12

„Wann ist das alles fertig?“ wollte der Hertug wissen und wies auf die verschiedenen Teile, die Jasons Arbeitstisch bedeckten.

„Erst morgen früh, selbst wenn ich die ganze Nacht durcharbeite, Hertug. Aber vor der Fertigstellung des Geräts habe ich ein anderes Geschenk für dich — eine Verbesserung des Telegrafensystems.“

„Es braucht keine Verbesserung! Was für meine Vorfahren gut genug war…“

„Ich will gar nichts ändern, weil ich selbst der Meinung bin, daß die Vorfahren immer recht haben. Ich will nur die Bedienung vereinfachen. Sieh dir das hier an…“ Jason wies auf einen der mit Wachs überzogenen Blechstreifen. „Kannst du die Nachricht entziffern?“

„Selbstverständlich, aber ich muß mich darauf konzentrieren, denn das Verfahren ist äußerst geheimnisvoll.“

„Ganz im Gegenteil; ich wußte schon nach einem einzigen Blick, wie es funktioniert — selbst ein Vollidiot hätte es gewußt.“

„Gotteslästerer!“

„Keineswegs. Sieh her: Das ist ein B, nicht wahr — zwei Kratzer des Zauberpendels?“

Der Hertug zählte etwas an den Fingern ab. „Du hast recht, es ist ein ER. Wie hast du das erraten?“

Jason beherrschte sich mühsam. „Es war nicht leicht, aber ich weiß eben alles. B ist der zweite Buchstabe des Alphabets, deshalb wird es mit zwei Strichen verschlüsselt. C wird durch drei dargestellt — noch immer einfach; aber schließlich endet die Sache mit Z, für das sechsundzwanzig Striche erforderlich sind, was einen unsinnigen Zeitverlust darstellt. Im Grunde genommen braucht man die vorhandenen Geräte nur wenig zu verändern, um zwei verschiedene Zeichen senden zu können — wir wollen originell sein und sie ›Punkt‹ und ›Strich‹ nennen. Mit Hilfe dieser beiden verschieden langen Impulse läßt sich das gesamte Alphabet mit maximal vier Zeichen übermitteln. Verstanden?“

„Ich habe Kopfschmerzen und bin heute nicht ganz auf der Höhe…“

„Du kannst später darüber nachdenken. Morgen früh ist meine neue Maschine betriebsbereit, und dann werde ich dir auch den neuen Kode vorführen.“

Der Hertug verließ den Raum, wobei er leise vor sich hinmurmelte. Jason grinste und begann mit dem Zusammenbau seines neuen Generators.


„Wie heißt die Maschine?“ fragte der Hertug und ging um den mit Schnitzereien verzierten Holzkasten herum.

„Das ist ein Heil-dem-Hertug-Macher, eine neue Quelle der Verehrung, des Respekts und regelmäßiger Einnahmen für deine Herrlichkeit. Er wird in einem Tempel oder ähnlichen Gebäude aufgestellt, wo das Publikum dafür zahlen muß, daß es dir seine Verehrung erweisen darf. Sieh her: Ich spiele jetzt den ergebenen Untertan, der den Tempel betritt. Ich stecke meinen Obolus in den hier dazu vorgesehenen Schlitz, greife nach dieser Kurbel und beginne sie zu drehen.“ Als Jason die Kurbel bewegte, ertönte ein leises Summen aus dem Inneren des Kastens. „Du mußt auf die Oberseite achten.“

Auf der Oberseite des Kastens erhoben sich zwei gebogene Metallarme, die in Kupferkugeln ausliefen, zwischen denen ein zwei Zentimeter breiter Spalt klaffte. Der Hertug wich erschrocken zurück, als ein blauer Funke von einer Kugel zur anderen sprang.

„Das wird die Bauern beeindrucken, meinst du nicht auch?“ sagte Jason zufrieden. „Jetzt — achte auf die Reihenfolge der Funken. Zuerst drei kurze, dann drei lange und schließlich wieder drei kurze.“

Er hörte zu kurbeln auf und überreichte dem Hertug ein Pergamentblatt, auf dem er seine eigene, verbesserte Fassung des interstellaren Morsekodes niedergeschrieben hatte. „Sieh her. Drei Punkte bedeuten H, während drei Striche den Buchstaben A bilden. Wenn also die Kurbel gedreht wird, sendet die Maschine das Signal HAH aus, was nichts anderes als Huraoj al Hertug — Heil dem Hertug! — bedeutet. Eine hübsche Erfindung, mit deren Hilfe sich die Priester nutzbringend und ungefährlich beschäftigen lassen, während der Rest der Gefolgschaft seine Unterhaltung findet. Gleichzeitig erhebt sich Tag und Nacht die Stimme der Heiligen Kraft zu deinem Lob und deinem Ruhm.“

Der Hertug drehte nun selbst an der Kurbel und beobachtete den überspringenden Funken mit glänzenden Augen. „Morgen werde ich die Maschine im Tempel enthüllen. Aber zuvor muß sie noch mit den Heiligen Zeichen verziert werden. Vielleicht in Goldschrift…“

„Ich würde sogar Juwelen verwenden, die bestimmt besser wirken. Schließlich wollen die Leute nicht nur eine einfache Drehorgel bedienen, die nicht einmal eindrucksvoll aussieht, obwohl sie heilig ist.“

Jason hörte glücklich zu, als die Funken von Kugel zu Kugel sprangen. Vielleicht bedeutete das Signal hier tatsächlich HAH, aber für jeden anderen ergab es SOS. Und jedes Raumschiff, das sich diesem Planeten näherte, mußte das Signal aufnehmen, das nun ständig ausgestrahlt wurde. Vielleicht war es bereits jetzt empfangen worden, vielleicht wurde schon eine Peilantenne in die Richtung gedreht, aus der das Signal kam? Jason bedauerte, daß er keinen Empfänger hatte, mit dem er die Antwort hätte hören können — aber das spielte keine Rolle, denn er würde ja die Raketentriebwerke deutlich genug hören, wenn das Raumschiff über Appsala zur Landung ansetzte…

Nichts dergleichen geschah. Jason hatte das erste SOS vor über zwölf Stunden ausgesandt, aber unterdessen hatte er eingesehen, daß er nicht auf eine sofortige Rettung hoffen durfte. Vorläufig konnte er sich nur so behaglich wie möglich einrichten und auf die Ankunft eines Raumschiffes warten. Dabei wies er den Gedanken weit von sich, daß er unter Umständen nicht lange genug leben würde, um Zeuge der Landung eines Raumschiffes zu sein.

„Ich habe deine Forderungen erwogen“, sagte der Hertug und wandte sich widerstrebend von dem hübschen Gerät ab, das seinen Ruhm verkündete. „Du könntest ein paar kleine Räume für dich allein haben, vielleicht einen oder zwei Sklaven, reichlich zu essen und Bier oder Wein an Feiertagen…“

„Keine stärkeren Getränke?“

„Es gibt keine stärkeren; die Weine der Pressonoj, die von den Weinbergen des Mount Malvigla stammen, sind als erstklassig bekannt.“

„Sie werden sogar noch bekannter werden, wenn sie erst einmal durch meine Destillationsanlage gelaufen sind. Ich sehe schon, daß ich eine Menge kleiner Verbesserungen einführen muß, bevor ich es hier für längere Zeit aushalten kann. Vielleicht muß ich sogar das WC erfinden, damit ich mir auf euren primitiven Anlagen nicht die Gicht hole. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Aber zuerst müssen wir eine Dringlichkeitsliste aufstellen, an deren Spitze Geld steht. Einige der Maschinen, mit denen ich deinen Ruhm vermehren werde, sind etwas kostspielig, deshalb ist es bestimmt besser, wenn wir erst einmal die Schatzkammern auffüllen. Ich nehme an, daß deine religiösen Prinzipien nichts enthalten, das die Vermehrung deines Reichtums als Sünde erscheinen lassen könnte?“

„Bestimmt nicht“, antwortete der Hertug mit Überzeugung in der Stimme.

„Damit wäre also auch dieser Punkt geklärt. Mit deiner Erlaubnis werde ich mich jetzt in meine neuen Räume zurückziehen und gründlich ausschlafen. Dann stelle ich eine Liste zusammen, nach der du deine Wahl treffen kannst.“

„Einverstanden. Aber vergiß die Maschinen nicht, die Geld einbringen.“

„Die kommen ganz oben auf die Liste.“

Obwohl Jason sich innerhalb der abgeschlossenen und heiligen Arbeitsräume frei bewegen durfte, wurde er außerhalb der Werkstatt von vier Soldaten bewacht, die nicht von seiner Seite wichen.

„Weißt du, wo ich untergebracht werden soll?“ erkundigte Jason sich bei dem Wachführer, einem ungehobelten Kerl namens Benn’t.

„Mmm“, knurrte Benn’t und ging voraus. Sie stiegen in den ersten Stock hinauf, tappten durch halbdunkle Gänge und blieben schließlich vor einer massiven Tür stehen, vor der ein Soldat Wache hielt. Benn’t schloß die Tür mit einem riesigen Schlüssel auf, der an seinem Gürtel hing.

„Für dich“, sagte er und zeigte mit dem schmutzigen Daumen auf den Raum hinter der Tür.

„Vollständig eingerichtet — sogar die Sklaven sind nicht vergessen worden“, stellte Jason fest, als er Mikah und Ijale sah, die an die Mauer gekettet waren. „Allerdings habe ich kaum etwas von ihnen, wenn sie nur zu Dekorationszwecken benützt werden. Kann ich den Schlüssel haben?“

Benn’t suchte umständlich in seinen Taschen herum, dann fand er den kleinen Schlüssel und gab ihn Jason. Die Wache marschierte hinaus, und Benn’t schloß die schwere Tür hinter sich ab.

„Ich wußte, daß ich dich unversehrt wiedersehen würde“, sagte Ijale, als Jason den Eisenkragen um ihren Hals aufschloß. „Deshalb habe ich nur ein wenig Angst gehabt.“

Mikah schwieg hartnäckig, bis Jason gemeinsam mit Ijale die Räume besichtigte. Erst dann sagte er kalt: „Du hast vergessen, mich von diesen Ketten zu befreien.“

„Ich freue mich, daß dir das aufgefallen ist“, antwortete Jason. „Auf diese Weise brauche ich dich nicht darauf aufmerksam zu machen. Kannst du dir eine bessere Methode vorstellen, um dich zuverlässig von dummen Streichen abzuhalten?“

„Du beleidigst mich!“

„Ich sage nur die Wahrheit. Du bist daran schuld, daß ich meinen schönen Job bei den d’zertanoj verloren habe, und hast mich dort wieder zum Sklaven gemacht. Ich habe dich mitgenommen, als ich fliehen konnte, aber du hast meine Großzügigkeit dadurch belohnt, daß du Snarbis Verrat ermöglicht hast — und diese Stellung habe ich aus eigener Kraft ohne deine geschätzte Mitwirkung ergattert.“

„Ich habe nur getan, was ich für richtig hielt.“

„Dann hast du eben falsch gedacht.“

„Du bist rachsüchtig und kleinlich, Jason dinAlt!“

„Wie recht du hast! Deshalb bleibst du auch angekettet.“

Jason nahm Ijales Arm und spielte den Fremdenführer, als sie durch das Apartment gingen. „Wie in allen modernen Wohnungen führt die Eingangstür gleich in den größten Raum, der mit rustikalen Möbeln aus ungehobeltem Holz und herrlichen Schimmelpilzen an den Wänden ausgestattet ist. Großartig zur Käseherstellung geeignet, aber für Menschen kaum zu empfehlen. Am besten lassen wir ihn Mikah.“ Er öffnete eine Verbindungstür. „Schon etwas besser — reine Südlage, die Aussicht auf den Großen Kanal und wenigstens etwas Licht. Die Fenster aus bestem Horn, das sowohl Sonnenschein, als auch frische Luft hereinläßt. Ich glaube, daß ich es durch Glas ersetzen werde. Aber vorläufig reicht vermutlich auch ein Feuer in dem Kamin dort drüben, der eher in eine Ochsenbraterei passen würde.“

„Krenoj!“ rief Ijale begeistert und rannte auf einen Korb zu, der in einer Nische neben dem Kamin stand. Sie roch an den Wurzeln und faßte sie nacheinander an. „Noch nicht zu alt, zehn Tage, vielleicht fünfzehn. Gut für Suppe.“

„Endlich wieder mein Leibgericht“, meinte Jason ohne große Begeisterung.

Mikah rief aus dem anderen Zimmer nach ihm. Jason zündete erst das Feuer an, bevor er sich erkundigte, was Mikah von ihm wollte.

„Das ist kriminell!“ klagte Mikah und rasselte mit seinen Ketten.

„Ich bin ein Krimineller, hast du das vergessen?“ antwortete Jason ungerührt und wollte gehen.

„Warte doch! Du kannst mich nicht einfach gefesselt lassen. Schließlich sind wir zivilisierte Menschen. Wenn du mich freiläßt, gebe ich dir mein Ehrenwort, daß ich dir nichts nachtrage.“

„Das ist sehr freundlich von dir, alter Knabe, aber aus meiner bisher so vertrauensvollen Seele ist alles Vertrauen geschwunden. Ich habe mich zu den hiesigen Gebräuchen bekehren lassen und traue dir also nur, wenn ich selbst sehe, was du tust. Aber ich bin kein Unmensch — du sollst herumlaufen können, damit du endlich den Mund hältst.“

Jason schloß die Kette auf, mit der Mikahs Eisenkragen an der Wand befestigt war, und wandte sich wortlos ab.

„Du hast den Kragen vergessen“, sagte Mikah.

„Wirklich?“ antwortete Jason mit einem häßlichen Grinsen. „Ich habe nicht vergessen, daß du mich an Edipon verraten hast, deshalb bleibt der niedliche Kragen an deinem Hals. Solange du Sklave bist, kannst du mich nicht nochmals verraten — deshalb bleibst du einer.“

„Das hätte ich mir denken können“, meinte Mikah wütend.

„Du bist ein Schuft und schlimmer als diese Wilden hier. Ich werde dir nicht behilflich sein; ich schäme mich, daß ich jemals etwas in dieser Art erwogen habe. Du bist schlecht, und mein Leben ist dem Kampf gegen alles Schlechte gewidmet — deshalb kämpfe ich auch gegen dich.“

Jason hatte schon die Faust zum Schlag erhoben, dann lachte er aber doch.

„Du überraschst mich immer wieder, Mikah. Ich hätte nie gedacht, daß ein Mensch so stur sein könnte. Aber ich bin froh, daß du mir deine ehrliche Meinung gesagt hast — jetzt kann ich mich wenigstens vor dir in acht nehmen. Und damit wir nicht etwa wieder zu freundlich miteinander werden, bleibst du Sklave und wirst dementsprechend behandelt. Los, nimm den Krug dort drüben und laß dich von der Wache zu dem Brunnen begleiten, aus dem Sklaven wie du Wasser holen.“

Er wandte sich um und verließ den Raum. Sein Zorn war noch nicht abgeklungen, aber er gab sich besondere Mühe, die von Ijale zubereitete Mahlzeit zu loben.

Nach dem Essen wärmte Jason sich an dem Feuer im Kamin und war mit sich und der Welt zufrieden. Ijale kauerte neben ihm und nähte einige Felle zusammen, während Mikah im Nebenraum wütend mit seinen Ketten rasselte und ausgiebig fluchte. Jason hätte lieber geschlafen, aber er hatte dem Hertug eine Aufzählung möglicher Wunderdinge versprochen und wollte die Liste fertigstellen, bevor er zu Bett ging. Er sah auf, als sich die Tür öffnete und Benn’t hereinkam, der von einem seiner Soldaten mit einer blakenden Fackel begleitet wurde.

„Komm“, sagte Benn’t und wies auf die Tür.

„Wohin und weshalb?“ fragte Jason, der zu faul war, um aufzustehen.

„Komm“, wiederholte Benn’t unfreundlich und zog sein kurzes Schwert, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen.

„Allmählich gehst du mir auf die Nerven“, stellte Jason fest, zog sich seine Fellweste an und ging an Mikah vorbei hinaus. Der Posten vor der Tür war verschwunden, aber auf dem Fußboden lag eine dunkle Gestalt. War das etwa der Posten? Jason wollte zurück, aber hinter ihm wurde die Tür zugeschlagen. Benn’t drückte ihm die Schwertspitze in den Rücken oberhalb der Nieren.

„Ein Wort oder eine falsche Bewegung, dann bist du ein toter Mann“, drohte der Soldat.

Jason dachte darüber nach und blieb unbeweglich stehen. Die Drohung beeindruckte ihn wenig, denn er wußte genau, daß er Benn’t entwaffnen und den anderen Soldaten überwältigen konnte, bevor dieser sein Schwert gezogen hatte, aber diese neue Entwicklung interessierte ihn. Er hatte das sichere Gefühl, daß der Hertug von diesem nächtlichen Ausflug nicht unterrichtet worden war, und fragte sich, wie das Ende aussehen würde.

Dann bereute er diesen Entschluß allerdings sofort, als jemand ihm einen Knebel in den Mund steckte und ihm die Arme hinter dem Rücken fesselte. Nun war er völlig hilflos und mußte gehorsam die Treppen hinaufsteigen, die auf das flache Dach des Gebäudes führten.

Der Soldat löschte die Fackel, so daß sie in der Dunkelheit standen, während ein kalter Schneeregen auf sie niederging. Jason stolperte über die nassen Dachziegel voran und wäre einmal fast abgerutscht, wenn die beiden Soldaten ihn nicht rechtzeitig zurückgehalten hätten. Die Männer arbeiteten schweigend und rasch, als sie Jason ein Seil um die Brust banden, um ihn dann über die Brüstung nach unten zu lassen. Jason fluchte lautlos vor sich hin, als er an der rauhen Außenwand nach unten rutschte und schließlich bis zu den Knien in dem eisigen Wasser hing. Einige Minuten später tauchten die schattenhaften Umrisse eines Bootes aus der Dunkelheit auf. Jason wurde an Bord gezogen, dann rutschten seine Entführer an dem Seil herab. Das Wasser plätscherte leise, als das Boot sich in Bewegung setzte.

Die Ruderer achteten nicht auf Jason; sie benützten ihn sogar als Fußstütze, bis er sich auf die Seite rollen konnte. Erst als er wieder Fackeln über sich sah, erkannte er, daß das Boot durch ein Tor in ein Fort einfuhr, das Ähnlichkeit mit dem der Perssonoj hatte. Er brauchte nicht lange zu überlegen, um zu erkennen, daß er von einem rivalisierenden Clan entführt worden war. Als das Boot angelegt hatte, wurde Jason durch feuchte Gänge bis zu einem eisernen Portal geführt. Benn’t war verschwunden — vermutlich hatte er bereits seine dreißig Silberlinge in Empfang genommen —, und die neuen Wachtposten schwiegen. Sie banden seine Hände los, lösten den Knebel, stießen ihn durch das Eingangsportal und knallten es hinter ihm zu.

Vor Jason saßen sieben vermummte Gestalten auf einem Podium. Sie trugen lange Roben und schreckenerregende Masken, während ein langes Schwert ihre Ausrüstung vervollständigte. Eigenartig geformte Lampen blakten an der Decke des Raumes, der durchdringend nach Schwefelwasserstoff stank.

Jason grinste verächtlich und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Als er keine fand, wischte er eine Lampe von dem nächsten Tisch und ließ sich auf der Platte nieder. Dann betrachtete er die Schreckensgestalten mit gelassener Miene.

„Erhebe dich, Sterblicher“, befahl der Mann in der Mitte. „Niemand sitzt in Gegenwart der Mastreguloj, wenn ihm sein Leben lieb ist!“

„Ich sitze hier ganz gut“, antwortete Jason ungerührt. „Ihr habt mich nicht entführen lassen, um mich umzubringen. Je früher ihr einseht, daß mich eure Verkleidung nicht in Furcht und Schrecken versetzt, desto eher können wir vernünftig miteinander sprechen.“

„Schweig! Hier geht es um Leben oder Tod!“

„Unsinn“, widersprach Jason. „Bleiben wir doch lieber bei den Tatsachen. Ihr seid an mir interessiert, weil ihr von mir gehört habt. Eure Spione haben euch berichtet, was ich zu leisten vermag, wenn ich in der richtigen Stimmung bin. Das alles klang so gut, daß ihr das hier übliche Verfahren angewandt habt — ein bißchen Geld zur rechten Zeit am rechten Ort. Schön, hier bin ich also.“

„Weißt du eigentlich, mit wem du sprichst?“ fragte die Gestalt ganz rechts außen mit zittriger Stimme. Jason sah den Sprecher nachdenklich an.

„Mit den Mastreguloj? Ich habe schon von euch gehört. Ihr seid als Zauberer und Hexenmeister verrufen, weil ihr Feuer, das unter Wasser brennt, Rauch, der die Lungen zerstört, Wasser, das Fleisch versengt, und so weiter habt. Ich vermute, daß ihr die hiesigen Chemiker seid. Obwohl es nicht viel von eurer Sorte gibt, ist euer Ruf schlecht genug, um die anderen Clans zu erschrecken.“

„Weißt du, was dies enthält?“ fragte der Vermummte und hielt ein Glasgefäß hoch, das mit einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt war.

„Keine Ahnung. Ist mir auch egal.“

„Es enthält das brennende Zauberwasser, das dich augenblicklich versengen und auflösen wird, wenn es nur deinen Körper berührt…“

„Dummes Zeug! Das Glas enthält nur irgendeine Säure, wahrscheinlich Schwefelsäure, weil es hier so überaus angenehm nach faulen Eiern stinkt.“

Seine Vermutung schien richtig gewesen zu sein, denn die sieben Gestalten sprachen leise miteinander. Während sie auf diese Weise abgelenkt waren, stand Jason auf und näherte sich dem Podium. Er hatte diese wissenschaftlichen Ratespiele reichlich satt und war außerdem böse, weil er entführt, geknebelt, ins Wasser getaucht und als Fußstütze benutzt worden war. Die Mastreguloj wurden von den übrigen Clans gefürchtet, aber für Jasons Zwecke besaßen sie nicht genügend wirkliche Macht. Er hatte seine Gründe dafür, daß er auf die Perssonoj gesetzt hatte, und wollte jetzt nicht während des Rennens die Pferde wechseln.

Jason erinnerte sich an ein Buch über berühmte Ausbrecher, das er früher einmal gelesen hatte. Er war für jeden Hinweis dankbar gewesen, weil man nie wissen konnte, wann man einmal selbst in eine ähnliche Verlegenheit geriet. Nach der Lektüre des Buches war er zu der Überzeugung gekommen, daß der beste Zeitpunkt für die Flucht so bald wie möglich nach der Gefangennahme war. Also eigentlich jetzt.

Die Mastreguloj hatten einen Fehler gemacht, als sie Jason ohne Bewachung verhören wollten; sie waren so daran gewöhnt, daß jeder vor ihnen kuschte, daß sie sorglos geworden waren. Ihren Stimmen und ihrem Benehmen nach zu urteilen mußten sie alle über siebzig sein, und Jason glaubte zu wissen, daß der Mann rechts außen noch älter war. Die Hand, die das lange Schwert umklammert hielt, zitterte merklich.

„Wer hat dir das Geheimnis verraten, das sich hinter dem heiligen Namen sulfurika acido verbirgt?“ verlangte die Gestalt in der Mitte zu wissen. „Sprich, Spion, sonst erleidest du einen gräßlichen Tod!“

„Nein, bitte nicht“, flehte Jason, ließ sich auf die Knie nieder und hob beschwörend die Hände. „Alles, aber nur das nicht! Ich rede ja schon!“ Er rutschte auf den Knien weiter an das Podium heran und wandte sich dabei unauffällig nach rechts. „Die Wahrheit will heraus, ich kann nicht länger schweigen — dies ist der Mann, der mir alles verraten hat.“ Er wies auf den Alten zu seiner Rechten und berührte dabei fast dessen Schwert.

Jason sprang auf, riß dem Alten das Schwert aus der Hand und versetzte ihm einen heftigen Stoß. Der Alte und sein Nachbar stürzten zu Boden.

„Tod den Ungläubigen!“ rief Jason und zog den Vorhang herunter, der hinter dem Podium an der Wand hing. Er warf ihn den beiden Männern über, die sich auf ihn stürzen wollten, und entdeckte die Pforte, die hinter dem Vorhang verborgen gewesen war. Jason stieß sie auf, rannte in den beleuchteten Gang hinaus und prallte dort auf zwei Wachtposten. Jetzt machte sich das harte Training auf Pyrrus bezahlt, denn Jason war schneller als jeder dieser kümmerlichen Soldaten. Er schlug die Posten mit den Köpfen aneinander und rannte weiter auf den Ausgang zu, als er plötzlich Benn’t vor sich auftauchen sah.

„Vielen Dank — ich hatte noch nicht genug Sorgen“, sagte Jason, als er das Schwert des anderen beiseite schlug. „Außerdem finde ich es nicht gerade nett, daß du einen deiner eigenen Kameraden niedergemacht hast.“ Benn’t wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung, war aber hoffnungslos unterlegen. Jason stieß ihn nieder und stürzte sich auf die Posten der Eingangshalle.

Er mußte die Überraschung ausnützen, denn wenn die Posten sich gegen ihn zusammenschlossen, war ihre zahlenmäßige Überlegenheit so groß, daß Jason keine Aussicht hatte. Zu seinem Glück hatten die Männer alles andere, aber nur nicht einen plötzlichen Überfall von hinten erwartet. Als Jason sich den Weg freigekämpft hatte, erschien einer der vermummten Mastreguloj.

„Stirb!“ brüllte er und schleuderte Jason einen Glasbehälter nach.

„Danke“, sagte Jason und fing den Behälter mit der freien Hand auf. Dann rannte er hinaus und sprang in das nächste Boot. Seine Verfolger waren zu verwirrt, um ihm nachzusetzen, so daß er ungestört in den dunklen Kanal hinausrudern konnte, wo ihn das Schneetreiben ihren Blicken verbarg.

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