Suritas Verfolger konnten von den Vorfällen, die sich morgens auf der „Meduse“ ereignet hatten, nichts ahnen. Die ganze Nacht über berieten die Matrosen und faßten schließlich den Entschluß: Bei der günstigsten Gelegenheit würden sie Surita überfallen und umbringen, um den Schoner und Ichtiander in ihre Gewalt zu bekommen.
In aller Herrgottsfrühe stand Surita auf der Kommandobrücke. Der Wind hatte sich gelegt. Die „Meduse“ schwamm langsam, machte nicht mehr als drei Knoten in der Stunde.
Der Kapitän war auf einen Punkt im Ozean aufmerksam geworden. Im Fernstecher machte er die Mastspitze eines versunkenen Schiffes aus. In der Nähe des Schoners trieb ein Rettungsring.
Surita befahl, ein Boot aufs Wasser zu lassen und den Rettungsring zu bergen. Es stellte sich heraus, daß er von der „Maphaldu“ fortgetrieben war. Dieser große amerikanische Postpassagierdampfer war gesunken? Für Pedro ein gefundenes Fressen, denn an Bord würde es manchen Wertgegenstand geben.
Ichtiander müßte die Schätze bergen. Der Kapitän überlegte: Würde die Kette bis zum. Wrack hinunterreichen? Sobald ich dem Jüngling aber die volle Bewegungsfreiheit ließe, käme er nicht wieder.
Langsam näherte sich die „Meduse“ den aus dem Wasser ragenden Masten. Die Matrosen drängten sich an der Reling.
„Ich fuhr mal auf der,Maphaldum, erzählte einer der Matrosen. „Es war ein riesiges Schiff — eine richtige Stadt auf dem Wasser. Und alles piekfein. Lauter reiche Amerikaner.“
Die „Maphaldu“ muß gesunken sein, bevor sie SOS rufen konnte, überlegte Surita. Vielleicht war die Funkstation beschädigt worden, sonst wimmelte es hier längst von Schnellbooten, Kuttern und Jachten aus den umliegenden Häfen. Und mit ihnen Vertreter der Behörden, Fotografen, Ellenbogenjournalisten, Taucher.
Es war keine Zeit zu verlieren. Der Kapitän mußte riskieren, Ichtiander ohne Kette ins tiefe Wasser zu lassen. Wie aber konnte er ihn zur Rückkehr zwingen? Wenn er dann noch an den Perlenberg dachte, von dem der Jüngling gesprochen hatte.
Natürlich mußte er beides bekommen, aber zunächst galt es, an die Kostbarkeiten der „Maphaldu“ zu denken. So sann er nach einer List.
Sobald die „Meduse“ Anker geworfen hatte, eilte Surita in seine Kajüte, schrieb flugs einige Zeilen und ging mit dem Zettel zu Ichtiander. „Kannst du lesen, mein Lieber? Guttiere hat dir geschrieben.“
Der Jüngling las: „Lieber Ichtiander! Erfülle meine Bitte. Neben der ,Meduse‘ liegt ein gesunkenes Schiff. Tauche zu diesem Wrack und berge alle Kostbarkeiten, die Du entdeckst. Mein Mann wird dich ohne Kette tauchen lassen, Du mußt mir aber versprechen — es ist zu unser beider Vorteil —, auf die ,Meduse‘ zurückzukommen. Erweise mir diesen Dienst, Ichtiander, und Du wirst bald in Freiheit sein. Guttiere.“
Guttiere hatte Ichtiander noch nie geschrieben. Er kannte ihre Handschrift nicht. Zwar freute ihn der Brief, zugleich aber wurde er nachdenklich. Wenn das nun eine Finte von Surita ist?
„Warum bittet Guttiere mich nicht selbst?“ fragte der Jüngling und wies auf den Zettel.
Pedro erklärte: „Sie fühlt sich nicht ganz wohl. Aber sobald du zurück bist, wirst du sie wiedersehen.“
„Wozu braucht Guttiere all diese Kostbarkeiten?“ Ichtiander war immer noch mißtrauisch.
„Wenn du ein Weib hättest, würdest du solche Fragen nicht stellen. Natürlich für Kleider, auserlesenen Schmuck. So etwas kostet eine ziemliche Stange Geld. Und davon steckt viel in der untergegangenen ,Maphaldu‘. Goldmünzen mußt du finden. Achte auf die ledernen Postsäcke. Brich auch die Safes auf mit den Wertsachen der Passagiere.“
„Vielleicht verlangen Sie nun noch, daß ich die Leichen fleddere?“ Ichtiander war über soviel Raffgier entrüstet. „Ich glaube Ihnen nicht, kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß es Guttiere um so viel Geld geht.“
Da Surita seinen Plan scheitern sah, schwenkte er süßlich auf eine andere Tour über. Er gab sich gutmütig. „Ich sehe, du läßt dich nicht ins Bockshorn jagen. Also will ich dir gegenüber aufrichtig sein. Nicht Guttiere allein wünscht den Reichtum der ,Maphaldu‘, sondern auch ich.“
Ichtiander nickte. Er mußte unwillkürlich lächeln. „Ich sehe, du beginnst — es ist auch in deinem Interesse — mich zu verstehen“, meinte der Kapitän. „Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn du mir von der ,Maphaldu‘ so viel Gold bringst, wie dein Perlenschatz wert ist, lasse ich dich ohne Umschweife ins Meer. Ein solider Handel: Ware gegen Freiheit. Nur muß ich jetzt befürchten, daß du ohne Kette.“
„Gemach, gemach“, unterbrach. Ichtiander. „Wenn ich Ihnen mein Wort gebe, daß ich zurückkomme, so halte ich es auch.“
Surita ließ seine Gedanken schon wieder gaunern: Wenn er mir das Gold der „Maphaldu“ rangeschafft hat, werde ich die Perlen auch noch verlangen, unter dem Vorwand, beides wertmäßig miteinander abwägen zu können. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Und habe schließlich Ichtiander selbst noch dazu.
Der Jüngling, der pro forma eingewilligt hatte, konnte sich so viel Gerissenheit schwerlich vorstellen.
Surita drängte ihn: „Komm schneller.“ Er führte Ichtiander empor auf Deck und hieß ihn ins Meer springen.
Die Matrosen, die diesen Vorgang verfolgten, begriffen sofort, daß der Amphibienmensch nach den Schätzen der „Maphaldu“ tauchte. Sollten sie zusehen, wie der Kapitän alles allein an sich raffte? Es war keine Zeit mehr zu verlieren. So überfielen sie Surita.
Ichtiander indes hatte begonnen, das versunkene Schiff zu untersuchen, war durch die Luke des Oberdecks in einen geräumigen Korridor gelangt. Hier herrschte fast völlige Dunkelheit. Nur ein schwacher Lichtschein stahl sich durch die geöffneten Türen.
In der Gesellschaftshalle setzte sich der Jüngling auf einen üppig verzierten Sessel und sah sich um. Ein eigenartiges Schauspiel: Stühle und Tische krabbelten an der Decke herum. Auf der Estrade stand ein offener Flügel. An den mahagonigetäfelten Wänden des Salons fraß schon das Wasser. Sie begannen wellig zu werden.
Plötzlich hielt der Amphibienmensch erstaunt inne. Ihm entgegen schwamm irgendein Wesen, das seine Bewegungen genau nachahmte. Ein Spiegel, der die ganze Wand einnahm, hatte die Täuschung hervorgerufen.
Hier waren keine Schätze zu erwarten. Ichtiander begab sich ein Deck tiefer ins Restaurant. Auf dem Mobiliar und am Boden lagen Weinflaschen und zerbeulte Konservendosen, garniert mit einem Wirrwarr von Silberbestecken.
Weiter zu den Kabinen der Luxusklasse! Auch hier ein Chaos von durcheinandergewirbelten Gegenständen. Doch keine Spur von Menschen. Wahrscheinlich konnten sie sich auf Rettungsbooten rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Als Ichtiander jedoch die Kabinen der 3. Klasse erreichte, bot sich ihm ein schreckliches Bild: Überall umwimmelten ihn Leichen von Männern, Frauen und Kindern, die zumeist eine andere Hautfarbe trugen. Sie waren in der Panik offensichtlich übereinandergestürzt und hatten den Ausgang unentwirrbar versperrt.
Den Jüngling packte das kalte Entsetzen. Er wollte so schnell wie möglich diesen Unterwasserfriedhof hinter sich haben. Guttiere konnte von ihm unmöglich verlangen, daß er die Taschen der Ertrunkenen umdrehte und ihre Koffer aufbrach. Wahrscheinlich war er wieder in eine von Suritas gemeinen Fallen geraten. Er beschloß, an die Oberfläche zu tauchen und zu verlangen, daß Guttiere ihre Bitte persönlich wiederholt.
Als sich Ichtiander der „Meduse“ näherte, rief er nach Surita. Aber niemand antwortete ihm. Der Schoner schaukelte verlassen auf den Wellen.
Der Amphibienmensch kletterte vorsichtig an Deck. „Guttiere!“ Sein Schrei bebte durch die unheimliche Stille.
„Wir sind hier!“ Vom Ufer war Suritas Lebenszeichen schwach vernehmbar. „Guttiere ist erkrankt. Schwimm zu uns!“ Surita formte seine Hände zu einem Sprachrohr und schrie, was seine Lunge hergab.
Ichtiander schwamm Hals über Kopf zum Ufer. Als er an Land steigen wollte, warnte ihn Guttieres erstickte Stimme: „Surita lügt! Rette dich, so schnell du kannst!“
Der Amphibienmensch tauchte ins offene Meer. Wie konnte er ahnen, daß in der Nähe das Unterseeboot Salvators die Wogen durchpflügte.
Nur weit fort von den Menschen, dachte Ichtiander und verbarg sich im tiefen Wasser.: