Ich gebe mir größte Mühe, nicht zu glauben, was mein Freund George so daherredet. Wie kann ich einem Mann glauben, der mir erzählt, daß er Umgang mit einem zwei Zentimeter großen Dämon pflegt, den er Azazel nennt; ein Dämon, der in Wirklichkeit ein außerirdisches Wesen mit außergewöhnlichen, jedoch streng begrenzten Fähigkeiten ist?
Und doch ist George in der Lage, mich ohne mit der Wimper zu zucken mit seinen blauen Augen anzuschauen und dazu zu bringen, ihm vorübergehend alles zu glauben was er erzählt. Alte Seebären und ihre Geschichten, Sie wissen schon.
Ich sagte einmal zu ihm, ich hätte den Eindruck, als habe ihm sein kleiner Dämon die Gabe der verbalen Hypnose verliehen, aber George seufzte. »Überhaupt nicht!« sagte er. »Wenn er mir etwas gegeben hat, dann den Fluch, daß man mich ins Vertrauen zieht - doch das war schon mein Schicksal lange bevor ich Azazel begegnet bin. Die ungewöhnlichsten Leute bestehen darauf, mich mit ihren Leidensgeschichten zu belasten. Und manchmal -«
Er schüttelte zutiefst niedergeschlagen den Kopf. »Manchmal«, sagte er, »wiegt die Bürde, die ich deswegen tragen muß, schwerer, als einem Menschen aus Fleisch und Blut zugemutet werden sollte. Einmal traf ich zum Beispiel einen Mann namens Hannibal West ...«
Er fiel mir zum erstenmal [sagte George] in der Lounge eines Hotels auf, in dem ich wohnte. Ich bemerkte ihn vornehmlich deshalb, weil er mir den Blick auf ein Bild von einer Kellnerin versperrte, die höchst ansprechend, da sparsam geschürzt war. Vermutlich dachte er, ich würde ihn anschauen, was gewiß nicht in meiner Absicht lag, und wertete es als Ouvertüre einer Freundschaft.
Er trat an meinen Tisch, brachte seinen Drink mit und setzte sich ohne ein >Wenn Sie gestatten.< Ich bin von Natur aus ein höflicher Mensch, daher begrüßte ich ihn mit freundschaftlichem Grunzen und stechendem Blick, was er auf eine gelassene Art und Weise hinnahm. Er hatte sandfarbenes Haar, das an seiner Kopfhaut klebte, helle Augen und ein gleichermaßen helles Gesicht, zusammen mit dem konzentrierten Blick eines Fanatikers, was ich allerdings erst später bemerkte.
»Mein Name«, sagte er, »ist Hannibal West, ich bin Professor der Geologie. Mein Fachgebiet ist die Speläologie. Sie sind nicht zufällig selbst ein Speläologe?«
Ich wußte sofort, daß er den Eindruck hatte, er hätte eine verwandte Seele gefunden. Mir wurde bei dem Gedanken übel, doch ich blieb höflich. »Ich interessiere mich für alle seltsamen Worte«, sagte ich. »Was ist Speläologie?«
»Höhlen«, sagte er. »Das Studium und die Erforschung von Höhlen. Das ist mein Hobby, Sir. Ich habe auf allen Kontinenten Höhlen erforscht, ausgenommen die Antarktis. Ich weiß mehr über Höhlen als jeder andere auf der Welt.«
»Hochinteressant«, sagte ich, »und beeindruckend.« Im Gefühl, daß ich damit eine höchst unbefriedigende Begegnung beendet hatte, winkte ich der Kellnerin, damit sie mir einen neuen Drink brachte, und studierte mit rein wissenschaftlicher Neugier ihren wippenden Gang durch den Raum.
Hannibal West indessen kam nicht zur selben Schlußfolgerung. »Ja«, sagte er und nickte nachdrücklich, »Sie haben ganz recht, beeindruckend. Ich habe Höhlen erforscht, die der Welt unbekannt sind. Ich habe unterirdische Grotten betreten, wo nie ein Mensch seine Fußspuren hinterlassen hat. Ich gehöre zu den wenigen Zeitgenossen, die gewesen sind, wo noch kein Mann, und, was das betrifft, auch keine Frau je gewesen ist. Ich habe Luft geatmet, die bis dahin mit keiner menschlichen Lunge Kontakt hatte, und habe Dinge gesehen und gehört, die niemand sonst gesehen und gehört hat - und ich habe überlebt.« Er erschauerte.
Mein Drink kam; ich nahm ihn dankbar entgegen und bewunderte die Anmut, mit der die Kellnerin sich vornüberbeugte und ihn auf den Tisch vor mir stellte. »Sie sind ein glücklicher Mann«, sagte ich, obwohl ich geistig nicht ganz bei der Sache war.
»Das bin ich nicht«, sagte West. »Ich bin ein jämmerlicher Sünder, den der Herr auserkoren hat, die Sünden der Menschheit zu rächen.«
Jetzt endlich sah ich ihn eingehender an und bemerkte ein fanatisches Funkeln, das mich fast an der Wand festnagelte. »In Höhlen?« fragte ich.
»In Höhlen«, sagte er ernst. »Glauben Sie mir. Als Professor der Geologie weiß ich, wovon ich rede.«
Ich hatte in meinem Leben zahlreiche Professoren kennengelernt, die das nicht wußten, verkniff mir aber jede diesbezügliche Bemerkung.
Vielleicht las West meine Meinung in meinen ausdrucksstarken Augen, denn er fischte einen Zeitungsausschnitt aus einer Aktentasche zu seinen Füßen und gab ihn mir. »Hier!« sagte er. »Sehen Sie sich das an!«
Ich kann nicht sagen, daß er eine eingehendere Betrachtung gerechtfertigt hätte. Es war ein Artikel, drei Absätze, aus einer Lokalzeitung. Die Schlagzeile lautete >Ein dumpfes Grollen<, die Meldung betraf East Fishkill, New York. Es war eine Schilderung, wonach dortige Einwohner sich wegen eines dumpfen Grollens, das sie beunruhigte und unter der Katzen- und Hundepopulation der Stadt nicht unerhebliche Aufregung verursachte, bei der Polizei beschwert hatten. Die Polizei tat es als Lärm eines fernen Gewitters ab, obwohl die Meteorologen aufgebracht betonten, daß an jenem Tag in der gesamten Region überhaupt keines aufgetreten sei.
»Was halten Sie davon?« fragte West.
»Könnte es eine kollektive Verdauungsstörung gewesen sein?«
Er schnaubte höhnisch, als wäre dieser Einwand ganz und gar lächerlich, aber keiner, der je Verdauungsstörungen hatte, würde das so sehen.
»Ich habe ähnliche Meldungen aus Zeitungen in Liverpool, England; Bogota, Kolumbien; Mailand, Italien und Rangun, Birma und rund fünfzig weiteren Orten auf der ganzen Welt«, sagte er. »Ich habe sie gesammelt. In allen ist von einem durchdringenden dumpfen Grollen die Rede, das Furcht und Nervosität auslöste und Tiere rasend machte, und alle stammen aus einem Zeitraum von zwei Tagen.«
»Ein einziger weltweiter Vorfall«, sagte ich.
»Exakt! Schöne Verdauungsstörungen.« Er sah mich stirnrunzelnd an, trank einen Schluck von seinem Drink und schlug sich auf die Brust. »Der Herr gab mir eine Waffe in die Hand, und ich muß lernen, damit umzugehen.«
»Was ist das für eine Waffe?« fragte ich.
Er antwortete nicht direkt. »Ich fand die Höhle zufällig«, sagte er, »was ich sehr begrüße, denn eine Höhle, deren Öffnung zu sichtbar ist, ist Allgemeingut und wird von lausenden besucht. Zeigen Sie mir eine schmale, verstecke Öffnung, von Vegetation überwuchert, von heruntergefallenen Felsbrocken verdeckt, hinter einem Wasserfall verborgen, an einer praktisch unzugänglichen und gefährlichen Stelle gelegen, und ich zeige Ihnen eine jungfräuliche Höhle, die eine Erforschung rechtfertigt. Sie sagen, Sie wissen nichts über Speläologie?«
»Natürlich war ich schon in Höhlen«, sagte ich. »Die Luray-Höhlen in Virginia -«
»Kommerziell!« sagte West, verzog das Gesicht und suchte eine geeignete Stelle zum Hinspucken auf dem Fußboden. Glücklicherweise fand er keine.
»Da Ihnen die göttlichen Wonnen der Höhlenforschung unbekannt sind«, fuhr er fort, »will ich Sie nicht mit der Schilderung langweilen, wie ich sie gefunden und erforscht habe. Es ist natürlich nicht immer ganz ungefährlich, unbekannte Höhlen ohne Begleiter zu erforschen, aber ich unternehme gern Soloexpeditionen. Schließlich gibt es niemanden, der über mein enormes Wissen verfügt, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß ich mutig wie der sprichwörtliche Löwe bin.
In dem Fall war es tatsächlich ein Glücksfall, daß ich allein war, denn es hätte nichts genützt, wenn ein anderes menschliches Wesen diese Entdeckung gemacht hätte. Ich hatte mehrere Stunden geforscht, als ich auf einen großen und stillen Raum mit Stalaktiten oben und Stalagmiten unten in überreichlichem Maße stieß. Ich ging um die Stalagmiten herum und zog meinen Bindfaden hinter mir her, da ich es nicht schätze, mich zu verirren, und dann stieß ich auf einen dicken Stalagmiten, der an einer natürlichen Sollbruchstelle abgebrochen zu sein schien. Auf einer Seite lag ein Häufchen Kalkstein. Ich kann nicht sagen, wieso er abgebrochen war - vielleicht war ein großes Tier, das vor Jägern in die Höhle floh, im Dunkel gegen den Stalagmiten gestoßen, oder der Stalagmit hatte einem mäßigen Erdbeben nicht ausreichend standgehalten.
Wie auch immer, der Stumpf des Stalagmiten wurde jetzt von einer glatten Oberfläche gekrönt, deren Feuchtigkeit im Schein meiner Taschenlampe funkelte. Sie war fast kreisrund und erinnerte an eine Trommel. Tastsächlich hatte er so eine Ähnlichkeit damit, daß ich unwillkürlich die Hand ausstreckte und mit dem rechten Zeigefinger darauf klopfte.«
Er schüttete den Rest seines Drinks hinunter. »Es war eine Trommel«, sagte er, »zumindest jedoch ein Gebilde, das eine Vibration auslöste, wenn man darauf klopfte. Kaum hatte ich es berührt, erfüllte ein dumpfes Grollen die Höhle; ein vages Geräusch unmittelbar an der Grenze des Hörbaren, fast im Unterschallbereich. Tatsächlich machte der Teil des Geräuschs, dessen Tonlage so hoch war, daß man ihn hörte, wie ich später nachweisen konnte, nur einen winzigen Bruchteil des Ganzen aus. Fast das gesamte Geräusch setzte sich aus enormen Vibrationen zusammen, die so langsam waren, daß das Ohr sie nicht wahrnehmen konnte, obwohl sie den ganzen Körper erschütterten. Diese unhörbaren Schwingungen verursachten mir das unangenehmste, unbehaglichste Gefühl, das Sie sich vorstellen können.
So ein Phänomen war mir noch nie untergekommen. Die Energie meiner Berührung war minimal gewesen. Wie konnte sie in so eine mächtige Vibration umgewandelt werden? Ich bin nie ganz dahintergekommen. Natürlich gibt es ohne Frage gewaltige unterirdische Energiequellen. Es könnte eine Möglichkeit geben, die Hitze des Magmas anzuzapfen und einen kleinen Teil davon in Schall umzuwandeln. Das erste Klopfen könnte dazu dienen, weitere Schallenergie freizusetzen - eine Art von sonischem Laser oder, wenn wir in der Abkürzung >Licht< durch >Schall< ersetzen, könnten wir von einem >Schaser< sprechen.«
»Von so etwas habe ich noch nie gehört«, sagte ich mit ernster Miene.
»Nein«, sagte West unangenehm höhnisch, »das will ich wohl meinen. Niemand hat je davon gehört. Eine Kombination geologischer Gegebenheiten hat einen natürlichen Schaser hervorgebracht. So etwas kann nicht öfter als einmal in einer Million Jahren zufallig passieren, und auch dann nur an einer bestimmten Stelle des Planeten. Es könnte das ungewöhnlichste Phänomen auf Erden sein.«
»Nicht schlecht«, sagte ich, »was Sie aus einem Klopfen des Zeigefingers ableiten.«
»Ich versichere Ihnen als Wissenschaftler, Sir, daß ich mich nicht mit einem einzigen Klopfen des Zeigefingers zufriedengab. Ich fing an, zu experimentieren. Ich versuchte es mit stärkerem Klopfen und fand schnell heraus, daß ich durch den Hall in der Höhle ernstlich Schaden nehmen könnte. Ich richtete ein System ein, mit dem ich mit Hilfe einer Art von behelfsmäßiger Fernsteuerung Kieselsteine unterschiedlicher Größe auf den Schaser fallen lassen konnte, während ich mich außerhalb der Hohle aufhielt. Ich stellte fest, daß man das Geräusch noch in erstaunlicher Entfernung von der Höhle hören konnte. Mit einem einfachen Seismographen konnte ich noch mehrere Meilen entfernt deutliche Vibrationen nachweisen. Schließlich ließ ich mehrere Kieselsteine nacheinander fallen; der Effekt war kumulativ.«
»War das der Tag, an dem auf der ganzen Welt das dumpfe Grollen zu hören war?« fragte ich »Exakt«, sagte er. »Sie sind geistig doch nicht so derangiert, wie sie aussehen. Der ganze Planet hallte wie eine Kirchenglocke.«
»Ich habe gehört, daß besonders starke Erdbeben das bewirken.«
»Ja, aber dieser Schaser kann eine intensivere Vibration als jedes Erdbeben erzeugen, und das auf bestimmten Wellenlängen; auf einer Wellenlänge, zum Beispiel, welche die Bestandteile von Zellen trennen kann - die Nukleinsäuren der Chromosomen, zum Beispiel.«
Ich dachte gründlich darüber nach. »Das wäre der Tod der Zelle.«
»Zweifellos. So könnten die Dinosaurier ausgestorben sein.«
»Ich habe gehört, das war die Folge des Zusammenstoßes eines Asteroiden mit der Erde.«
»Ja, aber damit das durch eine normale Kollision geschehen könnte, müßte der postulierte Asteroid riesig sein. Zehn Kilometer im Durchmesser. Und man muß von Staub in der Stratosphäre ausgehen, einem dreijährigen Winter, und die Tatsache erklären, warum manche Arten unlogischerweise ausstarben, andere aber nicht. Nehmen wir statt dessen einmal an, daß ein deutlich kleinerer Asteroid auf einen Schaser aufschlug und mit seinen Schallwellen Zellen spaltete. Rund neunzig Prozent der Zellen auf der Welt wären binnen weniger Minuten ohne nennenswerte Folgen für die Umwelt des Planeten zerstört worden. Einige Arten könnten überleben, andere nicht. Es wäre einzig und allein eine Frage der winzigen Einzelheiten im komparativen Aufbau der Nukleinsäuren.«
»Und das«, sagte ich mit dem höchst unangenehmen Gefühl, daß es dieser Fanatiker ernst meinte, »ist die Waffe, die Ihnen der Herr in die Hände gab?«
»Exakt«, sagte er. »Ich habe die exakten Wellenlängen des Schalls ermittelt, der durch unterschiedliches Klopfen auf den Schaser ausgelöst wird, und versuche jetzt herauszufinden, welche Wellenlänge speziell menschliche Nukleinsäuren aufbrechen würde.«
»Warum menschliche?« fragte ich.
»Warum nicht?« konterte er. »Welche Art übervölkert den Planeten, zerstört die Umwelt, rottet andere Arten aus und verseucht die Biosphäre mit chemischen Giftstoffen? Welche Art wird die Erde möglicherweise in wenigen Jahrzehnten zerstören und unbewohnbar machen? Gewiß keine andere als der Homo sapiens! Wenn ich die richtige Schallwellenlänge finde, kann ich auf die entsprechende Art und Weise meinen Schaser anschlagen und die ganze Erde in Schallwellen hüllen, die, da der Schall Zeit braucht, um sich auszubreiten, die gesamte Menschheit auslöschen, anderen Lebensformen mit Nukleinsäuren unterschiedlichen Aufbaus jedoch kaum etwas anhaben wird.«
»Sie sind bereit, Milliarden von Menschen auszurotten?« fragte ich.
»Der Herr machte es vermittels der Sintflut -«
»Sie glauben doch nicht etwa an die biblische Geschichte der -«
»Ich bin ein gläubiger Geologe«, sagte West streng.
Jetzt war mir alles klar. »Ah«, sagte ich, »und der Herr versprach, er würde die Erde nie wieder mit einer Sintflut heimsuchen, aber von Schallwellen hat er nichts gesagt.«
»Exakt! Die Milliarden von Toten düngen die Erde und machen sie fruchtbar und dienen anderen Lebensformen, die viel unter den Menschen zu leiden hatten und eine Wiedergutmachung verdienen, als Nahrung. Davon abgesehen wird ein kleiner Rest der Menschheit zweifellos überleben. Es muß ein paar menschliche Wesen geben, die Nukleinsäuren von einer Art haben, daß die Schallwellen ihnen nichts anhaben können. Dieser Rest kann, dem Herrn sei dank, von vorn anfangen und wird wohl die Lektion begriffen haben, wie böse das Böse ist, sozusagen.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?« fragte ich. Tatsächlich kam mir das spanisch vor.
Er beugte sich zu mir, packte mich am Revers meines Jacketts - ein höchst unangenehmes Erlebnis, denn sein Atem war unerträglich -und sagte: »Ich verspüre die Überzeugung, daß Sie mir bei meiner Arbeit helfen können.«
»Ich?« sagte ich. »Ich versichere Ihnen, ich weiß nicht das Geringste über Wellenlängen, Nukleinsäuren und -« Doch dann besann ich mich rasch und sagte: »Aber wenn ich es recht bedenke, habe ich vielleicht genau das Richtige für Sie.« Dann fügte ich in einem förmlicheren Tonfall und mit der für mich so charakteristischen höflichen Würde hinzu: »Würden Sie mir die Ehre erweisen, Sir, etwa fünfzehn Minuten auf mich zu warten?«
»Gewiß, Sir«, antwortete er gleichermaßen förmlich. »Ich werde mich mit weiteren abstrusen mathematischen Berechnungen beschäftigen.«
Als ich die Lounge hastig verließ, schob ich dem Barkeeper einen Zehndollarschein zu. »Achten Sie darauf, daß der Gentleman dort, wenn ich es mal ganz salopp formulieren darf, nicht geht, bevor ich zurück bin. Bringen Sie ihm Drinks auf meine Rechnung, wenn es sein muß.«
Ich verabsäume nie, die einfachen Zutaten mitzunehmen, die ich benötige, um Azazel zu rufen, daher saß er wenige Minuten später, von seiner gewohnten rosa Aura umgeben, in meinem Zimmer auf der Nachttischlampe.
»Du hast mich mitten in der Konstruktion eines Pasmaratso gestört«, sagte er mit seiner dünnen Piepsstimme streng, »mit dem ich hoffte, das Herz einer liebreizenden Samini zu erobern.«
»Das bedaure ich, Azazel«, sagte ich in der Hoffnung, er würde mich nicht aufhalten, indem er die Funktionsweise eines Pasmaratso oder die Reize einer Samini beschrieb, die mich beide momentan nicht den Dreck unter dem Fingernagel interessierten, »aber ich habe es hier möglicherweise mit einen Notfall der extremsten Art zu tun.«
»Das sagst du immer«, antwortete er griesgrämig.
Ich umriß ihm die Situation und muß sagen, daß er sie sofort begriff. Darin ist er sehr gut, und er braucht nie lange Erklärungen. Ich bin der Überzeugung, daß er in mein innerstes Denken schaut, wiewohl er mir stets versichert, daß er meine Gedanken als unantastbar betrachtet. Aber wie weit kann man einem zwei Zentimeter großen Dämon trauen, der selbst eingesteht, daß er ständig versucht, liebreizende Samini, was immer das auch sein mag, mit den niederträchtigsten Tricks herumzukriegen? Außerdem bin ich nicht sicher, ob er meine Gedanken nun unantastbar oder unsagbar findet, aber das ist weder Fisch noch Fleisch.
»Wo ist das menschliche Wesen, von dem du sprichst?« piepste er.
»In der Lounge. Er befindet sich -«
»Laß nur. Ich folge der Aura moralischen Verfalls. Ich glaube, ich hab sie. Wie identifiziere ich das menschliche Wesen?«
»Sandfarbenes Haar, helle Augen -«
»Nein, nein. Seinen Verstand.«
»Ein Fanatiker.«
»Ah, das hättest du auch gleich sagen können. Ich hab ihn - und ich sehe, ich muß ein ausgiebiges Dampfbad nehmen, wenn ich wieder zu Hause bin. Er ist schlimmer als du.«
»Vergiß das. Sagt er die Wahrheit?«
»Über den Schaser? - Was, nebenbei bemerkt, ein kluger Begriff ist.«
»Ja.«
»Also, das ist eine schwere Frage. Wie ich oft zu einem Freund von mir sage, der sich für einen bedeutenden spirituellen Führer hält: Was ist Wahrheit? Ich sage dir eines; für ihn ist es die Wahrheit. Er glaubt es. Doch was ein menschliches Wesen glaubt, egal wie fest, ist nicht zwangsläufig die objektive Wahrheit. Was dir im Laufe deines Lebens vermutlich nicht entgangen ist.«
»So ist es. Aber kannst du nicht unterscheiden, ob ein Glaube objektiver Wahrheit entspringt oder nicht?«
»Bei intelligenten Wesen, ja. Bei menschlichen Wesen, nein. Aber offenbar betrachtest du diesen Mann als große Gefahr. Ich könnte einige Moleküle seines Gehirns neu gruppieren und hinterher wäre er tot.«
»Nein, nein«, sagte ich. Es mag eine törichte Schwäche meinerseits sein, aber ich lehne Mord ab. »Könntest du die Moleküle nicht dergestalt neu gruppieren, daß er die Erinnerung an den Schaser verliert?«
Azazel seufzte auf eine dünne, fiepsende Weise. »Das ist viel schwieriger. Diese Moleküle sind schwer und kleben aneinander. Warum nicht ein glatter Schnitt -«
»Ich bestehe darauf«, sagte ich.
»Oh, na gut«, sagte Azazel verdrossen, und dann spulte er eine wahre Litanei von Schnaufen und Keuchen ab, um mir zu zeigen, wie hart er arbeitete. Schließlich sagte er: »Es ist vollbracht.«
»Gut. Bitte warte hier. Ich will mich nur kurz vergewissern, dann komme ich wieder.«
Ich lief hastig hinunter; Hannibal West saß noch da, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Der Barkeeper blinzelte mir im vorübergehen zu.
»Es waren keine Drinks nötig, Sir«, sagte der ehrenhafte Mann, worauf ich ihm noch fünf Dollar gab.
West sah fröhlich auf. »Da sind Sie ja.«
»Ja, wahrhaftig«, sagte ich. »Sehr scharfsinnig, wie Sie das testgestellt haben. Ich habe die Lösung des Problems mit dem Schaser.«
»Des Problems von was?« fragte er eindeutig verwirrt.
»Des Objekts, das Sie im Laut Ihrer speläologischen Forschungen entdeckten.«
»Was sind speläologische Forschungen?«
»Ihre Untersuchungen von Höhlen.«
»Sir«, sagte West stirnrunzelnd, »ich war in meinem Leben noch in keiner Höhle. Sind Sie verrückt?«
»Nein, aber soeben ist mir ein wichtiger Termin eingefallen. Leben Sie wohl, Sir. Wahrscheinlich sehen wir uns nie wieder.«
Ich lief hastig und etwas außer Atem ins Zimmer zurück und hörte Azazel eine Melodie summen, die bei den Wesen seiner Welt vermutlich gerade angesagt war. Was ihre sogenannte Musik angeht, haben sie einen grauenhaft schlechten Geschmack.
»Seine Erinnerungen sind weg«, sagte ich, »und hoffentlich für immer.«
»Gewiß«, sagte Azazel. »Der nächste Schritt ist, an den Schaser selbst zu denken. Sein Aufbau muß komplex und exakt sein, wenn er tatsächlich Schall auf Kosten der Wärme des Erdkerns verstärken kann. Ein kleiner Eingriff an einer wichtigen Stelle - was durchaus in meiner Macht läge - könnte jede Schaseraktivität beenden. Wo genau befindet er sich?«
Ich sah ihn wie vom Schlag getroffen an. »Woher soll ich das wissen?« fragte ich.
Er erwiderte meinen Blick, wahrscheinlich auch wie vom Schlag getroffen, aber ich konnte die Mimik seines kleinen Gesichts nie richtig erkennen. »Willst du damit sagen, du hast mich seine Erinnerungen löschen lassen, bevor du diese wichtige Information hattest?«
»Ich habe nicht daran gedacht«, sagte ich.
»Aber wenn der Schaser existiert - wenn sein Glaube auf objektiver Wahrheit basierte -, kann jemand anderes darauf stoßen, ein großes Tier, ein Meteorit könnte ihn treffen, und alles Leben auf der Erde könnte jeden Moment, ob Tag oder Nacht, ausgelöscht werden.«
»Großer Gort!« murmelte ich.
Mein Gram rührte ihn offenbar, denn er sagte: »Komm schon, komm schon, mein Freund, sehen wir das Positive. Schlimmstenfalls werden alle menschlichen Wesen ausgelöscht. Nur menschliche Wesen. Es ist ja nicht so, daß das Leute wären.«
»Und so sieht es aus«, sagte George niedergeschlagen, als er seine Geschichte beendet hatte. »Ich muß mit dem Wissen leben, daß die Welt jeden Moment untergehen könnte.«
»Unsinn«, sagte ich von ganzem Herzen. »Selbst wenn du mir die Wahrheit über diesen Hannibal West gesagt hast, was, wenn du verzeihst, keineswegs sicher ist, könnte er unter krankhaften Phantastereien gelitten haben.«
George sah mich einen Moment gequält über die Nase schielend an. »Deinen häßlichen Hang zur Skepsis möchte ich nicht für alle liebreizenden Samini von Azazels Heimat haben«, sagte er. »Wie erklärst du das?«
Er zog einen kleinen Zeitungsausschnitt aus der Brieftasche. Aus der New York Times des Vortags, deren Schlagzeile lautete: >Ein dumpfes Grollen<. Es ging um ein dumpfes Grollen, das die Einwohner der französischen Stadt Grenoble beunruhigte.
»Eine Erklärung, George«, sagte ich, »wäre die, daß du diesen Artikel gelesen und die ganze Geschichte um ihn herum gestrickt hast.«
Einen Moment sah George aus, als würde er vor Entrüstung in die Luft gehen, aber als ich die recht stattliche Rechnung nahm, die die Kellnerin zwischen uns gelegt hatte, überkamen ihn versöhnliche Gefühle; wir schüttelten uns freundlich die Hände und verabschiedeten uns voneinander.
Und doch muß ich gestehen, daß ich seither schlecht schlafe. Ich richte mich nachts gegen halb drei auf, horche und könnte schwören, daß mich das dumpfe Grollen aus dem Schlaf gerissen hat.