Zehn

»Wie bitte?«, fragte Geary. Hatte der Geheimdienst soeben seine Nachricht belauscht? War das die Art von Loyalitätsüberwachung, von der er gehört hatte, die er aber innerhalb der Allianz-Flotte nicht für möglich gehalten hätte?

Igers Nervosität steigerte sich. Der Mann fühlte sich in einem Maß unbehaglich, wie Geary es bei ihm noch nie beobachtet hatte. »Eine … eine Angelegenheit, die einen hochrangigen Offizier betrifft, Admiral. Es ist meine Pflicht, Ihnen davon Meldung zu machen, Sir.«

»Mir Meldung machen?« Also ging es nicht um ihn selbst. »Von wem reden Sie?«

»Von einem Captain, Admiral. Einem Kommandanten eines Schlachtkreuzers.«

Geary versteifte sich und starrte Iger forschend an. »Um was geht es denn? Nicht so was wie bei Captain Kila, oder?«

»Nein, Sir!« Iger schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Tut mir leid, Sir. Nein, nichts in dieser Art. Aber es ist etwas, das ich Ihnen melden muss«, wiederholte er abermals.

Es konnte nicht leicht sein, etwas offensichtlich Negatives über einen vorgesetzten Offizier zu berichten. Geary zwang sich zur Ruhe und nickte. »Lassen Sie sich das eine Lektion sein, wie Sie mir Neuigkeiten besser nicht überbringen sollten, Lieutenant. Um welchen Offizier geht es?«

»Commander Bradamont, Sir. Die Befehlshaberin der Dragon

Bradamont? Jemand, dem sogar Desjani inzwischen vertraute? »Was hat Commander Bradamont angestellt?«

»Sir, Commander Bradamont hat auf die geheimdienstliche Analyse zugegriffen, die wir über die militärischen Fähigkeiten der Syndiks in diesem System erstellt haben.«

Das hatte Geary erst vor Kurzem selbst auch gemacht. »Sie … wollte sich über die militärischen Fähigkeiten eines potenziellen Widersachers informieren? Eine Befehlshaberin eines meiner Schlachtkreuzer wollte etwas über das Syndik-Militär in diesem Sternensystem wissen?«

»Jawohl, Sir.«

»Und wieso stellt das ein Problem dar, Lieutenant?«

Als Reaktion auf Gearys Haltung hatte sich Iger ein wenig entspannt, aber jetzt kehrte sein unübersehbares Unbehagen zurück. »Auch wenn Commander Bradamont durch ihre Position dazu befugt ist, auf diesen Bericht zuzugreifen, und auch wenn für sie das Bedürfnis besteht, diese Informationen einzuholen, gibt es in Commander Bradamonts Personalakte einen Sicherheitsvermerk. Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist, Admiral, aber sie …«

»Sie meinen den Vermerk wegen ihrer Zeit in der Gefangenschaft der Syndiks?« Er hatte sich auf Desjanis Erläuterungen zu der Angelegenheit verlassen und sich die Akte nicht noch zusätzlich vorgenommen. Dennoch war es keine große Überraschung, dass der Sicherheitsdienst Bradamont weiter im Auge behielt. »Ich dachte, die Angelegenheit hätte sich erledigt.«

»Das ist richtig, Sir, aber wir sind nach wie vor verpflichtet, unter bestimmten Umständen Meldung zu machen, und … Sagen Sie, Sir, hatten Sie schon Gelegenheit, sich mit der Analyse zu beschäftigen, die wir über die Syndik-Streitkräfte in diesem Sternensystem zusammengestellt haben?«

Fast hätte er gelächelt, als er hörte, wie umständlich Iger ihn fragte, ob er den Bericht überhaupt gelesen hatte, nur um Geary nicht zu nahe zu treten. »Ja, erst vor ein paar Minuten noch einmal. Was ist darin mit Blick auf Commander Bradamont Grund zur Sorge?«

»Einer der Syndik-Offiziere in diesem System, Admiral«, erklärte Iger. »Ein Sub-CEO vierten Grades. Sein Name ist Donal Rogero. Wir glauben, es handelt sich bei ihm um genau jenen Offizier, mit dem Commander Bradamont während ihrer Gefangenschaft eine … ähm … eine Beziehung hatte.«

»Ah, ich verstehe.«

»Ich bin verpflichtet, Ihnen das zu melden«, fuhr Lieutenant Iger fast kleinlaut fort. »Auch wenn es einen vorgesetzten Offizier betrifft.«

»Ja, ich verstehe.« Zumindest galt das für Igers Verhalten. Aber was hatte Bradamont vor? »Spricht irgendetwas dagegen, dass ich Commander Bradamont unmittelbar darauf anspreche?«

»Nein, Sir. Ich selbst bin nicht dazu autorisiert, die Angelegenheit weiterzuverfolgen, aber von den normalen Regeln und Vorschriften abgesehen haben Sie völlige Handlungsfreiheit. Es sind keine Geheiminformationen betroffen, von denen Commander Bradamont nicht bereits weiß.«

»Gut, danke. Ich weiß zu schätzen, dass Sie mich auf den Vorgang angesprochen haben. Ich sehe keinen Grund, weshalb Sie sich weiter damit befassen müssten.« Er musste es so formulieren, damit Lieutenant Iger wusste, dass es stets eine unangenehme Pflicht war, etwas Negatives über einen vorgesetzten Offizier zu melden, dass er es aber angemessen erledigt hatte.

Iger verließ das Quartier und kehrte in die heiligen Hallen der Geheimdienstabteilung der Dauntless zurück. Nachdem sich die Luke hinter ihm geschlossen hatte, nahm Geary Kontakt mit der Dragon auf. »Ich muss mit Commander Bradamont unter vier Augen reden. Sie soll sich bei mir melden, sobald sie Zeit hat.«

Keine fünf Minuten darauf nahm Bradamonts Bild in Gearys Quartier Gestalt an. Sie salutierte und ließ außer Neugier nichts erkennen. »Ja, Admiral? Ein Treffen unter vier Augen? Betrifft es die Dragon?«

»Nein, Commander.« Geary blieb stehen, da diese Sache so förmlich wie möglich behandelt werden sollte. »Es betrifft eine persönliche Angelegenheit, die sich auf Ihre Dienstpflichten auswirkt.«

Sie verzog keine Miene, aber der Ausdruck von Neugier verschwand. »Rogero.«

»Richtig. Haben Sie versucht herauszufinden, ob der Sub-CEO Rogero in diesem Sternensystem der Mann ist, mit dem Sie während Ihrer Kriegsgefangenschaft eine Beziehung hatten?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er dieser Mann ist, Admiral. Das Letzte, was ich von ihm gehört hatte, war die Information, dass er unter einem CEO namens Drakon dient. Drakon ist in diesen Teil des Syndik-Gebiets strafversetzt worden, weil er es sich mit einigen sehr mächtigen Syndik-CEOs verscherzt hatte.«

Geary stutzte. Bradamont wusste mehr über diesen Drakon als der Geheimdienstbericht, den er eben gelesen hatte? Was sagte das über diese Frau aus? »Commander, sind Sie einfach nur neugierig? Oder wollen Sie irgendetwas unternehmen, wenn sich herausstellt, dass er dieser Rogero ist?«

»Das weiß ich nicht, Sir«, antwortete sie nach einer Denkpause.

»Lieben Sie ihn noch?«

Wieder folgte eine Pause. »Ja, Sir.« Sie betrachtete ihn fast trotzig. »Wir befinden uns nicht mehr im Krieg.«

»Richtig, aber wir sind auch nicht gerade eine große glückliche Familie.«

»Admiral, ich schwöre bei allem, was Sie wollen, dass ich nicht gegen meine Pflichten als Offizier dieser Flotte verstoßen werde. Ich werde auch in keiner Hinsicht meine Verantwortung als befehlshabender Offizier eines Allianz-Kriegsschiffs vernachlässigen. Ich bin gerne bereit, diesen Eid in einem Verhörraum noch einmal abzulegen, damit kein Zweifel an meiner Ernsthaftigkeit bestehen kann.«

Sie machte zumindest den Eindruck, dass sie es sehr ernst meinte. Hätte es in einem der beiden Punkte irgendwelche Zweifel gegeben, dann wäre es Bradamont gar nicht erst gelungen, die Sicherheitsüberprüfung zu bestehen und in die Flotte zurückzukehren. »Ich glaube, ein Verhörraum ist nicht nötig, Commander. Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen? Eine weitere, meine ich. Wir haben mit Ihnen an Bord der Dragon gegen die Syndiks gekämpft. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, Rogero könnte sich auf einem der Kriegsschiffe befinden, die von uns beschossen wurden?«

»Ich konnte es mir nicht leisten, darüber nachzudenken, Sir.« Bradamont sah ihm in die Augen. »Ich hatte meine Pflicht zu erfüllen, und ich wusste, er würde das verstehen.«

»Er würde verstehen, möglicherweise von Ihnen im Gefecht getötet zu werden? Nicht jeder Mann dürfte so verständnisvoll sein, Commander Bradamont.«

»Er weiß, was Pflicht bedeutet, Admiral. Das ist einer der Gründe, wieso …« Sie wich seinem Blick nicht aus. »Ich weiß, Sie wollen mir noch eine persönliche Frage stellen: Wie es passieren konnte, dass ich mich in einen Syndik-Offizier verliebe.«

»Das geht mich nichts an«, sagte Geary, auch wenn es ihn interessierte.

»Ich werde es Ihnen sagen, weil ich glaube, Sie werden meine Worte eher akzeptieren als manch anderer.« Sie schaute zur Seite, nicht um sich zu sammeln, sondern eher so, als würde sie einen Blick in die Vergangenheit werfen. »Eine Anzahl von neuen Gefangenen, zu denen ich gehörte, wurde zu der Welt geflogen, auf der sich das Arbeitslager befand, in dem man uns festhalten würde. Das Syndik-Schiff wurde in einen schweren Unfall verwickelt, bei dem wir alle sehr wahrscheinlich gestorben wären. Rogero befehligte die Bodentruppen, die mit dem gleichen Schiff transportiert wurden. Er befahl, uns zu befreien, damit wir gerettet werden konnten, und dann erlaubte er uns, Seite an Seite mit seiner Besatzung zu arbeiten, um das Schiff und uns selbst zu retten.« Bradamont richtete ihren Blick wieder auf Geary. »Dafür wurde er in der Form bestraft, dass man ihm das Kommando entzog.«

»Er hatte gegen die Vorschriften verstoßen.«

»Ja. Seine Vorgesetzten sagten, er hätte uns sterben lassen sollen. Ich weiß das, weil einige von uns zu den Ereignissen an diesem Tag aussagen mussten. Es geschah gegen unseren Willen, aber da wir in verschiedenen Verhörräumen untergebracht waren, konnten wir uns keine Lüge zurechtlegen, um ihn zu schützen. Rogero verlor nicht nur das Kommando über seine Einheit, er wurde auch in das Lager versetzt, um dort als Wärter Dienst zu verrichten. Das war ein grausamer Scherz seitens seiner Vorgesetzten, Admiral. Da wir Gefangene ihm so wichtig gewesen waren, wurde er nun gezwungen, uns zu beaufsichtigen.«

Das passte zusammen. »Er war einer der Senioroffiziere der Syndiks im Lager, Sie gehörten zu den Senioroffizieren der Allianz. Es blieb gar nicht aus, dass Sie regelmäßig Kontakt hatten.«

»Richtig, Sir, und ich wusste etwas über sein Wesen, weil ich gesehen hatte, welches Verhalten ihm diesen Posten eingebrockt hatte.« Sie hielt einen Moment lang inne. »Sie und … Captain Desjani können vermutlich von allen am besten verstehen, wie es mir erging, als ich mir meiner Gefühle für ihn bewusst wurde. Es war nichts, was ich … was ich wollte oder was mir behagte. Als ich dann herausfand, dass er für mich genauso empfindet … da war das völlig unmöglich. Er ist ein anständiger, ehrbarer Mann, Admiral, auch wenn er dazu ausgebildet worden ist, eigentlich ganz anders zu handeln. Aber … wir blieben beide unseren Pflichten treu. Ich habe meinen Eid gegenüber der Allianz nie verraten. Ich habe nie meine Vorfahren entehrt, ganz gleich, was einige …« Sie brach mitten im Satz ab.

»Verstehe. Den Syndiks gefiel es offenbar auch nicht, weshalb man Sie in ein anderes Lager brachte und ihn hierher ins Exil schickte.«

»Anfangs nicht. Da hatte CEO Drakon noch etwas Einfluss und schaffte es schließlich, Rogero unter sein Kommando zurückzuholen, nachdem ich das Lager verlassen hatte. Admiral …« Diesmal zögerte sie etwas länger. »Es gibt da eine höchst geheime Angelegenheit, die den Allianz-Geheimdienst und mich selbst betrifft. Ich bezweifle, dass irgendjemand in dieser Flotte etwas davon weiß, aber ich kann Sie als meinen Flottenbefehlshaber nicht guten Gewissens darüber im Unklaren lassen. Die Syndiks wurden in dem Glauben gelassen, dass meine Gefühle für Rogero sich auch auf meine Loyalität ausgewirkt hatten. Über Jahre hinweg habe ich die Syndiks regelmäßig mit Berichten versorgt, die mir der Geheimdienst der Allianz zur Verfügung gestellt hat. Es waren angebliche Geheimnisse und irreführende Informationen, die ich dem Anschein nach an Rogero geschleust habe.«

Das war eine weitere überraschende Enthüllung. »Und was hatte die Allianz davon? Nur einen Kanal, um Scheininformationen an die Syndiks weiterzuleiten?«

»Und Informationen, die Rogero von Zeit zu Zeit an mich schickte, angebliche Angaben zu geheimen Syndik-Aktivitäten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich war lange Zeit der Ansicht, dass diese Nachrichten in Wahrheit gar nicht von ihm kamen, und falls doch, dass sie dann ebenfalls keine echten Geheimnisse enthielten, sondern nur Desinformation. Ich glaube, beide Seiten haben das nur gespielt, damit sie sich Erfolge einreden konnten, obwohl niemand in irgendeiner Weise wirklich davon profitierte.«

»Können Sie irgendetwas davon beweisen?«

Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nein, Sir. Ich habe nur die Kontaktinformationen von demjenigen, der im Allianz-Gebiet mein Ansprechpartner war.«

»So etwas ist ein gefährliches Spiel.« Schließlich setzte sich Geary hin und musterte sie. »Ist es möglich, dass Lieutenant Iger über Informationen verfügt, die auf Rogeros Meldungen beruhen? Wissen Sie, unter welchem Decknamen er in den Berichten des Allianz-Geheimdienstes geführt wurde?«

»Red Wizard, Admiral.«

»Hatten Sie einen Decknamen, der in diesen Berichten benutzt wurde?«

»White Witch, Sir.«

Geary betätigte seine Kontrollen. »Lieutenant Iger, verfügen Sie über Geheimdienstberichte, die aus einer Syndik-Quelle mit Codenamen Red Wizard stammen?«

Iger konnte eine verblüffte Miene nicht verhindern, während er sich zur Seite drehte und eine Datenbank aufrief. Dann sah er Geary völlig überrascht an. »Ja, Sir, aber ich habe hier keinen Vermerk, dass Sie jemals über dieses Programm unterrichtet wurden. Sie hätten zwar jede darin enthaltene Information erhalten, allerdings sind die Quelle und der Deckname streng geheim.«

»Kennen Sie den wahren Namen dieser Quelle?«

»Nein, Sir. Diese Namen finden sich nicht in den Dateien auf diesem Schiff, damit die Quellen nicht bekannt werden können, sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass diese Daten eine Zerstörung des Schiffs überleben.«

»Ist Commander Bradamont jemals über dieses Programm unterrichtet worden?«

»Nein, Sir. Bei ihrer … Vorgeschichte wäre so etwas höchst ungewöhnlich. Bei einem Sicherheitsvermerk in ihrer Akte kann es dazu nicht kommen.«

»Liegt Ihnen etwas über eine Quelle mit Codenamen White Witch vor?«

Iger sah nach, dann verstärkte sich sein unbehaglicher Gesichtsausdruck. »Admiral, ich muss Sie fragen, wo Sie diese Codenamen gehört haben. Die stammen aus einem streng geheimen Bereich.«

»Besteht eine Verbindung zwischen White Witch und Red Wizard?«

»Ja, Sir. Auch wenn mir die Identität dieser Quelle nicht vorliegt. Admiral, ich kann über diese Dinge nicht weiter reden, solange Sie nicht formell über die Programme unterrichtet worden sind und die notwendigen Sicherheitsvereinbarungen unterzeichnet haben.«

»Das genügt schon, vielen Dank«, sagte Geary, beendete das Gespräch und forderte Bradamont mit einer Geste auf, sich ihm gegenüber hinzusetzen. »Was Sie mir erzählt haben, ist belegbar. Und was nun, Commander? Wenn Rogero Ihnen diese Informationen hat zukommen lassen, dann könnte eine direkte Kontaktaufnahme Probleme für ihn mit sich bringen.«

»Das sehe ich auch so, Sir.«

Aber ich muss wissen, was in diesem Sternensystem vor sich geht. »Ich werde offen sprechen, Commander. Wenn Rogero uns etwas über die Situation in diesem System sagen würde, dann könnte uns das eine sehr große Hilfe sein. Die Senior-CEO hat irgendetwas vor, und wir kennen das Verhältnis der anderen Syndik-CEOs zu ihr nicht.«

Bradamont saß eine Zeit lang schweigend da. »Ich möchte ihn nicht anzapfen, Sir, aber ich vermute, er weiß so gut wie ich, wie sehr wir beide von unseren Regierungen schon benutzt worden sind. Wenn ich ihm eine private Nachricht schicke, kann er selbst entscheiden, ob und wie er darauf reagieren will. Wenn ein Kontakt zustande kommt, lässt sich vielleicht ein Weg finden, wie Informationen ausgetauscht werden können. Sofern er nicht glaubt, dass er sich damit in einen Konflikt mit seiner Ehre bringt.«

»Mit seiner Ehre?«, wiederholte Geary ohne nachzudenken und presste die Lippen zusammen.

Aber Bradamont lächelte nur flüchtig. »Ich weiß, es ist schwer, sich einen Syndik mit einem Gefühl für Ehre vorzustellen, Sir. Aber er ist nur ein Sub-CEO, kein vollwertiger CEO.«

»Ich möchte mich trotzdem entschuldigen. Ich sollte Sie wohl darauf hinweisen, dass es sich in der Flotte herumsprechen könnte, wenn Sie eine Nachricht an Rogero schicken.«

Ihr Lächeln nahm einen ironischen Zug an. »Was soll man schon über mich sagen, was nicht bereits gesagt worden ist?«

Er schaute kurz zur Seite, wo ein Fenster geöffnet war, in dem Bradamonts Personalakte angezeigt wurde. Sie hatte in der Vergangenheit makellos gedient. Tulevs Bewertungen schäumten fast über vor Begeisterung, und als Geary einen Blick auf die Schlachten warf, an denen die Dragon unter ihrem Kommando teilgenommen hatte, dann gab es an dieser Frau nichts auszusetzen und viel zu bewundern. »Also gut. Schicken Sie Ihre Nachricht an die Dauntless, wir leiten sie weiter an die Syndiks, damit gar nicht erst die Frage aufkommt, ob Ihre Vorgesetzten darüber Bescheid wissen. Wir werden die Syndiks anweisen, die Antwort ebenfalls zur Weiterleitung an uns zu schicken.«

»Dagegen habe ich nichts einzuwenden, Admiral. White Witch ist ein Teil von mir, den ich schon vor sehr langer Zeit liebend gern in den Ruhestand geschickt hätte.«

»Commander, wenn Sie die Hoffnung hegen sollten, Rogero auf der Rückreise mitzunehmen …«

»Das halte ich nicht für realistisch, Sir.« Bradamonts Tonfall bekam für einen Moment etwas Wehmütiges, dann aber sprach sie ohne jede Gefühlsregung weiter: »Aber wenn die Nachrichten an mich tatsächlich von Rogero stammten, dann ist CEO Drakon der beste Kommandant, den er bekommen konnte. Er soll seinen Untergebenen gegenüber sehr loyal sein, was aus irgendeinem Anlass dazu geführt hat, dass er völlig unehrenhaft in dieses System hier verbannt wurde.«

»Ist Ihnen irgendetwas über das Verhältnis zwischen Drakon und Iceni bekannt?«

»Nicht dass ich wüsste, Sir. Aber ich werde sehen, was ich darüber herausfinden kann.«

Dr. Setin machte eine fragende Miene. »Admiral, wie lange wird es noch dauern, bis wir der Enigma-Rasse begegnen?«

»Wir sind auf dem Weg zu dem Sprungpunkt, der uns zu einem von den Aliens kontrollierten Sternensystem führen wird, Doctor«, versicherte Geary ihm.

»Viele meiner Kollegen sind besorgt, was die vielen gewalttätigen Konfrontationen zwischen den Menschen und der Enigma-Rasse angeht.«

»Glauben Sie mir, Doctor, das macht mir ebenfalls Sorgen.«

Iceni lächelte wieder. »Ich habe kein Problem damit, Ihnen zu versprechen, dass ich mich an Ihre Bedingungen halten werde, Admiral Geary.«

Kein weiteres Verhandeln, nur eine prompte Zusage. Allmählich war er tatsächlich an dem Punkt angelangt, an dem er einem Politiker misstraute, der sich zu schnell mit einer Forderung oder einem Vorschlag einverstanden erklärte. Aber er konnte ja immer noch alles ablehnen, was über die vereinbarten Bedingungen hinausging, und wenn Iceni nicht die Wahrheit sagte, war er ohnehin an nichts gebunden. Wer würde schon einer Syndik-CEO eher Glauben schenken als ihm?

»Die von Ihnen erbetenen Informationen werden Ihnen gesondert übermittelt«, fuhr Iceni fort. »Diese Übermittlung identifiziert das Geschenk der Baupläne als ein Dankeschön für die Dienste, die Ihre Streitkräfte bei der Verteidigung dieses Sternensystems geleistet haben. Wenn Ihre Experten Fragen zur Montage oder zur Funktionsweise haben, dann nehmen Sie bitte auf dem gleichen Weg wie jetzt Kontakt mit mir auf.

Was CEO Boyens betrifft, kann ich Ihnen nur sagen, dass er nicht hier ist. Damit meine ich dieses Sternensystem. Er hatte eines der Kurierschiffe in Richtung Heimatsystem genommen, weil er der Ansicht war, dass seine Informationen und seine Erfahrungen ihm in der neuen Regierung von Nutzen sein könnten.« Ihr Lächeln nahm einen leicht schiefen Zug an. »CEO Boyens ist ein ehrgeiziger Mann. Mehr kann ich Ihnen dazu leider nicht sagen, weil wir seit seiner Abreise nichts mehr von ihm gehört haben. Unsere Kommunikation mit der Zentralregierung und dem Heimatsystem war in den letzten Monaten eher sporadischer Natur.«

Dann machte ihr Lächeln einem Gesichtsausdruck Platz, der nach echter Sorge aussah. »Ich werde gar nicht versuchen, meine Besorgnis herunterzuspielen, was Ihre Flotte im Gebiet der Enigma-Rasse erwarten könnte, Admiral Geary. Die Syndikatwelten haben dort zahlreiche Schiffe verloren, die einfach spurlos verschwunden sind. Aber das war vor der Entdeckung der Quantenwürmer. Diesmal könnte es anders verlaufen. Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, was Sie tun sollen, trotzdem möchte ich Sie bitten, auch das Wohl meines Volks zu bedenken, wenn Sie über Ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Für den Fall, dass sich die Gelegenheit ergeben sollte, mit der Enigma-Rasse irgendeine Art von Vereinbarung zu treffen, übersende ich Ihnen ebenfalls separat alle Informationen, die wir aktuell über das Sternensystem vorliegen haben, das nun von der Enigma-Rasse kontrolliert wird. Ich tue das nicht, weil ich es muss, sondern weil wir in dieser Sache Verbündete sind, so seltsam das auch erscheinen mag und so ungern wir das möglicherweise auch beide wollen. Wenn Sie auf irgendeinem anderen Kommunikationskanal Bezug auf unsere Vereinbarung oder auf das nehmen, was ich Ihnen auf diesem Weg zur Verfügung gestellt habe, werde ich abstreiten, davon etwas zu wissen. Für das Volk. Iceni Ende.«

Auch wenn sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen war, folgte die Syndik-Flotte der Allianz-Flotte in einem Abstand von zwei Lichtstunden bis zum Sprungpunkt. Ehe er den Sprung befahl, überprüfte er noch einmal, ob eine Rückmeldung von Rogero eingegangen war, aber es hatte sich nichts getan. Die Sensoren der Flotte hatten bei den Syndiks keinerlei ungewöhnliche Aktivitäten feststellen können, also würde sich das, was Iceni beabsichtigte, wohl nicht mehr ereignen, solange die Allianz-Flotte sich noch in diesem Sternensystem aufhielt.

Er rief Commander Neeson auf der Implacable. »Haben Sie die Analyse des Schutzmechanismus der Syndiks abgeschlossen?«

»Ja, Sir. Das sollte funktionieren.« Er schürzte die Lippen. »Mich überrascht, dass wir vor unserer Abreise aus dem Allianz-Territorium nichts darüber gehört haben, ob bei uns an etwas Ähnlichem geforscht wird, Sir.«

»Das wundert mich auch, Commander. Aber vielleicht haben sie daheim schon ein ähnliches System entwickelt.«

»Sie schicken aber jetzt nicht sofort ein Schiff zurück nach Hause, oder, Sir? Nur für den Fall, dass die Allianz so etwas noch nicht besitzt?«

Geary schüttelte den Kopf. »Das ist das gleiche Problem wie mit unseren befreiten Gefangenen. Ich müsste eine beträchtliche Streitmacht als Eskorte mitschicken, aber ich will die Flotte nicht so sehr schwächen, solange wir nicht wissen, welche Probleme uns im Gebiet der Aliens erwarten. Außerdem würde ein solches Schiff für die Heimkehr mehrere Wochen benötigen, und falls die Aliens auf die Idee kommen, als Vergeltungsmaßnahme das Hypernet der Allianz zusammenbrechen zu lassen, dann werden sie das machen, noch bevor wir in ihr Territorium vorgedrungen sind.«

»Dann sollten wir mit dem Sprung ins Enigma-Gebiet vielleicht besser warten, bis wir wissen, dass die Allianz diese Mechanismen installiert hat, Admiral.«

»Nein«, widersprach er. »Ich habe das in Erwägung gezogen, aber allein die Reisezeit hin und zurück würde sich auf mehrere Monate belaufen, und das auch nur dann, wenn unsere Flotte unterwegs nicht aufgehalten wird. Ich weiß auch nicht, ob die Syndik-Zentralregierung womöglich versuchen wird, einer isolierten Flottille den Weg zu versperren und sie zu vernichten, nur um anschließend zu behaupten, nichts darüber zu wissen. Wenn die Baupläne bis nach Hause gebracht werden können, vergeht viel Zeit, bis die Allianz den Mechanismus getestet und in Serie gefertigt hat. Anschließend müssen die Bauteile in jedes ans Hypernet angeschlossene Sternensystem geliefert werden, und dann muss man abwarten, bis aus all diesen Systemen die Rückmeldung eingegangen ist, dass der Mechanismus installiert wurde. Wir können es uns nicht erlauben, hier zu verharren und zu warten, weil wir nicht mal wissen, wie lange wir warten müssten. Genau genommen wüssten wir dann ja nicht einmal, ob überhaupt jemals eine Rückmeldung und Bestätigung zu uns gelangen würde.«

Dann wandte er sich an die Flotte: »Alle Einheiten für den Augenblick gefechtsbereit halten, wenn wir bei Pele den Sprungraum verlassen. Alle Schiffe springen bei Zeit drei zwei.«

Die Flotte verließ bei Pele den Sprungraum, alle Waffen einsatzbereit, jeder Mann und jede Frau darauf gefasst, sofort zum Kampf überzugehen. Stattdessen jedoch bot sich ihnen …

»Nichts.«

Desjani sah ihren Gefechtswachhabenden an. »Werden unsere Systeme auf Würmer der Aliens überprüft?«

»Überprüfung läuft kontinuierlich, Captain. Hier ist nichts.«

Geary schaute wieder auf sein Display, da er einfach nicht glauben konnte, dass es in Pele keine Spur von den Aliens geben sollte. Tanyas Gedanke, es könnte das Werk der Alien-Würmer sein, war ihm ebenfalls gekommen. Diese Würmer, deren genaue Funktionsweise der Menschheit Rätsel aufgab, waren nur entdeckt worden, weil Captain Jaylen Cresida auf ihre Intuition gehört hatte. Indem sich diese Würmer in den Sensor-und den Zielerfassungssystemen menschlicher Schiffe versteckt hatten, war es den Außerirdischen möglich geworden, die Menschen nur das sehen zu lassen, was sie sie sehen lassen wollten. In der Praxis hatte das bedeutet, dass die Schiffe der Aliens für die menschlichen Besatzungen unsichtbar gewesen waren.

Aber hier schien nicht ein einziger Wurm am Werk, um die Sensoren zu täuschen, und das, was die Sensoren wahrnehmen konnten, war alles andere als beeindruckend. Zwei innere Welten von bescheidener Größe kreisten um den Stern, doch es fehlte diesem System die übliche Ansammlung von Gasriesen. Weiter draußen zog nur ein einziger, massiger Planet seine Bahnen, der so groß war, dass er zu einem Braunen Zwerg geworden war, der nicht genug Wärme ausstrahlte, um als Stern klassifiziert werden zu können. Zwischen dem Stern Pele und dem Braunen Zwerg waren die beiden inneren Planeten so viel Wärme ausgesetzt, dass sie für eine Besiedlung durch Menschen nicht geeignet waren, auch wenn sich auf einer der beiden Welten ein paar primitive Lebensformen gebildet hatten, die den extremen Umweltbedingungen trotzten.

Auf einer der inneren Welten war ein riesiger Krater zu sehen, der auf den von den Syndiks gelieferten Aufzeichnungen noch nicht zu finden war. Im Orbit um diesen Planeten hatte es früher auch einmal eine große Einrichtung der Syndiks gegeben. »Die Aliens haben die Anlage aus dem Orbit gelenkt und sie mit einem großen Knall auf die Planetenoberfläche krachen lassen«, merkte Desjani an und wandte sich an ihre Brückencrew: »Durchkämmen Sie das System so gründlich, wie Sie nur können. Wenn hier auch nur ein Alien-Molekül zu finden ist, dann will ich wissen, wo es ist.«

»Warum lassen die nicht mal einen Beobachtungssatelliten hier zurück?«, wunderte sich Geary. »Irgendetwas um das System zu überwachen, falls sich jemand hierher verirrt. Warum hält hier kein Schiff Wache, um sie zu warnen, dass jemand zu ihnen unterwegs ist?«

»Hochmut?«, überlegte Desjani. »Vielleicht waren sie an diesem System nur interessiert, weil es ein Sprungbrett nach Midway darstellt. Vielleicht sollte es nie ein Sicherheitspuffer für ihr eigenes Territorium sein.«

»Mag sein. Sobald die Flottensysteme die Position für den Sprungpunkt nach Hina bestätigt hat, nehmen wir darauf Kurs.«

»Hina? Nicht Hua?«

»Hua liegt auf einer direkteren Linie in die Richtung, in der wir das Territorium der Aliens vermuten«, bestätigte Geary. »Aber die Syndiks hatten eine Kolonie bei Hina gegründet. Es sieht so aus, als hätten sie das System als Ausgangspunkt für weitere Kolonien nutzen und ihre Streitkräfte dort ansiedeln wollen. Ich möchte wissen, was Hina so Besonderes zu bieten hat.«

Ein weiteres Fenster öffnete sich vor ihm. »Admiral«, meldete sich Dr. Setin. »In diesem Sternensystem befinden sich keine Aliens.«

»Das haben wir schon gemerkt, Doctor. Wir nehmen bereits Kurs auf ein anderes Sternensystem, das tiefer in ihrem Territorium liegt.«

»Werden wir da Aliens finden?«

»Ich will es hoffen. Wie kommen Sie mit den Marines zurecht?«, fragte Geary, um das Thema zu wechseln.

»Ganz hervorragend! Diese Marines haben eine ganz eigene, faszinierende Art, wie sie Informationen verarbeiten, bewerten und verstehen. Ihre intellektuellen Mechanismen unterscheiden sich deutlich von jenen, mit denen ich in der Vergangenheit zu tun hatte. In mancher Hinsicht kommt es einem so vor, als wären sie eine Variation der menschlichen Rasse.«

»Das höre ich nicht zum ersten Mal, Doctor. Grüßen Sie bitte General Carabali von mir.«

Sie hielten sich erst seit einer Stunde in Pele auf, als plötzlich Gearys Display kurz flackerte, sich stabilisierte und dann wieder flackerte. Desjani musste bei ihrem Display das Gleiche beobachtet haben, da sie gleich nach dem zweiten Flackern ihre Wachhabenden anfuhr: »Was war das?«

»Unsere Systeme haben einen automatischen Neustart durchgeführt«, antwortete der Komm-Wachhabende, »eine Reaktion auf Versuche, die Kontrollen zu überwinden. Jemanden hat einen Wurm in unsere Systeme geschleust, aber es handelt sich um ein altes Modell, weshalb die Sicherheitsprotokolle ihn sofort aufhalten konnten.«

»Wie hat es der Wurm auf die Dauntless geschafft?«, wollte Desjani wissen.

Der Lieutenant an der Kommunikationsstation schüttelte den Kopf. »Er kann nicht von außen gekommen sein, Captain. Dann hätten unsere Systeme ihn nämlich schon da aufgehalten. Jemand an Bord der Dauntless hat ihn manuell eingeführt.«

Desjani warf Geary einen fragenden Blick zu. »Jemand auf der Dauntless, der ein altes Modell verwendet. Wer könnte da Ihrer Meinung nach infrage kommen?«

Er reagierte mit einem Nicken. »Einige unserer befreiten Gefangenen. Was wollte der Wurm in den Komm-Systemen bewerkstelligen?«

»Er sollte eine Nachricht an die Flotte senden, Admiral. Der Wurm hat versucht, diese Nachricht zu zerstören, als er blockiert wurde, aber unsere Systeme konnten sie retten.« Der Lieutenant stutzte. »Sir, die Haboob meldet, dass dort vor ein paar Minuten ein ähnlicher Versuch unternommen wurde, die Komm-Systeme zu beeinflussen.«

»Sieh einer an«, meinte Desjani sarkastisch. »Das wird ja sehr schwierig werden herauszufinden, wer hinter dieser Aktion steckt!«

»Können Sie die Nachricht auf mein Display umleiten, die der Wurm senden sollte?«, fragte Geary den Lieutenant.

»Ja, Sir. Der Wurm wurde deaktiviert, die Nachricht wurde auf weitere Würmer untersucht und ist jetzt sauber.«

»Dann lassen Sie mal sehen.« Er bemerkte Desjanis Blick. »Und schicken Sie sie auch an Captain Desjani.«

Vor Geary öffnete sich ein Fenster, mehrere der ehemaligen Gefangenen waren dort zu sehen. Sie alle trugen neue Uniformen, an denen ihre Rangabzeichen, Orden und andere Auszeichnungen blitzten und funkelten, und sie standen da, als würden sie sich an eine Flotte wenden, über die sie das Kommando hatten. Einer von ihnen, Admiral Chelak, setzte an zu einer Rede über Ehre, Flottentraditionen, Respekt vor dem Dienstalter, die Meinung anderer Offiziere, über die Notwendigkeit Kommandofragen zu klären und …

Geary beendete die Wiedergabe.

»Wieso haben Sie sich das so lange angesehen?«, fragte Desjani.

»Ich wollte sehen, ob er irgendwas sagt, das belegt, dass diese Leute ihren Verstand benutzt haben«, erklärte er und schaute finster auf sein Display. »Aber diese Ansprache an die Offiziere der Flotte zeigt nur, dass sie immer noch glauben, sie könnten gegen mich arbeiten, obwohl sie mit den Angehörigen dieser Flotte gesprochen haben.«

»Sabotage in einem Kriegsgebiet …«, setzte sie zum Reden an.

»Ich kann nicht einfach anfangen, sie zu erschießen, Tanya. Vor allem weil der Wurm nicht darauf programmiert war, Schaden anzurichten.«

»Er sollte aber zur Meuterei anstiften.«

»Ja, stimmt.« Energisch tippte er auf seine Kontrollen. »Madam Gesandte Rione, jemand an Bord der Dauntless hat einen Wurm in die Systeme geschleust. Ich gebe Ihnen hiermit die Gelegenheit, mit Commander Benan darüber zu reden, bevor er formell befragt wird. Wenn er davon wusste oder daran beteiligt war, werden sein Geständnis und seine Kooperation zu diesem Zeitpunkt zu seinen Gunsten angerechnet. Wenn Sie mit Commander Benan reden, könnten Sie auch sicherstellen, dass er mit der jüngeren Geschichte von Würmern in dieser Flotte vertraut ist. Das betrifft sowohl Würmer, die uns von den Aliens geschickt wurden, als auch jene, die von Feinden aus den eigenen Reihen geschaffen wurden.«

Rione starrte ihn an, ihre Miene zeigte keine Regung. »Vielen Dank, ich werde mit ihm reden.«

Desjani wartete, bis Geary fertig war, dann sagte sie: »Als Befehlshaber der Dauntless ist es meine Pflicht, eine Untersuchung in die Wege zu leiten.«

»Tun Sie das, Captain. Aber berücksichtigen Sie bitte den Status derjenigen, die befragt werden. Wir wollen niemandem einen Anlass bieten, sich darüber zu beklagen, er sei unehrenhaft oder respektlos behandelt worden.«

»Jawohl, Sir.«

Er warf ihr einen eindringlichen Blick zu. »Das ist mein Ernst.«

»Jawohl, Sir.«

Noch bevor der Tag vorüber war, meldete sich Rione bei ihm und bat um ein privates Treffen. Sie brachte Commander Benan mit, der stocksteif dastand, während seine Frau erklärte: »Er sagt, er hat den Wurm in die Systeme der Dauntless geschleust, Admiral.«

»Es war eine Übung für unser Recht, gehört zu werden«, sagte Commander Benan. »Mir wurde versichert, dass der Wurm weder einem Schiff noch einem System Schaden zufügen würde.«

»Dessen ungeachtet, Commander«, gab Geary zurück, »ist es ein Verstoß gegen die Vorschriften, wenn man nicht autorisierte Software in offizielle Systeme einschleust. Vor allem dann, wenn diese Software so entworfen ist, dass sie die normalen Kontrollfunktionen außer Kraft setzen soll. Ist Ihnen bekannt, was dem Schweren Kreuzer Lorica widerfahren ist?«

Benan, der ohnehin starr wie eine Statue dastand, nahm eine noch steifere Haltung ein. »Ich würde niemals … Nichts kann ein solches Vorgehen rechtfertigen!«

»Ein Vorgehen, das in den Augen derjenigen gerechtfertigt war, weil ich ihrer Meinung nach nicht das Kommando über die Flotte haben sollte«, sagte Geary.

»So hat man es mir gesagt. Ich wiederhole, ich würde niemals eine solche Tat begehen.«

»Ich glaube Ihnen, Commander. Werden Sie mich oder einen anderen Vorgesetzten informieren, wenn man Sie erneut anspricht, damit Sie etwas tun, das gegen die Vorschriften verstößt?«

Im ersten Moment entgegnete Benan nichts, sondern sah Rione an, die seinem Blick begegnete. »Ja. Die Ehre meiner Frau hat schon genug gelitten.«

Das war womöglich ein Seitenhieb auf Geary gewesen, aber darauf sprang er erst gar nicht an. »Sie sind ein Ehrenmann, daher werde ich Ihr Wort nicht anzweifeln. Die Gesandte Rione hat mich gebeten, Sie an Bord der Dauntless zu lassen. Mit Blick auf ihren langjährigen und hervorragenden Dienst an der Allianz habe ich kein Problem damit, dieser Bitte nachzukommen. Sie beide sind schon lange genug getrennt gewesen.« Sein Blick wanderte zu Rione, und er fragte sich, welche Wirkung seine Worte über den Dienst an der Allianz wohl auf sie hatten, wenn sie momentan so viele Geheimnisse vor ihm und vor allen anderen wahrte.

Er hatte sich längst den Ratschlag ins Gedächtnis gerufen, der ihm nach der Befreiung anderer Gefangener erteilt worden war, nämlich diesen Leuten eine sinnvolle Beschäftigung zu geben, die sie von dummen Gedanken abhielt. Zu seinem Bedauern war es ihm nicht möglich gewesen, so vielen hochrangigen Offizieren eine Aufgabe zu übertragen. Aber vielleicht war es jetzt nötig, irgendetwas anzubieten. »Commander Benan, es tut mir leid, dass es an Bord der Dauntless keinen freien Posten gibt, der Ihrem Dienstgrad und Ihrer Erfahrung entspricht. Allerdings suchen unsere Ingenieure händeringend nach Offizieren, die die neu installierte und modernisierte Ausrüstung inspizieren und testen. Wenn Sie bereit sind, diese Aufgabe zu übernehmen, wird Captain Desjani Sie entsprechend einweisen.« Es war ziemlich schwierig gewesen, Tanya die Zustimmung zu diesem Vorhaben abzuringen, aber schließlich hatte er sie überzeugen können, dass eine sinnvolle Betätigung und eine Geste des Vertrauens nicht verkehrt sein konnten.

Benan sah Geary verdutzt an. »Sie bieten mir an, unmittelbar an den Systemen dieses Schiffs zu arbeiten?«

»Entweder akzeptiere ich das Wort, das Sie mir gegeben haben, oder nicht, Commander. Ich habe es akzeptiert.«

Nach einer langen Pause nickte Benan: »Ich würde mich freuen, in jeder erdenklichen Weise etwas zur Einsatzbereitschaft eines Allianz-Kriegsschiffs beizutragen.«

»Ich werde Captain Desjani informieren. Vielen Dank, Commander. Vielen Dank, Madam Gesandte.«

Beide zogen sich ohne ein weiteres Wort zurück, allerdings warf Rione ihm einen Blick zu, dessen Bedeutung ihm völlig unklar war.

Es dauerte insgesamt sechs Tage, um den Sprungpunkt nach Hina zu erreichen. Sechs Tage, in denen sie vergeblich nach irgendwelchen Spuren suchten, die auf von Menschen oder von Aliens geschaffene Bauwerke jeglicher Art hindeuteten. Sollten inmitten der Asteroidenfelder in diesem System noch Trümmer von Syndik-Schiffen treiben, dann mussten die so alt und winzig sein, dass die Langstreckensensoren sie nicht mehr wahrnehmen konnten.

»Wenn sie Planeten übernehmen wollten, die sich auch für eine Besiedlung durch Menschen eignen, dann sind sie bei Hina«, ließ Geary seine Flotte wissen. »Und wenn sie immer noch Menschen in ihrer Gewalt haben sollten, stehen die Chancen gut, dass wir die ebenfalls bei Hina finden. Halten Sie sich für den Moment gefechtsbereit, wenn wir den Sprungraum verlassen.«

Die Sterne erfüllten einmal mehr das lebende Universum, als die Flotte Hina erreichte.

»Ja«, rief Desjani beim ersten Blick auf die aktualisierten Daten auf ihrem Display.

Ein Schiff der Aliens, dessen Umrisse genauso an eine Schildkröte erinnerten wie bei den Schiffen, denen sie bei Midway begegnet waren, befand sich gleich oberhalb des Sprungpunkts und eröffnete augenblicklich das Feuer auf die Allianz-Schiffe. Partikelstrahlen und massive Projektile trommelten auf die Relentless ein, aber dieses und alle Kriegsschiffe in der unmittelbaren Umgebung erwiderten nicht mal eine Sekunde später das Feuer. Gleich darauf war von dem Angreifer nur noch ein Wrack übrig. Ehe Geary den Befehl geben konnte, Sonden zu dem in Trümmer geschossenen Schiff zu schicken, explodierte das in winzige Fragmente.

»Überhitzung der Antriebseinheit«, meldete ein Wachhabender. »Sehr heftig für ein Schiff von dieser Größe, aber es lässt sich nicht sagen, ob das ein Unfall oder Absicht war.«

Ein drängendes akustisches Signal lenkte Gearys Aufmerksamkeit auf Informationen, die auf einer Seite des Displays angezeigt wurden. Die Relentless war von dem Beschuss nicht beschädigt worden, doch die Explosion des Schiffs hatte einem Leichten Kreuzer und einem Zerstörer leichte Schäden zugefügt und einen weiteren Zerstörer schwer in Mitleidenschaft gezogen. »Captain Smythe, schicken Sie ein Reparaturteam zur Sabar. Ich will, dass der Zerstörer so schnell wie möglich wieder zusammengeflickt wird.«

»Dieses Alien-Schiff befand sich sehr nah am Sprungpunkt«, gab Desjani zu bedenken. »Als hätte sich es auf einen Sprung vorbereitet. Aber der kann von diesem Punkt aus nur nach Pele führen.«

Geary überlegte kurz. »Ein Wachposten, der nicht schnell genug an seinem Einsatzort war?«

»Oder die Aliens haben einen Überwachungssatelliten bei Pele zurückgelassen, so niederenergetisch und als natürlicher Asteroid getarnt, dass wir ihn nicht entdecken konnten. Eine überlichtschnelle Alarmmeldung nach hier, und das Schiff könnte auf dem Weg nach Pele gewesen sein, um herauszufinden, was die Menschen in dem System zu suchen haben.«

»Ich würde sagen, Sie haben recht. Mehr scheint hier nicht zu sein, oder?« Sein Display veränderte sich und zeigte nun an, was sich jetzt in diesem Sternensystem befand, aber nicht mehr, was die Syndiks dort zurückgelassen hatten. »Drei Schiffe, die nach Frachtern oder Handelsschiffen aussehen, zwei weitere Kriegsschiffe, dazu das, was sich auf den Planeten und Monden befindet. Da dürften auch noch bewaffnete Einheiten drunter sein.«

»Und das da«, ergänzte Desjani und zeigte auf das Hypernet-Portal am anderen Ende des Systems, gut elf Lichtstunden von ihnen entfernt. »Das ist kein Syndik-Portal.«

»Es weist Modifikationen auf, die nicht zu den von uns oder von den Syndiks gebauten Toren passen«, ergänzte einer der Brückenoffiziere, »und ob es einen Schutzmechanismus hat, lässt sich so noch nicht sagen.«

»Es geht doch nichts darüber, in ein neues Sternensystem zu kommen und von einer großen Bombe empfangen zu werden«, meinte Desjani.

»Das können Sie laut sagen«, stimmte Geary ihr zu. Die fremde Spezies hatte den Tod aller Verletzten auf den beschädigten Schiffen bei Midway in Kauf genommen, nur um zu verhindern, dass die Menschen irgendetwas über sie in Erfahrung brachte. Das mochte bedeuten, dass sie ebenso kaltblütig dieses ganze Sternensystem ausradieren würden, wenn sie sich auf diese Weise der Allianz-Flotte entledigen konnten. »Wir bleiben in der Nähe des Sprungpunkts, solange wir das System analysieren.«

Rione und Charban waren auf die Brücke gekommen, der General schüttelte betrübt den Kopf. »Zu schade, dass unser Erstkontakt mit dieser Spezies zur Zerstörung all ihrer Schiffe geführt hat.«

»Unser Erstkontakt ist eine Weile her«, betonte Geary. »Das war während ihres Angriffs auf das Midway-Sternensystem. Ich nehme an, Sie beide wollen versuchen, mit den Aliens zu reden, nicht wahr?«

»Sofern die mit uns reden wollen«, entgegnete Rione.

Ein Fenster öffnete sich, das Gesicht von Dr. Setin tauchte dort auf. »Das ist wirklich erstaunlich, Admiral. Haben Sie sich den primären Planeten angesehen?«

»Dazu kommen wir jeden Moment, Doctor.«

»Von den Städten, die die Syndiks auf dem zweiten Planeten angelegt haben, ist nichts mehr zu sehen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die von ihnen bewohnten Regionen jemals besiedelt gewesen sein könnten. Die Enigma-Rasse muss sich sehr große Mühe gegeben haben, alle Spuren ehemaliger menschlicher Präsenz auszuradieren.«

Das war interessant, aber auch beunruhigend. Vielleicht war es gar nicht so verkehrt, diese Experten in der Flotte zu haben.

»Haben Sie sich mit den Bildern von den Alien-Städten auf der sichtbaren Seite des Planeten befasst?«, erkundigte sich Setin. »Die Bilder sind sehr verschwommen, aber die Städte sind nicht sehr groß, wenn man überlegt, seit wie vielen Jahren die Enigma-Rasse dieses Sternensystem bereits kontrolliert.«

»Wieso sind diese Bilder eigentlich so verschwommen?«, fragte Geary an die Wachhabenden auf der Brücke gerichtet.

»Es muss etwas Atmosphärisches sein«, antwortete der Sensorenwachhabende. »Wir versuchen, klarere Bilder zu empfangen, aber das da wirkt so, als würde ein Schleier über den Bildern liegen.«

»Unsere Systeme sind ganz sicher frei von Würmern?«, hakte Desjani sofort nach.

»Ja, Captain. Das scheint irgendetwas auf dem Planeten selbst zu sein. Möglicherweise handelt es sich um etwas, das sich über den Städten befindet, das Licht durchlässt, aber verhindert, dass man von oben Einzelheiten ausmachen kann.«

Geary gab das an Dr. Setin weiter, der sofort ganz aufgeregt das Gespräch unterbrach, um sich mit seinen Kollegen zu beratschlagen. Geary seinerseits nahm mit der Geheimdienstabteilung Kontakt auf. »Lieutenant Iger, wie sieht die Kommunikation in diesem System aus? Irgendwelche Videoaufzeichnungen, die wir für uns nutzen können?«

Iger machte einen etwas verwunderten Eindruck. »Es gibt überhaupt keine Bildübertragungen, Admiral. Es wird nur Text übermittelt, und der ist ausnahmslos verschlüsselt.«

Desjani schnaubte aufgebracht. »Kein Wunder, dass die Syndiks sie als Enigma-Rasse bezeichnet haben. Bei so viel Geheimnistuerei wird ja jeder Paranoiker neidisch.«

»Wir können sie nicht nach unseren Maßstäben beurteilen«, warnte Charban.

»Das ist mir klar«, sagte Geary. »Dennoch hat Captain Desjani recht. Es handelt sich nicht um Gegenmaßnahmen, die man nach unserem Eintreffen ergriffen hat. Das Licht von dieser Welt ist fünf Stunden alt, und die Nachrichten, die wir von dort empfangen, sind mindestens genauso alt. Was wir jetzt sehen, ist das ganz normale, routinemäßige Verhalten dieser Spezies. Lieutenant Iger, halten Sie bitte Ausschau nach irgendwelchen Hinweisen, dass sich möglicherweise noch Menschen in diesem System befinden.«

»Bislang haben wir keine Hinweise darauf entdecken können, Admiral.«

Dr. Setin war wieder da. »Sie sind sehr auf ihre Privatsphäre bedacht. Wirklich bemerkenswert. Ist Ihnen bei den Städten etwas aufgefallen? Sie befinden sich alle unmittelbar an der Küste. Auch wenn Einzelheiten nicht auszumachen sind, sieht es doch so aus, als hätte man sie genau ans Ufer gesetzt. Was?« Jemand schien mit Setin zu reden. »Ja, genau. Admiral, es sieht sogar so aus, als hätte man die Städte ins Wasser hineingebaut. Was da ins Meer ragt, könnte Piere sein, aber es macht eigentlich mehr den Eindruck, dass sich die Gebäude von der Landmasse ins Wasser fortsetzen. Diese Bilder sind noch undeutlicher, und dann ist gar nichts mehr zu erkennen, was passen würde, wenn die Bauwerke sich auch bis dort erstrecken, wo das Wasser tiefer wird.«

»Was kann das bedeuten, Doctor?«

»Nun, die offensichtlichste Möglichkeit ist die, dass es sich bei der Enigma-Rasse um eine Amphibienspezies handelt. Ganz eindeutig ist ihnen die Nähe zum Wasser wichtig, möglicherweise können sie ohne Wasser nicht auskommen. Wir haben gehört, dass die Flotte am Sprungpunkt einem Alien-Schiff begegnet ist, Admiral. Werden wir es untersuchen und mit der Besatzung Kontakt aufnehmen können?«

Geary schüttelte den Kopf. »Das Schiff hat sich leider selbst zerstört.«

»Oh. Hat es ein antagonistisches oder disputives Verhalten erkennen lassen?«

»Wie bitte?«

»Hat es uns angegriffen?«

»Ja, Doctor. In dem Moment, als es uns entdeckt hat, wurden wir auch schon beschossen.«

Die Systemtechniker arbeiteten konzentriert an den Sensoren und versuchten, ein schärferes Bild vom Planeten zu bekommen, doch es wollte ihnen nicht gelingen. Geary wartete mit wachsender Ungeduld ab und sah mit an, wie die fremden Raumschiffe nach und nach auf die Ankunft der Flotte reagierten, als das Licht vom Sprungpunkt sie erreichte. Mehr konnte er nicht tun, da es ihm nicht möglich war, die Region vor dem Sprungpunkt zu verlassen. Das Risiko, von einem kollabierenden Hypernet-Portal vernichtet zu werden, war einfach zu groß.

»Captain?«, ließ die Systemwachhabende nach vier ereignislosen Stunden in nachdenklichem Tonfall verlauten. »Beim Verhalten der Aliens ist mir etwas aufgefallen. Ich kann mich auch irren, aber …«

»Wenn Ihnen etwas aufgefallen ist, dann würde ich das gerne hören«, sagte Desjani prompt.

»Ja, Ma’am. Es ist so … wenn Sie sich die Reaktion der Alien-Schiffe ansehen, dann reagieren die mutmaßlichen Frachter in dem Moment, in dem sie das Licht unserer Ankunft erreicht. Aber dieses Kriegsschiff in eineinhalb Lichtstunden Entfernung hat auch erst reagiert, als es uns sehen konnte. Und vor ein paar Minuten hat uns das Licht des zweiten Kriegsschiffs der Aliens erreicht, das nur rund fünfundvierzig Lichtminuten von dem anderen entfernt ist. Dabei ist mir aufgefallen, dass es wenige Minuten nach dem Moment reagiert haben muss, nachdem das erste Schiff das Licht unserer Ankunft gesehen haben dürfte.«

Desjani nickte und betrachtete ihr eigenes Display. »Das passt zu unserer Vermutung, dass sie zu einer Kommunikation mit Überlicht fähig sind, ihre Sensoren diese Eigenschaft aber nicht besitzen, nicht wahr?«

»Ja, Captain. Das erste Kriegsschiff musste unser Licht sehen, um zu wissen, dass wir hier sind. Aber das verrät uns noch etwas anderes«, fügte sie hinzu, »und zwar, dass ihre Handelsschiffe nicht über Überlicht-Komm verfügen. Erst nachdem das eine Kriegsschiff uns bemerkt hatte, zeigte das andere eine Reaktion.«

»Gut zu wissen. Hervorragende Arbeit, Lieutenant Castries.«

Rione und Charban schickten ihre vor einer Weile verfassten Grußbotschaften an die Aliens, in denen sie die bisherigen kriegerischen Auseinandersetzungen bedauerten, ihr Interesse an einem echten Dialog bekräftigten und ihnen anboten, Bedingungen für eine friedliche Koexistenz zu verhandeln.

Fünf Stunden nach Ankunft der Flotte im System traf eine Nachricht von den Aliens ein, die eindeutig abgeschickt worden war, bevor sie die Mitteilung der beiden Gesandten hatten hören können. Geary sah die gleichen menschlichen Avatare, die die Aliens schon bei Midway benutzt hatten, um ihre wahre Identität dahinter zu verstecken.

Ein »Mensch« saß im Kommandosessel einer virtuellen Brücke, die aus Syndik-Übertragungen digital zusammengebastelt worden war. Mit ernster Miene schaute dieser Mensch drein und machte dabei eine Geste, die vermutlich als Drohgebärde gemeint war, die aber von den realen Menschen als fehl am Platz wahrgenommen wurde. »Gehen Sie. Gehen Sie jetzt. Bleiben Sie, und Sie werden sterben. Dieser Stern gehört uns. Nicht Ihnen. Gehen Sie oder Sie werden sterben. Dieser Stern gehört uns. Gehen Sie oder sterben Sie.«

»Da bleibt nicht viel Verhandlungsspielraum«, stellte Desjani fest.

»Nein«, pflichtete Geary ihr bei. »Leiten Sie diese Nachricht an die zivilen Experten weiter, damit die sich damit befassen können. Und stellen Sie sicher, dass unsere Gesandten das auch zu sehen bekommen.« Sein Blick kehrte zurück zur Darstellung der feindlichen Kriegsschiffe auf seinem Display. Alle Enigma-Kriegsschiffe im System hatten Kurs auf die Allianz-Flotte genommen, nur die beiden, die ihnen am nächsten waren, hatten in einer Entfernung von einer Lichtstunde angehalten und verharrten nun dort. Entweder wollten sie sich ihnen nur in den Weg stellen, da sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen waren, oder sie warteten, bis sich alle Schiffe versammelt hatten, um dann einen immer noch aussichtslosen Angriff zu beginnen.

»Admiral?«

Er zuckte leicht zusammen, sah zu Desjani und merkte erst jetzt, dass er sich offenbar in seinen Gedanken verloren hatte. »Tut mir leid.«

»Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Sie waren eine ganze Weile schweigsam.«

»Ich habe nur etwas überlegt«, versicherte er ihr.

»Schon wieder?«

»Ja, Captain Desjani.« Er deutete auf sein Display. »Ich habe über die Tatsache nachgedacht, dass diese Aliens zwar überlegene Manövrierfähigkeiten besitzen, ihre Waffen aber – jedenfalls die, die sie gegen uns eingesetzt haben – nicht besser als unsere sind, vielleicht sogar noch etwas schwächer. Das ist sehr widersprüchlich.«

»Nein, finde ich gar nicht«, gab Desjani zurück. »Angenommen, Ihre Waffe ist ein Messer. Kein überragendes Messer, aber eines, das seine Dienste tut. Und angenommen, Sie sind unsichtbar. Ihr Messer ist zwar nichts Besonderes, aber Sie kommen ja problemlos an ihre Opfer heran, um sie zu erstechen, bevor die überhaupt merken, dass Sie da sind.« Sie spreizte die Hände und sah ihn fragend an. »Warum sollten Sie sich dann ein neues Messer zulegen?«

»Weil ihre wahre Waffe die Würmer waren, die es den Aliens möglich machte, für unsere Sensoren unsichtbar zu werden.«

»Die Würmer und das verdammte Hypernet-Portal. Wie gehen wir damit um?«

»Ich denke noch darüber nach.« Wieder schaute Geary auf sein Display. »Haben wir eine Bestätigung für die Syndik-Informationen erhalten, wo sich in diesem System die Sprungpunkte befinden?«

»Gerade eben. Einer davon ist ziemlich nah.«

Ziemlich nah. Aber war das auch nah genug?

Die Flotte hatte weiter am Sprungpunkt verharrt, nahe genug um noch mit einem Sprung das System zu verlassen, wenn sie sahen, dass das Hypernet-Portal zusammenzubrechen begann. Aber sie konnte nicht ewig hier warten, vor allem dann nicht, wenn sie auf diese Weise keine neuen Erkenntnisse über die Aliens gewinnen konnten.

Die Atmosphäre im Konferenzraum war von einer gewissen Unsicherheit geprägt. Der Kampf gegen Syndiks war selbst nach Abschluss des Friedensvertrags eine ziemlich schnörkellose Angelegenheit. Die Enigma-Rasse dagegen schien nur immer neue Fragen aufzuwerfen und ein Dilemma nach dem anderen zu erzeugen.

»Wenn wir unbemannte Sonden losschicken, damit sie sich die Planeten aus nächster Nähe ansehen und bessere Bilder liefern können, werden die Aliens sie mit ihren Kriegsschiffen mühelos abfangen und zerstören«, grummelte Badaya. Die virtuellen Präsenzen der anderen Flottenkommandanten am Tisch nickten zustimmend.

»Es scheint so, als könnten wir hier über diese Aliens gar nichts in Erfahrung bringen, wenn wir nicht gerade kopflos auf sie losstürmen«, meinte Duellos. »Dieses Hypernet-Portal zwingt uns, in der Nähe des Sprungpunkts zu bleiben.«

»Können wir nicht einfach umkehren?«, fragte Armus. »Warum sollen wir hier mit Nichtstun unsere Zeit vertrödeln? Wir kehren nach Pele zurück und suchen von dort nach einem anderen Weg in ihr Territorium.«

»Das würde einen großen Umweg bedeuten«, antwortete Geary. »Und es könnte sein, dass wir dann in Hua die gleiche Situation wie hier erleben. Es gibt noch eine andere Option.« Er deutete auf das Display über dem Konferenztisch, das das Hina-Sternensystem zeigte. »Wir hatten genug Zeit um die Syndik-Daten zu überprüfen und zu bestätigen, wonach es in diesem System vier Sprungpunkte gibt. Der eine, an dem wir uns derzeit befinden, zwei auf der gegenüberliegenden Seite des Systems, und dann noch dieser hier.« Er kennzeichnete die Position farblich.

»Der ist nah«, urteilte Tulev. »Aber ist er auch nah genug, um ihn zu erreichen?«

»Das Hypernet-Portal ist elf Lichtstunden weit weg, die nächsten Kriegsschiffe sind eine Lichtstunde von uns entfernt. Selbst wenn die Aliens Nachrichten mit Überlichtgeschwindigkeit versenden können, gibt uns das zwölf Stunden.«

»Der Sprungpunkt ist 2,4 Lichtstunden entfernt«, stellte Badaya fest. »Wir werden beschleunigen müssen, aber selbst wenn wir nicht auf über 0,2 Licht gehen, damit unsere Hilfsschiffe mithalten können, wäre es möglich, es in gut zwölf Stunden zu erreichen. Da bleiben immer noch … hmmm.« Er rechnete etwas aus. »Selbst wenn alle Schiffe optimal beschleunigen, bleibt noch ein Zeitfenster von zwanzig Minuten, in dem eine Explosion des Hypernet-Portals uns erwischen könnte.«

»Zwanzig Minuten?«, fragte Captain Parr. »Wenn wir in die Druckwelle geraten, wird sie uns zerstören. Das ist ein verdammt gewagtes Spiel. Worauf warten wir noch?«

Geary lächelte, als die anderen Offiziere ihre Zustimmung zu Parrs Einstellung erkennen ließen. Der Gedanke daran, was geschehen würde, wenn die Flotte von der Explosion des Hypernets erfasst wurde, ließ ihm einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Dennoch war er nicht davon ausgegangen, auf großen Widerstand zu stoßen, wenn es darum ging, selbst einem solchen Wagnis zuzustimmen. Rione saß schweigend da und warf ihm einen verstehenden Blick zu. Sie wusste, wie diese Flotte dachte. »Bevor wir aufbrechen«, warf Geary ein, »noch etwas anderes. Unsere Experten für intelligente nichtmenschliche Spezies« – er hoffte, er hörte sich nicht sarkastisch an – »haben alles analysiert, was wir hier bislang gesehen haben, und sie haben es zu dem hinzugefügt, was über die Enigma-Rasse bekannt ist. Sie würden uns gern eine Theorie vorstellen.«

Ein leises Seufzen ging durch den Raum wie von einer Gruppe Studenten, die soeben erfahren hatten, dass sie sich eine besonders langweilige Vorlesung anhören mussten. »Bringen wir’s hinter uns«, murmelte irgendwer.

Geary tippte die Befehle ein, die gleich darauf die zivilen Experten als kleine Gruppe am Tisch auftauchen ließen. Dr. Setin stand auf und begann mit sichtlichem Eifer zu reden: »Wir können Ihnen allen gar nicht genug für diese Gelegenheit danken. Es ist sehr riskant, mit zu wenigen Informationen zu viel zu spekulieren, aber meine Kollegin Dr. Shwartz ist auf eine interessante Perspektive gestoßen, von der wir glauben, dass Sie sie faszinieren wird.«

Shwartz erhob sich, als Setin sich wieder hingesetzt hatte. Sie sah sich am Tisch um, strich eine Strähne ihres recht kurz geschnittenen Haares aus der Stirn und begann plötzlich zu lächeln. »Verzeihen Sie, aber so wie meine Kollegen bin ich es nicht gewöhnt, dass man unseren Theorien allzu viel Interesse schenkt. Das ist für uns eine sehr ungewöhnliche Erfahrung.«

Sie zeigte auf die Darstellung des Sterns Hina, der über dem Tisch schwebte. »Ich glaube, die Enigma-Rasse unterscheidet sich von der Menschheit auf eine sehr markante Weise. Ich muss Ihnen als Offizieren des Militärs nicht erklären, dass wir Menschen uns bei unserem Umgang mit anderen Menschen auf offen zur Schau gestellte Macht und Aggression stützen. Das liegt in unserer Natur, so hat sich unsere Spezies aufgrund der Erfahrungen unserer frühesten Vorfahren entwickelt. Wenn wir einem Widersacher gegenübertreten, dann versuchen wir, unser eigenes Erscheinungsbild aufzublähen, um bedrohlicher zu wirken. Wir stehen aufrechter da, die Schultern gestrafft, die Arme leicht geöffnet, die Finger gespreizt – in etwa so wie eine Katze, die einen Buckel macht und ihr Fell sträubt, sodass sie eine größere Silhouette erzeugt. Was wir bauen, spiegelt genau diese Denkweise wieder. Unsere Schlachtschiffe wirken todbringend. Sie sollen nicht nur leistungsfähige Kriegsmaschinen sein, sondern sie sollen auch Bedrohung und Macht projizieren.«

Shwartz hielt kurz inne. »Die Enigma-Rasse dagegen scheint eine genau entgegengesetzte Strategie zu verfolgen. Ihre Methode ist uns Menschen nicht fremd, aber sie entspricht nicht unseren Instinkten. Ich gehe daher davon aus, dass die Enigmas nicht durch offen zur Schau gestellte Aggression agieren, sondern dadurch, dass sie ihre Gegenwart und ihre Macht verstecken.«

»Wie soll man jemanden beeindrucken oder abschrecken oder sonstwie reagieren lassen, wenn man sich vor demjenigen versteckt?«, wunderte sich Badaya.

»Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem abgedunkelten Raum«, erwiderte Dr. Shwartz. »In einem pechschwarzen Raum. Ist da jemand bei Ihnen? Wer ist da? Ist er gefährlich? Ist er so gefährlich, dass er Sie töten könnte? Wollen Sie ihn bekämpfen? Oder lieber weglaufen? Aber wenn Sie kämpfen wollen – wie bekämpfen Sie das Unbekannte?«

Inzwischen hörten die Flottenoffiziere ihr aufmerksam zu, und Desjani nickte zustimmend. »Ihre Theorie passt zu allem, was wir über die Aliens wissen. Sie legen vor allem Wert darauf, sich vor uns versteckt zu halten. Sogar die Würmer, die sich in die Betriebssysteme unserer Schiffe eingeschlichen hatten, sorgten dafür, dass die Aliens von unseren Sensoren nicht erfasst wurden, während sie immer genau wussten, wo wir uns aufhielten. Und die Würmer in den Hypernet-Portalen machten diese Installationen zu heimlichen Waffen, die uns überrumpeln sollten.«

»Genau«, bestätigte Shwartz. »Eine solche Vorgehensweise ist uns nicht fremd, schließlich arbeiten auch die Menschen mit Hinterhalten und greifen an, wenn der Feind uns den Rücken zudreht. Wir betrachten so etwas als unfair und unehrenhaft. Unsere Instinkte sagen uns, dass sich bei einer Auseinandersetzung die beiden Kontrahenten gegenüberstehen sollten, um sich einen ›fairen Kampf‹ zu liefern, wie wir es nennen.«

»Schlangen«, warf Captain Vitali ein. »Wollen Sie sagen, die Enigmas verhalten sich wie Schlangen?«

»In gewisser Weise könnte man das wohl so formulieren.«

»Aber bekämpfen sich Schlangen gegenseitig auch mit Hinterlist und Heimtücke?«, wollte Badaya wissen. »Bekämpfen sich Schlangen überhaupt gegenseitig? Ich sage Ihnen, was mich bei Ihrer Theorie beunruhigt, Doctor. Wenn man das Unbekannte benutzen will, um einen Gegner zu beeindrucken und zu verwirren, erfordert das aber doch einen Gegner, der in der Lage ist zu verstehen, dass da eine unbekannte Bedrohung existieren könnte. Das funktioniert doch nicht bei jemandem, der davon keine Ahnung hat. Es ist unbedingt ein Gegner notwendig, der das auch weiß.«

»Wieso stellt das ein Problem dar?«, wunderte sich Duellos.

»Weil der Gedanke nahegelegt wurde, dass die Aliens diese Kampfstrategie entwickelt haben. Wer war ihr Gegner, der sie auf diese Strategie hat verfallen lassen? Welchem Widersacher standen sie gegenüber, dass sie als seine Phantomgegner ihn dazu bringen konnten, die Nerven zu verlieren und die Flucht anzutreten?«

Dr. Shwartz legte die Stirn in Falten, nickte aber bedächtig. »Das sind berechtigte Fragen. Vielen Jägern kann man mit der richtigen Art von Bedrohung Angst machen. Vielleicht kam der Feind aus den eigenen Reihen, vielleicht in Form von sich heftig bekämpfenden Gruppen.«

»Aber es scheint von ihrer Art nicht allzu viele zu geben«, meldete sich ein anderer Experte zu Wort. »Obwohl sie schon sehr viel Zeit in diesem System verbracht haben, sind ihre Siedlungen nach menschlichen Maßstäben recht klein. Das spricht für eine niedrige Geburtenrate; eine Bevölkerung, die sich langsamer vermehrt als eine menschliche Gruppe in der gleichen Größenordnung. Weniger Geburten und eine kleinere Bevölkerungszahl bedeuten weniger Streit um Ressourcen, Land und den ganzen Rest.«

Jane Geary hatte sich mit irgendeinem Text beschäftigt, auf einmal sah sie auf und sagte nur ein Wort: »Neandertaler.«

»Wie?«, fragte Badaya.

»Neandertaler. Eine evolutionäre Sackgasse, eine der vormenschlichen Spezies auf der Alten Erde. Sie starben aus, kurz bevor die aufgezeichnete Menschheitsgeschichte begann.«

»Ich bin damit vertraut, was man über die Neandertaler weiß«, sagte Dr. Setin. »Welche Rolle spielt das in dieser Diskussion?«

»Wir wissen heute Folgendes. Als die ersten Menschen sich in deren Gebiet niederließen, wurden die Neandertaler immer weiter verdrängt, bis sie schließlich ausstarben«, legte Jane Geary dar. »Was wäre gewesen, wenn die Neandertaler bis in die aufgezeichnete Menschheitsgeschichte überlebt hätten? Wenn sie zahlreicher und mächtiger gewesen wären, wenn sie sich mit unseren frühesten Vorfahren eine längere Konfrontation hätten liefern können?«

Dr. Setin atmete hastig ein. »Wir wissen nicht, ob die frühen Menschen die Neandertaler tatsächlich ausgelöscht haben. Man hat sich untereinander fortgepflanzt, aber weil alle vormenschlichen Spezies ausstarben, lange bevor die Menschheit damit begann, ihre Geschichte niederzuschreiben, können wir nichts dazu sagen, wodurch sie ausgestorben sind.«

»Die Menschen können eine lange Geschichte von Kriegen aus den unterschiedlichsten Anlässen vorweisen«, meldete sich Tulev zu Wort. »Unterschiedliche religiöse Ansichten, kulturelle Differenzen, ethnische Andersartigkeit. Da fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, welcher Konflikt daraus entstanden sein könnte, mit einer etwas anders aussehenden Variante von Menschen Seite an Seite leben zu sollen. Wie Sie sagten, sind all diese Varianten ausgestorben. Vielleicht war das ja ein Zufall.«

Dr. Shwartz nickte. »Wir können nichts darüber sagen, wie der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Varianten der Menschen sich auf unsere Entwicklung als Spezies ausgewirkt hat. Dass er irgendeine Wirkung hatte, davon können wir mit ziemlicher Sicherheit ausgehen. Das könnte der gleiche intelligente Wettbewerb gewesen sein, der die Enigmas dazu gebracht hat, diese Kampfstrategie zu entwickeln.«

»Das ist zwar alles plausibel«, warf Dr. Setin ein, »aber uns fehlen die Beweise. Wir verfügen nicht mal über genügend Detailwissen, um das Ganze halbwegs zu untermauern. Wir benötigen mehr Informationen, Admiral Geary.«

»Wenn diese Aliens so vehement gegen uns eingestellt sind«, überlegte Captain Armus, »wenn es keine Möglichkeit gibt, mit ihnen in friedlicher Koexistenz zu leben, warum kehren wir dann nicht sofort in Allianz-Gebiet zurück und bereiten einen ordentlichen militärischen Feldzug vor? Wir erobern dieses System zurück und arbeiten uns dann Schritt für Schritt vor, bis wir diese Bastarde zur Kapitulation zwingen können.«

Die Zivilisten starrten Armus an, aber nicht, weil sie so schockiert über diesen Vorschlag waren, sondern weil sie gar nicht in der Lage schienen, einen solchen Gedanken überhaupt zu begreifen.

Badaya schüttelte den Kopf. »Wir müssen mehr über ihre Stärken und Schwächen wissen, bevor wir einen Feldzug planen können. Ob diese Enigmas nun mit uns reden wollen oder nicht, wir müssen ihr Territorium gründlicher erkunden. Wir müssen ihnen das eine oder andere Schiff intakt abnehmen, oder wir müssen Überfälle durchführen, um in den Besitz eines Teils ihrer Technologie zu gelangen.«

»Wir werden weit genug vordringen, um so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen, aber auch nicht zu weit, damit wir keine Schwierigkeiten bekommen, wenn wir uns zurückziehen wollen«, erklärte Geary. »Sobald wir den nächsten Stern erreicht haben, der von den Syndiks den Namen Alihi erhalten hatte, richten wir unser Augenmerk auf lange Sprünge, um möglichst schnell möglichst weit vorzudringen, bevor wir umkehren.«

»Die Aliens machen aber auf mich nicht den Eindruck, dass sie uns einen Ausflug in ihr Territorium genehmigen werden«, wandte Commander Neeson ein.

»Wenn wir kämpfen müssen, werden wir das auch tun. Aber unsere eigentliche Aufgabe ist es, auszukundschaften und Informationen zu sammeln. Der Sieg besteht in diesem Fall für uns darin, dass wir so viel wie möglich über die Aliens erfahren und diese Erkenntnisse nach Hause bringen.«

Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden. Offenbar hatte der Eifer der Flotte etwas nachgelassen, von einer Schlacht in die nächste ziehen zu wollen, nachdem der Krieg mit den Syndiks vorüber war. Geary sah ihnen allen die Erschöpfung und die Müdigkeit an, er spürte die Gegenwart unzähliger gefallener Freunde und Gefährten. Und doch war es zugleich das einzige Leben, was alle diese Männer und Frauen jemals gekannt hatten. Auch wenn sie noch so kriegsmüde waren, gab es für sie gar nichts anderes. Wandel und Ungewissheit waren für sie in mancher Hinsicht unerträglicher als die Aussicht, schon in der nächsten Schlacht den Tod finden zu können. Sie waren bereit, sich auf einen Wettlauf mit der Zeit einzulassen, um den nächsten Sprungpunkt zu erreichen. Hätte er stattdessen tatsächlich vorgeschlagen, den Rückzug anzutreten und nach einem anderen Weg ins Gebiet der Aliens zu suchen, dann hätten sie das missmutig mitgemacht, weil das nicht das Verhalten der Flotte war, wenn sie einer Herausforderung gegenüberstand. »Vielen Dank, ich werde die Flotte nach und nach beidrehen lassen, damit auch die langsameren Schiffe, vor allem unsere Hilfsschiffe, dem Sprungpunkt am nächsten sind, auf den wir Kurs nehmen werden. Wenn die Flotte beschleunigt, werden die schnelleren Schiffe die langsameren überholen und die Formation in sich umkehren. Innerhalb der nächsten Stunde erhalten Sie alle Ihre exakten Steuerbefehle.«

Nachdem die Offiziere der Flotte sich zurückgezogen hatten, wandte sich Dr. Setin an Geary: »Admiral, ich habe Dr. Shwartz zu diesem Treffen mitgebracht, weil ich fand, dass ihre Theorie auf echten Beobachtungen basiert, nicht auf vorgefassten Vorstellungen. Allerdings gibt es in unserer Gruppe noch zwei andere … Lager. Ich bin überzeugt, dass eines von ihnen diese Reise bereits mit der unverrückbaren Ansicht begonnen hat, diese Aliens seien uns moralisch überlegen und hätten nur mit Gewaltanwendung auf einen Angriff der Menschen reagiert.«

Desjani musste lachen.

»Ich kann Ihnen versichern«, sagte Geary, »dass das bei unseren Begegnungen mit den Aliens bislang nicht der Fall gewesen ist. Aber Sie sprachen von zwei Lagern.«

»Ja. Das andere glaubt, die Aliens sind feindselig und wir werden unweigerlich in einen Kampf auf Leben und Tod mit ihnen verstrickt werden.«

»Haben diese beide Gruppen vor dieser Mission jemals miteinander geredet?«, fragte Desjani.

»Nein«, antwortete Dr. Setin. »Jedenfalls nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, was meistens der Fall war. Beide Lager haben allerdings jeweils eine eigene Interpretation der bisherigen Beobachtungen, und es ist meine Pflicht, Sie zu bitten, diese Berichte ebenfalls zu lesen.«

»Das geht schon in Ordnung«, erwiderte Geary. »Einer der Fehler, den die Syndiks sich geleistet haben, war der, keine Alternativen zu dem in Erwägung zu ziehen, was sie für die Wahrheit über die Enigma-Rasse hielten. Ich kann diese Berichte auf jeden Fall überfliegen, um festzustellen, ob sie irgendetwas enthalten, was mich zum Nachdenken bringen kann.«

»Oh, vielen Dank.« Dr. Setin sah Geary lange an. »Für einen Mann des Militärs sind Sie äußerst unvoreingenommen.«

»Das kann er sich auch leisten«, warf Desjani ein. »Dafür bin ich umso voreingenommener.«

Setin betrachtete sie und überlegte erkennbar, ob sie wohl einen Witz gemacht hatte. Schließlich lächelte er höflich, bevor er verschwand.

»Ich lasse Sie Ihre diplomatischen Diskussionen führen«, sagte Desjani, stand auf und warf Charban und Rione einen herablassenden Blick zu.

Nachdem Desjani gegangen war, wandte sich Rione an Geary. »Ihr Befehl lautet, mit dieser Flotte die Grenzen des von der Enigma-Rasse kontrollierten Gebiets festzustellen.«

»Ja, das ist richtig. Aber als Flottenkommandant steht es mir zu, auf die jeweilige Situation zu reagieren, wenn das eine Anpassung meiner Anweisung erforderlich macht.« Geary spürte eine wachsende Wut auf Rione, die ihm kein bisschen entgegengekommen war, obwohl er trotz des Verhaltens von Paol Benan guten Willen demonstriert hatte. In förmlichem Tonfall redete er weiter: »Ich werde nicht bis zum Kern der Galaxis vorpreschen, selbst wenn die Enigma-Rasse mir das gestattet und meine Brennstoffvorräte so lange durchhalten. Wir werden einen Punkt erreichen, an dem unser Bestand an Brennstoffzellen auf unter neunzig Prozent sinken wird. Auch wenn die Hilfsschiffe uns inzwischen mit neuen, leistungsfähigeren Brennstoffzellen versorgen können, wird das der Punkt sein, an dem wir kehrtmachen.« Dann fügte er aus Neugier über die mit seinen Worten zu provozierende Reaktion hinzu: »Ich hoffe, der Große Rat erwartet nicht von mir, dass ich die Flotte in Gefahr bringe, nur um blindlings Befehle auszuführen, die mir viele Lichtjahre von hier gegeben wurden.«

»Senator Navarro erwartet so was sicher nicht«, meinte Rione, deren Tonfall und Mienenspiel keinen Hinweis darauf gab, ob ihre Worte noch irgendeine andere Bedeutung hatten.

»Ich weiß, wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten«, sagte Geary und sah nun auch Charban an. »Aber ich möchte Gewissheit haben, dass Sie beide verstehen, dass ich uns alle drei auf der gleichen Seite sehe.«

»Natürlich stehen wir auf der gleichen Seite«, stimmte Charban ihm zu.

Rione schaute ihn nur weiter an.

Drei Stunden später gab Geary den Befehl, die Schiffe zu drehen und mit maximaler Beschleunigung Kurs auf den Sprungpunkt nach Alihi zu nehmen.

Загрузка...