Die Tür war kaum zu, als Mrs. Challenger aus dem Eßzimmer geschossen kam. Die zierliche Frau war wütend. Wie eine aufgeplusterte Henne, die sich vor einer Bulldogge auftaut, stellte sie sich ihrem Mann in den Weg. Offensichtlich hatte sie meinen Abgang miterlebt, aber meine Rückkehr noch nicht bemerkt.
»George, du brutales Stück!« schrie sie. »Du hast diesen netten jungen Mann verprügelt.«
Der Professor deutete mit dem Daumen über die Schulter.
»Da ist er«, sagte er. »Gesund und munter.«
Mrs. Challenger riß erstaunt die Augen auf.
»Oh, Verzeihung«, sagte sie. »Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
»Das macht nichts, Madam«, sagte ich.
»Sie haben ja ein blaues Auge«, sagte Mrs. Challenger entsetzt. »Mein Gott, George, daß du auch immer gleich so brutal sein mußt. Von einer Woche zur anderen nichts als Skandale. Alles verachtet mich und macht sich über mich lustig. Ich bin mit meiner Geduld am Ende. Jetzt ist endgültig Schluß!«
»Schmutzige Wäsche«, murmelte Professor Challenger. »Vor anderen.«
»Das ist schon längst kein Geheimnis mehr«, zischte seine Frau. »Die ganze Straße weiß es - ganz London sogar - gehen Sie, Austin, wir brauchen Sie jetzt nicht. Glaubst du etwa, man redet nicht über dich? Wo bleibt deine Würde? Einen Lehrstuhl an einer großen Universität könntest du haben mit Hunderten von Studenten, die dich anbeten. Wo bleibt deine Würde, George?«
»Wie steht es denn mit deiner eigenen, meine Liebe?«
»Du hast den Bogen überspannt, George. Ein streitsüchtiger Kerl, ein ganz gewöhnlicher, randalierender Rauftold - das bist du mittlerweile.«
»Jetzt reicht’s aber, Jessie.«
»Ein ganz ekelhafter ...«
»Das war genau das Wort zuviel, meine Liebe. Auf den Bußschemel!«
Und damit packte er seine Frau um die Taille, hob sie in die Höhe und setzte sie auf eine große schwarze Marmorsäule, die in einer Ecke der Eingangshalle stand. Ich traute meinen Augen nicht. Die Säule war gut ihre zwei Meter hoch und so wackelig, daß Mrs. Challenger nur mit Mühe das Gleichgewicht halten konnte. Es war ein Bild für Götter: das Gesicht puterrot vor Wut, zappelnde Beine in Seidenstrümpfen und ein Körper, der vor Angst völlig verkrampft war.
»Hol mich sofort wieder hier runter!« zeterte sie.
»Bitte - sagt man.«
»Du sollst mich sofort hier runterholen!«
»Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer, Mr. Malone.«
»Aber, Sir ...« Ich schielte zu Mrs. Challenger hinauf.
»Mr. Malone scheint ein gutes Wort für dich einlegen zu wollen, Jessie. Sag bitte, und du darfst wieder runter.«
»Du widerlicher Kerl! Bitte!«
Wie einen Kanarienvogel hob er sie von der Säule.
»Und jetzt benimm dich«, sagte er. »Mr. Malone ist von der Presse. Morgen steht alles haargenau in der Zeitung, und unsere Nachbarn reißen sich darum. Ein Blick hinter die Kulissen, wird die Schlagzeile lauten. Und als Untertitel: So geht es bei den Intellektuellen zu. Er ist ein Schmierfink, dieser Mr. Malone. Absolut keine Ausnahme - porcus exgre-ge diaboli, ein Schwein aus der Herde des Teufels. Habe ich recht, Mr. Malone?«
»Nein, das haben Sie nicht«, sagte ich aufgebracht. »Ihre Ausdrucksweise ist .«
Der Rest ging in seinem brüllenden Gelächter unter.
»Hier wird es bald Verbündete geben«, grölte er, blickte von seiner Frau zu mir und blähte den Brustkorb auf. Plötzlich wurde sein Ton anders. »Verzeihen Sie die kleine familiäre Auseinandersetzung, Mr. Malone. Ich habe Sie nicht ins Haus gebeten, um Ihnen eine kleine Eheszene vorzuspielen.« Er legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. »Du hast ja recht, meine kleine Jessie. Und jetzt geh und sei mir nicht böse. Wenn ich deinen Rat befolgen würde, wäre ich bestimmt ein besserer Mensch, aber George Edward Challenger wäre ich dann nicht mehr. Es gibt bessere Menschen wie Sand am Meer, meine Liebe, aber bloß einen G.E.Ch. Versuch, das Beste daraus zu machen.« Er gab ihr einen schallenden Kuß, was mir persönlich peinlicher war als seine vorherigen Grobheiten.
»So, Mr. Malone«, wandte er sich dann an mich. »Und Sie kommen jetzt mit mir hier herein.«
Und so waren wir einen Moment später wieder in dem Raum, den wir vor zehn Minuten auf so dramatische Weise verlassen hatten. Der Professor schloß die Tür hinter mir, deutete auf einen Sessel und hielt mir eine Kiste Zigarren unter die Nase.
»Echte San Juan Colorado«, sagte er. »Leicht erregbare Menschen wie Sie brauchen Narkotika. Mann! Doch nicht abbeißen. Abschneiden - mit Gefühl und Verstand abschneiden. So, und jetzt lehnen Sie sich bequem zurück und hören mir gut zu. Falls Sie Zwischenbemerkungen machen wollen, mache ich Sie jetzt schon darauf aufmerksam, daß ich das nicht schätze. Heben Sie sich diese gefälligst für den gegebenen Zeitpunkt auf.
Zunächst einmal werde ich Ihnen erklären, warum ich Sie nach dem berechtigten Rausschmiß wieder in mein Haus gebeten habe.« Er strich sich über den Bart und blickte mich herausfordernd an. Offensichtlich wartete er auf Protest, ich jedoch hütete mich, etwas zu sagen. »Die Antwort, die Sie diesem aufdringlichen Polizisten gegeben haben«, fuhr er schließlich fort, »hat mich dazu veranlaßt. In ihr nämlich glaubte ich einen Funken von Anstand zu erkennen - mehr jedenfalls, als ich es bei Leuten Ihres Metiers gewöhnt bin. Die Tatsache, daß Sie zugegeben haben, an dem Zwischenfall schuld zu sein, ließ gewisse Anzeichen von Sachlichkeit und Großzügigkeit erkennen, beides Merkmale, die ich als sehr positiv empfinde. Die Subspezies der menschlichen Rasse - und Sie gehören zweifelsohne zu der Sorte - waren schon immer unter meinem geistigen Horizont. Ihre Worte dem Polizisten gegenüber haben Sie jedoch in die Sphären meiner persönlichen Wahrnehmung erhoben. Ich habe Sie sozusagen erkannt und Sie wieder ins Haus gebeten, weil ich geneigt bin, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Ich darf Sie bitten, die Asche gefälligst in dem kleinen japanischen Schälchen abzustreifen, das auf dem Bambustisch zu Ihrer Linken steht.«
All das dröhnte er heraus, als sei er der Dozent und ich ein Hörsaal voll Studenten. Aufgebläht wie ein Ochsenfrosch saß er in seinem Drehsessel, den Kopf zurückgelegt und die Augen hochmütig von Lidern halb verdeckt. Dann drehte er sich plötzlich zur Seite, und ich sah nur noch einen Wust von Haaren und ein rotes Ohr. Er wühlte in den Papieren auf seinem Schreibtisch. Als er sich mir wieder zuwandte, hatte er ein zerfleddertes Zeichenheft oder dergleichen in der Hand.
»Ich erzähle Ihnen jetzt von Südamerika«, sagte er. »Und bitte - keine Kommentare. Vorweg aber noch etwas: Nichts von dem, was Sie jetzt erfahren, darf ohne meine ausdrückliche Erlaubnis veröffentlicht werden. Aller menschlichen Voraussicht nach werden weder Sie noch sonst jemand je diese ausdrückliche Erlaubnis bekommen. Ist das klar?«
»Klar schon, aber hart«, sagte ich. »Ein wohlüberlegter Bericht könnte doch .«
Er knallte das Heft auf den Schreibtisch.
»Das war’s«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen.«
»Bitte nicht!« rief ich. »Ich beuge mich all Ihren Bedingungen. Es bleibt mir ja offensichtlich keine andere Wahl.«
»Allerdings nicht«, sagte er.
»Also gut. Ich verspreche es.«
»Ehrenwort?«
»Ja, Ehrenwort.«
Er sah mich zweifelnd an. Sein Blick war völlig ungeniert. »Und was weiß ich von Ihrer Ehre?« fragte er.
»Also ich muß doch schon sehr bitten!« rief ich verärgert. »Sie nehmen sich etwas sehr viel heraus. Glauben Sie, ich lasse mich fortgesetzt beleidigen?«
Mein Ausbruch schien ihn nicht weiter zu stören, sondern eher zu interessieren.
»Rundschädelig«, murmelte er, »brachycephalisch, grauäugig, dunkelhaarig, eine Spur negroid. Keltisch, vermute ich.«
»Ich bin Ire, Sir.«
»Ire?«
»Ja, Sir.«
»Das erklärt natürlich alles. Folgendes: Sie haben versprochen, mein Vertrauen zu respektieren. Dieses Vertrauen wird alles andere als komplett sein, sage ich Ihnen. Ich bin allerdings bereit, Ihnen ein paar interessante Hinweise zu geben. Ich nehme an, es ist Ihnen bekannt, daß ich vor zwei Jahren eine Reise nach Südamerika unternommen habe, eine Reise, die höchstwahrscheinlich in die Geschichte der Wissenschaft eingehen wird. Wie dem auch sei, der Grund meiner Reise war folgender: ich wollte Schlußfolgerungen überprüfen, die Wallace und Bates gezogen hatten, und dies konnte nur geschehen, wenn ich die von ihnen beschriebenen Tatsachen unter denselben Bedingungen beobachten konnte wie sie. Wenn meine Expedition keine weiteren Ergebnisse gebracht hätte, wäre sie es trotzdem wert gewesen, aber als ich an Ort und Stelle war, geschah etwas, das mir eine völlig neue Richtung wies.
Es dürfte Ihnen bekannt sein - aber in unserem halbgebildeten Zeitalter darf man ja eigentlich gar nichts als bekannt voraussetzen -, ich meine, gewisse Landstriche des Amazonasgebiets sind noch völlig unerforscht, und Hunderte von Nebenflüssen, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind, münden in den Strom. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, diese Landstriche und ihre Fauna zu erforschen, wodurch ich, nebenbei bemerkt, Material für mehrere Kapitel des umfassenden zoologischen Werks sammeln konnte, das mein Leben rechtfertigen wird. Meine Arbeit war getan, ich verbrachte eine Nacht in einem Indianerdorf, das an der Mündung eines dieser nicht verzeichneten Nebenflüsse liegt. Den Namen und die geografische Lage des Nebenflusses behalte ich wohlgemerkt für mich. Die Eingeborenen dieses Dorfes, es sind Cucama-Indianer, sind liebenswürdig, aber degeneriert und geistig kaum höherstehend als der Durchschnittsbürger von London. Auf meiner Reise stromaufwärts hatte ich so manche Krankheit geheilt und die Indianer dadurch sehr beeindruckt. Es war also nicht weiter verwunderlich, daß ich bei meiner Rückkehr schier sehnsüchtig erwartet wurde. Aus ihrer Zeichensprache entnahm ich, daß je-mand dringend behandelt werden mußte, und so folgte ich dem Häuptling in eine der Hütten. Als ich mich über den Kranken beugte, konnte ich nur noch feststellen, daß er soeben verschieden war. Zu meinem großen Erstaunen war es kein Indianer, sondern ein weißer Mann. Ein ungewöhnlich weißer Mann sogar, mit den Merkmalen eines Albino. Er war in Lumpen gekleidet, bis auf die Knochen abgemagert und total ausgemergelt. Aus den Reden und Gesten der Indianer entnahm ich, daß der Mann ihnen fremd war und sich mit letzter Kraft aus dem Urwald in ihr Dorf geschleppt hatte.
Neben seinem Lager fand ich den Rucksack des Mannes und durchsuchte den Inhalt. Auf der Innenseite der Verschlußklappe stand sein Name und seine Adresse. Der Mann, vor dem ich immer den Hut ziehen werde, hieß Maple White und war in der Lake Avenue in Detroit im Staate Michigan zu Hause. Wenn die Wissenschaft endlich begriffen hat, worum es hier geht, wird sie seinen Namen im selben Atemzug mit meinem nennen.
Aus dem Inhalt des Rucksacks war zu ersehen, daß dieser Mann Künstler und Dichter gewesen ist und auf der Suche nach Motiven war. Es fanden sich Fragmente von Gedichten. Ich bin zwar weiß Gott kein Sohn der schönen Künste, aber selbst mir fiel auf, daß sie äußerst kümmerlich und dürftig waren. Außerdem kamen ein paar recht kitschige Aquarelle zum Vorschein - Fluß mit Urwaldpflanzen im Hintergrund und dergleichen -, ein Farbkasten, eine Schachtel mit bunten Kreiden, ein paar Pinsel, dieser Knochen, der da in meiner Bleistiftschale liegt, ein Buch von Baxter über Falter und Schmetterlinge, ein billiger Revolver und ein paar Schuß Munition. Persönliche Dinge hatte der Mann entweder nicht bei sich gehabt, oder er hatte sie unterwegs verloren. Das also war die ganze Ausrüstung des seltsamen Maple White.
Ich wollte mich gerade wieder von ihm abwenden, als ich etwas in der Tasche seiner zerschlissenen Jacke stecken sah. Es war dieses Zeichenheft, und es war damals schon so zerfleddert wie jetzt. Sie können mir glauben, daß kein Erstdruck eines Shakespeare mit mehr Ehrfurcht behandelt wird als dieses Heftchen von mir. Ich vertraue es Ihnen jetzt an und bitte Sie, Seite für Seite zu betrachten.«
Er nahm sich eine Zigarre, lehnte sich mit kritischem Blick zurück und wartete auf meine Reaktion.
Ich hatte das Heft aufgeschlagen und rechnete eigentlich damit, etwas Tolles darin zu entdecken, hatte aber keinerlei Vorstellung davon, worum es sich handeln könnte. Das erste Blatt war enttäuschend. Lediglich das Bild eines dicken Mannes in einer erbsengrünen Jacke. Jimmy Colver auf dem Postboot<, stand darunter. Die nächsten Blätter waren voll mit Skizzen von Indianern. Indianer beim Essen, Indianer beim Fischfang, Indianer beim Tanz. Dann kam eine Zeichnung, die einen fröhlichen, fettleibigen Priester mit Schlapphut darstellte, der einem dünnen Europäer gegenübersaß. >Mittagessen mit Bruder Cristofero in Rosario<, stand darunter. Anschließend Seiten voll von Weibern und Kindern und schließlich eine Reihe von Tierstudien mit entsprechenden Erklärungen. Zum Beispiel >Seekuh auf Sandbank< oder >Schildkröte mit Eiern< oder >Schwarzes Ajouti unter Miritipalme<. Danach folgte eine Doppelseite von wirklich ekelhaft aussehenden Reptilien mit langgestreckten Schnauzen.
Ich konnte mit den Zeichnungen mit dem besten Willen nichts anfangen und sagte dies dem Professor auch.
»Sollen das Krokodile sein?« fragte ich.
»Aber nein - Alligatoren. In Südamerika gibt es doch keine Krokodile. Der Unterschied zwischen einem Krokodil und einem Alligator ...«
»Ich wollte damit bloß sagen, daß ich nichts Ungewöhnliches entdecken kann«, wagte ich, ihm ins Wort zu fallen.
Der Professor lächelte nachsichtig. »Blättern Sie um und betrachten Sie die nächste Seite.«
Die nächste Seite ließ mich aber immer noch kalt. Die Skizze einer Landschaft, wohl ein spärlicher, in den Farben nur angedeuteter Entwurf für ein späteres Gemälde. Ein blaßgrüner Vordergrund mit gefiederter Vegetation. Dahinter ein Hügel, der zu einer Reihe rostroter Klippen anstieg. Diese waren seltsam gerippt und erinnerten mich an Basaltformationen, die ich irgendwo einmal gesehen hatte. Die Klippen erstreckten sich wie eine Mauer über den ganzen Hintergrund. Nur an einer Stelle ragte ein pyramidenförmiger, von einem Baum gekrönter Felsen über ihren oberen Rand heraus, den ein dünner grüner Streifen, offensichtlich Pflanzenwuchs, einsäumte. Und über allem tropisch blauer Himmel.
»Nun?« fragte Professor Challenger.
»Zweifellos eine merkwürdige Formation«, sagte ich.
»Leider verstehe ich zu wenig von Geologie, um weitere Schlüsse daraus ziehen zu können.«
»Weitere Schlüsse!« wiederholte der Professor. »Da sind keine weiteren Schlüsse nötig. Das ist eine so einmalige Zeichnung, daß niemand auf Erden davon zu träumen gewagt hätte. Und jetzt die nächste Seite.«
Ich blätterte um und schlug auch schon die Hand vor den Mund. Das Abbild der scheußlichsten Kreatur, die ich jemals gesehen hatte, nahm die ganze Seite ein. Der Alptraum eines Opiumrauchers, die Visionen eines Alkoholikers im Delirium konnten nicht schlimmer sein. Der Kopf des Ungeheuers glich dem eines Vogels, der reptilhafte Körper war aufgebläht, der lang nachschleppende Schwanz war mit nach oben gerichteten Stacheln bestückt, und auf dem Rücken befand sich ein gezackter Kamm. Vor dem Untier stand ein lächerlich kleines Männlein, ein Zwerg in Menschengestalt. »Und was sagen Sie jetzt?« rief der Professor und rieb triumphierend die Hände.
»Daß ich die Zeichnung ganz besonders scheußlich finde«, sagte ich trocken.
»Aber was hat Maple White veranlaßt, sie zu Papier zu bringen?«
»Billiger Gin, nehme ich an.«
»Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein?«
»Nein, Sir, leider nicht. Was haben Sie denn für eine Erklärung dafür?«
»Die naheliegendste. Nämlich, daß diese Kreatur tatsächlich existiert und die Skizze nach der Natur gezeichnet ist.«
Ich hätte am liebsten laut aufgelacht. Die Erinnerung an unseren gemeinsamen Quickstep durch Gang und Eingangshalle hielt mich davon ab.
»Zweifelsohne«, sagte ich. »Allerdings muß ich gestehen, daß mir das Männlein im Vordergrund ein Rätsel ist. Wenn es andere Züge hätte, könnte man daraus schließen, daß es auch auf dem südamerikanischen Kontinent so etwas ähnliches wie Pygmäen gibt, aber meiner Meinung nach soll das ein Europäer sein. Schon der Hut spricht dafür.«
Der Professor schnaubte wie ein zorniger Stier. »Sie können einen zur Verzweiflung bringen«, grollte er. »So etwas an geistiger Trägheit ist mir noch selten begegnet. Cerebrale Parese. Eindeutig ein Fall von cerebraler Parese.«
Der Mann war so absurd, daß ich beschloß, mich ab jetzt nicht mehr zu ärgern. Entweder man ärgerte sich pausenlos über ihn oder gar nicht. Da ich nichts von Energieverschwendung halte, kam also nur das letztere in Frage.
Ich lächelte verbindlich.
»Ich wollte damit eigentlich nur sagen, daß mir der Mann reichlich klein vorkommt.«
»Ist er auch, ist er auch!« rief der Professor. Er deutete mit einem behaarten Finger auf die Zeichnung. »Sehen Sie die Pflanze da?« fragte er. »Sie haben wahrscheinlich gedacht, daß es ein Löwenzahn oder Rosenkohl ist, was? Eine Elfenbeinpalme ist es - damit Sie es wissen, und diese Palmen werden immerhin bis zu achtzehn Metern hoch. Der Mensch ist mit Absicht dazu gezeichnet, mein lieber Mr. Malone. Das Größenverhältnis soll dadurch veranschaulicht werden. Ein Durchschnittseuropäer ist ungefähr einsfünfundsiebzig groß, die Palme ist zehnmal so groß wie der Mensch, und wenn Sie genau hinschauen, werden Sie sehen, daß es stimmt.«
»Großer Gott!« rief ich. »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, daß dieses Monster - das paßt ja nicht einmal in eine Bahnhofshalle.«
»Dort hat es auch nichts zu suchen«, entgegnete der Professor mit zwingender Logik.
»Aber man kann doch nicht alles menschliche Wissen über die Natur einfach beiseite schieben, weil plötzlich eine Zeichnung mit einem Fabelwesen auftaucht.« Ich hatte umgeblättert und festgestellt, daß nur noch leere Seiten folgten. »Noch dazu«, fuhr ich fort, »wo es sich um die Zeichnung eines Wandervogels mit künstlerischen Ambitionen handelt. Vielleicht hat er das Untier im Drogenrausch erfunden. Oder in Fieberträumen. Sie als Naturwissenschaftler können doch so etwas nicht als Beweismaterial anerkennen.«
Professor Challenger stand auf und holte ein Buch aus einem Regal.
»Das hier«, sagte er und deutete auf den Band, »ist eine fabelhafte Monografie von meinem begabten Freund Ray Lankester. Ich zeige Ihnen jetzt eine Illustration ... ja, da ist sie. Wahrscheinliches Lebensbild des Dinosauriers Stegosaurus aus dem Jurazeitalter, steht darunter. Allein die Hinterbeine sind doppelt so hoch wie ein ausgewachsener Mensch. So, und was sagen Sie jetzt dazu?«
Er reichte mir das aufgeschlagene Buch. Ich betrachtete die Illustration genau. Die Rekonstruktion des Tieres aus einer längst toten Welt hatte erstaunlich viel Ähnlichkeit mit der Zeichnung des unbekannten Künstlers.
»Das ist natürlich bemerkenswert«, sagte ich.
»Aber kein schlagender Beweis?« fragte der Professor.
»Ich würde eher sagen, ein unglaublicher Zufall. Vielleicht hat dieser Amerikaner ja auch irgendein ähnliches Bild gesehen, ich meine, so eine Rekonstruktion, und im Delirium ist es dann wieder aus seinem Gedächtnis aufgetaucht.«
»Aha«, sagte Professor Challenger. »Dann lassen wir das erst einmal. Ich fordere Sie nun auf, sich diesen Knochen anzusehen.«
Er drückte mir den Knochen in die Hand, den er im Rucksack des Amerikaners gefunden hatte. Er war ungefähr fünfzehn Zentimeter lang und etwas dicker als mein Daumen. An einem Ende Spuren vertrockneter Knorpelmasse.
»Zu welcher uns bekannten Kreatur gehört dieser Knochen?« fragte der Professor.
Ich drehte und wendete ihn und versuchte, mein verschüttetes Schulwissen an die Oberfläche meines Gedächtnisses zu befördern.
»Ist das vielleicht ein reichlich dickes Schlüsselbein?« frage ich. »Von einem Menschen?«
Professor Challenger sandte einen flehentlichen Blick zur Decke. »Das menschliche Schlüsselbein ist geschwungen«, erklärte er in schulmeisterlichem Ton. »Dieser Knochen ist gerade. Die Einkerbung an der Oberfläche beweist, daß hier eine Sehne entlanggelaufen ist. An einem Schlüsselbein laufen keine Sehnen entlang.«
»Dann weiß ich beim besten Willen nicht, was das für ein Knochen sein soll.«
»Sie brauchen sich wegen Ihrer Unwissenheit nicht zu schämen, Mr. Malone. Diesen Knochen identifiziert nicht einmal ein Fachmann auf Anhieb.« Er zog ein Pillendöschen aus der Tasche und nahm einen Knochen von der Form und Größe einer Kaffeebohne heraus. »Sehen Sie«, fuhr er fort, »dieses Knöchelchen, es stammt von einem menschlichen Skelett, entspricht anatomisch dem Knochen, den Sie in der Hand halten. Jetzt können Sie sich vielleicht vorstellen, wie groß die Kreatur ist, um die es geht. An der Knorpelmasse können Sie sehen, daß es sich nicht um ein fossiles, sondern um ein noch frisches Exemplar handelt. Und was sagen Sie jetzt?«
»Daß der Knochen vielleicht von einem Elefanten ...«
Der Professor schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Ich flehe Sie an!« rief er. »In Südamerika gibt es doch keine Elefanten. Selbst bei unserem gegenwärtigen und höchst bedauerlichen Zustand des Schulwesens .«
»Dann eben irgendein großes Tier, das in Südamerika vorkommt«, fiel ich ihm ins Wort. »Ein Tapir, zum Beispiel.«
»Sie dürfen voraussetzen, junger Mann, daß ich in den Grundlagen meines Faches durchaus versiert bin. Dieser Knochen stammt weder vom Skelett eines Tapirs noch vom Skelett eines anderen uns bekannten Tieres. Er stammt vom Skelett einer sehr großen, sehr starken und höchstwahrscheinlich sehr bestialischen Kreatur, die auf der Erde lebt, der Wissenschaft aber bisher entgangen ist. Sind Sie immer noch nicht überzeugt?«
»Nein, aber ich finde die Sache hochinteressant.«
»Dann sind Sie wenigstens kein hoffnungsloser Fall. Tief in Ihrem Innern scheint sich ein Anflug von Vernunft zu verbergen, und wir wollen uns jetzt geduldig an ihn herantasten.
Vergessen wir vorerst einmal den toten Amerikaner, damit ich mit meinem Bericht weiterkomme. Sie können sich vorstellen, daß ich mich nicht auf die Heimreise machen konnte, ohne den Fall genauer untersucht zu haben. Bezüglich der Richtung, aus welcher der Fremde in das Dorf gekommen war, gab es gewisse Anhaltspunkte. Aber allein schon die Legenden der Indianer hätten genügt, mir den Weg zu weisen. Sie müssen nämlich wissen, daß im ganzen von mir bereisten Gebiet Gerüchte über ein unheimliches Land herumgingen. Curupuri ist Ihnen ein Begriff, oder?«
»Leider nicht.«
»Macht nichts. Also - Curupuri ist der Geist des Urwalds, ein grausames, böswilliges Wesen, dem man besser aus dem Weg geht. Niemand kann das Aussehen des Curupuri beschreiben, aber das Wort allein bedeutet Angst und Schrecken. Alle Stämme, denen ich begegnet bin, stimmen aber bezüglich der Richtung überein, in der das Wesen leben soll. Und genau aus dieser Richtung war der Fremde ins Dorf gekommen. Aus einer Richtung, die zu etwas Schrecklichem führte, und meine Aufgabe war es, es zu entlarven.«
»Und?« drängte ich, von plötzlicher Spannung ergriffen. »Was haben Sie unternommen?«
»Ich habe erst einmal die extreme Scheu der Eingeborenen gebrochen. Sie geht so weit, daß sie nicht einmal über das ffema sprechen wollen. Ich habe auf sie eingeredet, habe sie mit Geschenken bestochen und habe, das gebe ich offen und ehrlich zu, so lange irgendwelche wilden Drohungen von mir gegeben, bis ich zwei Männer so weit hatte, daß sie mich als Führer begleiteten. Nach vielen Abenteuern, die ich hier nicht beschreiben will, und nach einem Marsch, dessen Kilometerzahl ich nicht preisgebe, kamen wir schließlich in ein Gebiet, das geografisch noch nie erfaßt worden war. Außer mir und meinem unseligen Vorgänger hatte noch kein Mensch einen Fuß auf dieses Stückchen Land gesetzt. Hier - schauen Sie sich das an.«
Er gab mir eine Fotografie.
»Der bedauerliche Zustand der Aufnahme rührt daher«, fuhr er fort, »daß bei der Rückreise unser Boot kenterte und die Kiste mit den unentwickelten Filmen ins Wasser fiel. Fast meine ganzen Aufnahmen waren ruiniert. Diese hier ist eine der wenigen, die ich retten konnte. Man hat mir vorgeworfen, die Fotos gefälscht zu haben. Daß ich mich über diesen Punkt nicht weiter auslasse, werden Sie verstehen. Ich lehne es ab, auch nur ein Wort darüber zu Verlierer.«
Die Aufnahme war tatsächlich in einem miserablen Zustand. Eine verschwommene Landschaft, alles Grau in Grau. Nach einiger Konzentration gelang es mir jedoch, Einzelheiten zu erkennen. Im Vordergrund eine sanft ansteigende, von Bäumen bewachsene Ebene, im Hintergrund eine Klippenwand, die ich anfangs für einen Wasserfall gehalten hatte.
»Das sieht ähnlich aus wie die Landschaft in dem Zeichenheft«, sagte ich.
»Es ist dieselbe Landschaft«, sagte der Professor. »Ich habe sogar Spuren von Maple White gefunden. Und jetzt schauen Sie sich diese Aufnahme an.«
Sie war noch schlechter als die erste, trotzdem konnte ich darauf den pyramidenförmigen Felsen erkennen.
»Das scheint eindeutig zu sein«, sagte ich.
»Aha, wir machen Fortschritte«, sagte Professor Challenger zufrieden. »Jetzt betrachten Sie bitte die Spitze des Felsens. Was sehen Sie?«
»Einen riesigen Baum.«
»Und auf dem Baum?«
»Einen großen Vogel.«
Er gab mir eine Lupe.
»Ja«, sagte ich, während ich hindurchsah. »Auf dem Baum hockt ein großer Vogel. Dem Schnabel nach könnte es ein Pelikan sein.«
»Mit Ihrer Sehschärfe können Sie aber nicht viel Staat machen, mein Bester«, sagte der Professor. »Das ist kein Pelikan. Es ist überhaupt kein Vogel. Es dürfte Sie interessieren, daß es mir gelungen ist, das Tier abzuschießen, womit ich einen absolut stichhaltigen Beweis meines Unternehmens hatte.«
»Sie haben das Tier mit zurückgebracht?« fragte ich.
»Leider nein«, antwortete der Professor. »Das Prachtexemplar ging bei dem Bootsunfall mit über Bord. Ich griff danach, als es gerade von einem Strudel erfaßt wurde, und hatte einen Flügel in der Hand, weiter nichts. Der Rest wurde in die Tiefe gezogen. Den Flügel lege ich Ihnen jetzt vor.«
Er zog eine Schublade auf und brachte etwas zum Vorschein, was in meinen Augen wie der Teil eines Fledermausflügels aussah: ein gebogener Knochen von ungefähr sechzig Zentimetern Länge, an dem ein pergamentartiger Hautlappen hing.
»Eine Riesenfledermaus«, sagte ich.
»So ein Unsinn!« rief der Professor. »Wenn man wie ich in einer Welt der Wissenschaft lebt, möchte man es nicht für möglich halten, daß die einfachsten Grundbegriffe der Zoologie fehlen. Haben Sie denn keine Ahnung von vergleichender Anatomie, junger Mann? Sehen Sie, der Flügel eines Vogels entspricht einem Unterarm, während der Flügel einer Fledermaus aus drei verlängerten Fingern besteht, zwischen denen sich Häute spannen. In unserem Fall hier entspricht dieser Knochen ganz bestimmt keinem Unterarm, und Sie sehen ja selbst, daß hier ein einziger Hautlappen an einem einzigen Knochen hängt, also kann der Flügel nicht von einer Fledermaus stammen. Wenn weder Vogel noch Fledermaus - was dann, frage ich Sie?«
Ich war am Ende meiner spärlichen Biologiekenntnisse.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Professor Challenger griff wieder nach dem Buch seines Freundes Lankester und schlug es auf.
»Hier«, sagte er und deutete mit seinem dicken, behaarten Zeigefinger auf eine Illustration, die ein fliegendes Monster darstellte. »Eine fabelhafte Reproduktion des Dimorphodon oder auch Pterodactylus genannt. Es handelt sich dabei um ein fliegendes Reptil aus der Jurazeit. Auf der nächsten Seite sehen Sie eine grafische Darstellung. Sie erklärt den Mechanismus des Flügels. Und jetzt vergleichen Sie das einmal mit dem Fragment in Ihrer Hand.«
Ich tat es und war im selben Moment überzeugt. Man konnte diesen Tatsachen nicht länger ausweichen: Die Zeichnungen des Amerikaners, die Aufnahmen, der Bericht des Professors und zu guter Letzt dieses echte Beweisstück - nur ein Blinder hätte weiterhin gezweifelt. Man hatte Professor Challenger unrecht getan. Er war kein Scharlatan.
»Das ist die tollste Sache der Welt!« sagte ich, wobei meine Begeisterung eher journalistischer als wissenschaftlicher Natur war. »Das ist kolossal. Sie haben eine vergessene Welt entdeckt. Wie habe ich auch nur einen Moment an Ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln können? Verzeihen Sie mir. Ihre Beweise sind schlagend und sollten jedem genügen.«
Der Professor schnurrte vor Zufriedenheit.
»Und dann, Sir?« fragte ich. »Was haben Sie dann getan?«
»Die Regenzeit hatte begonnen, Mr. Malone, und meine Vorräte gingen zur Neige. Ich erforschte einen Teil dieser gewaltigen Felswände, konnte sie jedoch nicht ersteigen. Der pyramidenförmige Felsblock, auf dem ich den Pterodactylus gesehen und geschossen hatte, erwies sich als etwas leichter zugänglich. Da ich ein relativ guter Bergsteiger bin, schaffie ich es hier bis auf halbe Höhe. Von da oben hatte ich eine gute Sicht über das Plateau über der Felswand. So weit das Auge reicht, erstreckt sich das bewachsene Land, das eigentlich eine Art Felsdach ist. Darum herum und tiefer gelegen Sumpf und Dschungel voll Schlangen, Insekten und Fieber, also eine Art natürlicher Schutzwall für dieses einzigartige Fleckchen Erde.«
»Haben Sie Spuren von irgendwelchen Lebewesen gefunden?«
»Nein. Wir hatten unser Lager am Fuße der Felswand aufgeschlagen und haben eine ganze Woche dort zugebracht. Gesehen haben wir während der Zeit nichts, aber seltsame Geräusche haben wir gehört. Sie kamen von oben, vom Plateau über den Klippen.«
»Aber wie erklären Sie sich dann die Zeichnung des Amerikaners?« fragte ich. »Ich meine die mit dem Monster.«
»Ich kann nur vermuten, daß er irgendwie hinaufgekommen ist und es dort gesehen hat. Es muß einen Weg da hinauf geben. Er muß allerdings so steil und schwierig sein, daß diese Kreaturen nicht herunterklettern können, sonst wäre die Ebene längst verwüstet.«
»Und wie sind die Kreaturen hinaufgekommen?« frage ich.
»Dafür gibt es eine ganz simple Erklärung«, antwortete der Professor. »Der südamerikanische Kontinent ist ein Kontinent aus Granit, wie Sie vielleicht wissen. Irgendwann in grauer Vorzeit hat es an der Stelle, von der ich spreche, einen plötzlichen vulkanischen Ausbruch gegeben. Die Klippen sind aus Basalt - das habe ich, glaube ich, noch nicht erwähnt - und somit plutonischen Ursprungs. Ein Gebiet von der Größe der Grafschaft Sussex wurde en bloc und mit allem, was kreucht und fleucht, in die Höhe gestoßen und von dem umliegenden Land abgeschnitten. Was war das Ergebnis? Die allgemein herrschenden Gesetze der Natur waren aufgehoben. Verhaltensweisen, die der Existenzkampf bisher gefordert hatte, wurden unwirksam und damit sinnlos. Arten, die normalerweise längst ausgestorben wären, überlebten. Der Pterodactylus und der Stegosaurus sind Tiere aus dem Jurazeitalter und somit entwicklungsgeschichtlich ungeheuer alt. Durch diese seltsamen, zufällig entstandenen Bedingungen ihres Lebensbereiches sind sie künstlich erhalten geblieben.«
»Aber Ihre Beweise sind eindeutig«, sagte ich. »Sie brauchen sie doch lediglich den zuständigen Gremien vorzulegen.«
»Das hatte ich in meiner Naivität auch gedacht«, sagte der Professor verbittert. »Alles lief ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Wo ich mich auch hinwandte, stieß ich auf Unglauben. Einen Unglauben, der eine Mischung aus Dummheit und Neid war. Wenn man an meinem Wort zweifelt, dann bin ich nicht der Mensch, der kriecht oder Beweismaterial wie saures Bier anbietet. Nach den ersten mißglückten Versuchen habe ich mich nicht mehr dazu herabgelassen, mein Beweismaterial überhaupt vorzulegen. Ich wurde mit der Zeit so allergisch gegen das ffema Südamerika-Expedition, daß ich nicht mehr darüber sprechen mochte. Und als dann obendrein noch Leute wie Sie an meiner Tür standen, Menschen, die in meinen Augen die stupide Neugier der Massen verkörpern, war ich nicht einmal mehr in der Lage, sie mit hochmütiger Zurückhaltung abzuwimmeln. Ich bin von Haus aus leicht jähzornig, das gebe ich zu, und wenn man mich provoziert, tendiere ich zur Gewalttätigkeit. Sie werden das bestätigen können, Mr. Malone.«
Ich lächelte und schwieg.
»Meine Frau hat mir deshalb oft Vorwürfe gemacht, aber ich finde, daß ein Ehrenmann nicht anders handeln kann. Trotzdem erkläre ich mich bereit, heute abend meine Gefühle zu beherrschen und über mich hinauszuwachsen. Ich lade Sie hiermit zu der Demonstration ein.« Er nahm eine Karte von seinem Schreibtisch und gab sie mir. »Wie Sie hier sehen«, fuhr er fort, »wird Mr. Percival Waldron, ein sehr bekannter und beliebter Naturwissenschaftler, um zwanzig Uhr dreißig im Zoologischen Institut eine Vorlesung halten. Er spricht über die >Zeugnisse der Zeitalter dieser Erde<. Man hat mich ausdrücklich gebeten, anwesend zu sein und nach der Vorlesung ein kurzes Dankeswort zu sprechen. Mit großem Takt und großer Raffinesse werde ich dieses Dankeswort dazu benutzen, ein paar Bemerkungen über meine Sache fallen zu lassen. Vielleicht kann ich dadurch das Interesse der Zuhörerschaft gewinnen. Es wäre doch denkbar, daß sich der eine oder andere eingehender mit meiner Sache befaßt, oder? Ich werde natürlich nicht in Einzelheiten gehen, sondern lediglich andeuten, daß es noch Gebiete gibt, in die hineinzuknien es sich lohnt. Ich werde ein Meisterstückchen an Selbstbeherrschung liefern, und dann wird sich schon zeigen, ob man damit bessere Resultate erzielt.«
»Und ich soll hinkommen, sagen Sie?«
»Natürlich kommen Sie«, sagte der Professor.
Er war in seiner Freundlichkeit genauso überwältigend wie in seiner Grobheit. Sein wohlwollendes Lächeln, bei dem die Backen wie zwei rote Apfel anschwollen, tat mir richtig gut.
»Sie müssen sogar kommen«, fuhr er fort. »Die Gewißheit, wenigstens einen Verbündeten im Saal zu haben - und wenn er noch so unmaßgeblich ist und von der Sache keine Ahnung hat, wird für mich eine enorme Stütze sein. Ich nehme an, daß der Hörsaal gesteckt voll sein wird, denn dieser Waldron, in meinen Augen ein aufgeblasener Dummkopf, erfreut sich größter Beliebtheit.
So, Mr. Malone, jetzt habe ich Ihnen mehr von meiner Zeit gewidmet als ursprünglich beabsichtigt. Ein einzelner Mensch darf nicht beanspruchen, was der ganzen Welt gehört. Ich würde mich freuen, Sie heute abend im Hörsaal zu sehen. Und in der Zwischenzeit vergessen Sie gefälligst nicht, daß nichts von dem veröffentlicht werden darf, was ich Ihnen erzählt habe.«
»Aber Mr. McArdle, mein Chef, wird wissen wollen . . .«
»Erfinden Sie etwas«, fiel mir der Professor ins Wort. »Sie können ihm ja sagen, daß ich ihn mit der Reitpeitsche vertrimme, wenn er mir noch einmal jemanden auf den Hals hetzt. Aber Sie allein mache ich dafür verantwortlich, daß nichts von diesen Dingen gedruckt wird. Also dann, um acht Uhr dreißig im Zoologischen Institut.«
Damit hatte er mich endgültig hinauskomplimentiert.