Nicht alle waren, strenggenommen, völlig verschwunden. Mehrere sah man zwischen dem Gestein liegen, offenbar solche, die sich beim letzten Aufprall gelöst hatten. Ob einige schon bei den vorherigen Kollisionen verlorengega ngen waren, ein paar Meilen weiter stromaufwärts, ließ sich im Moment nicht feststellen. Dafür konnte man sich später interessieren; es war vordringlich, den Fahrzeugschaden zu begutachten, und der Steuermann machte sich an die Durchführung dieser Aufgabe.
Der Fahrzeugbug war anscheinend völlig unbeschädigt geblieben; die Walzen waren noch alle vorhanden und die Ruderleinen in gutem Zustand. In Höhe der Rumpfmitte hatte sich die Aufhängung einiger Walzen gelockert. Der Schaden am Heck erwies sich allerdings als reichlich entmutigend. Backbords hatte Reihe 1 die hinteren fünf Walzen verloren, den Reihen 2 und 3 fehlten jeweils die letzten vier, Reihe 4 entbehrte der drei hinteren, Reihe 5 — auf der Steuerbordseite — der letzten beiden. Die Vermutung lag nahe, daß der Schaden demselben Aufprall zuzuschreiben war; und da mehrere der abgerissenen Walzen in der Nachbarschaft lagen, bestand eine gute Chance, daß man auch die restlichen fand.
Die drei waren überrascht, wie wenig der Walzenverlust die Rumpfkonstruktion beeinträchtigt hatte. Beetchermarlf und seine Begleiter waren mit der Herstellung ihrer Fahrzeuge nie beschäftigt gewesen. Sie besaßen nicht die leiseste Ahnung davon, welche Probleme es aufwarf, eine Maschine zu bauen, die von hochmodernen Energieeinheiten angetrieben, aber von Geschöpfen gesteuert werden sollte, die sich noch in der Phase der Fortbewegung durch Wind und Muskelkraft befanden. In dieser Problematik lagen die Gründe, warum die Steuerung durch mechanische Kraftübertragung erfolgte statt durch Servoautomatiken; warum die Luftschleusen so einfach und nicht narrensicher angelegt waren; warum das Versorgungssystem nicht bloß manuelle Handhabung erforderte, sondern auch von mesklinitischen Wissenschaftlern und Technikern entworfen und hergestellt worden war.
Einige hundert Meskliniten hatten umfassende Kenntnisse fremden Wissens übermittelt bekommen, aber nichts war geschehen, sie über die ganze mesklinitische Kultur zu verbreiten. Fast alle >Graduierten< waren nun auf Dhrawn, zusammen mit zumeist jungen, ausreichend intelligenten Seglern aus Barlennans Seefahrervolk, die sich freiwillig gemeldet hatten; Beetchermarlf war einer davon. Sie waren es, denen die Aufgabe zufiel, die Instandhaltung und die Reparaturen ohne menschliche Hilfe zu erledigen. Die Konstruktion eines Fahrzeugtyps, der den Bedingungen auf Dhrawn gewachsen war und sich zugleich mit einem gewissen Sicherheitsgrad von Meskliniten beherrschen ließ, mußte unvermeidlich in die Verwendung von Material und Gerät mit überdurchschnittlichen Qualitäten münden.
Eigentlich hätte Beetchermarlf kaum überrascht sein dürfen.
Selbstverständlich lag der Hauptgrund für den Einsatz der Meskliniten in ihrer Intelligenz.
Roboter hatten sich bereits in den Anfängen der Raumforschung als ungenügend erwiesen. Die Intelligenz der Meskliniten ließ sich offenbar mit der von Menschen, Drommianern und Paneshken vergleichen; eine ziemlich wundersame Tatsache, da die vier Planeten ihre Lebensformen innerhalb sehr unterschiedlich langer geologischer Zeiträume entwickelt hatten. Fest stand auch, daß die Meskliniten erheblich langlebiger waren als Menschen; was dies auf lange Sicht für die Kontaktpflege bedeutete, war mindestens so problematisch wie die ganze Expedition. Es war in jeder Hinsicht ein Risikoprojekt, in dem die Meskliniten die meisten Risiken trugen. Die gigantische Raumbarke, die in der Nähe des bemannten Satelliten den Planeten umkreiste und für eine eventuell notwendige Evakuierung der Basis vorgesehen war, konnte man kaum mehr als eine Geste nennen, vor allem bezüglich jener Mannschaften, die sich in den Fahrzeugen unterwegs befanden.
Diese Hintergründe waren den drei Seglern, die die Kwembly untersuchten, nicht gegenwärtig. Sie waren lediglich überrascht und erleichtert, konstatieren zu können, daß die Walzen anscheinend nicht abgerissen waren, sondern nur aus den Aufhängungen gesprungen, und daß sie wahrscheinlich, falls man sie fand, wieder montiert werden konnten. Nach dieser befriedigenden Erkenntnis erkundete Beetchermarlf — in dem Umkreis, den die Sicherheitsleine zuließ — den Grund und entdeckte zwölf der verlorenen Walzen, einige davon beschädigt. Die drei sammelten alle, die sie erreichen und transportieren konnten, am Heck der Kwembly. Der Steuermann erwog, die Sicherheitsleinen zu verlängern, um in weiterem Umkreis zu suchen, doch entschied er sich, zunächst an Dondragmer zu berichten und dessen Zustimmung einzuholen. Er wunderte sich, daß der Captain, obschon er die Absicht geäußert hatte, sich einen eigenen Überblick zu verschaffen, bisher nicht erschienen war.
Den Grund erfuhr er, als er mit seinen Begleitern das Heck umrundete, um zur Schleuse zurückzukehren. Dondragmer und acht andere räumten vor der Haup tluftschleuse Gestein beiseite, das den Ausgang versperrte.
Die Schutzanzüge besaßen keine spezielle Kommunikationsausrüstung, und die Schallübermittlung zwischen ihrem Füllgemisch aus Wasserstoff und Argon und der Flüssigkeit, die sie umgab, war außerordentlich schlecht; aber die mesklinitischen Sprechwerkzeuge (sie waren um jenes am ehesten einem schwimmenden Ansaugstutzen ähnelnde Organ angeordnet, das bei den wasserstoffatmenden Meskliniten die Lungen ersetzte) gehörten ebenfalls zu jenen Dingen, die menschliche Biologen seit langem beschäftigten.
Der Steuermann zog die Aufmerksamkeit des Captains mit einem tiefen Pfeifton auf sich und gestikulierte ihm, er möge ihm um das Heck des Fahrzeugs folgen.
Dondragmer, in der Annahme, es liege etwas Wichtiges vor, befahl seiner Gruppe, die Arbeit fortzusetzen, und kam der Aufforderung nach. Ein kurzer Blick und einige erläuternde Sätze Beetchermarlfs informierten ihn über die Situation.
Er überlegte ein paar Sekunden lang und beschloß, die Suche nach den noch fehlenden Walzen nicht sofort weiterzuführen. Der Wasserspiegel sank nach wie vor; es war sicherer und leichter, nach ihnen Umschau zu halten, wenn die Flüssigkeit sich verlaufen hatte, vorausgesetzt, darauf mußten sie nicht zu lange warten.
Unterdessen konnten die Reparaturen an den bereits geborgenen Walzen aufgenommen werden.
Beetchermarlf bestätigte den diesbezüglichen Befehl und machte sich daran, verbogene Kleinteile, die sie mit den Walzen gerettet hatten, zu sortieren.
Umsicht war geboten; einige Teile waren leicht genug, um von der Strömung fortgespült werden zu können, und mit mehreren war es bereits geschehen. Der Steuermann verschaffte sich einen transportablen Scheinwerfer und postierte einen Matrosen ein paar Meter weiter stromabwärts, damit alle Kleinteile aufgefangen wurden, die sich in der Strömung entfernten.
Nach achtstündiger Arbeit waren drei der Walzen wieder betriebsbereit. Einige Teile besaßen nicht ihre vorherige Qualität, denn Beetchermarlf und seine Helfer hatten nach Kräften improvisieren müssen, wobei sie sich sowohl eigener wie auch fremder Materialien bedienten. Ihre Werkzeuge waren ausschließlich eigene Fabrikate; die mesklinitische Kultur hatte die handwerklichen Fertigkeiten recht ausgeprägt entwickelt, und Sägen, Hämmer, Zangen, das ganze Sortiment üblicher Werkzeuge, waren den Seglern bestens vertraut.
Der Wasserspiegel sank weiterhin, und die Strömung wurde schwächer. Dondragmer befahl dem Reparaturtrupp, die Tätigkeit aus dem unmittelbaren Umkreis des Fahrzeugs zu verlagern, in der Erwartung, daß es alsbald aus der Verkeilung rutschen werde. Seine Vorsicht erwies sich als berechtigt, als die Kwembly aus ihrer Schräglage von 60 Grad in eine von nur noch 30 Grad kippte, wodurch zwei weitere Walzenreihen Bodenberührung erhielten, aber auch zwei Meskliniten gezwungen wurden, sich zwischen Felsen in Deckung zu werfen, um nicht zermalmt zu werden.
Infolge dieses Ereignisses wurde jedoch offensichtlich, daß die Kwembly, wenn der Wasserstand weiter sinken sollte, deshalb nicht zurück in die Horizontale geraten würde. Die Backbordseite ruhte nun zwischen den Reihen 1 und 2 auf einem Felsen von ungefähr vier Meter Durchmesser, der zur Hälfte im Flußbett steckte, ein Objekt, das sich nicht hätte bewegen lassen, selbst wenn das Gewicht des Fahrzeugs nicht darauf gelastet hätte. Beetchermarlf setzte die Reparaturen fort, aber konnte nicht anders als sich verwundert fragen, wie der Captain die Kwembly wohl aus dieser Position zu lösen gedachte. Nicht viel klarer war ihm, was geschehen sollte, wenn es gelang. Ein Flußbett voller Geröll war wohl das letzte, das die Fahrzeugkonstrukteure bei ihren Überlegungen berücksichtigt hatten. Planeten mit hoher Gravitation tendierten zu einer relativ ebenen Oberfläche, ein Schluß, den man aus den Verhältnissen Mesklins gezogen hatte (obwohl dieser das einzige erreichbare Beispiel war), und daran mußten die Konstrukteure sich orientiert haben.
Dondragmer, der sich ebenfalls mit dem Problem auseinander setzte, wie man das Fahrzeug freimachen könne, war der Lösung bereits näher als der Steuermann. Der Erste Offizier und die Wissenschaftler waren nicht minder hilflos als er, doch keiner von ihnen empfand, trotz der beunruhigenden Lage, die gleiche Sorge wie der Captain; seine Stimmung entsprach allerdings nicht ganz den menschlichen Vorstellungen von Besorgnis. Er verschwieg ihnen nämlich ein Gespräch, das er erst vor wenigen Stunden mit dem Satelliten geführt hatte.
Es ergab sich aus der Durchgabe eines Zwischenberichts, den Dondragmer ziemlich optimistisch hielt. Er bemerkte, sich über das weitere Vorgehen noch nicht klar zu sein, sich jedoch in Kürze damit beschäftigen zu wollen; er fügte hinzu, es stünde ihnen ja genug Zeit zur Verfügung.
Easy, die mit ihm in Verbindung stand, widersprach seiner Auffassung. „Du hast vielleicht nicht soviel Zeit, wie du annimmst. Nach euren Angaben sind die Steine im Flußbett weitgehend abgerundet. Diese Form können sie nur durch anhaltenden oder häufigen Strömungseinfluß erhalten haben. Wir fürchten, daß der gegenwärtige Wasserfluß lediglich das erste Rinnsal eines bevorstehenden ausgedehnten Tauwetters ist und daß ihr, falls ihr eure Position nicht bald verlassen könnt, einem wesentlich stärkeren Wasserfluß ausgesetzt sein dürftet.“
Dondragmer hatte kurz nachgedacht. „Was wir tun können, tun wir bereits. Falls eure Wissenschaftler irgendwelche halbwegs zuverlässigen Aussagen über diese Wasserflut machen können, um so besser; andernfalls müssen wir uns zurechtfinden. Jedenfalls, ich danke dir für den Hinweis.“
Der Captain war an seine Arbeit zurückgekehrt.
Er kannte keine Panik; in Notsituationen schien er sogar beherrschter zu sein als sonst. Grundsätzlich entsprach seine Philosophie genau dem, das er soeben formuliert hatte: zu tun, was machbar war.
Im Augenblick hätte er nur zu gerne gewußt, was sich tun ließ.
Das Hauptproblem war der große Felsen. In Mesklins Äquatorzone oder auf der Erde hätte man die Kwembly sicherlich mit Muskelkraft aus ihrer Lage hinab in die Horizontale hieven können — nicht aber unter Dhrawns Gravitation. Vier Walzen ruhten auf dem hinderlichen Felsen selbst, und mehrere der Reihe 5 hatten Bodenkontakt. Keine davon enthielt Konverter, diese konnten jedoch jederzeit installiert werden. Wenn man die vier Walzen auf dem Felsen, die bugwärts davor befindlichen und einige der Reihe 5 antriebsfähig machte, warum sollte es ausgeschlossen sein, daß sie die Kwembly zurück auf den Boden brachten?
Es war zweifellos möglich. Nicht etwa Mangel an Überzeugung bewog Dondragmer, den Plan den Menschen zu unterbreiten; er trug ihn vor, ohne um Rat zu fragen. Der Mann, der die Durchsage hörte, war weder Techniker noch Ingenieur und erteilte eine vorsichtig formulierte Zustimmung.
Routinemäßig gab er den Text an das Planungsbüro weiter, damit er vervielfältigt und verteilt werde.
Folglich dauerte es ungefähr eine Stunde, bis er in die Hände eines Technikers gelangte, der überrascht die Brauen hob, rasch ein maßstabgerechtes Fahrzeugmodell begutachtete und sich dann an den Computer setzte und zwei Minuten lang Berechnungen anstellte.
Der Techniker war nicht sonderlich sprachbegabt, aber das war nicht der einzige Grund, weshalb er sich auf die Suche nach Easy Hoffman machte. Er kannte Dondragmer kaum und wußte nicht, wie Meskliniten auf Kritik reagierten; er arbeitete mit Drommianern zusammen, da einige davon am Projekt beteiligt waren, und erachtete es als sicherer, im Umgang mit eigentümlichen Fremdrassen die offiziellen Kontaktleute vorzuschicken. Er fand Easy, und sie begaben sich in den Kommunikationsraum.
Benj war dort, wie immer, wenn er keinen Dienst versah. Inzwischen hatte er mit weiteren Meskliniten Freundschaft geschlossen, aber Beetchermarlf mochte er am liebsten. Sein Stennish hatte sich ganz erheblich gebessert, und er war darin nun fast so gut, wie seine Mutter schon immer glaubte.
Als Easy und der Techniker eintraten, lauschte er gerade einer von Takoorchs Anekdoten, weshalb es ihm nicht allzu leid tat, sofort durchsagen zu müssen, daß eine wichtige Nachricht für Dondragmer vorliege.
Mehrere Minuten verstrichen, bevor der Captain auf der Brücke erschien; wie die übrige Besatzung arbeitete er nahezu ununterbrochen, aber zum Glück hielt er sich im Fahrzeug auf, als die Durchsage eintraf.
„Ich bin am Apparat, Easy“, erklang schließlich seine Stimme. „Tak sagte, es sei dringend. Ich höre.“
„Es geht um die Methode, mit der du das Fahrzeug freizubekommen beabsichtigst, Don“, begann sie. „Wir haben von der Situation keine vollständige Vorstellung, aber zwei Aspekte finden unsere Techniker besorgniserregend. Der eine ist, daß, wenn die Bugwalzen anrollen, noch etwa zwei Meter Rumpflänge — und damit eure Brücke — auf den Felsen gestützt sind; habt ihr euch überzeugt, daß die Hülle nicht aufschlagen kann, wenn das Fahrzeug sich in Bewegung setzt? Zweitens, in dem Moment, bevor die Kwembly in die Horizontale zurückkehrt, wird das Gewicht den Unterbau einseitig belasten; vielleicht fängt die Pneumatik den Stoß auf, aber darüber gibt es keine Gewißheit. Unter Dhrawns Schwerkraft könnte das Fahrzeug bei einem dieser Manöver entzweibrechen. Habt ihr das berücksichtigt?“
Dondragmer gestand sich ein, daß er das nicht getan hatte und es wohl besser getan wurde, ehe er seine Absicht ausführte. Er sprach dieses Geständnis aus, bedankte sich und strebte zur Hauptluftschleuse, die mittlerweile wieder passierbar war.
Draußen hatte die Strömung sich inzwischen so abgeschwächt, daß man keine Sicherheitsleinen mehr benötigte. Schon ragten die größeren Felsen aus dem Wasser, und er mußte einige davon überklettern, um zu einem Punkt zu gelangen, von dem aus er das ganze Mißgeschick zu überschauen vermochte.
Der Anblick behagte ihm ganz und gar nicht.
Wahrscheinlich hatten die Me nschen recht. Das
Risiko war hoch, viel zu hoch für ein vernünftiges Lebewesen.
Die Antwort auf das Problem befand sich buchstäblich in Dondragmers Sichtweite, aber es verging noch eine Stunde, bevor er darauf stieß.
Ein menschlicher Psychologe, als er später davon erfuhr, sah sich darüber sehr enttäuscht; er forschte nach prinzipiellen Unterschieden zwischen der menschlichen und der mesklinitischen Psyche, doch er entdeckte, wie er es selbst nannte, ungewöhnlich viele Ähnlichkeiten.
Die Lösung erforderte natürlich Arbeit. Auch die kleinsten Steine waren schwer. Andererseits gab es zahlreiche davon, und man brauchte sich nicht weithin zu zerstreuen, um genug zu sammeln. Die ganze Besatzung der Kwembly, Beetchermarlf und seine Helfer, die weiter den Reparaturarbeiten nachgingen, ausgenommen, machte sich daran, unter dem Heck des festsitze nden Fahrzeugs eine Rampe aus Gestein aufzuschichten.
Damit wurde auch Beetchermarlfs Aufgabe erleichtert, da man nun Stellen des Rumpfes erreichen konnte, die zuvor nicht zugänglich gewesen waren. Die beiden Gruppen beendeten ihre Tätigkeit fast gleichzeitig; auf vier Walzen mußte jedoch wegen fehlender Teile verzichtet werden.
Der Captain hatte die meiste Zeit damit verbracht, zwischen dem Funkgerät — er hoffte noch auf eine brauchbare Vorhersage über die zu erwartende Flutentwicklung — und den Einsatzgruppen hin und her zu eilen. Als die Gesteinsrampe fertiggestellt war, stand das Wasser kaum noch einen Meter hoch, und die Strömung hatte fast völlig aufgehört; das Gewässer war nun eher als Teich denn als Fluß zu bezeichnen.
Inzwischen herrschte endgültig Nacht; die Sonne war seit nahezu einhundert Stunden unter dem Horizont verschwunden. Das Wetter war wieder gänzlich klar, und man sah die Sterne heftig blinken. Außerhalb der Scheinwerferreichweite war es fast völlig finster. Dhrawn besaß keinen Mond, und die Sterne lieferten nicht mehr Licht als am Nachthimmel Mesklins oder der Erde. Die Temperatur war unverändert.
Dondragmers Wissenschaftler registrierten die Oberflächenverhältnisse so exakt, wie ihre Kenntnisse und ihre Geräte es ermöglichten, und gaben die Resultate dem Satelliten durch. Der Captain hatte sich einige Informationen versprochen, aber schließlich rief er sich ins Bewußtsein, daß die Menschen nicht zwangsläufig verpflichtet waren, ihn ständig zu unterrichten. Die Berichte waren schlichtweg Bestandteil der Aufgabe, die die Meskliniten übernommen hatten.
Er hatte die Wissenschaftler aufgefordert, sich Gedanken über die Situation zu machen.
Borndenders Antwort, mit der er die Aufforderung, die er für sarkastisch hielt, quittierte, lautete dahingehend, daß er nur zu gerne alles versuchen werde, wenn die Menschen ihn ausreichend mit Datenmaterial über andere Zonen des Planeten versorgten, das Vergleichsmöglichkeiten bot. Der Captain hatte nicht im mindesten sarkastisch sein wollen. Wie sich erklären ließ, warum ein Fahrzeug auf Wasser oder Ammoniak schwamm, und wie sich erklären ließ, warum an einem bestimmten Tag zwischen Stunde 40 und Stunde 100 über der Basis 2,3 Millikabel Niederschlag fielen, machte für ihn wenig Unterschied. Er hegte den Verdacht, daß der Wissenschaftler ihn absichtlich mißverstand; wenn es um Ausreden ging, waren Meskliniten geradezu verblüffend menschenähnlich, und Borndender war anscheinend über die eigene Hilflosigkeit ziemlich verstimmt. Ohne sich näher zu äußern, erwiderte der Captain, nützliche Ideen seien willkommen, und verließ das Labor.
Auch die Wissenschaftler mußten die Kwembly räumen, als die letzten Vorbereitungen für das Manöver getroffen wurden. Borndender murrte, aber Dondragmer ließ sich auf keine Diskussion ein; er hatte keinen Vorschlag gemacht, sondern einen Befehl erteilt, und nicht einmal die Wissenschaftler zweifelten sein Recht dazu an. Nur der Captain selbst, Beetchermarlf und ein im Versorgungskontrollraum stationierter Techniker namens Kensnee blieben an Bord. Eigentlich hatte Dondragmer, da er ohnehin die Verantwortung für das Manöver trug, das Steuer persönlich übernehmen wollen, doch es war unbestreitbar, daß Beetchermarlf das Steuersystem besser kannte und in kritischen Momenten rascher und sicherer zu reagieren vermochte.
In der Menge raupenähnlicher Geschöpfe, die sich in sicherem Abstand von dem riesigen Fahrzeug sammelte, verbreitete sich Spannung. Dondragmer, der die Besatzung von der Brücke aus nicht sehen konnte, blieb gelassen; Beetchermarlf dagegen teilte ihre Unruhe. Die menschlichen Zuschauer verfolgten das Geschehen über einen Kommunikatorsatz, den man aus dem Versorgungskontrollraum geholt und auf einem etwa einhundert Meter entfernten, aus dem Wasser ragenden Felsen platziert hatte; sie waren ebenfalls ruhig, außer Easy und Benj.
Der Junge widmete dem Bildschirm, der mit der Außenka mera korrespondierte, kaum Beachtung, sondern konzentrierte sich auf jenen, der die Szene auf der Brücke wiedergab und worauf teilweise Beetchermarlf sichtbar war. Der Steuermann war von seiner Aufgabe stark beansprucht.
Als die Kwembly sich rückwärts zu schieben begann, konnte einer der Menschen sich eines heftigen Kommentars nicht enthalten. „Zum Teufel, warum hat man auf der Brücke nicht wenigstens Fernsteuerungskontrollen installiert?
Ich begreife nicht, wie der arme Bursche es feststellen soll, wenn eine der Walze nreihen vollen Bodenkontakt bekommt, gar nicht davon zu reden, wie er merken könnte, ob und wie sie auf das Steuer reagiert.“
„Barlennan wünschte keine Installationen, außer in unvermeidlichen Fällen, die sich von seinen Leuten nicht unter den Einsatzbedingungen reparieren lassen würden“, erläuterte Mersereau.
„Die Konstrukteure haben das eingesehen. Da — sie rutschen schön langsam hinab!“
Aus dem Lautsprecher drang ein Chor von Pfeiftönen, leicht gedämpft, da die meisten der Geschöpfe, die sie ausstießen, sich unter Wasser aufhielten. Für einen endlos scheinenden Moment schwebten zwanzig oder mehr Walzen in der Luft, als das Heck der Kwembly auf die Gesteinsrampe rutschte, dann schlitterte das Fahrzeug ins Wasser und rollte rückwärts. Der Techni ker, der sich mit Dondragmers Plan kritisch beschäftigt hatte, verdrehte die Augen. Der Bug wippte auf und nieder, bis die Erschütterung sich verlaufen und das Gewicht sich wieder ausbalanciert hatte. Das Fahrzeug stand. Die Besatzung strömte zur Hauptluftschleuse, ohne daß sich jemand um den Kommunikatorsatz kümmerte. Easy dachte daran, den Captain zu erinnern, entschied jedoch, daß es taktvoller war, zu warten.
Dondragmer hatte das Gerät keineswegs vergessen. Als die ersten Besatzungsmitglieder aus der Schleusenflüssigkeit auftauchten, hallte seine Stimme auch schon durch die Sprechröhren.
„Kervenser! Reffel! Sofort die Seouls startklar machen. Reffel, du machst eine zehnminütige Nordostaufklärung; vorher nimmst du den Kommunikatorsatz an Bord. Kervenser, du klärst zehn Minuten lang im südwestlichen Bogen auf.
Borndender, gib mir Bescheid, wenn sämtliche Laborapparaturen wieder verladen sind.
Beetchermarlf und Takoorch, ihr kontrolliert die Trossenspannung.“
Easy und ihre Kollegen beobachteten interessiert über die Außenkamera, wie die beiden winzigen Helikopter sich aus dem auf der Rumpfoberseite liegenden Hangar erhoben; der eine entfernte sich südwärts, während der andere sich dem Kommunikatorsatz näherte und vermutlich daneben, außerhalb des Aufnahmewinkels der Kamera, landete. Das Bild schaukelte, während Reffel den Kommunikatorsatz in den Helikopter lud. Geistesabwesend schaltete Easy einen Recorder ein, da die weiteren Aufnahmen für die noch bevorstehende kartografische Arbeit vielleicht von Nutzen waren.
Dondragmer hätte es zu schätzen gewußt, den entsprechenden Bildschirm ebenfalls sehen zu können, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als auf Reffels und Kervensers Berichte zu warten. Reffel, der den Kommunikator an Bord hatte, bemühte sich keineswegs, seine Eindrücke unverzüglich durchzugeben; sie erschienen ihm nicht dringend.
Die Aufklärungsflüge führten zu der Erkenntnis, daß die Kwembly in einem etwa fünfzehn Meilen weiten Tal stand, dessen Felsränder für Dhrawns Verhältnisse ziemlich hoch waren. Die Hänge besaßen Neigungswinkel zwischen zwanzig und dreißig Grad. Im Westen gab es keine Anzeichen für eine neue Flutwelle. Teiche wie jener, in dem die Kwembly stand, existierten nun zahlreiche im Tal. Im Osten erstreckte sich die Landschaft aus Gestein und Teichen so weit wie Reffel geflogen war. Dondragmer leitete die Informationen an den Satelliten weiter, dachte für eine Weile darüber nach und beorderte dann Reffel zurück auf seine Station.
„Kerv, du unternimmst einen zweiten Flug. Die Steuerleute werden noch stundenlang zu tun haben.
Du folgst dem westlichen Talverlauf eine Stunde lang und siehst dich um, ob irgendwo Wasser zufließt. Dafür kannst du dir drei Stunden Zeit lassen, falls du nicht vorher zu klaren Feststellungen kommst oder wegen schlechter Sicht umkehren mußt. Ich gebe die Brückenwache ab.
Richte Stakendee aus, daß er sie übernehmen soll, bevor zu startest.“
Selbst Meskliniten ermüdeten, doch Dondragmers Annahme, nun sei der richtige Zeitpunkt zum Ausruhen gekommen, war — wie Barlennan später bemerkte — eine etwas unglückliche. Als der Captain beharrte, er habe sowieso nicht das geringste tun können, widmete sein Kommandant ihm das mesklinitische Äquivalent eines verächtlichen Schnaufers und kommentierte, er hätte sich etwas ausdenken müssen. Dondragmer verzichtete auf den Hinweis, sein Versäumnis habe sich schließlich nicht als folgenschwer erwiesen; zumal er sich eingestand, daß es zuerst anders ausgesehen hatte.
Fast acht Stunden waren seit Kervensers zweitem Start verstrichen, als vor der Tür des Quartiers, das der Captain bewohnte, der Pfiff eines Matrosen erscholl. Dondragmer antwortete, und der andere faßte die neue Situation in einem knappen Satz zusammen.
„Captain, Kervenser und die Steuerleute sind noch draußen, und der Teich, in dem wir stehen, ist gefroren.“