Es »schlauchte« uns ordentlich, wie wir auf der Akademie sagten. Allmählich gewöhnten wir uns aber daran, und sogar Witze machten wir schließlich darüber. Im Grund war unser Humor eher Galgenhumor, denn wir waren uns darüber klar, daß der uns verfolgende Saurier mit Joe Trencher und der Killer Whale zu tun hatte.
Wir überquerten den Äquator und hatten eine kleine Zeremonie, wie einst die alten Seefahrer, mit der die Landratten in die Geheimnisse von Davy Jones eingeführt wurden. Wir hatten aber nur eine einzige Landratte bei uns. Gideon und David Craken hatten den Äquator schon so oft überquert, daß sie das Zählen längst aufgegeben hatten. Laddy Angels Heimatland war Peru, und selbst Bob und ich waren ja schon in Marinia gewesen.
Unsere Landratte war Roger. Zu unserer Überraschung nahm er die Sache mit Humor auf. Da wir wieder untergetaucht fuhren, holten wir einen Eimervoll eisigen Salzwassers aus der Schleuse und lachten uns halb tot, als er schrie: »Nur zu, Jungens! Ihr sollt euren Spaß haben! Wenn das vorbei ist, bin ich ja doch wieder der Kapitän, und ich vergesse nichts!«
Aber das war Spaß und keine Drohung, und fast mochte ich nun Roger Fairfane zum erstenmal, seit ich ihn kannte.
Als die Zeremonie vorbei war und er in trockenen Kleidern wieder aus seiner Kabine kam, war er erneut sehr reserviert.
In Brasilien liefen wir einen kleinen Hafen an, da wir in Sargasso keine Vorräte hatten laden können. Wir hatten genug Geld, um alles zu kaufen, was wir brauchten, und wir bekamen auch alles - bis auf eines. Gideon ging an Land und blieb stundenlang aus, und als er zurückkam, wirkte er bedrückt. »Nichts zu machen, Jim«, berichtete er mir. »Ich hab’ alles versucht, aber Waffen waren einfach nicht zu bekommen. Ein Kriegsschiff haben wir, aber nichts, womit wir kämpfen können.«
David Craken hatte zugehört und nickte nüchtern. »Das geht schon in Ordnung«, meinte er. »Ich wußte ja, daß wir Schwierigkeiten haben würden, Waffen zu bekommen. Die Flotte verkauft die Schiffe ja unbewaffnet. Aber mein Vater hat Waffen in seiner Kuppel. Wenn wir nur dorthin kommen .«
Allmählich kamen wir in die Gewässer, die Spuren der Schmelzwasser der Antarktis aufwiesen. Die Wassertemperatur fiel um einen Gradbruchteil, der Salzgehalt lag etwas niedriger, das Wasser war etwas dichter - wir näherten uns der Spitze Südamerikas. In einer dunklen Nacht durchliefen wir nach Karte und Sonar die Meerenge, aber auf Terra del Fuego gab es eine Flottenbasis, und wir wollten kein Aufsehen erregen.
Aber unser Verfolger hatte hinter uns die Meerenge genommen.
Und er war auch noch hinter uns, als wir in den Pazifik einfuhren.
»Die Peru-Strömung«, sagte Angel sehnsüchtig, »ist kalt und schnell. Ich glaube, ich habe Heimweh.«
»Heimweh nach einer kalten Strömung?« fragte Roger Fairfane und lachte.
Laddy hob die Brauen. »Ach, Kapitän, lach nur ruhig, aber die Peru-Strömung ist Peru. Es ist eine launische Strömung, sie wandert und setzt manchmal ganz aus, als wolle sie ausprobieren, ob ihr die Tiefsee besser gefällt. Aber das sind dann schlechte Jahre für mein Land. Die Strömung bringt nämlich Nahrung und kleine Fische für die Seevögel, von denen der Guano stammt, und die sind dann wieder Nahrung für die großen Fische. Von all diesen Dingen hängt mein Land ab. Lacht nur über die Strömung, aber für mein Land ist sie das Leben.«
Die Dolphin hatte die geheimnisvollen Osterinseln hinter sich; wir hielten uns gut vom Land fern, aber wenn wir die Längengrade von Inseln oder Inselgruppen querten, trug David Craken dies gewissenhaft ein, prüfte seinen Kalender nach und seufzte. Die Zeit verging zu schnell.
Und der Saurier folgte uns noch immer.
Manchmal schienen es sogar zwei zu sein, dann wieder sah es aus, als sei bei dem größeren ein viel kleinerer Fleck. »Könnten es vielleicht zwei Seeschlangen sein?« fragte ich David.
»Manchmal reisen sie in riesigen Herden, Jim. Aber dieses andere ist, fürchte ich, kein Saurier.«
»Was könnte es dann sein?«
Er schüttelte den Kopf. »Das finden wir früh genug heraus, wenn es das ist, was ich glaube. Und wenn nicht, hat es keinen Sinn, lange darüber nachzugrübeln.«
Gideon war gerade wieder an einer sehr heiklen Reparatur; diesmal war es der Monitor der Feuerkontrolle, aber wir hatten ja keine Waffen, und so benützte er nur die Zeit, die ihm blieb, um alles in Ordnung zu haben, wenn wir Jason Crakens Tiefsee-Kuppel erreichten. Bekamen wir dort Waffen, dann war eben auch der Monitor schon in Ordnung. Er hatte alles durchgesehen, von der Fluchtkapsel im Kielschwein bis zum Mikrosonar auf der Brücke.
»David«, sagte ich leise, »wir haben jetzt keine tausend Meilen mehr. Wäre es nicht an der Zeit, uns ins Vertrauen zu ziehen?«
»Worüber?« wollte David wissen.
»Nun, über diese Saurier, wie du sie nennst. Jim sagt, du hast ihm etwas darüber gesagt, aber es gibt da einiges, das ich nicht verstehe.«
David zögerte. Er war gerade am Ruder, doch es gab wenig für ihn zu tun, denn die Dolphin kreuzte bei 5500 Fuß mit Autopilot. Das war die für den Verkehr nach dem Westen vorgeschriebene Tiefe. Die Indikatoren zeigten, daß das Ede-nit-Drucksystem perfekt arbeitete. In der Bilge gab es keine Wasserpfützen, keine heulenden Sirenen, die ein Leck im Rumpf anzeigten, keine Undichtigkeiten bei den Maschinen. Wir reisten schnell und trocken.
David schaute auf den Schirm des Mikrosonars, wo der winzige Leuchtpunkt noch immer hinter uns hing, dann holte er eine Karte aus dem Schrank und breitete sie vor uns aus.
Wir versammelten uns um ihn, Gideon, Bob, Lady, Roger und ich. Die Karte trug die Bezeichnung Tonga Trench; es war zwar eine normale Flottenkarte, doch es waren sehr viele Einzelheiten dort eingezeichnet, wo die Flotte weiße Flecken gelassen hatte. Der lange, nackte Graben selbst maß von einem Ende zum anderen mehr als tausend Meilen.
Und jemand - David oder sein Vater, nahm ich an - hatte ganze Nester von Bergen und Abgründen eingezeichnet, dazu Strömungspfeile und Echolotmessungen. Auf einen dieser Seeberge deutete David.
»Hier ist etwas, wofür viele Leute eine Million Dollar bezahlen würden, wenn sie es wüßten. Von hier kommen die TongaPerlen.« Roger neben mir tat einen tiefen, fast keuchenden Atemzug. »Und hier sind die Laich- und Nistplätze der Saurier. Das sind riesige Seereptilien! Mein Vater sagt, sie seien die Abkömmlinge jener Kreaturen, die vor hundert Millionen Jahren und mehr die See beherrschten. Plesiosaurier, wie er sagt. Vor vielen Millionen Jahren, also lange vor dem ersten Erscheinen der Menschen, verschwanden sie von der Oberfläche. Ein Teil zog sich in den Tonga-Graben zurück und überlebte dort.«
Er faltete die Karte zusammen, ein wenig eifersüchtig, wie mir schien, als fürchte er, wir könnten uns das alles einprägen. »Vor vierzig Jahren«, fuhr er fort, »griffen sie meines Vaters Seewagen an, als er in den Tonga-Graben zu tauchen versuchte. Er schlug sie in die Flucht und kam mit den ersten TongaPerlen zurück, die je das Tageslicht erblickten, aber vergessen hat er sie natürlich nicht. Seit dieser Zeit studiert er sie auch. Sogar zu zähmen versuchte er sie mit der Hilfe der Amphibia-ner; zum Teil wenigstens. Er hat auch aus Eiern einige aufgezogen, aber sie sind nicht sehr intelligent und schwer zu dressieren.
Habt ihr die alten Seefahrergeschichten über Seeschlangen gehört? Mein Vater sagt, das sind alles Saurier. Ein- oder zweimal im Jahrhundert werde ein junges Männchen von der Herde vertrieben, und das durchstreift dann die Meere und sucht nach einem Weibchen. Meistens scheuen sie die Oberfläche, denn der fehlende Wasserdruck verursacht ihnen Schmerzen. Ein paar werden aber immer wieder gesehen und nie vergessen. Sie sind etwa so groß wie Wale, geschuppt und mit sehr langen Hälsen, sie haben Paddelgliedmaßen und bewegen sich ungeheuer schnell. Und da sie größer sind als viele der früheren Windjammer, müssen sie denen einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.«
»Ja, von diesen Plesiosauriern habe ich gehört«, bestätigte Bob. »Es sind Abkömmlinge der Saurier, die früher auf dem Festland lebten. Und dieses Ding, das uns da folgt, ist auch einer?«
David nickte. »Einer von den gezähmten. Das machen die Amphibianer. Joe Trencher bedient sich ihrer bei der Rebellion gegen meinen Vater.«
Und die Dolphin durchpflügte weiter die Tiefsee.
David Craken schaute endlich von seinen Karten auf. Er sah sehr besorgt drein. »Wir sind ein Stück von den normalen Hauptseewegen entfernt«, sagte er. »Den letzten Sonarstrahl haben wir lange hinter uns. Aber ich denke, wir sind hier.« Sein Finger deutete auf einen winzigen Punkt auf seiner Karte. Der Tonga-Graben!
Jetzt lachte er Roger an. »Kapitän, ich habe eine Kurskorrektur für Sie«, berichtete er förmlich, »Azimut, geradeaus fünfundzwanzig Grad, Höhe negativ fünf Grad.« Er grinste breit und übersetzte: »Geradeaus und ‘runter!«
»Dann also nur noch ein paar Stunden?« fragte Gideon. »Werden wir rechtzeitig da sein?«
David Craken hob die Schultern. »Ich hoffe es.« Er schaute auf das Sonarskop, und der kleine Lichtpunkt, der verfolgende Saurier, war noch immer da. »Seht ihr, es ist fast Juli, und das ist die Brutzeit für sie. Mein Vater ist ein sehr eigenwilliger Mann, Gideon. Er hat seine Kuppel auf einen kleinen Vorsprung am Hang eines Seebergs gebaut, aber er mußte lange bevor die Arbeit fertig war, gewußt haben, daß der Platz schlecht gewählt war, denn dorthin gehen die Saurier zum Eierlegen. Sie kommen aus dem Graben heraus. Dad sagt, das ist ein Verhaltensmuster, das viele Millionen Jahre zurückreicht, vielleicht bis in eine Zeit, da dies alles einmal Festland war. Die Schildkröten tun dies ja auch.
Jedenfalls ist Vaters Kuppel direkt auf ihrem Weg. Solange er gesund war, hatte er die Amphibianer zur Hilfe, er konnte sie abwehren, und das schien ihm auch Spaß zu machen. Jetzt ist er krank und allein, und die Amphibianer werden etwas gegen ihn versuchen .«
Er schaute auf den Mikrosonarschirm. »Gideon! Jim!« schrie er.
Wir schauten. Da war wieder der andere Lichtfleck, der kleinere, den wir früher schon gesehen hatten. Jetzt war er jedoch viel größer geworden, und während wir zusahen, wuchs er immer mehr und immer schneller.
»Hm. Da kommt etwas ungeheuer schnell heran«, bemerkte Gideon besorgt. »Noch ein Saurier? Nein, der andere ist viel schneller, und er holt zusehends auf, als ließen wir uns nur treiben ...«
David war sehr blaß geworden. »Das ist kein Saurier, Gideon.«
Roger, Laddy und Bob redeten alle miteinander. Ich drängte mich zum Mikrosonar durch. Der kleine Fleck wurde undeutlich, schärfer und wieder undeutlicher. Ich stellte schärfer ein, die beiden Punkte wurden größer, heller und schärfer ...
»Du hast recht, David, das ist kein Saurier«, sagte Gideon leise.
Es war ein Seewagen, viel größer als der unsere.
Ich stelle noch eine Spur schärfer ein: der Umriß auf dem Mikrosonarschirm war schlank und tödlich - die Killer Whale!