf Schwejksams Stirn noch weiter vertieften. Normalerweise gehörten beengte Räumlichkeiten nicht gerade zu den Dingen, die ihn erschreckten. Die vollgestopften Gänge und Quartiere an Bord eines Raumschiffes sorgten dafür, daß jede Form von Klaustrophobie rasch heilte, oder man wurde gefeuert. Aber das Labyrinth… irgendwie schien es überwältigend.

Schwejksam fühlte sich beinahe wie eine Laborratte, die durch das Labyrinth eines Wissenschaftlers huschte, ohne je darauf hoffen zu können, ihre Umgebung zu begreifen. Es lag weniger an der Größe des Labyrinths, sondern eher daran, daß er sich so klein fühlte.

Plötzlich lag eine eigenartige Spannung in der Luft, ein untrüglicher Hinweis, daß etwas geschehen würde. Etwas sehr, sehr Unangenehmes. Die Luft flimmerte, als sei sie kochend heiß, aber es war bitter kalt. Es roch nach Essig und brennendem Laub. Öliges Metall und alte Limonen brannten auf Schwejksams Zunge. Alle Farben schienen mit einem Mal unnatürlich grell zu leuchten, und Schwejksams verzerrte Reflexion in den glänzenden Metallwänden war irgendwie falsch. Monströs falsch. Er konnte das Zwitschern metallener Vögel hören, das Schreien von Säuglingen, und eine vereinzelte eiserne Glocke schlug weit, weit entfernt. Schwejksam schluckte mühsam und versuchte angestrengt sich zu konzentrieren, doch seine Gedanken schienen über das gesamte Labyrinth verstreut zu sein, und einige schienen überhaupt nicht seinem Kopf zu entspringen.

Gräber blieb unvermittelt stehen, und Schwejksam hätte den Esper beinahe umgerannt. Er hielt ebenfalls an und blickte sich wachsam um. Frost kam heran, mit erhobenem Schwert und schußbereitem Disruptor. Schwejksam konnte fühlen, wie der Rest seiner Leute stolpernd anhielt. Niemand sprach ein Wort, doch die Spannung lag so fühlbar in der Luft, daß sie ihn beinahe erdrückte. Schwejksam blickte hoch, aber dort war nur dieselbe undurchdringliche Finsternis zu sehen, die sie bereits die gesamte Zeit über begleitet hatte. Er blickte wieder auf die stählernen Wände, und sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er bemerkte, daß der glänzende Stahl keine Reflexionen mehr zeigten, weder von ihm noch von einem seiner Leute. Frost atmete rauh und stoßweise an seiner Seite. Sie schien beinahe zu zittern vor Lust auf einen Feind, auf den sie sich werfen konnte. Gräber starrte unbeweglich geradeaus. Seine Augen quollen noch weiter hervor als gewöhnlich. Sein Blick war auf etwas fixiert, das nur er alleine sehen oder fühlen konnte.

»Was ist los?« wollte Schwejksam barsch fragen, doch statt dessen würgte er die Worte nur hervor. »Eine Falle?«

»Es weiß, daß wir hier sind«, erwiderte Gräber, und seine völlig normale Stimme wirkte in der umgebenden Stille beinahe schmerzlich laut. »Es… es will uns nicht. Wir sind zu

… unflexibel. Wir sind nicht fähig, die Veränderungen zu ertragen, die es an uns durchführen möchte. Wir würden den Prozeß nicht überleben.«

»Wie weit sind wir vom Ausgang entfernt?« fragte Schwejksam, indem er versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Und wie weit sind die Rebellen vor uns?«

»Wir müssen umkehren, Kapitän.« Gräbers Stimme klang flach und kompromißlos. »Es will nicht, daß wir weitergehen. Es ist gefährlich für uns, hierzubleiben.«

»Wovon zur Hölle redet Ihr, Esper?« fauchte Frost. »Was seht Ihr?«

Gräber wandte sich zu Investigator Frost um, und plötzlich sickerte Blut aus seinen Augenlidern hervor und rann langsam über seine Wangen wie purpurne Tränen. Dann explodierten seine Augen mit einem weichen, nassen Geräusch, und Blut und andere Flüssigkeiten spritzten über Frosts Gesicht. Sie knurrte angewidert, aber sie wich nicht einen Zentimeter zurück. Blut floß in Strömen aus Gräbers Mund und Nase, aus seinen Ohren und den leeren Augenhöhlen. Schwejksam packte den Esper am Arm. Er schien förmlich zu Staub zu zerfallen. Der Esper klappte zusammen und sank langsam und würdevoll zu Boden, nur noch eine leere Hülle voller Blut.

Schwejksam und Frost stellten sich Rücken an Rücken, die Waffen kampfbereit in den Händen.

Ringsum waren Schreie zu hören, und einige davon klangen nicht im geringsten menschlich. Ein Marineinfanterist rannte auf Schwejksam zu. Er hatte seine Waffen weggeworfen und hielt sich mit beiden Hände die Ohren zu, als würde er unter entsetzlichem Lärm leiden. Er rannte einfach weiter, selbst als Schwejksam ihm in den Weg trat, und dann geradewegs durch den Kapitän hindurch wie ein Geist. Schwejksam warf sich herum und wollte dem Mann hinterhersehen, aber es gab keine Spur mehr von ihm. Er stellte sich wieder Rücken an Rücken mit Investigator Frost, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Kopf eines seiner Leute explodierte, als hätte jemand eine Granate hineingesteckt. Ein Schauer von Knochensplittern, Hirn und Blut fetzte durch die schreiende Masse von Soldaten und Espern.

Einer der Esper verschwand einfach, und Luft fuhr knallend in das Vakuum, wo er noch einen Augenblick zuvor gestanden hatte. Andere Esper schrien und lachten. Ihre Augen blickten leer in die Gegend. Ein Infanterist fiel in eine der Metallwände und verschwand, als hätte die Wand ihn absorbiert. Mitten im Gewühl erschien etwas Grauenerregendes: Ein Gewirr von Blut und Knochen und Eingeweide das vielleicht einmal ein Mensch gewesen war. Es streckte seine tropfende Hand nach Frost aus, bevor es mit einem nassen Klatschen wieder verschwand. Frost schüttelte heftig den Kopf, als pulsierender Kopfschmerz in ihren Schläfen zu rasen begann. Ihre Hände zitterten, aber sie hielten unverwandt die Waffen erhoben.

Zwei Marineinfanteristen rannten ineinander wie Farben, die ein Maler auf der Palette mischte, und ihr rohes Fleisch durchdrang sich gegenseitig über alle Hoffnung hinaus, es je wieder zu trennen. Sie schrien mit der gleichen verzweifelten Stimme, und Schwejksam hätte sie am liebsten erschossen.

Aber er tat es nicht. Vielleicht benötigte er die Ladung in seinem Disruptor noch, und wenn nur aus dem einen einzigen Grund, sich selbst zu töten, wenn er keine andere Möglichkeit mehr sah. Jetzt rannten panische Marineinfanteristen und Esper in alle Richtungen durcheinander, fremdartig verzerrt, als wäre der Raum selbst mit einem Schlag elastisch geworden. Und überall das rauhe Knallen explodierender Köpfe und das Lachen und Schreien von Menschen, die am Rand des Wahnsinns standen oder die Grenze bereits überschritten hatten.

Um Schwejksams Verstand herum baute sich ein wachsender Druck auf, als wäre sein Kopf in einem Schraubstock Seine Finger schienen plötzlich zu viele Gelenke zu besitzen, und er wagte nicht länger, seinem eigenen Körper zu vertrauen. Er biß die Zähne zusammen, schloß die Augen und versuchte, sich auf seine Mission und seine Pflicht zu konzentrieren.

Weder das eine noch das andere schienen noch besonders wichtig oder klar. Er zwang sich, die Augen erneut zu öffnen, und blickte sich verzweifelt um auf der Suche nach einem körperlichen Feind, den er erkennen und angreifen konnte – aber da war nichts, bis auf die entsetzlichen stählernen Wände und seine eigenen, sterbenden Leute. Schwejksam sah über die Schulter nach hinten und erkannte Frost, die auf die Knie gefallen war. Sie hielt noch immer Schwert und Disruptor, aber ihre Augen blickten verloren in eine ganz private Hölle.

Schwejksams Gedanken wurden mit einem Schlag wieder klar. Er packte Frost am Arm und riß sie auf die Beine, und wenn der Arm des weiblichen Investigators sich nicht wie der Arm eines Menschen anfühlte, nun, Schwejksam fühlte sich auch nicht wie ein Mensch. Er mußte aus dem Labyrinth verschwinden. Er mußte Frost aus dem Labyrinth schaffen. Er zielte mit dem Disruptor auf die nächste Wand und feuerte.

Der sengende Energiestrahl fuhr durch den Stahl, als wäre es Papier, ließ ihn zusammenschrumpfen und zur Seite kippen.

Er schob seine Waffe zurück ins Holster und griff nach Frosts Disruptor. Investigator Frost murmelte leise vor sich hin. In ihre Augen kehrte allmählich Leben zurück. Schwejksam richtete den Disruptor auf die nächste Wand, und sie fiel langsam zusammen und öffnete einen Weg. Er eilte in die Richtung zurück, aus der er das Labyrinth betreten hatte, jedenfalls so gut er sich orientieren konnte, und zog Frost am Arm hinter sich her.

Nur wenige Augenblicke später stolperte er aus dem Labyrinth, mit Frost im Arm, und Stelmach eilte herbei, um die beiden in Empfang zu nehmen. Schwejksam übergab ihm Frost. Plötzlich knickten seine Beine unter ihm weg. Er setzte sich, und jemand kauerte sich neben ihm nieder und drückte ein Hypo in seinen Nacken. Kalt zischend fuhr die Droge in seinen Kreislauf und brachte ihn wieder ein wenig zu sich.

Sein Kopf begann sich zu klären. Schwejksam erkannte, daß der Hohe Lord Dram über ihm stand und ein weiteres Hypo bereithielt, und zwang sich zurück auf die Beine. Er blickte zu Frost, die noch immer auf dem Boden saß. Stelmach hatte sich über sie gebeugt und hielt ein leeres Hypo in der Hand, während er beruhigend auf Frost einredete. Frost würde sich wahrscheinlich höllisch verlegen fühlen, wenn es ihr erst besserging, aber im Augenblick schien die Droge ihr zu helfen.

Schwejksam blickte zu Dram, der neben ihm stand.

»Wie viele haben es außer uns noch geschafft?«

»Niemand sonst«, erwiderte Dram. »Ihr beide seid die einzigen. Was ist im Labyrinth geschehen?«

Schwejksam schüttelte den Kopf und versuchte seine Gedanken in eine gewisse Ordnung zu bringen. »Eine Art ESP-Angriff. Die Leute wurden einfach verrückt. Das ganze Labyrinth ist eine einzige verdammte Falle.«

»Konnten Eure Esper Euch nicht schützen?«

»Nein. Im Gegenteil, sie waren am empfänglichsten für diesen Angriff.«

Dram nickte. »Das nächste Mal, wenn ich Euch sage, daß die Esper zurückbleiben, dann bleiben sie auch zurück, Kapitän.«

Schwejksam blickte Dram in die Augen. »Wußtet Ihr, daß das geschehen würde?«

»Nein. Aber ich hatte so einen Verdacht. Was schlagt Ihr als nächstes vor, Kapitän? Ihr habt all unsere Soldaten und Kampfesper verbraucht, doch wir müssen noch immer durch das Labyrinth hindurch, um die Rebellen einzuholen.«

Schwejksam starrte das Labyrinth an. Sein Kopf war wieder völlig klar. »Alles geht zurück an Bord der Pinasse. Der Pilot soll die Maschinen anwerfen und die Waffensysteme bereitmachen.«

Dram hob eine Augenbraue. »Wohin fliegen wir, Kapitän?

Wenn ich Euch an Eure Befehle erinnern darf und an die Dringlichkeit, mit der…?«

»Ihr müßt mich nicht erinnern«, unterbrach ihn Schwejksam. »Ich weiß, was ich tue.« Er setzte sich in Bewegung und gesellte sich zu Frost, die inzwischen ebenfalls wieder auf den Seinen stand und halbwegs bei klarem Verstand zu sein schien. Sie nickte dem Kapitän kurz zu.

»Danke, daß Ihr mich mit nach draußen genommen habt, Kapitän. Eine Weile gingen die Dinge ganz schön durcheinander. Laßt mir nur ein paar Minuten, um wieder zu Atem zu kommen, und ich bin für einen zweiten Versuch bereit.«

»Das wird nicht notwendig sein«, entgegnete Schwejksam.

»Wir werden dieses Labyrinth nicht wieder betreten. Ich habe eine bessere Idee. Und jetzt kommt mit zurück zur Pinasse.

Und bevor Ihr mich auch noch fragt: Nein, wir fliegen nirgendwo hin.«

»Sehr wohl, Kapitän. Darf ich fragen, wer mir so nett und beruhigend zugeredet hat, während ich auf dem Boden lag?«

»Kühnhold Stelmach, wenn es Euch interessiert.«

»Ah. Ich muß ihm wirklich meinen Dank aussprechen, wenn ich Zeit finde. Und ihm klarmachen, daß er ein toter Mann ist, wenn er auch nur ein Sterbenswörtchen erzählt.«

Sie blickte Schwejksam fest in die Augen. »Wir sind die einzigen Überlebenden, oder?«

»Ja. Die anderen sind alle tot. Wenn sie Glück gehabt haben.«

Frost nickte langsam. »Das wird wieder einer von diesen Tagen, kann ich Euch sagen.«

Es dauerte nicht lange, bis sie durch den Wald des Wolflings zurückgekehrt und bei der Pinasse angekommen waren. Die Unerschrocken hatte mit ihren Disruptorbatterien einen Weg durch die gefrorene Atmosphäre und die Planetenoberfläche bis hinunter in die versteckten Höhlen der Wolflingswelt geschossen, und anschließend war es nur noch ein Kinderspiel gewesen, mit der Pinasse durch den neugeschaffenen Tunnel in die alten Kavernen zu fliegen. Schwejksam führte den Rest seiner Truppen durch den Wald zu der Stelle, wo die Pinasse wartend lag, und ließ alle an Bord gehen. Das lange, schlanke Beiboot war bereits startklar, alle Systeme einsatzbereit, und Schwejksam verspürte eine grimmige Befriedigung, als er dem Piloten befahl, das Schiff langsam in Bewegung zu setzen.

Die Maschinen der Pinasse flüsterten drohend, als sie sich wenige Zentimeter über den Boden hob und dann Meter um Meter voranschwebte. Schwejksam hatte im Kommandantensitz auf der Brücke Platz genommen und blickte unverwandt auf den großen Bildschirm, der ganz von dem dunklen, ehrfurchtgebietenden Wald der Wolflingswelt ausgefüllt wurde.

Schwejksam betrachtete den Wald lange Zeit, dann übernahm er persönlich die Kontrolle über die Waffensysteme des Beibootes und brannte einen Weg mitten durch das Gehölz. Die meisten Bäume verschwanden im gleichen Augenblick, als die aus allerkürzester Distanz abgefeuerten Strahlen der schweren Disruptorgeschütze auftrafen. Langsam und gleichmütig glitt die Pinasse voran, immer nur wenige Meter über der versengten Erde. Ein paar brennende Stämme standen noch an den Rändern der breiten Schneise, die sich jetzt durch den Wald zog, aber nichts mehr blockierte den Weg zwischen der Pinasse und dem Labyrinth des Wahnsinns.

Schwejksam steuerte das Schiff bis zum Rand des Labyrinths, nur wenige Meter vor den ersten glänzenden Stahlwänden, und ließ es dort in der Luft anhalten. Das Labyrinth, in sich das Blut und die Geister von Schwejksams ermordeten Männern, schien seinen Blick schweigend und arrogant zu erwidern. Der Kapitän lehnte sich in seinem Sitz zurück und grinste kalt. Frost stand schweigend neben ihm, wie immer.

Schwejksams Hand bewegte sich zu den Feuerkontrollen. Es mochte zu spät sein, um das Leben seiner Männer zu retten, aber es war nicht zu spät für Rache. Die Imperialen Wissenschaftler würden angesichts des Verlustes dieses bedeutsamen fremdrassigen Artefakts vor Wut toben, doch Schwejksam gab einen verdammten Dreck auf die Imperialen Wissenschaftler und ihre Meinung. Er grinste erneut und eröffnete das Feuer.

Das Labyrinth zerfiel beinahe im gleichen Augenblick. Seine metallenen Wände rollten sich zusammen und lösten sich in Rauch auf wie Blätter, die von einem Flammenwerfer erfaßt werden. Schließlich schaltete der Kapitän die Disruptorkanone wieder ab und lauschte interessiert auf die neuen Sensorablesungen, die ihm von der Brückenbesatzung gemeldet wurden. Vom Labyrinth des Wahnsinns war nicht die kleinste Spur zurückgeblieben, und die dahinter liegende Stadt der Hadenmänner war ebenfalls in Schutt und Asche gefallen.

Luft und Temperatur sanken rasch wieder auf normale Werte zurück, aber schließlich schuldete das Schicksal Schwejksam auch einmal ein wenig Glück.

Er verließ die Pinasse als erster, nachdem das Schiff gelandet war, und trat auf die geschmolzene und wieder erstarrte Ebene hinaus. Frost kam direkt hinter ihm. Die Luft war noch immer heiß und trocken und reizte ihre Lungen. Sie entdeckten nicht mehr den kleinsten Hinweis, daß genau hier einmal das Labyrinth des Wahnsinns gestanden hatte. Frost kicherte fröhlich.

»Wer sich mit uns anlegt, ist selber schuld. Wir haben die größeren Kanonen. Nettes Schützenfest, das Ihr da veranstaltet habt, Kapitän. Habt Ihr je darüber nachgedacht, Investigator zu werden?«

»Zu schade um das Labyrinth«, brummte Lord Dram und gesellte sich zu Schwejksam und Frost. »Ich hätte es zu gerne eingehender studiert, aber die Zeit drängt. Die Rebellen dürfen auf keinen Fall die Gruft von Haden erreichen. Wollt Ihr vorangehen, oder soll ich es tun?«

»Ich gehe zuerst«, erwiderte Schwejksam. »Das ist immer noch meine Mission.«

Er versammelte den Rest seiner Truppen, ein Dutzend Techniker aus der Pinasse, die Wampyre und Stelmach mit seinem Schoßtier, und führte sie über die ausgedehnte Ebene auf die Überreste der Stadt zu. Alle hielten ihre Waffen schußbereit in den Händen, doch nichts mehr stellte sich ihnen in den Weg. Die metallenen Wände waren verschwunden, und mit ihnen die Körper der Gefallenen. Schwejksam nahm sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt einen Gottesdienst abzuhalten. Die Form sollte schließlich gewahrt bleiben, auch wenn die Leichname nicht mehr existierten. Dann erblickte er ein leuchtendes Etwas, das einsam und allein in der Mitte der Ebene ruhte, und beschleunigte seinen Schritt. Kurze Zeit später hatten sie sich um einen großen, strahlenden Kristall versammelt und starrten schweigend auf den winzigen menschlichen Säugling, der darin zu schlafen schien.

»Also das ist wirklich interessant«, sagte Frost. »Warum haben die Sensoren der Pinasse nichts davon entdeckt?«

»Zur Hölle mit den verdammten Sensoren«, erwiderte Schwejksam. »Was mich viel mehr interessiert: Wie konnte es das Feuer der Disruptorgeschütze überleben?«

»Ein Kraftfeld von unbekannter Struktur«, erklärte Dram.

»Richtig!«, stimmte Frost dem Lord zu. »Ein Kraftfeld, das unsere Sensoren nicht orten konnten und das überdies stark genug ist, um dem Feuer schwerer Disruptorgeschütze aus allerkürzester Distanz zu widerstehen. Wer auch immer dieses Baby zurückgelassen hat, er wollte auf keinen Fall, daß jemand seinen Schlaf stört.«

»Laßt es liegen«, befahl Dram. »Es ist nicht weiter wichtig.

Nur die Rebellen zählen jetzt.«

»Einverstanden«, sagte Schwejksam zögernd. »Los, Leute!

Setzt Euch in Bewegung! Bleibt zusammen, wenn wir in die Stadt vordringen, aber kommt Euch nicht gegenseitig ins Schußfeld. Wenn Ihr jemanden seht, der nicht zu uns gehört, dann schießt. Wir haben keine Freunde hier unten.«

Bevor das Labyrinth zerstört wurde, versammelten sich die fünf, die es durchquert und überlebt hatten, am Rand der Stadt der Hadenmänner und begannen nach und nach zu begreifen, wie weit die Veränderungen reichten, die das Labyrinth an ihnen vorgenommen hatte. Sie alle fühlten sich stärker, schneller, gesünder, und ihre Gedanken waren ungewohnt klar und hell. Selbst der Hadenmann gestand, daß seine Systeme weitaus besser arbeiteten als zuvor. Sie blickten sich gegenseitig an und warteten, daß einer von ihnen in Worte faßte, was alle fühlten, und doch zögerte jeder, die feierliche Stimmung des Augenblicks durch Reden zu stören. Schließlich war es Owen, der ungläubig den Kopf schüttelte.

»Nach allem, was wir durchgemacht haben, dürfte ich gar nicht mehr auf den Beinen stehen. Aber ich fühle mich, als könnte ich es mit einer ganzen Armee aufnehmen.«

»Richtig«, stimmte ihm Hazel zu. »Und zwar einer großen Armee. Ich fühle mich… wie neugeboren. Alles scheint so…«

»… klar zu sein«, beendete Ruby ihren Satz. »So deutlich. Als würde ich die Welt zum ersten Mal richtig sehen. Und das Labyrinth – ich verstehe…«

»… seine Funktion, ja«, sagte Ohnesorg. »Ich muß nur einen Blick darauf werfen, und ich weiß, welchen Sinn es erfüllt. Evolution. Transzendenz. Perfektion. Wenn wir uns lange genug darin aufhalten würden, wer weiß, was aus uns noch alles geworden wäre. Habt Ihr bemerkt, daß jeder von uns weiß, was der andere sagen will? Wir vollenden gegenseitig unsere Sätze.«

»Ja«, sagte Giles. »Es ist wie ein unsichtbares Band. Ich kann es spüren. Wie ESP, aber tiefer, fundamentaler, stärker.

Wir haben uns verändert. Wir sind…«

»… anders«, sagte Mond. »Sehr viel anders als zuvor. Ihr seid jetzt mehr als gewöhnliche Menschen, und ich bin mehr als ein gewöhnlicher Hadenmann. Interessant. Ich frage mich, ob die anderen aus meinem Volk ebenfalls durch das Labyrinth gegangen sind, bevor sie sich in die Gruft zurückzogen.«

»Gott, ich hoffe nicht!« sagte Owen. »Das ist alles, was der Menschheit noch fehlt. Eine Armee von weit fortgeschrittenen Super-Hadenmännern.«

»Was auch geschehen mag«, entgegnete Mond ruhig, »ich glaube, ich kann garantieren, daß meine Leute in der kommenden Rebellion nicht an der Seite des Imperiums kämpfen werden.«

»Aber ich bin nicht sicher, ob ich Euch an meiner Seite haben will«, sagte Owen.

»Verdammt richtig, Aristo«, stimmte Hazel ihm zu. »Ihr Typen habt euch beim letzten Mal ziemlich unpopulär gemacht. Das kommt davon, wenn man ›Tod der Menschheit!‹ als Schlachtruf verwendet.«

»Imperiale Propaganda, mehr nicht«, widersprach Mond.

»Wir wollten nie mehr als unsere Freiheit.«

»Er sagt die Wahrheit«, kam Ohnesorg dem Hadenmann zu Hilfe. »Ich kann es spüren.«

»Ich auch«, erklärte Ruby Reise. »Es ist, als… als würde man zum ersten Mal Farben sehen. Seltsam. Sind wir jetzt Esper oder was?«

»Ganz eindeutig ›was‹«, sagte Owen. »Ich glaube Mond zwar auch, aber er war lange Zeit von seinem Volk getrennt.

Die Menschen ändern sich, und das gleiche gilt für Hadenmänner. Giles, du bist so still. Stimmt irgend etwas nicht?«

»Das Universum selbst hat sich verändert, seit ich es das letzte Mal gesehen habe«, antwortete Giles. »Und jetzt scheint es, daß ich selbst ebenfalls tiefgreifenden Veränderungen unterworfen bin. Entschuldigt bitte, wenn ich ein wenig verwirrt erscheine.«

»Wir können später darüber reden«, sagte Hazel. »In der Zwischenzeit sollten wir uns Gedanken machen, wie wir auf dem schnellsten Weg hinauskommen. Die Imperialen Truppen sind nicht weit hinter uns.«

Sie unterbrach sich und sah zurück zum Labyrinth des Wahnsinns. Die Augen ihrer Kameraden folgten Hazels Blicken, und ihre Sinne schienen durch ein Gefühl unmittelbar bevorstehender Gefahr geschärft. Sie hörten das Donnern einer sich nähernden Pinasse und das Fauchen einer schweren Disruptorkanone. Owen hatte eine Warnung auf den Lippen, aber bevor er ein Wort herausbrachte, schien das gesamte Labyrinth in einem blendenden Aufflammen tosender Energien zu explodieren. Die Rebellen drängten sich instinktiv zusammen, und ein Kraftfeld hüllte sie ein, das aus purer kollektiver Willenskraft zu stammen schien. Selbst der wilde Sturm entfesselter Energien konnte das Kraftfeld nicht durchdringen.

Die Gewalt der Explosion versiegte, und die Luft wurde langsam wieder klar. Das Labyrinth war verschwunden, ausgelöscht in einem einzigen Augenblick, und dort, wo es noch vor Sekunden gestanden hatte, schwebte eine Imperiale Pinasse über einer spiegelglatten, zu Glas erstarrten Ebene. Das Kraftfeld löste sich wieder auf, und die fünf Rebellen blickten sich mit einer Mischung aus Überraschung und Schock an.

Ringsum lag die Stadt der Hadenmänner zerstört und auseinandergerissen wie die Bauklötze eines Kindes, die ein Sturm zerstreut hatte. Überall waren Gebäude zusammengefallen, und ein Bild der Verwüstung bot sich, so weit das Auge reichte. So lange hatte die Stadt überdauert, und so schnell war sie von einer lieblosen Hand eingerissen worden.

»Und sie nennen mein Volk Monster«, sagte Mond.

»Das hätten wir sein können!« sagte Owen. »Wir müßten eigentlich tot sein!«

»Unser persönlicher Schutzschild«, sagte Hazel. »Das nenne ich eine angenehme Überraschung!«

»Nicht unbedingt«, entgegnete Mond. Er hatte die Fassung zurückgewonnen. »Wir mußten unsere kollektive Energie einsetzen, um ihn zu errichten. Wir können ihn nicht separat benutzen.«

»Mit anderen Worten«, ergänzte Jakob Ohnesorg, »Wir haben nur einen Schild, solange wir zusammenbleiben. Meint Ihr, das Labyrinth wollte uns etwas sagen?«

»Jedenfalls bin ich in Anbetracht der auf uns gerichteten Imperialen Geschützläufe mehr als bereit, dem Labyrinth zuzuhören«, sagte Ruby.

»Diese Kanonen sind nutzlos, bevor ihre Kristalle sich nicht wieder aufgeladen haben«, sagte Giles. »Also wird ihr nächster Schritt sein, Truppen auszusenden und die Ruinen durchsuchen zu lassen. Und wir können ihnen zeigen, wie stark uns der Besuch im Labyrinth des Wahnsinns gemacht hat.«

»Richtig«, sagte Hazel, und ihre Augen leuchteten bei dem Gedanken. »Sie haben keine Ahnung, welche Waffen wir bei uns führen. Das wird ein Spaß!«

»Halt, halt«, sagte Owen plötzlich. »Wo steckt der Wolfling?«

Sie unterbrachen ihre Unterhaltung und blickten sich verblüfft an und dann zu den umliegenden Ruinen, aber der Wolfling blieb verschwunden.

»Hat ihn jemand aus dem Labyrinth kommen sehen?« fragte Ohnesorg. »Ich schätze, ich habe überhaupt nicht auf ihn geachtet.«

»Vielleicht… vielleicht hat er es nicht geschafft?« vermutete Ruby Reise.

»Nein!« widersprach Giles entschieden. »Er hat es auf jeden Fall geschafft. Vielleicht war er vor uns wieder draußen und ist schon in die Stadt vorausgegangen.«

Die Augen der fünf glitten erneut suchend über die Ruinen.

Owen schüttelte schließlich den Kopf. »Ganz gleich, was er getan hat – es sieht nicht gut für ihn aus, oder?«

Dann wurden sie von dem Geräusch der landenden Pinasse abgelenkt. Die Maschinen des Schiffs erstarben, eine Rampe wurde ausgefahren, und Männer stürzten heraus und sicherten die Umgebung. Es schienen nicht allzu viele zu sein, aber Owens Augen verengten sich als er sie erkannte.

»Wampyre«, sagte er leise.

»Und der Mann, der sie anführt, ist der Hohe Lord Dram persönlich«, sagte Ruby. »Oberster Krieger und derzeitiger Liebhaber der Eisernen Hexe.«

»Nein, so heißt er nicht«, widersprach Giles. »Jedenfalls nicht wirklich. Ich vermute, es war eine Art Vorsehung, daß er zusammen mit mir hierher zurückgekehrt ist.«

»Wovon redest du?« fragte Owen. »Ich kenne den Mann. Jeder im Imperium kennt Lord Dram.«

»Aber ich kenne seinen richtigen Namen. Ich weiß, wer er in Wirklichkeit ist. Oder war«, sagte Giles, und sein Mund wurde zu einer harten, schmalen Linie. Die anderen Rebellen blickten den Ersten Todtsteltzer fragend an, doch Giles hatte nichts weiter zu sagen.

Wunderbar, dachte Owen. Noch mehr Geheimnisse. Dann erschien Stelmach mit seinem Schoßtier auf der Rampe, und Owen vergaß alles andere. Sein Mund fühlte sich beim Anblick der Kreatur plötzlich trocken an, und jahrtausendealte Instinkte ließen die Haare in seinem Nacken zu Berge stehen.

Nicht nur die Größe des fremden Wesens, sein Panzer und die viel zu vielen Zähne und Klauen erschreckten ihn. Owen konnte die Gefahr beinahe körperlich spüren, die von der Kreatur ausging, selbst auf diese Entfernung. All seine neugeschärften Sinne schlugen gleichzeitig in seinem Kopf Alarm.

Es war, als erblickte er den Tod selbst, der kalt und ohne besondere Eile durch das Scheinwerferlicht der Pinasse spazierte und nur darauf wartete, von der Leine gelassen zu werden.

Owen runzelte die Stirn. Eine Kreatur wie diese hatte er noch nie zuvor im Leben zu Gesicht bekommen. Auf der anderen Seite hatte die Kreatur wahrscheinlich auch noch nie jemandem wie Owen gegenübergestanden. Er war mehr als früher, stärker, schneller, und ein Teil von ihm schien sich förmlich danach zu drängen, seine neuen Fähigkeiten im Kampf gegen einen ebenbürtigen Gegner zu beweisen. Er blickte zu seinen Kameraden, die genau wie er von der fremdartigen Kreatur fasziniert zu sein schienen.

»Hat jemand einen Vorschlag, was das ist?« fragte Owen und gab sich Mühe, gelassen zu klingen.

»Häßlich«, erwiderte Hazel. »Es ist ganz definitiv häßlich.«

»Richtig«, stimmte Ruby ihrer Freundin zu. »Am besten, wir töten es gleich, bevor die Dinge allzu hektisch werden.«

»Nein«, widersprach Owen. »Wir wollen keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns lenken. Noch nicht jedenfalls. Sie sollen ruhig erst ein wenig näher kommen. Am besten in Reichweite unserer Waffen.«

»Klingt gut«, sagte Ohnesorg. »Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich fühle mich, als könnte ich einer Fliege das Auge aus schießen.«

»Er hat recht«, sagte Hazel. »Seht nur, wie weit sie von uns weg sind, und trotzdem kann ich die Imperialen so deutlich sehen, als wären sie nur ein paar Meter entfernt. Ich glaube, wenn ich mich konzentriere, kann ich sie sogar reden hören.«

»Die Wampyre werden jedenfalls eine unangenehme Überraschung erleben«, sagte Ruby. »Sie denken, sie haben es nur mit normalen Menschen zu tun. Sie mögen vielleicht genetisch verändert und aufgerüstet sein, aber wir sind das neue, stark verbesserte Modell.«

»Werdet nicht übermütig«, sagte Giles. »Wir sind noch immer weit in der Unterzahl und nicht so gut bewaffnet. Ein Schuß aus einem Disruptor kümmert sich einen Dreck darum, wie überlegen sein Ziel ist.«

»Du vergißt den Schutzschild«, widersprach Hazel.

»Nein, das tue ich nicht. Der Schild funktioniert nur, solange wir dicht beisammen sind. Was, wenn wir getrennt werden? Was, wenn wir ihn nur ein paarmal benutzen können, bevor wir uns verausgaben? Wir wissen erst wenig über unser neues Selbst, viel zu wenig, und unsere Beschränkungen gehören nicht dazu.«

»Ich bin Eurer Meinung«, stimmte Mond dem Ersten Todtsteltzer zu. »Die Chancen stehen nicht gerade zu unseren Gunsten. Wir können uns nicht erlauben, uns auf Kräfte und Fähigkeiten zu verlassen, die wir noch nicht richtig beherrschen. Also schlage ich vor, daß Ihr die Truppen in Atem haltet und ich mich beeile, die Gruft von Haden zu erreichen und mein Volk zu wecken. Nur mein Volk kann uns jetzt noch helfen.«

Und genauso schnell, wie er es gesagt hatte, war der Hadenmann auf und davon, eine schnell kleiner werdende Gestalt, die zwischen den Ruinen hindurchrannte, bevor sie ganz in den Schatten verschwand.

»Einfach großartig, wirklich!« brummte Hazel. »Da läuft unser Schild davon. Ein toller Anfang.«

»Und nicht nur unser Schild, sondern auch unser bester Kämpfer«, knurrte Ohnesorg. »Aber ich habe es ja gleich gesagt. Vertraue nie einem Hadenmann. Sie scheren sich einen Dreck um Befehle. Sie verfolgen immer nur ihre eigenen finsteren Pläne.«

»Laßt ihn nur gehen«, sagte Giles. »Wenigstens müssen wir jetzt nicht mehr aufpassen, daß uns keiner in den Rücken fällt.

Die Imperialen Truppen haben sich in Bewegung gesetzt. Wir sollten besser zusehen, daß wir uns eine geeignete Deckung suchen, bevor sie nahe genug herankommen, um uns zu entdecken.«

Die Rebellen betraten die zerstörte Stadt und bezogen hinter umgestürzten Mauern und in dunklen Eingängen Position. Sie beobachteten schweigend, wie die Imperialen langsam über die verglaste Ebene ausschwärmten, auf der einst das Labyrinth des Wahnsinns gestanden hatte, und manch ein Zeigefinger krümmte sich ungeduldig um den Abzug eines Disruptors. Owen wog seine Projektilwaffe unsicher in den Händen.

Er war noch nicht sicher, was er davon halten sollte.

Sie hatte bestimmt verschiedene offensichtliche Vorteile, zum Beispiel ihre Feuergeschwindigkeit, aber wenn es hart auf hart kam und Energieschilde eingesetzt wurden, war sie so nutzlos wie eine Keule. Das war ja auch der Hauptgrund, aus dem Feuerwaffen von Disruptoren abgelöst worden waren.

Doch Giles vertraute auf sie, und er war schließlich der Erste Todtsteltzer, der größte Kämpfer seiner Zeit. Owen seufzte leise und legte sich in einem dunklen Eingang in Deckung.

Feuerwaffen waren gut und schön, genau wie Disruptoren auch, aber das da draußen auf der Ebene waren Wampyre, und gleich eine kleine Armee von ihnen. Sie waren lebende Alpträume, schnell und stark und unaufhaltsam, außer durch einen Volltreffer mit einer Energiewaffe.

Dann machten die gegnerischen Truppen auf halber Strecke halt und versammelten sich um etwas, das sie dort gefunden hatten. Owen wußte, was es war, obwohl er nichts erkennen konnte. Der Dunkelwüsten-Projektor, der menschliche Klon, der tief und fest in seinem Kristall schlief, ungestört und unberührt durch die gewaltigen Kräfte, die dem Labyrinth des Wahnsinns zum Verhängnis geworden waren. Hazel rührte sich hinter einem Stapel von Trümmern ganz in Owens Nähe.

»Die Gruft von Haden ist nicht mehr weit von hier«, flüsterte sie. »Ich kann es spüren, ganz am Rand meines Bewußtseins. Kalt und unbarmherzig wie Stahl.«

»Stimmt«, sagte Owen. »Und das bedeutet, daß wir keinem unserer Gegner erlauben dürfen, an uns vorbeizukommen.

Mond wird alle Zeit benötigen, die wir ihm verschaffen können, um sein Volk zu wecken.«

»Ich bin immer noch nicht sicher, ob mir der Gedanke behagt«, sagte Ruby Reise, die hinter einem umgestürzten gläsernen Pfeiler kauerte. »Ich meine… Hadenmänner! «

»Ich weiß, was Ihr meint«, brummte Ohnesorg. »Aber wenn ich in all den Jahren als Staatsfeind Nummer eins etwas gelernt habe, dann die Tatsache, daß man sich seine Verbündeten nicht immer aussuchen kann.«

»Hört auf zu reden und behaltet die Imperialen im Auge«, zischte Giles unsichtbar im tiefen Schatten eines weiteren Eingangs. »Sie sind bald in Reichweite.«

»Genau wie die Hadenmänner«, sagte Ruby. »Mond mag vielleicht aufrichtig sein, aber vielleicht enden wir mit den Wampyren vor uns und den verdammten Hadenmännern im Rücken, ohne daß uns ein Fluchtweg bleibt.«

»Oh, jetzt hör schon auf zu maulen«, brummte Hazel.

»Wann bist du jemals vor der Aussicht auf einen guten Kampf davongelaufen?«

»Es ist eine Frage des Prinzips«, erwiderte Ruby »Ich habe eben gerne die Wahl.«

»Du hast früher einen Dreck auf die verdammten Prinzipien gegeben. Das Labyrinth des Wahnsinns hat dich anscheinend stärker verändert, als ich zuerst angenommen habe.«

Owen grinste unwillkürlich, als er dem liebevollen Gezänk der beiden Freundinnen zuhörte. Es war ein Augenblick der Wärme und geistigen Gesundheit in einer zunehmend verrückten Situation. Er hatte eine tiefgreifende Veränderung durchgemacht, wenn er auf den jungen Historiker zurückblickte, der nur seine Ruhe gewollt und zufrieden auf einem vergessenen Hinterwäldlerplaneten vor sich hin geforscht hatte. Jetzt stand er hier, verbündet mit Wolflingen und Hadenmännern und lebenden Legenden, und war im Begriff, eine Rebellion zu planen und anzuführen, die nichts Geringeres im Sinn hatte, als das größte und mächtigste Imperium zu stürzen, das die Menschheit je errichtet hatte. Wenn das kein Größenwahn war.

Wenn er die unerwarteten Wendungen bedachte, die sein Leben in der letzten Zeit genommen hatte, gab es allerdings nicht viel, das er anders gemacht hätte – mit Ausnahme des jungen Mädchens, das er auf Nebelwelt verkrüppelt hatte. Owen würde nie ihr Gesicht vergessen, bis zu dem Tag, an dem er starb.

Aber jetzt stand er hier, der Feind vor ihm, ein unbekannter Faktor in seinem Rücken, und wenn er sterben würde, dann konnte er wenigstens das Beste daraus machen und sterben, wie ein Todtsteltzer sterben sollte. Trotz all seiner Fehler und Schwächen hatte er sich immer als ehrenhaften Mann betrachtet. Er grinste, als ihm unvermittelt ein Gedanke kam.

»Giles, angenommen, wir kommen durch irgendein Wunder halbwegs lebend aus dieser Geschichte – was hältst du davon, wenn wir unseren Familiennamen ändern? Vielleicht sollten wir einen Namen annehmen, der ein wenig positiver klingt.

Ich meine, Todtsteltzer ist wirklich ein verdammt finsterer Name, wenn man es sich genau überlegt.«

»Dann hör auf, genau zu überlegen«, erwiderte sein Vorfahre leise. »Todtsteltzer ist ein guter Name. Ich selbst habe ihn ausgewählt. Er hat Stil.«

»Sie werden ihn niemals auf deinem Grabstein unterbringen«, mischte sich Hazel ein. »Er hat einfach zu viele Buchstaben.«

»Aufgepaßt«, meldete sich Ohnesorg. »Sie sind jetzt in Reichweite. Wird nicht mehr lange dauern, bis ihre Sensoren uns entdecken.«

»Richtig«, stimmte Ruby ihm zu. »Ich schätze, der Tanz beginnt jeden Augenblick. Wählt eure Partner sorgfältig aus und macht ja nichts, was eure Mütter gutheißen würden.«

»All diese Zeit ohne ein einziges Lächeln, und jetzt entwickelt sie einen Sinn für Humor«, sagte Ohnesorg. »Und dazu noch wirklich hintergründig.«

»Haltet jetzt den Mund und sucht Euch Eure Ziele aus«, unterbrach Owen das Wortgeplänkel. »Wollen doch mal sehen, ob wir nicht einige von ihnen ausschalten können, bevor sie bei uns sind.«

»Verdammt richtig«, sagte Hazel. Sie erhob sich unvermittelt, legte ihre schwerste Projektilwaffe an die Schulter und eröffnete das Feuer. Der Rückstoß ließ sie nach hinten stolpern, als ein Kugelhagel durch die auf einem Haufen stehenden Wampyre fegte und einige von den Beinen riß. Der Rest der Imperialen Streitmacht schaltete rasch seine Energieschirme ein und erwiderte das Feuer aus Disruptoren. Hazel tauchte in Deckung, und Owen hielt den Kopf tief unten, bis das blitzende Energiegewitter wieder abgeklungen war. Er zählte bis fünf, nur um sicherzugehen, dann hob er den Kopf aus der Deckung und feuerte seinen eigenen Disruptor. Der Strahl prallte von einem Energieschirm ab und fuhr wirkungslos in die Dunkelheit. Weitere Energiestrahlen zischten aus den Deckungen der Rebellen auf die Imperialen zu, und auch sie verpufften wirkungslos im Nichts. Ein Energieschild brach zusammen, wenn man ihn unter konzentrierten Beschuß nahm, doch die Rebellen besaßen nicht genügend Feuerkraft, und die Imperialen wußten das. Sie warteten, bis die Disruptoren der Rebellen verstummten, dann begannen sie ihren Sturm auf die Deckungen Owens und seiner Freunde, um den Kampf mit dem Schwert aufzunehmen, bevor sich die Energiekristalle wieder aufladen konnten. Und die Rebellen sprangen aus ihren Deckungen und tauchten die Imperialen in einen Hagel aus Blei.

Das Brüllen der Schüsse überraschte die gegnerischen Infanteristen und Wampyre. Einige von ihnen waren so leichtsinnig gewesen, ihre Schutzschirme wieder abzuschalten, um Energie zu sparen, und die Kugeln aus den Waffen der Rebellen bestraften ihren Leichtsinn mit dem Tod. Der Rest stürmte geschützt hinter den Energieschirmen weiter vor. Sie versuchten verzweifelt, auf Nahkampfdistanz heranzukommen und die Rebellen in ein Gefecht zu verwickeln, von dem sie etwas verstanden. Der Sicherheitsoffizier sprach zu seinem riesigen extraterrestrischen Begleiter, und das Wesen stürzte am Rest der Imperialen vorbei und griff die Rebellen frontal an. Die Kugeln prallten wirkungslos von seinem Siliziumpanzer ab.

Owen sprang aus seiner Deckung, um den Kampf mit dem Schwert in der Hand aufzunehmen, doch das Wesen schickte ihn mit einem beinahe lässigen Schlag zu Boden und rannte unbeeindruckt an den Rebellen vorbei in Richtung der Gruft der Hadenmänner.

»Es ist hinter Mond her!« rief Hazel.

»Laßt es ruhig«, erwiderte Owen und richtete sich wieder auf. Seine Oberlippe war aufgeplatzt, und er spuckte Blut.

»Mond ist wahrscheinlich der einzige von uns, der es mit der Kreatur aufnehmen kann.«

Dann waren die Imperialen heran. Ihre Zahl war durch den wütenden Feuerüberfall beinahe halbiert worden, aber das schien den Rest von ihnen nur um so wütender und entschlossener zu machen. Die Rebellen stürzten sich aus ihren Verstecken und warfen die Projektilwaffen und Disruptoren achtlos zur Seite. Aus der Nähe war ihr Einsatz zu gefährlich, weil die Schüsse von den Energieschirmen in alle möglichen Richtungen abgelenkt wurden. Die Rebellen stellten sich mit dem Schwert in der Hand dem Gegner. Schließlich vertrauten auch sie dieser Art von Kampf am meisten. Stahl prallte klirrend auf Stahl, und die Luft war erfüllt von Kampfgeräuschen.

Owen fand sich Angesicht zu Angesicht mit dem gegnerischen Kapitän wieder. Die beiden umkreisten sich vorsichtig, immer auf der Suche nach einer Lücke in der Deckung des anderen. Immer und immer wieder krachten ihre Klingen gegeneinander, und immer wieder lösten sie sich voneinander und umkreisten sich erneut, die Augen kalt und konzentriert.

Hazel und der Investigator standen Stiefelspitze an Stiefelspitze und hämmerten mit Schwertern aufeinander ein. Keine der beiden Frauen wich auch nur einen Zentimeter zurück.

Rings um diese beiden ›Privatkonflikte‹ griffen die überlebenden Wampyre mit wilder Wut an, und sie waren verblüfft und erschreckt, daß ihre Gegner mit der gleichen Kraft und Entschlossenheit zurückschlugen. Jakob Ohnesorg, Ruby Reise und Giles Todtsteltzer hatten das Labyrinth des Wahnsinns überlebt, und sie waren genausowenig normale Menschen wie die Wampyre auch. Der alte Todtsteltzer bewegte sich mit tödlicher Geschwindigkeit unter den Wampyren, und schwarzes Blut spritzte von seiner Klinge. Er war der allererste Oberste Krieger des Imperiums gewesen, und er war jetzt auf dem Gipfel seines Könnens angelangt. Niemand konnte ihm widerstehen. Er schnitt eine tiefe Bresche in die Reihen seiner Gegner, Menschen und Nichtmenschen, und tötete rücksichtslos, gnadenlos, unaufhaltsam wie eine Naturgewalt – und das war er wohl auch.

Jakob Ohnesorg und Ruby Reise hatten Rücken an Rücken Stellung bezogen und kämpften gegen einen scheinbar nicht versiegen wollenden Strom heranstürmender Feinde. Ohnesorg fühlte sich wieder wie ein junger Mann, stark und sicher, und sein Schwert war wie eine Verlängerung seines Willens.

Es schien ihm, als habe er noch niemals so gut gekämpft wie jetzt, aber die Übermacht der Wampyre war gewaltig, und sie waren schwer zu töten. Ruby kämpfte mit wilder, entschlossener Wut, hieb und stach und ignorierte die gelegentlichen Klingen, die ihre Verteidigung durchbrachen. Jakob Ohnesorg und Ruby Reise – zwei Kämpfer jenseits von Schmerz oder Erschöpfung, auf dem Gipfel ihres Könnens, und doch… am Ende war es nicht genug.

Nach und nach, Fuß um Fuß, Schritt um Schritt, wurden sie auseinandergetrieben und von Gegnern umzingelt. Zwei einsame Wölfe inmitten eines Rudels tollwütiger Jagdhunde.

Ohnesorg kämpfte weiter, das Gesicht ruhig und entschlossen.

Er blutete aus mehr als einem Dutzend Wunden, die jeden geringeren Mann umgeworfen hätten. Rings um ihn herum lagen Tote, und am Ende geschah das Unvermeidliche: Er stolperte über eines seiner Opfer. Die Wampyre schossen vor wie ein Mann, schlugen Ohnesorgs Waffe beiseite und brachten ihn schließlich ganz zu Fall. Jakob fiel hart, doch er kämpfte mit bloßen Fäusten weiter, während sich Klinge um Klinge in seinen Leib bohrte.

Ruby sah ihn fallen, und sie schrie vor Wut und Trauer. Von allen aus der Gruppe war Jakob Ohnesorg der einzige gewesen, der sie beeindruckt hatte. Ihr einziger Held. Sie wäre für Jakob Ohnesorg gestorben. Sie bahnte sich mit wilden, unwiderstehlichen Hieben einen Weg durch die Körper der herandrängenden Wampyre, bis sie über dem reglosen Jakob stand und dem Imperium verwehrte, ihn ihr wegzunehmen. Ein Disruptorstrahl traf sie von hinten zwischen die Schulterblätter, und sie stürzte über Ohnesorgs Körper und blieb reglos liegen. Der Umhang rings um das Loch in ihrem Rücken brannte gleichmäßig weiter.

Tobias Mond eilte durch die tote Stadt von Haden und wunderte sich, daß sie ihm so fremdartig vorkam. Er hatte die Heimat seines Volkes noch nie zuvor gesehen, aber er war dennoch ein Hadenmann und hätte eigentlich erwartet, daß ihm die Stadt vertrauter erscheinen würde, ja sogar einladend.

Statt dessen rannte er zwischen hochaufragenden Ruinen aus Stahl und Beton hindurch, deren Umrisse keinen Sinn für ihn ergaben, zusammengestellt in Mustern, die ihm rätselhaft unzugänglich blieben. Er hatte zu lange unter Menschen gelebt und ihr Gefühl für Schönheit und Ästhetik übernommen, daran mußte es liegen. Er würde vieles von dem, was er gelernt hatte, wieder vergessen müssen, wenn er bei seinem eigenen Volk bleiben wollte – das hieß, wenn sie ihn überhaupt bei sich dulden würden.

Irgendwann blieben die Bauwerke hinter ihm zurück, und Mond erreichte nach all den Jahren die Gruft von Haden. Sie stand alleine in einer gewaltigen natürlichen Höhle, ein riesiger Bienenstock aus Silber und Gold, dick mit Eis überkrustet.

In ihren zahllosen Wabenzellen warteten Tausende von Hadenmännern darauf, aus ihrem endlosen Schlaf erweckt zu werden. Warteten auf ihn, der sie wieder ins Leben zurückholen und von neuem auf die Menschheit loslassen würde.

Mond blickte unentschlossen auf die massive Gruft und wußte nicht mehr, was er tun sollte. Eigenartige Lichter zuckten zwischen den Zellen hin und her, als ob die in ihnen Ruhenden gemeinsam von einem besseren Leben träumen würden, doch Mond stand einfach nur da und beobachtete.

Er hatte sich immer als Hadenmann gefühlt, schon allein deswegen, weil die Menschen einen Hadenmann in ihm gesehen hatten. Sie hatten den goldenen Glanz seiner Augen gesehen und das rauhe Summen seiner Stimme gehört und selbst dann vorsichtigen Abstand zu ihm gehalten, wenn sie mit ihm gesprochen hatten. Und so hatte er viele Jahre unter Menschen verbracht, unter ihnen, aber niemals wirklich einer von ihnen. Niemals.

Mond erinnerte sich nur an wenige Dinge aus der Zeit bei seinem eigenen Volk, während die Rebellion der Hadenmänner in den letzten Zügen gelegen hatte. Er war unterwegs zwischen zwei Planeten in aller Hast zusammengebaut worden, und seine ersten Erinnerungen waren die an eine Schlacht auf einer Welt, deren Namen er nie erfahren hatte. Die Hadenmänner hatten die Schlacht verloren und waren in schlanken goldenen Schiffen geflüchtet, mit deren Geschwindigkeit die Schiffe des Imperiums nicht mithalten konnten.

Nicht viel später war Monds Schiff vom Hauptverband getrennt worden und in einen Hinterhalt der Imperialen Flotte geraten. Man hatte sie zusammengeschossen, und sie waren auf Loki notgelandet. Mond war einer der wenigen Überlebenden gewesen. Er hatte sich für einige Zeit versteckt gehalten und wie ein Tier von dem gelebt, was die Natur ihm bot oder was er hatte stehlen können. Es dauerte nicht lange, da fand er heraus, daß es eine Reihe von Menschen gab, die einen Krieger wie ihn dringend gebrauchen konnten, und so wurde er von Herrn zu Herrn weitergereicht, von Planet zu Planet, bis er schließlich wie so viele andere auch auf Nebelwelt gelandet war, weil es keinen anderen Ort mehr gegeben hatte, wo er hätte hingehen können. Auf Nebelwelt hatte er mit beinahe erschöpften Energiekristallen unter Menschen gelebt und sich kaum noch von ihnen abgehoben. Niemand auf Nebelwelt hatte sich um seine Vergangenheit geschert.

Wer dort lebte, der hatte genug damit zu tun, sein eigenes Entsetzen zu überwinden.

Und so war aus Tobias Mond, dem Hadenmann, ein weiteres Gesicht in der Menge geworden, akzeptiert als solches, und er hatte schließlich wie die Menschen zu leben gelernt.

Und dann waren die Rebellen gekommen, und mit ihnen die Chance, vielleicht endlich nach Hause gehen zu können. Die Chance, die Gruft auf der verlorenen Welt von Haden zu finden und zum Retter seiner Rasse zu werden. Die Versuchung war einfach zu groß gewesen, um die Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Er dachte über die Rebellen nach und wurde noch unsicherer. Gute Kämpfer allesamt, wenngleich aus den verschiedensten Motiven. Sie hatten ihn als einen der Ihren behandelt, manchmal sogar eher als einen Freund denn als bloßen Verbündeten, und sie kämpften und starben jetzt im Augenblick dort hinten für ihn, damit er genug Zeit gewann, sein Volk zu wecken. Und das, obwohl die wiedererweckten Hadenmänner sie vielleicht als allererste umbringen würden. Mond starrte konzentriert auf die Gruft. Er mochte die Rebellen. Sie waren tapfer, und sie waren wahre Krieger.

Sie standen füreinander ein und waren durch Blut und Freundschaft miteinander verbunden. Sie erschienen ihm wie die Familie, die er nie besessen und die er sich voller Schuldgefühle (weil es vielleicht kein Gefühl war, das ein richtiger Hadenmann empfand) immer ersehnt hatte. Doch sie waren Menschen, und er war kein Mensch und würde niemals einer sein. Hadenmänner kannten kein Geschlecht. Männern und Frauen wurden die Genitalien entfernt, zusammen mit einer ganzen Reihe anderer unwichtiger Dinge, wenn sie aufgerüstet wurden. Hadenmänner wurden produziert, nicht geboren, aus Rohstoffen konstruiert, Mensch wie Maschine, wie es gerade erforderlich war. Er fragte sich, ob seine Rebellenkameraden sich noch immer seine Freundschaft gewünscht hätten, wenn sie darüber Bescheid gewußt hätten.

Vielleicht. Sie waren wirklich bemerkenswerte Menschen.

Aber sie gehörten nicht zu seinem Volk. Wenn er jemals zu seinem eigenen Volk zurückkehren wollte, zu dem Gefühl, hinter dem er so lange hergejagt war, dann blieb ihm gar keine andere Wahl, als die Hadenmänner in ihrer Gruft zu wecken. Seine Hände glitten sicher über die in bequemer Höhe angebrachten Kontrollen, und er begann voller Zuversicht mit den Aufweckroutinen, die ihm vor so vielen Jahren einprogrammiert worden waren. Und während seine Hände der einprogrammierten Erinnerung an den Aufweckprozeß folgten, fand er noch immer genügend Zeit, UHIZM überlegen, ob seine Sehnsucht nach der eigenen Art ebenfalls einprogrammiert worden oder ein Gefühl war, das er in seinen vielen Jahren unter Menschen von ihnen übernommen hatte.

Mond war beinahe fertig, als er hinter sich etwas spürte.

Seine verstärkten Sinnesorgane hatten kein Geräusch aufgefangen, doch sein durch das Labyrinth geschärftes Bewußtsein wußte plötzlich, daß er nicht mehr länger allein war. Er wirbelte herum und sah sich dem Extraterrestrier gegenüber, den er vorher zusammen mit den Imperialen hatte vorrücken sehen. Die Kreatur überragte ihn in ihrem stacheligen purpurroten Panzer turmhoch und spannte ihre klauenbewehrten Hände. Ekelhafter Speichel troff aus dem böse grinsenden Maul, und kleine Rauchwölkchen stiegen auf, wo er auf den Boden traf. Mond kam zu Bewußtsein, daß ein Mensch allein durch den entsetzlichen Anblick gelähmt gewesen wäre, doch der kühle, logische Verstand des Hadenmannes war bereits emsig damit beschäftigt, die massige Gestalt des Fremden nach möglichen Schwachstellen abzusuchen. Er berechnete anhand offensichtlicher Fakten wie Muskelgewebe und Körperbau die wahrscheinliche Stärke und Schnelligkeit seines Gegners, und die Antworten waren alles andere als beruhigend. Mit einer blitzschnellen, gleitenden Bewegung zog er den Disruptor aus seinem Halfter und feuerte auf die Kreatur, aber sie war nicht mehr dort, wo der Strahl hinschoß. Sie hatte sich noch schneller bewegt als der Hadenmann und war zur Seite ausgewichen. Mond schob die Waffe zurück und zog das Schwert. Es würde zwei Minuten dauern, bis der Energiekristall des Disruptors sich wieder aufgeladen hatte, und in Mond regte sich der starke Verdacht, daß der Kampf mit ziemlicher Sicherheit bis dahin längst vorüber war. Vielleicht hätte er doch nicht darauf verzichten sollen, eine Projektilwaffe mitzunehmen. Er grinste und spürte einen beinahe menschlichen Nervenkitzel bei dem Gedanken an die erste echte Herausforderung seit Jahren. Wenn ihm genug Zeit geblieben wäre, würde er die Kreatur wahrscheinlich mit Vergnügen studiert haben, ihre Fähigkeiten und Talente, aber jetzt mußte sie einfach nur sterben. Sie stand zwischen Mond und dem Erwachen seines Volkes. Er aktivierte seine allerletzten Energiereserven und schaltete so viele seiner bionischen Verstärkungen ein wie nur irgend möglich. Neues Leben strömte durch seinen Körper, als würde er endlich aus dem langen Schlaf des Menschseins erwachen. Des Nur-Mensch-Seins.

Alte Systeme, seit langer Zeit abgeschaltet und ungenutzt, funktionierten plötzlich wieder, und Mond grinste kalt. Der Extraterrestrier stand im Begriff herauszufinden, zu was ein Hadenmann in Wirklichkeit fähig war und warum das Imperium der Menschen die Hadenmänner so fürchtete.

Aber er würde sich beeilen müssen. Er mußte handeln, solange seine letzten Reserven noch hielten.

Mond schoß vor, das Schwert ein singendes silbernes Flirren in der Luft, und diesmal war die fremde Kreatur nicht schnell genug. Dennoch schaffte sie es, den Hieb Monds mit dem Unterarm abzublocken. Die Klinge bestand aus gehärtetem Neu-Damaszener Stahl, und die Schneide ging selbst durch massives Gestein hindurch wie Butter. Und mit der ganzen Kraft des voll aktivierten Hadenmanns dahinter hätte sie den Arm der Kreatur glatt durchtrennen müssen. Doch weit gefehlt. Kein abgetrennter, zuckender Arm fiel zu Boden.

Statt dessen zersplitterte die Klinge von Monds Schwert.

Mond erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde und warf das nutzlos gewordene Heft der Waffe zur Seite, als die Kreatur nach seiner Kehle schnappte. Die beiden Gegner prallten zusammen, beinahe ebenbürtig an Kraft und Schnelligkeit, getrieben von Wut und Instinkt, zwei Kampfmaschinen, und jede konstruiert, die beste zu sein. Klauenbewehrte Hände schlossen sich um Monds Kehle, und er packte die weichen, schlüpfrigen Handgelenke der Kreatur mit all seiner Kraft.

Einen Augenblick standen sie sich reglos gegenüber, schweigend und verbissen in ihren Anstrengungen, und dann bog Mond langsam die Hände des Extraterrestriers von seinem Hals weg. Blut rann in seinen Nacken, wo die spitzen Krallen des Wesens in sein Fleisch eingedrungen waren. Mond löste plötzlich den Griff, machte einen Schritt in seinen Gegner hinein und hämmerte die Faust mit aller Macht in den Leib des Wesens. Ein Schlag, der jedem Menschen alle Knochen gebrochen und dem Kampf augenblicklich ein Ende bereitet hätte, doch die Kreatur zuckte nicht einmal zusammen.

Monds Hand pulsierte vor Schmerz. Die Kreatur umschloß ihn in einer wilden Umarmung, die die Luft aus seinen Lungen zu treiben drohte, und ihre geifernden Kiefer zuckten in Richtung von Monds Gesicht. Der Hadenmann entwand sich gewaltsam dem Griff der Kreatur und wich schwer atmend zurück.

Das Wesen schoß so unvermittelt vor, daß selbst Monds verstärkte Sehorgane nur eine schattenhafte Bewegung wahrnahmen, und er verkürzte seine Reaktionszeit mit einem gedachten Befehl noch einmal Der Kyborg und der Extraterrestrier umkreisten sich vorsichtig, jeder von beiden zu schnell für das menschliche Auge. Fäuste schlugen zu, Klauen hieben durch die Luft und Kiefer schnappten, und das verschiedenfarbige Blut der beiden Kontrahenten spritzte auf den Boden.

Mond fühlte sich schnell und stark und beinahe allmächtig, und nicht die kleinste Spur von Schmerz oder Müdigkeit behinderte ihn, doch er wußte, daß das nur eine Illusion war. Er leerte seine allerletzten Energievorräte mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Es war nicht ungefährlich, weiter auf diesem Energieniveau zu bleiben. Wenn er den Kampf nicht bald beenden konnte, würde er einfach ausbrennen und seinem Gegner auch noch die Arbeit abnehmen, ihn zu töten. Im Zweifelsfall muß man eben zu einem Trick greifen.

Mond konzentrierte sich, und der in seinem Unterarm verborgene Disruptor trat aus dem verborgenen Schlitz im Handgelenk. Die Kreatur schien irgendwie zu ahnen, daß etwas nicht stimmte, und wich zurück. Mond grinste kalt und betätigte mit einem Gedankenimpuls den Auslöser. Die sengende Energie fraß ein Loch in die Eingeweide des Wesens und trat auf der Rückseite wieder aus. Mond schoß im gleichen Augenblick vor, um seinen vermeintlichen Vorteil auszunutzen, doch unglaublicherweise zuckte die Kreatur nicht einmal zusammen. Ihre Klauenhände schnappten zu und rissen Mond den linken Arm aus der Schulter.

Der Hadenmann stolperte zurück. Dunkles Blut schoß aus der schweren Wunde an seiner Schulter, doch sein aufgerüsteter Körper war schon dabei die durchtrennten Blutgefäße zu versiegeln, und er nutzte das implantierte Stahlgewebe unter seiner Haut, um die Wunde zu kauterisieren. Mond spürte die Schmerzen und den Schock, aber nur ganz schwach, wie aus weiter Ferne. Er besaß noch immer die volle Kontrolle über seinen Körper. Aber er war ja schließlich auch ein Hadenmann.

Die Kreatur untersuchte den zuckenden Arm in ihrer Hand und biß wild in den Muskel. Die mächtigen Kiefer mit den viel zu zahlreichen Zähnen rissen ein großes Stück Fleisch heraus, und das Wesen kaute genußvoll darauf herum. Mond warf aus den Augenwinkeln einen Blick auf das Kontrollpaneel hinter sich. Er hatte die Routinen schon beinahe beendet, die den Aufweckprozeß in Gang setzten, als das Wesen gekommen war und ihn unterbrochen hatte. Nur noch ein paar letzte Kodes, und sein Volk wäre frei und würde ihn retten.

Aber er wußte, wenn er sich auch nur den Bruchteil eines Augenblicks abwandte, würde die Kreatur ihn erneut anspringen.

Seine Energievorräte waren beinahe erschöpft, und die Wunde hatte ihn ziemlich viel gekostet. Er mußte den Kampf gewinnen, und zwar jetzt, solange er noch konnte.

Mond stürzte vor. Seine erweiterten Sinnesorgane sorgten automatisch dafür, daß der Verlust an Gleichgewicht, den seine schwere Verwundung verursachte, wieder ausgeglichen wurde. Die Kreatur warf den zur Hälfte gefressenen Arm beiseite und stemmte sich dem Hadenmann entgegen. Mond duckte sich unter den ausgestreckten Klauen hindurch und packte mit seiner verbliebenen Faust in das Loch im Unterleib der Kreatur. Sie zuckte spastisch, als Monds Hand auf der Suche nach einem lebenswichtigen Organ tief in ihren Eingeweiden wühlte. Jetzt tat er ihr weh, das wußte er. Und dann schloß sich das Loch in ihrem Unterleib um sein Handgelenk und hielt es mit eisernem Griff!

Mond blickte hoch in das grinsende Gesicht seines Gegners, in das aufgerissene Maul und die blutroten Augen, und mit der ruhigen und kalten Gewißheit des Hadenmann-Gehirns wurde ihm klar, daß er einen schweren Fehler begangen hatte.

Mit unbarmherziger Kraft packte die Kreatur Monds Kopf und riß ihn von den Schultern.

Der Körper des Hadenmanns zuckte konvulsivisch. Blut sprudelte aus der großen, ausgefransten Wunde zwischen den Schultern. Dann brach er zusammen, die Hand noch immer tief in den Eingeweiden des Extraterrestriers. Das Wesen hob Monds Kopf vor sein Gesicht und grinste in die brechenden goldenen Augen des Hadenmanns, dann warf es den Kopf in hohem Bogen weg. Er prallte auf den Boden, rollte noch ein Stück weiter und blieb neben dem Kontrollpaneel liegen, das den Eingang zur Gruft verschloß. In den letzten wenigen Augenblicken, in denen Monds Gehirn noch funktionierte, beobachtete der Kopf mit kaltem, verzweifeltem Haß, wie das Wesen seinen Körper zu fressen begann. Dann wurde es dunkel, und zusammen mit der letzten Energie in den Kristallspeichern erloschen seine Gedanken.

Giles Todtsteltzer und der Mann, der als der Hohe Lord Dram bekannt war, trafen in der Mitte der Schlacht aufeinander. Auf Drams Signal hin zogen sich die Wampyre ein Stück zurück und machten ihrem Herrn Platz. Giles’ Klinge war über und über mit Blut besudelt, während die von Dram noch makellos schimmerte. Der Lord hatte sich bisher aus den Kämpfen herausgehalten und auf den geeignetsten Augenblick zum Eingreifen gewartet. Giles stand da und war von toten Körpern umrundet, Marinetechnikern und Wampyren gleichermaßen.

Aus ihren weitklaffenden Wunden strömte noch immer Blut und tränkte den Boden. Der Erste Todtsteltzer grinste, als er Dram erblickte, und wischte das Blut von seiner Waffe.

»Ich hätte wissen müssen, daß ich dich hier treffe. Du bist immer dabei, wenn es blutig wird, wie? Wenigstens das hast du von mir gelernt. Du siehst gut aus, Sohn.«

»Ich achte eben auf mein Äußeres«, erwiderte Dram. »Ich hatte eine Menge Zeit zum Üben, während du im gesamten Imperium herumgekommen bist und den Obersten Krieger gespielt hast. Und weil du nicht da warst und deinen Vaterpflichten nachgekommen bist, beschäftigte ich mich eben damit, das große Spiel von Intrigen und Politik am Imperialen Hof zu studieren, all die Verschwörungen und geheimen Pläne und Machenschaften, mit denen du nie etwas zu tun haben wolltest. Genausowenig wie mit mir. Und jetzt bin ich all das geworden, was du immer gehaßt hast, Vater. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir bei diesem Gedanken warm ums Herz wird.«

»Du warst schon als Kind nicht ganz normal«, sagte der alte Todtsteltzer. »Du hast deiner Mutter das Herz gebrochen, und du hättest auch meines gebrochen, wenn ich es zugelassen hätte. Lange Zeit dachte ich, du wärst tot. Ich habe dem Attentäter schließlich eine Menge Geld bezahlt. Aber ich habe nie deine Leiche gesehen. Ich nehme an, du hast die Jahre in Stasis verschlafen, genau wie ich?«

»O ja, Vater. Ich wollte dabeisein, wenn du eines Tages wieder auftauchen würdest. Die Imperatorin Löwenstein fand und weckte mich, und die letzten Jahre verbrachte ich damit, mir jede Ehre und jedes Amt anzueignen, die du jemals besessen hast, und noch mehr. Es war sehr amüsant. Ich bin jetzt der Oberste Krieger und der offizielle Gemahl der Herrscherin, und eines Tages, in nicht allzu ferner Zukunft, werde ich selbst der Imperator sein. Und das Imperium, bei dessen Gründung du so fleißig geholfen und an das du so inbrünstig geglaubt hast, wird vor mir niederknien und mich fürchten.

Aber mach dir keine Sorgen, Vater, ich werde dich nicht vergessen. Ich werde deinen Kopf in einem Glaskasten direkt neben meinem Thron aufbewahren, damit ich dich jeden Tag sehen und mich amüsieren kann.«

»Du hast schon immer zuviel geredet«, entgegnete Giles.

»Willst du mich vielleicht totquatschen, oder wollen wir jetzt kämpfen?«

»Oh, wir werden kämpfen, Vater, keine Sorge. Ich warte schon so lange auf diesen Augenblick. Und mach dir keine falschen Hoffnungen; wenn es danach aussieht, als könntest du mich besiegen, werden meine Leute eingreifen und dich töten. Sterben wirst du auf jeden Fall.«

»Du hattest noch nie eine Spur Ehre im Leib.«

»Dafür hattest du immer zuviel. Zeit zu sterben, alter Mann. Ich will dich nicht länger auf die Folter spannen.«

Beinahe im gleichen Augenblick stießen sie zusammen: Klingenblitzen, Angriff, Parade, und wieder vom Gegner weg, schneller, als irgendein menschliches Auge hätte sehen können. Funken stoben, wo die Klingen sich kreuzten, und die Luft war erfüllt vom Klirren von Stahl auf Stahl. Die Kämpfenden stampften zurück und wieder vor, stöhnten wegen der Wucht ihrer Schläge, und langsam, Fuß um Fuß wurde Giles zurückgetrieben. Er hatte bereits genügend Wunden, um jeden geringeren Mann zu töten, und Dram war frisch und ausgeruht und ein ganzes Stück jünger. Sie kämpften weiter und weiter und vergaßen völlig ihre Umgebung, zwei unversöhnliche Seiten einer Blutfehde, die vor über neunhundert Jahren begonnen hatte.

Dram focht mit kalter, grimmiger Wildheit, die seinen Schlägen Kraft gab, und Giles’ Arm war bereits müde vom Kampf gegen die unnatürlichen Kräfte der Wampyre. Aber schließlich war Giles der Todtsteltzer, und Dram nicht. Giles ließ absichtlich eine Lücke in seiner Deckung, und Dram schoß vor und stieß sein Schwert in Giles’ Leib, direkt unterhalb der Rippen. Giles packte das Handgelenk von Drams Schwertarm und hielt ihn eisern fest. Dram versuchte seine Klinge zurückzuziehen, aber vergeblich. Giles ließ seinem Sohn eben genug Zeit, den Fehler zu erkennen, und er sah das plötzliche Aufflackern von Furcht in seinen Augen. Dann stieß er lächelnd die eigene Waffe in Drams Herz. Giles

lächelte noch immer, als das Leben aus seinem Sohn wich, dann zog er die Klinge zurück und ließ Drams reglosen Körper zu Boden gleiten. Vorsichtig zog er Drams Schwert aus der Wunde in seiner Seite, warf es weg und blickte sich herausfordernd um.

Die meisten Imperialen waren inzwischen tot oder lagen im Sterben, doch eine Handvoll Wampyre stand abseits und musterte ihn mißtrauisch. Hinter ihnen duellierten sich Owen und Hazel noch immer mit dem gegnerischen Kapitän und seinem Investigator. Giles zog den Disruptor und schoß auf einen der Wampyre. Der Strahl fuhr mitten durch seine Brust, und die Wucht warf ihn von den Beinen. Der Körper lag reglos zwischen seinen Kameraden. Die anderen Wampyre studierten die Leiche für einen Augenblick, als erwarteten sie, daß sie sich wieder erhob. Aber als das nicht geschah, wandten sie ihre toten Gesichter zu Giles und begannen ihn langsam zu umkreisen. Sie ließen sich Zeit. Sie wußten, daß er ihnen nicht entkommen konnte. Giles schluckte hart und versuchte, seinen rauhen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Wenn er den Kampf nicht rasch beendete, würde er verbluten, bevor die Wampyre ihn erwischten. Er spürte, wie aus der häßlichen Wunde in seiner Seite warmes Blut an seinem linken Bein hinunterströmte. Die Wampyre starrten gierig darauf, und Giles erschauerte unwillkürlich. Er war jetzt wirklich müde und spürte sein Alter, und sechs Wampyre wären selbst in seinen besten Zeiten ein wenig zu viel für ihn gewesen.

»Owen!«, brüllte er rauh. »Hör endlich auf, mit diesem Mann zu spielen, und such Mond! Er ist schon viel zu lange weg. Irgend etwas stimmt nicht! Wir brauchen die Hadenmänner!«

Owen fluchte leise in sich hinein. Er hatte beinahe jeden Trick angewendet, den er kannte, und der Kapitän wehrte sich noch immer. Aber da war noch eine Sache, die er bisher nicht versucht hatte. Ein Trick, den Hazel ihn gelehrt hatte. Ein ganz und gar nicht ehrenvoller Trick, um zu gewinnen, und deshalb hatte er ihn bisher nicht angewandt. Andererseits – verlieren war noch weniger ehrenhaft.

Er kreuzte die Klinge ein weiteres Mal mit dem gegnerischen Kapitän und riß das Knie mit brutaler Wucht nach oben.

Genau zwischen die Beine des Kapitäns. Das Schwert des Kapitäns wankte, als der Mann vor Schmerz die Augen schloß, und Owen schlug seine Klinge beiseite. Er packte den Kapitän mit der freien Hand an seiner Uniform und stieß ihm mit aller Kraft den Kopf ins Gesicht. Schwejksam fiel auf die Knie, und Blut schoß aus seiner gebrochenen Nase. Owen wandte sich um und rannte hinter dem verschwundenen Hadenmann her in Richtung Gruft. Er warf einen letzten Blick auf seine Kameraden und sah, wie Wampyre Giles umzingelten und ein wütender Investigator Hazel vor sich her trieb.

Owen blickte nicht wieder zurück. Er traute sich nicht.

Mond war nicht besonders schwer zu finden. Die Leiche des aufgerüsteten Mannes lag auf dem blutgetränkten Boden vor dem Eingang zur Gruft von Haden. Der Extraterrestrier saß daneben und riß mit klauenbewehrten Händen die Eingeweide aus Monds Leib, um sie anschließend zu fressen. Das Wesen blickte ohne besondere Eile auf, als Owen herankam, und rotes Blut tropfte von seinen grinsenden Stahlzähnen. Owen riß den Disruptor heraus und schoß, aber das Wesen war schneller. Es wich dem Energiestrahl ohne sichtbare Mühe aus und grinste noch breiter. Owen zog die Projektilwaffe aus seinem Gürtel, und das Wesen stürzte sich auf ihn. Owen bekam nicht mehr als zwei Schüsse aus dem Lauf, die beide wirkungslos vom Körperpanzer der Kreatur abprallten, dann war sie auch schon über ihm.

Owen blieb nicht genügend Zeit, um das Schwert zu ziehen, und er stolperte zurück, während er die Handgelenke des Wesens umklammerte, damit sich die Klauen nicht um seinen Hals legen oder in seine Kehle bohren konnten. Die Kreatur überragte ihn mannshoch, und ihre blutigen Kiefer schossen auf sein Gesicht zu. Owen löste seinen Griff, ließ sich fallen und warf sich nach vorn, zwischen den Beinen des Gegners hindurch. Er prallte heftig auf den Boden, rollte sich ab und war blitzschnell wieder auf den Beinen, während er sein Schwert zog. Die Kreatur wirbelte herum, und Owen begegnete ihrem kalten Grinsen mit seinem eigenen. Er dachte an Hazel und Giles, die alleine den Imperialen Truppen gegenüberstanden, und an Ruby Reise und Jakob Ohnesorg, die im Kampf gefallen waren, und an Mond, der so kurz vor allem gescheitert war, was er je zu erreichen gehofft hatte, und Wut stieg in ihm auf, kalte, wilde, unbezähmbare Wut. In diesem Augenblick verkörperte die Kreatur alles, was das Imperium ihm angetan hatte und denen, die ihm nahestanden. Owen war außerstande gewesen, den Zorn bei seinem Kampf mit dem gegnerischen Schiffskapitän heraufzubeschwören. Sein Kampf mit Ozymandius um die mentale Kontrolle seines eigenen Körpers hatte viel zuviel von seinen Energiereserven verbraucht, deshalb hatte er nicht gewagt, den Tarn gegen den Kapitän zu benutzen. Aber jetzt gab er einen Dreck auf Energiereserven. Die Kreatur mußte sterben, damit er die Hadenmänner wecken und Hazel und Giles retten konnte. Alles andere war ohne Bedeutung. Die Kreatur stürzte vor, und er begegnete ihr mit dem Schwert in der Hand. Er war ein Todtsteltzer, und die Kreatur würde herausfinden, was das bedeutete.

Mit aller Kraft, die der Zorn ihm verlieh, schwang er das Schwert gegen den Hals der Kreatur, und die Klinge zersplitterte an dem diamantharten Panzer. Die Hände der Kreatur schossen vor und schlossen sich um seine Schultern. Die entsetzlichen Klauen bohrten sich tief in sein Fleisch, bis auf die Knochen, und Blut strömte an Owens Armen herab. Die Kreatur versuchte, ihn dichter zu sich heranzuziehen. Owen stemmte die Hand, die noch immer das zersplitterte Schwert hielt, gegen die Brust seines Gegners. Zorn geladene Muskeln arbeiteten gegen die rohe Kraft der Kreatur, aber Owen wurde trotzdem Zentimeter um Zentimeter näher an die schnappenden Kiefer herangezogen. Jeder andere Mensch wäre inzwischen längst tot gewesen, und trotz seines Zorns und all der neuen Kräfte, die er im Labyrinth des Wahnsinns erlangt hatte, war Owen noch immer ein Mensch, und in den kalten purpurnen Augen der Kreatur sah er seinen Tod.

Dann fiel sein Blick auf das Loch im Unterleib der Kreatur.

Wenigstens hatte Mond ihr weh getan. Eine Idee stieg in ihm hoch, und er handelte rasch, bevor er über die möglichen Folgen nachdenken konnte. Owen riß eine Granate aus der Tasche, machte sie scharf und schob sie durch das Loch im Unterleib tief in die Eingeweide seines Gegners. Er ließ die Granate los, doch bevor er die Hand zurückziehen konnte, schlossen sich die Ränder der Wunde wie Schraubstöcke um sein Handgelenk.

Owen bemühte sich verzweifelt, seinen Arm zu befreien, aber es ging nicht. Also sammelte er alle vom Zorn herrührende Kraft und hieb den Rest seines zersplitterten Schwertes gegen den eigenen Arm. Die gezackte Klinge schnitt durch das Gelenk, durchtrennte seinen Arm, und Owen warf sich nach hinten, außer Reichweite seines furchtbaren Gegners. Die Kreatur griff nach dem blutigen Stummel, der aus dem Loch in ihrem Leib ragte, und die Granate explodierte.

Grellweiße Flammen loderten auf und verbrannten die Kreatur von innen nach außen, und der Druck sprengte den Kopf von ihren Schultern. Der enthauptete Leib stolperte noch einen Augenblick hin und her. Die gewaltigen Arme griffen ins Leere, doch dann schien alle Kraft aus ihnen zu weichen, und der Torso stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Owen preßte den Stumpf seines Unterarms mit der gesunden Hand zusammen und zitterte unkontrolliert. Zuerst spritzte das Blut förmlich aus der Wunde, aber bald schon versiegte der Strom zu einem Rinnsal. Er überlegte angestrengt. Er hatte etwas zu erledigen. Etwas verdammt Wichtiges. Sein Blick glitt suchend hin und her und fiel auf Monds abgetrennten Kopf, der neben dem Kontrollpaneel auf dem Boden lag. Die Hadenmänner! Er mußte die Hadenmänner wecken. Hazels Leben hing davon ab. Owen griff nach dem Kontrollpaneel und zog sich daran auf die Beine. Erschöpft und müde lehnte er sich einen Augenblick dagegen und rang nach Luft. Blut tropfte aus seinem Handgelenk und besudelte die Konsole, während Owen die Kontrollen untersuchte. Sie ergaben keinen Sinn. Überhaupt keinen. Wütend starrte er auf Monds Kopf hinab und hob ihn mit der gesunden Hand vom Boden, damit er in die gebrochenen Augen sehen konnte.

»Mond, du verdammter Bastard! Was soll ich tun? Wie kann ich sie aufwecken? Rede!«

Ein schwaches goldenes Leuchten erwachte in Monds Augen, und seine Lippen begannen sich lautlos zu bewegen.

Owen hob den Kopf an das Ohr, und ganz leise hörte er Monds Flüstern. Blau Drei Sieben Sieben Null. Owen legte den Kopf beiseite und wandte sich wieder dem Kontrollpult zu. Seine Lippen verzogen sich zu einem wilden Grinsen, als er das blaue Eingabefeld fand und Drei Sieben Sieben Null eintippte. Er wandte den Blick vom Paneel und zum Eingang der Gruft, und ein rauhes Lachen entsprang seiner Kehle, als das Eis wie im Zeitraffer zu schmelzen begann, wegfloß und Licht auf Licht in den Zellen des gewaltigen Bienenstocks aufflammte. Owen lachte noch immer, als die Gruft sich öffnete und die Hadenmänner in all ihrem Glanz und ihrer Pracht hervorströmten.

Kurze Zeit später saß Owen still neben den toten Wampyren, während Hazel seinen Armstummel mit einem kunstfertigen Verband versorgte. Die Wunde schien sich von alleine versiegelt zu haben, ein weiteres Erbe aus dem Labyrinth, doch Hazel wollte kein Risiko eingehen.

Giles unterhielt sich leise mit Kapitän Schwejksam und Investigator Frost, die entwaffnet worden waren und von einem halben Dutzend grimmig dreinblickender Hadenmänner bewacht wurden. Jakob Ohnesorg und Ruby Reise lagen nebeneinander auf Tragbahren und unterhielten sich ebenfalls leise.

Die Hadenmänner waren rechtzeitig genug gekommen, bevor der letzte Funke von Leben aus ihren Körpern hatte weichen können, und ihre Apparate hatten die Verletzungen mit unglaublicher Geschwindigkeit behandelt. Ruby und Jakob waren zwar noch sehr schwach, aber anscheinend erwarteten beide, sich bald wieder völlig zu erholen. Owen hatte die Hadenmänner veranlaßt, Monds Kopf zu untersuchen, doch sie hatten erwidert, daß es zu spät sei. Owen hatte ihnen erzählt, wie Monds abgetrennter Kopf dem Tod lange genug von der Schippe gesprungen war, um ihm die notwendigen Kodes für das Öffnen der Gruft und das Wiedererwecken ihres Volkes zu verraten, und sie hatten freundlich genickt und ihm bedeutet, sich auszuruhen.

Halb hatte er erwartet, daß die aufgerüsteten Männer von Haden ihn im gleichen Augenblick töten würden, da sie aus ihrer Gruft hervorkämen, aber zumindest im Augenblick schienen sie nicht genug für ihren Befreier tun zu können. Sie waren groß und vollkommen und bewegten sich mit übermenschlicher Eleganz. Ihre Augen leuchteten wie Sonnen. Sie entschieden den Kampf rechtzeitig, um Giles vor den drei verbliebenen Wampyren zu retten. Hazel und Investigator Frost hatten sich gegenseitig bis zur völligen Erschöpfung duelliert, und die Hadenmänner mußten sie förmlich auseinanderreißen. Investigator Frost hatte selbst dann noch nicht aufgeben wollen. Am Ende hatte Kapitän Johan Schwejksam ihr den Befehl erteilt zu kapitulieren und ihre Waffe zu übergeben. Und schon war alles vorüber.

Owen blickte zur Leiche des Hohen Lord Dram. Giles hatte sich im gleichen Augenblick neben ihr niedergekniet, in dem die Hadenmänner die drei Wampyre weggeführt hatten. Als Owen zu ihm getreten war, hatte er den Blick gehoben und leise erklärt: »Trauer, Verwandter. Einer aus unserer Familie ist gestorben.«

Er hatte nichts weiter gesagt, und Owen hatte nicht nachgefragt. Es konnte warten. Eine Menge Dinge konnten plötzlich warten. Sein Blick fiel auf Ruby Reise und Jakob Ohnesorg, und er sah, wie Ohnesorg den Kopf zu seiner Gefährtin drehte und lächelte.

»Sieht ganz danach aus, als würden wir die große Rebellion am Ende doch noch erleben. Ich hätte keinen roten Heller darauf gewettet. Trotzdem, denkt nur an all den Ruhm, Ruby!«

Ruby rümpfte die Nase. »Denk an all die Beute!«

»Ja, die auch«, erwiderte Ohnesorg.

Owen hätte am liebsten laut aufgelacht, aber ihm fehlte die Kraft. Hazel war endlich mit dem Verband fertig und musterte Owen mit strengem Blick.

»Du solltest wirklich lieber in der Regenerationsmaschine verschwinden, Aristo. Oder laß dir wenigstens von den Hadenmännern helfen.«

Owen schüttelte den Kopf. »Ich traue diesen Apparaten nicht mehr, nach allem, was Ozymandius mit uns angestellt hat. Wer weiß, welche mentalen Fallen er uns sonst noch einprogrammiert hat? Und ich weiß auch nicht, ob ich den Hadenmännern genug vertrauen kann. Mein Körper wird mit der Zeit von alleine heilen. Ich kann es fühlen. Und nun, wenn Ihr mir einen Gefallen erweisen und mir auf die Beine helfen würdet? Ich möchte mit dem Kapitän sprechen.«

Hazel half ihm auf, und Owen ging mit mehr oder weniger festen Schritten hinüber zu Schwejksam und Frost. Giles nickte und zog sich schweigend wieder zum Leichnam Lord Drams zurück. Investigator Frost erwiderte Owens Blick kalt, doch der Kapitän deutete eine schwache Verbeugung an. Die Hadenmänner hatten seine Nase inzwischen medizinisch versorgt, aber zwischen den Augen war noch immer ein dicker Bluterguß zu sehen.

»Ihr seid wirklich nicht besonders beeindruckend, Todtsteltzer. Um so erstaunlicher, daß Ihr dem Imperium trotzdem eine derartige Jagd geliefert habt.«

»Nächstes Mal gebe ich mir mehr Mühe«, versprach Owen.

»Und jetzt hört zu. Ihr werdet zusammen mit dem Investigator lebend in das Imperium zurückkehren, aber nur aus einem einzigen Grund. Wir wollen, daß Ihr der Eisernen Hexe eine Botschaft überbringt. Meldet ihr, die Rebellion hat begonnen.

Wenn sie uns das nächste Mal zu sehen bekommt, werden wir eine Armee anführen. Eine ganze Armee, die nur zu einem einzigen Zweck aufgestellt wurde: ihr in den Hintern zu treten und sie von ihrem verdammten Thron zu stürzen. Sorgt dafür, daß sie es glaubt, Kapitän. Ich will, daß sie genügend Zeit hat, um sich unruhig zu winden.«

»Was geschieht mit den Wampyren?« fragte Schwejksam.

»Sie mögen vielleicht ein wenig eigenartig sein, aber sie gehören trotzdem zu meiner Besatzung.«

»Die Wampyre bleiben hier, Kapitän. Die Hadenmänner sind ganz fasziniert von ihnen. Eine andere Frage: Warum mußtet Ihr das Labyrinth zerstören?«

»Es war notwendig. Das Labyrinth hat meine Leute getötet.«

»Ihr habt ja keine Ahnung, was Ihr angerichtet habt. Das Labyrinth war ein Ort voller Wunder und Möglichkeiten. In ihm lag die Zukunft der Menschheit.«

»Was für eine Zukunft soll die Menschheit schon haben, wenn Ihr die Hadenmänner gegen das Imperium geführt?«

meldete sich Frost kühl zu Wort. »Ihr könnt Euch genausogut direkt mit Shub verbünden.«

»Die Hadenmänner… sind nicht so, wie ich es erwartet habe«, sagte Owen. »Das Imperium hat uns schon oft belogen.

Warum nicht auch mit der Geschichte von den mörderischen Hadenmännern? Aber Ihr braucht Euch deswegen keine Gedanken zu machen. Ich werde sie im Auge behalten.«

»Und wie wollt Ihr sie aufhalten?« fragte Schwejksam.

»Du würdest überrascht sein«, redete Hazel dazwischen.

»Das Labyrinth hat uns verändert, Käpten. Wir sind ein ganzes Stück besser als früher.«

»Es ist an der Zeit für etwas Neues, Kapitän«, sagte Owen.

»Das Imperium ist von oben bis unten korrupt. Ich habe es am eigenen Leib erfahren.«

»Denkt darüber nach, was Ihr tut, Todtsteltzer!« Kapitän Schwejksam machte einen wütenden Schritt auf Owen zu und erstarrte, als die Hadenmänner plötzlich Disruptoren in den Händen hielten. Er bemühte sich, ruhig und gelassen zu klingen, als er sprach. »Das Imperium wird zur Zeit von zwei verschiedenen fremden Rassen bedroht, und möglicherweise sind beide technologisch weiter fortgeschritten als wir. Die Menschheit selbst ist bedroht. Das ist nicht die Zeit, um unsere Aufmerksamkeit abzulenken und unsere Kräfte aufzuspalten.«

»Eine bessere Zeit gibt es gar nicht«, spottete Hazel. »Wer weiß, vielleicht verbünden sich die fremden Rassen sogar mit uns?«

»Ihr verdammten Dummköpfe!« entfuhr es Frost. »Ich habe einen der Fremden gesehen! Die Kreatur, die der Todtsteltzer getötet hat, sieht dagegen wie ein Schoßtier aus, das noch naß hinter den Ohren ist.«

»Wir werden uns darum kümmern, wenn es soweit ist«, entgegnete Hazel. »Sag der Eisernen Hexe, daß wir kommen, Investigator.«

»Wenn Ihr wirklich kommen solltet, dann werde ich auf Euch warten«, erwiderte Frost. »Ich werde Eure Köpfe mit dem allergrößten Vergnügen auf Pfähle spießen, Verräter.«

Owen blickte zu Schwejksam. »Ist sie immer so gut gelaunt?« Schwejksam nickte feierlich. »Sie beherrscht sich noch, verglichen mit sonst.«

Die beiden Männer tauschten einen verstehenden Blick, während Hazel und Frost sich gegenseitig mit leeren Gesichtern musterten.

»Verurteilt uns nicht zu vorschnell, Kapitän«, sagte Owen.

»Wir haben in letzter Zeit eine Menge durchgemacht. Löwenstein muß fallen. Wenn wir es nicht schaffen, dann jemand anderes. Vielleicht sogar jemand wie Ihr, Schwejksam.«

»Niemals!« empörte sich der Kapitän.

»Keiner rührt sich!« ertönte eine schrille, laute Stimme in allen Köpfen. »Hier spricht Sicherheitsoffizier K. Stelmach an Bord der Pinasse der Unerschrocken. Die Disruptorkanonen sind auf Euch gerichtet. Alle Rebellen werden sofort ihre Waffen übergeben, sonst eröffne ich das Feuer.«

»Und ich habe mich schon gefragt, was aus ihm geworden ist«, brummte Frost.

»Mein lieber K. Stelmach, darf ich Euch höflich darauf aufmerksam machen«, sagte Schwejksam ruhig, »daß Ihr mich und den Investigator ebenfalls tötet, falls Ihr das Feuer eröffnet?«

»Ihr seid beide entbehrlich«, kam die Antwort.

»Irgendwie wußte ich, daß er das sagen würde«, knurrte Frost.

»Seht ihr?« zischte Hazel. »Genau davon haben wir gesprochen.«

»Einen Augenblick bitte«, meldete sich Owen zu Wort.

»Wer zur Hölle ist dieser Stelmach? Und was zur Hölle soll das K. bedeuten? Scheint fast so, als hätten wir tatsächlich jemanden übersehen.«

»Ja, scheint fast so«, stimmte Hazel zu. »Und das Ergebnis ist, daß wir nun in den Lauf einer verdammten Batterie von Disruptorkanonen blicken. Hast du vielleicht eine Idee?«

»Nun drängt mich nicht«, beschwerte sich Owen. »Ich denke nach.«

»Ich bin jedenfalls nicht so weit gekommen, um jetzt hier zu sterben«, sagte Hazel. »Was hältst du davon, wenn wir das Schiff stürmen?«

»Nach Euch«, entgegnete Owen.

»Aber es muß etwas geben, das wir unternehmen können!«

»Ich bin offen für jeden guten Vorschlag«, sagte Owen.

»Aber wie es aussieht, kommen wir nicht an ihn heran. Und außerdem hat er die schwereren Waffen.«

»Mir scheint, als wäre Eure großartige Rebellion unverhofft zu einem Ende gekommen, was?« sagte Frost. »Gebt Eure Waffen her, und ich verspreche, daß Ihr lange genug leben werdet, um Eure Gerichtsverhandlung zu erleben – inklusive anschließender Exekution.«

»Ich glaube, ich würde lieber stürmen«, sagte Owen.

»Ruhig Blut, alle zusammen«, meldete sich eine weitere Stimme in ihren Köpfen. »Hier spricht Wulf. Ich bin auf der Pinasse und habe die Kontrolle über die Feuerleitzentrale von dem bemerkenswert schreckhaften jungen Mann hier übernommen. Er scheint ohnmächtig geworden zu sein.«

»Einen Augenblick bitte«, meldete sich Frost zu Wort.

»Wer zur Hölle ist dieser Wulf? Scheint fast so, als hätten wir tatsächlich jemanden übersehen.«

»Ja, scheint fast so«, stimmte Schwejksam ihr zu. »Und das Ergebnis ist, daß wir immer noch in den Lauf einer verdammten Batterie von Disruptorkanonen blicken. Habt Ihr vielleicht eine Idee?«

»Gut gemacht, Wulf«, sagte Owen. »Wo habt Ihr die ganze Zeit gesteckt? Wir hatten schon befürchtet, Ihr hättet den Tod gefunden, als das Labyrinth zerstört wurde.«

»Ich bin auf einem anderen Weg durch das Labyrinth gegangen«, erwiderte der Wolfling ruhig. »Ich war schon früher dort. Als ich bemerkte, daß Ihr ihn Schwierigkeiten stecktet, war alles schon wieder vorüber. Glücklicherweise beschloß ich nachzusehen, ob sich auf der Pinasse etwas Nützliches finden läßt.«

»Schön. Und jetzt, da unser Herzschlag wieder eingesetzt hat«, sagte Owen, »übergebt Euren Gefangenen bitte den Hadenmännern. Ich schätze. Ihr bleibt besser an Bord der Pinasse, bis sie startbereit ist. Und stellt sicher, daß die Feuerkontrollen nicht mehr funktionsfähig sind, bevor Ihr von Bord kommt. Ich glaube nicht, daß mein Herz noch eine weitere derartige Überraschung aushält.«

»Verständlich«, erwiderte der Wolfling.

Owen seufzte schwer und blickte sich um. Giles winkte ihm, und zusammen mit Hazel ging er zu seinem Vorfahren.

Giles blickte ihm fest in die Augen.

»Du hast noch immer eine Entscheidung zu treffen, Verwandter. Was soll mit dem Dunkelwüsten-Projektor geschehen? Wirst du ihn gegen das Imperium einsetzen? Werden erneut Milliarden ihr Leben lassen?«

»Du hast ihn gezeugt«, erwiderte Owen. »Und du hast ihn benutzt. Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«

»Nein«, sagte Giles. »Ich werde nie wieder eine derartige Entscheidung treffen. Ich kann nicht.«

»Dann sage ich nein«, entschied Owen. »Man kann das Böse nicht bekämpfen, indem man selbst böse wird. Zu viele mußten bereits ihr Leben lassen. Wenn ich ein Rebell und Verräter gegen das Imperium bin, dann um Leben zu bewahren und zu schützen, und nicht, um sie auszulöschen. Trotzdem werden wir den Säugling nicht töten. Laßt ihn schlafen. Wer weiß, vielleicht entwickelt er sich im Lauf der Zeit zu etwas Wundervollem.«

»Gut gesprochen, Aristo«, stimmte Hazel zu. »Endlich hast du es kapiert!«

Sie lächelten sich an, und dann wandte Owen den Blick zu den Hadenmännern, die noch immer aus ihrer zerstörten Stadt hervorströmten. Letzte Überlebende einer früheren Rebellion.

Diesmal würden die Dinge anders laufen. Er war der Todtsteltzer, und er hatte endlich seine wahre Bestimmung gefunden.

Mehr oder weniger jedenfalls.

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