Von den umliegenden Hügeln aus wirkte Appsala wie eine brennende Stadt, die langsam im Meer versank. Erst als die Entfernung sich verringerte, wurde klar, daß der dichte Rauch aus unzähligen Kaminen quoll, die sich aus jedem Dach erhoben, und daß die Stadt unmittelbar am Ufer lag und zudem eine Reihe von Inseln bedeckte, die in der seichten Lagune lagen. Große seetüchtige Schiffe lagen an der Mole vertäut, während unzählige kleinere Kutter und Boote durch die Kanäle gerudert oder gestakt wurden. Jason suchte nach einem Raumhafen oder anderen Zeichen interstellaren Verkehrs, wurde aber enttäuscht. Dann verdeckten die Hügel wieder die Stadt, als der Pfad abbog und zum Meer führte.
Ein ziemlich großes Segelschiff lag dort am Ende des aus Steinquadern bestehenden Piers. Die neuen Sklaven wurden an Händen und Füßen gefesselt und ohne große Formalitäten in den Laderaum gestoßen. Jason warf sich herum, bis er durch einen winzigen Spalt zwischen zwei Planken nach draußen sehen konnte, und schilderte die Fahrt — offenbar nur zum Vergnügen seiner Reisegenossen, in Wirklichkeit aber einfach deshalb, weil der Klang seiner eigenen Stimme ihm neuen Mut gab.
„Unsere Reise nähert sich dem Ende, denn vor uns erhebt sich die romantische und ehrwürdige Stadt Appsala, berühmt für ihre abscheuerregenden Gebräuche, ihre mordlustigen Bewohner und das völlig veraltete Entwässerungssystem, dessen Hauptkloake eben der Kanal zu sein scheint, in den das Schiff in diesem Augenblick einbiegt. Zu beiden Seiten sind Inseln erkennbar, wobei die kleineren mit sogenannten Hütten bedeckt sind, im Vergleich zu denen der schlechteste Kaninchenbau als Palast bezeichnet werden müßte, während die größeren Forts tragen, die eines wie das andere mit Wällen und Barrikaden versehen sind, so daß sie der Welt ein trutzig wehrhaftes Gesicht entgegenrecken. In einer Stadt dieser Größe sind so viele Befestigungen eigentlich überflüssig, deshalb nehme ich an, daß wir es mit den schwer bewachten Hauptquartieren der einzelnen Stämme, Gruppen oder Clans zu tun haben, von denen unser Freund Judas so trefflich zu erzählen wußte. Seht diese Monumente des Egoismus an und nehmt euch in acht — dies ist das Endprodukt eines Systems, das mit Sklavenhaltern wie dem verblichenen Ch’aka beginnt, sich in Familienhierarchien wie bei den sattsam bekannten d’zertanoj fortsetzt und seinen Höhepunkt in der Verderbtheit hinter diesen starken Wällen findet. Auch hier regiert der Stärkste, auch hier ist jeder nur auf seinen persönlichen Vorteil aus, auch hier führt der Weg nach oben über die Leichen derer, die nicht vorsichtig genug waren, und hier werden Erfindungen aller Art als persönliche Geheimnisse behandelt. Noch nie zuvor habe ich einen so extremen Egoismus erlebt und bewundere deshalb die unglaubliche Fähigkeit des Homo sapiens, einen Gedanken oder eine Vorstellung selbst dann logisch zu Ende zu führen, wenn dieser sich als schädlich erwiesen hat.“
Das Schiff schlingerte heftig, als die Segel gerefft wurden, so daß Jason in die Wasserlachen im Kielraum rutschte. „Der Niedergang der Menschheit“, murmelte er vor sich hin, während er sich aus der stinkenden Brühe herauswand.
Das Schiff steuerte gegen die Poller und wurde unter großem Geschrei aller Beteiligten und einigen kräftigen Flüchen des Kapitäns endlich sicher vertäut. Die Luke öffnete sich und die drei Gefangenen wurden auf das Oberdeck geführt. Jason sah sich neugierig um und stellte fest, daß sie sich im Innern eines der Forts befinden mußten, denn ringsum ragten hohe Mauern auf. Hinter ihnen schloß sich eben ein Tor, das den Zugang zum Kanal versperrte. Jason konnte sich nicht länger umsehen, denn er wurde gemeinsam mit den anderen durch lange Gänge getrieben, bis sie schließlich in einem Saal standen, dessen einzige Einrichtung aus einem rostigen Thron bestand, der auf einem Podium aufgestellt war. Der Mann auf dem Thron, ohne Zweifel Hertug Persson höchstpersönlich, trug einen weißen Bart und schulterlanges Haar; seine Nase war knollig und rot, seine Augen blau und wäßrig. Er knabberte an einer kreno.
„Sagt mir“, brüllte der Hertug plötzlich, „warum ich euch nicht auf der Stelle umbringen soll!“
„Wir sind deine Sklaven, Hertug, wir sind deine Sklaven“, riefen die Versammelten im Chor, wobei sie mit den Händen in der Luft herumfuchtelten. Jason verpaßte den ersten Teil, stimmte dann aber kräftig ein. Nur Mikah schwieg beharrlich und erhob seine Stimme erst, als das allgemeine Geschrei vorüber war.
„Ich bin kein Sklave“, behauptete er laut.
Der Offizier, der die beiden Gefangenen begleitet hatte, holte mit seinem Bogen aus. Das Ende der Waffe sauste auf Mikahs Kopf nieder; Mikah ging zu Boden und bewegte sich nicht mehr. „Du hast zwei neue Sklaven, Hertug“, sagte der Offizier.
„Welcher von den beiden kennt das Geheimnis der caroj?“ erkundigte sich der Hertug. Snarbi drängte sich in die erste Reihe und wies auf Jason.
„Der hier, du gewaltigster aller Herrscher. Er kann caroj bauen, weiß aber auch, wie das Ungeheuer konstruiert ist, das sie fortbewegt. Ich weiß es ganz genau, weil ich ihn dabei beobachtet habe. Er hat auch Feuerkugeln gemacht, von denen die d’zertanoj verbrannt wurden, und noch viele andere Dinge. Ich habe ihn mitgebracht, damit er dein Sklave ist und caroj für die Perssonoj baut. Hier sind die Überreste des caro, in dem wir gefahren sind, der von seinem eigenen Feuer verzehrt wurde.“ Snarbi breitete die Werkzeuge und einige Metalltrümmer auf dem Boden aus, aber der Hertug zuckte nur verächtlich mit den Schultern.
„Soll das ein Beweis sein?“ fragte er und wandte sich an Jason. „Das Zeug hier bedeutet nichts. Wie kannst du mir beweisen, daß du alles kennst, was er behauptet, Sklave?“
Jason überlegte schon, ob er nicht einfach alles abstreiten solle, was eine Art Rache an Snarbi bedeutet hätte, der bestimmt ein trauriges Ende finden würde, falls sich herausstellte, daß die ganze Aufregung vergebens gewesen war. Dann kam er aber doch wieder von dem Gedanken ab, weil er keine große Lust verspürte, eine Folterkammer von innen zu sehen. Er kannte die hiesigen Foltermethoden nicht und wollte auch keine Bekanntschaft mit ihnen machen.
„Der Beweis ist leicht zu führen, Hertug aller Perssonoj, weil ich von allem alles weiß. Ich kann Maschinen bauen, die gehen, sprechen, rennen, fliegen, schwimmen, wie Hunde bellen und sich auf den Rücken wälzen können.“
„Kannst du mir einen caro bauen?“
„Das läßt sich machen, wenn ich die richtigen Werkzeuge habe. Aber zunächst muß ich wissen, worauf dein Clan spezialisiert ist, wenn du weißt, was ich damit meine. Die Trozelligoj stellen Motoren her, und die d’zertanoj fördern Öl — was tut ihr?“
„Wie kannst du behaupten, alles zu wissen, wenn du nicht einmal die Ruhmestaten der Perssonoj kennst!“
„Ich stamme aus einem weit entfernten Land, zu dem die Nachrichtenverbindungen schlecht sind.“
„Nicht zwischen den Perssonoj“, sagte der Hertug stolz und schlug sich an die Brust. „Wir sprechen von einem Ende des Landes zum anderen und wissen stets, wo unsere Feinde sind. Wir können einen Zauber in Glaskugeln schicken, damit sie aufleuchten, und einen anderen, der unseren Feinden das Schwert aus der Hand reißt, so daß ihr Herz sich mit Schrecken füllt.“
„Anscheinend habt ihr Vögel das Monopol auf die Elektrizität, was eine angenehme Überraschung ist. Wenn ihr auch noch eine Schmiedepresse habt…“
„Halt!“ unterbrach ihn der Hertug. „Verschwindet! Alle hinaus — bis auf die sciuloj. Der neue Sklave bleibt ebenfalls hier“, rief er, als die Soldaten Jason abführen wollten.
Als die anderen den Saal verlassen hatten, blieben nur ein Dutzend alte Männer zurück, die alle eine reich verzierte Sonne auf der Brust trugen. Jason vermutete, daß dies die Weisen waren, die in die Geheimnisse der Elektrizität eingeweiht waren, denn sie faßten ihre Waffen fester und warfen dem Fremden finstere Blicke zu, der über Kenntnisse zu verfügen schien, die allein ihnen zustanden.
Der Hertug wandte sich wieder an Jason. „Du hast ein heiliges Wort gebraucht. Wer hat es dir verraten? Sprich rasch, sonst lasse ich dich töten.“
„Habe ich dir nicht vorhin gesagt, daß ich alles weiß? Ich kann einen caro bauen und sogar eure Errungenschaften auf dem Gebiet der Elektrizität verbessern, wenn die Technik hier auf dem gleichen Stand wie sonstwo auf diesem Planeten ist.“
„Weißt du, was jenseits der Verbotenen Pforte liegt?“ fragte der Hertug und wies auf eine verriegelte und schwer bewachte Tür am anderen Ende des Saales. „Du kannst nicht gesehen haben, was sich dort befindet, aber wenn du mir beschreibst, wie es dahinter aussieht, glaube ich dir, daß du der große Zauberer bist, der du zu sein behauptest.“
„Ich habe das eigenartige Gefühl, daß ich diesen Unsinn schon einmal mitgemacht habe“, seufzte Jason. „Schön, auf zur nächsten Runde. Ihr stellt Elektrizität her, vielleicht auf chemischem Wege, obwohl damit nicht viel zu erreichen ist, deshalb müßt ihr eine Art Generator haben. Dazu braucht man einen großen Magneten — ein Stück besonderes Eisen, das gewöhnliches Eisen anzieht —, um den herum einige Drahtwicklungen rotieren, wodurch Elektrizität entsteht. Diese wird durch Kupferdrähte zu verschiedenen Geräten geleitet — und das können nicht sehr viele sein. Du sagst, daß ihr von einem Ende des Landes zum anderen sprechen könnt. Ich wette, daß ihr nicht sprecht, sondern immer nur Klicktöne sendet. Habe ich recht?“ Das lauter gewordene Gemurmel der Alten zeigte Jason, daß er die Wahrheit erraten haben mußte.
„Ich habe einen Vorschlag — ich werde das Telefon erfinden, damit ihr wirklich über weite Entfernungen sprechen könnt. Wie würde dir das gefallen, Hertug? Du sprichst hier in einen Apparat, und deine Stimme kommt am anderen Ende des Drahtes heraus.“
Der Hertug kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Früher scheint das möglich gewesen zu sein, aber alle unsere Versuche waren vergebens. Kannst du diesen Apparat bauen?“
„Ich kann — wenn wir zunächst bestimmte Vereinbarungen treffen. Aber bevor ich etwas verspreche, muß ich eure Maschinen sehen.“
Als Jason dieses Verlangen geäußert hatte, protestierten die Alten heftig gegen die Entweihung des Heiligtums, aber dann siegten doch die Geldgier und der Geiz über das Tabu. Schließlich handelte es sich nur um einen Sklaven, den man jederzeit töten konnte, falls Gefahr bestand, daß er etwas verriet. Zwei der sciuloj standen mit gezückten Dolchen neben Jason, als die Tür aufgeschlossen wurde. Der Hertug ging voraus, dann folgte Jason mit seiner siebzigjährigen Leibwache, während die restlichen Alten den Schluß des Zuges bildeten. Jeder von ihnen verbeugte sich auf der Schwelle und murmelte einen Segensspruch.
Eine Welle — ohne Zweifel durch Sklavenkraft angetrieben — ragte in den Raum hinein und setzte eine seltsame Ansammlung von Treibriemen und Riemenscheiben in Bewegung, die letzten Endes eine primitive Maschine betrieben, deren Zweck Jason unklar war. Er mußte erst die Einzelheiten betrachten, um festzustellen, wozu sie dienen mochte.
„Was hast du eigentlich erwartet?“ fragte er sich selbst. „Wenn es zwei Methoden gibt, um etwas zu erreichen, machen diese Leute bestimmt von der schlechteren Gebrauch.“
Die letzte Riemenscheibe war mit einer hölzernen Welle verbunden, die sich mit eindrucksvoller Geschwindigkeit drehte, wenn nicht gerade einer der zahlreichen Treibriemen absprang, was mit monotoner Regelmäßigkeit passierte. Dies geschah auch, während Jason zusah, so daß er feststellen konnte, daß die Welle auf ihrer gesamten Länge mit Eisenringen besetzt war. Um die Welle herum war ein engmaschiges Drahtgeflecht angebracht, das entfernt an einen Vogelkäfig erinnerte. Der ganze Aufbau wirkte wie eine Illustration zu einem Lehrbuch Elektrizität für Anfänger, das in der Bronzezeit erschienen sein mußte.
„Empfindest du nicht einen heiligen Schauder angesichts dieser Wunder?“ fragte der Hertug, dem aufgefallen war, daß Jason die Maschine mit offenem Mund und glasigen Augen anstarrte.
„Ich empfinde tatsächlich einen Schauder“, versicherte Jason ihm. „Aber nur deshalb, weil ich nicht verstehe, wie man mit dieser unmöglichen Konstruktion Strom erzeugen kann.“
„Gotteslästerer!“ kreischte der Hertug. „Bringt ihn um!“
„Langsam!“ sagte Jason und griff nach den Armen seiner Leibwächter. Er riß die beiden sciuloj zu sich heran, um vor den Angriffen der anderen geschützt zu sein. „Du darfst mich nicht mißverstehen. Der Generator ist großartig, sozusagen das achte Weltwunder — obwohl das Wunder darin besteht, daß er überhaupt Strom erzeugt. Eine überwältigende Erfindung, die ihrer Zeit um Jahre voraus ist. Aber ich könnte einige Verbesserungen vorschlagen, die mehr Strom mit weniger Arbeit erzeugen würden. Vermutlich wißt ihr doch, daß Strom entsteht, wenn ein Magnetfeld an einem Draht vorbeigeführt wird?“
„Mit Ungläubigen diskutiere ich nicht über Theologie“, antwortete der Hertug kalt.
„Theologie oder Wissenschaft, die Ergebnisse sind doch dieselben“, fuhr Jason fort. Er verstärkte den Druck auf die Arme seiner Leibwächter, so daß sie die Waffen fallen ließen. Die übrigen sciuloj schienen keine große Lust zu verspüren, über den körperlich weit überlegenen Fremden herzufallen. „Aber ist euch schon einmal aufgefallen, daß sich das gleiche Ziel auch erreichen läßt, wenn man den Draht durch das Magnetfeld führt, anstatt umgekehrt? Auf diese Weise entsteht der Strom mit einem Zehntel der zuvor erforderlichen Arbeit.“
„Wir haben es immer so gehalten, und was für meine Vorfahren gut genug war…“
„Ich weiß, du brauchst dich nicht weiter zu bemühen. Ich habe das gleiche Zitat auf diesem Planeten schon oft genug gehört.“ Die bewaffneten sciuloj bewegten sich auf Jason zu und hoben drohend die Dolche. „Hör zu, Hertug — sollen sie mich abschlachten oder nicht? Du mußt deinen Leuten klare Befehle geben, damit sie wissen, was sie zu tun haben.“
„Nicht töten“, sagte der Hertug. „Vielleicht hat er doch recht und kann tatsächlich Verbesserungsvorschläge machen.“
Nachdem die unmittelbar drohende Gefahr gebannt war, untersuchte Jason das merkwürdige Gerät am anderen Ende des Raumes, wobei er sorgfältig darauf achtete, seine Reaktion nicht sichtbar werden zu lassen. „Ich nehme an, der wundersame Apparat dort drüben ist der heilige Telegraf?“
„Eben der“, antwortete der Hertug andachtsvoll. Jason unterdrückte ein Lächeln.
Kupferdrähte führten von der Decke herab und endeten in einem grob gewickelten Elektromagneten, der in der Nähe eines eisernen Pendels angebracht war. Wurde der Elektromagnet unter Strom gesetzt, zog er das Pendel an; floß kein Strom, fiel das Pendel durch sein Gewicht wieder in die ursprüngliche Lage zurück. Ein spitzer Schreibstift, in den das Pendel auslief, saß auf einem mit Wachs überzogenen Kupferblechstreifen auf und übertrug die Bewegungen des Pendels in Form von Kerben auf das Wachs. Der Kupferstreifen wurde in Nuten geführt und bewegte sich rechtwinklig zu der Schwingebene des Pendels, wobei er durch ein Gewicht nach vorn gezogen wurde.
Während Jason die Maschine betrachtete, setzte sich der Mechanismus quietschend in Bewegung. Der Elektromagnet summte, das Pendel schwang aus, der Schreibstift hinterließ eine Spur auf dem Wachs, das Räderwerk knarrte, und der Streifen wurde von dem Gewicht nach vorn gezogen. Zwei sciuloj standen aufmerksam daneben, um einen neuen Kupferstreifen einzuspannen, wenn der erste beschrieben war.
An einem Tisch neben dem Gerät wurde die übermittelte Nachricht sichtbar gemacht, indem rote Farbe über die Wachsschicht gegossen wurde, die nur in den von der Nadel zurückgelassenen Kerben haftete. Dann wurde der Blechstreifen zum nächsten Tisch getragen, wo die verschlüsselten Informationen in Schreibschrift übertragen wurden. Das Verfahren war so langsam und umständlich, daß es ohne weiteres verbessert werden konnte.
„Hertug aller Perssonoj“, begann er mit einer leichten Verbeugung, „ich habe nun die heiligen Wunder gesehen und vergehe fast vor Ehrfurcht. Fern sei es von mir gewöhnlichem Sterblichen, diese göttlichen Werke verbessern zu wollen — zumindest nicht sofort —, aber ich kenne bestimmte andere Geheimnisse auf dem Gebiet der Elektrizität, die mir die Götter anvertraut haben.“
„Zum Beispiel?“ fragte der Hertug mit zusammengekniffenen Augen.
„Zum Beispiel — wie sagt man auf Esperanto dazu? — das Geheimnis des akumulatoro. Hast du schon einmal davon gehört?“
„Das Wort wird in den älteren Heiligen Werken erwähnt, aber wir wissen nicht, was es bedeutet.“ Der Hertug fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
„Dann kannst du gleich ein neues Kapitel beginnen, denn ich werde euch kostenlos und ohne Verpflichtung eine Leydener Flasche herstellen und sämtliche Anweisungen für Serienfabrikation mitliefern. Dadurch kann man Elektrizität in eine Flasche füllen, als handle es sich um Wasser. Später können wir uns komplizierteren Batterien zuwenden.“
„Wenn du das kannst, sollst du reich belohnt werden. Aber wenn du versagst, wirst du…“
„Keine Drohungen, Hertug! Dieses Stadium haben wir längst hinter uns gelassen. Und auch keine Belohnungen. Ich habe dir doch gesagt, daß ich ein kostenloses Musterexemplar liefern werde, ohne etwas dafür zu verlangen — vielleicht nur einige Erleichterungen wie Befreiung von diesen Fesseln, anständige Unterbringung und gutes Essen. Wenn du dann mit mir und meiner Arbeit zufrieden bist, können wir ins Geschäft kommen. Einverstanden?“
„Ich werde über deine Forderungen nachdenken“, antwortete der Hertug ausweichend.
„Ja oder nein, mehr will ich gar nicht. Was hast du schon dabei zu verlieren?“
„Deine Begleiter bleiben als Geiseln im Gefängnis und werden auf der Stelle umgebracht, wenn du nicht leistest, was du versprichst.“
„Eine ausgezeichnete Idee. Ich würde sogar vorschlagen, daß du den einen namens Mikah arbeiten läßt, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt. Für meine Arbeit brauche ich allerdings einige Materialien, die ich hier nicht sehe. Ein großes Gefäß und eine Menge Zinn.“
„Zinn? Das kenne ich nicht.“
„Doch, du kennst es sogar gut. Es ist das weiße Metall, das mit Kupfer vermischt wird, um Bronze zu erzeugen.“
„Stano. Das haben wir reichlich.“
„Dann sollen die Leute es heranschaffen, damit ich mit der Arbeit beginnen kann.“
Theoretisch ist die Herstellung einer Leydener Flasche einfach — wenn man die Materialien dazu zur Verfügung hat. Dieser Punkt bereitete Jason einige Schwierigkeiten. Die Perssonoj stellten selbst kein Glas her, sondern kauften es von den Vitristoj, die auf dieses Gebiet spezialisiert waren. Diese Glasbläser produzierten allerdings nur kleinere Flaschen und waren entsetzt, als Jason ihnen vorschlug, ein größeres Gefäß nach seinen Spezifikationen herzustellen. Als sie jedoch Geld witterten, ließen sie alle Bedenken fallen und wollten das Einzelstück nach Jasons Angaben für eine horrende Summe anfertigen. Der Hertug fluchte heftig, zählte aber schließlich doch die Goldstücke auf den Tisch.
„Du wirst einen schrecklichen Tod erleiden“, drohte er Jason, „wenn dein akumulatoro nicht funktioniert.“
„Der Glaube versetzt Berge“, tröstete Jason ihn und ging zu den Arbeitern hinüber, die unter seiner Anleitung das Zinn zu hauchdünnen Plättchen hämmern mußten.
Jason hatte weder Mikah noch Ijale zu Gesicht bekommen, seit er mit dieser Arbeit beschäftigt war, machte sich aber keine Sorgen um sie. Ijale war an das Sklavenleben gewöhnt und würde sich nicht selbst in Schwierigkeiten bringen, während Jason dem Hertug die Wunder der Elektrizität verkaufte. Mikah war jedoch nicht daran gewöhnt, als Sklave behandelt zu werden, und Jason freute sich bei dem Gedanken daran, daß er öfters mit der Peitsche oder dem Stock Bekanntschaft machen würde. Seit dem letzten Fiasko hatte er nichts für seinen Lebensretter übrig.
„Es ist angekommen“, verkündete der Hertug. Die sciuloj murmelten mißtrauisch vor sich hin, während das Glasgefäß ausgepackt wurde.
„Nicht schlecht“, meinte Jason und hielt es gegen das Licht. „Aber das hier ist die zwanzig Liter enthaltende Familienflasche — ziemlich genau viermal so groß wie das Gefäß, das ich bestellt habe.“
„Für viel Geld gibt es viel Glas“, sagte der Hertug. „Das ist nur gerecht. Warum beklagst du dich also? Fürchtest du einen Mißerfolg?“
„Ich fürchte gar nichts. Aber ein so großer akumulatoro macht natürlich wesentlich mehr Arbeit. Außerdem ist er nicht ungefährlich; diese Leydener Flaschen nehmen eine ganz schöne Ladung auf.“
Jason ignorierte die neugierigen Zuschauer und bedeckte das Glasgefäß innen und außen bis zu zwei Dritteln seiner Höhe mit Zinnfolie. Dann schnitt er einen Stopfen aus gumi zurecht, der zu Isolationszwecken geeignet war, und bohrte ein Loch hindurch. Die Perssonoj sahen gespannt zu, als er einen Eisenstab durch das Loch stieß, den er am längeren Ende mit einer Eisenkette und am kürzeren mit einer Eisenkugel versah.
„Fertig“, stellte er dann fest.
„Aber… wie funktioniert denn das Ding?“ wollte der Hertug wissen.
„Ich werde es euch gleich zeigen.“ Jason setzte den Stopfen auf das Gefäß, so daß die Kette auf der inneren Zinnverkleidung auflag. Er wies auf die Kugel, die oben herausragte. „Das hier wird an den Minuspol des Generators angelegt; die Elektrizität fließt durch Kugel, Stab und Kette und sammelt sich auf der Zinnverkleidung. Wir lassen den Generator laufen, bis die Flasche voll ist, und unterbrechen dann die Verbindung. Das Gefäß enthält dann eine elektrische Ladung, die wir ausnützen können, indem wir einen Draht an die Kugel anlegen. Verstanden?“
„Unsinn!“ widersprach einer der älteren sciuloj und machte eine bedeutungsvolle Bewegung mit dem Zeigefinger, die auf Jasons Geisteszustand gemünzt war.
„Wartet nur ab“, sagte Jason ruhig, obwohl er von dem Erfolg seines Experiments keineswegs hundertprozentig überzeugt war. Schließlich hatte er die Leydener Flasche aus dem Gedächtnis nach einem alten Physikbuch gebaut, das er in seiner Jugend gelesen hatte. Jetzt erdete er den Pluspol des Generators und tat das gleiche mit der Außenverkleidung der Flasche, indem er einen Draht bis zu dem langen Nagel spannte, den er durch den Fußboden hindurch in die feuchte Erde getrieben hatte.
„Anwerfen!“ rief er dann und trat mit verschränkten Armen einen Schritt weit zurück.
Der Generator drehte sich quietschend, aber das Gefäß veränderte sich nicht sichtbar. Jason wartete einige Minuten lang, weil er sichergehen wollte, daß die Ladung ausreichte, um die Zweifler zu überzeugen. Außerdem hatte er nicht die geringste Ahnung, wie groß die Kapazität der Flasche sein mochte. Erst als die sciuloj immer lauter zu murren begannen, trat er wieder vor und trennte die Verbindung mit Hilfe eines Gummistabs.
„Haltet den Generator an; die Arbeit ist getan. Der akumulatoro ist jetzt bis zum Rand mit heiliger Elektrizität gefüllt.“ Er zog den Tisch heran, auf dem er einige primitive Glühlampen aufgebaut hatte, die in Serie geschaltet waren. Die Leydener Flasche mußte jetzt eine Ladung enthalten, die ausreichte, um die Lampen aufleuchten zu lassen. Hoffentlich.
„Gotteslästerei!“ kreischte der gleiche alte sciulo und schlurfte herbei. „In den Heiligen Schriften steht ausdrücklich, daß die Heilige Kraft nur fließt, wenn der Weg ununterbrochen ist, und wenn der Weg unterbrochen ist, kann nichts fließen. Aber dieser Fremde wagt zu behaupten, daß das Gefäß die Heilige Kraft enthält, obwohl nur ein Draht damit verbunden war. Lügner und Gotteslästerer!“
„Das würde ich nicht tun, wenn ich an deiner Stelle wäre…“, riet Jason dem Alten, der jetzt auf die Eisenkugel über der Leydener Flasche wies.
„Hier ist keine Kraft — hier kann keine Kraft vorhanden sein…“ Seine Stimme brach plötzlich ab, als sein Zeigefinger sich der Kugel auf drei Zentimeter genähert hatte. Ein blauer Funken sprang von der Kugel auf den Finger über, und der sciulo fiel mit einem heiseren Schrei zu Boden. Einer der anderen beugte sich über ihn und fühlte seinen Puls.
„Er ist tot“, keuchte er dann mit einem ängstlichen Blick auf das Gefäß.
„Jedenfalls habe ich ihn zu warnen versucht“, sagte Jason, der das Eisen schmieden wollte, solange es warm war. „Er war der Gotteslästerer!“ rief er und stellte erfreut fest, daß die Alten zurückwichen. „Die Heilige Kraft befand sich in dem Gefäß. Aber er zweifelte daran, und deshalb tötete sie ihn. Zweifelt nicht länger, sonst erleidet ihr das gleiche Schicksal. Unsere Aufgabe als sciuloj“, fügte er hinzu und beförderte sich unauffällig, „besteht darin, daß wir die Elektrizität zur Ehre des Hertugs bändigen. Dieser Tote hier soll uns ein mahnendes Beispiel sein, falls wir einmal vom rechten Weg abzukommen drohen.“ Die Alten zogen sich zurück, starrten die Leiche an und schienen begriffen zu haben, was Jason meinte.
„Die Heilige Kraft kann töten“, stimmte der Hertug lächelnd zu und warf einen kurzen Blick auf den toten sciulo. Dann rieb er sich die Hände. „Das ist eine wunderbare Entdeckung. Wir wußten schon immer, daß man davon einen Schlag oder sogar Brandwunden davontragen kann, aber diese Eigenschaft war uns unbekannt. Unsere Feinde werden vor uns zurückweichen.“
„Ganz bestimmt“, sagte Jason und holte einige Zeichnungen aus der Tasche, die er vorbereitet hatte. „Hier, sieh dir diese Wunder an. Ein Elektromotor, der schwere Lasten heben kann, ein Lichtbogen, dessen Schein die Nacht durchdringt, ein Verfahren, das die Herstellung dünner Metallüberzüge gestattet, und noch viele andere. Sie stehen alle zu deiner Verfügung, Hertug.“
„Beginne sofort mit der Arbeit!“
„Augenblicklich — aber zuerst müssen wir uns noch über die Vertragsbedingungen einig werden.“
„Ich weiß nicht recht…“
„Die ganze Sache wird dir noch viel weniger gefallen, wenn du die Einzelheiten hörst, aber sie ist die Mühe wert.“ Jason beugte sich vor und flüsterte in das Ohr des anderen. „Wie würde dir eine Maschine gefallen, die selbst den stärksten Wall zertrümmert, damit du die Festungen deiner Gegner erobern und ihre Geheimnisse erbeuten kannst?“
„Alle hinaus!“ befahl der Hertug. Als er wieder mit Jason allein war, sah er ihn fragend an. „Wie war das mit dem Vertrag?“
„Freiheit für mich, die Stellung eines persönlichen Beraters, Sklaven, Juwelen, Mädchen, gutes Essen — der übliche Kleinkram, der mit solchen Jobs verbunden ist. Als Gegenleistung baue ich alle diese Maschinen und noch viele andere. Für mich ist nichts unmöglich! Und alles gehört dann dir…“
„Ich werde sie alle vernichten — ich werde Appsala beherrschen!“
„Das hatte ich erwartet, denn je besser die Dinge für dich stehen, desto besser stehen sie auch für mich. Ich will nur ein behagliches Leben führen und in Ruhe an meinen Erfindungen arbeiten können, denn mein persönlicher Ehrgeiz ist gering. Ich bin glücklich, wenn ich im Laboratorium werkeln kann, während du die Welt beherrschst.“
„Du verlangst viel…“
„Ich leiste aber auch viel. Warum überlegst du dir meinen Vorschlag nicht einen oder zwei Tage? In der Zwischenzeit baue ich eine weitere Maschine, die dich belehren und überzeugen wird.“
Jason erinnerte sich an den Funken, der den alten sciulo zu Boden gestreckt hatte, und faßte wieder Hoffnung. Vielleicht hatte er jetzt endlich den Weg in die Freiheit gefunden.