Jüngst sagte ich bei einem Bier (seinem Bier, ich trank ein Ginger-Ale) zu meinem Freund George: »Wie geht es deinem Wichtel neuerdings?«
George behauptet, daß er einen zwei Zentimeter großen dienstbaren Dämon besitzt. Ich bringe ihn nie dazu, daß er seine Lüge eingesteht. Wie auch sonst niemand.
Er sah mich böse an. »Oh ja, du bist der einzige, der von ihm weiß«, sagte er. »Ich hoffe, du hast sonst keinem davon erzählt!«
»Kein Wort«, sagte ich. »Es reicht, wenn ich dich für verrückt halte. Von mir muß man das nicht auch noch denken.« (Außerdem hatte er meines Wissens mindestens einem halben Dutzend Leuten von dem Dämon erzählt, daher ist es nicht nötig, daß ich indiskret bin.)
»Nicht für den Gegenwert von einem Pfund Plutonium möchte ich unter deiner nervtötenden Unfähigkeit leiden, nichts zu glauben, das du nicht verstehst - und du verstehst eine Menge nicht«, sagte George. »Und was von dir übrig bleiben würde, sollte mein Dämon je erfahren, daß du ihn Wichtel nennst, wäre kein Atom Plutonium wert.«
»Hast du seinen wirklichen Namen herausgebracht?« fragte ich, ohne mich von dieser furchtbaren Warnung beeindrucken zu lassen.
»Unmöglich! Keine irdischen Lippen können ihn aussprechen. Die Übersetzung, gab man mir zu verstehen, lautet so ähnlich wie: >Ich bin der König der Könige; schaut auf meine Werke, ihr Mächtigen, und verzweifelte -Das ist natürlich eine Lüge«, sagte George und betrachtete melancholisch sein Bier. »In seiner Welt ist er ein kleiner Fisch. Darum ist er hier so kooperativ. In unserer Welt mit ihrer primitiven Technologie kann er auf den Putz hauen.«
»Hat er in letzter Zeit auf den Putz gehauen?«
»Ja, das hat er«, sagte George, gab einen Stoßseufzer von sich und sah mich mit seinen melancholischen blauen Augen an. Sein struppiger weißer Schnurrbart kam nach diesem Taifun, den er ausgeatmet hatte, nur langsam wieder zur Ruhe.
Es begann mit Rosie O'Donnell [sagte George], der Freundin einer meiner Nichten, ein bezauberndes kleines Ding.
Sie hatte blaue Augen, die fast so strahlten wie meine; kastanienrotes, langes und glänzendes Haar; eine bezaubernde, mit Sommersprossen übersäte Stupsnase; wie sie alle Verfasser von Liebesromanen verklären, einen anmutigen Hals und eine schlanke Figur, die keineswegs unproportioniert drall war, sondern ganz und gar köstlich mit ihrem Versprechen ekstatischer Wonnen.
Natürlich war das alles von rein akademischem Interesse für mich, da ich das Alter der Zurückhaltung schon Vor Jahren erreicht habe und mich heutzutage nur noch auf die Unbillen körperlicher Zuneigung einlasse, wenn Frauen darauf bestehen, was sich, dem Himmel sei Dank, hin und wieder auf ein Wochenende oder so beschränkt.
Zudem hatte Rosie kürzlich einen großen Iren geheiratet, der nicht einmal zu verbergen trachtet, daß er ein ausgesprochen muskulöser und möglicherweise cholerischer Mensch ist - und betete ihn aus irgendeinem Grund in höchst augenfälliger Weise an. Ich hege keinen Zweifel, daß ich seiner in jüngeren Jahren Herr geworden wäre, aber es ist eine traurige Tatsache, daß ich nicht mehr in jüngeren Jahren bin - ganz knapp jedenfalls.
Daher akzeptierte ich mit einem gewissen Widerwillen Rosies Neigung, mich für einen engen Vertrauten ihres eigenen Geschlechts und Alters anzusehen und mich in ihre Kleinmädchengeheimnisse einzuweihen.
Nicht, daß ich ihr einen Vorwurf machen würde, du verstehst schon. Meine natürliche Würde und die Tatsache, daß ich die Leute durch mein Äußeres zwangsläufig an einen oder mehrere der edleren römischen Kaiser erinnere, zieht schöne junge Frauen automatisch zu mir hin. Dennoch duldete ich nie, daß es zu weit ging. Ich sorgte stets dafür, daß genügend Abstand zwischen Rosie und mir blieb, denn ich wollte nicht, daß dem zweifellos großen und möglicherweise cholerischen Kevin O'Donnell irgendwelche Ammenmärchen oder verzerrte Wahrheiten zu Ohren kamen.
»Oh, George«, sagte Rosie eines Tages und klatsche vor Wonne in die kleinen Hände, »du hast ja keine Ahnung, was für ein Schatz mein Kevin ist und wie glücklich er mich macht. Weißt du, was er tut?«
»Ich bin nicht sicher«, begann ich zurückhaltend, denn natürlich erwartete ich indiskrete Enthüllungen, »ob du mir -«
Sie achtete nicht darauf. »Er hat so eine Art, die Nase zu rümpfen, die Augen leuchten zu lassen und strahlend zu lächeln, bis alles an ihm so glücklich aussieht. Es ist, als würde die ganze Welt zu goldenem Sonnenschein. Ach, hätte ich doch nur genau so ein Foto von ihm! Ich habe versucht, eins zu machen, erwische ihn aber nie richtig.«
»Warum gibst du dich nicht mit dem wahren Jakob zufrieden, Liebes?« fragte ich.
»Na ja.« Sie zögerte und sagte dann bezaubernd errötend: »Er ist nicht immer so, weißt du. Er hat einen sehr schwierigen Job am Flughafen, von dem er manchmal ganz erschöpft und abgearbeitet nach Hause kommt, und dann wird er ein ganz klein wenig gereizt und schaut mich böse an. Hätte ich ein Foto von ihm, wie er wirklich ist, wäre das sehr tröstlich für mich - sehr tröstlich.« Tränen, die sie zurückhielt, umwölkten ihre blauen Augen.
Ich muß gestehen, daß ich das Häuchlein einer Neigung verspürte, ihr von Azazel (so nenne ich ihn, weil ich nicht daran denke, ihn mit der Übersetzung seines wahren Namens anzusprechen) und zu erzählen und von dem was er für sie tun könnte.
Allerdings ist meine Diskretion sprichwörtlich - ich habe nicht die geringste Ahnung, wie du von meinem Dämon erfahren hast.
Außerdem fiel es mir leicht, mich zu beherrschen, denn ich bin ein dickfelliger, realistischer Mensch, der nicht zu rührseliger Sentimentalität neigt. Freilich muß ich auch gestehen, daß ich in meinem finsteren Herzen eine Schwäche für bezaubernde und außergewöhnlich schöne junge Frauen habe ... auf eine schickliche und würdevolle Art ... meistens. Und mir fiel ein, daß ich ihr helfen könnte, ohne ihr von Azazel zu erzählen. - Was natürlich nicht heißen soll, daß sie mir nicht geglaubt hätte, denn ich bin ein Mann, dessen Worte niemals jemand in Zweifel zieht, Psychos wie du ausgenommen.
Ich trug Azazel die Angelegenheit vor, und er reagierte alles andere als erfreut. »Ständig bittest du um Abstraktes«, sagte er.
»Keineswegs«, erwiderte ich. »Ich möchte eine einfache Fotografie. Du mußt sie nur herbeizaubern.«
»Ach, das ist alles, ja? Wenn es so einfach ist, mach du es doch. Ich bin sicher, du verstehst das Prinzip des MasseEnergie-Äquivalents .«
»Nur eine Fotografie.«
»Ja, und mit einer Miene, die du weder definieren noch beschreiben kannst.«
»Natürlich hat er mich nie angesehen, wie er seine Frau ansehen würde. Aber mein Vertrauen in deine Fähigkeiten ist grenzenlos.«
Ich hätte erwartet, daß diese Dosis ekelerregenden Einschmeichelns ihn umstimmen würde. »Du mußt das Foto machen«, sagte er mürrisch.
»Ich würde nie den richtigen -«
»Mußt du auch nicht. Darum kümmere ich mich, aber es wäre viel einfacher, wenn ich ein materielles Objekt hätte, worauf ich die Abstraktion brennen kann. Mit anderen Worten, eine Fotografie; sei es auch eine höchst unzulängliche, wie ich sie von dir erwarten würde. Und natürlich nur ein Abzug. Mehr bringe ich nicht zustande, und ich werde mir den konjunktivischen Muskel weder für dich noch einen anderen Hohlkopf deiner Welt zerren.«
Ja, gut, manchmal ist er ein klein wenig zickig. Ich nehme an, damit will er nur seine Wichtigkeit hervorheben und zeigen, daß man ihn nicht für selbstverständlich nehmen darf.
Ich traf die O'Donnells am nächsten Sonntag, als sie aus der Messe kamen. (Eigentlich hatte ich mich auf die Lauer gelegt.) Sie willigten ein, mich ein Bild von ihnen in ihrer Sonntagskleidung machen zu lassen. Sie war entzückt, er schaute ein wenig verdrossen drein. Danach machte ich so unauffällig wie möglich ein Porträtfoto von Kevin. Ich konnte ihn unmöglich dazu bringen, daß er lächelte oder strahlte oder rümpfte oder was immer Rosie so anziehend fand, glaubte aber nicht, daß das eine Rolle spielte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob die Kamera richtig eingestellt war. Schließlich bin ich keiner dieser berühmten Fotografen.
Dann besuchte ich einen Freund, der ein Meister der Fotografie ist. Er entwickelte beide Schnappschüsse und vergrößerte das Porträt auf fünfundzwanzig mal vierzig.
Er ging recht mißmutig ans Werk und murmelte ständig, wie beschäftigt er sei, aber ich achtete gar nicht darauf. Wie wichtig konnten seine albernen Aktivitäten im Vergleich zu den bedeutenden Dingen, die mich beschäftigen, schon sein? Ich bin immer wieder überrascht, wieviel Leute das einfach nicht begreifen.
Als er die Vergrößerung fertig hatte, legte er ein vollkommen anderes Gebaren an den Tag. Er betrachtete sie und sagte in einem Tonfall, den ich nur als höchst herablassend bezeichnen kann: »Sag nicht, daß du so ein Foto gemacht hast.«
»Warum nicht?« sagte ich und streckte die Hand danach aus, aber er traf keine Anstalten, es mir zu geben.
»Du wirst mehr Abzüge haben wollen«, sagte er.
»Nein, keinesfalls«, sagte ich und sah ihm über die Schulter. Es war ein erstaunlich scharfes Foto in leuchtenden Farben. Kevin O'Donnell lächelte, obwohl ich mich zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht an ein derartiges Lächeln erinnern konnte. Er wirkte gutaussehend und fröhlich, was mich freilich nicht über die Maßen ansprach. Vielleicht hätte eine Frau mehr gesehen - oder ein Mann wie mein Freund, der Fotograf, der, wie es nun mal so ist, seiner Maskulinität nicht ganz so sicher ist wie ich.
»Nur noch einen - für mich«, sagte er.
»Nein«, sagte ich nachdrücklich, nahm das Bild und hielt dabei sein Handgelenk umklammert, damit er es ganz sicher nicht wegziehen konnte. »Und das Negativ, bitte. Du kannst das andere behalten - das von beiden.«
»Das mag ich nicht haben«, sagte er quengelig und schaute kläglich drein, als ich ging.
Ich rahmte das Bild, stellte es auf meinen Kaminsims, trat zurück und betrachtete es. Es hatte wahrhaftig eine strahlende Aura. Azazel hatte gute Arbeit geleistet.
Ich war gespannt, wie Rosie darauf reagieren würde. Ich rief sie an und fragte, ob ich vorbeischauen könnte. Sie wollte gerade einkaufen gehen, aber wenn ich binnen einer Stunde da sein könnte ...
Ich könnte und war. Ich hatte das Foto in Geschenkpapier verpackt und gab es ihr wortlos.
»Meine Güte!« sagte sie, während sie noch den Bindfaden durchschnitt und das Papier aufriß. »Was ist das? Gibt es etwas zu feiern oder -«
Doch dann hatte sie es ausgepackt und verstummte. Ihre Augen wurden groß, ihr Atem ging schneller und stoßweise. Schließlich flüsterte sie: »Herrje!«
Sie schaute zu mir auf. »Hast du dieses Foto letzten Sonntag gemacht?«
Ich nickte.
»Du hast ihn genau getroffen. Er ist anbetungswürdig. Das ist genau der Gesichtsausdruck. Oh, darf ich es bitte behalten?«
»Ich habe es dir mitgebracht«, sagte ich nur.
Sie nahm mich in die Arme und küßte mich fest auf die Lippen.
Was natürlich für einen Menschen wie mich, der Sentimentalität verabscheut, recht unangenehm ist, und ich mußte mir anschließend den Schnurrbart abwischen, aber ich verstand, daß sie dieser Geste nicht widerstehen konnte.
Danach sah ich Rosie etwa eine Woche lang nicht.
Dann begegnete ich ihr eines Nachmittags vor der Metzgerei; es wäre unhöflich gewesen, hätte ich ihr nicht angeboten, ihr die Einkaufstasche nach Hause zu tragen. Logischerweise fragte ich mich, ob das wieder einen Kuß bedeuten würde, und entschied, daß es unhöflich wäre, mich zu weigern, sollte das liebe kleine Ding darauf bestehen. Sie machte jedoch einen leicht niedergeschlagenen Eindruck.
»Was macht die Fotografie?« fragte ich, denn ich befürchtete, es könnte etwas schief gegangen sein.
Sie wurde sofort munter. »Perfekt! Ich habe sie auf mein Phonoregal gestellt, so daß ich sie von meinem Platz im Eßzimmer sehen kann. Seine Augen sehen mich ein bißchen scheel an, so verschmitzt, und er rümpft die Nase genau richtig. Ehrlich, man könnte schwören, daß es lebt. Und einige meiner Freundinnen können die Augen nicht davon lassen. Ich glaube, ich sollte es verstecken, wenn sie kommen, damit sie es nicht stehlen.«
»Sie könnten ihn stehlen«, sagte ich scherzhaft.
Da war die Niedergeschlagenheit sofort wieder da. Sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, sagte sie.
Ich unternahm einen neuen Anlauf. »Was hält denn Kevin von dem Foto?«
»Er hat kein Wort gesagt. Kein Wort. Er ist kein visueller Mensch, weißt du. Ich frage mich, ob er es überhaupt sieht.«
»Warum machst du ihn nicht darauf aufmerksam und fragst ihn nach seiner Meinung?«
Sie schwieg, während ich einige Zeit an ihrer Seite ging, die schwere Einkaufstasche trug und mich fragte, ob sie außerdem noch einen Kuß erwarten würde.
»Es ist so«, sagte sie, »seine Arbeit nimmt ihn gerade voll und ganz in Anspruch, daher wäre es kein guter Zeitpunkt, ihn zu fragen. Er kommt spät nach Hause und redet kaum mit mir. Du weißt ja, wie Männer sind.« Sie versuchte, unbekümmert zu lachen, schaffte es aber nicht.
Wir hatten ihr Apartmenthaus erreicht, und ich gab ihr die Tasche. »Aber ich danke dir nochmals und von ganzem Herzen für das Foto«, sagte sie wehmütig.
Und damit ging sie dahin. Sie bat mich nicht um einen Kuß, und ich war so in Gedanken, daß es mir erst auffiel, als ich schon auf halbem Weg nach Hause war, und es kam mir albern vor, noch einmal umzukehren, nur damit sie nicht enttäuscht wäre.
Es vergingen noch einmal rund zehn Tage, und dann rief sie mich eines Vormittags an. Ob ich vorbeikommen und mit ihr zu Mittag essen könnte? Ich hielt mich zurück und erklärte ihr, das sei unschicklich. Was sollten die Nachbarn denken?
»Ach, Unsinn«, sagte sie. »Du bist so unglaublich alt -ich meine, so ein unglaublich alter Freund, daß sie unmöglich denken könnten ... Außerdem brauche ich deinen Rat.« Mir schien, als würde sie ein Schluchzen unterdrücken, als sie das sagte.
Man muß stets Gentleman sein, daher fand ich mich zur Mittagszeit in ihrem sonnigen kleinen Apartment ein. Sie hatte Schinken-Käse-Sandwiches und ein paar Stücke Apfelkuchen vorbereitet, und das Foto stand, wie sie gesagt hatte, auf dem Phonoregal.
Sie gab mir die Hand und versuchte nicht, mich zu küssen, was mich erleichtert hätte, wäre ich angesichts ihres Äußeren nicht zu bestürzt gewesen, um Erleichterung zu empfinden. Sie sah vollkommen verhärmt aus. Ich aß ein halbes Sandwich, während ich darauf wartete, daß sie etwas sagte, da sie aber nicht den ersten Schritt machte, war ich schließlich gezwungen, sie unverblümt zu fragen, warum sie eine solche Aura der Niedergeschlagenheit verbreitete.
»Geht es um Kevin?« fragte ich. Ich war ganz sicher.
Sie nickte und brach in Tränen aus. Ich tätschelte ihre Hand und fragte mich, ob das genügen würde. Ich streichelte unbeteiligt ihre Schulter, bis sie schließlich sagte: »Ich fürchte, er verliert seinen Job.«
»Unmöglich. Warum?«
»Also, er ist so wild, offenbar selbst bei der Arbeit. Er hat seit Ewigkeiten nicht mehr gelächelt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann er mich zuletzt geküßt oder ein freundliches Wort für mich übrig gehabt hätte. Er streitet mit jedem, und zwar ständig. Er will mir nicht sagen, was los ist, und wird wütend, wenn ich danach frage. Ein Freund von uns, der mit Kevin am Flughafen arbeitet, rief gestern an. Er sagt, Kevin benimmt sich bei der Arbeit so verdrossen und mißmutig, daß es sogar den Abteilungsleitern auffällt. Ich bin sicher, daß er seinen Job verliert, aber was kann ich tun?«.
An sich hatte ich seit unserer letzten Begegnung etwas Derartiges erwartet und wußte, daß ich ihr die Wahrheit sagen mußte - verdammter Azazel. Ich räusperte mich. »Rosie - die Fotografie ...«
»Ja, ich weiß«, sagte sie, hob sie hoch und drückte sie an den Busen. »Sie gibt mir Kraft. Dies ist der wahre Kevin, den werde ich immer haben, immer, ganz gleich, was geschieht.« Sie fing an zu schluchzen.
Es fiel mir sehr schwer, zu sagen, was gesagt werden mußte, aber es gab keine andere Möglichkeit. »Du verstehst nicht, Rosie. Die Fotografie, sie ist das Problem. Ich bin ganz sicher. Der Charme und die Fröhlichkeit auf dieser Fotografie müssen irgendwoher kommen. Sie müssen Kevin selbst genommen worden sein. Begreifst du nicht?«
Rosie hörte auf zu schluchzen. »Wovon redest du da? Eine Fotografie ist nichts weiter als eingefangenes Licht, Film und dergleichen.«
»Normalerweise ja, aber diese Fotografie -« Ich gab auf. Ich kannte Azazels Unzulänglichkeiten. Er konnte die Magie der Fotografie nicht aus dem Nichts erschaffen, aber ich war nicht sicher, ob ich Rosie den wissenschaftlichen Hintergrund, das Gesetz von der Erhaltung der Fröhlichkeit, erklären konnte.
»Ich will es mal so ausdrücken«, sagte ich. »Solange die Fotografie dort steht, wird Kevin unglücklich, wütend und übellaunig sein.«
»Aber sie wird dort stehenbleiben«, sagte Rosie und stellte das Bild nachdrücklich wieder an seinen Platz zurück, »und ich verstehe nicht, warum du so verrückte Sachen über diese eine wunderbare Sache sagst ... hier, ich koche Kaffee.« Sie rauschte ab in die Küche, und ich konnte sehen, daß sie sich in einem Zustand tiefster Gekränktheit befand.
Ich tat das einzig Mögliche. Immerhin war ich derjenige, der die Fotografie gemacht hatte. Ich war - durch Azazel -verantwortlich für seine überirdischen Eigenschaften. Ich hob hastig den Rahmen hoch und zog vorsichtig zuerst die Rückwand und dann die Fotografie selbst heraus. Ich zerriß das Bild in zwei Teile - vier - acht - sechzehn - und steckte die übriggebliebenen Papierfetzen in die Tasche.
Just als ich fertig war, läutete das Telefon und Rosie lief ins Wohnzimmer und nahm ab. Ich schob die Rückwand wieder hinein und stellte den Rahmen an seinen Platz zurück. Da stand er nun, leer und bloß.
Ich hörte Rosie vor Aufregung und Glück quietschen. »Oh, Kevin«, hörte ich sie sagen, »wie wunderbar! Oh, ich bin so froh! Aber warum hast du nichts gesagt? Mach das nie wieder!«
Sie kam zurück, ihr hübsches Gesicht glühte förmlich. »Weißt du, was dieser schreckliche Kevin gemacht hat? Er hat seit fast drei Wochen einen Nierenstein gehabt - war beim Arzt und so -, hatte schreckliche, quälende Schmerzen und mußte mit einer Operation rechnen - und wollte mir nichts sagen, weil er Angst hatte, ich könnte mir Sorgen machen. Der Idiot! Kein Wunder, daß er sich so elend fühlte, und dabei ist er nicht darauf gekommen, daß sein Elend mich viel unglücklicher machen könnte als die Wahrheit. Also wirklich! Man sollte einem Mann nicht ohne Wärter rauslassen.«
»Aber warum bist du jetzt so glücklich?«
»Weil er den Stein ausgeschieden hat. Er hat den Stein vor wenigen Augenblicken ausgeschieden und als erstes mich angerufen, was sehr umsichtig von ihm war - und höchste Zeit. Er klang so glücklich und fröhlich. Es war, als wäre mein alter Kevin zu mir zurückgekehrt. Es war, als wäre er genau wie die Fotografie geworden, die -«
Dann, halb kreischend: »Wo ist die Fotografie?«
Ich war aufgestanden und zum Aufbruch bereit. Während ich raschen Schrittes zur Tür marschierte, sagte ich: »Ich habe sie vernichtet. Darum hat er den Stein ausgeschieden. Andernfalls - «
»Du hast sie vernichtet? Du -«
Ich war zur Tür hinaus. Dankbarkeit erwartete ich natürlich keine, aber ein Mord schien mir nicht ausgeschlossen. Ich wartete nicht auf den Fahrstuhl, sondern eilte so schnell ich nur irgend konnte die Treppen hinunter, doch Rosies langgezogenes Wehklagen hörte ich noch ganze zwei Stockwerke durch die Tür.
Zu Hause angekommen, verbrannte ich die Fetzen des Fotos.
Ich habe sie nie wiedergesehen. Wie man mir sagte, ist Kevin ein reizender und liebevoller Ehemann, und sie sind sehr glücklich miteinander, aber in dem einen Brief, den ich von ihr bekam - sieben Seiten in kleiner Handschrift und fast zusammenhanglos - ließ sie keinen Zweifel daran, daß der Nierenstein ihrer Meinung nach die einzige Erklärung für Kevins Übellaunigkeit und die Tatsache, daß sie in exakter Übereinstimmung mit dem Foto kam und ging, reiner Zufall war.
Sie schloß mit ein paar ungerechtfertigte Drohungen gegen mein Leben und, was eher die gegenteilige Wirkung hatte, gegen bestimmte Körperteile, wobei sie Wörter und Ausdrücke benutzte, bei denen ich geschworen hätte, daß sie sie noch nie gehört hätte, geschweige denn zu Papier bringen würde.
Und ich vermute, sie wird mich nie wieder küssen, was ich aus einem seltsamen Grund enttäuschend finde.