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Zwei Tage später verließ Abrams die Botschaft wieder mit der Maschine. Am Rand des Ozeans schwelte ein Rest Abendrot. Die Dämmerung verhängte Ardaigs Straßen mit ihren Schleiern. Der Luftverkehr war stark und der Robotpilot mußte ständig signalisieren, um seine Flugbahn freizuhalten. Ein dichtes Netz aus Positionsmeldungen und anderen ausgetauschten Daten verband unsichtbar alle Maschinen untereinander und mit den Bodenstationen.

„Erster Beobachter an Nachrichtendienst, Abteilung dreizehn.“ Eine Reihe von Kodeworte folgte. „Bitte melden.“

Einige Kilometer entfernt fuhr ein dösender Merseier an seinem Schreibtisch auf. Er gehörte zu den wenigen, die von Dwyr wußten. Bisher hatten sie noch nichts Interessantes erfahren, aber das war gut. Es bewies, daß der Agent der Terraner, über dessen Gefährlichkeit man sie unterrichtet hatte, erfolglos geblieben war. „Abteilung dreizehn an B 1. Dhech am Apparat. Bitte melden.“

„Abrams hat die Botschaft allein verlassen und ist unterwegs zu Fodaich Qwyns Haus.“

„Richtig“, sagte Dhech. „Wir wissen bereits, daß er heute abend dort eingeladen ist.“

„Ich könnte die Maschine verlassen und die Gespräche abhören“, erbot sich Dwyr.

„Nicht notwendig. Qwyn wird uns selbst Meldung machen. Wenn Abrams hofft, nützliche Informationen zu erhalten, wird er enttäuscht werden. Aber möglicherweise ist sein Interesse nur akademischer Natur. Er scheint alle Pläne, Spionage zu treiben, aufgegeben zu haben.“

„Unter meiner Beobachtung hat er jedenfalls nichts Verdächtiges unternommen.“ Ein Krachen im Empfänger machte seine letzten Worte fast unhörbar. Dhech erschrak. „Was ist das?“

„Der Sender scheint defekt zu sein“, antwortete Dwyr, der die Störung selbst hervorgerufen hatte. „Müßte bald überprüft werden, sonst verlieren wir die Verbindung.“

„Wir schicken morgen oder übermorgen einen Techniker. Gute Jagd.“

„Gute Jagd.“ Dwyr unterbrach die Verbindung, dann schaltete er die Gegensprechanlage an Bord ein. „Ich habe mit Abteilung Dreizehn gesprochen“, sagte er. „Sie sind ahnungslos. Ich habe den Eindruck erweckt, daß mein Sender defekt sei, falls sie mich aus irgendeinem Grund während meiner Abwesenheit sprechen wollen.“

„Sehr gut.“ Abrams sprach ruhig, aber er tat einen letzten nervösen Zug aus seiner Zigarre und drückte sie mit unnötiger Heftigkeit aus. „Ich werde mehrere Stunden hierbleiben. Das gibt Ihnen genug Zeit, Ihre Arbeit zu tun und wieder an Bord zu gehen. Aber wenn etwas schiefgeht, kommt es allein auf die Information an. Im Notfall suchen Sie Fähnrich Flandry auf und geben sie ihm. Er wird in Graf Hauksbergs Suite oder in seinem Zimmer sein; Sie haben den Plan der Botschaft. Sorgen Sie dafür, daß das Bordtelefon mit dem Robotpiloten verbunden ist, damit Sie oder er die Maschine jederzeit zurückholen können. Er kennt Sie nicht, aber ich habe ihm gesagt, daß er demjenigen vertrauen soll, der ihm das Kennwort nennt. Haben Sie es behalten?“

„Ja, natürlich. Meschugge. Was bedeutet es?“

„Ist egal.“ Abrams grinste. „Ich kann Sie nicht sehen, Dwyr, und ich kann Ihnen nicht die Hand drücken, aber ich täte es gern. Und eines Tages werde ich hoffentlich Gelegenheit dazu haben.“ Die Maschine setzte auf. „Viel Glück.“

Dwyrs elektronischer Blick folgte der gedrungenen Gestalt über den Landestreifen und durch den Garten. Zwei Bedienstete empfingen Abrams und führten ihn zum Haus. Kurz darauf verschwanden sie hinter der Baumkulisse. Niemand sonst war in Sicht. Die Maschine stand verlassen.

Fangen wir an, dachte Dwyr. Seine Entscheidung war frei von Empfindungen. Früher hätte er Angst gehabt, Herzklopfen und feuchte Hände, hätte an seine Frau und die geliebten Kinder und an das Haus auf Tanis gedacht. Aber diese Dinge hatten mit seinem Körper Abschied von ihm genommen. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie diese Gefühle waren. Die einzige Emotion, die ihn nie verlassen hatte und die wie eine schwärende Wunde in ihm brannte, war der Wunsch, wieder alle Gefühle zu erleben.

Ein paar hatte er. Gute Arbeit war ein ästhetisches Vergnügen. Haß und Zorn waren ihm nicht unbekannt, aber kalt, auf eine rationale Ebene reduziert. Er fragte sich, ob sie nicht bloße Gewohnheiten seien, die sein Gehirn aus dem früheren Leben beibehalten hatte.

Er bewegte sich in dem winzigen Raum, wo er lag. Sein lebender Arm trennte seine maschinellen Glieder vom Flugzeug, Stromkreis auf Stromkreis. Er öffnete eine Schiebetür und glitt hinaus. Die Systeme, die ihn funktionsfähig erhielten, waren auf einen kleinen Kraftschlitten montiert. Seine erste Aufgabe mußte sein, ihn gegen einen vielseitigeren Körper auszutauschen.

Er verließ die Maschine und glitt dicht über dem Boden in die Schatten der Büsche. Hier draußen, außerhalb der Stadt, waren die Sterne deutlicher zu sehen. Er machte die Sonne von Tanis aus, wo Merseier zwischen Bergen und Wäldern wohnten, wo seine Frau Sivilla noch immer mit ihren Kindern lebte. Sie hielt ihn für tot, aber man hatte ihm berichtet, daß sie nicht wieder geheiratet habe und daß die Kinder gut heranwüchsen.

War auch das eine Lüge?

Das Problem, ungesehen in die Stadt zu gelangen, kostete ihn nur einen Bruchteil seiner Aufmerksamkeit. Seine künstlichen Sinne waren für solche Aufgaben gemacht, und mit ihnen hatte er zehn Jahre lang gearbeitet. Der größte Teil seines Bewußtseins hing Erinnerungen nach. Er dachte an den Tag auf Starkad, wo für ihn eine Welt zusammengebrochen war. „Was?“ hatte Abrams gebrüllt. „Man konnte Sie nicht regenerieren? Ausgeschlossen!“

„Aber die Strahlungsschäden der Zellen…“

„Wären sie so schwer gewesen, würden Sie nicht mehr leben. Die Gene steuern den Körper das ganze Leben lang nach einem festliegenden Schema. Und der Regenerationsprozeß verwendet die Chromosomen als biochemische Steuerung für den Gewebeaufbau. Nein, sie sahen eine Chance, ein einzigartiges Werkzeug aus Ihnen zu machen und logen.“

„Sie können mich wiederherstellen?“ hatte Dwyr geschrien.

„Unsere Chemochirurgen können es. Aber langsam. Ich könnte veranlassen, daß Sie behandelt werden, und ich würde es auch tun, schon aus ethischen Gründen. Aber Sie wären von Ihrer Familie abgeschnitten. Wir müßten sie auch herausschmuggeln und Sie mit Ihren Angehörigen auf einem Planeten des Imperiums ansiedeln. Dazu fehlt mir die Autorität, und ich könnte es nur erreichen, wenn Sie es verdient haben. Sie könnten sich verdient machen, indem Sie als Doppelagent arbeiten.“

„Dann bin ich also auch für Sie nichts als ein Werkzeug.“

„Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte nur, daß die Zusammenführung Ihrer Familie nicht billig kommen wird. Für die Mannschaft, die Ihre Angehörigen holen wird, sind die Risiken nicht gering. Sie müssen sich erst einen Anspruch darauf erwerben. Wollen Sie das?“

Und ob er es wollte!

Wie er über die Stadt hinschoß, war Dwyr nicht verdächtiger als ein Nachtvogel. Mühelos erreichte er sein Ziel, die oberste Etage einer Kontrollstation, wo nur Computer und lochbandgesteuerte Fernschreiber standen. Er glitt in einen nur ihm zugänglichen Raum, in dem seine Körper und Prothesen verwahrt wurden. Sonst gab es nichts; eine amputierte Persönlichkeit schleppte nicht die kleinen Schätze eines Sterblichen mit sich durch das Leben.

Er hatte seine Wahl bereits getroffen. Nachdem er sich vom Kraftschlitten gelöst hatte, schob er sich an den zweibeinigen Körper heran, der ausgestreckt wie ein metallener Leichnam am Boden lag. Minutenlang war er ohne andere Sinne als Gehör und Gesicht. Der schwache Tastsinn seiner rechten Hand half ihm beim Schließen der Kontakte. Ein stechender Schmerz fuhr durch die Reste seines Körpergewebes. Er war froh, als er die neuen Verbindungen hergestellt hatte. Er stand auf, ging herum und wählte die Werkzeuge aus, die er brauchen würde: Spezialschlüssel und — sensoren, ein Traggestell mit der Flugapparatur, eine Strahlpistole. Wie schwach und unbeholfen er war! Metall und Plastik waren kein guter Ersatz für Zellen, Nerven, Muskeln und das einzigartige Gerüst aus Knochen. Aber heute abend brauchte er eine unspezialisierte Form. Zuletzt kam die Verkleidung, dann war er fertig. Unbemerkt verließ er seinen Raum und flog davon, dem Gebäude der Admiralität entgegen. Als er sich der Sperrzone näherte, schaltete er sein Funksprechgerät ein und meldete sich bei der Kontrollzentrale. „Absolute Geheimhaltung, bitte“, fügte er hinzu. „Ich handle im Auftrag des Sicherheitsdienstes.“

Er landete. Ein Offizier hatte sich zu den beiden Wachtposten gesellt. „Was haben Sie in dieser Etage zu tun?“ fragte er mißtrauisch. „Brechdan Ironrede ist nicht in Ardaig.“

„Ich weiß“, sagte Dwyr. „Ich unterstehe seinem persönlichen Befehl und habe drinnen etwas für ihn zu erledigen. Mehr darf ich Ihnen nicht sagen. Sie und Ihre Wachen werden mich hinein- und in einer Weile wieder herauslassen und vergessen, daß ich hier gewesen bin. Unter keinen Umständen dürfen Außenstehende davon erfahren. Die Angelegenheit ist versiegelt.“

„Unter welchem Kennwort?“

Dwyr sagte das Wort, das Brechdan ihm gegeben hatte. „Dreistern.“

Der Offizier salutierte. „Sie können passieren.“

Dwyr ging den Korridor entlang. Als er an der Vorzimmertür war, sah er sich um. Er war allein. Die Tür machte ihm keine Schwierigkeiten. Er betrat den dunklen Vorraum, von dem drei Türen ausgingen, gesicherte Türen. Er war noch nie hier gewesen, aber der Grundriß der Etage war kein Geheimnis, und er kannte die Lage der Räume.

Mit äußerster Vorsicht näherte er sich der richtigen Tür, jeden Sensor voll verstärkt. Die elektronischen Prüfgeräte mußten feststellen, daß er nicht zum Eintritt berechtigt war, und einen Alarm auslösen. Nein. Nichts. Er befühlte die Tür mit seinem mechanischen Arm. Sie reagierte. Er fühlte die Induktionsströme der Signale und ließ behutsam eigene Impulse einfließen, die als die richtigen Augen- und Handmuster interpretiert würden. Langsam, mit mikrometrischer Genauigkeit, wuchs er in die Anlage hinein, fühlte mit ihr und rief die Reaktionen hervor, die er wollte… da!

Die Tür schwang geräuschlos auf. Er ging hinein, und sie schloß sich hinter ihm. Er stand in einem dunklen Raum. Ein paar Leuchtskalen und bunte Knöpfe an der gegenüberliegenden Wand zeigten ihm, daß die Datenspeicher betriebsbereit waren. Er brauchte nicht lange, um den Bedienungsmechanismus zu verstehen. Er machte eine Probe. Ein Bildschirm leuchtete auf.

Maxwell Crawford, las Dwyr, dann überflog er den folgenden Text. Ha, der kaiserliche Gouverneur der Region Arachnea stand im Dienst Merseias! Ein Schläfer, der in Reserve gehalten wurde.

Starkad! Auf dem Bildschirm leuchtete eine Zahlenreihe auf. 0.17847, 3°; 14' 22''.591, 1818 h.3264… Dwyr prägte sie sich automatisch ein, während er vor Schreck erstarrte. Etwas war in der Anlage geschehen. Ein Impuls, ein Stromstoß war ausgelöst worden. Seine Sensoren hatten ihn erfühlt, schwach und kurz wie das Springen eines Uhrzeigers. Vielleicht war es nichts. Trotzdem würde es besser sein, er machte sich schnell aus dem Staub.

Der Bildschirm erlosch. Dwyrs Finger arbeiteten mit fieberhafter Schnelligkeit. Wieder leuchtete die Zahlenreihe auf. Kein Zweifel, sie war das ganze Geheimnis. Sie enthielt Starkads Schicksal. Er wußte jedoch nicht, was die Zahlen bedeuteten.

Nun, sollte Abrams das Rätsel lösen. Dwyrs Arbeit war getan. Er ging zur Tür. Sie öffnete sich, und er betrat den Vorraum. Die Beleuchtung war eingeschaltet, Türen standen offen. Ein Wächter wartete mit der Strahlpistole im Anschlag. Zwei weitere kamen gerannt.

„Was ist los?“ schnarrte Dwyr. Für Angst oder Bestürzung war kein Raum in ihm.

Schweißperlen standen dem Wächter auf der Stirn. „Sie waren in seinem Geheimkabinett!“ flüsterte er.

So furchtbar mußte das Geheimnis dieser Zahlenreihe sein, daß sie im Datenspeicher durch eine Extrasperre gesichert war. Wurden die Zahlen angefordert, rief sie um Hilfe.

„Ich bin autorisiert“, erklärte Dwyr barsch. „Wie hätte ich sonst hineinkommen sollen?“ Er hob seine Stimme. „Die Angelegenheit unterliegt der Geheimhaltung. Der wachhabende Offizier ist im Bilde. Er kann Ihnen die Bedeutung erklären. Jetzt lassen Sie mich durch.“

„Nein.“ Die Strahlpistole in der Hand zitterte stark.

„Wollen Sie wegen Insubordination belangt werden?“

„Ich-ich muß das Risiko auf mich nehmen, Herr. Wir alle müssen es. Sie sind unter Arrest, bis Brechdan Ironrede Ihre Freilassung verfügt.“

Dwyr warf sich zur Seite und feuerte. Der Wächter brach zusammen, ein versengter Klumpen. Aber er hatte zuerst geschossen. Dwyrs lebender Arm war von seinem Körper abgetrennt.

Er verspürte keinen Schock. So lebendig war er nicht. Aber der Schmerz war da, und er taumelte einen Moment wie trunken. Dann reagierten die Homöostaten in seinen Prothesen. Chemische Stimulantia wurden in seine Adern gespritzt. Elektronische Impulse flossen in die Nervenströme ein, unterdrückten den Schmerz und stoppten die Blutung. Dwyr raste davon.

Die anderen ließen nicht locker, feuerten hinter ihm her und schrien durcheinander. Er fühlte, daß er getroffen wurde, sah im Rennen an sich herunter und bemerkte ein Loch, das seinen Körper vom Rücken zur Brust durchbohrte.

Dann stürzte er auf die Landefläche hinaus. Ein neuer Feuerstrahl traf sein linkes Bein, lähmte es. Er fiel. Die Verfolger kamen näher, und auch die Wachen auf dem Landeplatz schwärmten aus. Er schaltete seinen Flugapparat an. Hinaus… über die Kante… hinunter in die Nacht!

Und die Schatten hüllten ihn ein. Seine Maschinerie mußte in lebenswichtigen Teilen getroffen sein. Es wäre gut zu sterben. Nein, noch nicht. Er mußte noch eine Weile aushalten, irgendwie zur Botschaft der Terraner gelangen. Abrams war zu weit, und man würde ihn auf jeden Fall gefangennehmen. Zur Botschaft… nicht schlappmachen, dröhnte es in seinem Kopf. Nicht ohnmächtig werden… du mußt diesen Flandry finden… vielleicht kann er dich retten… Wenn nicht, wirst du dich wenigstens gerächt haben… Dunkelheit und stürzende Wasser…

Dwyr flog über die nächtliche Stadt.

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