16

Highport lag still und fast verlassen. Die wenigen noch hier verbliebenen Männer saßen kartenspielend in den häßlichen Baracken oder schlenderten durch die staubigen Straßen und warteten auf Befehle. Kaum einer, der sich nicht nach Hause sehnte. Baustellenlärm und Düsengeheul waren verstummt, und nach den ersten tumultartigen Feiern gab es keine Freudenausbrüche mehr. Das Ende des Krieges hatte die Leute benommen zurückgelassen. Zuerst war die lapidare Ankündigung gekommen, daß Admiral Enriques und Fodaich Runei einen Waffenstillstand vereinbart hätten, während sie mit ihren Regierungen sprachen. Dann, nach tagelanger Ungewißheit, waren die Schiffe eingetroffen, war die Proklamation veröffentlicht worden, daß Imperium und Roidhunat gemeinsam die Evakuierung der Bewohner des zum Untergang verurteilten Planeten Starkad vorbereiten und ihren Konflikt beenden würden. Kurz darauf hatten beide Parteien ihre Streitkräfte bis auf wenige Beobachter abgezogen. An ihrer Stelle waren Zivilisten gekommen, Wissenschaftler und Organisatoren für das neue Evakuierungsprojekt. Und dazu zahllose Gerüchte. Wie konnte man da weiterleben, als sei nichts Besonderes geschehen? Nichts würde jemals wieder ganz normal sein. Nachts sah man die Sterne über sich und erschauerte.

Dominic Flandry ging schweigend durch den Abend. Die Luft war kühl und klar, und es war so still, daß er den Sand unter seinen Stiefelsohlen knirschen hörte. Über den Schneefeldern der Narpaspitze hing einer der Monde gleich einem riesigen Lampion und tauchte die Bergwelt in sein geheimnisvolles Licht. Nie hatte Flandry den Planeten so herzbewegend schön gefunden.

In Ridenours Büro brannte Licht, und die Tür stand angelehnt. Flandry trat ein. Die meisten Schreibtische standen leer. Ridenours Xenologen waren unterwegs. Ihr Chef versuchte ihre weltumspannenden Anstrengungen zu koordinieren und ersetzte seinen Schlaf durch Drogen. Im Augenblick unterhielt er sich mit einem Fremden. Flandrys Kehle schnürte sich zusammen, und er machte eine Bewegung, als wolle er hinauslaufen. Graf Hauksberg!

Jeder wußte, daß die „Dronning Margrete“ am Vortag eingetroffen war und daß der Abgesandte seiner Majestät auf Starkad eine letzte Inspektion machte. Flandry hatte sich vorgenommen, ihm aus dem Weg zu gehen. Nun war das Unglück geschehen, und er nahm Haltung an.

Der Graf blieb gelassen sitzen, nur sein scharfes Gesicht wendete sich Flandry zu. Fast amüsiert sagte er: „Sieh mal an. Wer kommt denn da?“

„Fähnrich Flandry, Exzellenz. Ich-ich bitte um Entschuldigung. Ich wollte nicht stören. Ich werde gehen.“

„Nein. Bleiben Sie. Ich wollte sowieso ein Wörtchen mit Ihnen reden.“ Er nickte Ridenour zu. „Bitte fahren Sie fort. Was waren das für Schwierigkeiten?“

Der Xenologe bemerkte den Neuankömmling kaum, der sich mit hängendem Kopf auf einen entfernten Stuhl niederließ. „Vielleicht kann ich die Schwierigkeiten am besten durch eine typische Szene illustrieren, die in der vergangenen Woche aufgenommen wurde. Sie spielt im Haus der Schwesternschaft in Ujanka.“

Er machte sich an seinen Geräten zu schaffen. Ein Bildschirm flackerte auf und zeigte einen Raum mit unverputzten Bruchsteinmauern, an denen allerlei barbarische Trophäen hingen. Ein Mann und mehrere einheimische Frauen mit den gestreiften und federgeschmückten Umhängen ihrer Würde und Autorität saßen vor einem Visiphon. Flandry erkannte zwei oder drei von ihnen. Er verwünschte den Zufall, der ihn hergeführt hatte. Sein Abschied von der Stadt Ujanka und ihren Bewohnern war eine noch offene Wunde seiner Seele.

Ostrava, die diesjährige Ratsvorsitzende, beäugte unwillig das projizierte Fischgesicht. „Niemals!“ schnarrte sie. „Wir haben unsere Rechte und Notwendigkeiten, die wir verteidigen müssen. Lieber sterben als aufgeben, was unsere Mütter mit dem Einsatz ihres Lebens errungen haben.“

Das Bild blendete in eine andere Umgebung über. Flandry erkannte den unterseeischen Tempel wieder. Licht durchdrang das Wasser und färbte es smaragdgrün. Die Stadtoberhäupter des Seevolkes von Zletovar schwebten fast ohne Bewegung vor der traumhaften Kulisse der Säulengänge und Arkaden. Sie hatten Isinglas als Experten zugezogen. Von ihnen werde ich mich nicht mehr verabschieden können, dachte Flandry bekümmert.

„Ihr wollt also weiterhin alles stehlen, wie ihr es immer getan habt“, sagte einer, der für die Versammelten sprach. „Das darf nicht sein. Wir müssen diese Hilfsquellen haben, wenn die schweren Zeiten anbrechen. Vergeßt nicht, daß wir unsere Waffen behalten.“

Die Aufnahme schloß Erläuterungen der Dolmetscher ein, die Ridenour zu beiden Versammlungen entsandt hatte und die für die Aufnahmen verantwortlich waren.

„Unsere Station im südlichen Archipel hat eigens für Sie eine vorläufige Übersicht gegeben, Exzellenz“, sagte Ridenour. Er schaltete um. Auf dem Bildschirm erschien eine Lagune, wo Sonnenlicht auf kleinen Wellen glitzerte und hinter einem breiten Streifen weißen Sandes Bäume im Seewind rauschten. Man sah es aus dem Kajütfenster eines Motorbootes. Das Objektiv richtete sich auf einen Mann mit dunklen Rändern unter den Augen. Er nannte Datum und Ort und las von einem Manuskriptblatt ab:

„Beide Parteien machen weiterhin exklusive Rechte auf die Nutzung der Fischgründe um den Archipel geltend. Unsere Beratergruppen haben in Zusammenarbeit mit merseiischen Experten neuerliche Gewalttätigkeiten und Übergriffe zu verhindern vermocht, aber ein Kompromiß zeichnet sich noch nicht ab. Wir werden uns weiter um eine Verständigung bemühen und rechnen auf lange Sicht mit einem Erfolg, aber vorläufig fehlen dafür noch alle Voraussetzungen.“

Ridenour schaltete ab. „Sehen Sie? Wir können diese Leute nicht einfach wie Vieh in Raumschiffe verladen. Es genügt auch nicht, daß wir bestimmen, welcher von den in Frage kommenden Planeten am besten für sie geeignet ist. Wir müssen sie darauf vorbereiten, psychologisch durch Aufklärungs- und Erziehungsarbeit, organisatorisch durch eine zahlenmäßige Erfassung aller Gruppen, wobei wir auf die Einsicht ihrer Führer in die Notwendigkeiten angewiesen sind. Selbst unter idealen Bedingungen werden ihre Kulturen einen erheblichen Schock davontragen. Die Vorbereitungen erfordern jahrelang geduldige Arbeit. In der Zwischenzeit wollen und müssen beide Rassen leben. Unsere Bekanntmachung, daß ihre Welt zum Untergang verurteilt ist, hat verständlicherweise eine ungeheure Erregung ausgelöst. Die meisten werden lange brauchen, bis sie vernünftig darüber denken und reden können. Anderen wird das nie gelingen. Nur wenigen ist überhaupt klar, worum es geht; sie sind ja zu einem großen Teil ohne astronomische Kenntnisse. Wir dürfen nicht geringschätzig auf sie herabsehen. Wenn wir und die Merseier, wir großen, raumbeherrschenden Rassen, weniger von den Instinkten und mehr von der Vernunft geleitet würden, gäbe es keinen Krieg zwischen uns.“

„Es herrscht kein Krieg“, sagte Hauksberg.

„Das bleibt abzuwarten, lieber Graf.“ Ridenour sah die Wolken des Unmuts auf Hauksbergs Stirn, und fuhr in verändertem Tonfall fort: „Wenn Exzellenz auf die Notwendigkeit zusätzlichen Personals hinweisen könnten… Wir haben zu wenig ausgebildete Leute. Sie haben einen kleinen Ausschnitt von unserer Arbeit auf diesem kleinen Flecken Planetenoberfläche gesehen. Aber wir haben es mit Millionen von Individuen, mit Tausenden von Bevölkerungsgruppen zu tun. Viele sind uns nicht mehr als Namen auf weißen Flecken der Landkarte. Aber auch diese weißen Flecken sind mit lebenden, denkenden, fühlenden Wesen erfüllt. Wir müssen sie erreichen, müssen sie retten. Wir können nicht alle erfassen, aber jeder Gerettete ist eine Rechtfertigung mehr für die Existenz der Menschheit, die, Gott weiß es, jeder Rechtfertigung bedarf, die sie bekommen kann.“

Hauksberg war beeindruckt. „Die Regierung wird entscheiden, was sie für die Rettung dieser unglücklichen Geschöpfe tun will und tun kann“, sagte er, „aber seien Sie überzeugt, daß ich mich in Ihrem Sinn einsetzen werde.“ Er stand auf, und auch Ridenour erhob sich rasch. „Guten Tag.“

„Guten Tag, Exzellenz“, sagte der Xenologe und verneigte sich. „Ich danke für Ihren Besuch und Ihre verständnisvolle Haltung. Oh, Fähnrich Flandry. Was wollen Sie?“

„Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden. Mein Transport geht in ein paar Stunden ab.“

„Nun, dann leben Sie wohl. Viel Glück.“ Ridenour ging soweit, daß er Flandry die Hand schüttelte. Aber noch bevor Hauksberg und Flandry den Raum verlassen hatten, saß er wieder hinter seinem Schreibtisch.

„Machen wir einen kleinen Rundgang“, sagte Hauksberg. „Ich möchte mir die Füße vertreten. Nein, gehen Sie neben mir. Es gibt einiges zu bereden.“

„Jawohl, Exzellenz.“

Eine Brise kam von den träumenden Bergen und ihren Gletschern herab. Hauksbergs Umhang bauschte sich. Der Graf zog ihn um sich. „Soso“, sagte er. „Man begegnet sich wieder.“

„Ja“, sagte Flandry. „Ich hoffe, der Rest Ihres Aufenthalts auf Merseia war angenehm.“

Hauksberg stieß ein Lachen aus. „Sie sind unverschämt! Werden es noch weit bringen, wenn niemand Sie zuvor erschießt. Ja, ich darf sagen, daß Kanzler Brechdan und ich einige recht interessante Gespräche hatten, nachdem die Nachrichten von hier gekommen waren.“

„Soviel ich gehört habe, sind Sie übereingekommen, das Gefecht als einen Irrtum der beiden Flottenkommandeure anzusehen, die ihre Befehle mißverstanden haben.“

„Richtig.“ Er packte Flandrys Arm mit unerwarteter Heftigkeit. „Jede andersgeartete Schilderung des Hergangs verstößt gegen das Interesse des Staates. Ist das klar?“

„Jawohl. Ich bin bereits unterrichtet.“

„Sie können von Glück sagen, daß es so gekommen ist“, fuhr Hauksberg milder fort. „Die Notwendigkeit der Geheimhaltung bringt es notwendigerweise mit sich, daß die gegen Sie erhobenen Anklagen zurückgezogen werden. Was nach unserer Ankunft auf Merseia geschehen und aktenkundig geworden ist, wird in das geheime Staatsarchiv eingehen. Sie sind frei, junger Mann.“

Flandry nahm die Hände auf den Rücken, wo er sie zu Fäusten ballte. Mühsam sagte er: „Wollen Sie so gütig sein und Ihre persönliche Vergebung hinzufügen?“

„Oh, richtig — aber ja!“ Hauksberg lachte und schlug ihm auf die Schulter. „Sie haben absolut richtig gehandelt. Für eine absolut falsche Sache, um es genau zu sagen, aber durch eine glückliche Fügung haben Sie meinen Zweck für mich erreicht, Frieden mit Merseia. Warum sollte ich Ihnen grollen?“ Er gab ihm ein Augenzwinkern. „Was eine bestimmte Dame angeht, so wollen wir die Sache nicht dramatisieren. Schwamm drüber.“

Flandry konnte nicht mitspielen. „Aber wir haben keinen Frieden!“ brach es aus ihm heraus. „Sie hatten unsere Vernichtung geplant. Wie können wir sie ungestraft lassen?“

„Beruhigen Sie sich. Ich bin überzeugt, daß sie keine solche Absicht hatten. Wenn man diese kosmische Kollision überhaupt als Waffe ansehen kann, so hätten sie sie nur gegen uns zur Auswirkung kommen lassen, falls wir sie dazu gezwungen hätten. Vergessen Sie nicht, daß wir für Merseia ebenso eine Bedrohung darstellen wie sie für uns. Hätten wir einen aufrichtigen Willen zur Zusammenarbeit und Verständigung gezeigt, so wäre kein Grund gewesen, uns unbenachrichtigt zu lassen.“

„Wie können Sie das sagen?“ entgegnete Flandry mit erstickter Stimme. „Die Merseier wollen uns aus dem Universum vertreiben!“

„Das ist genug, Fähnrich. Ersparen Sie mir diese abgedroschene Propaganda. Die Geschichte dieses Zwischenfalls wird von der Regierung eben deshalb unterdrückt, weil sie zu leicht zum Gegenstand Ihrer Art von Fehlinterpretation gemacht werden und die künftigen Beziehungen zwischen den Regierungen belasten könnte. Brechdan hat seinen Friedenswillen durch den Abzug seiner Streitkräfte von Starkad bereits unter Beweis gestellt. Ich glaube, Sie sind noch nicht alt genug, Fähnrich, um die Außenpolitik des Imperiums festzulegen.“

Flandry schluckte. „Ich bitte um Entschuldigung.“

Hauksberg betrachtete ihn aufmerksam, dann lächelte er. „Nein, keine Ursache. Wirklich, ich bin ein Mensch, mit dem man reden kann. Und Sie meinen es auch gut. Eines Tages werden Sie klüger sein. Hier ist meine Hand.“

Flandry blieb keine Wahl. „Wenn Sie sich von Persis verabschieden wollen“, ergänzte Hauksberg, „dann können Sie sie im Gästezimmer antreffen.“

Flandry marschierte mit langen Schritten davon. Als er beim Hauptquartier angelangt war und sich bei den Posten ausgewiesen hatte, war sein Zorn vergangen, und Leere war an seine Stelle getreten. Er ging durch die Suite der Gästezimmer und blieb stehen. Warum weitergehen? Warum noch etwas tun?

Persis kam auf ihn zu. Sie trug ein grünseidenes Kleid und Brillanten am Hals und an den Ohren. „Oh, Nicky, Nicky!“ Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und schluchzte.

Er tröstete sie mechanisch. Sie hatten einander nicht oft gesehen, seit er vom Gefecht zurückgekehrt war. Er war für Ridenour in Ujanka gewesen und hatte von früh bis spät gearbeitet, und diese Arbeit hatte ihn so gefesselt, daß er nur ungern Besuche in Highport gemacht hatte. Sie war tapfer und intelligent, und das Zusammensein mit ihr hatte ihm Spaß gemacht, und zweimal hatte sie ihn vor Katastrophen bewahrt, aber sie sah sich nicht dem Ende ihrer Welt gegenüber. Und überdies war ihre Welt nicht die seine, konnte es niemals werden.

Sie setzten sich auf einen Diwan. Er hatte einen Arm um ihre Taille gelegt, in der freien Hand eine Zigarette. Sie blickte auf den Boden. „Werde ich dich auf der Erde wiedersehen?“ fragte sie.

„Ich weiß nicht. In absehbarer Zeit wohl kaum, fürchte ich. Mein Marschbefehl ist durchgekommen. Ich bin zur Akademie für das Nachrichtenkorps abkommandiert.“

„Könntest du dich nicht um eine Versetzung irgendwo nach draußen bemühen? Ich könnte vielleicht etwas arrangieren…“

„Ein gemütlicher Bürojob mit regelmäßigen Dienststunden? Nein, danke. Dies ist ein Gebiet, das mir gefällt, das einem Zweck dient. Wenn ich die Gelegenheit nicht wahrnehmen würde, was hätte das Leben dann für einen Sinn?“

„Darauf wüßte ich eine Antwort“, sagte sie leise. „Aber ich glaube, das würdest du nicht verstehen.“

Darauf wußte er nichts zu sagen. Ihre Lippen streiften seine Wange. „Dann geh nur“, sagte sie. „Ich wünsche dir Glück.“

„Ah… hast du keine Schwierigkeiten, Persis?“

„Ich? Nein, nein. Markus ist ein zivilisierter Mann. Vielleicht bleiben wir sogar auf der Erde noch eine Weile zusammen. Mach dir keine Sorgen um mich. Leute meines Schlages wissen, wie man immer wieder auf den Füßen landet.“

Eine frohe Regung kam in ihm auf, hauptsächlich Erleichterung, daß er nicht verpflichtet war, sich um ihr Fortkommen Gedanken zu machen. Zum Abschied küßte er sie mit einer guten Imitation von Wärme.

Sie war so gut, daß ihm seine Einsamkeit doppelt schwer zu Bewußtsein kam, als er wieder auf der Straße stand. Er floh zu Max Abrams.

Der Oberst räumte sein Büro auf, denn er sollte mit demselben Transport zur Erde zurückkehren, dem auch Flandry zugeteilt war. Von der Erde wollte er nach Dayan weiterfliegen, um einen Urlaub bei seiner Familie zu verbringen. Als Flandry hereinstürzte, richtete er sich hinter seinem Schreibtisch auf und legte einen Stoß staubiger Schnellhefter aus der Hand. „Hallo!“ sagte er munter. „Was bedrückt unseren Helden?“

Flandry warf sich in einen Sessel. „Warum machen wir noch weiter?“ rief er erbittert. „Was hat es noch für einen Sinn?“

„Sachte, sachte. Sie brauchen was zu trinken.“ Abrams zog eine halbleere Flasche aus dem Schreibtisch, hieß Flandry Gläser bringen und schenkte ein. „Prost.“

Flandrys Hand zitterte. Er stürzte den Whisky in einem Zug herunter und hustete. Abrams zündete sich eine Zigarre an. „Also“, sagte er. „Was ist?“

„Ich habe mit Hauksberg gesprochen.“

„Na und?“

„Er… er geht ungeschoren zurück, ohne einen Flecken auf seinem Wappenschild. Wahrscheinlich kriegt er noch einen Orden. Und er schwafelt immer noch von Frieden.“

„Langsam. Er ist kein Ungeheuer. Natürlich ist seine politische Karriere an den Standpunkt gebunden, den er einnimmt. Er kann sich nicht leisten, zuzugeben, daß er sich möglicherweise geirrt hat. Und es wäre nicht fair von uns, wenn wir ihm ein Bein stellten, selbst wenn wir es könnten. Auch nicht klug. Wir brauchen ihn.“

„Wie bitte?“

„Denken Sie nach. Überlegen Sie, wie hübsch man ihn unter Druck setzen kann. Keine direkte Erpressung, nichts so Vulgäres. Aber eine hochgezogene Augenbraue im entscheidenden Moment. Eine harmlose Anspielung, wenn er den Mund zu etwas aufmachen will, was uns nicht paßt. Sicher, bei den Massen wird er populär sein. Er wird noch mehr Einfluß haben als bisher. Sehr schön. Besser ihn als einen anderen mit den gleichen Ansichten, einen, der keine Angriffsfläche bietet.“

„Aber ich… na ja…“

Abrams blickte stirnrunzelnd in die Rauchwolke seiner Zigarre. „Außerdem“, sagte er, „brauchen wir die Pazifisten als Gegengewicht zu den rabiaten Militaristen. Ich habe einmal anders gedacht, aber nun sehe ich es ein. Wir können keinen Frieden machen, aber wir können auch keinen richtigen Krieg machen. Der Mensch ist von Natur aus kein besonders geduldiges Wesen. Er muß gezügelt werden. Wir können nichts tun als die Stellung zu halten.“

„Und die ganze Sache soll für nichts gewesen sein?“ Flandry schrie beinahe. „Nur um das bißchen zu behalten, das wir haben?“

Der graue Kopf beugte sich. „Wenn der gute Gott uns soviel gewähren will“, sagte Abrams. „Seine Barmherzigkeit ist größer als seine Gerechtigkeit.“

Flandry schluckte und fand keine Worte. „Aber Starkad“, murmelte er schließlich. „Tod, Qualen, Ruinen, und zum Schluß bleibt alles, wie es war. Wozu waren wir hier?“

„Weil wir gekommen sind, können wir zwei Rassen denkender und fühlender Geschöpfe retten“, fuhr Abrams fort. „Und alles, was sie in der Zukunft aus sich machen können. Natürlich wußten wir das nicht vorher; aber wir waren zur Stelle, als es nötig wurde. Das sollte uns in diesem Fall Befriedigung genug sein.“

Abrams paffte heftiger. „Wissen Sie“, sagte er, „seit Echnaton in Ägypten regierte, wahrscheinlich schon früher, gibt es Schulen von Denkern und Philosophen, die dafür eintreten, daß wir unsere Waffen niederlegen und auf Brüderlichkeit und Liebe bauen sollen. Damit wir, sollte es mit der Liebe nicht klappen, wenigstens schuldlos sterben. Das ist einer der Grundgedanken des Christentums gewesen. Gewöhnlich haben sogar die Gegner dieser Denkrichtung gesagt, daß es ein nobles Ideal sei. Ich sage, es ist unrealistisch. In seinem Namen hat es Kreuzzüge und Inquisition und heilige Kriege mit furchtbaren Grausamkeiten gegeben. Der Mensch ist eben so geartet. Wir sind sterblich, und das heißt, wir sind unwissend, dumm und sündig. Unser einziger Stolz ist, daß wir trotzdem hin und wieder unser Bestes tun. Was dürfen wir mehr verlangen?“

Flandry blieb still.

Abrams füllte die Gläser auf. „Ende der Vorlesung“, sagte er. „Zu einem Jungen in Ihrem arroganten Alter würde ich das gemeinhin nicht sagen, aber da Sie eine kleine Ermunterung brauchen… nun, ich will sagen: Wenn Sie einmal den richtigen Tritt gefaßt haben, möge Gott Ihren Gegnern gnädig sein!“

Er sprach noch eine Stunde lang. Und Flandry verließ das Büro guter Dinge.


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