9. Sargasso Dome

Nach Osten und hinab. Unser Ziel war Sargasso City.

Bob und Roger Fairfane bekamen keinen Paß; es blieb also David und mir überlassen, nach Sargasso City zu gehen und die Killer Whale anzuschauen. Wenn ein Kadett ihn sähe und erkannte, würde man Fragen stellen. Es schien aber, daß es keine andere Möglichkeit gab als mit uns beiden.

Wir buchten eine Fahrt von Hamilton nach Sargasso City im regulären Pendelverkehr. Es waren hundertfünfzig Meilen östlich von Bermuda und lag gute zwei Meilen tief. Ehe unser Schiff ging, versuchte ich meinen Onkel Stewart in Thetis Dome telefonisch zu erreichen. Ich bekam keine Antwort.

»Es ist sehr wichtig«, bat ich die Dame von der Fernvermittlung. »Können Sie noch weiter versuchen?«

»Ganz gewiß, Sir«, versicherte sie mir voll beruflicher Tüchtigkeit. »Geben Sie mir Ihre Nummer. Ich rufe zurück.«

Jetzt mußte ich ganz schnell denken. Hier hatte ich bis zur Abfahrt unseres Schiffes nur noch ein paar Minuten. In der Akademie wollte ich mich nicht anrufen lassen, da jemand mithören konnte. Ich sagte also: »Bitte, versuchen Sie’s weiter. Ich rufe Sie in etwa zwei Stunden von Sargasso Dome aus an.«

David gestikulierte heftig vor der Kabine. Ich legte auf, und wir rannten den langen, dunklen Schuppen entlang, der das Dock der Pan-Carib Line war. Wir erreichten das Schiff gerade noch, ehe die Gangway eingezogen wurde.

Natürlich hatte mein Onkel sehr wenig Zeit und um so mehr Arbeit, und wenn er im Moment nicht zu Hause war, so mußte das nicht unbedingt ein Grund zur Besorgnis sein. Doch jetzt war es auf der anderen Erdseite Nacht. Und der Zweifel, ob mit ihm auch alles in Ordnung wäre, ließ mich nicht los.

Irgendwie packte mich dann aber doch wieder die Tiefe. Von Hamilton zogen wir an der Oberfläche weg, aber als wir die Seichtwasser über dem Schelf hinter uns hatten, ging es steil nach unten mit Kurs auf Sargasso Dome.

Natürlich war dieses Schiff ein Zwerg gegen die riesigen Pazifik-Linienschiffe, mit denen ich nach Thetis Dome gereist war, doch es war immerhin zweihundert Fuß lang, also etwa sechzig Meter. Auf kleinen Schiffen ging alles lockerer vor sich, und so konnten David und ich ohne viel Umstände die Mannschaftsquartiere und Maschinenräume besichtigen. Uns verging die Zeit sehr schnell. Die ganze Reise dauerte sowieso nur knapp zwei Stunden.

In Sargasso City gingen wir durch Edenit-Verbindungstunnels von Bord, und ich hielt sofort Ausschau nach einer Telefonkabine. Ich warf die Münzen ein und bekam die gleiche Vermittlung wie vor.

Aber noch immer kam keine Antwort. Ich ließ die Anmeldung weiterlaufen, und dann fragten wir uns zum Liegeplatz der Überschußschiffe durch, die bald in einer öffentlichen Auktion versteigert werden sollten.

Die Killer Whale lag neben der alten Dolphin in den Lagerdocks unten am Grund von Sargasso Dome.

Sie waren nicht sehr groß, diese Schiffe, sonst hätten sie auch nicht die in die Kuppel führenden Schleusen passieren können. Aber neben der Killer Whale sah die Dolphin aus wie ein Einbaum. Die Dolphin ließen wir daher buchstäblich links liegen und bestiegen durch die Hauptluke das andere Schiff.

Wir besahen es vom Bug bis zum Heck. »Sie ist eine Schönheit«, erklärte David, und seine Augen leuchteten.

Ich nickte. Die Killer Whale gehörte zu den zuletzt gebauten Schiffen der K-Klasse bei den Tiefsee-Kreuzern. Diese Klasse war absolut in Ordnung, nur hatte es in den letzten zehn Jahren so viele Verbesserungen gegeben, daß allein schon für die neuen Waffen ein ganz anderes Baumuster nötig war. Die Flotte hatte daher alle Schiffe ausgemustert, die älter waren als zehn Jahre. Die Ersatzschiffe waren schon alle in Dienst gestellt worden, und diese beiden Schiffe gehörten zu den letzten, die noch zu ersetzen waren.

Quartiere gab es für sechzehn Mann Besatzung. »Wir werden uns darin ja fast verlaufen können, aber fertig werden wir mit ihr«, erklärte ich David. »Einer von uns kommt an die Maschinen, der andere an die Kontrollen, und das in zwei Zwölfstundenschichten. Du wirst sehen, das Schiffchen läuft wie ein Traum.«

Er legte eine Hand versuchsweise auf das Ruder, als sei dies ein heiliger Gegenstand. »Eine Schönheit«, flüsterte er. »Gut. Gehen wir nach oben. Wir müssen ein Angebot darauf abgeben.«

Diese Notwendigkeit nahm etwas weg von dem Zauber, der uns einhüllte. Was hatten wir, um ein Angebot abzugeben? Falls mein Onkel Stewart nicht helfen konnte, und ein reicher Mann war er ja auch nicht, hatten wir nicht einmal soviel, daß wir die Rettungskapsel des Schiffes bezahlen konnten, vom Kreuzer selbst gar nicht zu reden.

Im Büro des diensttuenden Lieutenant-Commanders erfuhren wir, daß der Mindestpreis fünfzigtausend Dollar sei. Der Offizier musterte uns und grinste breit. »Bißchen teuer, was? Für euer Taschengeld, meine ich. Warum sucht ihr euch nicht was Billigeres aus? Etwa ein Spielzeugsegelboot?«

Zum erstenmal bedauerte ich es, die scharlachrote Ausgehuniform der Akademie anzuhaben. Wäre ich in Zivil gewesen, so hätte ich ihm meine ungeschminkte Meinung schon gesagt.

»Was müssen wir tun, um das Angebot abzugeben?« fragte David.

Jetzt verging dem Offizier denn doch das Grinsen. »Nun ja, wenn ihr das wirklich ernst meint, braucht ihr nur ein Angebotsformblatt auszufüllen. Name, Adresse und Betrag, der geboten wird. Ein Drittel dieses Betrages ist zu hinterlegen, ehe die Angebote geöffnet werden, sonst kommt ihr nicht in Frage. Das ist alles.«

»Dann kann ich also ein Formular für die Killer Whale bekommen, Sir?«

»Killer ... Hm. Hier«, sagte er und blätterte die Formulare auf seinem Tisch durch. »Dumm seid ihr nicht. Die Dolphin ist nämlich nur ein Rosthaufen. Ich weiß es. Hab’ als Fähnrich dort gedient. Aber was wollen Sie mit dem Kreuzer, junger Mann? Selbst wenn Sie das Geld dafür haben.«

David hüstelte. »Ich will ihn für meinen Vater«, erklärte er.

Wir zogen uns mit den Formularen ins Vorzimmer zurück. Viele Leute waren da, und etliche musterten uns neugierig. Wir fanden eine ruhigere Ecke, wo wir ziemlich ungestört blieben.

Die Formulare waren Kaufanträge für die beiden Schiffe. Die Namen Killer Whale und Dolphin waren schon eingesetzt, und David machte neben dem Killer ein großes Kreuz. Dann setzte er meinen Namen und die Adresse ein und zögerte wegen des Betrags.

»Warte einen Moment«, bat ich, »erst will ich noch mal meinen Onkel anrufen. Gleich gegenüber ist eine Telefonkabine.«

Er lachte. »Ich geh lieber gleich mit, damit ich sehe, ob wir auch dafür bezahlen können.«

Diesmal hatte ich Glück, nur war nicht mein Onkel am Telefon. Als sich das Visionphonbild klärte, erkannte ich Gideon Park, meines Onkels vertrauenswürdigsten Helfer, der in den Kanälen von Thetis Dome mein Leben wiederholt gerettet hatte.

Er lachte so breit, daß seine sämtlichen weißen Zähne blitzten. »Der junge Jim! Wie schön, dich zu sehen, Junge.« Aber dann wurde sein Gesicht besorgt. »Du willst mit deinem Onkel reden? Hm. Im Moment ist er nicht zu erreichen, Jim. Kann ich dir helfen? Hast du Ärger an der Akademie?«

»Nein, nichts dergleichen, Gideon. Wo ist mein Onkel?«

»Hm. Ja, Jim, das ist so .«

»Ist etwas passiert, Gideon?«

»Nein, nein. Er schläft im Moment. Ich hatte das Telefon den ganzen Tag ausgehängt, damit er nicht gestört wird, und ich wecke ihn nicht gerne auf, wenn es nicht unbedingt .«

»Gideon, du sagst mir jetzt sofort, was mit meinem Onkel ist!«

»Es ist nicht schlimm«, erwiderte er nüchtern, »ganz gewiß nicht. Aber er ist krank.« Sein schwarzes Gesicht war sehr besorgt. »Vor ein paar Tagen hatte er eine Attacke. Er bekam einen Brief von einem alten Bekannten, den las er an seinem Schreibtisch, und da fiel er plötzlich um.«

»Herzanfall?«

Gideon schüttelte den Kopf. »Nein, Jim. Der Seearzt sagt, dein Onkel habe unter zu großem Druck gestanden. Er habe zu lange in zu großer Tiefe gelebt.«

Ich wußte, daß dies zutraf, denn mein Onkel hatte sein aufregendes Leben fast ausschließlich in den Tiefen gelebt. Und es lag erst wenige Monate zurück, da er lange am Grund des tiefsten Grabens im südwestlichen Pazifik in dem winzigen Schiffchen eingeschlossen war. Er schien sich ganz erholt zu haben, als Gideon und ich ihn zurückbrachten, aber der Mensch ist nun mal kein Tiefseefisch. Drogen und hoher Druck haben oft unerwartete Wirkungen.

»Kann ich mit ihm reden?«

»Hm. Weißt du, der Arzt sagt, er soll sich nicht aufregen, Jim. Kann ich dir irgendwie helfen?«

Ich überlegte nur eine Sekunde, denn ich wußte, Gideon konnte ich voll vertrauen. Deshalb sprudelte ich die ganze Geschichte von den perläugigen Männern, den Tonga-Perlen und David Craken heraus.

»Hast du David Craken gesagt?«

»Ja, genau, Gideon. Sein Vater ist Jason Craken. So nennt er sich wenigstens.«

»Nein, sowas, Jim! Der Brief, den dein Onkel las, war nämlich von Jason Craken . Wart mal, Jim, bleib da . Der Teufel soll die ganzen Seemediziner holen, ich wecke ihn auf.«

Es dauerte einen Moment, dann flackerte ein Schatten über das Bild, und Gideon legte das Gespräch ins Schlafzimmer meines Onkels um.

Ich sah ihn im Bett sitzen. Sein Gesicht wirkte hohlwangig und mager, aber er lachte, als er mich sah. Er schien schon wach gewesen zu sein.

»Jim!« Seine Stimme kam mir matt vor, aber irgendwie war sie doch voll Spannung. »Was erzählt mir da Gideon?«

Schnell berichtete ich ihm, was ich vorher Gideon erzählt hatte und auch alles übrige bis zum Moment, wo wir die Angebotssumme in das Formular für die Killer Whale einzutragen hatten. »Und er sagte, Onkel Stewart, ich solle mit dir reden, also hab’ ich’s auch getan.«

»Da bin ich aber froh, daß du das getan hast, Jim.« Er schloß für einen Moment die Augen. »Hör mal, wir müssen ihm helfen. Das ist eine Ehrenschuld.«

»Eine was? Onkel, ich ahnte gar nicht, daß du je von Jason Craken gehört hattest.«

»Davon habe ich dir auch nie etwas gesagt, Jim. Vor Jahren, als dein Vater und ich noch jung waren, forschten wir am Rand des Tonga-Grabens, soweit wir eben mit unserer damaligen Ausrüstung nach unten konnten. Wir suchten Perlen. TongaPerlen.

Wir fanden sie. Aber wir konnten sie nicht behalten, Jim, denn wir wurden, als dein Vater und ich am Rand der Sicherheitszone in unseren Druckanzügen draußen waren, angegriffen. Ich habe mein Wort gegeben, nicht zu sagen, wer oder was uns angegriffen hat. Vielleicht werden es dir die Crakens eines Tages selbst erzählen, aber wir wurden in immer größere Tiefen gezerrt, viel tiefer, als es für uns sicher war. Und da begann unsere Taucherausrüstung zu versagen.«

Seltsam, er lächelte, als er weitersprach. »Ich dachte, wir seien jetzt erledigt, Jim. Aber wir wurden gerettet. Der Mann, der uns rettete, war Jason Craken.

Ja, Jason Craken.« Er saß jetzt richtig auf im Bett, und seine Stimme klang kräftig. »Ein Mann! Er war fast ein bißchen grob, auch etwas sonderbar. Er trug einen Bart und war wie ein Dandy gekleidet. Sein Geschmack ging nach Luxus, er gab Geld mit vollen Händen aus, war ein großzügiger Gastgeber. Und sehr seltsam. Er verkaufte Tonga-Perlen. Niemand kannte die Bänke, von denen sie stammten. Für ihn war dies Monopol ein Riesenvermögen, Jim.

Nur dein Vater und ich kannten das Geheimnis dieser Bänke. Und er hat uns das Leben gerettet. Dabei riskierte er sein eigenes Leben, auch das Geheimnis seiner Perlen. Doch er vertraute uns. Wir versprachen, niemals mehr zum TongaGraben zurückzukommen, wir gaben unser Wort, niemals zu verraten, woher die Perlen kamen.

Jim, wenn er jetzt Hilfe braucht, dann muß er sie bekommen. Das sind wir ihm schuldig, du und ich.« Er runzelte die Brauen. »Jim, ich kann im Moment wenig tun, ich bin für einige Zeit ans Bett gefesselt. Es war wohl der Schock von Jasons Brief. Aber er erwähnte, es sei möglich, daß er Geld brauche für ein Kampfschiff, und ich konnte eine Summe aufbringen. Kein Vermögen, aber ich denke, es genügt. Ich werde veranlassen, daß du das Geld so schnell wie möglich bekommst. Du kaufst für ihn die Killer Whale. Und du hilfst ihm, wo du helfen kannst.«

Er ließ sich in die Kissen zurückfallen und lachte mich an. »Jim, das wäre alles. Jetzt leg aber auf, dieser Anruf kostet ja ein Vermögen! Vergiß nur nie, daß wir Jason Craken sehr viel schulden, denn wäre er nicht gewesen, wären wir auch nicht da, du und ich.«

Und das war alles. Ziemlich erschüttert wandte ich mich zu David um, der vor der Kabine wartete.

»Ist in Ordnung, David«, sagte ich und warf einen Blick durch den Raum. »Er wird uns helfen. Von ihm bekommen wir Geld. Genug, meint er. Und ... David!« rief ich. »Schau doch dorthin, wo wir unsere Formulare ausgefüllt haben!«

Er wirbelte herum. Er hatte die Formulare auf dem Tisch zurückgelassen. Sie waren auch noch da, aber über sie beugte sich die Gestalt eines Mannes.

War es ein Mann? Die Gestalt wandte sich uns zu. Die Augen waren perlig weiß. Es war jene Person, die sich Joe Trencher genannt hatte.

Er rannte davon durch die Tür, hinaus in den breiten Gang dahinter, in dem sich viele Menschen drängten. »Schnell!« rief David. »Den müssen wir erreichen! Vielleicht hat er noch die Perlen!«

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