Das Hauptquartier war das größte Gebäude in Highport, weil es eine Anzahl Gästezimmer und einen Kinosaal im zweiten Obergeschoß hatte. Die Wache am Eingang hielt den gegen das Schneetreiben bis zur Nase vermummten Flandry auf, ließ ihn aber sofort passieren. Die Eingangshalle war geheizt! Eine Menge bewaffneter Soldaten stand herum. Flandry fragte sich, warum man ihn gerufen hatte. Unbehaglich stieg er die Treppe hinauf, gab seinen Mantel ab und betrat nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel die Offiziersmesse, einen großen Raum mit behaglichen Sesseln. Hinter einem langen Tisch, auf dem ein kaltes Büfett angerichtet war, standen zwei Diener. Drei weitere zirkulierten mit Tabletts, Flaschen und Gläsern. Zehn oder zwölf Männer standen in Gruppen beisammen, die Offiziere des Stützpunkts in Ausgehuniformen, Hauksberg und sein Stab in elegantem Zivil. Nur ein Mädchen war zu sehen, doch Flandrys Nervosität war so groß, daß er keine Enttäuschung fühlte. Zu seiner Erleichterung machte er Abrams' massige Gestalt aus und steuerte auf ihn zu.
„Ah, unser tapferer Fähnrich!“ Ein blonder Mann stellte sein Glas weg und betrachtete ihn interessiert. „Willkommen. Mein Name ist Hauksberg.“
Flandry salutierte stramm. „Nichts da, lassen Sie das.“ Hauksberg machte eine nachlässige Geste. „Heute abend wollen wir Rang und Zeremoniell vergessen. Ich hasse diese Förmlichkeit.“
Flandrys Vorgesetzte grüßten ihn mit mehr Interesse als bisher, wie sie sahen, daß Graf Hauksberg ihn am Ellbogen gefaßt hatte und sich persönlich der Mühe unterzog, ihn seinem Gefolge vorzustellen.
„… und hier Persis d'Io, meine Konkubine.“
„Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Fähnrich“, sagte sie, als sei es ihr Ernst. Flandry errötete. Die Natur hatte dieses Mädchen fast so üppig ausgestattet wie Dragoika, und ihr metallisch schimmerndes, anliegendes Kleid betonte ihre Formen. Unter ihrer Kehle funkelte ein platingefaßter Rubin. Das aufgesteckte schwarze Haar schmückte ein Perlendiadem. Ihre ungewöhnlich lebhaften Züge mit den großen grüngrauen Augen, dem vollen Mund und der feinen Nase faszinierten den Fähnrich. „Bitte nehmen Sie sich ein Glas“, sagte sie. „Rauchen Sie? Sie werden uns viel erzählen müssen.“
„Ah… hum…“ Flandry bohrte verlegen seine Stiefelspitze in den Teppich. Die Hand, mit der er das angebotene Weinglas annahm, war feucht. „Da gibt es nicht viel zu erzählen, gnädiges Fräulein. Viele Männer haben aufregendere Dinge erlebt.“
„Aber wohl kaum so romantische“, sagte Hauksberg. „Eine Segelfahrt mit einem Piratenschiff et cetera.“
„Das sind keine Piraten“, platzte Flandry heraus. „Kaufleute… Entschuldigen Sie.“
Hauksberg musterte ihn. „Sie schätzen diese Einheimischen, wie?“
„Jawohl. Sehr.“ Er richtete seine Augen auf Hauksberg, was ihn bemerkenswerte Überwindung kostete. „Bevor ich diese Leute besser kennenlernte, betrachtete ich meinen Aufenthalt hier als Pflicht. Nun möchte ich ihnen helfen.“
„Lobenswert. Doch auch die Meeresbewohner sind Einheimische. Und auch sie sind denkende, empfindende Wesen, genauso die Merseier. Ein Jammer, daß alle sich in den Haaren liegen.“
Flandrys Ohren brannten. Abrams sprach aus, was er sich nicht zu sagen traute: „Diese Wesen haben ihr möglichstes getan, um unseren Fähnrich zu töten, Exzellenz.“
„Und nachdem er zurückgekehrt war und Meldung gemacht hatte, wurde ein Vergeltungsangriff unternommen“, erwiderte Hauksberg scharf. „Drei Merseier wurden dabei getötet, dazu einer der Unsrigen. Zur gleichen Zeit wurde ich von Kommandant Runei zu einem Gespräch empfangen. Sehr schlechte Koordination, das. Äußerst peinlich.“
„Ich zweifle nicht daran, daß Runei den Vertreter des Herrschers auch danach mit Zuvorkommenheit behandelt hat“, sagte Abrams. Eine leichte Röte war ihm ins Gesicht gestiegen. „Er ist ein charmanter Halunke, wenn er will. Aber unsere mehrfach öffentlich verkündete Politik ist, jeden Angriff auf unsere Mission und ihre Angehörigen mit einem Vergeltungsschlag zu beantworten. Offiziell handelt es sich um eine friedliche Mission. Wir sind als Ratgeber in einem Territorium, das von keiner der beiden Mächte beansprucht wird. Übergriffe gegen unser Personal können darum nicht ungeahndet bleiben.“
„Und wenn Runei seinerseits mit einem Überfall antwortet?“
„Er hat es nicht getan.“
„Noch nicht. Ein Beweis für Merseias versöhnliche Haltung, nicht wahr? Mag sein, daß meine Anwesenheit Runei beeinflußt hat, aber ich will Ihnen etwas sagen, Abrams: Wenn diese sinnlosen Scharmützel weitergehen, wird eines Tages — und zwar bald — eine wirkliche Eskalation einsetzen. Dann wird es sehr schwer sein, die Intensität der Kriegführung zu kontrollieren. Gestern wäre der richtige Augenblick gewesen, um den Unfug einzustellen.“
„Mir scheint, daß Merseia die Eskalation ein ganzes Stück vorangetrieben hat, als es seine Operationen bis in unsere Nachbarschaft ausdehnte.“
„Die Meeresbewohner haben das getan. Sie hatten ohne Zweifel die Hilfe der Merseier, obwohl sich das nicht nachweisen läßt, aber es ist ihr Krieg und der des Landvolks.“
Abrams zerbiß seine erkaltete Zigarre. „Seevolk und Landvolk sind in Tausende von Gemeinwesen und mehrere eigenständige Zivilisationen aufgesplittert. Viele hatten noch nie voneinander gehört. Die Bewohner der Zletovarsee waren bisher ein gelegentliches Ärgernis für die Leute von Kursoviki, weiter nichts. Wer hat sie auf die Idee gebracht, sich mit anderen zu verbünden und einen regelrechten Krieg zu führen? Wer verwandelt eine bislang stabile Situation allmählich in einen weltweiten Rassenkrieg? Merseia!“
„Sie übernehmen sich, Oberst“, sagte Major Abd-es-Salam. Die Begleiter des Grafen quittierten Abrams' Unbeherrschtheit mit mißbilligenden Blicken.
„Nein, nein.“ Hauksberg winkte lächelnd ab. „Ich schätze Offenheit. Wie soll ich den Dingen auf den Grund gehen, wenn ich nicht die Meinungen anderer anhöre?“ Er winkte einen Kellner heran. „Sagen Sie, Abrams, was tut Merseia in den lokalen Gewässern?“
Abrams zuckte mit der Schulter. „Wir wissen es nicht. Die Schiffe von Kursoviki meiden das Gebiet natürlich. Wir könnten Taucher aussenden, aber das erschien uns als zu riskant. Betrachtet man die Sache aus diesem Gesichtswinkel, so hat Fähnrich Flandry nicht nur ein Abenteuer erlebt. Es ist ihm gelungen, den Respekt und vielleicht sogar die Freundschaft der Schiffsbesatzung zu gewinnen, was sehr nützlich für uns ist. Er hat neue Informationen über sie mitgebracht und einen lebenden Seetroll als Gefangenen abgeliefert.“
Hauksberg zündete sich eine schwarze Zigarre an. „Das ist ungewöhnlich, wie?“
„Ja, das kann man sagen, einmal aus Gründen, die mit der natürlichen Lebensweise dieser Wesen zusammenhängen, zum anderen, weil die Getigerten normalerweise alle Gefangenen aufessen.“
Persis d'Io schnitt ein angeekeltes Gesicht. „Sagten Sie, daß Sie diese Leute mögen?“ schalt sie Flandry.
„Für einen zivilisierten Menschen ist es schwer zu verstehen“, sagte Abrams gedehnt. „Wir ziehen nukleare Waffen vor, die ganze Planeten auf einmal rösten.“
Hauksberg winkte ab. „Da haben Sie natürlich recht, und ich für meine Person würde den Kannibalismus vorziehen. Ihren Andeutungen entnehme ich, daß die Kontakte zu den Einwohnern dieser Insel zu wünschen übriglassen? Ist das so?“
„Ja, leider“, sagte Hauptmann Menotti. „Zwar nimmt die Schwesternschaft unsere Waren und manchmal auch unseren Rat an, aber im allgemeinen herrscht eine Art mißtrauischer Wachsamkeit vor. Verständlicherweise, denn wir sind ihnen fremd, und ihre unterseeischen Nachbarn waren nie eine wirkliche Bedrohung. Mit weniger entwickelten Kulturen auf Starkad haben wir mehr Erfolg. Kursoviki ist zu stolz und selbstbewußt, ich möchte sogar sagen, zu intellektuell und kultiviert, um uns so ernst zu nehmen, wie wir es gern möchten. Das Abenteuer, von dem Fähnrich Flandry Ihnen berichtet hat, wird uns vielleicht die Tür zum Vertrauen dieser Leute ein wenig weiter öffnen.“
Hauksberg nickte nachdenklich. „Mir scheint auch dieser Gefangene sehr wichtig zu sein. Ich will ihn sehen.“
„Was?“ bellte Abrams. „Unmöglich!“
„Warum?“
„Wieso, das ist…“
„Es liegt im Interesse meines Auftrags“, unterbrach Hauksberg kühl. „Ich muß darauf bestehen. Vielleicht liegt hier der Schlüssel zu etwas bei weitem Wichtigeren, nämlich zum Frieden.“
„Wie das?“
„Wenn Sie ihn so ausquetschen, wie Sie es nach meinem Gefühl vorhaben, werden Sie viel über seine Kultur erfahren. Es werden keine gesichtslosen Wesen mehr sein, sondern wirkliche Geschöpfe mit Sorgen und Wünschen. Wir können — das ist nicht undenkbar, wissen Sie — wir können diesen lokalen Rassenkrieg vielleicht abwenden. Friedensverhandlungen zwischen den Landleuten und ihren Nachbarn!“
„Oder zwischen Wölfen und Schafen?“ versetzte Abrams ärgerlich. „Wie wollen Sie damit anfangen? In der Nähe unserer U-Boote lassen sie sich nicht blicken.“
„Fahren Sie mit den Schiffen der Eingeborenen auf See hinaus.“
„Dazu haben wir nicht die Leute. Es gibt wahrscheinlich keinen einzigen Menschen mehr, der weiß, wie man mit diesen Seglern umgehen muß, und das Segeln auf Starkad ist ohnedies eine besondere Sache. Wir sollten Leute von Kursoviki dazu bringen, daß sie mit uns zu Friedensverhandlungen fahren? Hah!“
„Flandry hier ist mit ihnen befreundet. Wie wäre es, wenn er sie fragte?“
„Oh!“ Persis faßte Flandrys Arm. „Wenn Sie das könnten…“
Er errötete und sagte, es wäre ihm ein Vergnügen. Abrams warf ihm einen düsteren Blick zu. „Nicht ohne Befehl, versteht sich“, sagte er grollend.
„Darüber werden wir uns noch unterhalten“, erklärte Graf Hauksberg. „Aber meine Herren, dies sollte ein zwangloser Abend sein. Vergessen wir die Geschäfte und nehmen wir uns des kalten Büfetts an, meinen Sie nicht?“
In der Mitte eines großen, hell erleuchteten Raumes schwamm der Siravo oder Seetroll in einem Wassertank, umgeben von Apparaten und Meßinstrumenten.
Er war groß, zweihundertzehn Zentimeter lang und dick wie eine Robbe. Seine zäh und widerstandsfähig aussehende Haut war am Rücken tiefblau gefärbt, während der Bauch ein blasses Grünblau zeigte. Der Körperbau entsprach etwa dem, was man sich unter einer Kreuzung von Delphin und Robbe vorstellen könnte, aber die vorderen und hinteren Flossen waren Muskelgebilde von wunderbarer Vielseitigkeit, die auch als Greifwerkzeuge gebraucht werden konnten. Dem Rücken entwuchs eine fleischige Haifischflosse und hinter dem Kopf befanden sich an der Bauchseite zwei kurze, kräftige Arme mit je vier nagellosen Fingern. Der Kopf war massiv, mit stumpfer Schnauze, großen goldenen Augen und einem Mund, der Lippen hatte.
Als Hauksberg, Abrams und Flandry eintraten, präsentierten die vier wachhabenden Marineinfanteristen ihre Gewehre. Die Techniker blickten von ihren Instrumenten auf und nahmen Haltung an.
„Rühren“, sagte Abrams. „Wie schaut es aus, Leong?“
„Ermutigend, Chef“, antwortete der diensttuende Wissenschaftler. „Die Auswertung der neurologischen Untersuchung und des Enzephalogramms ergibt, daß er mindestens eine halbintensive Behandlung mit der Hypnosonde ohne bleibende Schäden überstehen wird. In ein paar Tagen werden wir den Apparat soweit vervollkommnet haben, daß er unter Wasser eingesetzt werden kann.“
Hauksberg ging an den Wasserbehälter. Der Schwimmer bewegte sich auf ihn zu. Ihre Blicke begegneten sich; es waren schöne Augen, die ihn aus dem Wasser ansahen. Hauksberg errötete und wandte sich um. „Wollen Sie dieses Geschöpf quälen?“ fragte er streng.
„Eine kurze Behandlung mit der Hypnosonde ist nicht schmerzhaft, Graf“, sagte Abrams.
„Sie wissen, was ich meine. Psychologische Quälerei kann genauso schlimm sein, und das um so mehr, als er sich in den Händen fremder Wesen befindet. Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, daß man mit ihm sprechen könnte?“
„Wir wissen nur wenig von seiner Sprache. Die frühen Expeditionen haben diese Rasse erforscht, aber das war in der Kimraigsee, wo jetzt die Merseier sind. Möglich, daß dort eine ganz andere Sprache gesprochen wird. Der kulturelle Hintergrund von unserem Freund hier ist uns völlig unbekannt. Und er hat sich bisher nicht gerade willig zur Zusammenarbeit gezeigt.“
„Würden Sie sich in seiner Lage anders verhalten?“
„Ich glaube nicht. Aber wir können nicht zuwarten, bis er sich eines Besseren besinnt. Seine Leute können eine größere Operation planen, vielleicht gegen Siedlungen auf dem südlichen Archipel. Oder er geht uns hier in diesem Becken ein. Wir glauben zwar, daß Lebensbedingungen und Nahrung geeignet für ihn sind, aber wer kann das wissen?“
Hauksberg machte ein finsteres Gesicht. „Sie werden jede Chance zerstören, seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu gewinnen, von seinem Vertrauen ganz zu schweigen.“
„Für Verhandlungszwecke? Was haben wir an ihm verloren? Wir kennen seine Psyche nicht. Es kann gut sein, daß er auf erbarmungslose Behandlung eingestellt ist und nichts anderes erwartet. Wenn die Leute von Kursoviki mit kleinen Booten unterwegs sind und das Pech haben, diesen Meeresbewohnern zu begegnen, dann wissen sie, was die Stunde geschlagen hat. Unser Gefangener sieht hübsch aus, aber er ist weder mit Ihnen noch mit mir oder dem Landvolk verwandt.“
„Er denkt. Er fühlt. Und gerade der Umstand, daß er nichts Gutes von uns erwartet, kann uns helfen — wenn wir ihn anständig behandeln.“
„Ich weiß nicht. Was denkt und fühlt er? Ich weiß nur, daß er ein Säuger ist, obwohl er durch Kiemen atmet. Seine Lebensbedingungen sind uns völlig fremd.“
„Die Merseier kommen gut mit ihnen zurecht.“
Abrams nickte verdrießlich. „Sie haben sich Zeit genommen und alles gelernt, was wir nicht gelernt haben. Wir haben Versuche dieser Art unternommen, in Gebieten, die vom Konflikt bisher unberührt waren, aber die Merseier haben es jedesmal herausgebracht und die Sache hintertrieben.“
„Wie haben sie es herausgebracht?“ bohrte Hauksberg. „Durch Spione?“
„Nein, durch Überwachung. Wenn wir irgendwie Zugang zu ihrem aufgezeichneten Wissen über diese unterseeische Rasse bekommen könnten…“ Abrams brach ab und zog eine Zigarre aus der Brusttasche. Mit heftigen Bewegungen zündete er sie an.
Hauksberg lächelte. „Mißverstehen Sie mich nicht, Oberst. Ich versichere Ihnen, daß ich kein weinerlicher Idealist bin. Ich habe nur etwas dagegen, wenn jemand hingeht und jedes Ei in Sicht zerbricht. Großer Murks, das.“ Er machte eine Pause. „Heute werde ich Sie nicht mehr belästigen. Aber ich möchte einen ausführlichen Bericht über dieses Projekt, heute abend noch, und regelmäßige Meldungen. Ich verbiete diese Hypnosondenbehandlung nicht kategorisch, aber ich werde keine Form der Quälerei oder Folter dulden. Und ich werde mich durch eigenen Augenschein vom Befinden des Gefangenen überzeugen.“ Er wendete sich abrupt um. „Nein, nein danke, Sie brauchen mich nicht hinauszubegleiten. Guten Tag, die Herren.“
Die Tür fiel hinter seiner aristokratischen Eleganz ins Schloß. Abrams fluchte und zog sich mit Leong in eine Ecke zurück, wo sie mit gedämpften Stimmen diskutierten. Das Summen und Klicken der Maschinen erfüllte den Raum. Es war kalt. Flandry stand verloren da und starrte seinen Gefangenen an.
„Was grübeln Sie da?“
Flandry fuhr zusammen. Abrams war wie auf Katzenpfoten unbemerkt an seine Seite gekommen.
„Ich… ich habe nachgedacht, Chef“, stammelte Flandry errötend. „Hauks… ich meine, der Graf hatte recht. Sie überstürzen die Sache ein bißchen, nicht wahr?“
„Ich muß.“
„Nein“, widersprach Flandry ernst. „Entschuldigen Sie, aber wenn wir die Zletovarsee erkunden wollen, können wir es mit Tauchern und U-Booten tun. Den Gefangenen hier brauchen wir dazu nicht; wir sollten ihn studieren, das erscheint mir sinnvoller und auf lange Sicht nützlicher. Ich habe gelesen, was ich finden konnte, aber dieses Seevolk ist nach wie vor eine unbekannte Größe. Sie brauchen viel mehr Informationen, bevor Sie sicher sein können, daß irgendeine Form der Befragung zu Resultaten führen wird.“
Abrams betrachtete ihn unter zusammengezogenen Brauen durch eine Wolke Tabaksqualm. „Wollen Sie mir erzählen, wie ich meine Arbeit zu tun habe?“ Seine Stimme klang mild.
„Nein, gewiß nicht. Ich — ich habe viel Respekt vor Ihnen.“ Eine Erleuchtung flammte in ihm auf. „Chef! Sie haben mehr Informationen, als Sie zugeben! Eine direkte Leitung nach…“
„Mund halten.“ Die Stimme blieb leise, aber Flandry schluckte und nahm unwillkürlich Haltung an. „Kein Wort davon, verstanden?“
„Ja — jawohl, Chef.“
Abrams sah sich nach den anderen Männern um. Keiner von ihnen hatte mitgehört. „Junge“, murmelte er, „Sie setzen mich in Erstaunen. Wirklich. Sie sind als Aufklärerpilot nicht am richtigen Platz. Haben Sie schon mal an eine Versetzung zum Nachrichtendienst gedacht?“
Flandry biß sich auf die Lippen. „Los“, drängte Abrams. „Sagen Sie es Onkel. Warum gefällt Ihnen der Gedanke nicht?“
„Es wäre — ich meine — nein, Chef, ich bin nicht geeignet.“
„Seien Sie ehrlich, Mann. Haben Sie was gegen mich? Mir macht es nichts aus, ein Hurensohn genannt zu werden. Ich habe meine Geburtsurkunde.“
„Also“, ermannte sich Flandry, „ich wollte sagen, daß es ein schmutziges Geschäft ist.“
„Hm. Sie meinen diese Sache hier, zum Beispiel?“
„Ja. Ich… ich habe mir Gedanken gemacht“, stammelte Flandry. „Wissen Sie, ich hatte bei diesem Seegefecht keine Angst, und nachher sah es wie ein großartiger Sieg aus. Aber dann — dann sind mir die Toten eingefallen. Einer der Gefangenen wurde abgestochen wie ein Schwein. Und einer der Gestreiften brauchte zwei Tage zum Sterben. Wenn ich mir diesen hier ansehe — er weiß nicht einmal, was mit ihm geschehen wird!“
Abrams paffte eine Weile. „Alle Wesen sind Brüder, nicht wahr?“ sagte er schließlich.
„Nun ja, nicht unbedingt, aber…“
„Nicht unbedingt? Sie sollten es besser wissen. Sie sind es nicht! Nie gewesen. Sicher, der Krieg ist eine deprimierende Sache. Sicher, der Friede ist wunderbar. Aber man kann nicht immer Frieden haben, außer im Tod, und man kann schon gar keinen Frieden haben, der nicht auf allseitigem Interesse beruht, der sich nicht für alle Beteiligten auszahlt. Gewiß, das Imperium ist krank. Aber es ist unser Imperium. Es ist alles, was wir haben. Es wäre unverantwortlich, wollte man seine Liebe und Loyalität so dünn und gleichmäßig verteilen, daß für die wenigen Geschöpfe und Institutionen, denen man sie schuldig ist, nicht genug übrigbliebe. Sie sollten ein paar von den Büchern lesen, die ich in meinem Quartier habe, hauptsächlich altes Zeug, Aristoteles, Juvenal, Machiavelli, Clausewitz und so. Aber das wird eine Weile dauern. Gehen Sie jetzt nach Hause und denken Sie über meinen Vorschlag nach.“
„Hat der Fodaich meine Meldung nicht gelesen?“ fragte Dwyr.
„Natürlich habe ich sie gelesen“, antwortete Runei. „Aber ich möchte Auskunft über gewisse Details. Warum haben Sie für den Einbruch keine bessere Gelegenheit abgewartet?“
„Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Gelegenheit war nicht groß, Fodaich. Es ging bereits gegen Morgen zu. Jemand hätte mich anhalten können, und meine Antwort wäre notwendigerweise verdächtig gewesen. Mein Befehl lautete, daß jedes unnötige Risiko zu vermeiden sei.“
„Was ist mit der Patrouille, die Ihnen auf dem Rückweg begegnet ist? Hat man Sie gesehen?“
„Wohl kaum, Fodaich. Es war im dichten Wald, und sie feuerten blindlings um sich, als ich ihren Anruf nicht beantwortete. Sie werden nur eine undeutliche Gestalt gesehen haben.“
Runei seufzte. „Nun, es war ein Versuch, und Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Aber ich fürchte, wir können Sie auf Starkad nicht mehr einsetzen, nachdem Abrams Sie gesehen hat.“
„Ich hoffe, man läßt mich in Ehren weiterdienen“, sagte Dwyr. „Noch etwas, Fodaich: Während ich in Highport war, beobachtete ich von weitem einen Vorgang, der Sie vielleicht interessiert. Abrams ging mit einem Zivilisten, der mehrere Begleiter bei sich hatte, in angeregter Unterhaltung die Straße entlang. Ich vermute, der Zivilist war der kaiserliche Abgesandte.“
Runei nickte. „Der von hier aus nach Merseia geht. Haben Sie etwas von ihrem Gespräch auffangen können?“
„Der Geräuschpegel war sehr hoch, Fodaich, aber mit Hilfe meines Verstärkers konnte ich ein paar Wortfetzen verstehen. Danach habe ich den Eindruck, daß Abrams ihn nach Merseia begleiten wird. In diesem Fall sollten wir Abrams besonders gut beobachten.“
Runei rieb sich das Kinn. „Ja, das ist eine Möglichkeit. Halten Sie sich für eine baldige Abreise bereit.“
Dwyr salutierte und ging. Runei saß allein unter dem surrenden Ventilator. Nach einer Weile nickte er vor sich hin, holte das Schachbrett hervor und überlegte seinen nächsten Zug. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er eine Verbindung mit Abrams verlangte.