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Fähnrich Dominic Flandry wußte nicht, ob er durch Glück oder Geschick und Kaltblütigkeit am Leben geblieben war. Mit neunzehn Jahren war es naheliegend, das letztere zu glauben. Er dachte nicht viel darüber nach; ihm genügte es, davongekommen zu sein.

Außerdem waren seine Schwierigkeiten noch nicht behoben. Die „Archer“ war ein Handelsschiff, das der Schwesternschaft von Kursoviki gehörte, und verfügte über eine kleine Radiostation, Geschenk hilfsbereiter, aber nicht ganz uneigennütziger Militärs. Die Anlage funktionierte jedoch nicht; die Leute von der Insel Kursoviki hatten keine Ahnung von der Pflege und Instandhaltung so komplizierter und empfindlicher Apparate. Dragoika, der weibliche Kapitän, befand sich zu Flandrys großem Glück gerade auf der Rückreise in die Heimat, doch der Wind stand ihnen entgegen, und sie würden tagelang mit dieser schlingernden und stampfenden Badewanne auf der rauhen See kreuzen müssen, bevor sie in heimatliche Gewässer kämen. Das war an sich nicht fatal; Flandry konnte durch die Eßöffnung seines Helms auch einheimische Nahrungsmittel zu sich nehmen. Der Geschmack allerdings war eine andere Sache.

Mehr als das beschäftigte seine Gedanken die Tatsache, daß man ihn abgeschossen hatte. Eine Art Unterseeboot, das auch fliegen konnte, hatte sich plötzlich aus dem Wasser gehoben, seinen Hilferuf mit Störgeräuschen übertönt und die Maschine mit einer Lenkrakete getroffen. Wenigstens erklärte sich Flandry den Vorgang so; vielleicht war es auch ein Feuerstrahl gewesen, der seine Maschine zerstört und ihn zum Fallschirmabsprung gezwungen hatte.

Wie er so auf den schwankenden Schiffsplanken stand und über die bewegte See hinausstarrte, kam Ferok an seine Seite, ein Mitglied der Besatzung und ein wackerer Mann, der sich beim Rettungsmanöver hervorgetan hatte. „Wenn die vaz-Siravo gemerkt haben, daß du am Leben geblieben bist, werden sie vielleicht kommen und dich suchen.“

„Ja“, sagte Flandry, nach weiteren Worten suchend. Seine Kenntnisse der Sprache und der Gebräuche kursovikischer Einwohner waren so lückenhaft, wie sie nach einem dreimonatigen Schnellkursus sein mußten. Er spreizte die Beine gegen das Rollen und Stampfen des Schiffes, ein großer, schlaksiger Junge mit braunen Haaren, grauen Augen und einem langen, ebenmäßigen Gesicht, das Starkads Sonne dunkel gebrannt hatte. Vor ihm tanzte und schimmerte ein endloser grünlicher Ozean mit Sonnengesprenkel und Schaumkronen auf den kurzen, steilen Wogen. Tiefziehende Wolkenbänke schoben sich über den Himmel. Der kurze Tag neigte sich seinem Ende zu, und die Temperatur, in diesen mittleren nördlichen Breiten niemals hoch, sank. Flandry fröstelte.

Ferok war ihm — wie konnte es anders sein — ganz und gar unähnlich. Der Landstarkadier, Getigerte, Toborko oder wie immer man ihn nennen wollte, war wie ein kurzleibiger und dazu extrem langbeiniger Mensch gebaut. Vierfingrige Hände, große, klauenbewehrte Füße, ein Stummelschwanz und ein runder Kopf mit Segelohren, Schlitznase und großen, schräggestellten Augen machten aus der Nähe zunichte, was auf den ersten Blick an Menschenähnlichkeit denken ließ. Ein glattes, kurzhaariges Fell mit schwarzen und ockergelben Streifen und einem weißen Kehlfleck bedeckte seinen Körper.

Ferok trug als einzige Bekleidung einen perlenbestickten Beutel. Auf seinem Rücken hing in lederner Scheide ein langes Krummschwert. Er war Bootsmann, was für einen Mann von Kursoviki ein hoher Rang war. Außerdem war er einer von Kapitän Dragoikas Liebhabern. Flandry mochte ihn.

Ferok hob ein Teleskop und suchte den Horizont ab. Das Teleskop war eine einheimische Erfindung; Kursoviki galt als Zentrum von Starkads am meisten fortgeschrittener Landkultur. „Noch nichts zu sehen“, meinte er. „Glaubst du, daß ein fremdes Flugboot angreifen wird?“

„Ich glaube nicht“, sagte Flandry. „Die Merseier greifen selten selbst in irgendwelche Aktionen ein, und wenn sie es tun, dann als Einzelpersonen und nicht als Vertreter ihres Volkes. So machen wir es auch. Keiner möchte den anderen provozieren.“

Flandry drehte sich um und überblickte das Deck. Die „Archer“ war für starkadische Begriffe ein großes Schiff. Es mochte etwa fünfhundert Tonnen haben, war breit gebaut, mit rundem Bug und hohem Heckaufbau. Der Klüverbaum war reich geschnitzt und zeigte im Sinne einer Galionsfigur die Darstellung eines Schutzgeistes. Mittschiffs erhob sich ein Deckhaus mit Werkstätten. Alles war bunt bemalt, und die drei Masten trugen gelbe, viereckige Segel. Im Moment befand sich fast die gesamte Mannschaft an Deck, dreißig männliche Matrosen und fünf oder sechs weibliche Offiziere, und die Matrosen an den Schoten hatten alle Hände voll zu tun, während das Schiff gegen den Wind kreuzte. Die „Archer“ hatte Holz und Gewürze vom Hafen Ujanka zu einem südlichen Archipel gebracht und fuhr nun mit einer Ladung eingesalzener Fische zurück.

„Wie seid ihr bewaffnet?“ fragte Flandry.

„Ein Deckgeschütz und fünf von euren Gewehren“, sagte Ferok. „Außerdem Schwerter, Spieße, Messer und Enterhaken.“ Er zeigte Flandry ein Netz, das an beiden Bordwänden angeschlagen und unter dem Kiel durchgezogen war. „Wenn sich das stark bewegt, kann es bedeuten, daß ein Siravo unten ist und versucht, ein Loch in den Schiffsboden zu bohren. Dann müssen wir tauchen und ihn vertreiben. Du mit deiner Ausrüstung könntest das gut machen, besser als wir.“

Flandry schaute bestürzt drein. Sein Helm war wasserdicht und zum Tauchen geeignet, aber er verspürte wenig Lust, sich unter der Oberfläche dieses stürmischen Ozeans mit einem Wesen zu messen, das dort zu Hause war.

Ferok wechselte das Thema. „Ist es wahr, daß eure Frauen den Männern gehorchen?“

„Nun, manchmal.“ Der Zweite Offizier ging vorbei, und Flandrys Augen folgten ihr. Sie hatte Kurven und eine lohfarbene Mähne, die ihren ganzen Rücken bedeckte, und ihre Brüste waren voll und fest. Ihre Kleidung bestand aus goldenen Armreifen. Flandry wußte, daß auf Kursoviki und den umliegenden Inseln das Matriarchat herrschte, und daß das weibliche Geschlecht bei dieser Rasse als das intelligentere und unternehmendere dominierte. „Aber wer sorgt dann in eurer Heimat für Ordnung?“ wunderte sich Ferok. „Wie kommt es, daß ihr euch nicht gegenseitig umbringt?“

Flandry geriet in Verlegenheit. „Nun, auch das gibt es, verstehst du. Es ist schwer zu erklären. Laß mich erst sehen, ob ich eure Bräuche richtig verstehe, damit ich dir unsere besser klarmachen kann. Zum Beispiel sind die Frauen bei euch in Schwesternschaften organisiert, denen alles Eigentum gehört und die durch ihre gewählten Leiterinnen alle wichtigen Entscheidungen treffen. So kommt es, daß die Männer keinen Einfluß haben und ihre Streitigkeiten untereinander ohne Wirkung auf das Ganze bleiben. Habe ich recht?“

„So ungefähr. Aber du hättest es höflicher sagen können.“

„Ich bitte um Verzeihung. Ich bin ein Fremder. Nun, was meine Heimat angeht…“

Ein Schrei kam aus dem Krähennest. Ferok warf einen Blick hinauf und sprang an die Steuerbordreling. Ein Teil der Mannschaft folgte seinem Beispiel. Die Männer schrien durcheinander; mehrere kletterten in die Wanten, um einen besseren Überblick zu bekommen.

Dragoika kam aus der Kapitänskajüte im Achterdeck gestürmt, einen vierzackigen Fischspeer in der einen und eine kleine bemalte Trommel in der anderen Hand. Sie raste auf die Back, am offenen Ruderhaus vorbei und beugte sich über die Reling. Dann begann sie die Handtrommel zu bearbeiten. Offenbar war es das Zeichen für Feindalarm, denn Ferok brüllte Flandry ins Ohr: „Die vaz-Siravo!“ und stürzte zum Deckhaus. Schnell war die Disziplin wiederhergestellt. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Helme, Schilde und Waffen wurden ausgegeben.

Flandry starrte auf die bewegte See, ohne etwas zu sehen. Nach einer Weile machte er etwa zwanzig schwarzblaue Rückenflossen aus, die für jeweils einen Augenblick aus den Wellentälern auftauchten und offenbar auf das Schiff zuhielten. Und plötzlich erschien in etwa hundert Metern Abstand ein Unterseeboot an der Oberfläche.

Es war ein kleines, primitives Fahrzeug, vom Seevolk nach Angaben der Merseier selbst verfertigt. Der Rumpf schien aus gefettetem Leder zu bestehen, das über ein Rahmenwerk gespannt war. Vier große Fische, die Flandry nur als riesige Schatten unter der Meeresoberfläche sehen konnte, zogen das Unterseeboot an langen Seilen. Das Deck wurde von den Wellen überspült, aber mittschiffs entragte ihm ein furchteinflößendes Katapult. Mehrere delphinartige Körper umdrängten es und brachten die ungefüge Schleuder in Position.

„Dommaneek Falandaree!“ schrillte Dragoika. „Kannst du unser Geschütz bedienen?“

Flandry nickte und rannte zum Bug, wo sich zwei Frauen, deren Aufgabe es war, verzweifelt bemühten, das Geschütz gefechtsklar zu machen. Sie arbeiteten langsam, kamen sich gegenseitig in die Quere und fluchten. Man hatte sich noch nicht die Mühe gemacht, die Geschützbedienungen auszubilden, obwohl es eine einfache 38 mm-Kanone war. Die Einwohner Kursovikis neigten dazu, fremden Waffen zu mißtrauen und zogen ihre herkömmliche Kriegsausrüstung vor.

Flandry stieß eine der beiden zur Seite. Sie knurrte und schlug ihm die Faust ins Gesicht, daß er taumelte. Dragoikas Trommel wirbelte einen Befehl, und die beiden Frauen ließen ihn widerwillig gewähren.

Er öffnete den Verschluß, riß eine Granate aus der Munitionskiste und stopfte sie in den Lauf. Ein dumpfes Schwirren, gefolgt von einem vielstimmigen Aufschrei an Bord der „Archer“ zeigte ihm an, daß der Feind sein Katapult abgeschossen hatte. Die paketförmige Ladung beschrieb einen steilen Bogen, kam kurz vor der Bordwand herunter und zerplatzte auf dem Wasser. Flammen und Rauch bedeckten die See. Eine Feuerbombe. Flandry war zu aufgeregt, um Angst zu fühlen. Er spähte über Kimme und Korn und kurbelte dabei an den Handrädern, aber das Geschütz drehte sich nur langsam — zu langsam —, und die Vertikalbewegung des Rohrs wurde von einer Mikrometerschraube betätigt. Flandry fluchte, sah aber ein, daß ein hydraulisches System zu empfindlich gewesen wäre. Die Gegner spannten ihr Katapult von neuem. Sie arbeiteten schnell…

Dragoika gab der Frau am Steuerruder einen Befehl, und die „Archer“ drehte sich schwerfällig. Segel klatschten gegen die Masten, dann hatte die Mannschaft die Schoten festgelegt, und der Wind blähte wieder die gelbe Leinwand. Flandry bemühte sich, das Manöver zu kompensieren. Das feindliche Geschoß verfehlte die Deckaufbauten, aber es traf mittschiffs die Bordwand und hüllte die Steuerbordseite in Flammen und Rauch. Flandry zog die Reißleine, und sein Geschütz brüllte auf. Doch der Seegang machte genaues Zielen unmöglich, und eine Wasserfontäne markierte den Einschlag fünfzig Meter hinter dem Ziel. Er lud nach und feuerte noch einmal. Diesmal traf die Granate einen der Zugfische; das mächtige Tier sprang aus dem Wasser und fiel aufklatschend zurück. Die drei anderen drehten ihre hellen Bäuche nach oben und begannen zu treiben.

Der größte Teil der Mannschaft hatte die Waffen weggelegt und bekämpfte das Feuer. Es war nur eine Handpumpe an Bord, und so befestigte man in fliegender Hast Seile an den verfügbaren Eimern und warf sie über die Reling, um Wasser heraufzuholen.

Eine Stimme brüllte durch den Lärm aus Geschrei, Feuergeprassel, Wellenschlag und Wind. Der Feind kam über die Backbordreling.

Die Meeresbewohner mußten an den Netzen heraufgeklettert sein. Sie trugen Ausrüstungen der Merseier, die sie in die Lage versetzten, an Land zu gehen. Wassergefüllte Helme verbargen die stumpfen Köpfe, schwarze anliegende Anzüge bedeckten ihre walzenförmigen Körper. Auf den Rücken trugen sie Gestelle mit Sauerstoffflaschen, Batterien und Umwälzpumpen. In die Anzüge schienen Stützvorrichtungen eingebaut zu sein, denn sie konnten auf ihren zu Schwanzflossen entwickelten Beinen stehen und gehen. Sie watschelten wie betrunkene Riesen über das Deck, mit Speeren und Äxten und ein paar wasserdichten Maschinenpistolen bewaffnet. Zehn von ihnen hatten die Reling bereits überklettert.

Eine Gewehrkugel sang durch die Luft. Eine Maschinenpistole eröffnete ratternd das Feuer. Mehrere Getigerte brachen zusammen. Flandry sah, daß ihr Blut rot war. Dragoika schleuderte ihren Vierzack vom Achterdeck, und einer der Schützen fiel, die Waffe in der Brust. Er versuchte den Schaft zu fassen und sich den Speer aus dem Fleisch zu ziehen. Gewehre krachten, Maschinenpistolen ratterten ihre Feuerstöße, dann kam es zum Nahkampf, Schwert gegen Axt, Pike gegen Spieß, ein einziges Scharren, Grunzen, Schreien. Die Feuerlöscher rannten zu ihren Waffen. Dragoika trommelte sie zurück. Flandry stand hilflos bei seiner Kanone; er war unbewaffnet, konnte nichts tun. Aber er sah, daß hinter dem scheinbar chaotischen Getümmel ein Plan war. Die Meeresbewohner versuchten an den Feuerlöschtrupp heranzukommen und ihn niederzumachen, damit das Schiff brennen konnte. Die bewaffneten Verteidiger suchten sie daran zu hindern.

Die verirrte Kugel eines im Achteraufbau versteckten Gewehrschützen fuhr unmittelbar vor Flandry splitternd in die Decksplanken. Mit einem erschrockenen Satz brachte er sich hinter das Geschütz in Sicherheit. Was sollte er tun? Er wollte, durfte nicht sterben. Er war Dominic Flandry, der noch ein Leben vor sich hatte. Zwar waren die Eindringlinge in der Minderzahl, aber wenn sie so weitermachten, geriet das Feuer außer Kontrolle, und dann wäre es um ihn geschehen.

Er sprang los und rannte über das Deck zum Achterschiff. Ein axtbewehrter Seetroll schlug nach ihm, aber er konnte ausweichen und lief weiter.

Die Tür zur Kapitänskajüte unter dem Achteraufbau stand offen, und er stürzte hinein. Sonnenlicht fiel schräg durch die ovalen Bullaugen und wanderte mit dem Rollen und Stampfen des Schiffes über die barbarische Inneneinrichtung. Flandry sah gewebte Tapeten, einen primitiven Sextanten, auf Pergament gezeichnete Seekarten und Navigationstabellen, bevor sein Blick auf Dragoikas Schwert fiel, das sie in der Eile zurückgelassen hatte. Er raffte es an sich, riß die Klinge aus der Scheide und stürzte sich auf den erstbesten Schützen. Der Seetroll lag mit seiner Maschinenpistole hinter einer Taurolle; er hörte Flandrys Schritte und drehte unbeholfen den Kopf. Flandry schlug zu. Die Klinge glitt vom Helm ab, doch sie traf die Maschinenpistole und schlug sie dem Wesen aus der Hand. Er rannte weiter und hieb einem anderen Eindringling das Schwert in den dicken Nacken. Seine Kampfgefährten, durch den unerwarteten Angriff in ihrem Rücken verwirrt, gerieten in Panik. Drei oder vier sprangen über Bord, die anderen wurden überwältigt. Der Kampf war vorbei, und nach einer weiteren Viertelstunde harter Arbeit hatten sie auch das Feuer gelöscht.

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