Der neue Vater

Da die Fahrt des Unterseebootes erfolglos verlaufen war, zeigte sich Balthasar in miserabler Stimmung. Ichtiander hatten sie nicht gefunden, und Surita war mit Guttiere auf und davon.

Da besuchte ihn sein Bruder Christo und heiterte ihn mit dieser Neuigkeit auf: „Ichtiander ist wieder da!“

„Was?!“ Balthasar, der die Nachricht kaum fassen konnte, sprang auf. „Erzähl, schnell.“

Christo berichtete: „Er war auf dem Wrack, hatte sich in der Tiefe verborgen. Nachdem wir jenen Ort verlassen hatten, tauchte er auf. Als ihn Surita ans Ufer locken wollte, warnte ihn Guttiere. Da schwamm er nach Hause.“

„Wo ist er jetzt?“

„Bei Salvator.“

„Ich gehe zu ihm. und verlange, daß er mir meinen Sohn zurückgibt.“ Balthasar polterte wie ein Bär.

„Er gibt Ichtiander nicht her!“ entgegnete Christo. „Er verbot dem Jüngling, ins Meer zu schwimmen. Nur manchmal lasse ich ihn heimlich hinaus.“

„Er muß und wird ihn mir geben! Verweigert er‘s, so ermorde ich ihn. Komm, machen wir uns auf den Weg.“

Erschrocken winkte Christo ab. „Warte wenigstens bis morgen. Ich mußte mich vom Doktor unter dem Vorwand, meine ,Enkelin‘ zu besuchen, regelrecht fortstehlen. Er ist sehr mißtrauisch geworden und könnte mit seinem Argwohn deinen Plan zunichte machen.“

„Gut. Aber morgen komme ich auf jeden Fall. Und jetzt gehe ich zur Bucht. Vielleicht kann ich meinen Sohn wenigstens aus der Ferne sehen.“

Die ganze Sacht über saß Balthasar auf einem Felsen und beobachtete die brodelnden Wogen. Aber sosehr er auch spähte — er entdeckte nichts. Als die Morgendämmerung hereinbrach, saß er immer noch unbeweglich auf seinem Wachposten.

Plötzlich aber fuhr der Indianer zusammen. Seine Adleraugen hatten einen in den Wellen schaukelnden Gegenstand wahrgenommen. Vielleicht ein Ertrunkener? Aber dieses Wesen schwamm ruhig auf dem Rükken, verschränkte die Arme unter dem Kopf. Es mußte der Amphibienmensch sein.

Balthasar erhob sich, preßte seine Hände aufs Herz und schrie: „Ichtiander! Mein Sohn!“ Dann stürzte sich der Greis mit erhobenen Armen ins Meer.

Als er wieder emportauchte, sah er die Wasserfläche tot. Verzweifelt kämpfte er mit der Brandung. Eine Riesenwelle erfaßte ihn, spülte ihn rücklings auf den Strand und rollte dann hohl gurgelnd zurück.

Nachdem Wind und Sonne Balthasars Kleider getrocknet hatten, ging er zur Mauer, die Salvators Gelände umschloß, und klopfte an die Tür.

„Wer ist da?“ fragte am Guckloch der Neger.

„Ich muß den Doktor in einer dringenden Angelegenheit sprechen.“

„Der Doktor empfängt niemanden“, antwortete der Neger abweisend. Das Guckloch schloß sich wieder.

Der alte Indianer hämmerte wie wild, heulte wie ein Rudel Wölfe. Aber das Tor blieb versperrt. Nur Hundegebell drohte hinter der Mauer.

„Wart nur, du verfluchter Spanier!“ Balthasar kehrte zornig in die Stadt zurück.

Hier steuerte er auf das Gasthaus „Zur Palme“ zu, das sich in der Nähe des Gerichtsgebäudes befand und tagsüber mit den vielen Klägern, Beklagten und Zeugen, die sich die Wartezeit mit Wein und Pulque abkürzten, wie eine Abteilung dieser Institution anmutete.

Ein behender Junge eilte ununterbrochen zwischen Gericht und Gasthaus hin und her, um die letzten Neuigkeiten zu verbreiten. Winkeladvokaten und falsche Zeugen boten ihre Dienste feil.

Balthasar war in Angelegenheiten seines Ladens schon öfter in der „Palme“ gewesen. Er wußte, daß er hier den richtigen Mann finden würde, der eine Bittschrift abfassen konnte. Der Nachrichtenknabe sagte, daß Don Flores de Larja auf seinem gewohnten Platz sitze.

Der mit dem hochtrabenden Namen war einst ein kleiner Angestellter bei Gericht gewesen und wegen Bestechlichkeit entlassen worden. Jetzt hatte er viele Klienten: Wer zweifelhafte Geschäfte betrieb, wandte sich vertrauensvoll an diesen Rechtsverdreher. Auch Balthasar hatte schon mit ihm zu tun gehabt.

Auf dem Tisch des Advokaten stand ein Krug mit Wein. Daneben eine vollgestopfte Aktentasche. Der Füllfederhalter klemmte arbeitsbereit an Larjas abgeschabter olivfarbener Jacke. Der Mann war dick, glatzköpfig und hochmütig.

Beilässig nickte er mit dem. Kopf und wies Balthasar auf den ihm gegenüberstehenden Korbsessel. „Bitte setz dich. Wo drückt der Schuh, womit kann ich dienen?“

„Eine große Sache. Eine wichtige Sache, Larja.“

„Don Flores de Larja“, verbesserte der Advokat und trank einen Schluck aus dem Krug.

Balthasar, dem die Titulierungssucht langsam gegen den Strich ging, betonte die Ernsthaftigkeit seines Anliegens.

„Dann red‘ schneller“, entgegnete der Advokat in gefälligerem Ton.

„Kennst du den Meerteufel?“ fragte der Indianer.

„Hatte bis jetzt noch nicht die Ehre, mit ihm persönlich bekannt zu werden, hörte jedoch schon von ihm.“ Larja tat wie immer wichtigtuerisch.

„Hör bitte gut zu. Das Wesen, welches Meerteufel genannt wird, ist mein Sohn Ichtiander.“

„Das ist doch ganz und gar unmöglich!“ rief der Advokat. „Mir scheint, du hast einen zuviel getrunken, Balthasar.“

Der Indianer schlug empört mit der Faust auf den Tisch. „Ich bin noch nie in meinem Leben nüchterner gewesen und spreche nichts als die reine Wahrheit.“ Und dann erzählte er Larja die Geschichte von A bis Z.

Des Advokaten Augenbrauen hoben sich immer höher. Endlich hielt er es nicht mehr aus, vergaß seine gespielte Würde, hieb mit der fetten Hand auf den Tisch und zwitscherte: „Tausend Teufel! Das nenn ich mir eine Überraschung.“

Ein Kellner mit schmutziger Serviette kam an seinen Tisch gelaufen. „Was wünschen die Herren?“

Larja bestellte ob des in Aussicht stehenden Geschäftes zwei Flaschen des besten Sektes und meinte, als er sich wieder zu Balthasar wandte: „Ehrlich gestanden, die schwächste Stelle in der ganzen Sache ist deine Vaterschaft. Ich spreche zu dir als Jurist. Vom Standpunkt der gerichtlichen Beweiskraft sind die Tatsachen eben sehr schwach. Aber das könnte man alles aufpolieren. Und es wäre dabei vielleicht viel Geld aufpolieren. Und es wäre dabei vielleicht viel Geld zu gewinnen.“

„Ich will keinen Zaster, sondern meinen Sohn.“ Balthasar entrüstete sich.

„Geld kann aber sehr beruhigen“, meinte Larja und kniff schlau die Augen zusammen. „Am wichtigsten in der ganzen Angelegenheit scheint mir, daß wir nun wissen, was Salvator so treibt mit seinen seltsamen Operationen. Daraus kann man ihm einen solchen Strick drehen, daß die Peseten rollen werden, als würde der Sturm überreife Apfelsinen vom Baum rütteln.“

Der alte Indianer überlegte und nippte an seinem Weinglas. „Ich will meinen Sohn haben. Setz mir eine Bittschrift auf fürs Gericht.“

„Niemals!“ entgegnete der Advokat erschrocken. „Das wäre unklug, könnte die ganze Sache gleich zu Beginn verderben. Wir sollten uns so etwas nur als letztes Druckmittel offenhalten.“

„Was rätst du dann?“ fragte Balthasar.

„Zunächst schicken wir Salvator einen höflichen Brief. Teilen ihm darin mit, daß wir über seine unerlaubten Versuche informiert sind. Wenn er verhindern möchte, daß diese Angelegenheit an die Öffentlichkeit gelangt, so soll er für unser Schweigen ein rundes Sümmchen berappen. Hunderttausend. Und keine Peseta weniger.“

Larja blickte lauernd auf seinen Partner, der mit düsterer Mine schwieg, und fuhr in seinem Ränkespiel fort: „Zweitens: Sobald wir die vereinbarte Summe erhalten haben — und daran zweifle ich nicht —, schreiben wir dem Doktor einen weiteren Brief, den wir noch höflicher halten. Darin teilen wir ihm mit, daß sich der richtige Vater von Ichtiander gemeldet hat und wir dafür einwandfreie Beweise in den Händen haben. Du verlangst als Vater deinen Sohn zurück und betonst, daß du im Weigerungsfalle deine Ansprüche vor Gericht geltend machen würdest. Und könntest ferner protestieren: ,Sie haben Ichtiander, meinen Sohn, durch eine Operation verunstaltet.‘ Falls Salvator einen Prozeß verhindern und das Kind behalten will, so fordern wir, daß er bei einer von uns bestimmten Person zu bezeichneter Zeit eine Million Dollar hinterlegt.“

Balthasar wurde die Sache langsam zu bunt. Er hätte diesem Winkeladvokaten am liebsten mit der Weinflasche über den Schädel geschlagen.

Larja hatte den Indianer noch nie so außer sich gesehen. „Beruhige dich, es war doch alles nur Spaß!“ Und vorsichtigerweise schützte er mit der Hand seinen glänzenden Schädel.

Balthasar schrie wütend: „Du hast mir geraten, den eigenen Sohn zu verkaufen? Ich soll mich von Ichtiander lossagen? Hast du denn überhaupt kein Herz?“

„Ich verstehe und fühle alles!“ Der Advokat versuchte, seinen Klienten zu beruhigen, und bat, ihn weiter anzuhören. „Ich wette meinen Kopf, daß Salvator die geforderte Million zahlt. Über meinen Anteil — vielleicht fifty-fifty — werden wir unter uns schon handelseinig werden. Und sobald wir alles im Kasten haben …“

„. verklagen wir den Doktor“, ergänzte Balthasar, der hinter Larjas Schliche gestiegen war.

„Wart doch! Von Newspapers, dem größten Zeitungskonzern, läßt sich ein weiteres Sümmchen für einen Exklusivbericht über dieses sensationelle Verbrechen herausschinden — ich schätze so an die 50.000 Dollar. Ein hübsches Taschengeld. Vielleicht fällt uns auch noch eine Belohnung der Geheimpolizei zu. Und wenn wir aus unserem Geschäftchen herausgeholt haben, was herauszuholen ist, gehst du zum Gericht und berufst dich auf deine Vatergefühle. Man wird dir schon zu deinem Recht verhelfen.“

Der Advokat leerte sein Glas auf einen Zug, setzte es hart auf den Tisch und sah Balthasar siegessicher an. „Was sagst du jetzt?“

„Ich kann nicht essen und nicht schlafen — und du rätst mir, die Sache in die Länge zu ziehen. Ich möchte meinen Sohn sofort haben.“

Larja fuhr von seinem Sitz hoch. „Hast du denn völlig den Verstand verloren? Zwanzig Jahre lang hast du es ohne Ichtiander ausgehalten. Und nun kann‘s dir gar nicht schnell genug gehn, möchtest du die Million einfach in den Wind blasen. Du bist ein unverbesserlicher Dummkopf. Solch eine Chance erhält man doch nicht alle Tage!“

Aber der Indianer beharrte: „Schreib das Gesuch ans Gericht, oder ich gehe zu einem anderen Anwalt.“

Der Advokat sah ein, daß es ziemlich nutzlos war, noch länger zu feilschen. Er schüttelte den Kopf. Seufzte und begann die Klage gegen Salvator aufzusetzen, der sich gesetzwidrig einen Sohn angeeignet und ihn dann verstümmelt hatte.

„Gib her!“ Balthasar griff nach dem Papier.

„Reich die Klage am besten beim Gerichtspräsidenten persönlich ein“, rief Larja seinem Klienten nach. Doch vor sich hin brummte er: „Am. allerbesten aber wäre, wenn dieser Blödian die Treppe herunterfiele und sich die Beine bräche.“

Als Balthasar das Gerichtsgebäude verlassen wollte, stieß er fast mit Surita zusammen.

„Was hast du hier zu suchen?“ Der Kapitän musterte den alten Indianer, als sei ihm eine Laus über die Leber gelaufen. „Willst du mich vielleicht verklagen?“

„Man sollte euch alle in die Hölle schicken“, antwortete Balthasar gereizt. „Wo hast du meine Tochter versteckt?“

„Du duzt mich. Wir haben noch keine Schweine miteinander gehütet. Wärst du nicht der Vater meiner Frau, so würde ich dich jetzt mit meinem Stock verprügeln.“

Surita schob den Indianer grob beiseite, stieg die breite weiße Treppe hinauf und verschwand hinter einer Eichentür.

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