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Die Behauptung, Benj habe Beetchermarlf auf den ersten Blick erkannt, wäre schlichtweg unwahr gewesen. Tatsächlich handelte es sich bei der raupenähnlichen Gestalt, die als erste die Rumpfoberseite erklomm, um Takoorch. Dennoch war es der Name des jüngeren Steuermanns, der plötzlich aus vier auf Dhrawn befindlichen Lautsprechern drang.

Einer davon stand auf der Brücke der Kwembly, und der Ruf verhallte ungehört. Zwei waren in Dondragmers Lager, das einige hundert Meter neben dem breiten, schnell dahinfließenden Strom, der nun das Tal ausfüllte, aufgeschlagen war. Der vierte befand sich in Reffels Helikopter, der dicht neben dem Luftschiff Gwelf geparkt stand.

Die beiden Flugapparate warteten ungefähr eine Meile westlich von Dondragmers Lager; Kabremm hatte nicht näher landen wollen, um jede Gefahr auszuschalten, daß ihm ein zweiter, ähnlicher Fehler unterlief. Wahrscheinlich hätte er die alte Landungsstelle auf der anderen Talseite, wo er mit Stakendee zusammengetroffen war, gar nicht verlassen, würde das Anschwellen des Flusses ihn nicht dazu gezwungen haben. Die Sichtbehinderung durch den Nebel minderte seine Bereitschaft zum Start erheblich. Reffel verspürte sogar noch weniger Lust. Aber sie hatten keine Wahl gehabt. Also hatte Kabremm das Luftschiff aufsteigen lassen, bis es klare Luftschichten erreichte; Reffel folgte ihm in geringstmöglichem Abstand. Nachdem sie sich erst einmal über der nur wenige Meter dicken Schicht von Ammoniakniederschlag befanden, vermochten sie zu navigieren und flogen die Lichter von Dondragmers Lager an, bis Kabremm, dem das Luftschiff unterstand, entschieden hatte, sie seien nun nahe genug. Die Gwelf unter die Augen der Menschen zu bringe n, wäre ein noch schlimmerer Fehler gewesen als jener, den er bereits begangen hatte; Kabremm wußte noch immer nicht, was er Barlennan sagen sollte, wenn sie sich das nächste Mal begegneten. Er und Reffel hatten einige recht unangenehme Stunden verbracht, bevor sie aus dem Ausbleiben eindeutiger menschlicher Kommentare den Schluß zogen, daß Reffel die Kamera rechtzeitig verdeckt hatte, als er in Sichtweite der Gwelf geriet.

Nun standen Dondragmer und Kabremm in nahezu unmittelbarer Verbindung; sie hatten sich abstimmen können, was sie tun und sagen würden, falls es durch Kabremms Mißgeschick zu weiteren Verwicklungen kam. Damit hatte der Captain ein beunruhigendes Problem gelöst; dennoch beschäftigte er sich mit anderen Vorbeugungsmaßnahmen.

Benjs unverkennbare Stimme, die Beetchermarlfs Name ausrief, unterbrach ihn bei der Einleitung einer dieser Maßnahmen. Er war gerade dabei, sämtliche Besatzungsmitglieder der Reihe nach zu beäugen, um herauszufinden, ob eines davon Kabremm hinreichend ähnelte; diese Aufgabe wurde durch den Umstand erschwert, daß er den Offizier der Esket monatelang nicht gesehen hatte.

Besonders gut kannte er ihn ohnehin nicht, die Zeit, die Gwelf aufzusuchen, hatte er bisher nicht erübrigen können, und Kabremm selbst wollte aus verständlichen Gründen mit dem Lager keine nähere Bekanntschaft machen. Sein Plan sah vor, sämtliche Besatzungsmitglieder, die Kabremm einigermaßen ähnelten, unauffällig, wie selbstverständlich und regelmäßig vor den Kameras auftreten zu lassen, um Easy Hoffman in ihrer Auffassung, den Ersten Offizier der Esket gesehen zu haben, nachhaltig zu erschüttern. Der Versuch schien ihm den Aufwand wert zu sein.

Trotz allem hatte er den Gedanken an das Schicksal der Kwembly und der beiden Steuerleute während der zwölf Stunden, seit denen die Lichter des Fahrzeugs nun verschwunden waren, niemals ganz verdrängen können, und so erregte der Ausruf seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Captain“, ergänzte die Stimme des Jungen, „soeben sind zwei Meskliniten aufgetaucht, sie klettern über den Rumpf der Kwembly. Ich kann mich nicht mit ihnen verständigen, bevor sie die Brücke betreten, aber es können nur Beetch und Tak sein. Sie müssen irgendwo unter dem Fahrzeug gesteckt haben, ihr konntet sie nur nicht finden. Mir will scheinen, die Kwembly läßt sich retten, denn zwei Personen vermögen sie doch zu steuern, oder?“

Dondragmers Gedanken wirbelten. Er hatte sich keine Vorwürfe gemacht, weil er das Fahrzeug geräumt hatte, obwohl die Flut sich schließlich als Befreier vom Eis erwiesen hatte. Seine Entscheidung war nach der vorherigen Sachlage die einzig vernünftige gewesen. Als sich herausstellte, daß sie gefahrlos im Fahrzeug hätten verbleiben können, gab es kein Zurück mehr. Der Captain hatte — als typischer Mesklinit — keinen Gedanken an Eventualitäten vergeudet, für die es ohnehin zu spät war. Er hatte, als sie das Fahrzeug verließen, die Chance, es bergen zu können, für gering gehalten, und als die Kwembly erneut abtrieb, intakt und keineswegs zerschmettert, wußte er, daß die Chance noch viel geringer geworden war als zuvor; vielleicht nicht gleich Null, aber nicht groß genug, um ernsthafter Erwägung würdig zu sein.

Doch nun war die Wahrscheinlichkeit wieder gestiegen. Die Kwembly war nicht allein noch funktionstüchtig, sondern auch die beiden Steuerleute lebten und befanden sich an Bord. Man konnte womöglich etwas tun, falls…

„Benj!“ rief Dondragmer, als seine Überlegungen bis zu diesem Punkt gediehen waren. „Bitte eure Wissenschaftler, sie möchten so genau wie möglich zu ermitteln versuchen, wie weit die Kwembly inzwischen von uns entfernt ist! Beetchermarlf kann sie allein steuern, aber es gibt noch andere Apparaturen, um die er und Takoorch sich kümmern müssen. Und benachrichtige Barlennan!“

Benj kam den Wünschen rasch und zuverlässig nach. Er war nicht länger übermüdet, besorgt und übellaunig. Mit der Räumung der Kwembly vor zwölf Stunden hatte er jede Hoffnung, seinen Freund lebend wiederzusehen, restlos aufgegeben und den Kommunikationsraum verlassen, um seinen längst überfälligen Schlaf nachzuholen. Er hatte geglaubt, nicht schlafen zu können, aber sein Organismus belehrte ihn eines Besseren. Neun Stunden später hatte er wieder seinen üblichen Dienst im Meteorologischen Labor aufgenommen.

Nur ein Zufall brachte ihn einige Minuten, bevor die beiden Steuerleute ihre Zufluchtsstätte verließen, in den Kommunikationsraum zurück.

McDevitt schickte ihn nach den allgemeinen Meßdaten, die regelmäßig von den anderen Fahrzeugen durchgegeben wurden, und der Junge nutzte die Gelegenheiten, um sich für ein paar Minuten vor den Bildschirmen aufzuhalten, die zu den Kommunikatoren der Kwembly gehörten.

Er bestätigte die Durchsage des Captains und eilte hinaus. Easy, die sich mittlerweile ebenfalls ausgeschlafen hatte, setzte Barlennan von den Neuigkeiten in Kenntnis und schaltete zurück zu Dondragmer, um eine Frage zu stellen.

„Das sind zwei der Vermißten. Glaubst du, daß es noch eine Chance gibt, deine beiden Helikopterpiloten zu finden?“

Dondragmer formulierte seine Antwort sehr sorgfältig, aber vielleicht war es gerade diese Sorgfalt, die zu seinem Fehler führte. Wo Reffel sich aufhielt, wußte er selbstverständlich, denn zwischen der Gwelf und dem Lager waren ständig Boten unterwegs; Kervenser jedoch war weder von der Besatzung des Luftschiffs noch von jemand anderem gesehen worden. Er war tatsächlich spurlos verschwunden, und der Captain erachtete seine Überlebenschance als sehr gering, noch geringer als die Chance, die er vorher zur Rettung der Kwembly gesehen hatte. Es war also völlig unverfänglich, über Kervenser zu reden; sein Fehler lag darin, Reffel fast ganz zu vergessen. Die stennishen Formen von Singular und Plural waren so eindeutig wie die der menschlichen Sprache, und während er seine Durchsage machte, ertappte Dondragmer sich mehrmals dabei, daß er nur von einem der Piloten sprach. Anscheinend bemerkte Easy nichts, aber der Captain war anschließend beunruhigt.

„Das ist schwer zu entscheiden. Falls er in dem nunmehr überfluteten Gebiet zu Bruch kam, bezweifle ich stark, daß er noch lebt. Das ist unglücklich, nicht nur wegen der beiden, sondern auch, weil wir die Helikopter nun einsetzen könnten, um weitere Mannschaften zur Kwembly zu fliegen, damit sie sich besser manövrieren läßt; und sollte sich herausstellen, daß die beiden Steuerleute die Kwembly allein nicht zurückzuführen vermögen, könnten wir sie mit den Helikoptern abholen. Es ist bedauerlich, daß eure Wissenschaftler den Sender, den Reffel an Bord hatte, nicht lokalisieren können, im Gegensatz zu denen der Kwembly.“

„Du wunderst dich nicht als einziger darüber“, antwortete Easy. „Ich weiß nicht genug über die Geräte, um dir zu erklären, warum die Impulsstärke von der Bildbeschaffenheit abhängt, denn ich glaubte auch immer, Welle sei Welle; doch offensichtlich hat es damit zu tun. Entweder steht Reffels Kommunikatorsatz in totaler Finsternis, oder er ist zerstört… Wie ich sehe, sind eure Versorgungsanlagen aufgebaut und arbeiten.“

Der letzte Satz entsprang beileibe keiner Absicht, das Thema zu wechseln; Easy hatte soeben den ersten guten Ausblick auf die Anlagen erhalten und war aufrichtig neugierig. Sie umfaßten Dutzende — vielleicht mehr als hundert — von rechteckigen transparenten Tanks, die insgesamt ein Volumen von etwa zwölf Quadratmetern besaßen; jeder Tank war zu einem Drittel mit Flüssigkeit gefüllt, durch die Blasen aus purem Wasserstoff gurgelten, aus dem Mesklins Atmosphäre bestand. Die Pflanzen, welche die mit Kohlenwasserstoffen gesättigten biologischen Abfälle der Meskliniten oxydierten und Wasserstoff freisetzten, waren einzellige Arten, die entfernt irdischen Algen ähnelten. Sie eigneten sich zum Verzehr, aber die Meskliniten hatten sie nicht unter dem Gesichtspunkt des Wohlgeschmacks ausgewählt; die Tanks, in denen die Äquivalente von Obst und Gemüse gezüchtet wurden, hatten sich als zu groß erwiesen, um aus dem Fahrzeug transportiert werden zu können.

Dondragmer ging auf Easys Bemerkung ein. „Ja, wir verfügen ausreichend über Atemluft und Nahrung. Das wirkliche Problem lautet: Was sollen wir tun? Vom planetologischen Gerät konnten wir kaum etwas auslagern; wir sind außerstande, unsere Arbeit fortzusetzen. Es ist denkbar, daß wir die Basis zu Fuß erreichen, doch müßten wir die Anlagen etappenweise befördern, das heißt, jeweils ein paar Meilen entfernt ein anderes Lager errichten, die Anlagen nach und nach dorthin schaffen und diese Verlagerung immer wieder vornehmen, bis wir eintreffen; und das, da die Basis ungefähr zwölftausend eurer Meilen entfernt liegt, würde Jahre dauern. Sollen wir für die Expedition noch von Nutzen sein, brauchen wir die Kwembly.“

Dem vermochte Easy nur beizupflichten, obwohl sie eine Alternative sah, die der Captain nicht erwähnt hatte. Natürlich, Aucoin mißbilligte diese Möglichkeit — oder würde er es, unter diesen Umständen, nicht länger? Eine ausgebildete und fähige Forschungsmannschaft war von hohem Wert, und den Aspekt mußte man wohl stärker als bisher beachten.

Mehrere Minuten verstrichen, bis Benj mit den Informationen zurückkehrte, und mit ihm kamen einige interessierte Wissenschaftler.

„Captain“, begann Benj, „die Kwembly bewegt sich noch, aber äußerst langsam, ungefähr zwanzig Kabel in der Stunde. Sie befindet sich — oder befand sich vor sechs Minuten — dreihundertzehn Meilen von deinem Lager entfernt, das sind zweihundertdreiunddreißigtausend Kabel. Es gibt gewisse Unsicherheitsfaktoren, wie Höhenunterschiede und Flußwindungen, aber etwaige Abweichungen dürften geringfügig ausfallen.“

„Danke“, erwiderte der Captain. „Steht ihr mit den beiden Steuerleuten bereits in mündlichem Kontakt?“

„Noch nicht, aber sie sind inzwischen im Fahrzeuginnern. Ich bin sicher, daß sie den Brückenkommunikator bald ausfindig machen, obwohl sie sich wahrscheinlich zuerst um wichtigere Dinge kümmern werden. Die Atemluftvorräte ihrer Schutzanzüge dürften mittlerweile ziemlich erschöpft sein.“

Diese Annahme war absolut richtig. Die beiden Steuerleute benötigten lediglich einige Minuten, um sich zu vergewissern, daß das Fahrzeug verlassen und die Versorgungsanlagen ausgelagert waren; damit standen die beiden vor dem Problem, die Atmosphäre im Innern des Fahrzeugs auf möglicherweise eingedrungenen Sauerstoff zu untersuchen. Keiner der beiden besaß für die Durchführung von Tests genügend chemische Grundkenntnisse, und keiner war richtig mit den Routinetests vertraut, die Borndender und seine Kollegen immer anwandten; sie berieten schon über die ziemlich drastische Methode, sich einfach mittels ihres Geruchssinns vom Sauerstoffgehalt der Innenatmosphäre zu überzeugen, als Beetchermarlf die Idee kam, man habe vielleicht zu wissenschaftlichen Zwecken einen Kommunikator an Bord zurückgelassen, mit dem sie sich an die Menschen wenden konnten. Im Labor fanden sie keins der Geräte, doch nach ihm war die Brücke der wahrscheinlichste Platz; und zehn Minuten nach dem Betreten der Kwembly war Beetchermarlfs Meldung unterwegs zum Satelliten.

Benj verschob die beabsichtigten Begrüßungsworte und leitete die Durchsage sofort an Dondragmer weiter. Der Captain rief seine Wissenschaftler, schilderte ihnen die Situation der beiden, und für die nächste halbe Stunde entwickelte sich eine äußerst rege Übermittlungstätigkeit: Borndender gab Erläuterungen, Beetchermarlf wiederholte sie, ging ins Labor, um die erforderlichen Gerätschaften auszusuchen, kam zurück auf die Brücke, um sich in einer Kleinigkeit zu vergewissern…

Endlich gelangten beide Seiten zu der Auffassung, daß die Anweisungen verstanden worden waren. Benj teilte diese Meinung; er wußte genug von Chemie und Physik, um feststellen zu können, daß Beetchermarlf sich nicht in die Luft sprengen würde. Seine einzige Sorge war, er könne die Tests nachlässig handhaben und eine gefährliche Sauerstoffmenge übersehen. Bestand lediglich die Gefahr einer Vergiftung, oder bargen Wasserstoff-Sauerstoff-Mischungen noch andere Risiken? Er war sich nicht sicher, doch besaßen solche Mischungen auf jeden Fall andere Eigenschaften. Er blieb angespannt, bis Beetchermarlf auf die Brücke kam und meldete, die Tests seien abgeschlossen. Die Katalysatorflächen im Innern der Kwembly waren noch aktiv, und die Ammoniakkonzentration der Innenatmosphäre war hoch genug, um eine Reaktion mit Sauerstoff zu gewährleisten. Die Steuerleute hatten bereits ihre Schutzanzüge abgestreift; sie rochen keinen Sauerstoff. Sie würden wenigstens eine Zeitlang an Bord bleiben können.

Das nächste Problem war die Navigation. Benj unterrichtete seinen Freund über die Position des Fahrzeugs, die Geschwindigkeit und die Richtung seiner Bewegung. Das genügte für Beetchermarlf.

Die Sterne waren sichtbar, und überdies besaß er einen hervorragenden Magnetkompaß. Dhrawns Magnetfeld war erheblich stärker als das der Erde, zur Bestürzung jener Wissenschaftler, die eine Wechselbeziehung zwischen Magnetfeldstärke und Rotationsgeschwindigkeit von Planeten schon lange als gesicherte Erkenntnis betrachtet hatten.

Beetchermarlf war viel jünger als Takoorch, aber es gab kein Mißverständnis darüber, wer gegenwärtig an Bord das Kommando führte. Die Tatsache, daß Benj, statt sich formell an die Kwembly zu wenden, stets Beetchermarlf beim Namen rief, mochte viel zur Erhö hung der Autorität des jungen Steuermanns beigetragen haben. Easy und einige andere Menschen vermuteten, daß Takoorch es ohnehin nicht sonderlich eilig hatte, in der gegenwärtigen kritischen Lage allzu viel Verantwortung zu übernehmen. Er neigte dazu, Beetchermarlfs Vorschlägen ohne wesentliche Einwände zuzustimmen.

„Wir treiben noch, und wenn dieser Fluß nicht einen recht seltsamen Verlauf nimmt, werden wir uns auf ihm nur immer mehr von den anderen entfernen“, faßte der jüngere Mesklinit ihre Lage schließlich zusammen. „Unsere erste Aufgabe, um das Fahrzeug manövrierfähig zu machen, wird sein, an einige der mit Konvertern ausgestatteten Walzen Ruder zu montieren. Zwei Reihen beiderseits des Hecks und eine in der Mitte unterm Bug müßten genügen. Tak und ich gehen nun hinaus und beginnen mit der Montage. Benj, bitte halte den Bildschirm unter Beobachtung; wir belassen den Kommunikator in seiner gegenwärtigen Stellung.“

Beetchermarlf wartete nicht auf Antwort. Er und sein Gefährte schlüpften wieder in die Schutzanzüge und holten die Ruder aus dem Lagerraum; sie waren auf Mesklin erprobt worden, aber niemand konnte genau voraussagen, wie sie sich bewähren würden. Die Ruderblätter waren kleinflächig, da ihnen oberhalb der Walzen nur wenig Spielraum zur Verfügung stand.

Ihre Montage bereitete den beiden Steuerleuten langwierige und mühselige Arbeit. Ruder und Werkzeuge mußten auf einmal nach draußen gebracht werden, da sie nirgendwo etwas ablegen konnten, während das Fahrzeug noch schwamm.

Beständig verhedderten sie sich in den Sicherheitsleinen. Die mesklinitischen Zangen waren weniger praktische Greiforgane als menschliche Hände, doch wurde dieser Nachteil ein bißchen dadurch gelindert, daß sie alle vier Paar simultan benutzen konnten, weil diese keiner der menschlichen Rechts-oder Linkshändigkeit ähnelnden motorischen Asymmetrie unterlagen.

Die Notwendigkeit künstlichen Lichts gestaltete die Arbeit zusätzlich schwieriger. Es stellte sich heraus, daß sie zur Montage von zwölf Rudern ganze fünfzehn Stunden brauchte n.

Mittlerweile entfernte sich die Kwembly, obschon sie sich noch bewegte, nicht weiter von Dondragmers Lager. Anscheinend schwamm sie in einem etwa vier Meilen durchmessenden Strudel.

Beetchermarlf nutzte dies zu ihrem Vorteil, als er schließlich die Motoren anwarf. Für einige Sekunden schien es, als wolle jedes Resultat ausbleiben; dann aber bemerkten die beiden Steuerleute und die Menschen, wie sich langsam, sehr langsam eine Bugwelle entwickelte. Der mächtige Rumpf schob sich träge vorwärts.

Beetchermarlf orientierte sich am Zwillingsgestirn Sol und Fomalhaut und riß das Steuer hart herum.

Es dauerte eine halbe Minute, bevor die Sterne ringsum zu wandern begannen, als die Kwembly beidrehte, behäbig und majestätisch zugleich.

Einige Male handhabte Beetchermarlf das Steuer zu stark; er brauchte eine ganze Weile, um sich an die neue Reaktionsweise des Fahrzeugs zu gewöhnen, doch zuletzt gelang es ihm, es auf ungefähr südlichen Kurs zu lenken. Zunächst war er sich dessen nicht sicher; er vermutete lediglich, daß dieser Kurs sie an jene Stelle zurückbringen werde, an der die Kwembly in den Strudel geraten war; von dort aus allerdings, so glaubte er, würde der Strudel sie einem Drall nach Osten aussetzen.

Einige Zeit verstrich, bevor die Richtantennen der Meßsatelliten und die Computer es ermöglichten, seine Annahme zu bestätigen; doch als dies geschah, lief die Kwembly sehr sanft auf Grund.

Sofort leitete Beetchermarlf volle Kraft in die vordersten, mit Konvertern ausgestatteten Walzen, entzog den mit Rudern versehenen Walzen die Energie und rollte das Fahrzeug auf den Strand.

„Wir haben den See verlassen“, berichtete er.

„Ein neues Problem ergibt sich. Setzen wir den Weg über Land mit montierten Rudern fort, dürften sie bald ruiniert sein. Entfernen wir sie jetzt, und es stellt sich heraus, daß wir auf einer Insel sind, verlieren wir viel Zeit damit, sie wieder zu montieren. Ich halte es für ratsam, einen Erkundungsgang zu machen, um hierüber Klarheit zu erhalten; das würde aber auch einige Zeit beanspruchen. Ich wäre dankbar, könntet ihr mir diesbezügliche Hinweise geben oder den Captain nach seinen Befehlen fragen. Wir warten.“

Dondragmer brauchte mit seiner Antwort nicht zu zögern, als die Anfrage ihm übermittelt wurde.

„Die beiden sollen nicht von Bord gehen, sondern warten, bis die Kartografen festgestellt haben, ob das Fahrzeug sich auf jenem Ufer befindet, auf dem auch unser Lager steht, oder auf dem anderen.

Nach ihrer Geländebeschreibung schätze ich, daß der Strudel eine ostwärtige Strömungsrichtung besitzt, das wäre die rechte Seite; wir befinden uns indes auf dem linken Ufer. Wenn geklärt ist, auf welchem Ufer sie stehen, sollen sie — nein, halt!

Mir fällt etwas Besseres ein. Sie sollen weiterhin nach Süden steuern, bis sie glauben, die Flußmündung erreicht zu haben, und dann flußaufwärts zu lenken versuchen. Ich weiß, sie können nur langsame Fahrt machen, stellenweise womöglich gar nicht durchkommen; aber zu Orientierungszwecken scheint mir das sicherer zu sein.“

„Ich gebe Beetch und den Kartografen sofort Bescheid, Captain“, bestätigte Benj. „Ich besorge mir eine Kartenkopie und versuche sie selbst auf dem neuesten Stand zu halten; damit können wir künftig Zeit sparen.“

Die Richtungsdaten erwiesen sich nicht als völlig zuverlässig. Zwar ließ die Position der Kwembly sich ziemlich exakt bestimmen, aber natürlich stand der Verlauf des Flusses, den sie hinabgetrieben war, weniger genau fest. Nach weiteren Diskussionen entschied man, Beetchermarlf solle das Fahrzeug wieder zu Wasser bringen und es möglichst na he am Ufer westwärts lenken, das

hieß, so nahe wie die Scheinwerfer der Kwembly und etwaige Sandbänke es erlaubten. Wenn er die Mündung entdeckte, sollte er nach Dondragmers Weisung verfahren; falls nicht, weiter in Ufernähe bleiben, bis die Wissenschaftler gewiß sein konnten, daß er die Mündung verfehlt hatte, und in diesem Fall nach Süden steuern.

Es erwies sich als möglich, das Ufer während der Fahrt innerhalb des Scheinwerferlichts zu halten, aber es dauerte zwei Stunden, bis sie den Fluß erreichten, der sich hinter der Mündung westwärts bog, eine Tatsache, die man bei der Lokalisierung der Kwembly übersehen hatte, während sie stromabwärts trieb. Die Mündung selbst machte jedoch einen Knick nach Osten, ein Umstand, der höchstwahrscheinlich für die Strudelbildung verantwortlich war. Das Delta, das dem Ufer eine Nordkrümmung verlieh, war eine Warnung. Die beiden Meskliniten — Beetchermarlf am Steuer und Takoorch auf der Backbordseite der Brücke, dem besten Beobachtungsposten — lenkten das Fahrzeug um die reichlich unregelmäßige Halbinsel, wobei sie mehrfach bemerkten, daß die Walzen sich durch lockeren Schlammgrund wühlten, fanden schließlich eine Durchfahrt und steuerten die Kwembly gegen die Strömung. Sie kamen nun bloß noch langsam vorwärts, aber sie hatten es keineswegs eilig; Dondragmer hatte dem Versuch, überhaupt gegen die Strömung anzukommen, ganze sechs Stunden eingeräumt. In diesem Zeitraum legten sie ungefähr zehn Meilen zurück. Ließ diese Geschwindigkeit sich beibehalten, würde das Fahrzeug etwa ein bis zwei Tage nach Mitternacht im Lager eintreffen, also nach einer Woche nach menschlichem Zeitmaß.

Reine Ungeduld brachte den Plan schließlich zu Fall. Natürlich traf die Schuld keinen Meskliniten; es war Aucoin, der die Auffassung durchsetzte, eineinhalb Meilen je Stunde sei eine zu geringe Geschwindigkeit. Dondragmer kümmerte es wenig, und er erhob keine Einwände gegen den Vorschlag, mit der Rückführung der Kwembly einige Forschungsaufträge zu verbinden. Auf Wunsch des Planers dirigierte er das Fahrzeug ans Ufer und auf festes Land, und auf seinen Befehl demontierten die Steuerleute sämtliche Ruder. Letzteres war, wie sich ergab, leichter zu bewerkstelligen als ihre Montage; sie konnten auf Sicherheitsleinen verzichten und Gegenstände während der Arbeit abstellen. Als Benj den Kommunikationsraum das nächste Mal betrat, mußte er zur Kenntnis nehmen, daß die Kwembly nunmehr eine Geschwindigkeit von zehn Meilen je Stunde hatte und flaches, nur gelegentlich von Gestein oder Gestrüpp durchsetztes Gelände durchquerte. Die Oberfläche dieses Gebiets bestand aus verfestigten Ablagerungen; die Planetologen äußerten die Meinung, bei dieser Ebene müsse es sich um eine Hochwasserzone handeln, und das leuchtete Benj durchaus ein.

Beetchermarlf zeigte sich so gesprächig wie sonst, aber es war eindeutig, daß er der Unterhaltung nicht seine volle Aufmerksamkeit schenkte.

Sowohl er wie auch Takoorch konzentrierten sich, soweit ihr Augenlicht und die Scheinwerfer es ermöglichten, auf das Gelände, für dessen Befahrbarkeit es natürlich — ohne zuvorige Luftaufklärung — keine Garantie gab, so daß sie die Geschwindigkeit von zehn Meilen je Stunde nicht zu überschreiten wagten.

Während sich Stunde um Stunde dahinschleppte und sie Dutzende von Meilen überwanden, ohne den Kurs ändern zu müssen (außer in Fällen, wenn der Fluß außer Sicht geriet), überkam die beiden ein allmählich wachsendes Gefühl der Sicherheit, der Gefahrlosigkeit. Ein Mensch hätte reagiert, indem er die Geschwindigkeit langsam steigerte.

Die Reaktion der Meskliniten bestand darin, zu stoppen und eine Rast einzulegen. In einer einsetzenden Neigung zu Fehlern sahen sie Anlaß dazu, etwas für die eigene Verfassung zu tun.

Aucoin, als er einmal zufällig den Kommunikationsraum betrat, bemerkte bei dieser Gelegenheit, daß das Fahrzeug stand; zunächst glaubte er, die beiden nähmen eine Routinekontrolle vor, aber dann sah er einen der Meskliniten untätig auf dem Brückendeck liegen.

Auf seine Frage, weshalb das Fahrzeug stehe, erteilte Takoorch die schlichte Auskunft, er habe Leichtfertigkeit verspürt. Der Planer verließ den Kommunikationsraum in sehr nachdenklicher Stimmung.

Seit einigen Meilen war das Gelände steiniger geworden; die Oberfläche bildeten nach wie vor verfestigte Sedimente, aber die Gesteinsansammlungen, die herausragten, wurden immer häufiger und — obwohl die einzelnen Steine kleiner ausfielen — immer großflächiger. Die Planetologen ergingen sich in allerlei Spekulationen über die Natur der unter den Sedimenten liegenden Bodenformation, aber mit so wenig konkreten Informationen und Daten mußten sie sich mit der Nutzlosigkeit ihres Rätselratens abfinden. Die Beschaffenheit der Oberfläche verleitete einige der Beobachter allerdings zu der Annahme, daß die Schicht von Sedimenten sich verlaufen und die Kwembly in Kürze Untergrund erreichen werde, der so hart sei wie jener, auf dem Dondragmer sein Lager errichtet hatte.

Als sie die Fahrt fortsetzten, sahen die Steuerleute sich indes bald und immer häufiger gezwungen, unüberwindbaren Felsformationen auszuweichen, und gelegentlich mußten sie sogar die Geschwindigkeit drosseln. Die Planetologen verlangten mehrmals, das Fahrzeug möge stoppen und Sedimentproben entnehmen, ehe es zu spät sei, aber Aucoin verweigerte es mit dem Hinweis, die Proben würden ohnehin erst in einem Jahr im Satelliten eintreffen; die Wissenschaftler erwiderten, ein Jahr Wartezeit sei ihnen lieber als die mehreren Jahre, die es noch dauern würde, verzichtete man jetzt auf die Probensammlung.

Doch als die Kwembly erneut hielt, geschah es auf Beetcherma rlfs Initiative. Der Anlaß war geringfügig — oder schien es jedenfalls; der vorausliegende Grund wirkte ein bißchen dunkler und war von jenem, worauf das Fahrzeug ruhte, durch eine scharfe Grenzlinie getrennt, die auf dem Bildschirm nicht sichtbar war, doch die beiden Meskliniten erkannten sie gleichzeitig und entschieden zugleich, ohne viel Worte, daß sich eine Untersuchung aus der Nähe empfahl.

Beetchermarlf informierte die Menschen. Prompt bedrängten zwei Planetologen Easy, sie möge die beiden Steuerleute überreden, Bodenproben zu nehmen. Sie war der Meinung, daß auch Aucoin es unter diesen Umständen nicht länger ablehnen würde, und willigte ein, das Anliegen vorzutragen, sobald sie Dondragmers Stellungnahme vorliegen habe.

Diesmal erlaubte der Captain den Ausstieg, schlug jedoch ergänzend vor, daß die beiden zuerst mit den Scheinwerfern die Umgebung begutachten sollten. Diese Anregung erwies sich als umsichtig.

Etwa einhundert Meter voraus floß ein schmales Bächlein vorbei und mündete in den Fluß. Als sie die Scheinwerfer nach steuerbord richteten, erkannten sie, daß der Zufluß parallel zur Fahrtrichtung der Kwembly einen Bogen beschrieb, seinen Verlauf etwa in Heckhöhe änderte und dann im Nordwesten verschwand. Das Fahrzeug stand auf einer nur wenige hundert Meter breiten Halbinsel. Für Meskliniten wie auch Menschen schien es am wahrscheinlichsten, daß die dunklere Bodenfärbung von dem parallel zum Ufer der Halbinsel fließenden Bach herrührte, aber niemand war sicher genug, um diese ohne nähere Untersuchung — also ohne Ausstieg — endgültig entscheiden zu wollen.

Draußen verwischte sich, trotz zusätzlich mitgeführter Lampen, der Farbunterschied. Die beiden Meskliniten sammelten und verpackten die gewünschten Bodenproben und wandten sich dann dem Bach zu; er war flach, floß aber schnell und war bestenfalls drei oder vier Körperlängen breit.

Die Meskliniten konnten die Zusammensetzung der Flüssigkeit nicht auf Anhieb ermitteln, füllten jedoch für spätere Zwecke einen Behälter damit.

Sie folgten dem Bachverlauf landeinwärts. Nach einer gewissen Strecke vermochten auch die Meskliniten eindeutig zu konstatieren, daß dieser Zufluß noch nicht lange existierte; die Flüssigkeit stürzte mit beachtlicher Gewalt durch seine Bodenrinne, war aber noch dabei, sie auszuwaschen, Sedimente zu lockern und fortzuspülen. Da der Bach nur wenige Zentimeter tief war, entnahm Beetchermarlf, indem er hineinkletterte, auch dem Bachgrund eine Probe.

Die beiden entschlossen sich, für zehn weitere Minuten stromaufwärts zu marschieren. Bevor die Frist ablief, fanden sie die Quelle des Zuflusses, kaum eine halbe Meile von der Kwembly entfernt; sie sprudelte heftig inmitten des Quellbeckens, gespeist aus einem unterirdischen Arsenal.

Beetchermarlf, der sich bis in die Mitte wagte, wurde vom zentralen Flüssigkeitsstrahl von sämtlichen Füßen gerissen und um eine halbe Körperlänge rückwärts geworfen.

Irgend etwas Besonderes gab es nicht zu tun; eine Filmkamera besaßen sie nicht, keiner hatte ernsthaft erwogen, den Kommunikatorsatz mitzuschleppen, und verschiedenartige Proben hatten sie bereits gesammelt. Sie kehrten in die Kwembly zurück und gaben eine mündliche Beschreibung der Ortsverhältnisse an den Satelliten durch. Sogar die Wissenschaftler stimmten zu, daß es am besten sei, die beiden würden den Weg zum Lager nun fortsetzen, hauptsächlich allerdings, damit die Proben so rasch wie möglich in Borndenders Besitz und sie zu den Resultaten der Analysen kamen. Jedenfalls konnten die Steuerleute sich fortan dort nützlicher machen. Sie warfen die Motoren wieder an.

Das Fahrzeug erreichte den Bach und durchquerte ihn; die Pneumatik fing die leichte Erschütterung, die dadurch entstand, so gut wie vollständig auf.

Die beiden Meskliniten auf der Brücke spürten überhaupt nichts davon.

Wenigstens acht Sekunden lang.

Das Fahrzeug war erst zur Hälfte auf die dunkelfarbige Bodenfläche gerollt, als der Unterschied zwischen ihr und den helleren Sedimenten sich auch schon zu zeigen begann. Auf der Brücke registrierte man ein leichtes Schlingern.

Fast gleichzeitig ka m die Vorwärtsbewegung zum Erliegen; sie konnten nicht das geringste dagegen tun, als die Kwembly — ohne festen Grund, ohne Halt — plötzlich in den Schlamm, als den die dunkle Schicht sich damit entpuppte, einzusinken begann.

Sie sank bis über die Walzenreihen ein; sank ein, bis die pneumatische Matratze im Schlamm begraben war; bis die Schwimmfähigkeit des Fahrzeugs ein weiteres Einsinken verhinderte.

Unterdessen stieß der Rumpf gegen zwei Felsformationen, von denen der eine mit dem Heck kollidierte, dicht hinter der Pneumatik, der andere mit der Steuerbordseite, etwa einen Meter vor der Hauptluftschleuse. Man vernahm ein scheußliches Scharren und Knarren, als der Rumpf sich schräg vornüber und backbordwärts neigte; dann lag die Kwembly still.

Und diesmal, wie Beetchermarlfs Geruchssinn ihm nur zu deutlich verriet, hatte die Hülle irgendwo ein Leck bekommen. Sauerstoff drang ein.

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