Goliah

Im Jahre 1924, genauer am Morgen des 3. Januar, fand die Stadt San Francisco in einer ihrer Morgenzeitungen einen merkwürdigen Brief abgedruckt, den Walter Bassett erhalten hatte und der eindeutig von einem Verrückten geschrieben worden war. Walter Bassett war der bedeutendste Großindustrielle westlich der Rocky Mountains und gehörte zu der kleinen Gruppe, die das Land in jeder Hinsicht beherrschte, jedoch der Öffentlichkeit nicht namentlich bekannt war. Als einer dieser Männer war er der Empfänger gelehrter Abhandlungen vieler Verrückter; aber dieses spezielle Schreiben unterschied sich so sehr von ähnlichen Briefen, daß er es nicht in den Papierkorb warf, sondern an einen Reporter weiterleitete. Der Brief war mit „Goliah“ unterzeichnet, der Briefkopf gab die Anschrift „Palgrave-Insel“ an. Das Schreiben lautete:

„Mr. Walter Bassett, Sehr geehrter Herr!

Ich lade Sie und neun weitere Großindustrielle zu mir auf meine Insel ein in der Absicht, mit Ihnen Pläne zur Umgestaltung der Gesellschaft auf einer rationaleren Basis zu diskutieren. Bis jetzt war die gesellschaftliche Entwicklung ein blinder, zielloser, verpfuschter Prozeß. Die Zeit für eine Veränderung ist gekommen. Der Mensch hat sich aus dem mit Leben angereicherten Schlamm des urzeitlichen Meeres zum Beherrscher der Natur entwickelt, aber die Gesellschaft beherrscht er noch nicht. Der Mensch ist heute in dem Maße Sklave kollektiver Dummheit, wie er vor hunderttausend Jahren Sklave der Natur war.

Es gibt theoretisch zwei Methoden, wodurch der Mensch Herr über die Gesellschaft werden und aus ihr ein intelligentes und leistungsfähiges Instrument zur Erlangung von Glück und Frohsinn machen kann. Die erste geht von der Annahme aus, daß keine Regierung weiser oder besser sein kann als die Leute, die über die Zusammensetzung dieser Regierung befinden, daß Reformen und Entwicklung vom einzelnen kommen müssen; daß die Regierung in dem Maße weiser und besser wird, wie der einzelne weise und besser wird, kurz, daß die Mehrzahl der Individuen weiser und besser werden muß, ehe die Regierung weise und besser wird. Aber der Pöbel und die herrschende politische Meinung, die abgrundtiefe Brutalität und die dumme Unwissenheit, wie man sie auf allen Zusammenkünften der Massen antrifft, strafen diese Theorie Lügen. Beim Pöbel orientieren sich kollektive Intelligenz und Barmherzigkeit an den am wenigsten intelligenten und den brutalsten Vertretern dieses Pöbels. Andererseits werden sich tausend Passagiere eines in Seenot geratenen Schiffes freiwillig der Weisheit und Besonnenheit des Kapitäns unterordnen. Denn in diesem Falle ist er der weiseste und erfahrenste von allen.

Die zweite Theorie geht von der Annahme aus, daß die meisten Menschen keine Bahnbrecher sind, daß die Untätigkeit der Etablierten sie wie ein Gewicht herabzieht; daß die sie vertretende Regierung nur die Schwachheit, Nichtigkeit und Roheit repräsentiert, daß diese blinde, als Regierung bezeichnete Einrichtung nicht Diener ihres Willens ist, sondern sie die Diener dieser Regierung sind; kurz, nicht die berühmte große Masse formt die Regierung, sondern die Regierung formt sie. Die Regierung wiederum ist immer schon ein dummes und furchtbares Mißgebilde gewesen, durch einen Schimmer von Intelligenz seitens dieser mit Trägheit geschlagenen Masse gezeugt.

Ich neige zur zweiten Theorie. Und ich bin ungeduldig. Seit hunderttausend Generationen, von den ersten sozialen Gruppierungen unserer wilden Vorfahren angefangen bis jetzt, ist jede Regierung immer nur ein Ungeheuer gewesen. Heutzutage hat die träge Masse weniger zu lachen als je zuvor. Trotz all der Macht des Menschen über die Natur machen sein Leid, sein Elend und seine Erniedrigung noch immer eine gerechte Welt unmöglich.

Aus diesem Grunde habe ich beschlossen, einzuschreiten und für eine bestimmte Zeit Kapitän des Weltenschiffes zu werden. Ich habe den Verstand und die Weitsicht des erfahrenen Experten. Außerdem habe ich auch die Macht. Man wird mir gehorchen. Die Menschen der ganzen Welt sollen meinen Geboten folgen und Regierungen bilden, die Schöpfer von Frohsinn werden. Diese vorbildlichen Regierungen, die ich im Sinn habe, sollen die Menschen nicht per Dekret glücklich, weise und edel machen, sondern sie sollen ihnen die Gelegenheiten schaffen, sich zu glücklichen, weisen und edlen Menschen zu entwickeln.

Ich habe gesprochen. Ich habe Sie und neun weitere Großindustrielle eingeladen, um mit Ihnen zu verhandeln. Am . März wird die Jacht Energon von San Francisco lossegeln. Sie sind aufgefordert, sich einen Abend zuvor an Bord einzufinden. Das ist ernst gemeint. Die Angelegenheiten dieser Welt müssen für eine bestimmte Zeit von starker Hand gelenkt werden. Diese starke Hand bin ich. Sollten Sie meinem Ruf nicht folgen, werden Sie sterben. Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, daß Sie Folge leisten werden. Aber Ihr Tod als Strafe für den Ungehorsam wird die anderen, die ich danach rufen werde, gefügig machen. Und ver- gessen Sie bitte nicht, daß ich keinerlei unwissenschaftliche Sentimentalität bezüglich des Wertes menschlichen Lebens hege. Ich sehe stets die Millionen und aber Millionen Menschen vor meinem geistigen Auge, die in künftigen Zeitaltern auf der Erde fröhlich und glücklich leben sollen.

Der Ihre für die Umgestaltung der Gesellschaft

Goliah“

Die Veröffentlichung dieses Briefes löste in der Stadt nicht einmal Heiterkeit aus. Man hat vielleicht beim Lesen vor sich hin geschmunzelt, aber er war so offensichtlich das Machwerk eines Verrückten, daß er keiner Diskussion wert war. Erst am folgenden Morgen stellte sich ein gewisses Interesse ein. Eine Depesche von Associated Press an die Staaten im Osten und nachfolgende Interviews von übereifrigen Reportern hatten die Namen der anderen neun Großindustriellen ans Licht gebracht, die ähnliche Briefe erhalten, die Angelegenheit aber für zu unbedeutend erachtet hatten, als daß sie sie in die Öffentlichkeit getragen hätten. Das so geweckte Interesse war mäßig und wäre schnell erloschen, hätte nicht Gabberton einen Dauerpräsidentschaftskandidaten als „Goliah“ karikiert. Hinzu kam ein zwischen Ost- und Westküste ausgelassen gesungenes Lied mit seinem Refrain: „Seid auf der Hut, daß euch der Goliah nichts tut.“

Nach weiteren drei Wochen war der Zwischenfall vergessen. Auch Walter Bassett dachte nicht mehr daran; aber am Abend des . Februar wurde er vom Hafenmeister ans Telefon gerufen. „Ich wollte Ihnen nur mitteilen“, sagte dieser, „daß die Jacht Energon eingetroffen ist und am Pier sieben vor Anker liegt.“

Walter Bassett hat niemals etwas darüber verlauten lassen, was in jener Nacht geschah. Aber man weiß, daß er mit dem Auto zum Hafen fuhr, eine von Crowleys Barkassen nahm und an Bord der seltsamen Jacht abgesetzt wurde. Es ist weiterhin bekannt, daß er drei Stunden später, wieder an Land, sofort einen Stoß Telegramme an die neun anderen schickte, die von Goliah einen Brief erhalten hatten. Diese Telegramme hatten alle denselben Wortlaut: „Die Energon ist eingetroffen. Es ist von Bedeutung. Ich rate Ihnen zu kommen.“

Bassett wurde ausgelacht, daß er sich dieser Mühe unterzogen hatte. Es setzte sogar ein gewaltiges Gelächter ein (denn seine Telegramme waren veröffentlicht worden), und das populäre Lied über Goliah lebte wieder auf und wurde populärer denn je. Goliah und Bassett wurden karikiert und gnadenlos verspottet, ersterer als der Alte Mann des Meeres, auf dem Rücken des letzteren reitend. Durch Klubs und gesellige Kreise wogte das Lachen, war in den Leitartikeln etwas abgeschwächt, schallte aber laut in den satirischen Wochenzeitungen. Diese Angelegenheit hatte jedoch auch eine ernste Seite, denn viele, besonders Bassetts Geschäftskollegen, stellten seinen Geisteszustand in Frage.

Bassett war stets ein aufbrausender Mann gewesen, als er jedoch den zweiten Stoß Telegramme an seine Kollegen verschickt hatte und wieder ausgelacht wurde, blieb er still. In diesen Telegrammen schrieb er: „Kommen Sie, ich flehe Sie an. Wenn Ihnen Ihr Leben wert ist, kommen Sie.“ Er ordnete seine Geschäftsangelegenheiten für eine längere Abwesenheit und ging in der Nacht des . März an Bord der Energon. Selbige wurde klargemacht und segelte am nächsten Morgen aus. Die Zeitungsjungen in jeder Stadt und in jedem Städtchen schrien: „Extrablatt!“

Im Klartext gesprochen: Goliah hatte die versprochene Ware geliefert - die neun Großindustriellen, die seine Einladung nicht angenommen hatten, waren tot. Eine Art gewaltsamer Auflösung des Gewebes, lauteten mehrere Autopsiebefunde über die Körper der getöteten Millionäre; dennoch wagten die Chirurgen und Ärzte (die erfahrensten des ganzen Landes hatten sich beteiligt) nicht, die Ansicht zu äußern, daß die Männer ermordet worden seien. Es war allzu mysteriös. Sie waren wie gelähmt. Ihre wissenschaftliche Überzeugung war erschüttert. Es gab in der ganzen Wissenschaft keinen Anhaltspunkt, der sie zu der Annahme berechtigt hätte, eine anonyme Person auf der Palgrave-Insel habe die armen Gentlemen umgebracht.

Eins begriff man jedoch schnell; nämlich daß die Palgrave-Insel kein Mythos war. Sie war auf den Karten verzeichnet und allen Seefahrern wohlbekannt, sie lag auf dem . westlichen Längengrad, wo dieser den . Grad nördlicher Breite schneidet, und nur wenige Meilen von der Diana-Sandbank entfernt. Gleich den Midway- und Fanning-Inseln war die Palgrave eine einsame vulkanische Insel mit Korallenriffen. Außerdem war sie unbewohnt. Ein Erkundungsschiff hatte die Insel angesteuert und von mehreren Quellen sowie einem guten Ankerplatz, den man nur unter Gefahren erreichen konnte, berichtet. Mehr wußte man nicht über dieses winzige Fleckchen Land, das bald im Mittelpunkt der ängstlichen Aufmerksamkeit der ganzen Welt stehen sollte.

Goliah schwieg bis zum . März. Am Morgen jenes Tages veröffentlichten die Zeitungen seinen zweiten Brief, von dem die zehn wichtigsten Politiker der Vereinigten Staaten - die zehn führenden Männer in der politischen Welt, allgemein als Staatsmänner bezeichnet - je eine Abschrift erhielten. Der Brief trug dieselbe Überschrift wie der erste und lautete:

„Sehr geehrter Herr!

Ich habe wohl klar und deutlich gesprochen. Man hat mir zu gehorchen. Sie können das als Einladung oder als Aufforderung auffassen; aber wenn Sie den Wunsch hegen, weiterhin auf dieser Erde zu wandeln und zu lachen, müssen Sie spätestens am Abend des . April an Bord der Jacht Energon im Hafen von San Francisco sein. Es ist mein Wunsch und Wille, daß Sie mit mir auf der Palgrave-Insel über die Umgestaltung der Gesellschaft auf einer rationalen Basis verhandeln. Mißverstehen Sie mich nicht, wenn ich sage, daß ich mich mit einer Theorie identifiziere. Ich will, daß diese Theorie in die Praxis umgesetzt wird, und deshalb fordere ich Sie zur Mitarbeit auf. In meiner Theorie sind Menschen nur Schachfiguren; ich habe mit Unmengen von Menschen zu tun. Was ich will, das ist das Lachen, und diejenigen, die dem Lachen im Wege stehen, müssen zugrunde gehen. Es ist ein großes Unternehmen. Zur Zeit gibt es anderthalb Milliarden Menschen auf der Erde. Was gilt Ihr einzelnes Leben dagegen? Eine Null in meiner Theorie. Und vergessen Sie nicht, daß ich die Macht habe. Bedenken Sie, daß ich Wissenschaftler bin und daß ein Leben oder eine Million Leben für mich ein Nichts sind gegen die Milliarden und aber Milliarden der kommenden Generationen. Um das Lachen derer möchte ich die Gesellschaft heute umgestalten, und gemessen an dem zählt Ihr armseliges kleines Leben wahrlich nicht.

Wer die Macht hat, kann anderen seine Befehle aufzwingen. Kraft der militärischen Idee, die als Phalanx bekannt ist, eroberte Alexander seinen Teil dieser Welt. Kraft der chemischen Erfindung des Schießpulvers eroberte Cortes mit seinen Scharen von Halsabschneidern das Reich Montezumas. Jetzt bin ich im Besitz eines Instruments, das mir ganz allein gehört. Im Laufe eines Jahrhunderts werden nicht mehr als ein halbes Dutzend grundlegender Entdeckungen und Erfindungen gemacht. Mir ist eine solche gelungen. Ihr Besitz verschafft mir die Herrschaft über die Welt. Ich werde diese Erfindung nicht für kommerzielle Ziele nutzen, sondern zum Wohle der Menschheit. Dazu brauche ich Hilfe - bereitwillige Hilfe, gehorsame Hände, und ich bin stark genug, den Dienst zu erzwingen. Ich wähle den kürzesten Weg, obwohl ich keine Eile habe. Ich werde auch keine Hast aufkommen lassen.

Der Anreiz durch materiellen Gewinn ließ den Menschen vom Wilden zu dem Halbbarbaren werden, der er heute ist.



Dieser materielle Anreiz war ein nützliches Werkzeug für die menschliche Entwicklung; aber er hat seine Aufgabe erfüllt und kann auf den Abfallhaufen geworfen werden wie rudimentäre Organe - die Kiemen in der Kehle etwa - , wie der Glaube an das göttliche Recht von Königen. Natürlich denken Sie anders darüber, dennoch nehme ich nicht an, daß Sie mir deshalb nicht helfen wollten, den Anachronismus auf den Abfallhaufen zu werfen. Denn ich sage Ihnen, die Zeit ist gekommen, da Essen, Wohnung und ähnliche triviale Dinge automatisch vorhanden und so einfach und selbstverständlich zu haben sind wie die Luft. Ich werde mit Hilfe meiner Entdeckung und der Macht, die sie mir verleiht, dafür sorgen. Wenn Essen und Wohnung selbstverständlich sind, wird der Reiz des materiellen Gewinns für immer von dieser Welt verschwunden sein. Wenn Essen und Wohnung selbstverständlich sind, werden die höheren Ziele allumfassend siegen - die geistigen, ästhetischen und intellektuellen Ziele, die sich entwickeln und Körper, Geist und Seele schön und edel machen werden. Dann wird die gesamte Welt von Glück und Fröhlichkeit beherrscht werden. Es wird die Herrschaft des weltweiten Frohsinns sein.

Der Ihre im Namen jener Zukunft

Goliah“

Die Welt wollte immer noch nicht glauben. Die zehn Politiker waren in Washington, und so hatten sie nicht die Möglichkeit, sich wie Bassett überzeugen zu lassen. Nicht einer von ihnen nahm die Mühen einer Reise nach San Francisco auf sich, um die Gelegenheit wahrzunehmen. Was Goliah betraf, so wurde er von Zeitungen als neuer Tom Lawson mit dem Wunderheilmittel bezeichnet; Spezialisten für Geisteskrankheiten bewiesen an Hand der Analyse seiner Briefe schlüssig, daß er wahnsinnig war.

Die Energon traf am Nachmittag des . April im Hafen von San Francisco ein, und Bassett ging an Land. Aber die Jacht segelte am nächsten Tag nicht ab, denn keiner der zehn aufgeforderten Politiker hatte sich für eine Reise zur Palgrave-Insel entschieden. In allen Städten schrien die Zeitungsjungen an jenem Tage: „Extrablatt!“ Die zehn Politiker waren tot. Die friedlich im Hafen liegende Jacht wurde zum Mittelpunkt aufgeregten Interesses. Sie war von einer Flottille von Barkassen und Ruderbooten umgeben, zahlreiche Schlepper und Dampfschiffe machten ebenfalls eine Tour zu ihr. Während die lärmenden Menschengruppen standhaft abgewehrt wurden, ließ man die zuständigen Verantwortlichen und sogar Reporter an Bord. Der Bürgermeister von San Francisco sowie der Polizeichef berichteten, daß nichts Verdächtiges auf der Jacht zu sehen gewesen sei, auch die Hafenbehörde bestätigte die Korrektheit der Papiere in jedem einzelnen Punkt. Viele Fotos und Schilderungen erschienen in den Zeitungen. Die Mannschaft bestünde hauptsächlich aus Skandinaviern - blonden, blauäugigen Schweden, melancholischen Norwegern, gleichmütigen Russo-Finnen - und ein paar vereinzelten Amerikanern sowie Engländern. Es wurde berichtet, daß sie nichts Geschäftiges und Unruhiges an sich hätten. Sie schienen gewichtige Männer zu sein, von einer traurigen und stumpf-trägen Zusammengehörigkeit niedergedrückt. Nüchterner Ernst und große innere Gewißheit würden sie allesamt charakterisieren. Sie schienen Männer ohne Nerven und Angst zu sein, so als würden sie von einer übergroßen Macht aufrecht gehalten und von der Hand eines Übermenschen getragen. Der Kapitän, ein Amerikaner mit kräftigen Zügen und traurigen Augen, wurde in der Zeitung als „Gloomy Gus“ (der pessimistische Held der Humorseite) karikiert.

Ein Kapitän erkannte die Energon als die Jacht Scud, die früher Merrivale von New-Yorker Jachtklub gehört habe. Nach diesem Hinweis konnte man leicht feststellen, daß die Scud einige Jahre zuvor verschwunden war. Der Agent, der sie verkauft hatte, berichtete, daß der Käufer auch nur ein Agent gewesen sei, der ihm niemals zuvor begegnet war und den er auch danach nie wiedergesehen hatte. Die Jacht sei auf Duffeys Werft in New Jersey umgebaut worden. Die Namens- und Registeränderungen seien damals vorgenommen worden und entsprächen ganz den Vorschriften. Dann war die Energon auf geheimnisvolle Weise verschwunden.

In der Zwischenzeit war Bassett auf dem Wege, verrückt zu werden - jedenfalls sagten das seine Freunde. Er hielt sich von seinen Geschäften fern und sagte, er müsse jetzt abwarten, bis die anderen Beherrscher dieser Welt sich ihm zur Umgestaltung der Gesellschaft anschließen würden - eindeutiger Beweis dafür, daß Goliah ihm einen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Reportern gegenüber sagte er wenig. Er habe nicht die Freiheit, sagte er, zu erzählen, was er auf der Palgrave-Insel gesehen habe; er könne ihnen aber versichern, daß die Angelegenheit ernst sei, eine ernstere Sache habe es nie gegeben. Sein letztes Wort in der Angelegenheit war, daß die Welt vor einer Wende stünde, ob zum Guten oder zum Bösen, das wisse er nicht, aber so oder so, die Wende würde kommen, dessen sei er sich ganz sicher. Was das Geschäft anbelange, so soll’s der Teufel holen. Er habe allerlei gesehen, ja, das habe er, und das war alles dazu.

Es wurde während dieser Zeit häufig zwischen den lokalen Bundesbehörden, dem Innen- und dem Kriegsministerium in Washington telegrafiert. Eines Nachmittags wurde eine geheime Aktion gestartet, um an Bord der Energon zu gelangen und den Kapitän zu verhaften - der Generalstaatsanwalt war der Meinung, daß der Kapitän unter dem Verdacht des Mordes an den zehn Staatsmännern festgenommen werden könne. Man sah die Regierungsbarkasse Meiggs Kai verlassen und Kurs auf die Energon nehmen, und das war das letzte, was man je von der Barkasse und den Männern, die sich an Bord befanden, gesehen hatte. Die Regierung versuchte, die Affäre zu vertuschen, jedoch kam alles durch die Familien der verschwundenen Männer ans Licht. Die Zeitungen waren voll mit den ungeheuerlichsten Versionen über den Vorfall.

Die Regierung ging nun zu äußersten Maßnahmen über. Das Schlachtschiff Alaska bekam den Auftrag, die seltsame Jacht in ihre Gewalt zu bringen oder, sollte das mißlingen, sie zu versenken. Das waren geheime Instruktionen, aber Tausende von Augen verfolgten vom Küstenrand und von Schiffen im Hafen aus, was an jenem Nachmittag geschah. Das Schlachtschiff begab sich auf Fahrt und hielt langsam Kurs auf die Energon. Eine halbe Meile vor der Energon ging das Schlachtschiff in die Luft - explodierte ganz einfach; das war alles, der zerschmetterte Schiffsrumpf sank auf den Grund der Bucht, ein gewöhnliches Wrack und ein paar Überlebende hier und da auf dem Wasser. Unter den Überlebenden war ein junger Leutnant, der für die Funkverbindungen der Alaska zuständig war. Die Reporter bekamen ihn als ersten zu fassen, und er berichtete. Kaum sei die Alaska in Fahrt gewesen, sei eine Nachricht von der Energon gekommen. Eine Warnung in international üblicher Kodierung an die Alaska, sich nicht auf mehr als eine halbe Meile zu nähern. Er habe die Nachricht durch das Sprachrohr sofort an den Kapitän weitergegeben. Mehr wisse er nicht, außer daß die Energon die Nachricht zweimal wiederholt habe und daß sich fünf Minuten später die Explosion ereignet habe. Der Kapitän der Alaska war mit seinem Schiff untergegangen, und so konnte man nichts weiter in Erfahrung bringen.

Die Energon lichtete allerdings sofort die Anker und stach in See. Die Zeitungen veranstalteten ein großes Geschrei; die Regierung wurde der Feigheit und des Wankelmuts in ihren Aktionen gegen eine einfache Vergnügungsjacht und einen Wahnsinnigen, der sich Goliah nannte, bezichtigt, und sofortiges entschiedenes Handeln wurde gefordert. Es wurde auch laut wegen des Verlusts an Menschenleben lamentiert, vor allem wegen des böswilligen Mordes an den zehn Staatsmännern. Goliah reagierte unverzüglich. Seine Erwiderung kam so prompt, daß die Fachleute für drahtlose Telegrafie äußerten, Goliah müsse mitten unter ihnen weilen und nicht auf der Pal-grave-Insel, denn es sei unmöglich, drahtlose Nachrichten über so große Entfernungen zu übermitteln. Goliahs Brief wurde von einem Botenjungen, der auf der Straße angeheuert worden war, bei Associated Press abgeliefert. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:

„Was bedeuten ein paar armselige Menschenleben? In euren wahnwitzigen Kriegen vernichtet ihr Millionen Menschenleben und denkt euch nichts dabei. In eurem brudermörderischen Handelskrieg tötet ihr kleine Kinder, Frauen und Männer und nennt dieses Schlachtfeld triumphierend Individualismus’. Ich nenne es Anarchie. Ich werde eurer totalen Vernichtung der Menschen Einhalt gebieten. Ich möchte den Frohsinn und nicht das Gemetzel.

Eure Regierung versucht, euch glauben zu machen, daß die Zerstörung der Alaska ein Unglücksfall war. Ihr sollt hier und jetzt erfahren, daß sie auf meinen Befehl vernichtet wurde. In ein paar Monaten werden alle Schlachtschiffe auf See zerstört sein oder auf dem Schrotthaufen landen; und alle Völker sollen abrüsten; Festungen sollen abgebaut, Armeen aufgelöst werden, der Krieg soll von der Erde verschwinden. Mein ist die Macht. Ich bin der Wille Gottes. Die ganze Welt soll von mir abhängig sein, aber es wird eine Abhängigkeit des Friedens sein.

Ich bin Goliah“

„Die Palgrave-Insel in die Luft jagen“, lautete die Antwort der Zeitungen. Die Regierung war gleichen Sinnes, und die Aufstellung der Flotte wurde in Angriff genommen. Walter Bassett äußerte Protest, der ohne Wirkung blieb, und er wurde eilends mit der Drohung, vor eine psychiatrische Kommission geladen zu werden, zum Schweigen gebracht. Goliah blieb stumm. Fünf große Flottenverbände wurden in das Unternehmen gegen die Palgrave-Insel geworfen - das Asiatische Geschwader, das Südpazifische Geschwader, das Nordpazifische Geschwader, das Karibische Geschwader und die Hälfte des Nordatlantischen Geschwaders, die beiden letztgenannten kamen durch den Panamakanal.

„Ich habe die Ehre zu melden, daß wir die Palgrave-Insel am Morgen des . April gesichtet haben“, lautete der Bericht von Kapitän Johnson vom Schlachtschiff North Dakota an den Sekretär der Seestreitkräfte. „Das Asiatische Geschwader hatte sich verspätet und traf erst am Morgen des . April ein. Eine Sitzung der Admirale wurde abgehalten, und es wurde entschieden, in der Frühe des folgenden Morgens anzugreifen. Der Zerstörer Swift näherte sich unbehelligt der Insel und berichtete, daß es dort keinerlei Kriegsvorbereitungen gebe. Er habe mehrere kleine Handelsschiffe im Hafen gesichtet sowie ein kleines Dorf in hoffnungslos exponierter Lage, das durch unser Feuer ausgelöscht werden könnte.

Es war entschieden worden, daß die Schiffe sich in schneller Fahrt von verschiedenen Seiten der Insel nähern und auf drei Meilen das Feuer eröffnen sollten, dann war vorgesehen, die Fahrt bis zum Rand des Riffes fortzusetzen, wieder Formation einzunehmen und anzugreifen. Die Palgrave-Insel warnte uns wiederholt, in die Zehnmeilenzone einzudringen; aber diese Warnungen wurden nicht beachtet.

Die North Dakota nahm an der Aktion des . Mai nicht teil. Dies war auf einen kleinen Unfall in der vorangegangenen Nacht zurückzuführen, wodurch unsere Steueranlage zeitweilig außer Betrieb gesetzt war. Der Morgen des . Mai brach klar und ruhig an. Von Südwest kam eine leichte Brise, die sich aber bald legte. Die North Dakota lag zwölf Meilen vor der Insel. Auf ein Signal stürmten die Geschwader mit Volldampf von allen Seiten auf die Insel zu. Unser Funkapparat sandte weiterhin die von der Insel kommenden Warnungen aus. Die Zehnmeilenzone war überschritten, nichts geschah. Ich beobachtete alles durchs Fernrohr. Auf fünf Meilen geschah nichts, auf vier Meilen geschah nichts, auf drei Meilen eröffnete die New York, die auf unserer Seite die Führung hatte, das Feuer. Sie gab nur einen Schuß ab, dann explodierte sie. Die restlichen Schiffe haben überhaupt keinen Schuß abgefeuert. Sie gingen alle in die Luft, vor unseren Augen. Verschiedene brachen aus und fuhren zurück, aber es gelang ihnen nicht zu entkommen. Der Zerstörer Dart XXX hatte fast die Zehnmeilenlinie erreicht, als er hochging. Nur die North Dakota war unbeschadet geblieben, und in der Nacht, als die Steuervorrichtung wieder in Ordnung war, gab ich Befehl, nach San Francisco aufzubrechen.“

Zu sagen, die Vereinigten Staaten wären gelähmt gewesen, demonstriert lediglich die Unzulänglichkeit der Sprache.

Die ganze Welt schien gelähmt zu sein. Sie war einem vernichtenden menschlichen Geist ohnegleichen begegnet. Menschliches Mühen wurde zu einem Narrenstreich, zu einer monströsen Nichtigkeit angesichts eines Wahnsinnigen auf einer einsamen Insel, der eine Jacht und ein ungeschütztes Dorf in seiner Gewalt hatte und fünf der stolzesten Flottenverbände der Christenwelt zerstören konnte. Aber wie hatte er das bewerkstelligt? Niemand wußte es. Die Wissenschaftler warfen sich in den Staub, jammerten und redeten wirres Zeug. Sie wußten es nicht. Militärexperten begingen zu Dutzenden Selbstmord. Das mächtige Gewebe der Kriegführung, das sie geschaffen hatten, war nur ein hauchdünner Schleier, der von einem elenden Verrückten zerrissen worden war. Das war zuviel für ihren Verstand. Der normale Menschenverstand konnte einen solchen Schock nicht überwinden. Wie der Primitive durch einen Trick des Medizinmannes vernichtet werden kann, so wurde die Welt durch den Zauberer Goliah vernichtet. Wie machte er das? Die Welt starrte auf das schreckliche Gesicht des Unbekannten, vor dem sie sich so sehr fürchtete, daß sie ihre stolzesten Errungenschaften vergaß.

Aber nicht die ganze Welt war in diesen Zustand der Lähmung verfallen. Es gab die ewige Ausnahme - das Inselreich Japan. Trunken vom in tiefen Zügen genossenen Wein des Erfolges, ohne Aberglauben und ohne Glauben an irgend etwas außer seinem eigenen aufgehenden Stern, mit einem Lachen angesichts des Bankrotts der Wissenschaft und im Wahn des Rassenstolzes, schritt es weiter voran auf dem Kriegspfad.

Amerikas Flotte war vernichtet. Von den Schlachtfeldern des Himmels neigten sich die vielen Schatten der Ahnen Japans nieder. Eine von Gott gegebene Gelegenheit war gekommen. Der Mikado war wahrhaftig ein Bruder der Götter.

Die Kriegsungeheuer Japans würden in riesigen Flottenverbänden losgelassen. Die Philippinen wurden im Vorbeigehen genommen, etwa wie ein Kind einen Blumenstrauß pflückt. Die Kriegsschiffe nach Hawaii, Panama und zur Pazifikküste brauchten etwas länger. Die Vereinigten Staaten gerieten in Panik, und es bildete sich eine mächtige Partei, die für einen unehrenhaften Frieden eintrat. Inmitten des Geschreis traf die Energon in der San-Francisco-Bucht ein, und Goliah sprach noch einmal. Die Ankunft war mit einem kleinen Scharmützel verbunden, es explodierten einige Magazine entlang der militärisch untertunnelten Hügel, womit die Küstenverteidigung erledigt war. Auch die Explosionen der unterseeischen Minen im Golden Gate lieferten ein schönes Schauspiel. Goliahs Botschaft an die Bürger von San Francisco, wie gewöhnlich von der Palgrave-lnsel abgeschickt, wurde in den Zeitungen veröffentlicht. Sie lautete:

„Frieden? Friede sei mit euch. Ihr werdet Frieden haben. Ich habe schon früher in diesem Sinne gesprochen. Aber gebt auch mir Frieden. Laßt meine Jacht Energon in Ruhe. Unternehmt ihr einen offenen Angriff auf sie, bleibt in San Francisco kein Stein auf dem anderen.

Laßt morgen alle braven Bürger hinaus auf die Hügel gehen, die zum Meer hin abfallen. Macht Musik, lacht und schmückt euch mit Girlanden. Bereitet ein Fest für das neue Zeitalter, das heraufdämmert. Seid wie Kinder auf euren Hügeln und werdet Zeugen, wenn sich der Krieg verabschiedet. Versäumt diese Gelegenheit nicht. Es ist die letzte Chance, etwas zu sehen, was ihr danach nur noch im Museum für altertümliche Gegenstände finden könnt.

Ich verspreche euch einen fröhlichen Tag.

Goliah“

Der Wahnwitz der Magie lag in der Luft. Den Menschen war es, als seien all ihre Götter zerschmettert, und doch gab es den Himmel noch. Ordnung und Gesetz hatten das Universum verlassen; aber die Sonne schien noch, der Wind blies noch, die Blumen blühten noch - das war das verwirrende daran. Daß das Wasser immer noch den Berg hinunterlief, war ein Wunder. Alle festen Bezugspunkte des menschlichen Geistes und alle Errungenschaften waren in der Auflösung begriffen. Das einzig Sichere war Goliah, ein Verrückter auf einer Insel. Am nächsten Tag zog die gesamte Bevölkerung von San Francisco in größter Ausgelassenheit auf die Hügel, von wo man eine weite Aussicht über das Meer hatte. Blaskapellen gingen voran, und Fahnen wurden getragen. Bierwagen und Picknickkörbe wurden mitgeführt - all die seltsamen unterschiedlichen Menschengruppen, wie man sie in einer Großstadt findet, waren auf den Beinen. Am Horizont stieg der Rauch aus den Schornsteinen von Hunderten feindlichen Kriegsschiffen auf, alle steuerten auf das hilflose unverteidigte Golden Gate zu. Aber ganz un-verteidigt war es doch nicht, denn durch das Golden Gate bewegte sich die Energon, ein kleines weißes Spielzeug, das wie ein Strohhalm auf der bewegten See vor der Sandbank schaukelte, wo sich eine starke Ebbe unter dem Sommerseewind ausbreitete. Doch die Japaner waren vorsichtig. Ihre dreißig- und vierzigtausend Tonnen großen Schlachtschiffe wurden sechs Meilen vor der Küste langsamer und manövrierten in schwerfälligen Drehungen, während kleine Erkundungsschiffe (schlanke sechsschornsteinige Zerstörer) herbeieilten, die die See wie Haie peitschten. Aber im Vergleich zur Energon waren sie Ungetüme. Im Vergleich mit ihnen schien die Energon das Schwert des Erzengels Michael zu sein, sie dagegen die Vorboten der Bewohner der Hölle.

Aber nie sahen die guten Leute von San Francisco, die sich auf den Hügeln versammelt hatten, das Schwert aufblitzen. Geheimnisvoll und unsichtbar spaltete es die Luft und holte zu den mächtigsten Schlägen aus, die die Welt je gesehen hatte. Die guten Leute von San Francisco sahen wenig davon, und verstehen konnten sie noch weniger. Sie sahen nur, wie anderthalb Millionen Tonnen Salzwasser auseinanderklafften, unter Krachen berstende Gegenstände gen Himmel wirbelten und zerschmettert wieder zurück ins Meer sanken. Innerhalb von fünf Minuten war alles vorüber. Auf der weiten See blieb nur die Energon übrig, die weiß und spielzeuggleich in der Nähe der Sandbank schlingerte. Goliah sprach zum Mikado und den höheren Staatsmännern. Es handelte sich nur um eine gewöhnliche Kabeldepesche, die vom Kapitän der Energon in San Francisco aufgegeben war, aber sie war bedeutsam genug, um den sofortigen Rückzug Japans von den Philippinen und ihrer übriggebliebenen Flottenteile von der See zu veranlassen. Das ungläubige Japan war bekehrt. Es hatte die Kraft von Goliahs Arm zu spüren bekommen. Demütig gehorchte es, als dieser ihm befahl, alle Kriegsschiffe abzurüsten und das Metall in nützliche Geräte für die Gewerbe des Friedens umzuwandeln. In allen Häfen, Seewerften, Maschinenhallen und Gießereien Japans schmolzen Zehntausende von braunhäutigen Handwerkern die Kriegsungeheuer in tausend nützliche Dinge um, wie Pflugschare (Goliah bestand auf Pflugscharen), Benzinmotoren, Brückenträger, Telefon-und Telegrafendrähte, Stahlschienen, Lokomotiven und anderes rollendes Material für die Eisenbahn.



Es war eine Welt-Buße, die die Welt auch sehen sollte, und sie ließ jene frühere Buße wahrlich als unbedeutend erscheinen, als sich ein Herrscher barfüßig durch den Schnee zum Papst aufmachte und um die weltliche Macht zu streiten wagte.

Als nächstes wandte sich Goliah an die zehn führenden Wissenschaftler der Vereinigten Staaten. Dieses Mal gehorchte man sofort. Die Gelehrten reagierten lächerlich schnell, einige von ihnen warteten wochenlang in San Francisco, um ja nicht den festgesetzten Segeltermin zu verpassen. Sie fuhren am . Juni auf der Energon ab, und während sie auf dem Weg zur Palgrave-Insel waren, führte Goliah eine andere Großtat aus. Deutschland und Frankreich waren im Begriff, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Goliah befahl Frieden. Sie ignorierten den Befehl und waren im stillen übereingekommen, den Kampf auf dem Lande zu führen, wo es den Kriegslüsternen sicherer schien. Goliah setzte die Beendigung der feindseligen Vorbereitungen auf den 6. Juni fest. Beide Länder mobilisierten ihre Armeen am 5. Juni und setzten sie zur gemeinsamen Grenze in Bewegung. Am 6. Juni schlug Goliah zu. Alle Generäle, Kriegssekretäre und Säbelrassler beider Länder starben an jenem Tag; am selben Tag liefen zwei riesige Armeen ohne Führung wie verirrte Schafe über die Grenze und verbrüderten sich. Allein der große deutsche Kriegsherr war entkommen -wie man später erfuhr, indem er sich in dem gewaltigen Safe, in dem die Geheimdokumente des Reiches aufbewahrt wurden, versteckt gehalten hatte. Als er wieder auftauchte, war er ein sehr bußfertiger Kriegsherr, und wie der Mikado von Japan mußte auch er seine Schwerter zu Pflugscharen und Gartensicheln umschmieden.

Dennoch maß man der Tatsache, daß der deutsche Kaiser entkommen war, große Bedeutung bei. Die Wissenschaftler der Welt schöpften neuen Mut und fanden ihren Verstand wieder. Eins war eindeutig klargeworden - Goliah hatte keine Zauberkräfte. Noch beherrschte das Gesetz das Universum. Goliahs Macht hatte Grenzen, sonst hätte der deutsche Kaiser in seinem Stahlsafe nicht entkommen können. Viele gelehrte Abhandlungen erschienen über dieses Thema.

Die zehn Wissenschaftler kehrten am von der Palgrave-Insel zurück. Schwere Polizeieinheiten schirmten sie vor den Reportern ab. Nein, sie hätten Goliah nicht gesehen, sagten sie in dem einen offiziellen Interview, das gnädig gewährt worden war, aber sie hätten mit ihm gesprochen, und sie hätten viel gesehen. Sie wären nicht berechtigt, Endgültiges über all das zu sagen, was sie gesehen und gehört hätten, was sie jedoch sagen könnten, wäre, daß die Welt im Begriff sei, von Grund auf verändert zu werden. Goliah besäße eine enorme Erfindung, die die ganze Welt von seiner Gnade abhängig mache, und es sei gut für die Welt, daß Goliah barmherzig sei. Die zehn Wissenschaftler fuhren in einem Sonderzug direkt nach Washington, wo sie tagelang mit den Regierungsoberhäuptern im geheimen tagten, während die Nation atemlos auf das Ergebnis wartete.

Aber das Ergebnis ließ lange auf sich warten. Von Washington schickte der Präsident Befehle an die führenden Persönlichkeiten des Landes. Alles war geheim. Jeden Tag trafen Abordnungen der Bankiers, Eisenbahnchefs, Großindustriellen sowie Richter vom Obersten Gericht ein; und einmal angekommen, blieben sie dort. Die Wochen zogen sich hin, und dann, am . August, begann die berühmte Verkündigung der Proklamationen. Der Kongreß und der Senat arbeiteten mit dem Präsidenten zusammen, während die Richter des Obersten Gerichts alles sanktionierten und die Geldherren und Großindustriellen ihre Zustimmung gaben. Den kapitalistischen Eigentümern des Landes wurde der Krieg angesagt. Überall in den Vereinigten Staaten wurde das Kriegsrecht verkündet. Der Präsident wurde mit den höchsten Vollmachten ausgestattet.

Innerhalb eines Tages wurde die Kinderarbeit im ganzen Lande abgeschafft. Das wurde per Dekret verfügt, und die Vereinigten Staaten waren bereit, ihre Dekrete mit Hilfe der Armee durchzusetzen. Am selben Tag wurden alle Fabrikarbeiterinnen nach Hause geschickt, alle Schinderfabriken wurden geschlossen. „Aber wir können nichts verdienen“, jammerten die kleinen Kapitalisten. „Dummköpfe!“ antwortete Goliah. „Als ob der Sinn des Lebens darin bestünde, Profit zu machen. Gebt eure Geschäfte und die Profitjagd auf.“

„Aber keiner will unsere Unternehmen kaufen“, klagten sie. „Kaufen und verkaufen - ist das der ganze Sinn, den das Leben für euch hat?“ erwiderte Goliah. „Ihr habt nichts zu verkaufen. Überschreibt eure kleinen halsabschneiderischen, anarchistischen Geschäfte der Regierung, so daß sie rationell organisiert und betrieben werden können.“ Und am folgenden Tag übernahm die Regierung per Dekret alle Betriebe, Werkstätten, Gruben, Schiffe, Eisenbahnen sowie das Ackerland.

Die Nationalisierung der Produktionsmittel schritt rasch voran. Hier und da gab es skeptische Kapitalisten von Rang. Sie wurden gefangengenommen und auf die Palgrave-Insel deportiert. Wenn sie zurückkamen, fügten sie sich stets dem, was die Regierung unternahm. Etwas später war die Reise zur Insel unnötig geworden. Wenn Einwände erhoben wurden, entgeg-neten die Beamten: „Goliah hat gesprochen“ - was soviel bedeutete wie „Man muß ihm gehorchen.“

Die Großindustriellen wurden die Chefs der Abteilungen. Bauingenieure, so fand man, arbeiteten in Regierungsunternehmen genauso gut wie vorher in Privatunternehmen. Es stellte sich heraus, daß Männer mit Geschäftssinn diese ihre Natur nicht verleugnen konnten. Sie mußten ihre Führungsqualitäten ausüben, ebenso wie ein Krebs kriechen und ein Vogel singen muß. Und so geschah es, daß die phantastische Kraft jener Männer, die zuvor für sich selbst gearbeitet hatten, nun zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt wurde. Die Handvoll Eisenbahnbosse arbeiteten zusammen, um ein nationales Eisenbahnsystem zu schaffen, das erstaunlich leistungsfähig war. Diese Chefs waren nicht die Wall-Street-Eisenbahnmagnaten, sondern diejenigen, die früher wirklich die Arbeit erledigt hatten.

Die Wall Street war tot. Es wurde nicht mehr gekauft, verkauft, spekuliert. Es gab nichts mehr zu spekulieren. „Laßt die Aktienspekulanten selbst arbeiten“, sagte Goliah. „Gebt den Jungen, die willig sind, eine Chance, nützliche Berufe zu erlernen. Sollen die Handelsvertreter und Kaufleute, die Werbeagenten und Grundstücksmakler richtig arbeiten.“ Und zu Hunderttausenden gingen die ehemals faulen Zwischenhändler und Parasiten nützlichen Beschäftigungen nach. Die vierhunderttausend faulenzenden Landbesitzer, die von ihren Einkommen gelebt hatten, wurden gleichermaßen zur Arbeit angehalten. Dann existierte da noch die Masse hilfloser Männer in hohen Positionen, mit denen aufgeräumt wurde, wobei das Bemerkenswerte darin bestand, daß dies durch die eigenen Kollegen geschah. Zu dieser Schicht gehörten die professionellen Lobbyisten, deren Weisheit und Macht darin bestand, Manipulationen und die Bestechungsmaschinerie zu betreiben. Es gab keine Bestechung mehr. Da kein Interesse mehr bestand, besondere Privilegien kaufen zu wollen, wurden den Gesetzgebern keine Bestechungsgelder mehr geboten, und so machten diese zum erstenmal Gesetze für die Menschen. Das Ergebnis war, daß solche Männer, die sich verdient gemacht hatten -aber nicht auf dem Gebiet der Korruption, sondern durch Führungsqualitäten - , in die gesetzgebenden Körperschaften kamen.

Durch diese rationelle Organisation der Gesellschaft wurden erstaunliche Resultate erzielt. Im ganzen Land herrschte der Achtstundenarbeitstag, und dennoch wurde die Produktion gesteigert. Trotz der ständigen Verbesserungen und der enormen Menge an Energie, die benötigt wurde, um das Chaos zu ordnen, verdoppelte und verdreifachte sich die Produktion von selbst. Der Lebensstandard erhöhte sich, und noch immer konnte der Verbrauch nicht mit der Produktion Schritt halten. Das Rentenalter wurde auf fünfzig, neunundvierzig, achtundvierzig Jahre herabgesetzt. Das Mindestarbeitsalter wurde von sechzehn auf achtzehn Jahre erhöht. Der Achtstundenarbeitstag wurde ein Siebenstundenarbeitstag, und nach wenigen Monaten wurde der allgemeine Arbeitstag auf fünf Stunden reduziert.

Mittlerweile kam den Menschen eine Ahnung - zwar nicht von der Identität Goliahs, aber von der Methode, wie er gearbeitet und sich auf die Übernahme der Weltherrschaft vorbereitet hatte. Gewisse Informationen sickerten durch, Hinweisen wurde nachgegangen, scheinbar unzusammenhängende Dinge wurden zusammengesetzt. Man erinnerte sich an seltsame Geschichten über den Raub von Schwarzen aus Afrika, das geheimnisvolle Verschwinden von chinesischen und japanischen Arbeitskulis, von Überfällen auf einsame Südseeinseln, deren Bewohner verschleppt worden waren. Geschichten über den mysteriösen Kauf von Jachten und Handelsschiffen, die dann verschwanden und deren Beschreibungen entfernt mit den Schiffen übereinstimmten, auf denen die Orientalen, Afrikaner und Insulaner entführt worden waren. Woher, so lautete die Frage, hatte Goliah die Mittel für seine Unternehmungen? Man vermutete, durch die Ausbeutung dieser Arbeitskräfte. Sie lebten in jenem exponierten Dorf auf der Palgrave-Insel. Ihre Arbeit hatte den Kauf der Jachten und Handelsschiffe ermöglicht und Goliah s Agenten in die Lage versetzt, die Gesellschaft zu unterwandern und seinen Willen auszuführen. Und was für ein Arbeitsprodukt war es, das Goliah den Reichtum verschaffte, womit er seine Pläne realisierte? Kommerziell nutzbares Radium, verkündeten die Zeitungen; sowie Badiyte, Radiosole, Ar-gatium, Argyte und das geheimnisvolle Golyte (das sich als besonders wertvoll in der Metallurgie erwiesen hatte). Das waren die im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckten neuen Verbindungen, deren kommerzielle und wissenschaftliche Verwendung im zweiten Jahrzehnt dann so wichtig wurde.

Die Obstfrachter auf der Linie Hawaii - San Francisco wurden als Goliahs Eigentum angesehen. Das war eine Vermutung, denn man fand keinen anderen Eigentümer, und die mit der Beladung der Schiffe Beauftragten waren nur Agenten. Da niemand anders die Obstfrachter besaß, mußten sie Goliah gehören. Die Sache war die: Es sickerte durch, daß der größte Teil des Weltangebots jener wertvollen Produkte auf diesen Obstfrachtern nach San Francisco gebracht wurde. Daß die ganze Kette von Vermutungen stimmte, konnte Jahre später bewiesen werden, als Goliahs Sklaven befreit und von der internationalen Weltregierung mit Ehrenpensionen bedacht wurden. Das geschah zu der Zeit, da das Siegel der Geheimhaltung von seinen Agenten und höheren Beauftragten gelöst wurde, und jene, die sich dazu entschlossen hatten, gaben vieles über das Geheimnis der Organisation und die Methoden Goliahs preis. Bis ans Ende der Zeiten werden jedoch die unentdeckt bleiben, die weiterhin auf sein Geheiß töteten - denn zu töten war ihr Auftrag, zu töten mit Hilfe jener raffinierten und damals noch geheimnisvollen Kraft, die Goliah entdeckt und „Energon“ genannt hatte.

Aber zu jener Zeit war Energon, der kleine Riese, der dazu ausersehen war, das Werk dieser Welt zu vollbringen, noch unbekannt und konnte nicht einmal im Traum gesehen werden. Nur Goliah kannte diese Kraft, und er hütete sein Geheimnis gut. Selbst seine Agenten, die mit dieser Erfindung ausgestattet waren und von der Jacht Energon aus eine mächtige Flotte von Kriegsschiffen zerstört hatten, indem sie deren Magazine zur Explosion brachten, wußten nicht, welche besondere und mächtige Kraft das war und wie sie erzeugt wurde. Sie kannten nur eine ihrer zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten, denn in dieser einen waren sie von Goliah unterwiesen worden. Es ist heute bekannt, daß Radium, Radyite, Radiosole und all die anderen Verbindungen Nebenprodukte der Erzeugung von Energon aus dem Sonnenlicht waren; zu jener Zeit wußte jedoch niemand, was Energon war, und Goliah fuhr fort, der Welt Furcht einzuflößen und sie zu beherrschen.

Eine der Verwendungsweisen des Energons lag in der drahtlosen Telegrafie. Dadurch konnte Goliah mit seinen Agenten in der ganzen Welt kommunizieren. Damals war ein Apparat, den ein Agent zu diesem Zweck bei sich haben mußte, so riesig, daß er nur in einem ziemlich großen Schiffsleib verstaut werden konnte. Heute kann der vervollkommnete Apparat dank der von Hendsoll vorgenommenen Verbesserungen in einer Manteltasche getragen werden.

Im Dezember schickte Goliah seinen berühmten „Weihnachtsbrief“ an die Welt, aus dem hier ein Ausschnitt zitiert werden soll:

„Bisher habe ich mich besonders um die Vereinigten Staaten gekümmert, wenn ich auch gleichzeitig dafür sorgte, daß sich die anderen Nationen nicht an die Kehle gingen. Ich habe dem Volk der Vereinigten Staaten die rationelle Gesellschaftsorganisation nicht geschenkt, sondern es gezwungen, sich diese Organisationsform selbst zu schaffen. Heute gibt es in den Vereinigten Staaten mehr Frohsinn und Vernunft als früher. Zu Essen und Unterkunft kommt man nicht mehr mit den anarchistischen Methoden des sogenannten Individualismus, sondern es geht fast von selbst. Und das Schöne daran ist, daß die Menschen der Vereinigten Staaten dies alles allein geschafft haben. Nicht ich habe es für sie durchgesetzt. Ich wiederhole, sie haben es selbst erreicht. Alles was ich getan habe, war Angst in die Herzen der wenigen zu säen, die die hohen Positionen einnahmen und die den Einzug der Vernunft und des Frohsinns verhindern wollten. Die Angst vor dem Tod ließ diejenigen in den hohen Positionen ihren Platz räumen, so daß der Verstand des Menschen eine Chance bekam, sich gesellschaftlich zu verwirklichen.

Im kommenden Jahr werde ich mich der übrigen Welt widmen. Ich werde die Todesfurcht in die Herzen derjenigen säen, die in den betreffenden Ländern die hohen Positionen einnehmen. Und sie werden das gleiche tun wie in den Vereinigten Staaten - von ihren hohen Positionen abtreten und dem Verstand des Menschen eine Chance zu seiner Verwirklichung geben. Alle Nationen sollen den Weg der Vereinigten Staaten gehen. Wenn sie sich alle auf diesem Weg befinden, habe ich noch etwas für sie. Aber erst müssen sie den Weg selbst gehen. Sie müssen zeigen, daß die Intelligenz der heutigen Menschheit mit der ihr zur Verfügung stehenden mechanischen Energie in der Lage ist, die Gesellschaft so zu organisieren, daß Essen und Wohnung eine Selbstverständlichkeit sind, die Arbeit auf den Dreistundentag reduziert werden kann, Freude und Frohsinn universell sind. Und wenn das erreicht sein wird, nicht durch mich, sondern durch die menschliche Intelligenz, dann werde ich der Welt eine neue mechanische Energie schenken. Meine Entdeckung. Dieses Energon ist nicht mehr und nicht weniger als die in den Sonnenstrahlen wohnende kosmische Energie. Wenn sie vom Menschen beherrscht wird, erledigt sie die Arbeit für ihn. Es wird kein Heer von Bergarbeitern mehr geben, die ihr Leben im Erdinnern verausgaben, keine rußigen Heizer oder ölverschmierte Maschinisten. Alle können sich weiß kleiden, wenn sie es wollen. Das Lebenswerk wird ein Spiel sein, jung und alt werden Kinder der Freude sein, das Leben selbst wird Freude sein; sie werden miteinander um ethische Ideale und geistige Höhen wetteifern, auch in der Kreation von Bildern und Liedern, in der Staatskunst sowie auch in der Kunst des Schönen, im Kampfschweiß des Ringers, des Läufers, des Spielers - sie werden nicht um schnödes Geld und materiellen Gewinn wetteifern, sondern um der Freude willen, die sie an der Ausbildung und der Kraft des Körpers sowie der Ausbildung und Wachheit des Geistes haben werden. Alle werden ihres Glückes Schmied sein, und ihre Bestimmung ist es, aus dem klingenden Amboß des Lebens das Lachen herauszuschlagen.

Nun ein Wort zur unmittelbaren Zukunft. Am Neujahrstag sollen alle Nationen abrüsten, alle Festungen und Kriegsschiffe sollen demontiert, alle Armeen aufgelöst werden.

Goliah“

Am Neujahrstag rüstete die ganze Welt ab. Millionen von Soldaten und Seeleuten sowie Arbeitern aus den stehenden Heeren, den Flotten, den zahllosen Arsenalen, Werkstätten und Fabriken zur Herstellung der Kriegsmaschinerie wurden nach Hause entlassen. Diese Millionen von Menschen sowie die teure Kriegsmaschinerie waren bisher auf Kosten der Arbeiter unterhalten worden. Diese Menschen gingen nun nützlichen Beschäftigungen nach, und dieser befreite Arbeitsriese stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Weltpolitik war nun Sache von Friedensoffizieren, und sie war sozial, wohingegen der Krieg eindeutig antisozial gewesen war.

Neunzig Prozent der Verbrechen waren Verbrechen gegen Privateigentum gewesen. Mit der Abschaffung des Privateigentums, zumindest was die Produktionsmittel anbelangte, und mit einer Wirtschaftsform, die jedem eine Chance gab, hörten die Verbrechen gegen das Privateigentum praktisch auf. Überall wurden die Polizeikräfte stetig reduziert. Fast alle gelegentlichen und gewohnheitsmäßigen Kriminellen ließen freiwillig von ihren Raubzügen ab. Es gab keine Notwendigkeit mehr für sie, Verbrechen zu begehen. Sie änderten sich einfach mit den sich ändernden Verhältnissen. Eine kleinere Gruppe von Kriminellen wurde durch Krankenhausbehandlung geheilt. Und der Rest der hoffnungslos Kriminellen und Verkommenen wurde isoliert. Die Zahl der Gerichtshöfe wurde ebenfalls in allen Ländern ständig verringert. Fünfundneunzig Prozent aller Zivilfälle waren Streitigkeiten um Eigentum, Konflikte im Eigentumsrecht, Klagen und Streitigkeiten um Testamente, Vertragsbrüche, Bankrotte und anderes mehr gewesen. Mit der Beseitigung des Privateigentums verschwanden auch diese Fälle, die die Gerichte überlastet hatten. Die Gerichte führten nur noch ein Schattendasein, waren geschwächte Gespenster, Rudimente aus den anarchistischen Zeiten vor Goliah.

Das Jahr war ein besonderes Jahr in der Weltgeschichte. Goliah regierte die Welt mit strenger Hand. Könige und Kaiser begaben sich zur Palgrave-Insel und betrachteten die Wunder des Energons. Sie verließen die Insel mit Todesangst im Herzen, um am Ende Thronen, Kronen und Erbrechten zu entsagen. Sprach Goliah mit Politikern, gehorchten diese, oder sie starben. Er diktierte universelle Reformen, löste aufsässige Parlamente auf, er schickte seine Todesengel, als es zur großen Konspiration von rebellischen Geldherren und Großindustriellen kam. „Die Zeit, den Narren zu spielen, ist vorbei,“ sagte er ihnen. „Ihr seid ein Anachronismus. Ihr steht der Menschheit im Wege. Auf den Müllhaufen mit euch.“ Denen, die widersprachen, und es waren viele, sagte er: „Das ist nicht die Zeit für Wortgefechte. Ihr könnt jahrhundertelang argumentieren. Das habt ihr in der Vergangenheit immer getan. Ich habe keine Zeit für Dispute. Geht mir aus dem Wege.“

Außer daß er Kriege unterbrach und den allgemeinen großen Plan darlegte, tat Goliah nichts. Indem er Todesfurcht in die Herzen derer säte, die die hohen Positionen einnahmen und die den Fortschritt hemmten, schuf Goliah die Möglichkeit für die Freisetzung der Intelligenz der besten sozialen Denker der Welt. Goliah überließ all die vielfältigen Details der Umgestaltung diesen sozialen Denkern. Sie sollten beweisen, daß sie in der Lage dazu waren, und sie bewiesen es. Es war ihrer Initiative zu verdanken, daß die weiße Pest von der Welt verschwand. Es ging auf sie zurück, daß trotz starker Proteste der Sentimentalisten alle Träger schlimmster Erbkrankheiten isoliert und mit Heiratsverbot belegt wurden.

Goliah hatte auch absolut nichts mit der Gründung der Schulen für Erfinder zu tun. Diese Idee war praktisch gleichzeitig in den Köpfen Tausender von sozialen Denkern entstanden. Zum ersten Male diente die Genialität des Menschen dazu, das Leben zu vereinfachen, anstatt irgendwelche Erfindungen zu ersinnen, mit denen man Geld verdienen konnte. Die Dinge des täglichen Lebens wie Saubermachen, Geschirrspülen, Fensterputzen, Staubwischen, Schrubben, Wäschewaschen und all die endlosen primitiven und notwendigen Kleinigkeiten wurden durch Erfindungen leichter gemacht, bis sie sich ganz und gar automatisch erledigten. Wir können uns heute das elende schmutzige und sklavische Leben vor gar nicht mehr vorstellen.

Die internationale Weltregierung war auch ein Gedanke, den Tausende gleichzeitig hatten. Die erfolgreiche Realisierung dieser Idee war für viele eine Überraschung, aber das war nichts gegen die Überraschung der protestantisch angehauchten Soziologen und Biologen, als unabweisbare Tatsachen die Malthussche Lehre sprengten. Angesichts der Muße und Freude in der Welt, eines sehr viel höheren Lebensstandards, des üppigen Angebots an Erholungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, des Strebens nach Schönheit und edlem Geist sowie all den anderen höheren Eigenschaften sank die Geburtenrate, und zwar erstaunlich. Die Menschen hörten auf, sich unüberlegt zu vermehren. Ja es war sogar unmittelbar spürbar, daß das Niveau der geborenen Kinder höher war. Die Lehre des Malthus löste sich in ein Nichts auf - oder, um mit Goliahs Worten zu sprechen, flog auf den Abfallhaufen.

Alles was Goliah vorausgesagt hatte, hatte die Intelligenz des Menschen mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden mechanischen Energie erreicht. Menschliche Unzufriedenheit verschwand praktisch. Die Älteren waren die großen Nörgler, aber als sie von der Gesellschaft in dem Augenblick, da sie das Höchstarbeitsalter erreicht hatten, in Ehren pensioniert wurden, hörten die meisten auf, Unzufriedenheit zu äußern. Sie fanden, daß es ihnen besser ging, nun, da sie unter dem neuen Regime ihre alten Tage in Muße verbringen konnten, sie viel mehr Vergnügungen und Bequemlichkeiten genossen als je zuvor während ihrer arbeitsreichen und mühevollen Jugendzeit unter dem alten Regime. Die jüngere Generation hatte sich problemlos an die veränderte Ordnung gewöhnt. Die Summe menschlichen Glücks war gewaltig angewachsen. Die Welt war fröhlich und gesund geworden. Selbst die alten Professorenkäuze der Soziologie, die dem neuen Regime mit Macht entgegengetreten waren, beklagten sich nicht länger. Sie wurden viel besser honoriert als in der alten Zeit und waren dennoch nicht so abgearbeitet. Zudem waren sie mit der Revision der Soziologie und dem Schreiben neuer Lehrbücher zu diesem Gegenstand befaßt. Ja, es ist wahr, hin und wieder gab es atavistische Züge, Menschen, die sich nach den Fleischtöpfen und den kannibalischen Festen des alten vorgeblichen „Individualismus“ sehnten, Geschöpfe mit langen Zähnen und wilden Klauen, die ihre Mitmenschen zur Beute machen wollten: aber solche Wesen wurden als krank betrachtet und in Krankenhäusern behandelt. Ein kleiner Rest erwies sich jedoch als unheilbar und wurde deshalb in Heimen untergebracht, außerdem verwehrte man ihm das Recht zu heiraten. Auf diese Weise verhinderte man, daß es Nachkommen gab, die deren atavistische Züge hätten erben können.

Im Laufe der Jahre zog sich Goliah aus dem Geschäft der Weltleitung zurück. Es gab nichts mehr, das er hätte leiten können. Die Welt leitete sich selbst, und sie tat dies auf milde und schöne Weise. Im Jahre machte Goliah der Welt sein lange versprochenes Geschenk des Energons. Er hatte selbst Tausende von Möglichkeiten vorgesehen, wie dieser kleine Gigant die Arbeit der Welt leisten sollte, und er machte sie alle zur selben Zeit der Öffentlichkeit zugänglich. Sofort griffen die Schulen für Erfinder nach dem Energon und ersonnen hunderttausend weitere Möglichkeiten für seine Verwendung. Wie Goliah in einem Brief vom März bekannte, haben diese Schulen eine Reihe verwirrender Eigenschaften des Energons klären können, die ihm in den vergangenen Jahren Rätsel aufgegeben hatten. Mit der Einführung des Energons wurde der Zweistundenarbeitstag fast auf ein Nichts reduziert. Wie Goliah vorausgesehen hatte, war Arbeit wirklich zum Spiel geworden. So gewaltig war die Produktivität des Menschen dank des Energons und seiner vernünftigen sozialen Verwendungsweise, daß der bescheidenste Bürger in viel reicherem Maße Muße, Zeit und Lebensüberfluß genoß als der Privilegierteste unter dem alten anarchistischen System.

Niemand hatte Goliah je gesehen, und alle Menschen stimmten in den Ruf ein, daß sich ihr Heilsbringer zeigen möge. Ohne die Bedeutung der Entdeckung des Energons schmälern zu wollen, war man doch der Meinung, daß Goliahs große soziale Vision noch bedeutender war. Er war ein Übermensch, ein wissenschaftlicher Übermensch, und das Bedürfnis, ihn zu sehen, war fast unerträglich geworden. Im Jahre schließlich verließ er nach langem Zögern die Palgrave-Insel. Er kam am . Juni in San Francisco an, und zum erstenmal seit seinem Rückzug auf die Insel sah die Welt sein Gesicht. Und die Welt war enttäuscht. Ihre Phantasie hatte eine Heldengestalt aus Goliah gemacht. Er war der Mensch, ja der Halbgott, der den Planeten umgewälzt hatte. Die Taten Alexanders, Cäsars, Dschingis Khans und Napoleons waren ein Kinderspiel gegen seine kolossalen Errungenschaften.

Durch die Straßen von San Francisco schritt oder fuhr ein kleiner alter Herr von fünfundsechzig, gepflegt, mit rosaweißlichem Teint und einer kahlen Stelle auf dem Kopf von der Größe eines Apfels. Er war kurzsichtig und trug eine Brille. Ohne Brille zeigten sich fragende blaue Kinderaugen, die sanftes Staunen über die Welt ausdrückten. Seine Augen hatten eine Art zu zwinkern - wobei sich das ganze Gesicht verzog - , daß man den Eindruck gewann, er lache sich eins über den Riesenspaß, den er sich mit der Welt geleistet hatte, als er sie wider ihren Willen zu Glück und Frohsinn gezwungen hatte.

Für einen wissenschaftlichen Übermenschen und Welttyrannen zeigte er bemerkenswerte Schwächen. Er aß gern Süßes und war ganz verrückt nach gesalzenen Mandeln und Nüssen, besonders nach letzteren. Er trug immer eine Tüte davon in der Tasche und sagte häufig, daß die chemische Beschaffenheit seiner Natur dies verlange. Seine erstaunlichste Schwäche war wohl seine tiefverwurzelte Abneigung gegen Katzen. Man wird nie vergessen, wie er vor Angst plötzlich in Ohnmacht fiel, als während seiner Rede im Palast der Brüderschaft die Katze des Hausmeisters über die Bühne lief und an seinen Beinen vorbeistrich.

Kaum hatte er sich der Welt entdeckt, da hatte man ihn auch schon identifiziert. Freunde aus der alten Zeit erkannten in ihm unschwer Percival Stultz wieder, den Deutschamerikaner, der in der Gewerkschaft der Metallarbeiter gearbeitet hatte und zwei Jahre lang Sekretär der Gruppe der Internationalen Bruderschaft der Maschinenarbeiter gewesen war. , fünfundzwanzigjährig, hatte er wissenschaftliche Kurse an der Universität von Kalifornien belegt und sich etwas Geld verdient, indem er Kunden für eine Sache warb, die damals als Lebensversicherung bekannt war. Seine Zeugnisse aus der Studentenzeit sind im Universitätsmuseum aufbewahrt, und sie sind durchaus nicht von beneidenswerter Qualität. Die Professoren, bei denen er Vorlesungen hörte, erinnerten sich an ihn als einen ständig geistesabwesenden Studenten. Zweifellos existierten schon damals Bruchstücke jener grandiosen Vision, die ihn später einmal ganz erfüllen sollte.

Daß er sich Goliah genannt und in geheimnisvolles Dunkel gehüllt habe, sei ein kleiner Spaß gewesen, erklärte er später. Als Goliah oder etwas ähnliches sei er in der Lage gewesen, die Vorstellungskraft der Welt anzuregen und sie umzuwandeln, als Percival Stultz jedoch, der einen Backenbart und eine Brille trug und mit einem Gewicht von hundertachtzehn Pfund hätte er keine Nuß umwenden können, „nicht einmal eine gesalzene“.

Aber die Welt überwand ihre Enttäuschung über seine persönliche Erscheinung und sein Vorleben bald. Sie kannte und verehrte ihn als das größte Genie aller Zeiten, sie liebte ihn um seiner selbst willen, wegen seiner forschenden Augen und der unnachahmlichen Art, in der er sein Gesicht verzog, wenn er lachte, sie liebte ihn wegen seiner Einfachheit und Kameradschaftlichkeit wie auch Warmherzigkeit, wegen seiner Liebe zu gesalzenen Nüssen und seiner Abneigung gegen Katzen. Heute erhebt sich in der Wunderstadt von Asgard in eindrucksvoller Schönheit sein Denkmal, das alle Pyramiden sowie monströsen blutbefleckten Monumente der Antike in den Schatten stellt. Und auf dem Denkmal steht, wie alle wissen, in unvergänglicher Bronze die Prophezeiung und die Erfüllung: „Alle werden ihres Glückes Schmied sein, und ihre Bestimmung ist es, aus dem klingenden Amboß des Lebens das Lachen zu schlagen.“ Anmerkung des Herausgebers: Diese bemerkenswerte Arbeit ist das Werk von Harry Beckwith, einem Studenten an der Lo-well High School in San Francisco. Sie wird hier vor allem wegen des jugendlichen Alters des Autors abgedruckt. Wenngleich es ganz und gar nicht unsere Art ist, unsere Leser mit alter Geschichte zu belasten, so wird man doch unseren Beweggrund verstehen, wenn man erfährt, daß Harry Beckwith erst fünfzehn Jahre alt war, als er die vorliegende Geschichte schrieb. „Goliah“ gewann den ersten Preis im High SchoolWettbewerb im Jahre . Im vergangenen Jahr genoß Harry Beckwith das Vorrecht, zu einem sechsmonatigen Aufenthalt in Asgard auserwählt worden zu sein. Der Reichtum an historischem Detail, die Atmosphäre jener Zeit sowie der reife Stil sind besonders bemerkenswert für einen so jungen Menschen.



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