König Poleander Partobon, Herrscher über Kybera, war ein großer Krieger, und da er den Methoden der neuzeitlichen Strategie huldigte, schätzte er die Kybernetik als Kriegskunst über alles. In seinem Königreich wimmelte es von denkenden Maschinen, denn Poleander brachte sie überall an, wo er nur konnte, keineswegs allein in astronomischen Observatorien oder in Schulen; sogar den Steinen auf den Straßen ließ er Elektronenhirne einsetzen, die dem Fußgänger Warnungen zuriefen, damit er nicht stolperte; auch in Masten, Mauern und Bäumen ließ er sie anbringen, damit man sich allenthalben nach dem Weg erkundigen konnte. Er hängte sie unter die Wolken, damit sie von oben den Regen ankündigten, er teilte sie den Bergen und den Tälern zu, kurz, auf Kybera war es unmöglich, einen Schritt zu tun ohne auf eine vernunftbegabte Maschine zu stoßen. Schön war es auf dem Planeten, denn der König befahl nicht nur durch Dekrete, all das, was vorher bestanden hatte, kybernetisch zu vervollkommnen, sondern er führte durch Gesetze völlig neue Verhältnisse ein. So wurden denn in seinem Königreich brummende Kyberbienen und Kyberwespen hergestellt, ja selbst Kyberfliegen, die von mechanischen Spinnen weggefangen wurden, wenn sie sich zu stark vermehrten. Auf dem Planeten rauschte das Kyberdickicht der Kyberhaine, Kybertruhen sangen und Kyberguslas — doch außer diesen Einrichtungen zivilen Charakters gab es doppelt soviel militärische, denn der König war ein überaus streitbarer Feldherr. Er besaß in den unterirdischen Gewölben des Schlosses eine strategische Rechenmaschine von geradezu außergewöhnlicher Tapferkeit; er verfügte außerdem über kleinere Einheiten von Kybermaschinengewehren, über gewaltige Kybernonen und sonstige Waffen aller Art und hatte Kasematten voller Pulver. Nur eins bereitete ihm Kummer, und er litt sehr darunter, daß er nämlich überhaupt keine Widersacher oder Feinde hatte und niemand auch nur im entferntesten daran dachte, seinen Staat zu überfallen, wobei sich unweigerlich der schreckliche Mut des Königs, sein strategisches Genie sowie die geradezu außergewöhnliche Schlagkraft der Kyberwaffen sogleich offenbart hätten. Da es ihm an echten Feinden und Eindringlingen gebrach, befahl der König seinen Ingenieuren, künstliche zu bauen, und trug mit ihnen Kämpfe aus, die für ihn immer siegreich waren. Und da dies wirklich furchtbare Feldzüge und Schlachten waren, mußte die Bevölkerung große Unbill erdulden. Die Untertanen murrten, wenn gar zu viele Kyberfeinde ihre Siedlungen und Marktflecken zerstörten, wenn der synthetische Gegner sie mit flüssigem Feuer übergoß, und sie wagten sogar dann ihre Unzufriedenheit zu äußern, wenn der König selbst als ihr Erlöser erschien, den künstlichen Feind aufs Haupt schlug und dabei alles, was ihm in die Quere kam, in Feuer und Rauch aufgehen ließ. Auch dann klagten also die Undankbaren, obgleich das alles nur geschah, um sie zu befreien.
So wurde der König seiner Kriegsspiele auf dem Planeten überdrüssig, und er entschloß sich, nach den Sternen zu greifen. Er träumte bereits von kosmischen Kriegen und kosmischen Feldzügen. Sein Planet hatte einen großen Mond, der ganz öd und wüst war; der König erlegte nun seinen Untertanen große Abgaben auf, um Mittel zu erlangen, mit denen er auf diesem Mond ganze Heere zu bauen und einen neuen Kriegsschauplatz anzulegen gedachte. Die Untertanen zahlten diese Abgaben gern, denn sie hofften, König Poleander werde sie nun nicht mehr ständig mit Kybernonen befreien und nicht mehr die Stärke seiner Waffen an ihren Häusern und ihren Häuptern erproben. Und den königlichen Ingenieuren gelang es auch, eine vortreffliche Maschine auf dem Mond zu konstruieren, die selbst mannigfaltige Truppen und automatische Waffen erzeugen sollte. Der König unterzog die Tüchtigkeit der Maschine sogleich verschiedenen Prüfungen. Einmal befahl er ihr telegrafisch einen Elektrosalto auszuführen, denn er war neugierig, ob es wahr sei, was die Ingenieure behaupteten, daß nämlich die Maschine alles könne. Wenn sie alles kann, überlegte er, dann soll sie springen. Bei der Übermittlung der Depesche unterlief jedoch ein kleiner Irrtum, und die Maschine erhielt nicht den Befehl, einen Elektrosalto auszuführen, sondern einen Elektrodrako, einen Elektrodrachen, und die Maschine setzte diese Empfehlung, so gut sie es vermochte, in die Tat um.
Der König war damals gerade wieder auf einem Feldzug; er befreite jene Provinzen des Königreichs, die von den Kyberknechten erobert worden waren, und so vergaß er völlig den Auftrag, den er der Mondmaschine gegeben hatte. Da begannen plötzlich gewaltige Felsen vom Mond auf den Planeten herabzuprasseln. Der König staunte sehr, denn ein Gesteinsbrocken fiel auf einen Flügel seines Schlosses und vernichtete seine ganze Kollektion von Kyberschraten — Heinzelmännchen mit Rückkopplung. Er telegrafierte daher sogleich höchst verärgert der Mondmaschine, wie sie es denn wagen könne, so zu handeln. Sie antwortete jedoch nicht, denn sie war gar nicht mehr auf dieser Welt: Der Drache hatte sie inzwischen mit Haut und Haar verschlungen und in seinen eigenen Schwanz umgewandelt.
Der König sandte sofort eine bewaffnete Expedition auf den Mond. An ihre Spitze stellte er eine andere Maschine, die ebenfalls sehr tapfer war, und sie sollte den Drachen vernichten. Aber es blitzte nur einmal und donnerte, und vorbei war es mit der Maschine und der ganzen Expedition; der Elektrodrache führte nämlich nicht zum Schein Krieg, sondern in vollem Ernst, und er hegte die schlimmsten Absichten gegenüber dem Königreich und seinem König. Der König schickte Generalkyberale auf den Mond und Obristkyberiste, schließlich sandte er sogar einen Kyberissimus, aber auch der vollbrachte nichts: Das Getümmel, das der König durch ein Fernrohr von der Schloßterrasse aus beobachtete, währte nur ein wenig länger.
Der Drache wuchs, der Mond wurde immer kleiner, denn das Ungeheuer fraß ihn Stück für Stück auf und verarbeitete ihn in dem eigenen Körper. So merkte der König, und mit ihm merkten seine Untertanen, daß es schlimm um sie stand, denn wenn dem Drachen kein Boden mehr unter den Füßen blieb, so würde er unweigerlich über den Planeten und über sie herfallen. Der König sorgte sich sehr, aber er wußte sich keinen Rat mehr. Was sollte er noch tun? Maschinen auszuschicken war nicht gut, selbst zum Mond aufzubrechen auch nicht, denn er hatte Angst. In einer sehr stillen Nacht hörte der König auf einmal den Fernschreiber im königlichen Schlafgemach klappern. Es war der Apparat des Königs, ganz aus Gold, mit einer Brillanttastatur, der die Verbindung mit dem Mond aufrechterhielt. Der König sprang auf und lief an den Apparat, der ein um das andere Mal klopfte und schließlich ein Telegramm hingeklappert hatte: Der Elektrodrache telegrafierte, Poleander Partobon solle sich aus dem Staube machen, denn er, der Drache, beabsichtige, seinen Thron zu besteigen!
Der König erschrak, zitterte am ganzen Leibe und lief so, wie er war — im Hermelinnachtgewand und in Pantoffeln —, in die Kasematten des Schlosses, wo eine strategische Maschine war, ein alter, sehr kluger Automat. Er hatte sie bisher nicht um ihren Rat gefragt, denn er hatte sich mit ihr bereits vor dem Entstehen des Elektrodrachens wegen einer militärischen Operation überworfen; doch jetzt stand ihm der Sinn nicht nach Hader, es galt, Thron und Leben zu retten.
Er schaltete die Maschine an, und kaum hatte sie sich ein wenig warmgelaufen, da rief er aus: „Meine Rechenmaschine! Meine Beste! Der Elektrodrache will mich um meinen Thron bringen, er will mich aus meinem Königreich vertreiben. Hilf und sage mir, was ich tun soll, um ihn zu besiegen!“
„Ach nein“, erwiderte die Rechenmaschine, „erst mußt du mir in der anderen Frage recht geben, und dann wünsche ich mir, daß du mich nicht anders nennst als Rechen-Feldmarschall, wobei du mich auch mit 'Euer Ferromagnetizität' anreden kannst.“
„Schon gut, ich ernenne dich zum Feldmarschall und gewähre dir alles, was du willst. Aber hilf mir!“
Die Maschine begann zu summen, zu rauschen, sie räusperte sich und sagte: „Die Sache ist einfach. Man muß einen Elektrodrachen bauen, der mächtiger ist als jener, der auf dem Mond sitzt. Er wird den Monddrachen überwinden, ihm das elektrische Gerippe brechen und auf diese Weise zum Ziel gelangen.“
„Vorzüglich!“ rief der König aus. „Kannst du mir aber die Pläne für diesen Drachen entwerfen?“
„Es wird ein Superdrache sein“, antwortete die Maschine. „Ich kann nicht nur die Pläne für ihn entwerfen, ich kann ihn sogar bauen. Das werde ich gleich tun, wenn du dich ein Weilchen geduldest, mein König.“ Und tatsächlich begann es in ihr zu rasseln, zu dröhnen, sie leuchtete auf, setzte etwas in ihrem Innern zusammen, und schon rutschte ihr eine Art elektrische, riesige, flammende Kralle aus der Flanke. Da sagte der König: „Alte Rechenmaschine, halt ein!“
„Wie sprichst du mit mir? Ich bin ein Rechen-Feldmarschall!“
„Ach ja“, bestätigte der König „Eure Ferromagnetizität, der Elektrodrache, den du baust, wird zwar jenen Drachen überwinden, wird aber selbst an dessen Stelle bleiben. Wie soll nun er beseitigt werden?“
„Indem man einen anderen baut, der noch mächtiger ist“, erläuterte die Maschine.
„0 nein! Dann tu lieber gar nichts, ich bitte dich darum. Was habe ich davon, daß auf dem Mond immer schrecklichere Drachen sein werden? Ich will dort ja gar keinen haben!“
„Ja, dann sieht die Sache anders aus“, erwiderte die Maschine. „Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Jetzt merkst du selbst, wie unlogisch du dich ausdrückst. Warte, ich muß überlegen.“
Und wieder dröhnte, brummte, summte sie, räusperte sich schließlich und sagte: „Man muß einen Antimond mit einem Antidrachen anfertigen, ihn auf eine Umlaufbahn um den Mond bringen“ — jetzt knackte etwas in ihr —, „niederkauern und singen: 'Bin ein junger Roboter, fürchte nicht das Wasser, komm ich an 'nen Graben, hopp — schon bin ich drüben, tralala tiralala!'„
„Du redest sonderbar“, versetzte der König. „Was hat der Antimond mit diesem Singsang vom jungen Roboter zu tun?“
„Welchen Roboter meinst du?“ fragte die Maschine. „Ach so, nein, ich habe mich versprochen, ich glaube, in meinem Innern ist etwas nicht in Ordnung, ich muß irgendwo durchgebrannt sein.“ Der König begann die durchgebrannte Stelle zu suchen und fand schließlich eine zersprungene Röhre; er setzte eine neue ein und fragte die Maschine, was er mit dem Antimond machen solle.
„Was für ein Antimond?“ fragte die Maschine, die inzwischen vergessen hatte, was sie vorher gesagt hatte. „Ich weiß nichts von einem Antimond… Warte, laß mich überlegen.“
Sie rauschte, summte und fuhr fort: „Man muß eine allgemeine Theorie der Bekämpfung von Elektrodrachen schaffen, für die der Monddrache ein Einzelfall sein wird, der kinderleicht zu lösen ist.“
„Dann stelle bitte eine solche Theorie auf!“ sagte der König. „Zu diesem Zweck muß ich zunächst verschiedene experimentelle Elektrodrachen bauen.“
„O nein! Vielen Dank!“ rief der König aus. „Der Drache will mich meines Thrones berauben, und was soll erst werden, wenn du eine Unmenge von diesem Gezücht hergestellt hast!“
„So? Na, dann müssen wir eben zu einer anderen Methode Zuflucht nehmen. Laß uns die strategische Variante der fortlaufenden Annäherung anwenden. Geh und telegrafiere dem Drachen, daß du ihm den Thron abtreten wirst, wenn er drei ganz einfache mathematische Operationen ausführt…“
Der König ging hin und telegrafierte, und der Drache war einverstanden. Flugs lief der König zu der Maschine zurück.
„Jetzt“, sagte sie, „nenne ihm die erste Handlung, die er auszuführen hat: Er soll sich durch sich selbst teilen!“
Der König tat es. Der Elektrodrache teilte sich durch sich selbst, und da in einem Elektrodrachen nur ein Elektrodrache steckt, blieb er weiter auf dem Mond, und nichts hatte sich geändert.
„Ach, was hast du nur getan!“ klagte der König, während er so schnell in die Kasematten hinunterlief, daß ihm die Pantoffeln von den Füßen flogen. „Der Drache hat sich durch sich selbst geteilt, und da einer in einem nur einmal steckt, ist er nach wie vor auf dem Mond, und gar nichts hat sich geändert.“
„Macht nichts, ich habe es absichtlich getan, das war ein Täuschungsmanöver“, entgegnete die Maschine. „Nun teile ihm mit, er soll die Wurzel aus sich ziehen.“ Der König telegrafierte zum Mond, und der Drache begann die Wurzel zu ziehen. Er zog, zog, bis er in allen Fugen krachte, er schnaubte und bebte, doch plötzlich ließ die Spannung nach — die Wurzel war gezogen!
Der König kehrte zu der Maschine zurück. „Der Drache hat gekracht, gezittert, geknirscht, aber er hat die Wurzel gezogen und bedroht mich weiter“, rief er schon auf der Schwelle aus. „Was soll ich jetzt tun, alte Ma…, das heißt Euer Ferromagnetizität?“
„Sei guter Dinge“, beruhigte sie ihn. „Sage ihm nun, er soll sich von sich selbst subtrahieren.“
Der König eilte ins Schlafgemach, telegrafierte, und der Drache fing an, sich von sich selbst zu subtrahieren. Zuerst nahm er sich den Schwanz ab, dann die Beine, dann den Rumpf, und schließlich, als er merkte, daß etwas nicht in Ordnung war, zögerte er, aber das Subtrahieren war schon so in Schwung, daß es von selbst weiterlief. Er nahm sich noch den Kopf, und übrig blieb Null, das heißt nichts — es gab keinen Elektrodrachen mehr!
„Es gibt keinen Elektrodrachen mehr!“ frohlockte der König, als er in die Kasematten eilte. „Vielen Dank, alte Rechenmaschine, vielen Dank. Du hast genug gearbeitet, gönne dir jetzt eine Ruhepause, ich schalte dich aus, ja?“
„O nein, mein Lieber“, erwiderte die Maschine. „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen? Du willst mich ausschalten und nennst mich nicht mehr Euer Ferromagnetizität! Oh, ist das häßlich! Jetzt verwandle ich mich in einen Elektrodrachen, mein Lieber, vertreibe dich aus deinem Königreich und werde selbst regieren, sicherlich besser, als du es vermagst, denn du hast mich ja ohnehin immer in allen wichtigen Dingen befragt, so daß eigentlich ich regiert habe und nicht du…“
Und schon begann sie sich summend und dröhnend in einen Elektrodrachen zu verwandeln; schon ragten ihr flammende Elektrokrallen aus den Flanken, da zog der König, atemlos vor Entsetzen, die Pantoffeln aus, sprang an sie heran und begann, blindlings auf ihre Röhren einzuschlagen. Die Maschine summte, ächzte, in ihrem Programm geriet etwas durcheinander — aus dem Wort Elektrodrache wurde Elektroteer, und vor den Augen des Königs verwandelte sich die Maschine, immer leiser wimmernd, in eine gewaltige Lache kohlschwarzen Elektroteers, der knisterte und prasselte, bis die gesamte Elektrizität in blauen Funken entwichen war und vor dem verblüfften König Poleander nur ein großer, teeriger Tümpel dampfte…
Der König atmete erleichtert auf, zog die Pantoffeln an und kehrte in das königliche Schlafgemach zurück. Von nun an änderte er sich jedoch sehr; die Abenteuer, die er erlebt hatte, hatten seinen kriegerischen Neigungen den Stachel genommen, und er befaßte sich bis ans Ende seiner Tage nur noch mit der zivilen Kybernetik, die militärische aber ließ er sein.