16. Der Eremit vom Tonga-Graben

Ich wachte auf mit der Erinnerung an einen phantastischen Traum von großen, häßlichen Echsen und fremdartigen Meermädchen auf ihren Rücken.

Phantastisch! Noch phantastischer erschien mir jedoch, daß ich überhaupt aufwachte.

Ich lag auf dem Rücken auf einem Segeltuchfeldbett in einem kleinen Raum mit Metallwänden. Jemand hatte meinen Helm geöffnet, und ich bekam frische Luft in meine Lungen!

Mühsam setzte ich mich auf und schaute mich um. Roger Fairfane lag auf der einen Seite neben mir, Bob Eskow auf der anderen, beide noch bewußtlos.

In der Wand war eine Druckschleuse, und dahinter lag Wasser. Darin bewegte sich etwas, das vertraut und gleichzeitig fremd wirkte.

Die seltsame Meermaid war da draußen! Sie war also kein Traum des Sauerstoffhungers gewesen, sondern Fleisch und Blut, denn ich sah sie, perläugig wie dieser Joe Trencher, doch mit einem Gesicht, das menschliches Mitgefühl ausdrückte. Sie mühte sich ab mit Gestalten in Druckanzügen, die sie von außen her in die Schleuse schleppte. Eins ... zwei ... drei, und sie bewegten sich sehr schwach.

Das mußten also Gideon, Laddy und David sein. Sie hatte uns alle gerettet. Und hinter ihr war eine riesige, tödliche Masse zu erkennen. Sie schien aber keine Angst zu haben. Es war das Dreiecksgesicht des Sauriers mit aufgerissenem Maul.

Während ich zusah, drehte sie sich wie ein Aal herum und klatschte dem Ungeheuer auf die hornige Nase, etwa so, wie ein Reiter sein treues Pferd tätschelt.

Es stimmte also, was David gesagt hatte: Die Saurier waren gezähmt. Diese Seekreaturen, die er Amphibianer nannte, ritten auf ihnen.

Das Seemädchen verließ den Saurier und schwamm in die Schleuse. Ich sah sie im Schein der Leuchtzifferblätter vom Instrumentenbrett. Die großen Außentüren schwangen zu und schlossen das Sauriergesicht aus. Und die Tür glühte; sie war mit Edenit beschichtet. Dann begannen Pumpen zu arbeiten. Flutlichter flammten auf.

Einen Moment später stand das Mädchen auf dem nassen Schleusenboden und zog die Gestalten in den Druckanzügen zur Innentür.

Bob Eskow drehte sich herum und rief: »Diatom! Diatom an Radiolarian. Die Mollusken sind ...« Er öffnete die Augen und sah mich. Ich glaube, er brauchte einige Zeit, bis er mich erkannte.

Dann lächelte er. »Jim, ich habe schon gedacht, mit uns ist es aus. Weißt du auch bestimmt, daß wir noch da sind?«

Ich klatschte ihm auf die Schulter. »Wir leben. Diese junge Dame und ihr Freund, der Dinosaurier, haben uns zu Crakens Kuppel gebracht.«

David stand schon da und zog seinen Anzug aus. Er nickte ernst.

»Ja, das haben wir Maeva zu verdanken.« Er nickte dem Mädchen zu, das weißäugig und schweigsam dastand und uns beobachtete. »Wäre Maeva nicht gekommen ... Aber Maeva und ich waren schon immer Freunde.«

Da sprach das Mädchen. Wie seltsam es klang, menschliche Töne aus dem Mund einer Meermaid zu hören! Ihre Stimme war weich und wunderbar musikalisch. »Bitte, David«, sagte sie. »Verlier keine Zeit. Meine Leute wissen, daß du hier bist.« Besorgt sah sie zur Schleuse, als erwarte sie eine Horde Amphibianer auf flammenspeienden Sauriern. »Als ich dich zur Kuppel brachte, Old Ironsides und ich, da sah ich, wie ein anderer Saurier mit einem Reiter uns beobachtete. Gehen wir lieber gleich zu deinem Vater.«

»Sie hat recht«, pflichtete ihr David bei. »Gehen wir.« Nun waren alle wieder bei Bewußtsein, denn David und Gideon waren nicht vom Sauerstoffmangel bewußtlos geworden, sie waren nur sehr schwach gewesen. Aber wenn Maeva nicht geholfen hätte und der Saurier, den sie Old Ironsides nannte, dann wären sie wohl jetzt schon tot, genau wie wir auch.

Seltsames Mädchen! Ihre Haut war glatt und braun, ihr kurzgeschnittenes Haar schwarz. Ihre perligen Augen waren kühl und sanft, so daß ihr Gesicht ein wenig traurig und sehnsüchtig wirkte.

Und ich hielt sie für sehr schön.

Sie lächelte David an. Ihre Hände machten flatternde Bewegungen, und mir schien, als dränge sie ihn, zu seinem Vater zu eilen. Jedenfalls bediente sie sich einer Zeichensprache, die in den Meerestiefen natürlicher erschien als eine stimmliche Verständigung.

Roger schob David zur Seite. Er zischte ihm zu, so daß Maeva es nicht hören konnte: »Es gibt keine Meermädchen. Welche Art Ungeheuer ist sie?«

»Ungeheuer?« erwiderte David zornig. »Sie ist ebenso menschlich wie du. Sie gehört zum Volk der Amphibianer, ebenso wie Joe Trencher, nur können wir ihr vertrauen, denn sie steht auf unserer Seite. Ihre Vorfahren waren die Polynesier der Insel, die mein Vater unter der See entdeckte.«

»Aber sie ist doch ein Fisch, Craken! Sie atmet Wasser. Das ist doch nicht menschlich.«

Da wurde David wütend, und er versteifte sich. Doch er hatte sich gut in der Hand und wurde wieder ruhig. Das Meermädchen schien ihm viel zu bedeuten. »Komm jetzt«, sagte er gleichmütig. »Wir müssen meinen Vater finden.«

Wir, rannten durch die ganze Kuppel, über schlüpfrige Stahlhügel, an Räumen vorbei, die aussahen wie Säle aus einem Sultanspalast, kostbar eingerichtet, aber langsam zerfallend.

Welch ein phantastischer Ort! Eine Unterwasserkuppel zu bauen, ist ungeheuer kostspielig; sie erfordert nicht nur viel Geld, sondern auch eine Menge Zeit, Material und Menschenleben. Sicher, es gab viele hundert solcher Kuppeln, die über den Boden des Ozeans verteilt waren, aber nur ganz wenig gehörten einem einzigen Mann.

David Crakens Vater hatte seine Kuppel mit wenigen Technikern, die zum Schweigen verpflichtet waren und mit den Amphibianern und den Sauriern allein gebaut! Das war eine unglaubliche Leistung.

Ich zählte fünf Ebenen unter der Wölbung der Kuppel, fünf Ebenen, vollgepackt mit Wohngebieten, Läden, Docks, Vorratsräumen und Erholungszentren, mit einem ungeheuer großen Nuklearreaktor, der den Strom für die ganze Kuppel lieferte und den Druck der See sicher fernhielt. Es gab mehr als ein Dutzend Räume, die wie Labors aussahen. In dem einen standen enorme Behälter an den Wänden, die gefüllt waren mit den Stengeln des schimmernden Tangs, der draußen im Graben wuchs. Hier in der Atmosphäre war der Schimmer nur noch ganz schwach, und die arme Maeva, die außerhalb des Wassers sowieso eine schwere Zeit hatte, würgte es von dem modrigen Geruch dieser Behälter. Wir gingen auch ein wenig schneller durch.

»Das sind Dads Experimente«, erklärte David kurz. »Er wollte das Geheimnis dieses Tangs entschleiern. Er hat alles mögliche versucht, ihn mit Säuren behandelt, mit Lösungsmitteln, ihn verbrannt und zentrifugiert. Eines Tages ...« Er schaute sich auf den Arbeitstischen mit den blubbernden Glaskolben und Retorten um, den Destilliergeräten und Röhrensystemen. »Eines Tages wird das alles anders. Aber jetzt haben wir dafür keine Zeit. Kommt weiter!«

Aber auch im obersten Raum der Kuppel fanden wir Davids Vater nicht.

»Maeva, ich verstehe das nicht!« sagte David besorgt. »Wo kann er nur sein?«

Die Meermaid antwortete mit ihrer sanften Stimme, die nur manchmal keuchend Atem holte: »Er ist nicht gesund, David. Er gehört nicht in die See. Vielleicht schläft er.« Sie berührte David leise, und ihre Finger hatten dünne, kurze Schwimmhäute. »Du mußt ihn nach oben bringen, David. Sonst wird er hier unten sterben.«

»Erst muß ich ihn aber finden!« Wir waren jetzt in einem Raum, der einmal ein sehr eleganter Salon gewesen war. In den Regalen an den Wänden standen viele tausend Bücher und auch viele Kunstwerke. Aber die waren mit Staub bedeckt. Vermutlich hatte sie seit dem Tod von Davids Mutter niemand mehr angerührt.

Auch hier standen zahlreiche wissenschaftliche Geräte herum, so als habe der Mann, dem diese Kuppel gehörte, nur noch wissenschaftliche Interessen. Noch unausgepackte Kisten mit Gläsern und Geräten standen da, die alle in Marinia gekauft waren.

Am seltsamsten in diesem Raum waren die Fenster, riesige Bilderfenster mit geschmackvollen Vorhängen, und die Aussichten waren herrliche irdische Landschaften mit Bergen im Hintergrund, deren Gipfel Schneekappen trugen, mit grünen Matten und sanften Vorbergen, mit hohen Tannen und Jungholz davor - und das vier Meilen tief unter der Wasseroberfläche!

Ungläubig starrte ich das an. David bemerkte meinen Blick und lächelte. »Stereo-Landschaften«, sagte er gleichmütig; er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. »Sie waren für meine Mutter. Sie kam aus Colorado, und immer sehnte sie sich nach dem trockenen Land und den Bergen ihrer Heimat .«

»David, wir müssen uns beeilen!« drängte Maeva.

»Was soll ich denn noch tun, Maeva! Vielleicht ist es am besten, wir teilen uns auf und gehen noch einmal die ganze Kuppel durch. Aber .«

Das Ende des Satzes hörten wir nie.

Es kratzte etwas irgendwo laut und nachdrücklich, dann kam aus Dutzenden verborgener Lautsprecher ein lautes Geräusch. Ein mechanischer Wachmann plärrte: »Achtung, Achtung! Die Kuppel wird angegriffen. Achtung, Achtung! Die Kuppel wird angegriffen .«

Roger sagte voll Angst: »David, wir müssen etwas tun. Vergiß mal deinen Vater. Die Amphibianer greifen an und ...«

David hörte ihm nicht zu. Er schaute quer durch den Raum in eine Ecke, wo ein Haufen von Ausrüstungsgegenständen lag.

»Dad!« schrie er, und wir alle wirbelten herum.

In der Ecke saß ein alter, ausgemergelter Mann auf einem Feldbett. Hinter dem ganzen Zeug, das dort aufgehäuft war, hatten wir ihn nicht gesehen. Die Warnung des elektronischen Wächters hatte ihn aufgeweckt.

Er saß ganz ruhig da, sah uns ein wenig geistesabwesend, aber sehr freundlich an, und die Warnung des Wächters schien ihn nicht weiter zu bekümmern. Er trug ein Ziegenbärtchen, das früher sicher schmuck und adrett gewesen war, jetzt aber struppig und grau aussah.

»David, ich habe mich schon gewundert, wo du bist«, sagte er. »Wie nett von dir, daß du ein paar Freunde zu Besuch mitgebracht hast.«

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