Den Gerichtspräsidenten von Buenos Aires besuchte ein seltener Gast — der Dekan der Kathedrale, Bischof Juan de Garsillasso. Der dicke, kleine Mensch — die Jackenknöpfe über seinem Bauch schienen jeden Moment abzuspringen —, mit verschwommenen listigen Augen, bat den kirchlichen Würdenträger, in einem schweren Ledersessel Platz zu nehmen.
Das Gesicht des Bischofs Juan de Garsillasso wirkte auffallend blaß und schmal. Seine dünne gebogene Nase, das spitze Kinn und die dünnen, fast blauen Lippen verliehen ihm ein kränkliches Aussehen. Sein Einfluß war außerordentlich groß. Er verließ nicht ungern das religiöse Feld, steuerte maßgeblich auch das politische Spiel seiner Stadt. Ohne Umschweife kam er auf den Grund seines Besuches zu sprechen.
„Ich würde gern erfahren, wie es mit der Angelegenheit von Professor Salvator steht.“
„Oh, auch Sie, Euer Hochwürden, interessieren sich für diese Sache?“ Der Gerichtspräsident dienerte. „Ja, das ist schon ein ungewöhnlicher Prozeß!“ Er nahm ein dickes Aktenbündel vom Tisch, blätterte darin herum und fuhr fort: „Auf eine Anzeige von Pedro Surita hin wurde Professor Salvators Haus durchsucht. Die Anschuldigung, daß der Doktor außergewöhnliche Operationen an Tieren ausführe, bewies sich. In den Gärten des Anwesens fand man eine ganze Ansammlung von Mißgeburten. Salvator hat zum Beispiel …“
„Das Resultat der Haussuchung ist mir aus den Presseberichten bekannt“, unterbrach der Bischof. „Welche Schritte unternehmen Sie gegen Salvator? Wurde er verhaftet?“
„Ja, der sitzt hinter Schloß und Riegel. Außerdem wurde als lebender Beweis und Zeuge der Anklage ein junger Mann namens Ichtiander in die Stadt gebracht. Wer hätte sich vorstellen können, daß der berüchtigte Meerteufel, der uns schon so lange beschäftigt, eines der Ungeheuer aus Salvators Zoo ist. Jetzt erforschen Universitätsprofessoren diese seltsame Geschöpf. Er befindet sich im Keller des Gerichts und macht uns eine Menge Scherereien. Stellen Sie sich vor, wir mußten extra ein großes Becken anfertigen lassen, denn der Meerteufel kann nicht ohne Wasser leben. Offenbar hat Salvator seinen Organismus ungewöhnlich verändert, den Jüngling in einen Amphibienmenschen verwandelt. Unsere Wissenschaftler sind dabei, alle Fragen zu klären.“
„Mich interessiert allerdings weitaus mehr das Schicksal Salvators“, unterbrach der Bischof. „Wie lautet die Anklage? Meinen Sie, daß der Doktor verurteilt wird?“
„Das ist ein ungewöhnlicher juristischer Fall“, antwortete der Gerichtspräsident. „Ich muß gestehen, daß ich einigermaßen ratlos bin. Unter welch einen Paragraphen fällt solch ein Verbrechen? Bestenfalls ließe sich Salvator wegen Verletzung medizinischer Vorschriften anklagen. Außerdem erhielt ich eine weitere Anzeige von einem Indianer namens Balthasar. Er gibt vor, daß Ichtiander sein Sohn sei. Seine Beweise sind sehr schwach, aber wir können ihn als Belastungszeugen verwenden. Aber der wundeste Punkt der Sache: Die Sachverständigen können Salvator als einen unzurechnungsfähigen Geisteskranken erklären.“
Der Bischof schwieg, preßte seine dünnen Lippen zusammen und starrte auf die Tischdecke. Dann sagte er leise: „Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet.“
„Was, Euer Hochwürden?“
„Sogar Sie, der Hüter der Ordnung, scheinen Salvators Untaten zu entschuldigen. Das Urteil der Kirche, das Urteil des Himmels ist schwerwiegender. Haben Sie, Herr Gerichtspräsident, vergessen, was in der Heiligen Schrift steht: ,Dann sprach Gott: Lasset uns Menschen machen nach unserem Abbild, uns ähnlich.‘ Woher nimmt Salvator die Frechheit, an dieser Gottesforderung etwas zu verbessern, zu verändern, den Menschen zu einem Wasserwesen zu verstümmeln? Ist das nicht Frevel und Lästerung? Wo soll es hinführen, wenn sich herumspricht: Der Mensch ist von Gott schlecht erschaffen worden, man muß ihn bei Dr. Salvator umarbeiten lassen. Liefe das nicht auf eine verbrecherische Zersetzung der Religion hinaus? Verstehen Sie mich bitte richtig: Ichtiander darf nicht existieren! Am besten wäre es, wenn Gott diesen unglücklich verstümmelten Jüngling zu sich rufen würde. Die Kirche jedenfalls wird den Kampf nicht aufgeben, bis beide, Dr. Salvator und der Meerteufel, vernichtet sind.“
Der Staatsanwalt saß gedrückt, ohne die Flut der Drohungen zu unterbrechen. Schließlich sagte er: „Als Christ bitte ich um Vergebung meiner Sünden. Als Staatsmann bringe ich Ihnen Dank für die mir erwiesene Aufklärung. Nun muß der Arm des Gesetzes walten.“