6 Damals war ich die strafende Hand Gottes

Lord John Roxton und ich gingen die Vigo Street hinunter und dann durch das düstere Portal des berühmten aristokratischen Wohnblocks Albany. Am Ende eines langen, schlecht beleuchteten Korridors stieß meine neue Bekanntschaft eine Tür auf und drehte einen Lichtschalter um. Eine Reihe von Lampen mit farbigen Schirmen verlieh dem Raum vor uns rötliches Licht. Eine Atmosphäre außergewöhnlicher Eleganz und betonter Männlichkeit schlug mir entgegen. Eine Mischung aus Luxus, Wohlstand, Geschmack und der für einen Junggesellen typischen Unordnung. Dicke Teppiche und Brücken aus arabischen Ländern, Gemälde und Stiche, deren Wert sicher unschätzbar war, Trophäen, die von Lord Roxtons Siegen als Sportsmann und Athlet zeugten, und eine ganze Reihe ausgestopfter Tierköpfe aus allen Teilen der Welt, darunter der Kopf eines weißen Nashorns aus der Lado Enklave mit hochmütig herunterhängender Unterlippe.

In der Mitte des Raumes ein schwarzgoldenes Louis-Quinze-Tischchen, eine prachtvolle Antiquität, die durch Glasränder und Brandflecken durch abgelegte Zigarren böse zerschunden war. Darauf ein silbernes Tablett mit Rauchwaren und Spirituosen. Mein Gastgeber goß in zwei hohe Gläser eine ordentliche Ladung Whisky, die er jeweils mit einem Spritzer Sodawasser aus einem Syphon verdünnte. Er bot mir in einem Sessel Platz an, stellte ein Glas neben mich und setzte sich schließlich, um mich mit unverhohlenem Blick zu mustern. Seine Augen hatten etwas Rücksichtsloses, fast Unverschämtes an sich und waren von der Farbe eines Gletschersees.

Ich zündete die Zigarre an, die er mir angeboten hatte, und betrachtete durch den blauen Dunst das Gesicht, das ich schon oft auf Fotos gesehen hatte. Eine stark gebogene Nase, ausgemergelte Backen, flachsblonde Haare, ein etwas stacheliger Schnurrbart, ein Grübchen an dem energisch vorgereckten Kinn. Lord Roxton war eine Mischung aus Napoleon, Don Quichotte und Landedelmann, der mit Pferden und Hunden umzugehen weiß. Sonne und Wind hatten seine Haut gegerbt, seine Brauen waren buschig und etwas überhängend, was seinen an sich schon kalten Augen etwas Wildes verlieh. Von der Statur her war er übermäßig schlank, aber kräftig gebaut. Kaum einer, das war bekannt, konnte sich mit ihm an Ausdauer und Zähigkeit messen. Er war gut einsachtzig groß, wirkte jedoch wegen der runden Schultern kleiner. Das war also der berühmte Lord Roxton, der mir nun gegenübersaß, auf seiner Zigarre herumkaute und mich schweigend musterte.

»So«, sagte er schließlich. »Darauf haben wir uns jetzt eingelassen, Sie und ich. Ich nehme an, daß Sie nicht damit gerechnet haben, ich meine, als Sie da hingegangen sind.«

»Allerdings nicht.«

»Dasselbe gilt für mich. An so etwas hätte ich im Leben nicht gedacht. Und siehe da - plötzlich steckt man mitten drin. Ich bin erst vor drei Wochen aus Uganda zurückgekommen, habe mir in Schottland etwas angeschaffi und alle Formalitäten erledigt. Schöne Geschichte, was? Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, sich dafür zu melden?«

»Bei mir ist das reines Berufsinteresse«, sagte ich. »Ich bin Journalist bei der Gazette.«

»Natürlich - das haben Sie ja gesagt. Übrigens, ich wollte Sie um einen kleinen Gefallen bitten. Ich brauche Ihre Hilfe.«

»Gern.«

»Macht es Ihnen auch nichts aus, wenn es mit einem Risiko verbunden ist?«

»Was für ein Risiko?«

»Das Risiko heißt Ballinger. Er ist Ihnen doch ein Begriff, oder?«

»Nein.«

»Aber, aber, junger Mann, wo leben Sie denn? Sir John Ballinger ist der beste Herrenreiter von ganz Nordengland. Auf ebener Straße nehme ich es leicht mit ihm auf, aber im Hindernisrennen ist er mir glatt überlegen. Jeder weiß, daß er säuft wie ein Loch, wenn er nicht im Training ist. Er nennt es Ausgleichssport. Seit Dienstag ist er im Delirium und tobt, daß die Wände wackeln. Er wohnt genau über mir. Die Ärzte sagen, daß er auf der Strecke bleibt, wenn ihm nicht jemand was zu Essen reinzwängt. Das ist nun insofern ein Problem, als er im Bett liegt und einen Revolver unter dem Kop&issen hat. Wenn sich ihm jemand nähert, hat er gedroht, ballert er ihm die volle Ladung in den Wanst. Daß darauftin das Personal in Streik getreten ist, kann man verstehen.

Wenn mein Freund John schießt, dann triffi er, das können Sie mir glauben. Er ist ein sturer Hund, das gebe ich zu, aber man kann ihn doch nicht einfach krepieren lassen. Noch dazu, wo er der langjährige Sieger des Grand National ist.«

»Und was wollen Sie jetzt unternehmen?« fragte ich.

»Ich hatte mir gedacht, daß Sie und ich, daß wir ihn zusammen überrumpeln könnten. Vielleicht döst er gerade, und dann kriegt schlimmstenfalls einer von uns beiden einen auf den Pelz gebrannt, und der andere nimmt ihm dann den Revolver ab. Anschließend binden wir ihm die Arme auf den Rücken, lassen einen Schlauch kommen und verpassen ihm eine richtig dicke, fette Suppe.«

Als ob mein Tag nicht schon vollgepackt genug gewesen wäre! Jetzt auch noch diese verfahrene Angelegenheit. Ich bin kein sonderlich tapferer Mensch. Meine irische Phantasie trägt maßgeblich dazu bei, daß mir unbekannte und unversuchte Dinge meist schlimmer vorkommen, als sie es in Wirklichkeit sind. Andererseits hat man mir Abscheu vor der Feigheit anerzogen, und ich lebe in der ständigen Angst, für feige angesehen zu werden. Würde an meinem Mut gezweifelt, so wäre ich glatt in der Lage, mich wie jener Hunne, von dem in allen Geschichtsbüchern die Rede ist, in einen Abgrund zu stürzen, aber nicht etwa aus Mut, sondern aus Stolz und Angst. Beim Gedanken an das Schnapsfaß einen Stock höher sträubte sich in mir zwar alles, aber ich erklärte mich möglichst gleichgültig zu dem Unternehmen bereit. Als mich Lord Roxton noch einmal auf dessen Gefahr hinweisen wollte, wehrte ich verärgert ab.

»Vom Reden wird es nicht besser«, sagte ich. »Los, bringen wir die Sache hinter uns.«

Ich stand von meinem Sessel auf und er von seinem. Er lachte vertraulich, boxte mich ein paarmal gegen die Brust und stieß mich schließlich in den Sessel zurück. »In Ordnung, junger Mann«, sagte er. »Sie sind aus dem richtigen Holz geschnitzt.«

Jetzt begriff ich überhaupt nichts mehr.

»Ich habe mich heute morgen schon selber um Ballinger gekümmert«, erklärte der Lord. »Zum Glück war seine Hand so zittrig, daß er mir bloß ein Loch in meinen Morgenmantel geschossen hat. Einen Moment später war er gefesselt und zwei Minuten später gefüttert. In einer Woche ist er wieder auf dem Damm. Ich hoffe, Sie nehmen mir den Trick nicht übel, junger Mann. Unter uns gesagt halte ich diese Südamerikareise nämlich für sehr gefährlich und will wissen, ob ich jemanden dabei habe, auf den Verlaß ist. Das ist der Grund, warum ich Ihnen auf den Zahn gefühlt habe. Gratuliere, junger Mann, Sie haben gut dabei abgeschnitten. So wie ich die Dinge sehe, werden wir völlig auf uns selbst angewiesen sein, denn der alte Summerlee braucht unter Garantie von Anfang an ein Kindermädchen. Übrigens, sind Sie zufällig der Malone, der für die Iren als Mittelstürmer spielt?«

»Ja.«

»Dachte ich es mir doch! Ihr Gesicht ist mir nämlich gleich bekannt vorgekommen. Ich habe das Spiel gegen Richmond gesehen - toll, einfach toll! Sie haben Gold in den Waden, Mann! Von den guten Fußballspielen lasse ich keines aus, und das gegen Richmond war das beste seit Jahren. Aber ich habe Sie nicht zu mir gebeten, um über Fußball zu reden. Wir müssen uns über die Vorbereitungen zu unserem Ausflug absprechen. Hier habe ich ein Verzeichnis der Schiffsverbindungen. Macht sich immer bezahlt, so etwas im Haus zu haben. Am übernächsten Mittwoch läuft ein Dampfer nach Para aus. Wenn Sie und der Professor es bis dahin schaffen, sollten wir unsere Passagen buchen.«

»Einverstanden.«

»Gut. Mit dem Professor spreche ich dann noch. Und wie steht es mit Ihrer Ausrüstung?«

»Darum kümmert sich meine Zeitung.«

»Können Sie schießen?«

»Nicht besser und nicht schlechter als jeder, der seinen Militärdienst gemacht hat.«

»Großer Gott - so schlecht? Daß ihr jungen Typen kein Interesse daran habt, das Wichtigste zu lernen! Wie wollt ihr euch denn wehren, wenn es einmal wirklich darauf ankommt? In Südamerika müssen Sie mit einem Gewehr umgehen können, junger Mann. Wenn dieser Professor Challenger nicht spinnt oder ein gemeiner Lügner ist, können wir uns auf etwas gefaßt machen. Was haben Sie denn für ein Gewehr?«

Ohne auf meine Antwort zu warten, ging er zu einem Eichenschrank, machte ihn auf und deutete auf eine Reihe von blanken Gewehrläufen, die wie Orgelpfeifen nebeneinander in Halterungen klemmten.

»Mal sehen, ob in meinem Arsenal etwas Passendes für Sie ist.«

Nacheinander nahm er eine Anzahl prachtvoller Gewehre aus dem Schrank, knickte den Lauf ab, brachte ihn mit einem metallischen Klicken in die ursprüngliche Lage und steckte das Gewehr wieder in seine Halterung.

»Das ist eine Bland 577 mit Speziallauf«, sagte er. »Damit habe ich den Burschen da erlegt.« Er deutete auf den Kopf des weißen Nashorns. »Um Haaresbreite hätte es mich erwischt, und dann würde ich jetzt in seiner Trophäensammlung hängen. >An diesem spitzigen Geschoß hängt seine einzige Chance<, hat Gordon einmal gesagt. >Es ist der gebührende Vorteil des Schwachen.< Gordon kennen Sie doch hoffentlich, oder? Er ist der Dichter, der eine geschickte Hand mit Waffen und mit Pferden hat. So - hier hätten wir eine brauchbare Büchse mit Zielfernrohr und Doppelauswerfer. Schießt auf dreihundertfünfzig Meter einer Fliege das Auge aus. Mit ihr habe ich vor drei Jahren in Peru die Sklaventreiber verjagt. Damals war ich die strafende Hand Gottes, das können Sie mir ruhig glauben, junger Mann. Es gibt nämlich Zeiten, wo jeder die Menschenrechte verteidigen muß, auch wenn es dabei Blutvergießen gibt.

Wenn ich nicht diesen kleinen Privatkrieg angezettelt hätte, ich müßte mich mein Leben lang schämen. Ich habe ihn selber erklärt, selber ausgefochten und selber wieder beendet. Jede von diesen Kerben steht für einen Sklavenmörder. Eine ganz hübsche Strecke, was? Ich erwischte sie alle. Die dicke da ist für Pedro Lopez, ihren Anführer. Ihm habe ich am Ufer eines Nebenflusses des Putomayo das Handwerk gelegt ... So, und hier haben wir genau das Richtige für Sie.« Er hob ein Prachtexemplar von einem Gewehr aus dem Schrank. »Kolben schön der Schulter angepaßt, genaues Visier und fünf Schuß Munition. Dem Schießeisen können Sie Ihr Leben anvertrauen.«

Er gab es mir und machte seinen Gewehrschrank zu.

»Übrigens«, sagte er, als er sich wieder setzte, »was wissen Sie eigentlich über diesen Challenger?«

»Ich habe ihn heute zum erstenmal gesehen.«

»Ich auch. Es ist schon komisch, daß wir für einen Mann in den Dschungel gehen, den wir gar nicht kennen. Ein halsstarriger alter Vogel ist das und bei seinen Kollegen offensichtlich nicht allzu beliebt. Wie kam es denn überhaupt dazu, daß Sie sich für die Sache interessierten?«

Ich erzählte ihm kurz von den Begebenheiten des Vormittags, und er hörte mir aufmerksam zu. Dann holte er eine Karte von Südamerika aus seiner Schublade und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Ich glaube, daß jedes einzelne Wort stimmt, was er sagt«, erklärte er mit ernstem Gesicht. »Ich liebe Südamerika. Einen großartigeren und reicheren Kontinent gibt es auf diesem Planeten nicht. Ich habe ihn von Norden bis Süden bereist und habe während meines Kampfes gegen die Sklavenhändler klimatische Verhältnisse am eigenen Leibe erfahren, die man sich hierzulande nicht vorstellen kann.

Ich bin natürlich auch mit Indianerstämmen in Berührung gekommen und habe ihre Legenden und Gerüchte gehört. So unwahrscheinlich es klingen mag, was sie einem alles erzählen, es steckt immer ein Körnchen Wahrheit hinter den Dingen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Je besser man dieses Land kennt, desto mehr begreift man, daß dort alles möglich ist. Wirklich alles. Den Menschen stehen bloß ein paar schmale Flußläufe zur Verfügung, wenn sie sich von einem Ort zum anderen begeben wollen, alles andere ist undurchdringlicher Urwald. Und hier im Mato Grosso .« - er fuhr mit seiner Zigarre über einen Teil der Karte - »oder hier oben, wo die Länder zusammenstoßen, würde mich nichts überraschen. Wie dieser Professor heute abend schon sagte, gibt es hier fünfzigtausend Meilen Wasserwege durch einen Urwald von einer Ausdehnung größer als Europa. Die wenigen Pfade mit Lichtungen, die der Mensch in den Dschungel geschlagen hat, kann man vergessen. Hinzu kommt, daß die Flüsse oft Hochwasser bis zu fünfzehn Metern führen und das Land zu beiden Ufern tiefer Morast ist, durch den es kein Durchkommen gibt. Warum sollte es in einem solchen Gebiet nicht etwas Neues, Unvortellbares geben? Und warum sollten wir nicht die Männer sein, die es entdecken? Außerdem ...« - die Augen in dem hageren Gesicht leuchteten vor Freude - »muß man sich dort jede Meile hart erkämpfen. Ich bin wie ein alter Golfoall - die weiße Farbe hat sich längst abgestoßen. Das Leben kann mich meinetwegen beuteln, das macht mir nichts mehr aus. Etwas zu riskieren, das hält jung. Dann lohnt sich das Leben wenigstens. Wir tendieren nämlich alle dazu, es uns zu bequem zu machen und zu verweichlichen. Ich verlange nichts als große, weite Gebiete, eine Waffe in der Faust und Jagd auf etwas, was die Beute wert ist. Krieg, Hetzjagd, Pferderennen, sogar Fliegen - alles habe ich hinter mir. Diese Reise in das Unbekannte, wo Tiere hausen sollen, die einem nicht einmal in einem Alptraum erscheinen, das, junger Mann, reizt mich.«

Vielleicht habe ich zu langatmig von Lord Roxton erzählt, aber ich werde ja nun für geraume Zeit mit ihm zusammen sein, und das hat mich dazu veranlaßt, ihn so zu schildern, wie ich ihn an jenem Abend sah. Allein der Zwang, meinen Bericht über die Vorlesung im Zoologischen Institut vor Mitternacht abgeben zu müssen, veranlaßte mich schließlich, aufzubrechen.

Als ich Lord Roxton verließ, saß er in dem rötlichen Licht seines Zimmers, ölte das Schloß seines Lieblingsgewehrs und lächelte in sich hinein. Er war in Gedanken bei den Abenteuern, die uns erwarteten, und mir war klar, daß ich mir für die bevorstehenden Strapazen keinen kühleren Kopf und keinen mutigeren Mann hätte wünschen können.

Müde, wie ich war, saß ich nach den wundersamen Ereignissen des Tages noch lange bei McArdle, dem Nachrichtenredakteur, und erklärte ihm den gegenwärtigen Stand der Dinge, die er für wichtig genug erachtete, um am Tag darauf Sir George Beaumont, den Chef, darüber zu unterrichten. Wir kamen überein, daß ich nach-einander ausführliche Berichte über die Ereignisse und den Fortgang der Expedition in Briefform nach Hause schicken würde und diese veröffentlicht werden sollten, wenn Professor Challenger uns sein Einverständnis erteilt hatte. Bisher wußten wir ja noch nicht einmal, in welchen Teil des Landes wir verschlagen werden und welche Bedingungen sich an die Bekanntgabe der geografischen Lage knüpfen würden. Eine diesbezügliche telefonische Anfrage brachte uns lediglich eine wütende Schmährede über die Presse im allgemeinen und die Gazette im besonderen ein. Wir bekamen allerdings mitgeteilt, daß wir die nötigen Informationen bei Abreise ausgehändigt bekämen - falls wir die Höflichkeit besäßen, Tag und Stunde bekanntzugeben. Bei einem zweiten Anruf bekamen wir nur die jammernde Mrs. Challenger an den Apparat. Sie flehte uns an, ihren schlecht gelaunten Mann doch um alles in der Welt in Ruhe zu lassen, sie müsse schließlich seine Wutanfälle über sich ergehen lassen. Ein dritter Versuch begann und endete gleichzeitig mit einem fürchterlichen Geräusch und der Mitteilung des Fernmeldeamts, daß Professor Challengers Anschluß außer Betrieb sei. Danach unternahmen wir keine weiteren Versuche, mit ihm in Verbindung zu treten.

Und nun, geduldiger Leser, kann ich mich nicht mehr direkt an Sie wenden. Von jetzt an wird dies nur noch - wenn überhaupt - durch die Zeitung geschehen, die ich vertrete. Den Bericht über die Ereignisse, die zu einer der bemerkenswertesten Expeditionen aller Zeiten führten, übergebe ich meinem Vorgesetzten, Mr. McArdle. Falls ich je nach England zurückkehren werde, liegt dann wenigstens eine Aufzeichnung darüber vor, wie alles zustande kam. Ich schreibe diese letzten Zeilen an Bord des Überseedampfers Francisca. Bevor ich sie beendet habe und sie dem Lotsen anvertraue, der sie Mr. McArdle überbringen wird, lassen Sie mich ein letztes Bild, eine letzte Erinnerung an das Land skizzieren, das ich mit mir nehmen werde.

Es ist ein feuchter, nebeliger Morgen im Spätfrühling. Kalter Nieselregen fällt träge auf das Pflaster. Drei Gestalten in Regenmänteln mit hochgeschlagenen Kragen gehen den Kai entlang zur Gangway des großen Dampfers, der die Abfahrtsflagge gehißt hat. Vor ihnen schiebt ein Gepäckträger einen Karren her, der mit Kisten, Zeltplanen und Gewehrkästen beladen ist. Professor Summerlee, eine lange, melancholische Gestalt, läßt den Kopf hängen. Sein Schritt ist schleppend; er bedauert offensichtlich jetzt schon seine Entscheidung. Lord John Roxton schreitet munter aus, das Gesicht unter der Jagdkappe mit den Ohrenschützern erwartungsvoll gespannt. Und was mich anbelangt, so bin ich froh, die mühsamen Tage der Vorbereitungen und des Abschiednehmens hinter mir zu haben, was man mir zweifelsohne ansieht.

Und plötzlich, wir sind gerade an der Gangway angekommen, ein Brüllen hinter uns. Es ist Professor Challenger, der uns versprochen hat, uns Lebewohl zu sagen. Er rennt hinter uns her - keuchend, mit rotem Gesicht und cholerisch wie immer.

»Nein, danke«, sagte er, ohne dazu aufgefordert zu sein, »ich komme nicht mit an Bord. Bloß ein paar Worte, und das läßt sich auch sehr gut hier erledigen. Glauben Sie bloß nicht, daß ich mich Ihnen gegenüber zu Dank verpflichtet fühle, weil Sie diese Reise unternehmen. Mich läßt es völlig kalt, womit Sie sich die Zeit vertreiben, und ich lehne jede Art von Verantwortung ab. Wahr bleibt, was wahr ist, und Sie können berichten, was Sie wollen, das ändert daran absolut gar nichts. Sie erreichen höchstens, daß ein Haufen sensationsgieriger Menschen auf seine Kosten kommt. Meine Anweisungen an Sie befinden sich in diesem verschlossenen und versiegelten Umschlag. Sie werden ihn erst öffnen, wenn Sie das Städtchen Manaos an den Ufern des Amazonas erreicht haben und ...« - er deutete mit einem dicken behaarten Finger darauf - »wenn Tag und Stunde gekommen sind. Diese Zeitangaben sind absolut bindend, ist das klar? Ich verlasse mich auf Ihr Ehrenwort.« Der Finger deutete auf mich. »Und Sie, Mr. Malone, haben freie Hand. Ich will Ihnen bezüglich Ihrer Berichterstattung keinerlei Beschränkung auferlegen. Schließlich reisen Sie ja mit, um wegen der Sache viel Wind zu machen. Ich verlange allerdings, daß Sie die genaue Lage des Reiseziels nicht bekanntgeben und vor Ihrer Rückkehr nichts veröffentlicht werden darf.

Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Reise, meine Herren. Leben Sie wohl, Mr. Malone. Sie haben es immerhin geschaffi, meinen Haß gegen Ihr Metier etwas zu mindern. Auf Wiedersehen, Lord John. Soweit ich informiert bin, ist die Wissenschaft zwar ein Buch mit sieben Siegeln für Sie, aber Sie können sich zu dem Jagdrevier, das Sie erwartet, gratulieren. Sie werden nach Ihrer Rückkehr in der Waldeslust, oder wie Ihr Fachblatt auch heißen mag, berichten können, wie Sie das röhrende Dimorphodon erlegt haben. Auch Ihnen alles Gute, Professor Summerlee. Falls Sie überhaupt noch besserungsfähig sind, woran ich, ehrlich gesagt, zweifle, werden Sie garantiert als klügerer Mann nach London zurückkommen.«

Damit macht er auf dem Absatz kehrt, und einen Moment später sehe ich von Deck aus, wie seine kleine, untersetzte Gestalt in der Ferne verschwindet.

So, und jetzt sind wir schon im Ärmelkanal. Die Glocke für die letzte Post läutet, und der Lotse geht von Bord. Wir begeben uns auf Hohe See. Gott segne alle unsere Lieben daheim und schenke uns eine glückliche Wiederkehr.

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