Fünf

Da Geary mit einer Bemerkung in dieser Richtung gerechnet hatte, nickte er nur. »Was stört sie denn?«

Badaya warf ihm einen verwunderten Blick zu. »Natürlich vertraue ich Ihnen, aber ich muss auch sagen, dass mich das Ganze etwas verwirrt. Warum verlassen Sie das Gebiet der Allianz? Es ist doch offensichtlich, dass die Politiker kaum unter Kontrolle zu bringen sind. Dieses Durcheinander mit den versuchten Kriegsgerichtsverfahren gegen die halbe Flotte ist ein deutlicher Beweis dafür. Wer weiß, was ihnen in den Sinn kommt, während Sie weg sind!«

»Das Problem mit den Anklagen hatte seinen Ursprung im Flottenhauptquartier«, machte Geary ihm klar. »Ich habe mich der Sache angenommen, und jeder hätte darauf vertrauen sollen, dass ich das tue.«

Der kaum verhüllte Seitenhieb auf Badayas Verhalten schien den Mann nicht zu berühren, stattdessen spreizte er die Hände. »Sie haben recht. Vertrauen bedeutet, wir müssen davon ausgehen, dass Sie die Situation im Griff haben. Aber Sie waren eine Weile nicht da, und auch wenn jeder weiß, dass die Flitterwochen nur als Tarnung gedient haben, um die Regierung in ihre Schranken zu verweisen, ist jedem von uns klar, was für eine schwierige Aufgabe es ist, Ordnung in die Allianz zu bringen.«

»Richtig«, kommentierte Desjani in unschuldigem Tonfall. »Wir haben in den letzten Wochen politisch vieles neu positioniert.«

»Das versteht sich von selbst«, gab Badaya zurück, der offenbar nicht mal in Erwägung zog, dass Desjanis Bemerkung auch noch eine andere Bedeutung haben könnte – ganz im Gegensatz zu Duellos, der so heftig zu lachen begann, dass es fast so schien, als müsste er ersticken. »Tatsache ist, Sie verlassen die Allianz. Sie reisen weit weg, und ich frage mich, was in der Zwischenzeit daheim geschieht.«

Wieder war es Desjani, die etwas entgegnete, diesmal in einem flachen, professionellen Tonfall: »Außerhalb des Allianz-Systems lauert eine ernste Bedrohung, die bewertet und gebannt werden muss – und das notfalls auch mit Waffengewalt. Wen würden Sie für eine solche Aufgabe auswählen?«

Einen Moment lang schaute Badaya schweigend vor sich auf den Tisch. »Ich weiß nicht. Für mich wäre das nichts. Hätte ich bei Midway das Kommando gehabt, wäre mir nicht rechtzeitig aufgefallen, was sich da draußen in Wahrheit abgespielt hat. Diese verdammten Aliens hätten uns sehr schmerzhaft getroffen und das Sternensystem erobert. So gut Sie, Tanya, und Sie, Roberto, auch sind, aber ich glaube nicht, dass einer von ihnen das geschafft hätte. Jedenfalls nicht, wenn Sie auf sich allein gestellt gewesen wären.« Er lehnte sich zurück und rieb sich das Kinn, während sein Blick zwischen Geary und Desjani hin- und herging. »Manche Dinge lassen sich delegieren, aber wenn es darum geht, die Flotte zu führen …«

»… dann kann niemand Admiral Geary das Wasser reichen«, führte sie den Satz für ihn zu Ende, wobei sie so tat, als würde sie nichts von Gearys Unbehagen angesichts ihrer Worte bemerken. »In der Allianz gibt es Bedrohungen, die von anderen kontrolliert und im Zaum gehalten werden können, aber die Bedrohungen, die sich von außen der Allianz nähern, erfordern sein persönliches Einschreiten. Sehen Sie das auch so?«

»Auf jeden Fall! Und diese anderen … können Sie ihnen vertrauen?«

Geary dachte an den Großen Rat, an den abgekämpften aber allem Anschein nach ehrlichen Navarro, an den nur schwer zu durchschauenden Sakai, an die besorgniserregende Suva. Ganz zu schweigen von den anderen Senatoren, mit denen er zuvor zu tun gehabt hatte. Welche andere Wahl hatte er, als ihnen zu vertrauen? Und wen kannte er, der qualifizierter oder vertrauenswürdiger war – wenn er denn jemanden hätte auswählen können? »Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben«, antwortete er schließlich.

»Ja, das alte Dilemma eines jedes Kommandanten«, merkte Duellos an. »Man muss seine Befehle mit dem ausführen, was einem zur Verfügung steht, aber nicht mit dem, was man gerne hätte. Mehr als einmal hat es schon zur Katastrophe geführt, wenn Leute so gehandelt haben, als hätten sie alles, was sie sich wünschen könnten, anstatt sich darauf einzustellen, was sie eigentlich nur haben.«

»Mehr als einmal ist weit untertrieben«, pflichtete Badaya ihm bei. »Aber wenn wir schon davon reden, was wir haben – die Schiffe der Callas-Republik und der Rift-Föderation scheinen sehr davon überzeugt zu sein, dass sie sich in Kürze von uns verabschieden werden.«

»Das ist nur zu verständlich«, meinte Duellos. »Sie hatten sich uns für die Dauer des Kriegs angeschlossen, aber der Krieg ist nun offiziell beendet.«

»So ein offizielles Ende hinterlässt eine Menge Chaos, nicht wahr?« Badaya zog wieder die Brauen zusammen. »Es kursieren Gerüchte, dass die Callas-Republik und die Rift-Föderation die Allianz komplett verlassen und alle Verbindungen kappen wollen, weil sie glauben, dass sie uns jetzt nicht mehr brauchen.«

»Darüber wird geredet«, sagte Geary. »Sie waren schon immer unabhängige Mächte, die sich entschieden hatten, sich im Krieg der Allianz anzuschließen.«

»Aber sie jetzt einfach aus der Allianz ausscheren zu lassen …«

»Die Allianz hat sie nie kontrolliert«, machte Duellos klar. »Und wir kontrollieren sie jetzt auch nicht. Sie haben eigenständige Boden- und Raumstreitkräfte, außerdem eigenständige Regierungen.«

Badaya verzog angewidert das Gesicht. »Wir müssten sie bezwingen, um sie in unseren Reihen zu halten. Das wäre ein Bürgerkrieg.«

»Oder ein eindeutiger Eroberungskrieg«, stimmte Duellos ihm zu. »Abhängig davon, wie man die gegenwärtigen Beziehungen dieser Mächte zur Allianz definiert. Aber so oder so wäre das genau die Art von Vorgehensweise, für die die Syndikatwelten lange Zeit berühmt-berüchtigt waren.«

»Sie sind es nicht wert, dass wir ihretwegen unsere Ehre besudeln«, grummelte Badaya. »Es ist eine gute Entscheidung von Ihnen, dass Sie sie gehen lassen, wenn sie gehen wollen, Admiral.«

Duellos hüstelte, wohl um einen weiteren Lacher zu überspielen, während Geary Badaya zunickte, als wäre das tatsächlich seine Entscheidung gewesen. »Wenn diese Schiffe uns verlassen, entsteht eine große Lücke in der Flotte«, sagte Geary. »Aber nichts, was wir nicht in den Griff bekämen. Es ist ja nicht so, dass wir sie zum Bleiben zwingen könnten. Sie werden mir fehlen, aber ich will nicht mit Leuten ins Gefecht ziehen, die nur auf unserer Seite sind, weil wir sie mit vorgehaltener Waffe dazu überreden.«

Er hielt inne und betrachtete Badaya. Auch wenn der Mann ein noch so großes Problem darstellen konnte, war er ein brauchbarer befehlshabender Offizier mit rascher Auffassungsgabe. Und soweit Geary das einschätzen konnte, war er auch ehrbar genug, wenn man davon absah, dass er bereit war, gegen die Allianzregierung vorzugehen. Aber selbst diese Bereitschaft rechtfertigte Badaya mit der Überzeugung, dass diese Regierung korrupt war und nicht länger die Menschen der Allianz repräsentierte. Außerdem gefällt es mir nicht, Leute wie Badaya über meine tatsächliche Rolle zu täuschen. Und noch weniger gefällt es mir, sie geradewegs zu belügen. Wenn ich sie dazu bringen kann, die Regierung wieder zu akzeptieren … »Auf lange Sicht muss man der Regierung einfach wieder vertrauen.«

»Da werden Sie von mir keinen Widerspruch hören«, erklärte Badaya.

»Das ist ein weiterer Grund, weshalb es wichtig ist, dass ich nicht zu oft zu Hause bin«, fuhr Geary fort und fragte sich, woher die Inspiration für diese Worte kam. Vielleicht hatten ihm seine Vorfahren diese dringend benötigten Argumente geliefert. »Wir können die Leute nicht ewig in dem Glauben lassen, dass ich der Einzige bin, der etwas bewegen kann und der deswegen das Sagen haben muss. Ich kann nicht als unersetzlich gelten, denn auch mir unterlaufen Fehler. Ich kann nicht überall gleichzeitig sein, und irgendwann kommt der Tag, an dem auch ich mein Leben hinter mir lasse und mich unseren Vorfahren anschließe. Die Allianz kann nicht von mir abhängig sein.«

»Diese Flotte«, steuerte Duellos völlig ernst bei, »hat durch Ihr Vorbild viel von ihrer früheren Ehre zurückerlangt. Vielleicht besteht ja für die Regierung ebenfalls Hoffnung.«

»Politiker ändern sich nicht so schnell«, hielt Badaya dagegen. »Aber Sie haben recht, Admiral. Sie haben völlig recht. Die Bürger müssen eine Regierung wählen, die diese Bezeichnung auch verdient. Sie tragen die Verantwortung dafür. Es ist wie das Kommando über ein Raumschiff. Sie sind wichtig, Ihre Entscheidungen sind wichtig. Aber wenn Sie sterben und die überlebenden Offiziere können das Schiff nicht befehligen, weil Sie sie nie auf diesen Fall vorbereitet haben, dann sind Sie einer Ihrer wichtigsten Pflichten nicht nachgekommen.«

»Ganz genau«, sagte Geary. »Bedeutet das, dass Ihre Fragen damit beantwortet sind?«

»Sie haben sogar einige Fragen beantwortet, an die ich gar nicht gedacht hatte.« Badaya stand auf und salutierte. »Oh, und ich möchte Ihnen beiden natürlich noch gratulieren, wenn ich für einen Moment vom Protokoll abweichen darf.« Er sah Desjani strahlend an. »Und Sie haben es mustergültig gelöst! Nicht gegen eine einzige Vorschrift haben Sie dabei verstoßen! Ich hoffe, Sie hatten während Ihrer Flitterwochen auch noch genügend Zeit für andere Dinge außer Politik!« Er zwinkerte ihnen zu, dann verschwand auch er.

»Eines Tages bringe ich diesen Idioten um«, erklärte sie.

»Dann achten Sie aber bitte darauf, dass Sie das mustergültig erledigen und nicht gegen eine einzige Regel verstoßen«, ließ Duellos sie wissen und wandte sich dann an Geary. »Es war gut von Ihnen zu betonen, dass Sie für die Allianz nicht unverzichtbar sein wollen. Da Sie nun ein langfristiges Kommando haben, könnten Sie vielleicht überlegen, was geschehen soll, falls wir Sie als unseren Befehlshaber verlieren.«

Geary setzte sich hin und stützte den Kopf auf eine Hand, da er sich nach den mentalen und emotionalen Strapazen der jüngsten Zeit völlig erschöpft fühlte und nichts weiter tun wollte, als sich für eine Weile einfach nur zu entspannen. »Ich muss einen formalen Stellvertreter bestimmen.«

»Sie können nicht einfach irgendwen bestimmen«, wandte Desjani ein.

Duellos nickte zustimmend. »Dienstjahre und Ehre, Admiral, so bestimmen wir seit einer Weile unsere Befehlshaber.«

»Als Bloch Sie vertretungsweise zum Flottenkommandanten bestimmte«, ergänzte Desjani, »da geschah das nicht bloß, weil Sie für ihn Black Jack waren. Wegen Ihrer Beförderung zum Captain hundert Jahre zuvor waren Sie auch zugleich der bei Weitem dienstälteste Seniorcaptain in der Flotte. Und selbst da gab es manche Leute, die dieses Dienstalter anfechten wollten, wissen Sie noch?«

»Es gibt aus dieser Zeit einige Dinge, die ich liebend gern vergessen würde«, erwiderte Geary. »Wer kommt in dieser Flotte gleich nach mir?«

»Das könnte Armus sein«, sagte Duellos nachdenklich. »Aber selbst wenn das zutrifft, lassen Kommandanten von Schlachtschiffen oftmals anderen den Vortritt oder lassen sich zur Seite drängen, wenn das Thema zur Sprache kommt.«

»Tulev könnte der dienstälteste Captain eines Schlachtkreuzers sein«, überlegte Desjani und begann zu lächeln. Sie tippte etwas auf ihrer persönlichen Dateneinheit ein und wurde gleich wieder ernst. »Nein, er kommt erst an dritter Stelle. Sie sind auf Platz acht, Roberto.«

»Dann sind Sie auf Platz sieben.« Duellos verbeugte sich leicht in ihre Richtung. »Ich habe stets großen Respekt vor dem Alter.«

»Zum Teufel mit Ihnen«, konterte Desjani mit gespielter Entrüstung.

»Wer steht über Tulev?«, fragte Geary.

»Badaya ist Nummer zwei, und ganz oben steht … Vente auf der Invincible

»Die Vorfahren mögen uns davor bewahren!« Ein vertrauter Kopfschmerz drohte sich in den Vordergrund zu drängen.

Duellos rieb sich das Kinn. »Badaya würde Vente nicht akzeptieren. Er würde versuchen, die anderen Captains der Flotte hinter sich zu scharen, um ihm ihren Rückhalt zu geben. Sollte ihm das gelingen, dann wäre das ein Problem. Und es wird ihm vermutlich gelingen, weil Vente hier der Neue ist und er sich erst noch Verbündete schaffen muss.«

»Aber wie kann ich Badaya dazu bringen, nichts dagegen einzuwenden, wenn ich Tulev zu meinem Stellvertreter ernenne, der das Kommando übernehmen wird, wenn mir etwas zustößt?« Das nachfolgende Schweigen bestätigte Gearys Sorge. »Ich habe noch nicht einmal begonnen, diese Flotte zu ordnen, und schon habe ich ein gehöriges Problem am Hals.«

»Warten Sie einfach ab, bis Sie den Organisationsbefehl vom Flottenhauptquartier erhalten«, meinte Desjani fröhlich. »Da wird Ihnen ganz genau vorgeschrieben, wo welches Schiff sich aufzuhalten hat.«

Ja, die Kopfschmerzen begannen allmählich die Oberhand zu gewinnen. »Und was ist daran so amüsant, Captain Desjani?«

»Weil das Flottenhauptquartier immer diese detaillierten Organisationsbefehle ausgibt«, erläuterte Duellos, »und weil der Kommandant, der diesen Befehl erhält, ihn komplett ignoriert. Es ist einfach unpraktisch, wenn jemand Lichtjahre entfernt darüber zu bestimmen versucht, welche Schiffe zusammengefasst werden, wie viele Schiffe in jeder Division und jedem Geschwader sein sollen, wie die Besatzungen zu verteilen sind und in welcher Kabine in welcher Abteilung auf welchem Schiff Lieutenant Durchschnittsoffizier untergebracht werden soll, wenn man ihm sein Schiff unter dem Hintern weggeschossen hat. Trotzdem hat das Hauptquartier sich noch nie davon abhalten lassen, genau diese Dinge vorschreiben zu wollen.«

»Das Hauptquartier verschickt wirklich extrem detaillierte Pläne«, fuhr Desjani fort, »gefolgt von regelmäßigen Aktualisierungen, Korrekturen und Ergänzungen …«

»Nicht zu vergessen Nachträge und Überarbeitungen«, warf Duellos ein.

»… und das Hauptquartier ist davon überzeugt, dass sich jeder Partikel im Universum so ausrichtet, wie es ihm vom Hauptquartier vorgeschrieben wird. Das macht das Hauptquartier. Wir ignorieren diese Befehle, damit wir unsere eigentliche Arbeit erledigen können, und das macht wiederum uns glücklich.«

»Kein Wunder, dass dieser Krieg hundert Jahre gedauert hat«, merkte Geary an.

»Das Hauptquartier kann dabei sicher einen Großteil dieser Leistung für sich reklamieren«, stimmte Duellos ihm zu. »Wie Sie es schaffen können, dass Tulev im unerfreulichen Fall der Fälle als Ihr Nachfolger akzeptiert wird, ist ein wirkliches Problem. Alternativ sollten wir überlegen, wie wir Badaya dazu kriegen können, verantwortungsvoll zu handeln. Ehrlich gesagt könnte das die bessere Option sein, weil es sehr schwierig werden wird, Badaya zu übergehen. Das sind Dinge, die gründlich überlegt sein wollen. Aber wenn der Organisationsbefehl eintrifft, dann können Sie die Löschtaste betätigen und sich darüber freuen, dass Sie nichts von dem beachten müssen, was da geschrieben steht.«

»Großartig. Danke übrigens, dass Sie mitgeholfen haben, die Situation unter Kontrolle zu bringen, als diese dämliche Nachricht wegen der Kriegsgerichtsverfahren eintraf.«

Duellos nickte wieder, wirkte aber nicht mehr amüsiert. »Das war eine verdammt große Dummheit. Jemand mit sehr hohem Dienstgrad und sehr wenig Gehirn hätte beinahe einen nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet.« Er stand auf und zuckte mit den Schultern. »Aber warum sollte mich das wundern? Übrigens möchte ich Ihnen beiden auch noch gratulieren. Mögen die lebenden Sterne Ihre Verbindung erstrahlen lassen.«

Nachdem auch Duellos sich zurückgezogen hatte, stand Desjani seufzend auf. »Wir sollten wohl nicht länger als unbedingt nötig allein im Konferenzraum bleiben. Ich fand, Sie haben das Ganze gut hinter sich gebracht. Werden Sie diesen Raum auch für nachfolgende Besprechungen mit einzelnen Offizieren benutzen?«

Er zögerte. »Ich hatte eigentlich daran gedacht, mein Quartier zu benutzen …«

»Wenn Sie stattdessen diesen Raum hier benutzen, senden Sie gleichzeitig eine aussagekräftige Nachricht aus«, gab sie zu bedenken. »Vor allem, wenn Sie die Flotte wissen lassen wollen, dass Ihnen das Verhalten der jüngsten Zeit gar nicht gefallen hat. Und vor allem, wenn die betreffenden Offiziere mit Ihnen verwandt sind.«

»Warum tue ich überhaupt so, als wüssten Sie nicht immer ganz genau, was ich mache?«, fragte Geary.

Sie lächelte ihn nur an und verließ den Raum.

Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, rief er die Befehlshaberin der Dreadnaught. »Ich muss Sie unter vier Augen sprechen.«

Nur ein paar Minuten später nahm Jane Gearys Bild wieder Gestalt an. »Ja, Admiral?«, fragte sie und ließ keinerlei Unbehagen erkennen.

Er forderte sie nicht auf, sich zu setzen, weil das so wie die Wahl des Raums ebenfalls eine deutliche Botschaft senden würde. »Captain, nachdem ich mich mit den Kommunikationsaufzeichnungen befasst habe, muss ich sagen, dass Ihr Verhalten in jüngster Zeit für mich Anlass zur Sorge ist.« Er hatte beschlossen, es so zu sagen, dass Desjanis Name dabei nicht fiel. Schließlich sollte nicht der Eindruck entstehen, dass er nur deshalb so handelte, weil er von ihr auf diese Dinge aufmerksam gemacht worden war. »Genauer gesagt verstehe ich nicht, warum Sie so gehandelt haben.«

Jane Gearys Stimme und Mienenspiel verrieten Gelassenheit. »Ich habe so gehandelt, wie ich es für am besten hielt, Admiral.«

»Sie hatten von mir den Befehl erhalten, Ihre Position beizubehalten. Die Dreadnaught hat nicht nur den ihr zugewiesenen Orbit verlassen, Sie haben auch noch andere Schiffe dazu ermutigt, Ihrem Beispiel zu folgen.«

»Unter den gegebenen Umständen hielt ich es für ratsam, weiter Druck auf diejenigen auszuüben, die diese Krise ausgelöst hatten.«

»Obwohl Sie von mir den gegenteiligen Befehl hatten?« Er hörte den Unglauben aus seiner Stimme heraus. Er wusste, dass er allmählich wütend klang, aber er unternahm nichts, das diese Tatsache überspielt hätte.

»Komm-Mitteilungen können gefälscht werden, Admiral.«

»Sie sprachen mit Captain Desjani, die von mir persönlich die Befehle erhalten und weitergeleitet hatte.«

»Captain Desjanis Komm-Mitteilungen hätte man auf dem Weg zu uns ebenso fälschen können«, beharrte Jane Geary. »Sie unterstanden beide der Kontrolle durch eine externe Macht.«

Irgendetwas war mit ihr geschehen, aber was? Geary setzte sich hin und ließ sie weiter stehen. »Captain Geary«, sagte er und betonte ihren formalen Titel, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich war in einer Besprechung mit Mitgliedern der Allianz-Regierung. Es handelte sich nicht um eine externe Macht. Ich möchte Ihnen meine Gründe darlegen, wieso ich so enttäuscht bin. Ich bin nicht nur besorgt, weil Sie sich über meine Befehle hinweggesetzt haben, sondern auch weil ich sehen muss, wie Sie sich dabei betragen haben. Als ich Sie das erste Mal bei der Verteidigung von Varandal erlebt habe, da war ich von Ihrer Urteilsfähigkeit und Ihrer Beherrschung tief beeindruckt. Sie haben weder rücksichtslos noch impulsiv gehandelt.«

Ein Flackern blitzte in ihren Augen auf, und sie kniff ein wenig die Lippen zusammen. »Ich habe die Maßnahmen ergriffen, die in dieser Situation nach meinem Dafürhalten erforderlich waren«, erklärte Jane Geary. »Ganz wie Sie es auch tun, Sir. Mir wurde das Kommando über ein Schlachtschiff gegeben, nicht über einen Schlachtkreuzer, aber das heißt noch lange nicht, dass mir deswegen auch der Kampfgeist eines Geary fehlt.«

Verdutzt verzog er das Gesicht. »Niemand hat das je infrage gestellt.«

»Doch, Admiral, das hat man«, widersprach sie ihm und sah ihm in die Augen.

Die Vergangenheit schob sich wieder wie eine unsichtbare Mauer zwischen sie, die Geary für immer von all seinen noch lebenden Verwandten trennte. Sagen Sie ihr, dass ich Sie nicht mehr hasse, waren Michael Gearys letzte Worte zu ihm gewesen. Für seine Nachfahren hatte sich Black Jack Geary als das uneinholbare und unentrinnbare Symbol der ganzen Familie entpuppt. Seinen Verwandten war das Schicksal gewiss gewesen, in den Dienst der Flotte zu treten, und das alles nur, weil ihr für tot gehaltener Vorfahr angeblich ein Held gewesen war. »Jane, ich habe Ihnen zuvor gesagt, dass ich Sie zu den besseren Befehlshabern in dieser Flotte zähle. Das schließt auch die Kommandanten all meiner Schlachtkreuzer ein. Sie sind eine der Besten.«

»Danke, Sir.«

Sie glaubte ihm kein Wort. Was war in der Zeit geschehen, als er nicht bei der Flotte gewesen war? »Ich will wieder die Befehlshaberin sehen, die Varandal verteidigt hat. Vergessen Sie Black Jack, ich will, dass Sie wieder Jane Geary sind.«

»Jawohl, Sir.«

Zum Teufel mit den militärischen Formalitäten. Wenn alles andere versagte, waren sie immer noch das perfekte Versteck, um wahre Gefühle und ehrliche Gedanken zu verbergen. Geary lehnte sich zurück und tippte auf den Tisch. »Setzen Sie sich bitte, Jane. Ich muss gestehen, ich dachte, jetzt nach dem Krieg würden Sie die Flotte verlassen und Ihr Leben so führen, wie es Ihnen gefällt.«

Steif nahm sie ihm gegenüber Platz. »Nicht jede Mission ist damit abgeschlossen«, sagte sie leise.

»Wenn Michael noch lebt, werde ich ihn schon finden.«

»Sie haben genug anderes zu tun, Admiral. Ich kann mich darum kümmern.«

»Bleiben Sie deshalb bei der Flotte? Um nach Michael zu suchen?«

Nach kurzem Zögern erwiderte sie: »Es gibt auch noch andere Gründe.«

»Sie haben Ihren Teil geleistet«, beharrte er. »Ich stecke hier fest, aber Sie können sich anderen Dingen widmen.«

»Ich bin eine Geary«, sagte sie leise, aber eindringlich. »Mehr denn je.«

Lange Zeit sah er sie schweigend an, da ihm nichts in den Sinn kam, was er hätte sagen können. »Ich will eine Sache klar machen: Ich glaube, Sie haben das Recht auf ein eigenes Leben. Bleiben Sie nicht meinetwegen bei der Flotte. Ich habe der Familie schon genug Unheil eingebrockt. Aber wenn Sie bleiben, dann muss ich Gewissheit haben, dass ich auf Sie zählen kann.«

»Sie können auf mich zählen.« Sie wich seinem Blick nicht aus.

»Das habe ich immer gewusst.« Diese Unterhaltung kam einfach nicht von der Stelle. »Jane, als Ihr befehlshabender Offizier hoffe ich, Sie werden mich auf dem Laufenden halten, wenn sich irgendwelche Umstände ergeben, die Sie dahin hindern könnten, weiterhin so gut Ihren Dienst zu verrichten wie bisher. Als dein Onkel hoffe ich, dass du genauso offen mit mir über alle anderen Angelegenheiten reden wirst.«

Eine Weile erwiderte Jane nichts, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich bin älter als du, Onkel. Du hast hundert Jahre damit verbracht, nicht zu altern.«

»Seit ich aus dem Kälteschlaf erwacht bin, habe ich von diesen hundert Jahren schon einiges wettgemacht. Ich habe das Gefühl, jeden Monat ein paar Jahre älter geworden zu sein.« Sein Versuch, Humor ins Spiel zu bringen, zeigte keine Reaktion auf ihrer Seite, also fügte er hinzu: »Das ist alles, was ich zu sagen hatte.«

»Vielen Dank.« Sie stand auf und salutierte, obwohl das Treffen einen privaten Zug angenommen hatte, dann verschwand ihr Bild. Geary saß da und starrte finster auf die Stelle, an der sich eben noch Jane befunden hatte. Was sollte das? »Ich bin eine Geary.« Davor war sie ein Leben lang davongelaufen. Warum akzeptiert sie das auf einmal? Und wie wird das …

Verdammt. Akzeptiert sie etwa die Legende? Meint sie, sie muss dieser Legende gerecht werden? Das schaffe ich ja nicht mal!

Sie kann nicht glauben, dass sie wie Black Jack sein muss.

Aber was sie mit der Dreadnaught gemacht hat, als diese Nachricht wegen der Kriegsgerichtsverfahren eingegangen war … war das nicht genau das Verhalten, das man in den Mythen Black Jack zuschrieb?

Ich kann nur hoffen, dass ich mich irre. Das Letzte, was diese Flotte gebrauchen kann, ist der personifizierte Mythos von Black Jack.

Nachdem er endlich ein paar Minuten Zeit hatte, um sich in sein Quartier zu verkriechen, musste Geary feststellen, dass er zu rastlos war, um sich dort an seinen Tisch zu setzen. Also entschloss er sich zu einem Spaziergang durch das Schiff. Auf dem Weg durch die vertrauten Korridore spürte er, wie sich seine Laune besserte. Die Dauntless war nach einem genauso nüchternen und schnörkellosen Plan gebaut wie die neuen Sektionen der Station Ambaru, aber der Schlachtkreuzer besaß eine besondere Eigenschaft: Die Dauntless fühlte sich an wie sein Zuhause.

Es überraschte ihn nicht, Tanya zu begegnen, die auf ihrem Weg durchs Schiff war, um alles zu inspizieren. Vor ihrer Ankunft hatte auf der Dauntless zweifellos hektisches Treiben geherrscht, da alle darauf bedacht waren, auch noch das letzte Staubkorn zu beseitigen, alles an seinen angestammten Platz zu schaffen und dafür zu sorgen, dass alles optimal funktionierte. »Guten Tag, Captain Desjani.«

»Guten Tag, Admiral Geary«, erwiderte sie im gleichen Tonfall, als hätten sie die letzten Wochen damit zugebracht, wie üblich an Bord ihres Schiffs Seite an Seite ihren Dienst zu verrichten.

Er ging neben ihr her, wobei er darauf achtete, genügend Abstand zwischen ihnen zu wahren. Dies war Desjanis Schiff, und die Crew würde zweifellos jede unprofessionelle Vertrautheit zwischen ihnen beiden zur Kenntnis nehmen. »Ist schon eigenartig, wieder in meinem alten Quartier zu sein. Da drängt sich mir so langsam das Gefühl auf, die letzten Wochen könnten nur ein Traum gewesen sein.«

Sie zog eine Augenbraue hoch, dann hob sie ihre linke Hand und drehte sie so, dass der funkelnde neue Ring an ihrem Finger zu sehen war. »Ich bekomme in meinen Träumen für gewöhnlich keinen Schmuck geschenkt.«

»Ich auch nicht.«

»Etwas macht Ihnen zu schaffen. Wie ist die Einzelbesprechung gelaufen?«

»Ganz gut, aber etwas eigenartig.« Als er sein Treffen mit Jane Geary beschrieb, warf Desjani ihm einen weiteren fragenden Blick zu. »Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Als ich das erste Mal mit ihr gesprochen habe, ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie sich nur zur Flotte gemeldet hatte, weil es von ihr erwartet wurde. Weil sie eine Geary ist. Jetzt ist der Krieg vorbei, sie hat ihre Pflicht erfüllt. Nichts hält sie noch in der Flotte.«

»Irgendetwas tut das aber.«

»Ich habe ihr gesagt, dass sie frei ist und dass sie sich ihrem Leben widmen kann.«

Desjani lächelte ironisch. »Das Leben verläuft üblicherweise nicht so, wie wir es planen. Was auch immer Jane Geary sich mal vorgenommen hat, sie hat ihr Leben als Flottenoffizier verbracht. Vielleicht wird ihr allmählich klar, dass dies hier ihr Leben geworden ist. Vielleicht weiß sie nicht mehr, was sie sonst tun soll. Und vielleicht …«

»Ja? Was?«, hakte er nach.

»Sie haben mir von Ihrer Familie erzählt, wie man dort über Black Jack denkt.« Sie biss sich auf die Unterlippe, ehe sie weiterredete. »Es könnte doch sein, dass ein Teil von ihr das Wissen ausgemacht hat, eben nicht Black Jack zu sein, weil sie ihn so hassen und sich sagen konnte, dass er niemand war, dem sie nacheifern sollte. Aber jetzt hat sie den wahren Black Jack kennengelernt.«

»Es hat nie einen wahren Black Jack gegeben.«

»Werden Sie das eigentlich bis in alle Ewigkeit leugnen wollen? Ich will damit sagen, dass Jane Geary jetzt vielleicht versucht herauszufinden, wer sie stattdessen sein will. Eben nicht mehr ›nicht Black Jack‹, sondern etwas anderes.«

»Genau das macht mir Sorgen«, gab er missmutig zu. »Dass sie versuchen könnte, so zu sein wie der imaginäre Black Jack. Nicht so, wie ich wirklich bin. Ich wünschte, sie würde mit mir darüber reden. Ich werde mich mit meinen Vorfahren beraten, möglicherweise können sie mir ja eine Erklärung bieten.«

»Viel Spaß, und grüßen Sie sie von mir«, meinte Desjani. »Ich muss noch das restliche Schiff inspizieren. Ich werde anschließend mit meinen Vorfahren reden. Um Dank zu sagen«, fügte sie bedeutungsvoll an, »für alles, was gut verlaufen ist, und für alles, was viel schlechter hätte verlaufen können.«

»Botschaft angekommen, Captain Desjani.« Sie waren zusammen, und auch wenn das mit strengen Auflagen an sie selbst verbunden war, würde nur ein Narr sich nicht dafür bedanken, dass der schlimmste Fall heute abgewendet worden war.

Der Organisationsbefehl vom Flottenhauptquartier war wie von Desjani und Duellos vorhergesagt eingetroffen – eine Woche nach der Übernahme des Kommandos über die Erste Flotte und vier Tage nachdem er selbst die Flotte bereits organisiert hatte. Er war sich nicht sicher gewesen, wie sehr ihn die beiden auf den Arm genommen hatten, was das Mikromanagement des Flottenhauptquartiers anging, weshalb ihm auch ein ungläubiges Stöhnen über die Lippen gekommen war, als er das Ausmaß und die Detailverliebtheit dieses Befehls sah.

Ich soll die Inspire und die Leviathan in die gleiche Schlachtkreuzerdivision stecken? Warum sollte ich das machen, wenn ich dadurch Duellos und Tulev zusammen in einer Division habe, obwohl beide bewiesen haben, wie gut jeder von ihnen eine eigene Division führen kann? Und warum sollte ich die Schlachtschiffdivisionen durcheinanderwürfeln, anstatt die Schiffe an der Seite jener Kameraden zu lassen, mit denen sie schon seit einiger Zeit zusammenarbeiten?

Weitere Beförderungen waren nicht vorgenommen worden, weder von Geary vorgeschlagene noch solche, die wegen der Länge des Dienstes, wegen heldenhaften Handelns oder neuer Aufgabengebiete vertretbar gewesen wären. Mit dem Kriegsende und dem Einfrieren der Flottenstärke war das Beförderungskarussell abrupt zum Stillstand gekommen, was vor allem für die nachrückenden Offiziere eine ganz neue Situation darstellte. Immerhin waren sie daran gewöhnt, im gleichen Tempo befördert zu werden, in dem ihre Kameraden an der Front getötet wurden, die umgehend ersetzt werden mussten. Neben der offensichtlichen Notwendigkeit für die Allianz, Geary zum Admiral zu befördern und Carabali vom Colonel in den Dienstgrad eines Generals aufrücken zu lassen, war sonst niemand aufgestiegen, nicht einmal Lieutenant Iger. »Ungerecht« war noch die harmloseste Bezeichnung für diese Vorgehensweise, aber das System war ganz gezielt so aufgebaut worden, dass Beförderungen nie garantiert wurden, damit es keine Möglichkeit gab, sie einzuklagen, wenn sie einem verwehrt blieben. Geary fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sich seine Offiziere darüber zu ereifern begannen, dass ihnen mit einem Mal der Weg auf der Karriereleiter nach oben versperrt war und die Flotte eine außerordentliche Leistung nicht mehr mit einem höheren Dienstgrad honorierte.

Und dann würden sie sich an ihn wenden und sich fragen, warum er diesen Missstand nicht behob und dafür sorgte, dass wieder fleißig befördert wurde. Eine Beförderung vor Ort. Vielleicht hat das Hauptquartier vergessen, meine Möglichkeiten als Flottenkommandant einzuschränken, und ich kann Offiziere immer noch als Anerkennung für herausragende Leistungen vor Ort befördern. Aber dann werde ich gleich eine große Gruppe befördern müssen, denn sobald ich das einmal gemacht habe, wird man beim Hauptquartier bemerken, dass dieses Schlupfloch noch existiert.

Er blätterte die Liste weiter durch und stieß auf die Crewaufstellungen. Jeder Mann und jede Frau in dieser Flotte war nach Schiff, Aufgabengebiet und Abteil oder Quartier aufgeführt. Kann ich das tatsächlich einfach ignorieren?, fragte er sich. Zum ersten Mal machte er sich Gedanken wegen der Statusberichte, die verschickt wurden, wenn sich die Flotte auf heimatlichem Territorium befand. Er wusste, dass die Berichte, die er von allen Schiffen erhielt, zutreffend waren, doch was davon wurde wirklich ans Hauptquartier weitergeleitet?

Desjani stutzte, als sie die Frage hörte, die er ihr stellte, nachdem er sie zu sich gerufen hatte. »Es ist eine Simulation«, antwortete sie. »Sie müssen gar nichts machen. Die Datenbank der Flotte ist so programmiert, dass sie automatisch eine Simulation erzeugt, die auf Nachrichten vom Hauptquartier wie diese da reagiert. Diese Simulation wird um echte Daten ergänzt, wenn das notwendig wird, wenn also zum Beispiel in einem Gefecht Schiffe zerstört oder beschädigt werden. Aber verwaltungstechnisch betrachtet ist es ein alternatives Universum, das dem Hauptquartier übermittelt wird, damit es Ruhe gibt. Haben Sie das vor hundert Jahren nicht auch schon so gemacht?«

»Nein.« Sollte er jetzt entsetzt sein? Oder dankbar, dass die Streitkräfte ein Mittel entdeckt hatten, wie sie der Einmischung durch die Bürokratie entgehen konnten? »Warum hat das Hauptquartier noch nicht gemerkt, was in Wahrheit läuft?«

»Gemerkt hat man das da schon. Natürlich sind die jeweiligen Einheiten so weit entfernt, dass es eine Weile dauert, bis das Hauptquartier weiß, was los ist. Dann sagen sie uns, wir sollen tun, was man uns gesagt hat, und sie schalten die Simulation ab. Die simulierte Flotte stimmt ihnen zu und erzählt, dass alles in Ordnung ist. Nach einer Weile kommt das Hauptquartier dahinter, dass es nach wie vor Rückmeldungen von der Simulation erhält, und dann bekommen wir das Gleiche gesagt wie zuvor, und die simulierte Flotte stimmt wieder zu. So geht das immer weiter. Einige Offiziere im Hauptquartier schwören von Zeit zu Zeit hoch und heilig, dass sie das System ändern werden. Aber wenn dann tatsächlich jemand dorthin reist, wo die Flotte im Einsatz ist, ändert sich seine Einstellung recht schnell.«

Das klang zwar logisch, aber es konnte auch ein raffinierter Streich sein. Geary musterte Desjani aufmerksam und suchte nach einem Hinweis darauf, dass sie sich nur einen Spaß erlaubte. »Und niemand redet jemals darüber?«

»Wir müssen nicht viel darüber reden. Von unserer Seite läuft das alles ganz automatisch ab, aber ich schätze, das Hauptquartier verwendet viel Zeit darauf, unserer simulierten Crew zu erzählen, was sie tun und lassen soll. Haben Sie noch nie von der Potemkinschen Flotte gehört? Ich weiß nicht, woher der Name kommt. Vielleicht hieß derjenige so, der das System entwickelt hat, oder jemand hat den Namen in einer Datenbank gefunden und war der Meinung, dass er gut dazu passt. Auf jeden Fall wird damit die Flotte bezeichnet, so wie das Hauptquartier sie sehen will. Damit zeigen wir ihnen genau das, was man dort sehen will. Wir befolgen natürlich den eigentlichen Einsatzbefehl, aber das Mikromanagement ignorieren wir, ganz egal, welchen Bereich es betrifft.«

Nachdem er die Unterhaltung beendet hatte, starrte Geary minutenlang auf den Befehl. Auch wenn Desjani das Ganze auf die leichte Schulter nahm, sträubte sich alles in ihm gegen die Vorstellung, dem Hauptquartier einfach nur simulierte Daten zu übermitteln. Aber dann widmete er sich noch einmal eingehender den Befehlen und blieb dabei an einer Zeile hängen, die einen bestimmten Offizier auf einem bestimmten Schiff betraf. Ensign Door soll zweimal wöchentlich einen Bericht an seinen Vorgesetzten Lieutenant Orp senden und darin seine Fortschritte zusammenfassen, die er bei seiner Qualifizierung gemäß Flottenanweisung 554499A zum Notfallschadensbeseitigungsgruppenführer macht. Falls Ensign Door nicht die erforderlichen Fortschritte nachweisen kann, sollen wöchentliche Berichte die bestehenden Wissenslücken dokumentieren, wobei Formular B334.900 zu verwenden ist …

Geary löschte die Nachricht mit einem Tastendruck.

Natürlich war das nur die erste von vielen Nachrichten, die ihn aus dem Hauptquartier erreichten.

Die Nächste traf schon einen Tag später ein, diesmal als Mitteilung von höchster Priorität, die mit einem wütenden roten Blinken seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Das genügte bereits, um bei Geary ein ungutes Gefühl auszulösen, da er damit beschäftigt war, sich einen Überblick über den Bereitschaftsstatus der zur Ersten Flotte gehörenden Schiffe zu verschaffen. Mit einem resignierenden Seufzer nahm er die Nachricht an, dann tauchte vor ihm Admiral Celu auf, die neue Chefin des Flottenhauptquartiers für die Allianz. Celu hatte ein ausgeprägtes Kinn, das sie trotzig vorschob, als wollte sie Geary herausfordern.

»Admiral Geary, wir empfangen Berichte, die den Schluss zulassen, dass Sie beabsichtigen, Ihre Mission erst in dreißig Standardtagen nach der Übernahme des Kommandos zu beginnen. Diese Mission hat oberste Priorität für die Sicherheit der Allianz. Sie werden hiermit angewiesen, Ihr beabsichtigtes Abreisedatum um mindestens zwei Wochen vorzuverlegen. Wir erwarten, dass Sie den Erhalt dieser Nachricht so schnell wie möglich bestätigen und uns Ihr neues beabsichtigtes Abreisedatum mitteilen. Celu Ende.«

Nicht mal ein höfliches und angemessenes »Auf die Ehre unserer Vorfahren« am Ende der Nachricht. Und nicht bloß eine Textnachricht oder ein Video, um die Botschaft zu übermitteln, sondern ein virtuelles Ganzkörperbild, das eindeutig der Einschüchterung dienen sollte. Es gab einmal eine Zeit, da hätte es bei ihm blinden Gehorsam ausgelöst, ob er den Befehl nun für klug hielt oder nicht. Aber in den letzten Monaten hatte er ganz allein eine Flotte geführt, ohne von irgendeinem Vorgesetzten Anweisungen zu erhalten, er hatte sich zahlreichen Widersachern gestellt, die seine Autorität infrage stellen wollten, und er hatte mit seinen Befehlen während etlicher Schlachten zu viele Männer und Frauen in ihren Tod schicken müssen. Seine eigene Einstellung zu den Dingen hatte sich spürbar geändert, und Aktionen, mit denen er ohne Rücksicht auf das Risiko für die Untergebenen seinen Vorgesetzten gefallen wollte, sprachen ihn jetzt sogar noch weniger an als früher. Im Angesicht von mehr als nur einem kollabierenden Hypernet-Portal hatte das Bild der vor ihm stehenden Admiral Celu nicht annähernd die gleiche Wirkung wie früher.

Geary hielt die Nachricht an, um sich Celu genauer anzusehen. Eine sehr schön geschnittene Uniform, viele Auszeichnungen. Der Anblick erinnerte ihn an die Syndik-CEOs in ihren maßgeschneiderten Anzügen. Der Gesichtsausdruck in Verbindung mit dem Tonfall ihrer Nachricht ließ Geary vermuten, dass Celu eine Offizierin vom Typ »Schreihals« war, jene Sorte Vorgesetzte, die glaubten, dass eine laute Stimme und ständige Wut die einzigen zwei Führungsqualitäten waren, auf die es wirklich ankam.

Celu war eindeutig daran interessiert, ihr Verhältnis zu Geary als das zwischen Vorgesetzter und Untergebenem zu definieren. Er hatte damit kein Problem, schließlich war das ihr gutes Recht, und die Befehlskette musste beachtet werden. Aber ihm gefiel ihre Art nicht. Er hatte das Hauptquartier noch nie gemocht, das schon zu seiner Zeit seine Existenz damit rechtfertigte, dass es nun mal existierte, und das sich dadurch auszeichnete, Forderungen an die Kriegsschiffe zu stellen, die es eigentlich hätte unterstützen sollen. Offenbar war das während des langen Krieges nur noch schlimmer geworden, da die klaffende Lücke zwischen dem Hauptquartier und den Offizieren im Einsatz immer breiter geworden war.

Also hielt Geary nun inne und dachte nach. Es gab eine Möglichkeit, den Termin für den Aufbruch der Flotte nicht vorzuverlegen, auch wenn Celu den ausdrücklichen Befehl dazu erteilt hatte. Er rief das Regelwerk der Flotte auf, suchte nach dem richtigen Absatz und lächelte zufrieden, als die Passage angezeigt wurde. Die letztliche Verantwortung für die Sicherheit der Schiffe und des Personals sowie für den erfolgreichen Abschluss der übertragenen Aufgaben und Missionen liegt beim befehlshabenden Offizier. Es ist die Pflicht des Befehlshabers, alle potenziellen Faktoren in Erwägung zu ziehen, wenn er Befehle gibt.

Vor über hundert Jahren hatten Geary und seine Kameraden diese Vorschrift als die »Pech gehabt«-Regel bezeichnet. Befolgte man einen Befehl, obwohl ein paar von »allen potenziellen Faktoren« dagegensprachen, waren alle Konsequenzen daraus einfach nur die Schuld des jeweiligen Kommandanten. Befolgte man unter diesen Umständen einen Befehl nicht, dann traf ebenfalls den Kommandanten alle Schuld. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen, dass eine solche Vorschrift zum Schutz der vorgesetzten Autorität aus dem Regelwerk entfernt worden war.

Aber er konnte die Vorschrift auch gegen diese vorgesetzte Autorität zum Einsatz bringen. Er konnte auf diesen Befehl mit einem sehr detaillierten Bericht reagieren, der all jene potenziellen Faktoren enthielt, mit denen sich die aus seiner Sicht notwendige Verzögerung bei der Umsetzung dieser Mission rechtfertigen ließ. Es waren weitere Reparaturen durchzuführen, die Vorräte waren noch nicht vollständig aufgestockt, Crewmitglieder waren nach wie vor auf Landurlaub, und wenn nicht ein Notruf an sie ausgesandt wurde, würden sie sich erst zum vereinbarten Termin wieder bei der Flotte einfinden. Um diese Argumente zusammenzustellen, würde er bestimmt einen ganzen Tag benötigen, und das, wo es keine Garantie gab, dass im Hauptquartier irgendjemand mehr lesen würde als den zusammenfassenden Absatz zu Beginn seiner Ausführungen. Es war nicht mal sicher, ob sich im Hauptquartier überhaupt jemand für Argumente interessierte, die der von ihnen gewählten Version der Wirklichkeit widersprachen.

Aber er konnte auch nicht lügen. Eine Potemkinsche Flotte mochte schön und gut sein, wenn es sich nur um rein verwaltungstechnische Angelegenheiten handelte. Aber eine Lüge über den Bereitschaftsstatus der Flotte hatte da schon etwas Kriminelles an sich.

Alle potenziellen Faktoren. Neue Offiziere beklagten sich immer darüber, dass es gar nicht möglich sei, alle potenziellen Faktoren zu beschreiben, und wir begannen zu lachen, ehe wir ihnen erzählten, dass genau das der Sinn und Zweck dieser Vorschrift war. Alle … potenziellen … Faktoren.

Ich habe noch nie die Tatsache ausgenutzt, dass ich Black Jack bin, ein beliebter Held. Aber Leute wie Celu konnte ich noch nie ausstehen. Ich habe genug anderes zu tun als meine Entscheidungen vor einem Haufen Bürokraten im Hauptquartier zu rechtfertigen. Ich werde auch nicht meine Leute darunter leiden lassen, die sich ihren Urlaub nach den vielen Schlachten mehr als verdient haben. Und ich werde mich bei einer solchen Mission, die eine umfassende Vorbereitung erforderlich macht, von niemandem zur Eile antreiben lassen.

Zuvor habe ich auf solche Dinge kaum Einfluss gehabt, aber jetzt brauchen sie mich als Befehlshaber dieser Flotte. Den Vorschriften entsprechend trage ich die letztendliche Verantwortung für meine Entscheidungen. Ich muss nur die Entscheidung rechtfertigen.

Sorgfältig formulierte er einen Antworttext: Als Reaktion auf Ihre Nachricht (Referenz a) erfordert Flottenvorschrift 0215 Absatz sechs Alpha von mir, dass ich bei der Ausführung von Befehlen alle potenziellen Faktoren in Erwägung ziehen muss. Das gegenwärtig geplante Abreisedatum für die mir übertragene Mission spiegelt meine Einschätzung aller potenzieller Faktoren wider, unter anderem die erforderliche Zeit für Erledigung der notwendigen Logistik, Einsatzbereitschaft, Reparaturen, Personal und Planungserfordernisse. Das umfasst die Rechtfertigung für die Einschätzung und Beschreibung aller potenzieller Faktoren. (Anhang b)

Er hatte kein Entgegenkommen bei dem von ihm bestimmten Datum gezeigt, auch wenn das hinter angenehm vagen und höflichen Worten verborgen war, die zusammen eine trügerisch kurze Nachricht ohne jeden echten Informationsgehalt bildeten. Die wahren Informationen würden sich im Anhang finden. Die wollen wissen, welche potenziellen Faktoren ich vorzubringen habe? Sollen die sich doch alles durchlesen und herausfinden, ob sie irgendwo einen Grund entdecken können, der belegt, dass meine Entscheidung nicht gerechtfertigt ist.

Dann wies Geary die Datenbank der Flotte an, jede offizielle Datei zu jedem Thema anzuhängen (ausgenommen natürlich alles, was sich auf die Simulation der Potemkinschen Flotte bezog) und die gesamte Sammlung in einen einzigen Ordner zu packen, der mit seiner Antwort verschickt werden sollte. Die kombinierte Rechenkapazität der Flotte, deren Schiffe zu diesem Zweck zu einem übergreifenden Netzwerk zusammengeschlossen waren, benötigte mehrere Minuten, um nur diese eine Aufgabe zu erledigen. Er hätte nicht gedacht, dass irgendein Befehl an den Computer die Flottensysteme so lange Zeit beanspruchen würde. Nach einer Weile begann er sich zu fragen, ob er es wohl geschafft hatte, das Netzwerk zu überlasten und lahmzulegen, als auf einmal überraschend das Ergebnis auf seinem Display angezeigt wurde.

Geary musste innehalten, so beeindruckend war die Zahl, die die Größe des Anhangs an seine Nachricht anzeigte. Diese Masse an Information war so gewaltig, dass von deren Einspeisung vermutlich sogar ein Schwarzes Loch unter Verstopfung leiden würde.

Unwillkürlich überlegte er, was wohl geschehen würde, wenn diese Datenmenge in die Datenbanken des Flottenhauptquartiers übertragen wurde, deren Kapazitäten als recht fragwürdig galten. Konnte eine ausreichend große Menge an Informationen ein virtuelles Schwarzes Loch aus zerfallenden Daten erzeugen, aus dem nichts entkommen konnte? Wenn das Ergebnis darin bestand, dass das Hauptquartier Probleme bekam, Nachrichten zu verschicken, war das Ganze auf jeden Fall einen Versuch wert.

Wieder betrachtete er Celus Bild und dachte an ihren Befehl, er solle so schnell wie möglich antworten. Dann versah er seine Antwort mit der höchstmöglichen Priorität ohne sie als Notfall deklarieren zu müssen. Ihr wollt eine schnelle Antwort, und die werdet ihr auch bekommen.

War ein einzelnes Kurierschiff überhaupt in der Lage, eine solche Datenmenge zu transportieren? Es würde interessant sein, das herauszufinden und anschließend zu sehen, wie lange das Hauptquartier damit beschäftigt sein würde, diesen Anhang runterzuladen. Lächelnd tippte Geary auf die Senden-Taste, dann widmete er sich wieder seiner eigentlichen Arbeit.

Nachrichten vom Hauptquartier, die von da an eingingen, überflog er fast nur noch, um festzustellen, ob eine vage Antwort genügte, ob er sie komplett ignorieren konnte oder ob vielleicht wirklich eine wie auch immer geartete Reaktion notwendig war. Aber zwei Wochen nach Übernahme des Kommandos ging eine sehr sonderbare Mitteilung ein, die ihn veranlasste, sie noch einmal gründlich zu lesen.

Benennen Sie mit hoher Priorität für einen Transfer sämtliches Flottenpersonal – Offiziere und Unteroffiziere – mit formellen oder informellen Kenntnissen über die Funktionsweise von Hypernet-Systemen. Derart benanntes Personal verbleibt bis zu einer anderweitigen Zuteilung auf Varandal.

Transfer? Die wollten erfahrene Crewmitglieder von den Schiffen holen, die im Begriff waren, sich auf eine gefährliche Mission zu begeben? Augenblick mal!

Er wusste nicht, wie viele Leute in dieser Flotte über »formelle oder informelle Kenntnisse« über das Hypernet verfügten, aber ihm war klar, dass einer von ihnen Commander Neeson war, der Befehlshaber des Schlachtkreuzers Implacable. Er sollte einen erfahrenen Commander für einen Transfer benennen, und das zwei Wochen bevor diese Flotte aufbrechen würde, und dann sollte er den Offizier auch noch hier zurücklassen, wenn die Flotte sich auf den Weg machte? Wie viele Leute in wichtigen Positionen würden noch dieser jüngsten Forderung des Flottenhauptquartiers Folge leisten müssen?

Eine rasche Suche in der Datenbank ergab eine lange Liste von fast hundert Männern und Frauen, die alle mit sekundären Codes für hypernetbezogene Kenntnisse versehen waren. Von Neeson abgesehen waren vier weitere Kommandanten davon betroffen, darunter Captain Hiyakawa vom Schlachtkreuzer Steadfast und die Captains von zwei Schweren Kreuzern. Nach einem Blick auf die Kriterien für den angegebenen Code musste er aber feststellen, dass »Hypernet-Kenntnisse« ein sehr schwammig formuliertes Fachgebiet waren. Er warf einen Blick auf die primären Kenntniscodes der Senior-Unteroffiziere, die alle klar und deutlich definiert waren, und schüttelte den Kopf. Ich kann es mir nicht leisten, diese Leute gehen zu lassen. Jedenfalls nicht viele von ihnen. Am liebsten gar keinen, wenn ich dabei ein Wörtchen mitzureden habe. Was zum Teufel will das Hauptquartier überhaupt mit diesen Leuten?

Er rief Commander Neeson, mit dem er schon zuvor bei Hypernet-Angelegenheiten zusammengearbeitet hatte. »Commander, wie maßgeblich würde Ihr Beitrag ausfallen, wenn die Allianz Sie in die Forschung oder die Entwicklung oder in Bauprojekte einbeziehen würde, die das Hypernet betreffen?«

Der drei Lichtsekunden von der Dauntless entfernte Neeson schien von der Frage überrumpelt. »Sie reden von mir persönlich, Admiral? Minimal. Eigentlich überhaupt nicht. Ich weiß ein paar theoretische und praktische Dinge über das Hypernet, aber im Vergleich zu richtigen Experten ist das überhaupt nichts. Ich kenne mindestens ein halbes Dutzend Offiziere im Hauptquartier, die mir auf dem Gebiet um Lichtjahre voraus sind. Ich habe mich noch nie mit ihnen unterhalten, aber ich kenne ihre Namen von Forschungsveröffentlichungen.«

»Wie sieht es mit anderen Angehörigen dieser Flotte aus? Wie ich gesehen habe, verfügt Captain Hiyakawa auch über diesen Kenntniscode.«

»Ich kenne Captain Hiyakawa nicht allzu gut, Admiral«, antwortete Neeson mit sechs Sekunden Verzögerung, die das Signal benötigte, um hin und zurück zu reisen. »Wir haben uns mal kurz unterhalten, daher würde ich sagen, dass er ungefähr auf dem gleichen Niveau ist wie ich. Sir, die einzige Offizierin der Flotte, die zu irgendeinem Projekt etwas Brauchbares hätte beitragen können, wäre Captain Cresida gewesen. Nicht wegen ihrer Ausbildung auf dem Gebiet der Hypernet-Portale, sondern weil sie intuitiv und genial war. Ich bin nur ein Amateur, ich weiß nicht mehr und nicht weniger über diese Portale als so ziemlich jeder andere in dieser Flotte.«

»Können Sie sich irgendein Hypernet-Projekt vorstellen, bei dem Ihr Wissen einen maßgeblichen Einfluss hätte?«, fragte Geary.

»Außerhalb der Flotte? Nein, Sir. Ich könnte bei irgendwelchen Besprechungen den Kaffee aufsetzen, aber zu mehr würde es nicht reichen.«

»Danke, Commander. Ich weiß Ihre Beurteilung zu schätzen.« Nachdem die Verbindung beendet war, saß Geary da und starrte auf die Stelle, an der sich eben noch das Fenster befunden hatte. Keine besonderen Kenntnisse, was die Hypernet-Fähigkeiten angeht. Aber ein großer Nachteil für mich, wenn mir jetzt dieses Wissen verloren geht. Und das Flottenhauptquartier verfügt bereits über Leute, die weitaus qualifizierter sind. Und die Nachricht vom Flottenhauptquartier hat mir nicht mal Ersatz für meine Leute angekündigt.

Cresida war die Einzige, die etwas dazu hätte beitragen können … Verdammt, mir fehlt Jaylen. Eine hervorragende Offizierin. Genial, genau wie Neeson gesagt hatte. Aber wenn sie die Einzige war, bei der man von echten Kenntnissen reden konnte, dann dürfte Commander Neeson jetzt der Einzige in dieser Flotte sein, der sich einigermaßen mit Hypernet-Portalen auskennt. Damit ist es wohl mein gutes Recht, entsprechend auf diese Anforderung zu reagieren.

Geary tippte auf die Antwort-Taste. »In Erwiderung auf Ihre Bitte hat eine Bewertung des Flottenpersonals ergeben, dass nach meinem Urteil niemand Ihren Anforderungen genügt.«

Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie seine Urteilsfähigkeit zu dem Thema infrage stellten, und er war es allmählich gewöhnt, dass die Leute so mit ihm umgingen. Seit er aus dem Kälteschlaf erwacht war, hatte man öfter an seinem Urteil gezweifelt als zu der Zeit, da er noch ein Ensign gewesen war. Aber kurzfristig zählte für ihn nur, nicht das Personal zu verlieren, das seine Schiffe benötigten. Vielleicht würde derjenige im Hauptquartier, der sich diese merkwürdige Anfrage ausgedacht hatte, es ja fertigbringen, in den verbleibenden zwei Wochen noch einen anderen Anlauf zu unternehmen, doch den konnte er dann problemlos abblocken und darauf verweisen, dass zu wenig Zeit verblieb, um noch personelle Umbesetzungen akzeptieren zu können. Auf jeden Fall war ihm eine Beschwerde lieber, dass er diesmal keine ausreichend begründete Antwort geliefert hatte, anstatt noch fast hundert Leute von ihren Schiffen zu holen, wo die Flotte doch in Kürze Varandal verlassen sollte.

Wenigstens scheinen meine Probleme diesmal nur beim Hauptquartier zu liegen, nicht aber hier in meiner Flotte.

Wieder ging eine Meldung ein, diesmal eine visuelle Mitteilung. Von Timbale. Das dürfte nicht so übel sein.

Admiral Timbales Gesicht tauchte in einem Fenster auf und lächelte ihn aufmunternd an. »Gute Neuigkeiten.«

»Die kann ich gut gebrauchen.«

»Morgen treffen Ihre Experten ein.«

Geary wartete sekundenlang, dann fragte er: »Experten für was?«

»Für intelligente nichtmenschliche Spezies.«

»Dafür haben wir Experten? Bis wir auf die Enigma-Rasse gestoßen waren, wussten wir nicht mal, dass es irgendwo Aliens gibt. Und dass sie existieren, konnten wir erst vor ein paar Monaten bestätigen.«

»Das ist richtig«, stimmte Timbale ihm zu. »Aber Wissenschaft und Akademien bringen dennoch seit Jahrhunderten Experten zu diesem Thema hervor. In den letzten Jahrhunderten nicht mehr so viele, wie ich gehört habe. Offenbar hatte der Mangel an intelligenten nichtmenschlichen Spezies dazu geführt, dass der Ausstoß an Experten mit der Zeit immer weiter abgenommen hat. Aber ein paar gibt es immer noch. Offenbar gibt man Ihnen den Großteil der Experten mit, die in der Allianz zu finden sind. Wie ich höre, sind sie ganz begeistert die Flotte zu begleiten.«

Geary spürte, wie sich der allzu vertraute Kopfschmerz erneut zu regen begann. »Wie viele?«

»Einundzwanzig. Allesamt Zivilisten. Vierzehn von ihnen sind vollwertige Doktoren.«

»Ich warte immer noch auf die guten Neuigkeiten. Wo soll ich einundzwanzig zivile Experten für intelligente nichtmenschliche Spezies unterbringen, die noch nie in ihrem Leben eine intelligente nichtmenschliche Spezies zu Gesicht bekommen haben?«

Timbale machte eine entschuldigende Geste. »Sie sind das Beste, was die Menschheit zu diesem Thema zu bieten hat. Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Einer der Sturmtransporter wäre doch für sie geeignet. Da sollten Sie doch genügend freie Quartiere für sie haben, und wenn es den Professoren und Doktoren langweilig wird, können sie immer noch die Marines studieren.«

»Würde mich interessieren, zu welchen Erkenntnissen sie dabei kommen werden«, meinte Geary. »Danke für die Warnung. Ich werde die Experten dann mal General Carabali anvertrauen, dann darf sie entscheiden, auf welchem Transporter sie sie unterbringt.«

Eine weitere Woche verging. Ein lautes Klopfern gegen die Luke zu seinem Quartier ließ ihn erschrocken den Kopf heben. Jemand klopfte so energisch an, dass er an Kartätschen denken musste, die mit einer Geschwindigkeit von mehreren tausend Kilometern pro Sekunde auf die Panzerung eines Kriegsschiffs aufschlugen. Noch ehe die Schwingungen des letzten Schlags abgeebbt waren, flog die Luke auf, und Tanya Desjani kam hereingestürmt. Sie kochte so sehr vor Wut, dass er fast befürchtete, sie würde Plasma spucken.

»Was macht diese Frau schon wieder auf meinem Schiff?«, herrschte sie ihn an.

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