22. Der Feind heißt Panik!

Ein Dutzend blühender Lichter flammte gleichzeitig auf den Schirmen auf.

Es war die Flotte, und sie erwiderte das Feuer der Killer. An Steuerbord, an Backbord und über uns waren die Lichter.

»Ha, haben danebengeschossen!« rief Joe Trencher triumphierend.

»Das war kein Fehlschuß«, erklärte ich ihm. »Es war eine Warnsalve der Flotte. Sie haben uns in der Klammer. Oh, sie wollten uns damit nur sagen, wir sollten jede feindliche Aktion einstellen, sonst wird die nächste Salve genau auf uns ausgerichtet.«

»Schweig!« herrschte er mich an und schrie den anderen Amphibianern Befehle zu in der Sprache, von der ich kein Wort verstand.

Die Killer Whale tat einen Satz und schwang herum hinter das Wrack der zerstörten Kuppel, hinein in die Höhlen und Spalten, die von den Sauriern noch immer als Brutplatz benutzt wurden. Der Kreuzer schoß in eine breite Spalte, die früher die Basis der Kuppel war. Auf dem Mikrosonarschirm sah ich, wie sich die Wände der Spalte unter und um uns herum schlossen. Ich dachte, ich könne riesige Dinger draußen sehen, so groß wie Saurier ...

Und dann war die Killer der Sicht der Flotte entzogen. Sanft ließ sie sich nieder auf dem felsigen Boden der Spalte.

Trencher rief einen scharfen, unverständlichen Befehl, und das Surren der Motoren, der Puls der Generatoren verstummte.

Wartend lagen wir da.

Das keuchende Atmen der Amphibianer wurde lauter und mühsamer. Niemand sprach.

Alle beobachteten wir die Mikrosonarschirme.

Die Flotte war im Moment nicht zu sehen. Sie lag hinter der Felskante auf Lauer und hinter den Ruinen der Kuppel.

Die Kuppel selbst, oder ihre Reste, hatten wir direkt vor uns. Als wir, Bob und ich, nach oben gerast waren, um die Warnung abzugeben, hatte sie noch riesig und stolz dagestanden und den Eingang zu den Bruthöhlen der Saurier beherrscht. Und jetzt? Ein trauriges Wrack. Da und dort ragte ein zerfetztes Metallstück heraus, war ein Stück Mauer, eine Raumecke zu sehen, als wolle damit eine Erinnerung an den so stolzen Bau erhalten werden. Sonst war nichts mehr da.

Joe Trencher hatte gesagt, alles was die Crakens brauchten, sei ein Grab. Dies hier war nun ihr Grab, es lag vor uns, und es war auch das Grab meiner treuen Freunde Roger, Laddy und meines unersetzlichsten aller Freunde, Gideon.

Joe Trencher kämpfte wieder mit einem entsetzlichen Hustenanfall. Ich beobachtete ihn angestrengt.

Hinter diesem breiten, verzerrten Gesicht ging allerhand vor. Ab und zu ließ sich die Andeutung eines Gefühls erkennen, wenn er vor Atemnot ein wenig außer Kontrolle geriet. Ich glaube nicht, daß ich mich täuschte, wenn ich der Meinung war, die Amphibianer bedauerten allmählich das, was sie getan hatten. Vielleicht wußten sie auch, daß für sie die Hoffnung auch nicht größer war als für uns.

Vielleicht konnte ich jetzt riskieren, etwas zu sagen.

Ich trat zu ihm. Er schaute auf, aber nicht einer von den Amphibianern versuchte mich von ihm wegzudrängen. Ich versuchte in seinen glühenden, perlfarbenen Augen zu lesen, doch dies war hoffnungslos.

»Trencher«, sagte ich, »du hast vorher von zwei anderen Männern gesprochen, denen du vertrauen konntest. Hießen die beiden Eden?«

Er schaute mich wütend an, aber ich glaube, die Wut war nur äußerlich. »Eden? Wieso kennst du ihre Namen? Sind sie auch Feinde?«

»Nein. Ich kenne den Namen, weil ich auch Eden heiße. Einer dieser beiden Männer war mein Vater. Der andere ist mein Onkel.« Trencher musterte mich verblüfft und versteckte sich wieder hinter seiner Sprühdüse. »Du sagtest doch, du könntest ihnen vertrauen«, fuhr ich fort. »Du hast recht, Trencher. Mein Vater ist schon lange tot, doch mein Onkel lebt noch. Deshalb half er mir, daß ich hierher kommen konnte. Willst du mir nicht auch vertrauen? Laß mich über Sonarphon mit dem Flottenkommandeur sprechen. Vielleicht können wir einen Waffenstillstand aushandeln.«

Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Nur die keuchenden Atemzüge der Amphibianer waren zu hören.

Dann legte Joe Trencher seine Sprühdüse weg. »Es ist zu spät«, sagte er, und ein wenig Bedauern klang darin mit. Er deutete zu den Mikrosonarschirmen, wo die Ruinen von Jason Crakens Kuppel vor unseren Augen lagen.

Ja, es war zu spät.

Ich wußte, was er meinte. Ganz gewiß war es zu spät für jene, die von diesen Trümmern erdrückt worden waren, die der ungeheure Druck des Wassers zerquetscht hatte. Im anderen Sinn war es auch zu spät für Joe Trencher und seine Leute, denn mit dem Tod dieser Menschen hatten sie sich außerhalb der menschlichen Gesetze gestellt.

Und trotzdem erschien mir etwas in diesen Ruinen nicht zu stimmen. Etwas paßte nicht.

Ich schaute noch einmal hin, dann wieder.

Eine Stelle in diesen Ruinen war intakt. Und dort glühte noch ein Edenit-Schild.

Ein ständiges Blinken ging davon aus. Es war nicht ganz regelmäßig und ziemlich schwach, wurde aber reflektiert von einer halb verborgenen Sichtluke. Eine Illusion war es freilich nicht, denn es war da, und es blinkte, wie ich plötzlich erstaunt feststellte, den Kode der Tiefsee-Flotte. Es war ein Notrufsignal!

Also lebten sie noch.

Irgendwie war es ihnen demnach gelungen, in einen Kuppelabschnitt zu kommen, wo ein funktionierender Edenit-Schild die Vernichtung der übrigen Kuppel überlebt hatte.

»Das ist deine Chance, Trencher«, sagte ich. »Dort drinnen leben sie noch. Triff deine Entscheidung. Willst du dich der Flotte unterwerfen?«

Er zögerte. Ich glaube, er wollte eben meinem Vorschlag zustimmen.

Aber da passierten zwei Dinge, die eine Unterstellung unter die Flotte und die Gesetze der Menschen theoretisch erscheinen ließ.

Auf sämtlichen Mikrosonarschirmen zeichnete sich ein ganzer Regen von Explosionen ab, weit mehr als ein Dutzend. Die Flotte trat zu unserer Vernichtung an.

Auf dem hintersten Schirm, der den Blick in die Spalte ermöglichte, in der wir lagen, bewegte sich etwas, kam riesig und sehr schnell auf uns zu. Einer der Saurier griff an!

In diesem Moment blieb die Zeit stehen.

Wir alle blieben wie Schachfiguren auf einem Brett bewegungslos stehen und warteten auf den nächsten Zug der Spieler. Joe Trencher schien von seiner Unentschiedenheit gelähmt zu sein, und seine Amphibianer warteten auf seinen Befehl. Bob und ich beobachteten die anderen. Die Explosionen schlugen die Wasser der Tiefe zu einer schäumenden Masse, und die Killer Whale schüttelte sich unter der Wucht der Einschläge. Ein riesiger Saurier raste auf uns zu. Auf dem Schirm sah er erschreckend aus.

Ja, entsetzlich! Doch er kam nicht allein. Auf seinem Rücken kauerte eine kleine, schmale Gestalt und trieb das Monstrum mit einem zugespitzten Stock an.

Es war Maeva, das Seemädchen.

Joe Trenchers Hand hing über der Feuerkontrolle der Raketenkanone.

Ich verstand nicht, weshalb er nicht schoß.

Einer der Amphibianer schrie etwas mit schriller, wütender Stimme, doch Trencher starrte nur den Schirm an, und seine perligen Augen waren der Ausdruck eines Gefühls, das ich nicht zu deuten vermochte.

Etwas krachte.

Das rasende Tier verschwand vom Schirm, und einen Moment später schüttelte sich die Killer Whale, als das riesige Tier uns rammte.

Wir torkelten alle über das Deck, so heftig war der Schlag, den das angreifende Tier dem Kreuzer versetzte. Ich konnte einen Blick auf den Schirm werfen und sah das sich aufbäumende Monstrum, das um sein Gleichgewicht kämpfte und das Wasser mit den Rudergliedmaßen schlug. Aber es hielt sich aufrecht, und das Mädchen saß noch fest auf seinem Rücken. Sicher war das Tier verletzt, wir waren es aber auch.

Die Troyon-Lichter flackerten, erloschen fast, wurden wieder heller. Das war eine unheilvolle Warnung. Denn wenn es keine Energie mehr gab, hatten wir auch keine wirksame Edenit-Schicht mehr.

Die Amphibianer hatten inzwischen zu schnattern und schreien begonnen, und ich kam mir fast vor wie in einem Affenstall. Einer von ihnen kroch über das schrägliegende Deck zu den Kontrollen der Raketenkanone. Joe Trencher kam auf die Füße und packte mit einem Satz den anderen Amphi-bianer, doch er war langsam und benommen, mußte also einiges abbekommen haben. Der andere perläugige Mann drehte sich zu ihm um. Sie kämpften ein paar Augenblicke miteinander, dann flog Trencher weg.

Der Amphibianer an der Kanone machte sich gerade an den Instrumenten zu schaffen, als Maeva und ihr Reittier zu einem neuen Angriff ansetzten.

Es herrschte soviel Verwirrung, und es war kaum Zeit, etwas zu überlegen, daß die anderen gar nicht schnell genug reagieren konnten. Bob und ich waren aber Kadetten der TiefseeAkademie, und uns hatte man das eingebleut, was vorher schon Generationen von Kadetten so gut gelernt hatten: Panik ist der größte Feind! Dieses Motto war uns seit unseren Landrattentagen in Fleisch und Blut übergegangen.

Panik? Niemals!

Erst denken - dann handeln.

»Höchste Zeit, daß wir die Sache in die Hand nehmen«, flüsterte ich Bob zu.

Trencher und die anderen rauften um den Zugang zu den Kanoneninstrumenten. Ein Schuß war abgefeuert worden, und Trencher schien einen weiteren verhindern zu wollen. Die restlichen Amphibianer, mehr als ein halbes Dutzend, liefen ratlos herum.

Wir trafen sie mit allem, was wir hatten, genau mittschiffs. Ein paar Augenblicke lang war es ein erbitterter, blutiger Kampf. Aber sie waren verwirrt - wir nicht. Wir wußten genau, was wir zu tun hatten. Einige von ihnen hatten Handwaffen. Die suchten wir uns zuerst aus und nahmen ihnen die Revolver ab, ehe sie richtig wußten, wie ihnen geschah.

Kaum hatte der Kampf begonnen, war er auch schon vorüber. Bob und ich hatten die Waffen.

Wir waren die Herren der Killer Whale!

Keuchend standen wir da, die Revolver schußbereit.

Joe Trencher warf einen raschen Blick auf die Schirme und kam auf uns zu.

»Halt!« schrie ich. »Stehenbleiben! Sonst ...«

»Nein, nein!« schrie er, kam rutschend zum Stehen und zeigte auf den Schirm. »Ich will nur dort hinaus und Maeva helfen. Seht ihr das denn nicht?«

Ich warf einen Blick auf den Schirm.

Es stimmte. Sie brauchte Hilfe. Dieser eine Schuß aus der Raketenkanone hatte ihr Reittier, Old Ironsides, getroffen. Es schlug verängstigt und ziellos im Wasser herum. Das Mädchen selbst war vom Rücken des Tieres gerutscht und mußte wohl auch von dem Schuß betäubt worden sein, wenn nicht mehr. Und nun wurde das Monstrum zusehends schwächer. Langsam drehte es sich um und sank ...

»Das könnte ein Trick sein«, flüsterte Bob. »Sollen wir ihm vertrauen?«

Ich sah Joe Trencher an und kam zu einem Entschluß. »Geh hinaus«, befahl ich ihm. »Sieh zu, daß du ihr helfen kannst. Das sind wir ihr schuldig.«

Nur eine Sekunde lang schauten mich die Perlaugen an, dann war Joe Trencher mit ein paar Sprüngen an der Schleuse. Während sich die innere Tür öffnete, sagte er keuchend: »Ihr habt gewonnen, Luftatmer ... Ich bin ... froh darum.«

»Bob, du gehst ans Sonarphon und bitte die Flotte, sie sollen ihr Feuer einstellen. Es ist vorüber. Wir haben gewonnen!«

Und das war das Ende des Abenteuers am Tonga-Graben.

In dem kleinen, versiegelten und Edenit-beschichteten Würfel fanden wir unsere Freunde. Er war alles, was von Jasons Fort unter der See übrig geblieben war. Alle waren sehr müde und mitgenommen, aber sie lebten. Die Seemediziner der Flotte kamen herein und nahmen sich ihrer an. Es war einfach, die Verletzungen zu heilen, die Gideon, Roger, Laddy und David Craken davongetragen hatten. Bei Jason konnten die Ärzte jedoch wenig ausrichten. Bei ihm war nicht der Körper krank, sondern der Geist. Sie waren so sanft zu ihm, wie sie konnten, als sie ihn wegbrachten.

Er wehrte sich nicht. Sein umwölktes Gehirn hatte noch nicht erfaßt, daß er nicht mehr der Kaiser des Tonga-Grabens war, daß er keine Amphibianer mehr als Untertanen hatte.

Maeva kam zu uns, als wir bereit waren, nach oben zu gehen. Sie hielt Davids Hand fest und wandte sich dann an mich. »Ich danke dir, daß du Joe Trencher die Möglichkeit gabst, mich zu retten. Wenn er mich nicht hätte holen können ...«

Ich schüttelte den Kopf. »Den Dank verdienst du, Maeva. Hättest du uns nicht mit deinem alten Reittier gerammt, so hätte Bob und ich niemals die Killer Whale übernehmen können. Und Trencher selbst hat ja auch geholfen. Er ließ nicht zu, daß die anderen Amphibianer auf dich schossen. Warum? Ich weiß es nicht.«

Sie sah mich erstaunt an, dann wechselten sie und David Blicke.

»Das hast du nicht gewußt?« fragte David. »Es ist gar nicht so erstaunlich, daß Joe Trencher nicht zuließ, daß man auf Maeva schoß. Sie ist schließlich seine Tochter .«

Maeva sahen wir dann noch ein Stück neben dem Schiff her schwimmen, das David, Bob und mich mitnahm, und auf den Schirmen sahen wir sie noch lange winken.

Um uns herum waren überall die langen, schlanken Umrisse der Schiffe der Tiefsee-Flotte, deren Männer uns nach dem Ende des Kampfes um den Tonga-Graben nach Hause brachten.

Maeva konnte uns nicht sehen, doch wir winkten zurück. »Leb wohl«, sagte Bob leise.

Aber David klatschte ihm auf den Rücken und grinste breit. »Sag lieber >auf Wiedersehens Wir kommen zurück .«

ENDE

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