Doktor Salvator hatte die Festnahme nicht gebrochen. Auch im Gefängnis blieb er ruhig und selbstbewußt. Mit den Untersuchungsrichtern und Sachverständigen sprach er herablassend, wie ein Erwachsener mit Kindern.
Seine Natur erlaubte ihm nicht, untätig herumzusitzen. Er schrieb viel und wurde im Gefängnislazarett zu Operationen gerufen. So zählte auch die Frau des Gefängnisaufsehers zu seinen Patienten. Eine bösartige Geschwulst drohte tödlich zu verlaufen. Salvator rettete sie in dem Augenblick, als ein Ärztekonsortium erklärte, die Medizin sei in diesem Falle machtlos.
Der Tag der Gerichtsverhandlung war angebrochen. Der Saal konnte die vielen Zuschauer nicht fassen. Das Publikum drängte sich selbst in den Korridoren, füllte den Platz vor dem Gerichtsgebäude, spähte durch die geöffnetem. Fenster.
Salvator nahm völlig gelassen auf der Gerichtsbank Platz. Er verhielt sich so selbstbewußt, daß es einem Fremden scheinen konnte, daß nicht er, sondern der Richter der Angeklagte sei. Auf Verteidiger hatte Salvator verzichtet.
Hunderte Augen richteten sich neugierig auf ihn. Nicht weniger Interessen erweckte Ichtiander, aber er wohnte dem Prozeß nicht bei. In den letzten Tagen hatte sich der Amphibienmensch nicht wohlgefühlt. In seinem Wasserbecken verbarg er sich vor lästigen Blicken. Das Gericht beschloß, Ichtianders Verfahren gesondert abzuspulen.
Drei wissenschaftliche Sachverständige gaben ihre Gutachten bekannt. Universitätsprofessor Schein, der Hauptsachverständige begann: „Wir haben die von Doktor Salvator operierten Tiere und den Jüngling Ichtiander untersucht, auch seine mit großer Fachkenntnis eingerichteten Laboratorien und die Chirurgie besichtigt. Doktor Salvator benutzte bei seinen Operationen die modernsten Geräte, beispielsweise elektrische Messer, die desinfizierend wirken. Er wandte auch ultraviolette Strahlen an. Und wir entdeckten bei ihm Instrumente, die unsere Chirurgen nicht kennen. Es ist anzunehmen, daß diese eigens nach seinen Angaben angefertigt wurden. Seine Experimente führten zu außerordentlich verwegenen, glänzend ausgeführten Operationen: Verpflanzungen von einzelnen Geweben und ganzen Organen, Zusammenfügen von zwei Tieren, die Umwandlung von Weibchen in Männchen, Verjüngungsmethoden. In Salvators Gärten fanden wir auch Kinder, die den verschiedensten Indianerstämmen angehören.“
„In welchem Zustand fanden Sie diese Wesen?“ fragte der Staatsanwalt.
„Alle Kinder sind gesund. Sie tobten vergnügt in den Gärten umher. Viele von ihnen hat der Doktor dem Tode entrissen. Die Indianer glauben an ihn und schleppen ihre erkrankten Zöglinge aus den entlegensten Gegenden herbei — von Alaska bis Feuerland.“
Der Staatsanwalt wurde unruhig. Die Weisungen des Bischofs geboten ihm, diese Verhandlung nicht zu einer Lobpreisung des Doktors ausarten zu lassen. Darum fragte er den Gutachter: „Sind Sie der Meinung, daß Doktor Salvators Operationen nützlich waren?“
Der Gerichtsvorsitzende, befürchtend, daß der Sachverständige eine bejahende Antwort geben könnte, griff rasch ein: „Das Gericht ist nicht daran interessiert, die persönlichen Ansichten des Experten über wissenschaftliche Fragen zu hören. Ich bitte fortzufahren: Was ergab die Untersuchung des Jünglings Ichtiander?“
„Sein Körper ist mit einer künstlichen Schuppenhaut bedeckt“, berichtete der Experte, „aus einem unbekannten elastischen, jedoch äußerst widerstandsfähigen Gewebe. Die Analyse dieses Stoffes ist noch nicht abgeschlossen. Im Wasser benutzte das Wesen manchmal eine Brille, mit Spezialgläsern aus Flintglas, die einen ungewöhnlichen Brechungsindex aufweisen. Das gab ihm die Möglichkeit, unter Wasser sehr gut und sehr weit zu sehen. Als wir dem Jüngling die Schuppenhaut ausgezogen hatten, entdeckten wir unter beiden Schulterblättern runde Öffnungen. Sie haben einen Durchmesser von zehn Zentimetern. Die Öffnungen sind von fünf dünnen Streifen bedeckt und sehen den Kiemen eines Haifisches sehr ähnlich.“
Im Saal wurde Erstaunen laut.
„Ja“, bekräftigte der Experte seine Untersuchungen, „das scheint ganz unglaublich zu sein. Aber hören Sie weiter: Ichtiander besitzt gleichzeitig die Lunge eines Menschen und die Kiemen eines Haifisches. Darum kann er sowohl an der Luft als auch unter Wasser leben.“
„Also so etwas wie ein Amphibienmensch?“ fragte der Staatsanwalt scharf.
„Ja, ein zweifach atmendes Wasser- und Erdgeschöpf.“
„Auf welche Weise kann Ichtiander zu seinen Haifischkiemen gekommen sein?“ wollte der Gerichtsvorsitzende wissen.
Der Experte breitete seine Arme aus. „Das, Hohes Gericht, bleibt mir selbst ein Rätsel. Vielleicht könnte es uns Doktor Salvator lösen. Die biologischen Gesetze jedenfalls besagen, daß jedes Lebewesen sämtliche Entwicklungsstadien durchmachen muß, die seine Art im Laufe von Jahrmillionen in der Entstehung aufweist. Wir können mit Sicherheit behaupten, daß der Mensch von Vorfahren abstammt, die mit Kiemen atmeten.“
Der Staatsanwalt stieg auf einen Stuhl, doch der Gerichtsvorsitzende gebot ihm Einhalt.
Der Wissenschaftler holte zu einem weiteren Exkurs aus: „Am zwanzigsten Tag seiner Entwicklung werden beim menschlichen Embryo vier hintereinander angeordnete Kiemen sichtbar. Dieser Apparat bildet sich später um: Der erste Kiemenbogen verwandelt sich in den Gehörgang mit den Gehörknöchelchen und der Eustachischen Röhre; aus dem unteren Teil dieses Kiemenbogens entwickelt sich der Unterkiefer des Menschen; der zweite Bogen geht über in die Fortsätze und den Unterzungenknochen; der dritte Bogen wird zum. Schildknorpel des Kehlkopfes. Wir vermuten nicht, daß es Doktor Salvator gelungen ist, Ichtianders Entwicklung im Embryonalstadium aufzuhalten. Gewiß, der Wissenschaft sind Fälle bekannt, wo es sogar bei erwachsenen Menschen offengebliebene, nicht verwachsene Kiemenöffnungen am Halse unter dem Unterkiefer gibt. Das sind sogenannte Halsfistel. Es ist jedoch gänzlich unmöglich, mit solchen Kiemen unter Wasser zu leben. Bei einem anormalen Prozeß des Embryos entwickeln sich die Kiemen auf Kosten der Gehörorgane, und es entstehen anatomische Veränderungen. In einem solchen Falle aber wäre aus Ichtiander ein Ungeheuer mit dem unentwickelten Kopf eines Fischmenschen geworden. Dieser Jüngling jedoch ist normal entwickelt, mit ausgezeichneten Gehör, mit gut entwickeltem Unterkiefer und normalen Lungen, dennoch: Er besitzt vollentwickelte Kiemen. Wie Kiemen und Lungen funktionieren, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ob das Wasser durch den Mund in die Lungen und dann in die Kiemen gelangt oder in die Kiemen durch die ziemlich kleinen Öffnungen, die wir an seinem Körper entdeckten, das alles können wir nicht sagen. Dieses Rätsel kann uns nur Doktor Salvator beantworten.“
„Mich hätte interessiert, zu welcher Schlußfolgerung denn nun Sie selbst gekommen sind“, forderte der Gerichtsvorsitzende den Experten eindringlich auf.
Universitätsprofessor Schein, der als Wissenschaftler und Chirurg einen klangvollen Namen besaß, bestätigte: „Ich muß gestehen, daß ich von dem allen nichts verstehe, das Unbekannte wie Böhmische Dörfer auf mich zuprallt. Ich kann nur eines sagen: Was Doktor Salvator vollbracht hat, ist die Leistung eines Genies. Er hat als Chirurg eine so große Kunstfertigkeit erreicht, daß er den Organismus eines Tieres oder Menschen nach eigenem Belieben zerlegen und wieder zusammensetzen kann. Eine chirurgische Kühnheit, die für meine Begriffe bereits an Wahnsinn grenzt.“
Salvator lächelte verächtlich. Er konnte nicht wissen, daß die Sachverständigen insgeheim, beschlossen hatten, den Gerichtsakt in eine bestimmte Richtung zu steuern. Sie wollten seine Zurechnungsfähigkeit bezweifeln, damit er statt in den Kerker in eine Heilanstalt gebracht würde.
„Ich will nicht behaupten, daß Doktor Salvator von Sinnen ist“, beendete der Experte sein Gutachten, „aber ich möchte unterstreichen, daß der Angeklagte am besten in einem Sanatorium für Geisteskranke unterzubringen wäre, wo er einer längeren Untersuchung und Überwachung durch Psychiater unterzogen werden müßte.“
„Die Frage der Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten stellte sich bis jetzt nicht“, entgegnete der Vorsitzende. „Das Gericht wird diesen neuen Umstand berücksichtigen. Doktor Salvator, möchten Sie sich zu den Fragen des Sachverständigen und des Staatsanwaltes äußern?“
„Ja“, rief der Angeklagte in den Saal. „Ich will einige wichtige Aufklärungen geben. Und das soll gleichzeitig mein Schlußwort sein.“