Zunächst möchte ich meine Hände in Unschuld waschen. Ich bin weder für die Urheberschaft seiner Geschichten zuständig, noch fühle ich mich für sie verantwortlich. Ich mache diese einschränkenden Vorbemerkungen, um meine Integrität zu bewahren. Ich habe eine gewisse Position errungen und auch eine Frau; und um des guten Namens der Gemeinschaft willen, die meinem Dasein die Ehre ihrer Anerkennung zukommen läßt, sowie um der Nachwelt willen kann ich Gelegenheiten nicht mehr beim Schöpfe packen wie früher oder bestimmte Möglichkeiten mit der sorglosen Nachlässigkeit der Jugend begünstigen. Ich wiederhole also, ich lege meine Hände nicht ins Feuer für diesen Nimrod, diesen starken Jäger, diesen gemütlichen, blauäugigen, sommersprossigen Thomas Stevens.
Da ich immer ehrlich zu mir selbst war, und angesichts der absehbaren Güte, mit der meine Frau mich gewiß freudig umhegen wird, kann ich es mir nun leisten, großzügig zu sein. Ich werde die Geschichten, die Thomas Stevens mir erzählt hat, nicht kritisieren, und ich werde mich auch jedes Urteils enthalten. Fragt man mich, warum, kann ich nur hinzufügen, daß ich mir kein Urteil erlauben kann. Ich habe lange nachgedacht und dies und das erwogen, aber niemals glich eine Schlußfolgerung der anderen - denn Thomas Stevens ist wahrhaftig ein größerer Mann als ich. Hat er die Wahrheit gesagt, gut und schön, hat er die Unwahrheit gesagt, auch gut und schön. Denn wer kann beweisen, was wahr oder unwahr ist? Ich selbst halte mich aus der Sache heraus, und die, die nur wenig Vertrauen haben, können tun, was ich getan habe - nämlich besagten Thomas Stevens suchen gehen und mit ihm persönlich über die Dinge sprechen, die ich, so das Glück es will, erzählen werde. Wo er zu finden ist? Die Richtung ist einfach: entweder irgendwo zwischen dem . nördlichen Breitengrad und dem Pol oder in den ergiebigsten Jagdgründen, die zwischen der Ostküste Sibiriens und dem weiten Labrador liegen. Daß er sich irgendwo in diesem genau definierten Territorium aufhält, dafür gebe ich das Wort eines Ehrenmannes, dessen Haltung in jedem Fall aufrichtige Worte und eine rechte Lebensart garantiert.
Thomas Stevens mag in ungewöhnlicher Weise mit der Wahrheit gespielt haben, aber man bedenke, als wir uns das erstemal begegneten (diese Stelle wäre es wert, markiert zu werden), kam er in mein Lager gelaufen, als ich glaubte, um die tausend Meilen vom äußersten Rand der Zivilisation entfernt zu sein. Beim Anblick seines menschlichen Gesichts, des ersten nach beschwerlichen Monaten, hätte ich hochspringen und ihn in meine Arme schließen mögen (und dabei bin ich kein Mann von demonstrativer Art); aber für ihn schien dieser Besuch die gewöhnlichste Sache der Welt zu sein. Er kam einfach in den Lichtkreis meines Lagers spaziert und verbrachte die Zeit nach der Art der Männer, die in der immer gleichen, abgedroschenen Weise ihre Tage herunterbrachten, schob meine Schneeschuhe auf die eine Seite und ein paar von den Hunden auf die andere, um so Platz für sich am Feuer zu schaffen. Sagte, er sei nur vorbeigekommen,- um sich eine Prise Soda zu borgen und zu sehen, ob ich vernünftigen Tabak habe. Er holte eine altertümliche Pfeife hervor, stopfte sie mit peinlicher Sorgfalt und schüttete, ohne meine Erlaubnis abzuwarten, die Hälfte meines Tabaks in seinen Beutel. Ja, das Zeug war wirklich gut. Er seufzte mit der Zufriedenheit des Gerechten und sog den Rauch der trockenen gelben Blätter förmlich auf; es tat einem alten Raucher gut, ihm zuzusehen.
Jäger? Trapper? Goldsucher? Er zuckte mit den Achseln. Nein, er wolle sich nur mal so ein bißchen umsehen. Sei vor einiger Zeit vom Great Slave gekommen und wolle rüber ins Yukon-Land schlendern. Der Faktor von Koshim habe über die Entdeckungen im Klondike gesprochen, und er denke daran, rüberzugehen und sich die Sache mal anzusehen. Mir war aufgefallen, daß er vom Klondike in der uralten einheimischen Form sprach, indem er ihn den Reindeer River nannte - ein Name, den die alten Hasen in arroganter Weise gegenüber den Che-cha-quas und den Neuankömmlingen im allgemeinen gebrauchten. Er aber hatte es ganz naiv und natürlich gesagt, so daß es nicht verletzend war und ich ihm verzieh. Er habe auch daran gedacht, sagte er, bevor er die Wasserscheide nach Yukon überquere, einen kleinen Abstecher in Richtung Fort Good Hope zu machen.
Fort Good Hope - nun, das bedeutet eine weite Reise in den Norden, über den Polarkreis in ein Gebiet, das nur wenige Männer bisher betreten haben; und wenn da so eine Vogelscheuche aus der Nacht von irgendwoher hereinschneit, sich ans Feuer setzt und von solchen Dingen mit Ausdrücken wie „schlendern“ und „einen kleinen Abstecher machen“ redet, ist es Zeit, daß man aufwacht und den Traum abschüttelt. Ich schaute mich also um; sah den Zelteingang und darunter die Tannenzweige, die für die Schlafpelze ausgestreut waren, sah die Proviantsäcke, die Kamera, den eisigen Atem der Hunde, die am Rande des Lichtkreises lagen, und über mir den großen Lichtstreifen des Nordlichts, das den Zenit von Südost nach Nordwest umspannte. Mich fröstelte. Es gibt in den nordischen Nächten einen Zauber, der sich wie das Fieber der Malariasümpfe über einen legt. Man wird ergriffen und niedergeworfen, ehe man es gewahr wird. Dann sah ich zu den Schneeschuhen, die umgekehrt und gekreuzt lagen, wie er sie hingeschleudert hatte. Ich prüfte auch meinen Tabakbeutel. Mindestens die Hälfte meines beträchtlichen Vorrats war verschwunden. Damit war es klar. Ich war also nicht irgendwelchen Wahnvorstellungen erlegen.
Verrückt vor Kummer, dachte ich, als ich den Mann unverwandt anblickte - einer von jenen wilden Goldsuchern, die weit von ihrer Richtung abgetrieben waren und wie eine verlorene Seele durch weite Fernen und unbekannte Tiefen wander-ten. Nun gut, warum sollte sein Gemüt nicht einmal schwanken, bis er vielleicht seine verwirrten Sinne wieder beisammen hatte. Wer weiß - der bloße Klang der Stimme eines Mitmenschen konnte möglicherweise alles wieder ins Lot bringen.
So ließ ich ihn weitererzählen und wunderte mich bald, denn er sprach über die Jagd und die verschiedenen Arten zu jagen. Er habe den sibirischen Wolf im äußersten Westen Alaskas getötet und die Gemse in den verborgenen Rockies. Er behauptete, er kenne die Gebiete, wo sich der letzte Büffel rumtreibe; daß er an den Flanken des Karibus gehangen habe, als diese zu Hunderttausenden umhergezogen seien, und daß er auf der Winterspur des Moschusochsen in den Great Barrens geschlafen habe.
Ich änderte nun meine Meinung zum erstenmal, aber keinesfalls zum letztenmal und hielt ihn für eine monumentale Verkörperung der Wahrheit. Ich weiß nicht, warum, jedenfalls erzählte nun ich eine Geschichte, die mir wiederum von einem Mann erzählt worden war, der so lange in dem betreffenden Land gelebt hatte, daß er es genau wissen mußte. Es war die Geschichte von dem großen Bären, der sich stets an den steilen Hängen des St. Elias aufhielt und niemals zu den sanfteren Hängen hinabstieg. Gott hatte diese Schöpfung nun so für das Leben am Hang ausgestattet, daß die Beine der einen Seite einen Fuß länger waren als die der anderen. Das ist sehr günstig, wie man ohne weiteres zugeben muß. Ich tat, als hätte ich dieses seltene Tier persönlich gejagt, erzählte in der Gegenwart, malte die örtlichen Gegebenheiten aus, schmückte die Geschichte mit dem nötigen Beiwerk und machte es so wahrscheinlich wie möglich und erwartete, daß der Mann über meine Erzählung erstaunt sein würde.
Aber nicht er. Hätte er Zweifel geäußert, hätte ich ihm verzeihen können. Hätte er Einwände erhoben, hätte er die Gefährlichkeit dieser Jagd geleugnet, da das Tier ja unfähig gewesen wäre, sich umzudrehen und in die andere Richtung zu laufen - hätte er das getan, ich sage Ihnen, ich hätte ihm als echtem Jäger die Wahrheit gesagt. Aber nicht er. Er schnupperte, sah mich an, schnupperte wieder und lobte meinen Tabak, wie es sich gehörte, legte dann einen Fuß auf meinen Schoß und forderte mich auf, das Schuhwerk zu prüfen. Es handelte sich um einen Mucluc in der Art der Innuit, ohne Perlen oder Pelzbesatz. Aber das Leder selbst war auffallend. Mit seiner Stärke von einem halben Zoll erinnerte es mich an die Haut eines Walrosses, aber weiter ging die Ähnlichkeit nicht. Denn kein Walroß hatte einen so wunderbaren Haarwuchs. An den Seiten und den Knöcheln war das Haar fast abgewetzt von der Berührung mit dem Strauchwerk und dem Schnee, aber an der Spitze und weiter hinten an den besser geschützten Stellen war es sehr derb, schmutzig-schwarz und mächtig dick. Ich zerteilte das Fell mit Mühe und suchte darunter das feine Haar, das für die Tiere des Nordens so typisch ist, aber in diesem Falle nicht vorhanden war. Dieser Mangel wurde indessen durch die Haarlänge wieder gutgemacht. Die Haarbüschel, die die Abnutzung überstanden hatten, maßen allesamt sieben oder acht Zoll. Ich schaute dem Mann ins Gesicht, dieser nahm seinen Fuß herunter und fragte: „Findet Ihr solch ein Fell an euerm Saint-Elias-Bären?“
Ich schüttelte den Kopf. „Auch an keinem anderen Geschöpf an Land oder auf See“, antwortete ich freimütig. Stärke und Länge des Haares verwirrten mich.
„Das hier“, sagte er, und zwar ohne im mindesten beeindruckt zu sein, „das stammt von einem Mammut.“
„Unsinn!“ rief ich aus, denn ich konnte meine Ungläubigkeit nicht verbergen. „Das Mammut, mein Herr, ist seit langem von der Erde verschwunden. Durch fossile Überreste, die wir ausgegraben haben, und durch ein Mammut im Eis, das die sibirische Sonne, die es aus glazialer Tiefe schmolz, völlig unversehrt vorfand, wissen wir, daß das Mammut einstmals auf der Erde existierte; wir wissen aber auch, daß es kein lebendes Exemplar mehr gibt. Unsere Forscher - “
Bei diesem Wort unterbrach er ungeduldig. „Eure Forscher? Pah! Das sind doch ganz jämmerliche Kerle. Erzählt mir nichts mehr von denen. Aber erzählt mir, Mann, was Ihr über das Mammut und seine Lebensweise wißt.“
Ohne zu übertreiben, entspann sich daraus eine richtige Geschichte, ich fraß mich regelrecht fest, indem ich in meinem Gedächtnis nach allen möglichen Daten über den Gegenstand kramte. Zuerst einmal betonte ich, daß es ein prähistorisches Tier sei, und führte alle Fakten an, die das bestätigten. Ich erwähnte die sibirischen Sandbänke, in denen alte Mammutknochen in Überfülle verborgen waren; ich erzählte von den vielen Elfenbeinfossilien, die die Alaskahandelsgesellschaft den kanadischen Eskimos abkaufte; ich bekannte, daß ich selbst sechs bis acht Fuß lange Stoßzähne aus meinem Pachtgrund in den Klondike-Wasserläufen ausgegraben hatte. „Alles Fossilien“, schloß ich, „die im Geröll gefunden wurden, das sich über unzählige Jahrtausende angesammelt hat.“
„Ich erinnere mich“, Thomas Stevens schniefte (er hatte eine äußerst unangenehme Art, durch die Nase zu schniefen), „daß ich als Kind eine versteinerte Wassermelone sah. Daraus folgt also, daß es, auch wenn manche Leute in dem Wahn leben, Wassermelonen anzubauen und sie zu essen, so etwas wie Wassermelonen gar nicht gibt.“
„Aber die Nahrungsfrage“, wandte ich ein, wobei ich sein Argument, das kindisch und ohne Belang war, ignorierte. „Die Erde muß eine überreiche Vegetation hervorbringen, um solche monströsen Geschöpfe zu ernähren. Nirgends hier im Norden ist die Erde so freigebig. Ergo kann das Mammut nicht existieren.“
„Ich verzeihe Euch Eure Unkenntnis, was dieses Nordland betrifft, denn Ihr seid noch ein junger Mann und seid wenig gereist; gleichzeitig möchte ich Euch aber in einem zustimmen. Das Mammut existiert nicht mehr. Woher ich das weiß? Ich habe das letzte selbst mit meinem rechten Arm getötet.“
So sprach Nimrod, der Mächtige Jäger. Ich warf ein Stück Brennholz nach den Hunden und gebot ihnen, ihr scheußliches Geheul einzustellen, und wartete. Ganz sicher würde dieser einzigartige glückselige Lügner seinen Mund öffnen, um mir meinen St.-Elias-Bären heimzuzahlen.
„Es war so“, begann er schließlich, als sich die rechte Ruhe eingestellt hatte. „Eines Tages war ich im Lager - “
„Wo?“ unterbrach ich ihn.
Er deutete mit der Hand vage in nordöstliche Richtung, wo sich eine Terra incognita erstreckte, in deren Weiten sich nur wenige Männer verirrt haben und von wo noch weniger wiedergekehrt sind. „Ich war eines Tages mit Klooch im Lager. Klooch war eine so hübsche kleine Kamoocs-Hündin, wie es noch keine zuvor im Gespann gegeben hatte. Ihr Vater war ein Vollblut-Malemut aus Russisch-Pastilik in der Beringsee; ich habe sie mir mit viel Geschick von einer gutgebauten Hündin aus dem Hudson-Bay-Stamm herangezüchtet. Ich sage Euch, Mann, sie war eine phantastische Kombination. Und nun, an dem Tag, an den ich jetzt denke, sollte sie Junge von einem richtigen wilden Wolf aus dem Wald - grau und langgliedrig, mit großen Lungen und grenzenloser Kraft - werfen. Na! Hatte es so was schon gegeben? Ich hatte eine neue Hunderasse begründet, und große Dinge standen bevor.
Wie schon gesagt, es war alles gut verlaufen, auch das Werfen war glatt gegangen. Ich saß gerade so auf meinen vier Buchstaben bei dem Wurf - sieben kräftige, noch blinde Bürschchen - als von hinten ein Trompetenstoß und ein Geschmetter wie von Blechmusik zu hören war. Es war ein Brausen, als treibe ein Windstoß den Regen vor sich her. Ich wollte mich gerade aufrichten, als ich einen Schlag ins Gesicht bekam. In dem Augenblick hörte ich Klooch stöhnen und ächzen, wie jemand, der eine Faust in die Magengegend bekommen hatte.
Ihr könnt Gift drauf nehmen, daß ich ganz still lag, aber ich drehte meinen Kopf und sah einen riesigen wogenden Koloß über mir. Dann kam wieder blauer Himmel in Sicht, und ich richtete mich auf. Ein behaarter Fleischberg verschwand gerade im Unterholz am Rande des offenen Geländes. Ich sah ihn nur noch von hinten, den steifen Schwanz, der ganz gerade nach hinten abstand, so dick wie mein Körper. Im nächsten Augenblick war nur noch ein gewaltiges Loch im Dickicht zu sehen, aber den Lärm wie von einem schnell abklingenden Tornado konnte ich noch hören, während das Unterholz zerdrückt und zertrampelt wurde und die Bäume brachen und stürzten.
Ich hielt nach meinem Gewehr Ausschau. Es hatte auf der Erde gelegen, mit dem Abzug gegen einen Holzklotz; aber jetzt war der Gewehrschaft zerschmettert, der Lauf verbogen und die Abzugsvorrichtung in tausend Stücke zerbrochen. Dann sah ich nach der Hündin. Und was glaubt ihr?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Man verbrenne mich bei lebendigem Leibe, wenn noch etwas von ihr übrig war! Klooch und die sieben kräftigen blinden Bürschchen - weg, alle weg. Da, wo sie sich hingestreckt hatte, war ein schleimig-blutiger Abdruck in der weichen Erde, alles zusammen ein Yard Durchmesser und an den Rändern ein paar verstreute Haare.“
Ich maß drei Fuß im Schnee ab, machte einen Kreis darum und schaute Nimrod an.
„Das Biest war dreißig lang und zwanzig hoch“, antwortete er, „und seine Stoßzähne machten mehr als sechs mal drei Fuß aus. Ich konnte es damals selbst nicht glauben, vor allem, daß es gerade passiert sein sollte. Aber wenn es eine Sinnestäuschung gewesen wäre, dann waren da immer noch mein zerbrochenes Gewehr und das Loch im Gesträuch. Und da war Klooch - oder besser gesagt, da war sie eben nicht - , Klooch und die Jungen. Mann, es macht mich ganz fertig, wenn ich daran denke. Klooch! Eine neue Eva! Die Mutter einer neuen Rasse! Und ein wütender, tobender alter Mammutbulle fegt sie wie eine zweite Sintflut mit Stumpf und Stiel vom Antlitz der Erde weg. Wundert es Euch, wenn die blutgetränkte Erde zu Gott schrie? Oder daß ich die Axt griff und mich an die Verfolgung machte?“
„Mit der Axt?“ rief ich, außer mir bei der Vorstellung. „Eine Axt und ein großer Mammutbulle, dreißig Fuß lang, zwanzig Fuß - “
Nimrod stimmte in meine Fröhlichkeit ein und schmunzelte strahlend. „Ist das nicht zum Totlachen?“ rief er aus. „War das nicht wie eine Mücke gegen einen Elefanten? Ich habe seitdem oft darüber gelacht, aber damals war mir gar nicht zum Lachen zumute. Ich war fast wahnsinnig wegen des Gewehrs und wegen Klooch. Denkt doch mal, Mann! Eine ganz neue, noch nicht bestimmte, nicht eingetragene Zucht, und dann ausgelöscht, noch bevor sie die Augen öffnen und ihre Papiere kriegen konnte. So war es nun mal. Das Leben ist voller Enttäuschungen, und das ist richtig so. Fleisch schmeckt am besten nach langem Hungern, und ein Bett ist besonders weich nach harter Arbeit.
Wie schon gesagt, ich bin mit der Axt hinter dem Vieh her und war ihm das ganze Tal durch auf den Fersen. Aber als er sich einmal im Kreis drehte und wieder auf das Vorgebirge zustrebte, blieb ich atemlos unten zurück. Da wir vom Futter sprachen, könnte ich vielleicht eine Pause machen, bis ich ein paar Sachen erklärt habe. Da oben mitten in den Bergen gibt es eine sehr seltsam geformte Landschaft: endlose kleine Täler, eins wie das andere, glatt wie Erbsen in einer Hülse, und alle gut versteckt hinter hohen, felsigen Wänden, die sich zu allen Seiten erheben. Am unteren Ende der Felswände sind jeweils kleine Öffnungen, wo sich Abflüsse oder Gletscher einen Weg gebahnt haben müssen. Diese Öffnungen, die sehr klein sind, manche geradezu winzig, sind der einzige Zugang. Was nun das Futter betrifft - Ihr habt doch bestimmt den Sitkaweg auf den regendurchtränkten Inseln der Küste von Alaska durchstreift, denn wie ich sehe, kommt Ihr weit umher. Dann wißt Ihr auch, wie das Zeug dort wächst - hoch, saftig und undurchdringlich. Genauso war es in den besagten Tälern. Fette, reiche Erde mit Farnen und Gräsern, die an manchen Stellen über Euern Kopf hinausragen würden. Während der Sommermonate regnet es an drei von vier Tagen. Nahrung gibt es dort für tausend Mammute, ganz zu schweigen von Kleinwild für den Menschen.
Aber zurück zu meiner Geschichte. Am unteren Talende geriet ich also außer Atem und gab es auf. Ich dachte nach, denn während ich keine Luft mehr hatte, wurde ich immer wütender, und ich wußte, ich könnte nicht eher meinen Seelenfrieden finden, bis ich gebratenes Mammutbein essen würde. Und ich wußte auch, daß das Skookum mamook pukapuk - Verzeihung, ich meine Chinook - einen schweren Kampf mit sich bringen würde. Nun war die Talöffnung sehr eng, und die Bergwände waren sehr steil. Auf der einen Seite lag ganz oben ein riesengroßer Stein locker auf, der so seine paar hundert Tonnen wog. Das war’s. Ich machte mich auf den Weg zurück ins Lager, paßte immer auf, daß das Mammut nicht entwischen konnte, und holte mir meine Munition. Sie war ja wegen des kaputten Gewehrs nichts mehr wert. Ich öffnete die Patronen und legte das Pulver unter den Fels, dann wurde der Stein durch die schwache Zündung angestoßen. War ja keine große Ladung, aber der alte Brocken kippte gemächlich und fiel an der richtigen Stelle herunter, so daß gerade noch genug Platz war, daß das Flüßchen abfließen konnte. Jetzt hatte ich ihn.“ „Aber wie habt Ihr ihn erledigt?“ fragte ich. „Wer hat schon mal gehört, daß ein Mann ein Mammut mit der Axt tötet? Ja, kann er es überhaupt töten?“
„ Mann, hab ich Euch nicht erzählt, daß ich wahnsinnig war?“ erwiderte Nimrod mit einer gewissen Gereiztheit. „Wahnsinnig durch und durch, denkt an Klooch und das Gewehr. Und war ich denn nicht Jäger? Und war das nicht ein ganz neues und ungewöhnliches Wild? Eine Axt! Pah! Die brauchte ich nicht. Hört zu, und ihr werdet von einer Jagd hören, wie sie in der Kindheit der Erde hätte passiert sein können, als der Höhlenmensch seine Beute mit Steinäxten einkreiste. So etwas wäre auch für mich gut gewesen. Ist es nicht wahr, daß der Mensch einen Hund oder ein Pferd übertreffen kann?
Daß er sie durch Klugheit und Ausdauer überwältigt?“
Ich nickte. „Nun?“
Es dämmerte mir, und ich forderte ihn auf weiterzuerzählen.
„Mein Tal hatte vielleicht einen Umfang von fünf Meilen. Und es gab keinen Ausgang. Ein furchtsames Tier war der Mammutbulle, und er war mir ausgeliefert. Ich heftete mich wieder an seine Fersen, brüllte wie der Satan, bewarf ihn mit Steinen und jagte ihn dreimal um das Tal, ehe ich mich zum Abendbrot setzte. Versteht Ihr? Eine Wettlaufstrecke. Ein Mensch und ein Mammut! Ein Hippodrom mit Sonne, Mond und Sternen als Schiedsrichter! Zwei Monate brauchte ich. Aber ich hab’s geschafft. Und das ist kein Traum. Immer rundherum habe ich ihn getrieben. Dörrfleisch und Lachsbeeren hatte ich als Proviant. Hin und wieder gönnte ich mir auch ein kleines Nickerchen. Natürlich wurde er manchmal verrückt und drehte sich um. Dann begab ich mich auf weichen Boden, wo sich das Flüßchen ausbreitete, und verfluchte ihn und seine Vorfahren. Und wehe ihm, würde er mir folgen. Aber er war zu klug, als daß er sich auf diesen schlammigen Grund begab, wo er versunken wäre. Einmal hatte er mich an der Bergwand festgenagelt. Ich kroch in einen Felsspalt und wartete. Immer wenn er mit seinem Rüssel nach mir langte, schlug ich so lange mit der Axt darauf ein, bis er ihn zurückzog und vor Wut so laut brüllte, daß mein Trommelfell fast platzte.
Er wußte, daß er mich hatte und doch nicht an mich herankommen konnte, und das machte ihn rasend. Aber er wollte nicht der Narr eines Menschen sein.
Er wußte, er war in Sicherheit, solange ich in dem Felsspalt festsaß, und so hatte er beschlossen, mich dort zu halten. Er hatte ganz recht, nur hatte er nicht an die Verpflegung gedacht. An jener Stelle gab es weder Futter für ihn noch Wasser, er konnte die Belagerung also nicht aufrechterhalten. Er stand stundenlang vor dem Spalt und vertrieb mit seinen riesigen Ohrlappen die Mücken. Dann kam der Durst, er richtete sich drohend auf und brüllte, bis die Erde erbebte, und verfluchte mich mit allen Ausdrücken, deren seine Zunge fähig war. Das sollte mir natürlich angst machen. Und als er überzeugt war, mich ausreichend beeindruckt zu haben, schritt er vorsichtig zurück und versuchte, sich zum Wasser vorzutasten. Manchmal wartete ich, bis er fast dort war - das Wasser war nur ein paar hundert Yard entfernt - , dann sprang ich heraus, und der schwerfällige alte Brummer kam zurückgetrottet. Nachdem ich das ein paarmal gemacht hatte, hatte er es durchschaut und änderte seine Taktik. Hatte das Zeitelement erfaßt, versteht Ihr? Ohne eine Warnung lief er los, wahnsinnig vor Gier nach dem Wasser, allerdings in der Hoffnung, daß er es hin und zurück schaffen würde, bevor ich weglaufen konnte. Schließlich hob er die Belagerung unter fürchterlichstem Fluchen gegen mich auf und ging entschlossen fort zu dem Wasserloch. Das war das einzige Mal, daß er mich eingesperrt hatte, danach gab es keine Pause mehr auf dem Hippodrom. Immer rundherum, wie eine Sechstagetour auf mein Kommando, bitte schön. Meine Sachen gingen in Fetzen, aber ich hielt nicht inne, um sie zu flicken, so daß ich am Ende nackt wie ein Sohn der Erde herumlief, nur mit der Axt in der einen und einem Stein in der anderen Hand. Ich hielt tatsächlich niemals inne, mit Ausnahme kurzer Augenblicke, in denen ich in Felsrissen und -spalten schlief. Der Bulle aber wurde spürbar dünner - er muß mindestens ein paar Tonnen abgenommen haben - , und schließlich war er so nervös wie eine Schullehrerin, die das Heiratsalter längst überschritten hat. Wenn ich auf ihn zukam und brüllte oder ihn von weitem mit Steinen bewarf, sprang er wie ein scheues Fohlen umher und zitterte am ganzen Leibe. Dann rannte er gewöhnlich los, Schwanz und Rüssel steif, den Kopf schräg über die Schulter gelegt und mit böse funkelnden Augen, wobei er mich aufs fürchterlichste verfluchte. Er war ein sehr unanständiges Geschöpf, ein Mörder und Gotteslästerer.
Aber als es dem Ende zuging, gab er dieses Gebaren auf und verfiel aufs Jammern und Schreien, gerade wie ein Säugling. Sein Geist war gebrochen, und er war nur noch ein zitterndes Häufchen Elend. Er litt an Herzattacken und schwankte wie ein Betrunkener, fiel hin und schürfte sich die Schienbeine auf. Dann schrie er, aber lief immer weiter. Mann, die Götter selbst hätten mit ihm geweint und auch Ihr und jeder andere Mensch. Es war zum Erbarmen. Aber ich verhärtete mein Herz und beschleunigte das Tempo. Schließlich hatte ich ihn glatt erledigt, und er lag atemlos mit gebrochenem Herzen, hungrig und durstig danieder. Als ich sah, daß er sich nicht mehr bewegte, fesselte ich ihn und befaßte mich die meiste Zeit des Tages damit, mich mit der Axt in ihn hineinzuarbeiten, wobei er schnaufte und ächzte, bis ich so weit vorgedrungen war, daß ich ihn töten konnte. Dreißig Fuß lang und zwanzig Fuß hoch, zwischen seinen Stoßzähnen hätte man bequem eine Hängematte spannen und darin schlafen können. Abgesehen davon, daß ich alle Kraft aus ihm herausgepreßt hatte, war er gut zu essen, seine vier Beine allein, rundum gebraten, hätten einen Mann zwölf Monate lang ernährt. Ich blieb den Winter über dort.“
„Und wo befindet sich dieses Tal?“ fragte ich.
Er winkte in nordöstliche Richtung und sagte: „Euer Tabak ist gut. Ich habe eine gute Portion davon in meinem Beutel; die Erinnerung daran werde ich bis zu meinem Tode bewahren.
Als Zeichen meiner Wertschätzung und im Tausch gegen die Mokassins an Euren Füßen möchte ich Euch diese Muclucs schenken. Sie sind eine Erinnerung an Klooch und die sieben blinden Kerlchen. Sie sind auch eine Erinnerung an ein geschichtliches Ereignis ohnegleichen, nämlich an die Vernichtung der ältesten und jüngsten Tierart auf Erden. Der größte Vorzug dieses Schuhwerks besteht darin, daß es sich niemals abträgt.“
Nach dem Tausch klopfte er die Asche aus der Pfeife, griff meine Hand zum Gruß und wanderte fort durch den Schnee. Was diese Geschichte betrifft, für die ich bereits jede Garantie abgelehnt habe, kann ich den Zweiflern nur empfehlen, dem Smithsonian Institut einen Besuch abzustatten. Wenn man die erforderlichen Empfehlungsschreiben vorlegt und nicht gerade in der Ferienzeit kommt, wird einem von Professor Dolvidson gewiß eine Audienz gewährt. Die Muclucs sind in seinem Besitz, und er wird wenngleich nicht die Art und Weise, in der man zu ihnen gelangte, aber doch das Material, aus dem sie hergestellt sind, bestätigen. Wenn er erklärt, daß sie aus Mammutfell gemacht sind, wird die wissenschaftliche Welt seinem Urteil glauben. Was wollen Sie mehr?