15

„Es läuft auf folgendes hinaus“, sagte Aucoin, der am Tischende saß. „Wir müssen die Raumbarke hinunterschicken. Tun wir das nicht, sind die Kwembly und die beiden Meskliniten verloren, und Dondragmer und die restliche Mannschaft nicht einsatzfähig, bis ein Rettungsfahrzeug, zum Beispiel die Kalliff, sie holt. Unglücklicherweise ist es möglich, daß es niemand etwas nutzt, wenn wir die Barke einsetzen. Wir wissen nicht, warum der Boden unter der Kwembly nachgab, und der Barke könnte, sobald sie landet, das gleiche widerfahren.

Der Verlust der Barke wäre ein sehr schwerer.

Auch wenn wir zuerst bei Dondragmers Lager landen und die Besatzung zum Standort der Kwembly fliegen, haben wir keine Gewähr, daß — selbst wenn sie sicher aufsetzen kann — die Besatzung das Fahrzeug zu reparieren imstande ist.

Beetchermarlfs Angaben zufolge bezweifle ich es außerordentlich. Die schlimmsten Lecks konnten sie abdichten, aber es dringt noch immer Sauerstoff ein. Obendrein besitzt noch niemand eine halbwegs vernünftige Vorstellung davon, wie wir das Fahrzeug aus dem Schlamm — oder was das sein mag — befreien sollen. Und es gibt weitere Argumente gegen den Einsatz der Raumbarke.

Bedienen wir uns der Fernsteuerung, ist aufgrund der unvermeidbaren Verzögerung von sechzig Sekunden jedes Manöver in Bodennähe ausgeschlossen. Ein computerisiertes, also automatisches Landungsmanöver ist möglich, aber die Risiken haben sich seit Beginn der Raumfahrt nicht gemindert. Ebenso gut könnte man den Meskliniten einen Schnellkurs verabreichen und sie das Ding selber fliegen lassen.“

„Diesen Vorschlag würde ich keineswegs so lächerlich darstellen, Alan“, warf Easy mit ruhiger Stimme ein. „Die Kwembly ist sicherlich nicht das letzte Fahrzeug, das in Not gerät. Dhrawn ist eine sehr große, wenig erforschte Welt, und ich fürchte, früher oder später werden wir Mangel an einsatzbereiten Fahrzeugen haben. Außerdem sind die Steuersysteme der Barke ohnehin weitgehend computerisiert, und der Rest ist eine Sache des Knopfdrucks. Ich räume ein, daß die Gefahr groß ist, daß jemand ohne vorherige Erfahrung dabei Bruch erleidet, aber bietet eine andere Methode Beetchermarlf und Takoorch eine höhere Chance zum Überleben?“

„Ich glaube, schon“, erwiderte Aucoin ruhig.

„Also, was zum… was soll das eigentlich?“ maulte Mersereau. „Wir haben…“ Easy hob eine Hand, und entweder diese Geste oder ihre Miene brachten Boyd zum Schweigen.

„Welche andere Maßnahme, die du mit gutem Gewissen vorschlagen kannst, hältst du für geeignet, um die Kwembly, die Steuerleute oder den Rest von Dondragmers Besatzung zu retten?“ fragte sie.

Aucoin besaß genug Anstand, um zu erröten, aber seine Antwort fiel gelassen aus. „Wie ich schon sagte, und Boyd war dabei — wir schicken die Kalliff von der Basis und holen sie ab.“

Der Äußerung folgte sekundenlanges Schweigen, während rings um den Tisch Heiterkeit über die Gesichter huschte. Schließlich meldete sich Ib Hoffman zu Wort.

„Glaubst du wirklich, Barlennan wird zustimmen?“ fragte er unschuldig.

„Es läuft darauf hinaus“, sagte Dondragmer zu Kabremm, „daß wir hier bleiben und nichts tun können, bis Barlennan ein Hilfsfahrzeug schickt.

Ich stelle mir vor, er wird diesmal eine ausreichende Begründung liefern können, nachdem er im Falle der Esket darauf verzichtet hat…“

„Das dürfte einfach sein“, antwortete der Erste Offizier der Esket. „Einer der Menschen war dagegen, und der Commander gab nach. Diesmal braucht er nur nachdrücklicher zu fordern.“

„Als ob dies das erste Mal nicht einige Menschen zur Genüge verwundert hätte! Doch wir werden sehen. Entschließen wir uns zu warten, wissen wir nicht, wie lange es dauern wird, bis ein Fahrzeug eintrifft; wir haben keine Ahnung, ob das Gebiet zwischen uns und der Basis durchgängig befahrbar ist. Ihr seid geflogen, und wir sind einen Teil der Strecke geschwommen. Warten wir nicht, läßt sich zweierlei tun. Erstens könnten wir die Kwembly zu erreichen versuchen; zweitens die Basis, wobei wir einem eventuell ausgeschickten Hilfsfahrzeug unterwegs begegnen könnten. Die zweite Möglichkeit halte ich für günstiger, weil wir nicht wissen, ob wir die Kwembly überhaupt zu reparieren vermögen; wenn die Menschen Beetchermarlf richtig verstanden haben, ist das sehr zweifelhaft. Angenehm sind mir beide Lösungen nicht, weil wir auf jeden Fall Zeit vergeuden. Es gäbe wahrlich Wichtigeres zu tun, als auf der Oberfläche dieses Planeten umherzukriechen. Aber es gibt eine dritte Möglichkeit, über die wir uns einigen müßten. Ich hielte es für am besten, mit dem Luftschiff entweder die beiden Steuerleute abzuholen, falls wir die Kwembly aufgeben müssen, oder meine Mannschaft und die Anlagen zur Kwembly zu fliegen.“

„Aber das…“

„Das würde natürlich unser Floß versenken, soweit es die Esket betrifft. Aber setzten wir Reffels Helikopter ein, wäre das Ergebnis nicht anders; wir können nicht erklären, was mit dem Kommunikatorsatz geschehen ist. Wie auch immer, ich vertrete die Überzeugung, daß das ganze Manöver die Leben, die freiwillig geopfert werden müßten, nicht wert ist; natürlich, das Risiko war es wert — andernfalls hätte ich gar nicht so lange mitgespielt.“

„Davon habe ich gehört“, erwiderte Kabremm.

„Niemand konnte dir das Risiko vollständiger Abhängigkeit von Wesen verdeutlichen, die uns wohl kaum als gleichwertige Geschöpfe betrachten.“

„Nun gut. Bedenke jedoch, daß einige Menschen sich von den anderen in solchem Maße unterscheiden, wie wir uns von den Menschen überhaupt unterscheiden. Die Menschen, das ist klar, sind untereinander so verschieden, wie wir voneinander unterschiedlich sind. Derjenige, welcher Barlennan die Aussendung eines Hilfsfahrzeugs für die Esket ausreden wollte, muß selbstverständlich ganz anders sein als Mrs. Hoffman oder Charles Lackland — doch ich sehe keinen Anlaß, den Menschen als Rasse zu mißtrauen, wie du es anscheinend vorziehst. Ich bezweifle auch, daß Barlennan so denkt; er hat mehrere Male, während ich darüber mit ihm diskutierte, vom Thema abgelenkt, und das ist nicht seine Art, wenn er einer Sache sicher ist. Ich bin der Meinung, wir sollten die Segel ein wenig reffen und die Menschen im Falle der Kwembly um direkte Hilfe bitten; oder wenigstens das Risiko eingehen, alle drei Luftschiffe für eine zügige Bergungsaktion abzukommandieren.“

„Es sind nicht mehr drei“, warf Kabremm ein.

„Die Elsh ist mit Karfrengin und vier Matrosen seit zwei Dhrawn-Tagen verschwunden.“

„Diese Neuigkeit war noch nicht zu mir vorgedrungen“, erklärte Dondragmer. „Wie hat der Commander reagiert? Man sollte meinen, daß auch er es in Erwägung zieht, die Menschen um Hilfe zu bitten, wenn wir überall Personal zu verlieren beginnen.“

„Er weiß es noch nicht. Es befinden sich noch Suchtrupps unterwegs, und wir möchten keinen unvollständigen Bericht abliefern.“

„Was könnte daran vollständiger sein? Karfrengin und die Matrosen sind inzwischen tot. Die Luftschiffe haben keine Versorgungsausrüstung für zwei Dhrawn-Tage.“

Kabremm vollführte das Äquivalent eines Achselzuckens. „Beklage dich bei Destigmet. Ich habe genug Ärger.“

„Warum wurde dein Luftschiff nicht für die Suche eingesetzt?“

„Damit war es beschäftigt, bevor sich dieser Eisfluß der Esket zu nähern begann. Destigmet hat mich auf Erkundung geschickt; ich hätte nicht bis hierher kommen sollen, aber der Charakter dieses Phänomens war so schwierig zu beurteilen; die seltsamste Sache, die mir bisher auf dieser seltsamen Welt begegnet ist. Streckenweise ist der Fluß liquide, manchmal erstarrt; wir kennen keine Methode, die ihn aufhalten könnte, und die zweite Basis bei der Esket ist so gut wie dahin.“

„Und natürlich weiß Barlennan auch davon noch nichts.“

„Es gab bislang keine Möglichkeit, ihn zu benachrichtigen. Als wir das Eis bemerkten, brach schon die Dunkelheit an.“

„Mit anderen Worten, wir haben nicht allein meinen Ersten Offizier und einen Helikopter verloren, sondern auch ein Luftschiff mit fünfköpfiger Besatzung, wahrscheinlich die Kwembly und unsere geheime Basis. Und unter diesen Umständen befürwortest du noch länger eine Fortsetzung des ganzen Manövers und einen Verzicht auf die Hilfe der Menschen?“

„Mehr denn je. Wenn sie von diesen Schwierigkeiten erfahren, gelangen sie womöglich zu der Auffassung, wir seien nicht länger nützlich und lassen uns auf Dhrawn im Stich.“

„Unsinn. Niemand verwirft einfach ein so aufwendiges Projekt. Aber ich sehe, wir kommen nicht weiter. Ich wünschte…“

„Du wünschst dir nichts anderes als eine gute Ausrede dafür, daß du unsere Pläne am liebsten deinen sauerstoffatmenden Freunden verraten würdest.“

„Du weißt, daß ich so etwas niemals täte. Ich habe ein eigenes Urteil über die ganze Angelegenheit gefällt, aber mir ist klar, daß ich die einmal vorangetriebene Entwicklung nicht nach Gutdünken behindern kann.“

„Um so besser. Nichts dagegen, daß man ein paar Menschen sympathisch findet, aber sie sind wirklich nicht alle wie die namens Hoffman. Du hast es selbst gesagt.“

„Es läuft auf das folgende hinaus“, sagte Barlennan zu Bendivence. „Es war voreilig, Deeslenver mit der Anweisung, die Kameras zu verschließen, zur Esket zu schicken. Der Fall Esket war anscheinend erledigt gewesen, und nun wird man ihn wieder aufrollen. Den Eingeborenen-Trick früher anwenden zu müssen hat mir nicht leid getan, aber Destigmets Mannschaft wird die Eingeborenenrolle nicht spielen können, solange wir nicht über sehr viel mehr eigenproduziertes Gerät verfügen, von dem die Menschen keine Ahnung besitzen. Gäbe es eine Möglichkeit, Dee zurückzubeordern, ich würde es tun. Ich wollte, ich hätte dich die Radioexperimente vorantreiben lassen; wir wären vielleicht nun imstande, mit der Deedee in Verbindung zu treten.“

„Es wäre nicht allzu riskant, und ich würde mich freuen, die Arbeit fortführen zu können“, antwortete Bendivence. „Natürlich vermögen die Menschen die Wellen zu registrieren, aber bei einer Beschränkung auf kurze und nur dringendste Kontakte würden sie ihren Ursprung wahrscheinlich nicht ermitteln können. Um Deeslenver zu erreichen, ist es selbstverständlich zu spät.“

„Nur zu wahr. Ich frage mich nur schon die ganze Zeit, warum keiner von ihnen mehr etwas von Kabremm erwähnt hat. Glaubst du, Mrs. Hoffman hat sich tatsächlich getäuscht? Oder wollten die Menschen uns testen? Oder hat Dondragmer den Vorfall zurechtgebogen? Falls sie das Gefühl hat, sich eventuell geirrt zu haben, müssen wir alles noch einmal genau durchdenken…“

„Und was bedeutete diese andere Meldung, daß sich etwas in der Esket gerührt habe?“ meinte der Wissenschaftler. „Ein anderer Test? Oder stimmt die Meldung? Seit einhundertundfünfzig Stunden haben wir keinen Kontakt mehr mit der zweiten Basis. Falls die Esket von natürlichen Ursachen bewegt wird, ist es für alle Maßnahmen zu spät.“

„Befindet sich die Esket in echten Schwierigkeiten, müssen wir uns darauf verlassen, daß Destigmet sie zu lösen vermag“, sagte der Commander. „Unser Hauptproblem sind noch immer Dondragmer und die Kwembly. Ich gehe davon aus, daß er guten Grund besaß, das Fahrzeug zu räumen, aber die Folgen sind verheerend. Wären nicht die beiden Steuerleute an Bord, wir könnten das Fahrzeug vergessen und die Kalliff nach Dondragmers Lager senden.“

„Können wir das nicht ohnehin? Hat der Mensch namens Aucoin es nicht vorgeschlagen?“

„Doch. Ich sagte, ich müsse es mir überlegen.“

„Warum?“

„Weil die Chance, daß die Kalliff eintrifft, bevor es für Dondragmer und die übrige Besatzung zu spät ist, außerordentlich gering ausfällt. Erinnere dich an das Schneefeld, das die Kwembly überquerte. Du kannst dir vorstellen, wie es nun in diesem Gebiet ausschaut… Natürlich, wir könnten den Menschen die Wahrheit sagen, sie bitten, sich mit Destigmet in der Esket in Verbindung zu setzen und ihn ein Luftschiff zur Rettung der beiden Steuerleute aussenden zu lassen.“

„Damit würden wir unsere noch immer vielversprechenden Pläne zerstören“, antwortete Bendivence nachdenklich. „Daran ist dir gewiß sowenig gelegen wie mir; andererseits können wir die beiden unmöglich ihrem Schicksal ausliefern.“

„Keinesfalls“, pflichtete Barlennan bedächtig bei.

„Allerdings frage ich mich, ob wir ihre Chance wesentlich verminderten, warten wir einfach ab, ob sich eine andere Möglichkeit ergibt.“

„Und welche?“

„Falls es die Menschen davon zu überzeugen gelingt, daß wir eine Rettungsaktion nicht aus eigener Kraft durchzuführen vermögen, könnte es sein, vor allem, wenn zwei Hoffmans es gutheißen, daß sie ihrerseits etwas Diesbezügliches unternehmen.“

„Aber was können sie tun? Notplan 1 sieht vor, daß das Schiff, das sie >Barke< nennen, automatisch in der Nähe dieser Basis landet. Sie können es unmöglich fernsteuern, denn bei einer Minute Verzögerung ist die Manövrierfähigkeit so beeinträchtigt, daß sie es zu Bruch fliegen dürften.

Sie können es auch nicht bemannt landen, denn es ist für unsere Bedürfnisse eingerichtet; außerdem würde Dhrawns Gravitation einen Menschen wie Farbe übers ganze Deck verstreichen.“

„Du solltest die Fremden nicht unterschätzen, Ben. Vielleicht sind sie nicht gerade geistreich, aber ihre Ahnen hatten genug Zeit, allerlei Erfindungen zu entwickeln, von denen wir noch nichts wissen. Ich würde es nicht tun, kämen die beiden Steuerleute dadurch in größere Gefahr als gegenwärtig; ich schätze jedoch, es ist besser, die Menschen dahingehend zu bewegen, daß sie die Rettungsaktion selbst durchführen. Besser jedenfalls, als müßten wir unsere Pläne aufgeben.“

„Es läuft darauf hinaus“, sagte Beetchermarlf zu Takoorch, „daß wir zwischen Leckabdichten und Luftreinigung die Zeit finden, allen Beteiligten klarzumachen, daß sich eine Bergung der Kwembly lohnt. Sie aus eigener Kraft funktionstüchtig zu halten wäre die beste Methode, aber ich bezweifle, daß wir es schaffen. Dein Leben und meines gelten bei den Menschen nicht viel, außer bei Benj, der nichts zu befehlen hat. Könnten wir aber die Versorgungsanlagen instand und die Innenatmosphäre frei von Sauerstoff halten, Fortschritte bei der Freilegung und der Reparatur des Fahrzeugs erzielen — dann sehen sie womöglich ein, daß eine Rettungsaktion den Aufwand wert ist.

Selbst wenn es sie nicht überzeugt, müssen wir es in unserem eigenen Interesse versuchen; aber könnten wir Barlennan ausrichten lassen, daß wir die Kwembly befreit haben und wieder unterwegs sind, dürfte das einige Personen freuen, besonders den Commander.“

„Meinst du, das gelingt uns?“ fragte Takoorch.

„Du und ich, wir sind die ersten, die es zu überzeugen gilt“, antwortete der jüngere Steuermann. „Mit den anderen werden wir es dann leichter haben.“

„Alles läuft darauf hinaus“, sagte Benj zu seinem Vater, „daß wir die Raumbarke für zwei Leben nicht riskieren wollen, obwohl sie zu Rettungszwecken vorgesehen wurde.“

„Das stimmt nur halb“, entgegnete Ib Hoffman.

„Ihr Einsatz ist eigentlich nur für den Fall gedacht, daß das ganze Projekt scheitert und wir die Basis evakuieren müssen. Davon einmal abgesehen, die Barke ist auf eine Landung in der Nähe der Basis programmiert, und ohne Programmänderung wird sie automatisch an keinem anderen Fleck landen.

Sie läßt sich zwar fernsteuern, aber nicht aus dieser großen Entfernung, ohne daß erhöhte Bruchgefahr besteht. Gewiß, wir könnten das

Computerprogramm ändern und eine automatische Landung an einem anderen Fleck vorgeben, aber möchtest du die Barke wirklich, sei es nun automatisch oder ferngesteuert, in der Nähe deiner Freunde landen? Bedenke, die Barke besitzt einen Protonenantrieb, eine Masse von siebenundzwanzigtausend Pfund, und müßte unter vierzigfacher Erdschwerkraft eine angemessen weiche Landung vollziehen, und die Düsen sind weit auseinander am Heck verteilt, um eine Kraterbildung zu verhindern. Die Folgen kannst du dir leicht ausmalen.“

Benj runzelte die Stirn. „Aber könnten wir den Satelliten nicht in eine engere Kreisbahn bringen, um die Verzögerung bei der Fernsteuerung zu mindern?“

Ib sah seinen Sohn überrascht an. „Das weißt du — jedenfalls solltest du es. Dhrawn besitzt eine dreitausendvierhunderteinundsiebzigfache Erdmasse und eine Rotationsperiode von fünfzehnhundert Stunden. Eine synchrone Kreisbahn, die uns konstant über dem Äquator halten soll, kann daher nicht niedriger als sechs Millionen Meilen verlaufen. Eine nur hundert Meilen über der Oberfläche verlaufende Kreisbahn würde uns eine Umlaufgeschwindigkeit von neunzig Meilen je Sekunde verleihen und uns innerhalb von vierzig Minuten einmal um Dhrawn tragen. Davon würden wir einen bestimmten Teil der Oberfläche jeweils für nur zwei oder drei Minuten im Sichtbereich haben.“

Benj winkte ungeduldig ab. „Das ist mir alles bekannt. Aber wir unterhalten bereits einen ganzen Schwarm von Meßsatelliten in engerer Kreisbahn.

Sie enthalten Relais, denn sie übermitteln ja laufend Daten an die Computer. Warum sollte nicht ein Kontroller auf einem der Meßsatelliten abgesetzt werden, die Relais umschalten und das Landemanöver von dort aus fernsteuern? Aus dieser Entfernung kann die Verzögerung höchstens eine Sekunde betragen.“

„Weil…“, begann Ib; dann verstummte er und schwieg für volle zwei Minuten. Benj störte seine Überlegungen nicht; er pflegte stets genau zu spüren, wann er eine vernünftige Äußerung getan hatte. „Es gäbe eine mehrere Minuten lange Unterbrechung in der Übermittlung der Neutrinomessungen“, sagte Ib schließlich.

„Was zählt das schon bei viele Jahre währenden Messungen?“ Benj erlaubte sich gewöhnlich keinen Sarkasmus gegenüber seinen Eltern, aber er begann sich wieder zu erregen. Sein Vater nickte schweigend und überlegte weiter. Fünf Minuten verstrichen, obwohl die Zeitspanne Benj viel länger schien; dann richtete Ib Hoffman sich auf.

„Du hast völlig recht, Junge. Sichere Landung und sicherer Start lassen sich bei einsekündiger Verzögerung gewährleisten, aber einen Abstecher können wir uns damit noch immer nicht erlauben; allerdings werden wir ohne auskommen.“

„Es ginge!“ lärmte Benj begeistert. „Zurück in die Kreisbahn mit der Barke, den neuen Landeplatz gewählt und wieder hinab damit!“

„Gewiß, aber davon rede lieber nicht. Seit Beginn des gesamten Projekts suche ich nach einer Begründung; jetzt habe ich eine.“

„Begründung? Wofür?“

„Dafür, genau das zu tun, worauf Barlennan seit langem abzielt: mesklinitische Piloten in die Barke zu bekommen. Ich vermute, er will eines Tages ein eigenes interstellares Raumschiff besitzen, damit er zwischen den Sternen das gleiche Leben führen kann wie auf Mesklins Ozeanen. Doch vorerst wird er sich mit einem kleinen Ausflug begnügen müssen.“

„Du glaubst, das ist seine Absicht? Übrigens, wenn Meskliniten es zu lernen vermögen, warum hat man nicht schon Piloten ausgebildet?“

„Lernen können sie es zweifellos, und gedacht hat man schon früher daran.“

„Und warum wurde darauf verzichtet?“

„Darauf möchte ich jetzt nicht eingehen. Ich bin gern so stolz auf meine Rasse, wie die Umstände es erlauben, und die Erklärung ist leider geeignet, diesen Stolz ein bißchen zu erschüttern.“

„Ich begreife“, antwortete Benj. „Aber wieso nimmst du an, dies nun ändern zu können?“

„Weil sich nun Aspekte ergeben haben, die den menschlichen Stolz in anderer Hinsicht verletzen.

Ich werde ins Planetologische Labor gehen und die Wissenschaftler verspotten. Ich werde die Chemiker fragen, warum sie nicht wissen, worin die Kwembly eingesunken ist, und wenn sie sagen, weil sie keine Bodenproben haben, frage ich sie, warum nicht. Ich werde sie fragen, warum sie sich mit seismischen und Neutrinomessungen plagen, obwohl ein mesklinitischer Pilot ihnen Proben über Proben vor ihrem Labor aufstapeln könnte. Für den Fall, daß dergleichen nicht genügt, denke dir inzwischen alle herzzerreißenden Klagen über die Grausamkeit aus, mit der man deinen Freund Beetchermarlf einem schrecklichen Los ausliefern will. Wenn Aucoin wegen der Kosten mault, die der Einsatz der Barke verursacht, springe ich ihm mit beiden Füßen auf den Bauch. Außerdem: benutzen wir die Barke nie, waren die Anschaffungskosten umsonst. Ich weiß, daß diese Logik eine winzige Lücke aufweist, aber wenn du sie unter Dr. Aucoins Ohren aussprichst, verpasse ich dir die erste Ohrfeige, seit du sieben warst, und glaube nicht, daß mein Arm im letzten Jahrzehnt erschlafft sei.“

„Du solltest dich nicht über mich ärgern, Vater.“

„Das tue ich auch nicht. Ich bin weniger verärgert als besorgt.“

„Besorgt? Um was?“

„Darum, was Barlennan und seinen Leuten auf diesem Himmelskörper, den deine Mutter stets

>diesen furchtbaren Planeten< nennt, noch zustoßen mag.“

„Aber warum? Und warum jetzt mehr als zuvor?“

„Weil mir allmählich klar wird, daß Barlennan eine intelligente, energische, wissensdurstige, tatkräftige und relativ gebildete Persönlichkeit ist, so wie es mein Sohn vor sieben Jahren war, und an dein Tauchabenteuer entsinne ich mich noch sehr gut. Komm mit. Wir müssen einen Astronautenlehrgang organisieren und einen Lehrkörper aufstellen.“

EPILOG

Aus zweihundert Meilen Entfernung war die Barke nur als sterngroßes Objekt sichtbar, das das schwache Licht von Lalande 21.185 reflektierte.

Benj hatte sie beobachtet, als sie sich näherte und eine Position bezog, die der Pilot für recht nahe am Satelliten erachtete, aber die beiden besprachen keinerlei technische Einzelheiten; es war so angenehm, endlich eine Unterhaltung ohne eine Minute lange Verzögerungen führen zu können, daß Benj und Beetchermarlf ausschließlich plauderten.

„Wir müssen aufhören, Beetch“, sagte der Junge, als er aus dem Mittelschacht Tebbetts’ Pfeifen vernahm. „Dein Instrukteur ist unterwegs.“

„Ich bin bereit“, kam die Antwort. „Welche Sprache will er diesmal benutzen?“

„Keine Ahnung; er hat es mir nicht gesagt.“

Der bärtige Astronom wandte sich zunächst an Benj. Die beiden trieben schwerelos im Beobachtungsraum, der im Mittelabschnitt des Satelliten lag. Tebbetts hatte die Barke mit seinem Schüler längsseits zu sehen erwartet, aber hinter der Transparentwand erkannte man nur auf der einen Seite die Sonne und auf der anderen die matte Scheibe Dhrawns. „Wo ist er denn, Benj?

Hoffentlich verspätet er sich nicht. Sogar mit Nomografen statt mit Computern müßte er mittlerweile korrekter manövrieren können.“

„Dort ist er.“ Der Junge deutete auf das blinkende Objekt. „Zweihundert Meilen entfernt, in einer Siebzehnkommaachtminutenkreisbahn um den Satelliten.“

Tebbetts blinzelte. „Aber das ist ja lächerlich. Er soll beschleunigen und…“

„Das macht er durchaus. Beschleunigung zweihundert G — das entspricht dem Gravitationswert in seinem Heimathafen auf Mesklin, und die Rotationsdauer stimmt mit der von Mesklin überein. Er sagt, so wohl habe er sich nicht mehr gefühlt, seit er für Barlennan arbeitet.“

Der Astronom lächelte bedächtig. „Ja, ich verstehe. Wirklich verständlich. So etwas hätte ich mir denken sollen. Ich glaube, ich muß ein bißchen mehr auf ihn eingehen. Würdest du meine Sprachkenntnisse überwachen? Für das heutige Training fehlen mir einige Stennish-Vokabeln, schätze ich.“

„Zu dumm, daß die Kwembly schließlich doch noch geborgen werden konnte“, bemerkte Aucoin.

„Aber Dondragmers Mannschaft leistet hervorragende Geländestudien, während sie auf die Kalliff wartet. Die Lösung, nur die beiden Steuerleute an Bord zu nehmen und nicht die ganze Mannschaft, war sicherlich die beste; ohne erfahrene mesklinitische Piloten wäre das Risiko einer zweiten Landung ganz schön hoch gewesen…

Aber nun haben wir Schwierigkeiten mit der Smof.

Bei diesem Verschleiß werden uns die Fahrzeuge ausgehen, bevor wir die Tiefdruckzone Alpha zur Hälfte erforscht haben. Kennt jemand den Captain der Smof so gut, wie Easy Dondragmer kennt? Du nicht, Easy? Weißt du, ob man erwarten darf, daß er mit der Situation allein fertig wird? Oder sollen wir die Barke runterschicken, ehe das Training der beiden Meskliniten beendet ist?“

„Tebbetts meint, daß Beetc hermarlf nunmehr eine Oberflächenlandung durchführen kann, vorausgesetzt, es treten keine mechanischen Komplikationen auf“, berichtete ein Ingenieur.

„Ich persönlich hätte keine Bedenken.“

„Kann sein, aber ich würde es vorziehen, Beetchermarlf und Takoorch das Training fortsetzen zu lassen. Die Planetologen sollen einen geeigneten Landeplatz in der Umgebung der Smof lokalisieren, aber wir greifen noch nicht ein. Ich möchte, daß die Besatzung der Smof ihr Bestes gibt, um das Fahrzeug zu retten, und nicht in Versuchung gerät, es im Ausblick auf sichere Rettung voreilig aufzugeben.“ Ib Hoffman zeigte ein wenig Unruhe, sagte aber nichts; in gewisser Hinsicht hatte Aucoin wahrscheinlich recht. „Gibt es inzwischen endgültige Resultate über das Phänomen, an dem die Kwembly gescheitert ist?“ erkundigte sich der Planer übergangslos. „Die Proben, die Beetchermarlf besorgt hat, liegen nun seit Wochen im Labor.“

„Ja“, antwortete ein Chemiker. „Es handelt sich um ein faszinierendes Beispiel von Oberflächenaktivität. Der Stoff ist sensitiv gegenüber Natur und Größe der auf ihn einwirkenden Mineralienpartikel, Wasser-und Ammoniakanteilen, Temperatur und Druck. Die Hauptursache war natürlich das Gewicht der Kwembly — die beiden Meskliniten vermochten sich auf dem Untergrund gefahrlos zu bewegen.

Ausgelöst durch ein Druckmaximum, das überschritten wurde, verlor das Zeug plötzlich seine Festigkeit…“

„Gut, gut“, sagte Aucoin, „halten Sie den Rest schriftlich fest. Lassen solche Schichten sich erkennen, bevor man darauf steht?“

„Hmm. Ja, glaube ich. Messungen der Strahlungstemperatur dürften ausreichen; oder wenigstens so viel verraten, daß man sicherheitshalber weitere Tests durchführen kann.“

Aucoin nickte und wandte sich anderen Fragen zu. Forschungsberichte, Presseberichte, Versorgungsmaßnahmen, Planungsaussichten. Er war noch immer ein wenig erschüttert, nachdem er seinen Fehler eingesehen hatte, verließ sich jedoch darauf, daß ihm niemand etwas anmerkte; außer den Hoffmans, versteht sich, vielleicht auch andere… er mußte umsichtiger sein, um verantwortungsvolle und anerkennungswürdige Arbeit leisten zu können. Immerhin, pflegte er beharrlich in Gedanken zu wiederholen, die Meskliniten waren wirklich Leute wie alle anderen, wenn sie auch wie Raupen aussahen.

Ib Hoffmans Aufmerksamkeit schweifte häufig von der Tagesordnung ab, obwohl er wußte, daß wichtige Aufgaben bevorstanden. Seine Überlegungen kreisten immer wieder um die Kwembly, die Smof und um ein Tauchgerät, das beinahe einen elfjährigen Jungen getötet hatte. Die Berichte und Referate schienen kein Ende nehmen zu wollen; Ib bemühte sich um Konzentration.

„Wir machen Fortschritte“, bemerkte Barlennan.

„Nachdem wir die Kommunikatoren aus der Kwembly entfernt haben, weil sie endgültig geräumt wurde, werden wir unbeschränkten Gebrauch von ihr machen können. Außerdem haben wir Reffels Helikopter zur Verfügung, da die Menschen auch ihn für verschollen halten.

Jemblakee und Deeslenver sind sich darin einig, daß die Kwembly in einem Tag wieder fahrbereit sein wird.“ Er blickte zu der schwachen Sonne empor, die fast genau über ihnen stand. „Die menschlichen Chemiker waren hinsichtlich des Schlamms, worin sie steckte, äußerst hilfreich. Es war komisch, wie sie einen prächtigen Einfall nach dem anderen vortrugen und ständig beteuerten, es seien alles bloß Vermutungen.“

„Zweifel an den eigenen Fähigkeiten scheint geradezu eine menschliche Gewohnheit zu sein“, meinte Guzmeen. „Wann kam diese Neuigkeit?“

„Vor einer Stunde traf die Deedee ein und ist schon wieder fort. Das Luftschiff ist gegenwärtig überfordert. Schlimm genug, daß wir die Elsh verloren, und mit dem Verschwinden von Kabremm und der Gwelf begannen dringende Angelegenheiten, sich zu verzögern. Vielleicht findet ihn die Kalliff; Kenankens Scouts sind gerade dabei, eine Landroute zu Dondragmers Lager auszukundschaften, und bei dieser Gelegenheit entdecken sie womöglich eine Spur. Er ist noch keinen Tag überfällig, so daß noch eine Chance besteht…“

„Und trotzdem sagst du, wir machen Fortschritte?“

„Sicherlich. Das ganze Este-Manöver, wie du weißt, sollte bezwecken, daß die Menschen uns Raumschiffe in eigener Regie benutzen lassen, und unsere Errungenschaften in der Selbstversorgung sind nur willkommenes Nebenresultat. Wir haben das Ziel viel früher als erwartet erreicht, ohne große Opfer; ja, die zweite Basis, gewiß, die Elsh und ihre Besatzung, vielleicht auch Kabremm und…“

„Aber auch Kabremm und Karfrengin sind unersetzlich. Auf dieser Welt befinden sich nicht viele von uns. Und falls Dondragmer und seine Mannschaft nicht überleben können, bis die Kalliff eintrifft, wäre das ein ernster und schwerer Verlust; schließlich sind Wissenschaftler und Techniker darunter.“

„Don ist in keiner echten Gefahr. Das Lager kann jederzeit von Beetchermarlf mit dem menschlichen Raumschiff evakuiert werden — mit unserem Raumschiff, meine ich natürlich.“

„Und wenn bei dieser Operation etwas mißlingt, verlieren wir unser einziges Raumschiff und unsere beiden einzigen Raumpiloten.“

„Was es mir ratsam erscheinen läßt“, sagte Barlennan nachdenklich, „daß wir etwas von dem verlorenen Boden zurückzugewinnen versuchen sollten. Sobald die Kwembly fahrtüchtig ist, soll sie einen geeigneten Platz ausfindig machen und eine neue Zweitbasis errichten. Dons Wissenschaftlern dürfte es nicht schwer fallen, eine gute Stelle zu finden; Dhrawn ist offenbar reich an Metalladern.“

„Wir werden mehr Luftschiffe bauen müssen, vor allem, um die Kommunikation zu beschleunigen; aber vermutlich werden wir auch größere brauchen.“

„Mit diesem Problem habe ich mich schon beschäftigt“, erklärte ein Techniker, der bis dahin geschwiegen hatte. „Haltet ihr es für machbar, aus den Menschen — höflich, versteht sich — mehr Informationen über Luftschiffe herauszuholen? Das haben wir noch nie mit ihnen diskutiert. Wir wissen nicht einmal, ob die Menschen jemals Luftschiffe benutzt haben. Unter Umständen erweist es sich als gar nicht so nachteilig, daß wir in kurzer Zeit zwei von dreien verloren haben; vielleicht hat die Konstruktion einen grundsätzlichen Fehler.“

Der Commander machte eine Gebärde der Ungeduld. „Dummes Zeug. Ich habe niemals eine vollständige wissenschaftliche Ausbildung von den Fremden verlangt, weil eine solche zu lang dauern würde; aber mir war von Anfang an klar, daß ihre Wissenschaften auf der Kenntnis weniger, einfacher Gesetzmäßigkeiten beruhten. Bai-Ions, mit oder ohne Antrieb, sind simple Konstruktionen; ich verstehe das Prinzip restlos. Ein Motor an Bord ändert nicht das Gesetz, das sich auswirkt.“

Der Techniker musterte den Commander gedankenvoll — vorübergehend standen im Mittelpunkt seiner Gedanken nämlich Transistoren und TV-Schaltkreise —, bevor er antwortete. „Ich nehme an, daß ein Zelt, das der Sturm fortreißt, und ein Schiff, in dessen Segel der Wind bläst, ebenfalls Beispiele für die Wirksamkeit einer Gesetzmäßigkeit sind.“

Barlennan enthielt sich einer Entgegnung, da er keine andere als eine zustimmende zu finden vermochte.

Er grübelte noch immer über der Bemerkung des Technikers und versuchte sie herunterzuspielen, nur mit dem Erfolg, daß immer mehr Zweifel ihn heimzusuchen begannen, als ihn — etwa zwanzig Stunden später — ein Bote in den Kommunikationsraum rief. Guzmeen sprach gerade in ein Mikrofon, als der Commander eintrat; eine Minute später erschien ein menschliches Gesicht auf dem Bildschirm, das keiner der beiden kannte.

„Ich bin Ib Hoffman, Easys Lebensgefährte und Benjs Vater“, erklärte der Fremde ohne Umschweife. „Ich spreche ungestört zu euch beiden, Barlennan und Dondragmer, denn das gesamte übrige Kommunikationspersonal konzentriert sich gerade auf die Notsituation eines der Fahrzeuge. Ich bediene mich eurer Sprache, so gut ich es vermag, unterstützt von meiner Frau; sie weiß Bescheid, und sie wird mich korrigieren, falls ich zu sehr ausrutsche. Ich nenne sehr ungern jemand einen Lügner, gleichwohl in welcher Sprache… Zunächst, Barlennan, meine herzlichen Glückwünsche. Ich bin nahezu sicher, daß wir, als wir die Raumbarke mesklinitischen Piloten überließen, einen deiner vorrangigsten Pläne erfüllten, wahrscheinlich lange bevor du es erwartet oder vorgesehen hattest. Das ist gut. Ich wollte es so. Ich glaube, daß du gerne interstellare Flüge unternehmen willst, und das ist auch recht; ich werde dir helfen. Du allerdings hegst anscheinend die Auffassung, daß viele oder gar die meisten Menschen dich davon fernzuhalten wünschen, und ich gestehe, daß manche es so haben möchten; doch ich schätze, die Entwicklung nimmt nun einen anderen Verlauf. Wie viel von meinen Worten du glaubst, vermag ich nicht zu beurteilen; du bist eigenwillig genug, um auch von allen anderen alle möglichen Tricks zu erwarten — zu dumm, aber ich muß dir dennoch sagen, was ich zu sagen habe. Ich weiß nicht, in welchem Umfang du die Ausgangssituation konstruiert hast, aber ich bin beinahe überzeugt, daß der Ausfall der Esket ein Täuschungs manöver war. Unklarheit besitze ich über die wirkliche Verfassung der Kwembly.

Wahrscheinlich weißt du viel mehr über die Verhältnisse auf Dhrawn, als den Berichten zu entnehmen ist. Wir sind hier, um möglichst viel über Dhrawn zu erfahren, und was immer du uns verschweigst, ist ein Verlust für uns. Ich verfüge über keine Beweise und bin obendrein nicht kompetent genug, um dir mit Strafen wegen Vertragsbruch zu drohen, aber ich möchte dich davon überzeugen, daß beiden Seiten besser gedient ist, wenn es zwischen uns keine Geheimnisse gibt. Das Projekt ist in eine Phase getreten, in der ein Verzicht auf vollständige Ehrlichkeit uns sehr viel und dich alles kosten könnte. Um das zu erläutern, will ich eine Geschichte erzählen… Ihr wißt, daß wir Menschen Sauerstoff atmen so wie ihr Wasserstoff; aber weil wir wesentlich größer sind, besitzen wir ein weitaus komplizierteres Atem- und Kreislaufsystem als ihr, dessen Beschaffenheit erfordert, daß wir ausreichend gasförmigen Sauerstoff innerhalb bestimmter, recht eng begrenzter Druckverhältnisse inhalieren. Mehr als drei Viertel der Erde sind von Wasser bedeckt. Unter Wasser können wir ohne technische Hilfsmittel nicht atmen, aber das Tauchen unter Wasser ist eine beliebte menschliche Sportart. Das Tauchgerät besteht hauptsächlich aus einem Tank voller komprimierter Atemluft und einem Schlauchsystem, das den Tank mit unseren Atemorganen verbindet; sehr einfach also, ganz verständlich und eindeutig. Vor sechs Erdjahren nun, als mein Sohn Benj elf Jahre alt war, baute er sich ein solches Gerät; er entwarf es — mit meiner Unterstützung — und stellte Druckbehälter, Schläuche, Ventile, was eben dazu gehört, selbst her. Gemeinsam testeten wir seine Konstruktion; sie funktionierte perfekt. So gut wie jenes handelsübliche Tauchgerät. Dann testete Benj das Gerät unter Wasser… Sicherlich seid ihr mit den Grundlagen der Hydrostatik und den Gesetzmäßigkeiten des Gaszustands vertraut, und so werdet ihr begreifen, daß in einer bestimmten Tiefe eine Atemorganfüllung nur noch das halbe Volumen besitzt wie an der Oberfläche; das wußte auch Benj, aber er dachte, eine Tankfüllung für eine Stunde sei — unabhängig von der Tiefe — wirklich für eine Stunde ausreichend, solange der Tankdruck über dem des Wasserdrucks liege. Kurz gesagt, so war es aber nicht. Nach einem Drittel der kalkulierten Zeitspanne ging ihm die Atemluft aus, und ich mußte ihn retten. Infolge des raschen Druckwechsels und einiger menschlicher Eigenarten, die ihr Meskliniten anscheinend nicht mit uns teilt, kam er beinahe ums Leben. Um eine ausreichende Sauerstoffversorgung unserer Atemorgane zu gewährleisten, müssen wir normale Luftmengen inhalieren, ganz abgesehen von Sauerstoffgehalt oder Gesamtdruck, da sonst die Abfallprodukte, vorwiegend Kohlendioxid, überwiegen… Ich möchte beileibe niemandes Intelligenz anzweifeln, wenn ich nun frage, ob man mich verstanden hat, aber ich hätte gerne von euch beiden eine Stellungnahme zu dieser Geschichte.“

Die Antworten waren aufschlußreich, sowohl ihrem Inhalt nach wie auch aufgrund der Zeitspanne, die bis zu ihrem jeweiligen Eintreffen verstrich. Barlennans Kommentar erreichte den Satelliten fast unmittelbar nach Ablauf der Übermittlungsverzögerung; Dondragmers Antwort traf sehr viel später ein, so spät, daß sie sich mit der Durchsage des Commanders nicht überschnitt.

„Die Lehre aus dieser Geschichte lautet wohl“, sagte Barlennan, „daß unvollständiges Wissen zu schweren Fehlern verführen kann, aber ich begreife den Zusammenhang mit der Gegenwart nicht. Wir wissen, daß unsere Kenntnisse unvollständig sind und unsere Tätigkeit auf Dhrawn deshalb gefährlich ist. Wir wußten es seit jeher. Warum willst du diese Tatsache jetzt besonders betonen?

Aufrichtig gesagt, ich würde nun lieber Informationen über das Fahrzeug hören, das sich deinen Worten zufolge in Schwierigkeiten befindet.

Du gibst mir Anlaß zu dem Verdacht, daß du mich behutsam auf den Verlust eines weiteren Fahrzeugs vorbereiten willst; eine solche Häufung von Ausfällen läßt wohl darauf schließen, daß eure Konstrukteure Fehler begangen haben. Beunruhige dich nicht, ich werde dir keine Vorwürfe machen.

Niemand konnte alles voraussehen.“

Ib lächelte säuerlich. „In diese Richtung wollte ich unser Gespräch keineswegs lenken, Commander, doch deine Antwort enthält einige einleuchtende Aspekte. Dennoch würde ich gerne Dondragmers Antwort hören, bevor ich mich weiter äußere.“

Noch eine volle Minute verstrich, bevor die Stimme des Captains der Kwembly den Satelliten erreichte. „Deine Worte waren absolut unmißverständlich“, versicherte Dondragmer, „aber du hättest dich wohl kürzer gefaßt, wäre deine Aussage nicht tiefschürfender gedacht. Wie ich vermute, liegt die Kernfrage weniger darin, daß dein Sohn einmal durch Unwissenheit in Schwierigkeiten geriet, sondern eher darin, daß ihm dies trotz der Unterstützung eines überlegenen Erwachsenen widerfuhr. Ich denke, deine Äußerung ist so aufzufassen, daß wir uns während der Erforschung Dhrawns, obwohl ihr Menschen unseren Kenntnissen voraus seid und uns deshalb Unterstützung leisten könnt, zusätzlichen Gefahren aussetzen, sobald wir nach eigenem Gutdünken handeln.“

„Richtig, genau so habe ich es gemeint“, sagte Ib.

„Ich…“

„Einen Moment“, unterbrach Easy. „Solltest du nicht Dondragmers Antwort zunächst an Barlennan weiterleiten?“

„Selbstverständlich.“ Ihr Mann gab dem Commander eine gestraffte Wiederholung von Dondragmers Durchsage, dann ergänzte er die eigenen Worte. „Ich kann dir nichts aufzwingen, Barlennan, und könnte ich es, würde ich wahrscheinlich darauf verzichten. Ich möchte auch keineswegs eine Enthüllung aller Ereignisse, die sich seit eurer Landung abgespielt haben; es wäre allerdings für beide Seiten vorteilhafter, könnte meine Frau, zum Beispiel, ein kurzes Informationsgespräch mit ihren alten Freunden Destigmet und Kabremm führen; die weitere Entwicklung ließe sich leichter abschätzen. Ich erwarte keine grundlegende Änderung deiner Absichten, Commander, aber ich bitte dich, dir diesen Vorschlag genau zu überlegen.“

Barlennan war — als alter Seefahrer — an schnelle Entscheidungen gewöhnt. Außerdem hatten die Umstände ihn bereits zu ähnlichen Erwägungen bewegt. Über allen anderen Plänen stand das Interesse am eigenen Überleben und dem seiner Truppe. Er antwortete sofort.

„Easy kann das Gespräch führen, aber nicht jetzt; die Esket liegt ziemlich weit entfernt. Zudem möchte ich zunächst über die Situation jenes Fahrzeugs informiert werden, von dem du sagst, daß es sich in Not befindet. Teile mir lediglich mit, was geschehen ist, damit ich entscheiden kann, wie ihr helfen könnt.“

Ib und Easy Hoffman sahen einander an und grinsten, teilweise aus Erleichterung, zum Teil aus Triumph. Aber es war Benj, der den entscheidenden Kommentar abgab, doch erst später, im Meteorologischen Labor, als er alles McDevitt erzählte; der Blick des Jungen glitt über die riesigen Kartenhälften, die Dhrawns Oberfläche repräsentierten, und verharrte auf dem winzigen Gebiet, dessen Lichtpünktchenmarkierung vom bisher errungenen Wissen zeugte.

„Man darf wohl annehmen, daß er nun dort unten viel sicherer ist.“

Das war eine reichlich nüchterne Feststellung.

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