König Globares und die Weisen

Globares, der auf Eparis herrschte, beschied einst die weisesten Männer vor sein Angesicht und sprach zu ihnen:“Fürwahr, gräßlich ist das Los eines Königs, der schon alles kennt, was sich kennen läßt. Hohl wie ein gesprungener Krug klingt ihm, was zu ihm gesprochen wird. Ich wünsche zu staunen und werde gelangweilt; ich begehre das Erschütternde und höre fades Gewäsch; ich fordere Außergewöhnliches, und man bietet mir platte Schmeichelei. Wisset, o weise Männer, daß ich heute meine Possenreißer und Narren wie auch Hausrat und Hofrat samt und sonders habe köpfen lassen. Euch erwartet ein gleiches Los, wenn ihr mein Gebot nicht erfüllt. Jeder erzähle mir die seltsamste Geschichte, die er weiß. Doch wenn mich einer weder lachen noch weinen macht, weder verblüfft noch ängstigt, weder belustigt noch zum Nachdenken zwingt, — dann kostet es ihn seinen Kopf!“ Der König winkte, und die weisen Männer hörten den stählernen Schritt der Schergen. Die kamen heran und umringten sie zu Füßen des Throns und hielten entblößte Schwerter, die wie Flammen blitzten. Da ängstigten sich die weisen Männer, und einer stupste den anderen mit dem Ellbogen, denn keiner wollte des Königs Zorn auf sich ziehen und den Kopf dem Richtschwert aussetzen. Endlich sprach der erste Weise:

„Mein Herr und König! Die seltsamste Geschichte im ganzen sichtbaren und unsichtbaren Kosmos ist zweifellos die der Sternvölkerschaft, welche in den Chroniken die kehrseitlerische heißt. Seit ihrer Frühzeit haben die Kehrseitler alles umgekehrt angefangen als irgendein vernunftbegabtes Wesen. Ihre Vorfahren siedelten sich auf dem Planeten Urdrur an, der für seine Vulkane berühmt ist. Jahr für Jahr bringt er Gebirgszüge hervor. Dabei erschüttern ihn furchtbare Zuckungen, denen nichts standhält. Und zu allem Unglück gefiel es dem Himmel, die Erdkugel der Kehrseitler dem großen Meteorstrom in die Quere zu legen. Zweihundert Tage im Jahr trommelt er mit Scharen steinerner Rammböcke auf den Planeten ein. Die Kehrseitler (die damals noch nicht so hießen) errichteten ihre Bauten aus Hartguß und Hartstahl; sich selbst aber beschlugen sie so dick mit Stahlblech, daß sie wie gepanzert wandelnde Hügel aussahen. Doch ihre stählernen Burgen verschlang der aufklaffende Boden beim erstbesten Erdbeben, und der Hammerschlag der Meteore zermalmte die Panzerung. Als das ganze Volk unterzugehen drohte, versammelten sich seine weisen Männer und hielten Rat. Da sprach der erste: 'So, wie es jetzt beschaffen ist, kann unser Volk nicht bestehen. Unser einziges Heil liegt in der Umwandlung. Die Erde öffnet ihre Spalten von unten her. Um nicht hineinzufallen, muß also jeder Kehrseitler eine breite und platte Grundfläche aufweisen. Meteore wiederum hagelt es von oben, daher muß jeder nach oben spitz zulaufen. Sind wir erst kegelförmig, so droht uns nichts mehr!'Da sprach der zweite: 'Anders müssen wir es anfangen. Wenn die Erde ihren Rachen weit aufsperrt, verschlingt sie auch einen Kegel. Und ein schräg auftreffender Meteor durchschlägt ihm die Flanken. Die ideale Gestalt ist die der Kugel. Denn wenn der Boden zu beben und zu schwanken anfängt, rollt die Kugel immer von selbst davon. Fällt aber ein Meteor, so trifft er eine rundliche Fläche und prallt ab. So sollten wir uns umwandeln, um in eine bessere Zukunft zu rollen.'

Da sprach der dritte: 'Auch eine Kugel kann zermalmt und verschlungen werden, so gut wie jede Gestalt der Materie. Es gibt keinen Schild, den ein genügend starkes Schwert nicht durchbohren könnte, und kein Schwert, das sich an einem harten Schild nicht schartig schlüge. Die Materie, o Brüder, ist ewiges Auf und Ab, stets im Fluß und im Umbau. Sie ist nichts Bleibendes, und wahrhaft vernunftgekrönte Wesen sollten nicht sie zur Wohnung wählen, sondern das, was unveränderlich, ewig und vollkommen und dennoch von dieser Welt ist.''Und was ist das?' — fragten die anderen Weisen. 'Durch die Tat will ich es euch lehren!' — entgegnete der dritte. Und vor ihren Augen begann er sich auszuziehen. Er legte das kristallbesäte Übergewand ab, das goldgewirkte Zwischengewand und das silberne Untergewand; er legte das Gehäuse des Schädels ab und das der Brust; dann aber zog er immer schneller immer feinere Teile aus sich aus; er nestelte die Gelenke auf, und nach den Gelenken die Fugen, nach den Fugen die Schrauben, nach den Schrauben die Drähtchen, die Krümelchen, — bis er zuletzt die Atome anpackte. Und da begann dieser Weise seine Atome zu schälen. Und er schälte sie so flink, daß nur sein Dahinschmelzen und Schwinden sichtbar wurde und sonst nichts. Und so geschickt ging er vor, und so sehr beeilte er sich bei seinem Ausziehen, daß er zuletzt vor den Augen der entgeisterten anderen Weisen als vollkommene Abwesenheit dastand. Die war seine getreue Umkehrung und als solche anwesend. Denn wo er vorher ein Atom gehabt hatte, genau dort hatte er jetzt kein Atom; wo soeben sechs gewesen waren, zeigte sich das Fehlen dieser sechs; und wo er sich eine Schraube ausgezogen hatte, verblieb das Fehlen einer Schraube, und es glich ihr getreulich in allem. Und so wie vorher seine Völle gliederte sich nun seine Leere, und sein Fehlen war ohne Fehl. Denn da er so schnell gearbeitet und so geschickt manövriert hatte, verunreinigte ihm kein Teilchen, kein materielles Fremdkörperchen die höchste Vollendung der anwesenden Abwesenheit! Und die anderen sahen ihn als Leerheit, die so gestaltet war, wie vor ener Weile er selbst; sie erkannten seine Augen an der Abwesenheit schwarzer Farbe, sein Gesicht am Fehlen blauen Schimmers und die Gliedmaßen an den verschwundenen Fingern, Gelenken und Achselstücken. 'Auf solche Weise, o Brüder' — sprach der vorhandene Abhandene — 'nämlich durch tätige Umverkörperung ins Nichts, erringen wir nicht nur ungeheure Härte im Nehmen, sondern auch Unsterblichkeit. Denn nur die Materie verändert sich. Das Nichts begleitet sie nicht auf dem Weg fortgesetzter Ungewißheit. Daher wohnt Perfektion dem Nichts inne, nicht dem Etwas. Und nicht letzteres zu werden, tut not, sondern ersteres!'

Gedacht, getan. Seit damals sind die Kehrseitler eine unbezwungene Völkerschaft. Ihr Leben verdanken sie nicht dem, was in ihnen ist — denn dort ist ja nichts —, sondern dem, was sie umgibt. Und wenn einer in ein Haus kommt, wird er sichtbar als häusliches Ausbleiben. Und gerät er in den Nebel, zeigt er sich als dessen örtliche Unterbrechung. Sie haben den unsteten Stoffwechsel des Stofflichen aus sich ausgeschieden und solcherart das Unmögliche möglich gemacht…'„Und wie durchreisen sie den leeren Weltraum, mein Weiser?“ — fragte Globares.

„Nur dies können sie nicht, o König. Denn der Leere Außenraum würde sich mit ihrem leeren Selbst verquicken, und sie würden zu existieren aufhören, als die örtlichen Ansammlungen von Nichts, die sie ja sind. Deshalb müssen sie auch dauernd die Reinheit ihres Nichts überwachen, und mit solcher Aufpasserei verbringen sie ihre Zeit. Sie heißen auch Nichtlinge oder Nitschewisten…“„Deine Geschichte ist töricht, weiser Mann!“ — sprach der König. „Denn wie ließe sich das Vielerlei der Materie durch das Einerlei des Mangels ersetzen? Sind ein Felsen und ein Haus ein und dasselbe? Kein Felsen aber und kein Haus, diese beiden können gleiche Form annehmen und erscheinen demnach gleichsam als ein und dasselbe.“

„O Herr“ — verteidigte sich der Weise — „es gibt vielerlei Nichts…“„Wir werden ja sehen, was passiert, wenn ich dir den Kopf abschlagen lasse“ — sagte der König. „Wird nachher seine Abwesenheit zur Anwesenheit? Was meinst du?“ Und der Monarch lachte scheußlich und winkte den Schergen.

„O Herr!“ — rief der Weise, schon umklammert von ihren stählernen Fäusten. „Du geruhtest zu lachen, also hat dich meine Geschichte heiter gestimmt, und du solltest mein Leben schonen, wie du versprochen hast!“„Nein, ich selbst habe mich erheitert“ — sagte der König. „Es sei denn, du unterstütztest meinen Einfall: Bist du aus freien Stücken mit dem Köpfen einverstanden, so erheitert mich dieses Einverständnis, und dein Verlangen wird sich erfüllen.“

„Einverstanden!“ — schrie der Weise.“Nun denn, köpft ihn, da er ja selber darum bittet!“ — sprach der König.

„Nicht doch, o Herr! Einverstanden bin ich, damit du mich mitnichten köpfst!“„Du mußt geköpft werden, wenn du einverstanden bist“ — erklärte der König. „Und wenn nicht, dann erheiterst du mich nicht und mußt gleichfalls geköpft werden…“

„Nein! Umgekehrt!“ — rief der Weise. „Wenn ich einverstanden bin, mußt du erheitert mein Leben schonen. Und wenn ich nicht einverstanden bin…“„Schluß damit!“ — sprach der König. „Henker, walte deines Amtes!“

Das Schwert blitzte, und der Kopf des Weisen fiel.Alles schwieg eine Weile wie tot. Dann hob der zweite Weise an:

„Mein Herr und König! Die seltsamste aller Sternvölkerschaften ist zweifellos das Volk der Polyonten oder Vielinger, die auch Vielister genannt werden. Bei ihnen hat jeder zwar nur einen einzigen Körper, dafür aber um so mehr Beine, je höhere Ämter er bekleidet. Die Köpfe hinwiederum, die hat man dort von Fall zu Fall. Arme Leute haben nur ein einziges Haupt für die ganze Familie. Die Reichen aber horten in ihren Schatzkammern vielerlei Köpfe für verschiedene Anlässe. So ein Reicher hat also Morgenköpfe und Abendköpfe, strategische Köpfe für Kriegsfälle und Expreßköpfe, weil er es eilig haben könnte, ferner kalt abwägende Köpfe, Hitzköpfe, leidenschaftliche Köpfe, Hochzeits-, Liebes— und Trauerköpfe. So ist er für jede Lebenslage gerüstet.“„Ist das schon alles?“ — fragte der König.

„Nein, o Herr!“ — entgegnete der Weise, der schon merkte, wie schlecht es um ihn stand. „Die Vielinger tragen diesen Namen auch deshalb, weil alle mit ihrem Herrscher zusammengeschaltet sind. Wenn nun die Mehrheit in den königlichen Betätigungen einen Schaden für das allgemeine Wohl erblickt, dann verliert dieser Herrscher den Zusammenhalt und fällt in Stücke…“„Der Einfall ist trivial, um nicht zu sagen: majestätszerbrecherisch“ — sagte Globares grämlich. „Da du selbst so viel von Köpfen geredet hast, sagst du mir vielleicht, was du denkst: lasse ich dich jetzt köpfen, oder lasse ich dich nicht köpfen?“

„Wenn ich sage, er werde mich köpfen lassen“ — dachte der Weise rasch, — „dann wird er es tun, denn er ist gegen mich eingenommen. Wenn ich aber sage, er werde es nicht tun, dann überrasche ich ihn. Und staunt er, so muß er mich freilassen; wie er versprochen hat.“Und er sagte: „Nein, o Herr, du läßt mich nicht köpfen.“

„Du irrst“ — sprach der König. „Henker, walte deines Amtes.“„Nicht doch, o Herr!“ — rief der Weise, schon unter dem Zugriff der Henkersknechte. „Haben dich meine Worte nicht überrascht? Erwartetest du nicht eher die Antwort, du werdest mich köpfen lassen?“

„Deine Worte haben mich nicht überrascht“ — entgegnete der König. „Denn der Schreck, der sie diktiert hat, steht dir im Gesicht geschrieben. Schluß damit! Herunter mit dem Kopf!“ Und klirrend kollerte über die Fliesen der Kopf des zweiten Weisen. Der dritte, der älteste von allen, sah ganz ruhig diese Szene mit an. Als aber der König von neuem eine staunenswerte Erzählung forderte, da sprach der Greis:“O König, ich könnte dir eine wahrhaft außergewöhnliche Geschichte erzählen. Doch ich werde es nicht tun. Denn mehr als dein Staunen erstrebe ich deine Aufrichtigkeit. Ich zwinge dich dazu. Du wirst mich köpfen lassen, aber nicht unter dem plumpen Vorwand dieses Spiels, das du aus dem Töten zu machen suchst, sondern einfach im Einklang mit deiner Natur. Grausam, wie sie ist, scheut sie sich gleichwohl, ohne fälschende Bemäntelung zu tun, was ihr lieb ist. Du möchtest uns köpfen, und nachher soll sich herumsprechen, der König hätte die Dummen ausgetilgt, die hochstapelnd als Weise aufgetreten seien. Ich aber will, daß sich die Wahrheit herumspricht. Deshalb werde ich schweigen.“

„Nein, jetzt gebe ich dich nicht dem Henker!“ — sprach der König. „Ernsthaft und aufrichtig verlangt es mich nach dem außergewöhnlichen Erlebnis. Du hast mich erzürnen wollen. Doch ich weiß meinen Zorn zu bezähmen, bis seine Zeit gekommen ist. Ich sage dir: sprich, dann rettest du vielleicht nicht dich allein. Deine Rede darf sogar an Majestätsbeleidigung grenzen; im übrigen hast du eine solche bereits begangen. Diesmal aber muß die Beleidigung so ungeheuerlich sein, daß sie in Schmeichelei umschlägt, die ihrerseits durch ihr Übermaß zur Schmähung wird. Versuch es also, deinen König zu gleicher Zeit und im gleichen Anhieb zu erheben und herabzusetzen, zu vergrößern und zu verkleinern!“ Da wurde es still. Die Anwesenden vollführten ganz feine Bewegungen, so, als wollte jeder nachprüfen, wie fest ihm derKopf noch auf dem Halse sitze.

Der dritte Weise schien tief nachzusinnen. Endlich sagte er: „O König, ich erfülle dein Begehr. Warum? Das will ich dir offenbaren. Ich tue es für mich und für alle hier Versammelten, aber auch für dich. Denn die Nachwelt soll nicht sagen, es hätte einen König gegeben, der um einer Laune willen im Reich die Weisheit ausgetilgt habe. Selbst wenn dies jetzt noch zutrifft, selbst wenn dein Wunsch kaum etwas zu bedeuten hat oder gar nichts, dann obliegt es mir, deinem flüchtigen Gelüst Wert zu verleihen, Größe und Dauer. Deshalb werde ich reden…“„O Greis, genug dieser Einleitung, die schon wieder an Majestätsbeleidigung grenzt, ohne sich im mindesten der Schmeichelei zu nähern!“ — sprach der König voll Zorn. „Jetzt rede!“

„O König, du mißbrauchst die Macht!“ — entgegnete der Greis. „Alle deine Übergriffe sind gleichwohl noch gar nichts gegen jene, die dein längstverflossener, dir noch unbekannter Ahnherr begangen hat, der Begründer der Eparidendynastie. Dieser dein Urururahn namens Allegorian hat gleichfalls die monarchische Macht mißbraucht. Sein größtes Verschulden will ich dir erklären. Deshalb bitte ich dich, du mögest zu diesem nächtlichen Himmelszelt aufblicken, das du durch die Oberfenster der Palasthalle sehen kannst.“ Der König blickte in den sternklaren Himmel, und der Alte fuhr in seiner Rede fort:“Sieh hin und höre! Alles, was es gibt, wird zum Gegenstand des Spottes. Dagegen ist die höchste Würde nicht gefeit. Denn bekanntlich wagt ja dieser oder jener sogar des Königs Majestät zu bespötteln. Gelächter zielt auf Throne und Staaten; Völker verspotten einander oder sich selbst. Sogar das, was es gar nicht gibt, ist zuweilen verhöhnt worden. Hat man nicht über die mythischen Götter gelacht? Auch sehr ernste und sogar tragische Erscheinungen bieten Stoff zu Späßen. Man denke nur an den Friedhofshumor, an das Witzeln über Tod und Tote. Im übrigen haben die Attacken des Hohns auch vor Himmelskörpern nicht haltgemacht. Man beachte etwa die Sonne oder den Mond. Wie werden sie oftmals dargestellt? Der Mond als hagerer Schlaumeier mit zipfeliger Narrenkappe und vorstehendem Sichelkinn, die Sonne aber als pausbäckiges biederes Dickerchen mit zerzaustem Strahlenkranz. Und dennoch, — obwohl das Reich des Lebens und das Reich des Todes und große wie kleine Dinge dem Spott als Zielscheibe dienen, gibt es eine Sache, worüber noch niemand zu spotten oder zu lachen gewagt hat. Dabei ist sie nicht einmal ein Ding von solcher Art, daß es sich leicht vergessen oder übersehen ließe. Denn diese Sache ist alles, was es gibt; ich spreche nämlich vom Kosmos. Und wenn du darüber nachdenkst, o König, dann wirst du begreifen, wie lächerlich der Kosmos ist.“

Hier staunte König Globares zum erstenmal. Mit wachsender Aufmerksamkeit lauschte er den Worten des Weisen. Dieser aber sprach:“Der Kosmos besteht aus Sternen. Das klingt ziemlich ernst. Doch gründlicher durchdenken wir die Sache wohl schwerlich ohne verstohlenes Lächeln. Denn wahrlich, was sind denn die Sterne? Feurige Kugeln, schwebend in ewiger Nacht… Scheinbar ein erhabenes Bild. Wieso? Auf Grund seines Wesens? Durchaus nicht, sondern seiner Ausmaße wegen.Doch die Ausmaße können nicht allein über die Wichtigkeit eines Phänomens entscheiden. Wird denn etwas Bedeutsames aus dem Gekritzel eines Idioten, wenn du es von dem Blatt Papier auf ein ausgedehntes Flachland überträgst?

Stumpfsinn bleibt Stumpfsinn, wenn er vervielfältigt wird. Nur überhöht sich dann auch seine Lächerlichkeit. Der Kosmos ist Kritzelei aus x-beliebigen Punkten und Doppelpunkten. Wohin du auch blickst, wohin du auch greifst, — nur dies und sonst nichts. Die Eintönigkeit der Schöpfung dürfte wohl der trivialste und platteste Einfall sein; der sich nur ausdenken läßt. Getüpfeltes Nichts, und dies bis in alle Unendlichkeit! Wer verfiele auf etwas so Einfallsloses, wenn das Ganze erst jetzt zu erschaffen wäre? Wohl nur ein Idiot! Da nimmt jemand unermeßliche Räume voll Garnichts und tüpfelt sie, einmal ums andere, wie es sich gerade trifft! Und einem solchen solchen Aufbau werden Ausgewogenheit und Majestät nachgerühmt! Wir müssen vor ihm auf die Knie fallen? Höchstens aus Verzweiflung über seine Unwiderruflichkeit! Das Ganze erwächst ja lediglich aus Nachäfferei des eigenen Anfangs! Dieser Anfang hinwiederum war die geistloseste aller nur möglichen Handlungen. Denn was kann einer tun, eine Feder in den Händen und vor sich ein leeres Blatt Papier, wenn er nicht weiß, nicht die blasseste Ahnung hat, womit er es ausfüllen könnte. Mit Zeichnungen? Dann gilt es zu wissen, was sich zeichnen ließe. Und wenn einem nichts in den Sinn kommt? Wenn jemand keinen Schimmer von Vorstellungsgabe aufweist? Nun dann, wie von selbst senkt sich die Feder aufs Papier und erzeugt in unwillkürlicher Berührung einen Tüpfel. Und angesichts der glotzenden Geistlosigkeit, die ja mit solcher Impotenz des Schöpferischen einhergeht, stellt dieser einmal gesetzte Tüpfel ein Muster auf. Es wirkt zwingend, da ja absolut nichts anderes vorhanden ist; und da es sich mit geringster Anstrengung bis ins Unendliche wiederholen läßt. Wiederholen, ja, aber wie? Aus Tüpfeln ließe sich ja Gefüge zusammenstellen. Aber wenn man auch dazu unfähig ist? Dann bleibt nur eins: in solcher Unfähigkeit die Feder zu schwingen und Tintentröpfchen zu versprühen, so daß sich alles mit beliebigen, blindlings gesetzten Tüpfeln füllt.“ So sprach der Weise, tauchte eine Feder ins Tintenfaß, nahm ein großes Blatt Papier und bespritzte es etliche Male mit Tinte. Dann zog er aus seinem Gewand eine Sternkarte hervor und zeigte beide Blätter dem König. Die Ähnlichkeit war frappierend. Das Papier, wies Milliarden von Pünktchen auf, größere und kleinere, denn bald reichlicher, bald dem Austrocknen nahe hatte die Feder gekleckst. Und der Himmel auf der Karte bot sich genauso dar. Vom Thron aus schaute der König beide Papierbögen an und schwieg. Der Weise aber setzte fort:“O König, du wurdest belehrt, das Weltall sei ein unendlich herrlicher Bau, gewaltig in der Majestät seiner sternduchschossenen Weiten. Doch schau hin auf diese ehrwürdige, allgegenwärtige, allüberdauernde Konstruktion! Ist sie nicht das Werk unübertrefflicher Dummheit, das Gegenteil des Denkens und der Ordnung? Du wirst fragen, warum dies bisher niemand bemerkt hat. Warum? Weil dieser Stumpfsinn ja alles umfaßt! Doch diese seine Allgemeinheit verlangt nur um so himmelschreiender nach Verspottung und nach distanzierendem Gelächter. Solches Gelächter ist ja zugleich auch der Vorbote der Auflehnung und der Befreiung. Es wäre zweifellos wohlgetan, just in diesem Sinne auf das Weltall ein Pasquill zu verfassen, worin dieses Erzeugnis äußerster Geistlosigkeit die gebührende Abfuhr bezöge, auf daß sich ihm künftig kein Chor andächtiger Seufzer verbinde, sondern ironisches Gelächter!“

Der König lauschte entgeistert, der Weise aber erläuterte nach kurzem Schweigen:“Ein solches Pasquill zu schreiben, wäre die Pflicht jedes Gelehrten, wenn nicht dawiderstünde, daß er dabei auch an die erste Ursache rühren müßte, an den Ursprung dieses bespottenswerten und beklagenswerten Zustandes namens Universum. Der Anfang begab sich aber, als das Unmaß noch völlig brachlag und auf schaffende Tätigkeiten wartete. Die Welt aber keimte damals aus weniger als nichts und entwickelte sich über das Nichts zum Etwas. Sie hatte erst einige wenige zusammengedrängte Körper hervorgebracht, und dein Ururvater Allegorian hatte dort die Macht inne. Da nahm er sich etwas Unmögliches und Aberwitziges vor. Er wollte der Natur in ihr unendlich geduldvolles und langsames Handwerk pfuschen und selber das Weltall erschaffen. Nach ihrem Beispiel beschloß er, es üppig zu gestalten, und reich an unschätzbaren Wunderdingen. Da er selbst dies nicht bewerkstelligen konnte, gab er die weiseste Denkmaschine in Auftrag. Die sollte dann das Werk vollbringen. An diesem Moloch baute man dreihundert Jahre und nochmals dreihundert Jahre lang; im übrigen war die Zeitrechnung damals anders als jetzt. Mit Kräften und Mitteln wurde nicht gespart, und das mechanische Ungetüm schien an Größe und Leistung grenzenlos. Als die Maschine fertig war, ließ sie der Usurpator in Betrieb nehmen und ahnte nicht, was er da tat. Denn seinem grenzenlosen Hochmut gemäß war sie gar zu groß geraten. Daher hatte ihre Weisheit längst die Höhen der Vernunft hinter sich gelassen und den Gipfel des Genialen überschritten, und so stürzte sie hinab in völlige Zersetzung des Denkens, in lallende Finsternis, worin randwärts stiebender Strom jeden Sinngehalt in Fetzen riß. Und dieses gleich einer Metagalaxis verwickelte Monstrum, das auf wütig hohen Touren lief, zerkrümelte sich geistig schon bei den ersten Worten, und sie blieben ungesagt. Aus all diesem Chaos, das mit furchtbarem Kraftaufwand sozusagen gewissermaßen irgend etwas dachte, aus Haufen unterentwickelter Begriffe, die einander in Nichts verkehrten, aus all diesen vergeblichen Krämpfen, Kämpfen und Zusammenstößen tröpfelten in die gehorsamen Vollzugsaggregate des Kolosses lediglich die sinnentleerten Satzzeichen! Denn dies war ja nicht die weiseste aller nur möglichen Maschinen, nicht der Cosmocreator Omnipotens, sondern eine aus unbedachter Machtanmaßung entsprossene Ruine, die zum Zeichen ihrer hohen Bestimmung nur Pünktchen hervorzustottern wußte! Der Herrscher wartete auf die Allvollendung, auf die Bestätigung seiner Pläne, der kühnsten, die ein denkendes Wesen je gehegt hat. Und niemand wagte, ihm zu offenbaren, er stehe an der Quelle unsinnigen Lallens und mechanischer Agonie, die schon sterbend geboren wurde. Doch die gewaltigen, leblos horchenden Vollzugsmaschinen befolgten bereitwillig jeden Befehl. Und so begannen sie im vorgegebenen Takt aus fleischlichem Stoff die Form zu drehen, die im dreidimensionalen Raum dem zweidimensionalen Bild eines Tüpfels entspricht. Und dies ist die Kugel. Unablässig wiederholten sie ein und dasselbe; und als sie heißliefen, entzündete sich der Werkstoff; und sie schleuderten Wurf um Wurf feuriger Kugeln in den Abgrund hinaus; und im Stottertakt entstand der Kosmos! So wurde dein Urururahn zum Schöpfer des Weltalls und zugleich zum Urheber des ungeheuerlichsten Stumpfsinns, dem nichts jemals gleichkommen wird. Denn der Akt der Vernichtung eines so fehlgeborenen Werks wird gewiß etwas weit Vernünftigeres sein, vor allem aber etwas bewußt Gewolltes und Beabsichtigtes; von dem anderen, von der Erschaffung, läßt sich dies ja wahrlich nicht behaupten. Nun habe ich alles gesagt, was ich dir erklären wollte, o König, du Abkömmling Allegorians, des Weltenbaumeisters!“

Als der König die weisen Männer entließ, überhäufte er sie mit Gnadenbeweisen, am meisten aber den Greis, der ihm höchste Schmeichelei und ärgsten Schimpf in einem Anhieb zu bieten gewußt hatte. Und als sie nun alle verabschiedet waren, blieb einer der jungen Gelehrten mit dem Greis allein und fragte ihn unter vier Augen, wieviel Wahres an jener Erzählung sei.“Was soll ich dir antworten?“ — sprach der Greis.

„Was ich gesagt habe, das stammt nicht vom Wissen her. Die Wissenschaft fragt nicht nach solchen Eigenschaften des Daseins, wie zum Beispiel Lächerlichkeit. Die Wissenschaft erklärt die Welt; mit ihr versöhnen kann einzig die Kunst. Was wissen wir denn in Wahrheit über die Entstehung des Kosmos?? Eine Wissenslücke von solchem Ausmaß kann mit Legenden und Mythen ausgefüllt werden. Ich wollte als Mythenschöpfer die Höchstgrenze des Unwahrscheinlichen erreichen, und ich meine, ich war nahe daran. Du weißt das ohnehin. Also hast du bloß fragen wollen, ob der Kosmos in Wahrheit lächerlich sei. Aber diese Frage muß sich jeder selbst beantworten.“

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