Der Kampf mit dem Kraken

Nachdem sich Ichtiander ins Meer gestürzt hatte, vergaß er vorübergehend alle seine irdischen Leiden. Die Kühle des Wassers erfrischte und beruhigte ihn, die stechenden Schmerzen ließen nach. Er atmete tief und gleichmäßig und bemühte sich, über das Erlebte nicht nachzudenken.

Um sich abzulenken, beschloß der Amphibienmensch, die Höhlen aufzuräumen, die in den steilen Felsen der Bucht lagen und mit ihren großen Bogen einen phantastischen Blick freigab auf den mit leichter Neigung bis zur Tiefsee abfallenden Grund. Er hatte an diesem Ort schon lange Gefallen gefunden. Doch bevor er sich dort einrichten konnte, mußte er die bisherigen Bewohner, eine große Krakenfamilie, exmittieren.

Ichtiander setzte die Brille auf, bewaffnete sich mit einem langen, scharfen Messer und schwamm mutig zur Höhle. Sie zu betreten, schien ihm aber doch zu gefährlich, und so beschloß er, seinen Gegner herauszulocken. Dabei half ihm eine Harpune, die er im Wrack eines Fischerbootes entdeckt hatte.

Er baute sich vor der Höhle auf und begann, mit dem Instrument in ihr herumzustochern. Die aufgestörten Kraken regten sich alsbald. Im Bogenrand der Höhle schlängelten und tasteten Fühler. Vorsichtig näherten sie sich der Waffe.

Ichtiander zog die Harpune zurück, ehe die Saugnäpfe der Tintenfische sie erreichten. Dieses Spiel setzte er einige Minuten fort. Schließlich erschien ein riesiger alter Tintenfisch, der den frechen Eindringling strafen wollte. Mit drohend bewegten Fühlern kroch der Krake aus einer Spalte. Er schwamm langsam an den Feind heran und wechselte dabei seine Farbe, um den Gegner zu erschrecken.

Ichtiander trat etwas beiseite und warf die Harpune fort, bereitete sich auf den Zweikampf vor. Er wußte, wie schwer es für einen Menschen mit nur zwei Armen war, den Kampf mit einem achtarmigen Ungeheuer aufzunehmen. Kaum hatte man dem Kraken einen Arm abgehauen, so faßte er schon mit den restlichen sieben nach den Händen des Gegners und fesselte ihn. Darum wollte der Jüngling dem Ungeheuer das Messer tief in den Leib stoßen. Er ließ es so nahe an sich herankommen, bis die Tastarme ihn fast erreichten. Dann warf er sich überraschend nach vorn, direkt zwischen das Fühlarmeknäuel, bis dicht an den Kopf des Kraken.

Dieser ungewöhnliche Angriff traf das Tier unerwartet. Und es dauerte mindestens vier Sekunden, bis es seine Fühler ordnen, seinen Feind umschlingen konnte. Bereits in dieser Zeitspanne hatte Ichtiander mit sicherem raschen Stoß den Bauch des Kraken aufgeschlitzt, das Herz getroffen und die Bewegungsnerven durchtrennt.

Die riesigen Tastarme, die seinen Körper schon zu umschlingen versuchten, erlahmten und fielen leblos herab.

Einer ist erledigt! Aber weitere Gefahren lauerten. Ichtiander griff wieder zur Harpune. Diesmal kamen ihm gleich zwei Tintenfische entgegen. Der eine schwamm direkt auf ihn zu, der andere umkreiste den Amphibienmenschen, um ihn von rücklings anzugreifen. Das konnte gefährlich werden.

Ichtiander warf sich tapfer dem ersten Kraken entgegen, doch bevor er ihn erlegen konnte, hatte der zweite seinen Hals von hinten umschlungen. Blitz schnell durchtrennte der Kämpfende den oberen Tastarm, drehte sich dann um und machte sich an die restlichen Tentakel. Der verstümmelte Krake sank langsam schwankend auf den Grund. Ichtiander stritt schon mit dem Ungeheuer, das noch vor ihm war.

Doch er mußte dieses Duell unterbrechen. Aus der Höhle kam jetzt eine ganze Karawane von Kraken herbei. Und das Blut trübte das Meer. In dieser finsteren Brühe konnten die Kraken leicht einen Vorteil herausschlagen, ihre umschlingenden Arme für Ichtiander unsichtbar werden lassen. Deshalb schwamm er so weit vom Kampfplatz weg, bis er klares Wasser erreichte.

Hier erlangte er seine Sicherheit wieder, stürzte sich den Ungeheuern entgegen, die ihm aus der Blutwolke folgten. Die Schlacht dauerte mehrere Stunden.

Als die letzten Kraken besiegt waren und sich das Wasser wieder lichtete, erblickte Ichtiander auf dem Meeresgrund die noch immer zuckenden Tastarme. Dann ging er in die Höhle, wo er noch einige kleine, nur faustgroße Tiere fand. Der Amphibienmensch wollte auch sie noch töten, besann sich jedoch eines anderen: Wenn er sie zähmen würde, könnten sie ihm treue Wächterdienste leisten.

Nachdem die Höhle von den Kraken befreit war, beschloß Ichtiander, seine Unterwasserwohnung zu möblieren. Aus seinem Haus schleppte er einen Marmortisch mit eisernen Beinen und zwei chinesische Vasen herbei. Den Tisch stellte er in die Mitte der Höhle und darauf die beiden Vasen, die er mit Erde füllte und bepflanzte.

An der Höhlenwand befand sich ein Vorsprung, der wie eine Steinbank geformt war. Der neue Besitzer der Höhle streckte sich behaglich darauf aus, unter Wasser spürte er die Härte seiner Liegestatt kaum.

Es war ein sonderbares Unterwasserzimmer. Viele neugierige Fische schwammen herbei und bestaunten es. Sie schnellten zwischen den Tischbeinen herum und rochen an den Blumen. Auf dem weißen Sand kroch eine große Krabbe heran und ließ sich unter dem Tisch nieder.

Ichtiander überlegte, wie er seine Wohnung weiter ausstaffieren könnte: Den Eingang bepflanze ich mit den schönsten Wasserpflanzen, den Boden bestreue ich mit Perlen und die Wand ziere ich mit Muscheln. Daran würde sich auch Guttiere erfreuen können. Aber sie betrügt mich, erzählt mir nichts von Olsen. Ichtiander stimmte die Erinnerung an das Mädchen traurig.

Der Amphibienmensch war einsam und litt darunter, anders zu sein, als die anderen Menschen. Warum konnte nur er unter Wasser leben? Wenn nur der Vater bald nach Hause käme! Ihn würde er fragen.

Ichtiander wollte seine Unterwasserbehausung einem lebenden Wesen zeigen und erinnerte sich an Leading den Delphin. Er nahm sein Muschelhorn, tauchte zur Oberfläche empor und blies das Signal. Bald darauf ertönte das bekannte Grunzen — der Delphin hielt sich immer in der Nähe der Bucht auf.

Ichtiander umarmte seinen Freund zärtlich und sagte: „Komm mit mir, ich zeige dir mein neues Zimmer.“

Der Delphin aber erwies sich als ein unruhiger Gast. Er brachte eine so starke Wallung in die Höhle, daß alles wackelte. Dann stieß er zu allem Übel auch noch mit seiner Schnauze an ein Tischbein und kippte das Möbelstück um. Die Vasen fielen herab, zerschellten in dieser Umgebung aber nicht.

„Was bist du ungeschickt“, schalt Ichtiander seinen Freund, rückte den Tisch in etliche Entfernung, und hob die Vasen auf. Dann bat er: „Bleib bei mir, Leading.“

Aber der Delphin schüttelte den Kopf und wurde unruhig. Er konnte nicht lange unter Wasser sein. Er brauchte unbedingt wieder Luft. Mit einigen Flossenschlägen war er in Richtung Oberfläche entschwunden.

Ichtiander legte sich auf sein Steinbett. In der Höhle war es dunkel geworden. Das leichte Schaukeln des Wassers wiegte ihn ein.

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