15. KAPITEL


Auf dem Rückweg von Berengars Zelt blieb Golo an einem der großen Signalfeuer stehen, die am Ufer der Waldinseln entfacht worden waren. Sie sollten der Flotte, die vielleicht schon in dieser Nacht ankommen würde, den Weg durch die Sümpfe weisen. Mehr als dreißig Drachenschiffe sollten Nachschub an Lebensmitteln, Waffen und Truppen bringen. Golo starrte in das gewaltige Feuer, das mit dem Holz des uralten Trophäenbaums gespeist wurde. Wie kleine Sterne stoben Funken aus der Spitze der Flamme und stiegen zum Nachthimmel auf.

Den ganzen Tag über hatten sie darauf gewartet, daß die Feen aus dem Sumpf kamen. Doch sie schienen zu ahnen, daß der Bischof ihnen eine Falle stellen wollte. Kein Boot hatte sich auf dem Wasser gezeigt, und es war auch kein Sturm losgebrochen wie an jenem Morgen, an dem er mit Volker und Gwalchmai hierhergekommen war. Es schien, als würde die Macht des Bischofs über die Zauberkraft des Nachtvolks triumphieren. Dennoch hatte Jehan de Thenac doppelte Wachen für die Nacht eingeteilt. Ob er wohl mit einem Angriff rechnete? Die großen Feuer waren auch eine Provokation. Sie mußten auf viele Meilen im Sumpf zu sehen sein.

Die Flammen warfen breite Streifen aus rotgoldenem Licht auf das Wasser. Golo dachte an das Abendessen mit Berengar. Die Diener des Anführers der Ritter aus Armorika hatte gefüllte Wachteln und einen erlesenen Rotwein aufgetischt. Während des Mahls hatte er mit Berengar noch einmal über das Pfingstturnier gesprochen, und der Recke hatte ihn lachend für seine Kunst im Umgang mit der Lanze gelobt. Der ehemalige Knecht seufzte. Langsam begann ihm das Leben als Ritter zu gefallen. Der Bischof hatte ihm am Nachmittag ein Rittergut hier in den Sümpfen versprochen. Vielleicht würde er sogar Vogt über die eroberten Ländereien in den Sümpfen werden. Um seine Zukunft brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen! Jehan de Thenac würde ihn gewiß gut versorgen.

Golo blickte zum Wasser. Er glaubte, außerhalb des Lichtkreises eine Bewegung gesehen zu haben. Ob die Schiffe sie schon gefunden hatten? Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Finsternis. Einige dünne Baumstämme trieben im Wasser. Dahinter konnte er schwach ein paar Kugeln, so groß wie Kohlköpfe, erkennen. Aber... Er fluchte. Das waren Schwimmer! Nur ein paar Schritt entfernt ertönte ein unterdrückter Schrei. Dicht neben dem Feuer war ein nackter Krieger aus dem Wasser gestiegen und hatte einem Wächter mit einem breiten Messer die Kehle durchgeschnitten. Golo machte einen Satz zurück und zog sein Schwert. Die Feen waren also doch noch gekommen!

Hinter ihm ertönten Alarmrufe. Feuerkugeln fielen wie Sternschnuppen aus dem Nachthimmel. Zwei Zelte gingen in Flammen auf. Jetzt konnte er auch am Waldrand nackte Krieger sehen. Sie kamen von allen Seiten! Nur ein paar Schritte entfernt trat Berengar vor sein Zelt. Er trug einen langen Reiterschild und hatte ein blankes Schwert in der Hand.

»Männer aus Armorika, zu mir!« brüllte er über den Schlachtlärm hinweg und riß das Banner aus der Erde, das vor seinem Quartier aufgepflanzt war. Ringsherum kamen jetzt Krieger aus den Zelten gestürmt. Doch nur die wenigsten hatten die Zeit gefunden, ihre Brünne anzulegen. Die meisten waren halbnackt und so wie Berengar nur mit Schwert und Schild bewaffnet.

Dicht neben Golo schlug ein Pfeil in die Erde. Es war Zeit zu verschwinden. Die Schwimmer, die er beobachtet hatte, waren keine zehn Schritt mehr vom Ufer entfernt. Er drehte sich um und stand vor einem baumlangen, nackten Krieger, der sein Schwert zum Schlag erhoben hatte. Mit einem Sprung versuchte er, sich in Deckung zu bringen, doch die Scheide seines Schwertes verfing sich zwischen seinen Beinen, so daß er strauchelte. Der Sturz rettete ihm das Leben. Nur einen Finger breit verfehlte ihn die Klinge des Barbaren. Noch im Fallen riß Golo sein Schwert hoch und stieß es seinem Gegner in den Bauch. So leicht wie ein Fleischmesser durch ein Bratenstück schnitt der Stahl durch das ungeschützte Fleisch. Der nackte Krieger stieß einen Schrei aus, der in einem Gurgeln erstickte. Blut tropfte ihm von den Lippen. Er versuchte den Arm zu heben und noch einmal anzugreifen.

Golo fluchte. Er mußte seine Waffe wieder freibekommen! Die Bewegungen des Kriegers waren so langsam, als machten sie eine Fechtübung, bei der er seinem Schüler einen neuen Schlag zeigte. Golo erinnerte sich daran, wie ihm der Bischof einmal erklärt hatte, was zu tun war, wenn man einem Feind die Klinge in den Leib gestoßen hatte. Er drehte die Waffe leicht zur Seite und riß sie dann mit aller Kraft zurück. Sein Feind schien versteinert zu sein. Er hatte das Schwert jetzt hoch über den Kopf gehoben, und Golo wollte parieren, doch es kam kein Angriff. Der nackte Krieger starrte ihn mit seinen grauen Augen an. Er bewegte die Lippen, als wolle er etwas sagen, dann brach er in die Knie und kippte vornüber in den aufgewühlten Uferschlamm. Dem jungen Ritter war übel. Er hatte sich den Krieg anders vorgestellt. Golo hatte geglaubt, ein Kampf auf Leben und Tod sei ein langes Kräftemessen zwischen zwei Recken, in dem schließlich der Stärkere oder der Geschicktere triumphierte. Das hier ging so schnell. Wäre ihm nicht die Schwertscheide zwischen die Beine geschlagen, dann würde er jetzt sterbend im Schlamm liegen.

Ein Schwimmer erreichte ein paar Schritt entfernt das Ufer und zog sein Schwert aus einem Ledergurt, den er über den Rücken trug. Der Kerl war am ganzen Körper tätowiert und hatte seine Haare auf der Mitte des Kopfes zu einem Zopf zusammengebunden.

Golo begann zu laufen. Auf sich allein gestellt würde er in diesem Getümmel nicht lange überleben. Er duckte sich und lief zwischen den Zelten hindurch auf Berengar zu. An seiner Seite war er in Sicherheit. Der Ritter wußte, wie man Schlachten überlebte! Ein paar Recken hatten sich schon um ihn geschart.

»Hierher, Golo!« erklang eine laute Stimme, seitlich vom ihm. »Wir werden diese Heidenbrut in den Sumpf zurücktreiben.« Es war Jehan, der ihn gerufen hatte. Der Bischof schritt aufrecht, anscheinend ohne Angst, durch das Getümmel. Er trug weder einen Schild noch sein Panzerhemd. Ob er wohl glaubte, der Heiland würde ihn vor Pfeilen beschützen?

»Begebt Euch in Deckung, Herr!« Golo bückte sich nach einem Toten und zog ihm den Schild vom Arm.

»Das sind doch nur dahergelaufene Strauchdiebe! Ihnen in einer Rüstung entgegenzutreten hieße, ihnen zuviel der Ehre anzutun. Komm schon her, Junge, wir werden sie lehren, was es heißt, sich gegen Christenmenschen aufzulehnen.« Ein Pfeil verfehlte den Bischof um eine Handbreit, doch Jehan schien das nicht zu bemerken. Er wandte sich zum Wald und fluchte gotteslästerlich. Man mußte wohl ein Kirchenmann sein, um bei solchen Worten nicht um sein Seelenheil bangen zu müssen.

»Kommt her, ihr bocksbeinigen Satansbuhlen. Ich werde jedem, der dem Gottseibeiuns den Arsch geküßt hat, sein Gemächt abreißen und es ihm in den Rachen stopfen, bis er daran erstickt. Wo steckt ihr? Ich war es, der ins Horn gestoßen hat! Kämpft mit mir, ihr Feiglinge!«

Wohl ein halbes Dutzend Pfeile schlug rund um den Bischof in den Boden. Ein Ritter, der zu Jehan laufen wollte, um den Kirchenfürsten mit seinem Schild abzuschirmen, wurde von einem Geschoß ins Auge getroffen und ging zu Boden. Doch Jehan schien wie durch ein Wunder gegen die Pfeile der Heiden gefeit zu sein. Als ein zweiter Ritter, der an die Seite des Heerführers eilen wollte, von einem Speer durchbohrt wurde, entschied Golo für sich, daß es klüger wäre, sich in der Schlacht nicht in Jehans Nähe aufzuhalten.

Hinter seinen Schild geduckt, rannte er zu Berengar. Um den Recken hatten sich inzwischen mindestens zwanzig Ritter gesammelt und einen Kreis gebildet, so daß der Feind sie nicht im Rücken angreifen konnte. In ihrer Mitte wehte trotzig Berengars Banner. »Hierher, von Zeilichtheim!« Der großgewachsene Krieger winkte ihn an seine Seite, und eine Lücke öffnete sich in der Mauer der Schilde. »Gut, dich lebend zu sehen, mein Freund! Ich fürchte, wir haben diese Bastarde unterschätzt. Sie müssen an die hundert Bogenschützen dort drüben im Wald haben. Wenn wir es nicht schaffen, unter denen aufzuräumen, dann werden wir alle uns den Sonnenuntergang von Pfahlspitzen aus ansehen. Diese Hundesöhne haben den Zeitpunkt für ihren Angriff verdammt gut abgepaßt.«

Golo wollte ihm etwas antworten, doch klapperten ihm die Zähne so sehr, daß er kein Wort herausbrachte.

»Im leichten Marschtritt zum Wald«, rief Berengar, und der Schildkreis begann sich in Bewegung zu setzen.

Der Ritter verpaßte Golo einen sanften Stoß in die Rippen. »Bleib neben mir, Freund! In seiner ersten Schlacht ist es wichtig, einen erfahrenen Kämpen an seiner Seite zu haben. Ich pass’ auf dich auf.«

Der ehemalige Knecht nickte dankbar. Den Schild schützend vor die Brust gehoben, bemühte er sich, im Gleichschritt mit den anderen Rittern zu bleiben. Rings um sie brannte bereits die Hälfte des Lagers. Es war taghell auf der Lichtung, der Wald aber erschien wie eine drohende, schwarze Mauer. Ein dumpfes Donnern ertönte vor ihnen. Golo spürte, wie der Boden unter seinen Füßen erbebte.

»Bei der Jungfrau Maria!« zischte Berengar. Dann brüllte er los. »Runter, duckt euch hinter eure Schilde und haltet die Formation, sonst sind wir alle tot!«

Jetzt konnte Golo den Ursprung des Lärms erkennen. Die Heiden hatten die Pferde aus ihrem Pferch am Wald befreit und trieben sie ihnen entgegen. Wie eine Meereswoge kamen die großen Schlachtrösser auf sie zugestürmt. Golo stieß die Spitze seines Schildes vor sich in den Boden und kauerte sich nieder. Die vorderste Front der Pferde war jetzt keine zehn Schritt mehr entfernt. Ein schwarzer Hengst kam direkt auf ihn zu galoppiert. Wiehernd warf er den Kopf in den Nacken und wich zur Seite aus, als er bis auf zehn Schritt heran war. So wie eine Woge vor einem Fels im Strom, so teilte sich die Front der Pferde, um dem Schildwall auszuweichen. Doch der Platz war zu eng. Schon wurden die Männer an den äußeren Enden der lebenden Mauer niedergetrampelt. Immer später wichen die Pferde zur Seite. Dann setzte der erste Hengst über ihn hinweg. Golo konnte sehen, wie dem Mann zu seiner Linken von einem Huf der Schädel zerschmettert wurde. Einige Herzschläge lang schien die Welt nur noch aus dampfenden Pferdeleibern und aufgewirbeltem Schlamm zu bestehen. Dann war der Spuk vorbei. Doch es blieb keine Zeit zum Atemholen, denn den Hengsten folgten die Barbaren. Heulend wie Wölfe fielen die nackten Krieger über sie her.

»Auf die Beine«, befahl Berengar mit ruhiger Stimme. »Schließt die Lücken im Wall. Rückt zusammen, und dann schickt mir diese Bastarde in die Hölle!«

Golo hatte das Gefühl, in einem Alptraum gefangen zu sein. Dicht wie Hagelschlag prasselten die Schwerthiebe der Barbaren auf ihre Schilde. Jetzt bewährten sich die harten Schwertübungen, die ihm der Bischof aufgezwungen hatte. Ohne nachzudenken, schlug er über den Schildrand hinweg auf die Feinde ein. Ein Speer verletzte ihn an der Wange unter seinem linken Auge, und ein Dolch schnitt ihm in den Oberschenkel. Doch der junge Ritter fühlte keinen Schmerz. Wie eine Viper zuckte sein Schwert den Feinden entgegen, und schließlich zogen sich die Wilden zurück. Kaum war diese Gefahr überstanden, da hagelten wieder Pfeile auf sie herab. Verzweifelt kauerte sich Golo hinter seinen Schild. Er war überzeugt davon, daß er keine Stunde mehr zu leben hatte. Etwas Warmes lief ihm die Beine hinab. Ungläubig blickte er an sich hinab. Er konnte das Wasser nicht mehr halten!

Berengar, der neben ihm kauerte, folgte seinem Blick und grinste. »Mach dir nichts draus! In meiner ersten Schlacht hab’ ich mir ins Kettenhemd geschissen. Das ist mindestens der Hälfte der Männer hier passiert. Was glaubst du, wie mein Waffenknecht geflucht hat, als der sich abends um die Sauerei kümmern mußte!«

Golo lächelte verlegen. »Werden wir alle sterben müssen in dieser Nacht?« fragte er leise.

Berengar schüttelte den Kopf. »Unsinn! Die Nacktärsche haben sich gerade eine ganz schön blutige Nase geholt, als sie gegen unseren Schildwall angestürmt sind. Ich bin sicher, wir haben das Schlimmste überstanden.« Hinter ihnen erklang das Rufen vieler Hörner im Nebel. Die Barbaren schienen vom Wasser her Verstärkung zu bekommen. Jetzt war alles vorbei!

Zwischen den brennenden Zelten formierten sich die Krieger des Nachtvolks zu einem neuen Angriff. Einen Moment lang glaubte Golo, einen Mann zwischen ihnen zu sehen, der Volker ähnelte. Er schien die Krieger zurückhalten zu wollen. Der ehemalige Knecht lächelte. Was für ein Unsinn, sich den Herrn von Alzey als nackten Barbaren vorzustellen!

Eine Frau mit einem schwarzen Umhang war zwischen den Feenkämpfern erschienen. Sie wies mit ihrem Schwert auf den Schildwall, und die Barbaren stürmten los. Golo flüsterte ein stummes Gebet. Auch in ihrem Rücken erklangen jetzt laute Kriegsschreie.

»Das sind unsere!« erklang eine schrille Stimme. Ungläubig blickte Golo über die Schulter. Ein schlanker Drachenhals schob sich aus dem Nebel am Ufer. Dann erschien ein dunkler Bootsleib. Männer mit langen Bärten und bunt bemalten Rundschilden sprangen ins Wasser und kamen auf sie zugelaufen. Es waren die Nordmänner, die der Bischof in seinen Sold genommen hatte! Sie waren gerettet!

Ein Hagel von Pfeilen prasselte gegen den Schildwall. Dann rückte die zweite Angriffswelle der Barbaren heran. Mit neuem Mut hob Golo sein Schwert. Sie würden nicht mehr lange durchhalten müssen!

»Du hattest recht, wir werden es schaffen, Berengar!« Der Ritter aus Armorika antwortete nicht. Der Knecht blickte hastig nach rechts. Die Angreifer hatten ihre Formation fast erreicht. Erschrocken erkannte Golo, daß neben ihm eine Lücke in den Wall gerissen war. Berengar lag, halb von seinem Schild bedeckt, am Boden. Ein rot gefiederter Pfeil ragte aus seiner Kehle. Mit einem weiten Schritt trat ein anderer Ritter über den toten Recken hinweg und schloß die Lücke im Schildwall. Dann begann erneut das Gemetzel.



»Greift an! Wir werden sie zu den Schiffen zurücktreiben.« Macha selbst stand in der vordersten Schlachtreihe und feuerte ihre Krieger an. Doch ihr Kampf war aussichtslos. Volker packte die wiedererstandene Göttin an der Schulter und zog sie zurück. »Wir müssen hier fort. Sie sind uns um das Doppelte überlegen, und sie sind besser ausgerüstet. Wir können diese Schlacht nicht mehr gewinnen.«

»Verräter«, zischte Macha wütend. »Was weißt du schon von den Kriegern des Sumpfvolkes?«

»Nur was ich sehe, und das genügt! Blick dich um! Deine Krieger sterben wie die Fliegen. Wenn du noch jemanden nach Galis zurückbringen willst, dann gib endlich Befehl zum Rückzug, sonst überläßt du die Stadt wehrlos den Normannen.«

Macha schüttelte den Kopf. »Das Nachtvolk ist noch niemals besiegt worden. Auch wenn wir uns zurückziehen, werden wir vernichtet werden und...«

Volker holte mit der Waffe aus und schlug Macha mit der flachen Seite seines Schwertes vor die Schläfe. Die Rabengöttin strauchelte, und er fing sie in seinen Armen auf. »Du hast es nicht anders gewollt, törichte Närrin«, flüsterte der Spielmann. Hastig blickte er sich um. Keiner der Männer schien bemerkt zu haben, was er getan hatte, oder sie waren klug genug zu schweigen. Volker war davon überzeugt, daß jeder der Krieger Macha bis in den Tod gefolgt wäre, doch sie mußten wissen, daß es ein sinnloses Opfer war. Nun hatte er das Kommando. Schließlich war er während der heiligen Hochzeit zum König gekürt worden.

»Zurück zu den Booten. Die Göttin ist verletzt. Wir müssen sie nach Galis bringen!« Der Ritter hatte Mühe, mit seiner Stimme den Schlachtenlärm zu übertönen. Seit der Feind Verstärkung erhalten hatte, hatten sich die Seiten verkehrt. Jetzt waren sie es, die in die Defensive gedrängt waren. Noch hielt die lockere Schlachtreihe gegen die wütenden Angriffe der Normannen, doch Schritt um Schritt wichen die Krieger des Nachtvolks zum Wald hin zurück.

Ihre Lage wurde mit jedem Augenblick aussichtloser. Wenn er den Befehl gab, die Schlachtlinie aufzulösen und zu den Booten zu fliehen, dann würde mindestens die Hälfte der Krieger auf der Flucht niedergemetzelt. Er mußte die Formation der Normannen zerstreuen. Nur dann konnten seine Männer einen halbwegs geordneten Rückzug antreten.

Volker winkte einen jungen Krieger herbei. »Nimm dir ein paar Krieger und schaffe Macha zu einem der Boote! Die Göttin muß vor den Feinden gerettet werden.«

Der junge Mann nickte stumm. Tränen rannen ihm übers Gesicht, als er Macha auf den Arm nahm und geschützt durch zwei Schildträger zum Wald zurücklief. Auf der anderen Seite der Halbinsel lagen die Boote versteckt, auf denen die kleine Armee des Nachtvolks von Galis her übergesetzt war. Volker betete stumm, daß sich keines der normannischen Drachenboote dorthin verirrt hatte. Es war nur eine Handvoll Knaben und alter Männer zur Bewachung zurückgeblieben. Die Nordmänner würden leichtes Spiel mit ihnen haben. Er sollte lieber erst gar nicht daran denken! Wenn sie die Boote verloren, gab es keine Möglichkeit zum Rückzug mehr.

Fluchend griff Volker nach dem Horn an seinem Gürtel. Abgesehen von dem breiten Wehrgehänge um seine Hüften war auch er nackt und mit magischen Zeichen bemalt, wie die übrigen Kämpfer des Nachtvolks. Er würde jetzt das Zeichen geben. Wenigstens hatten diese Narren beim Kriegsrat in diesem Punkt auf ihn gehört. Es waren einige Hornsignale ausgemacht worden, die alle Krieger kannten. Dies war die einzige Möglichkeit, die Truppen im dichten Schlachtgetümmel noch zu lenken.

Dreimal erklang der Ruf seines Horns, dann hob Volker sein Schwert und drängte sich erneut in die vorderste Schlachtreihe. Es war absurd, daß er als christlicher Ritter hier auf seiten der Heiden gegen ein christliches Heer focht. Im Grunde stand er auf der falschen Seite. Nur Gunbrid zuliebe war er in diese Schlacht gezogen. Nach dem Kriegsrat war die Nichte seines Königs in seine Gemächer gekommen und hatte ihm in aller Deutlichkeit geschildert, was geschehen würde, wenn er sie nicht verteidigte. Gunbrid hatte schon immer eine scharfe Zunge gehabt und ihre Argumente wie Pfeile auf ihn abgeschossen! Natürlich wußte Volker, was geschehen würde, wenn ein christliches Heer eine heidnische Stadt eroberte. Es würde vergewaltigt, gemordet und gebrandschatzt. Und er war zu ihrem Schutz hier.

Der Spielmann wich dem Angriff eines Axtkämpfers aus und traf den Mann mit seinem Schwert knapp oberhalb des Knies in den Schenkel. Volker bemühte sich, keinen der christlichen Kämpfer zu töten. Niemals hätte er sich träumen lassen, daß diese Reise damit enden würde, daß er gezwungen war, gegen die rechtmäßigen Herren Aquitaniens zu kämpfen. Doch als Ritter Gunthers mußte er dessen Nichte beschützen, und das konnte er nur, indem er verhinderte, daß diese Bastarde die Mauern von Galis erreichten. Verzweifelt hatte er im Kriegsrat versucht, Macha von einem direkten Angriff auf das Ritterheer abzuhalten. Doch die Rabengöttin hatte sich durchgesetzt. Noch nie hatten ihre Krieger eine Niederlage erlitten, und sie folgten ihr blind.

Endlich erklang vom Wald her das Geräusch donnernder Hufe. Bei ihrem Angriff war nur ein Teil der Schlachtrösser in das Lager der Normannen getrieben worden. Mit seinem Hornsignal hatte er den Befehl erteilt, auch die restlichen Pferde auf die Lichtung zu treiben. Nur so bestand Hoffnung, die Reihen der Feinde durcheinanderzubringen. Volker duckte sich unter dem Angriff eines hünenhaften Normannen, der zweihändig eine riesige Axt führte. Hastig blickte er hinter sich. Schon konnte er die ersten Pferde zwischen den Bäumen erkennen. Zuerst würden die Tiere durch die Schlachtreihe des Nachtvolks brechen. Volker hoffte, daß nicht allzuviele seiner Männer unter den Hufen der Schlachtrösser sterben würden. Ohne schwere Kettenhemden waren sie wendiger als die Normannen und konnten den Pferden leichter ausweichen.

Der Axtkämpfer, der eben noch auf ihn eingedroschen hatte, ließ nun seine Waffe fallen und wandte sich zur Flucht. Noch bevor die Hengste die Lichtung erreichten, zerfielen die Schlachtreihen des Nachtvolks und der Christenritter. Volker stieß sein Schwert in die Scheide zurück und drehte sich zu den Pferden um. Mit einem Hechtsprung wich er einem grauen Hengst aus und griff dann in die Mähne eines Rappen, um sich auf den Rücken des Pferdes zu ziehen. Hier oben war er am sichersten. Flach über den Hals des Pferdes gebeugt, zog er sein Horn aus dem Gürtel und gab das Signal zum Rückzug.

So wie eine Lawine, die einen Bergwald niederreißt, zersprengten die Pferde die Reihen der Normannen. Auf der engen Lichtung war nur wenig Platz zum Ausweichen. Schreiend liefen die Krieger und Söldner durcheinander. Durch die Männer von den Schiffen hatte sich die Anzahl der Soldaten, die auf der Lichtung zusammengepfercht waren, mindestens verdoppelt. Wie aufgescheuchte Hühner rannten die Normannen herum, und es war sicher kaum einer unter ihnen, der jetzt daran dachte, die flüchtenden Heiden zu verfolgen.

Volker hieb seinem Hengst die Fersen in die Flanken und versuchte, das Pferd zum Rand des Lagers hin zu lenken. Er mußte sehen, daß er von hier fortkam. Wenn die Pferde erst einmal begannen, sich zu beruhigen, dann sollte er besser nicht mehr inmitten des feindlichen Heerlagers sein.

Obwohl der Spielmann ein ausgezeichneter Reiter war, hatte er mit dem scheuenden Hengst einige Mühe. Ohne Sattel und Zaumzeug hatte er noch nie zuvor in seinem Leben ein Pferd geritten. Ganz zu schweigen davon, daß er natürlich auch noch niemals nackt auf einem Hengst gesessen hatte. Für ein Heldenlied bei Hof wäre diese Schlacht gewiß nicht geeignet, obwohl einige Damen Gefallen an solchen Geschichten finden würden.


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