KAPITEL V EIN TREFFEN VON GESPENSTERN

Owen Todtsteltzer, der höchst bemerkenswerte Held und zögerliche Rebell, stand am Rand der Stadt der Hadenmänner, tief in den Eingeweiden der Wolflingswelt, und tappte ungeduldig mit dem Fuß. Er wartete nun bereits seit einiger Zeit auf Hazel D’Ark und war fest entschlossen, auch noch ein gutes Stück länger zu warten, wenn es sein mußte. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er seit einigen Wochen einen großen Teil seiner Zeit damit verbrachte, auf Hazel zu warten. Darauf, daß sie ihm die Gunst ihres Erscheinens erwies. Für jemanden, der ständig in Eile war, hatte Hazel eine überraschend schwach ausgeprägte Neigung zur Pünktlichkeit, ganz besonders dann, wenn andere Leute auf sie warteten. Sie würde bestimmt zu ihrer eigenen Beerdigung zu spät kommen, wenn sie dadurch sicher sein könnte, das letzte Wort zu haben. Hazel sollte sich hier mit Owen treffen, um gemeinsam mit ihm hinauf in die Festung zu teleportieren, die legendäre Fluchtburg des ersten Todtsteltzers, die noch immer im Orbit um die Wolflingswelt kreiste. Aber im Augenblick hielt Hazel sich in der Stadt auf.

Sie war mit irgend etwas beschäftigt, das er nicht wissen durfte, und Owen blieb nichts anderes übrig, als wie ein vergessener Blumenstrauß bei einer Hochzeit herumzustehen und auf Madame D’Ark zu warten. Er wußte, wo sie steckte; er konnte ihre Gegenwart durch die gemeinsame mentale Verbindung spüren. Aber in der letzten Zeit war diese Verbindung verschwommen und unsicher geworden, als hätte sich irgend etwas dazwischen gedrängt. Owen war davon überzeugt, daß es etwas mit ihren gelegentlichen Abstechern in die Stadt der Hadenmänner zu tun hatte. Vielleicht würde er ja diesmal herausfinden, was genau sie dort machte.

Owen seufzte und starrte einmal mehr auf das Chronoimplantat an seinem Handgelenk. Oben im Orbit, in der Großen Halle der alten steinernen Fluchtburg, die zugleich ein unglaublich starkes Raumschiff war, hatten sich Repräsentanten von Rebellen und Freiheitskämpfern aus dem gesamten Imperium zu einem großen Konzil versammelt, um die Zukunft der herannahenden Rebellion zu besprechen. Und er, Owen Todtsteltzer, steckte hier unten am Stadtrand fest und wartete auf Hazel. Er hätte natürlich auch ohne sie gehen können. Hazel hatte sogar darauf bestanden, daß er schon vorausging, aber Owen wollte verdammt sein, wenn er das auch täte. Sie führte etwas im Schilde, und Owen wollte wissen, was. Möglich, daß er sie liebte, aber das hieß noch lange nicht, daß er ihr weiter über den Weg traute, als ein zahnloser Mann gegen den Wind spucken konnte. Hazel D’Ark war Piratin und Klonpascherin gewesen, lange bevor sie sich dazu entschlossen hatte, die eher zweifelhafte Laufbahn einer Rebellin einzuschlagen. Und außerdem stimmte irgend etwas nicht mit ihr. Sie war in letzter Zeit so durcheinander gewesen. In der einen Minute fröhlich und voller Zuversicht, in der nächsten niedergeschlagen und deprimiert. Und wenn sie nicht schlecht gelaunt war, dann schien sie mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Was nicht vollkommen untypisch war für Hazel D’Ark. Doch in letzter Zeit war es immer schlimmer geworden, schlimm genug jedenfalls, daß Owen sich Gedanken zu machen begonnen hatte.

Vielleicht lag es an der Belastung, ein Leben als Rebellin führen zu müssen und ständig auf der Flucht zu sein. Oder es war ein Nebeneffekt einer der vielen Veränderungen, die sie im Labyrinth des Wahnsinns erfahren hatte. Egal, was – wenn Owen ihr helfen wollte, mußte er wissen, was Hazel fehlte.

Und genau das war der Grund, aus dem er sich vorgenommen hatte, hier auf Hazel zu warten, bis die Hölle einfror…, wenn es sein mußte. Owen wollte wissen, was sie in der Stadt der Hadenmänner machte. Die riesige Stadt erstreckte sich vor Owens Augen, eine Ansammlung von glänzendem Metall und Glas, ausgebreitet auf dem Boden einer gigantischen Kaverne.

Es gab Türme, schwebende Gehwege und quadratische Bauwerke mit scharfen Ecken und Kanten, und alle waren hell erleuchtet und verdrängten den düsteren Schein der Kaverne. Die Stadt war vor langer Zeit von den ersten Hadenmännern erbaut worden, und in dieser nichtmenschlichen Wiege waren sie gewachsen und mächtig geworden. Die Hadenmänner hatten die Stadt hinter sich gelassen, als sie den Krieg gegen das Imperium begonnen hatten. Die meisten waren nie zurückgekehrt. Die wenigen Überlebenden hatten sich in der Gruft niedergelegt, geschlagen und verzweifelt, und beschlossen, so lange zu warten, bis die Zeit reif war, in Glanz und Glorie wieder aufzuwachen. Während sie schliefen, hatte die Stadt sich selbst erhalten… bis vor kurzer Zeit, als sie von der Energiekanone einer Pinasse in Schutt und Asche gelegt worden war. Kapitän Schwejksam und seine Landungsmannschaft hatten nur Ruinen übriggelassen. Traurige Scherben einer großen Vergangenheit.

Inzwischen waren die erwachten Hadenmänner vollauf damit beschäftigt, ihre Stadt wiederaufzubauen. Langsam erwachte das riesige Gebilde wieder zum Leben, begann wieder zu strahlen und zu funkeln. Einer der Hadenmänner hatte Owen und Hazel zur Besichtigung der Stadt eingeladen, und allein der Anblick der rätselhaften und mißgestalteten Strukturen ringsum hatte ausgereicht, um Owen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken zu jagen. Die Bauwerke waren nicht für menschliches Wohlbehagen oder menschliche Logik errichtet worden. Die überall herrschende Stille war merkwürdig und beunruhigend, und keine Maschine und kein Apparat durchbrach sie jemals. Kein einziges Bauwerk glich dem anderen, und überall fanden sich eigenartige Umrisse und unmögliche Winkel, wie die bedrohlichen Städte, die man hin und wieder in schlimmen Alpträumen erblickt, in jenen Stunden, in denen die Nacht am dunkelsten ist. Die Besichtigungstour hatte bei Owen und Hazel starke Kopfschmerzen hervorgerufen. Sie hatten sich bei ihren Gastgebern entschuldigt und waren so rasch aus der Stadt verschwunden, wie es, ohne unhöflich zu werden, nur möglich gewesen war. Owen war nie wieder in die Stadt gegangen, im Gegensatz zu Hazel.

Owen erschauerte plötzlich, als sein Blick über die Stadt glitt, und tief in seinem Innern regte sich die Überzeugung, daß die Stadt seine Anwesenheit spürte und ihn aus tausend verborgenen Augen beobachtete. Überall waren Haldenmänner zu sehen, führten Arbeiten durch, die Owen nicht verstand, eilten mit unbekannten Aufträgen hierhin und dorthin wie Ameisen in einem Nest – und nie, niemals sprachen sie auch nur ein einziges Wort. Immer herrschte Schweigen. Die Hadenmänner kommunizierten auf einer Ebene, die sich dem gewöhnlichen Menschen verschloß, wurden zu einer Art Kollektivbewußtsein, einem einzigen Ganzen, das weit größer war als die Summe seiner Teile, und sie arbeiteten auf ein Ziel hin, das kein Mensch je begreifen konnte. Giles Todtsteltzer, Owens verehrter Vorfahr und Ahnherr, hatte die Theorie geäußert, daß die Stadt eine physische Manifestation des Kollektivbewußtseins wäre, und wenn sie erst wieder repariert sei, dann wären auch die Hadenmänner bereit.

Owen hatte in seinem Leben nur einen einzigen Hadenmann kennengelernt, und das war Tobias Mond gewesen. Mond hatte so lange unter Menschen gelebt, daß er zu seinem eigenen Entsetzen selbst beinahe völlig menschlich geworden war. Er starb bei dem Versuch, sein Volk in der Gruft zu wecken, und er erlebte das Erwachen seiner Brüder nicht mehr. Am Ende hatte Owen die Hadenmänner geweckt…, und seitdem war kein ganzer Tag vergangen, als ihm bereits die ersten Zweifel gekommen waren, ob das eine seiner besten Ideen gewesen war.

Die Hadenmänner hatten Mond repariert, und sein Körper funktionierte inzwischen wieder völlig normal, doch Tobias Monds Bewußtsein und seine Erinnerungen waren nicht wieder zurückgekehrt. Sie waren für immer verloren, aber irgendwie empfand Owen keine Trauer deswegen. Tote sollten tot bleiben.

»Wenn Hazel noch länger dort bleibt, werden wir ein Suchkommando ausschicken müssen«, brummte die KI Ozymandius in Owens Ohr.

»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, daß ich nicht mehr mit dir spreche«, sagte Owen. »Ich weiß nicht, wer oder was du bist, aber du bist nicht mein Oz. Ich habe ihn zerstört.«

»Du bist verdammt nah dran gewesen«, erwiderte Oz leise.

»Aber knapp daneben ist halt auch vorbei. Ich bin immer noch da. Und ich wünschte, du würdest mir zuhören. Mir liegt nur unser Bestes am Herzen.«

»Du hast gar kein Herz.«

»Oh, bist du aber pingelig! Spiel dich ja nicht so auf, Owen.

Mag ja sein, daß du inzwischen ein Held bist und die große neue Hoffnung der Rebellion, aber ich kannte dich schon, da hast du nichts anderes im Kopf gehabt, als lange zu schlafen und welchen Wein du diesmal zum Abendessen trinken würdest. Ich habe nicht die Absicht zuzulassen, daß dir dein gegenwärtiger Erfolg zu Kopf steigt.«

»Wenn du wirklich Oz bist«, fragte Owen zögernd, »wie kommt es dann, daß nur ich allein dich hören kann? Wenn du auf meinem Komm-Kanal sendest, dann müßten auch andere Leute dich empfangen.«

»Frag mich nicht«, antwortete Ozymandius. »Ich bin nur eine Künstliche Intelligenz. Irgend etwas Eigenartiges ist mit mir geschehen, das ist jedenfalls sicher. Aber ich bin wieder da. Du darfst mir ruhig gratulieren.«

»Du bist ein Imperialer Spion!« knurrte Owen. »Ich habe dir vertraut und mich auf dich verlassen, seit ich ein Kind war, und du hast mich betrogen. Du hast Kontrollworte in mein Gehirn eingepflanzt und mich dazu gebracht, daß ich beinahe meine Freunde getötet hätte.«

»Man hat mich so programmiert«, verteidigte sich Ozymandius. »Ich hatte gar keine andere Wahl! Aber das ist jetzt alles vorbei, und wenn es noch immer Kontrollworte gibt, dann erinnere ich mich jedenfalls nicht an sie. Vielleicht war das alles nur ein Überzug, den das Imperium installiert hat, und du hast ihn mit deinen neuen mentalen Fähigkeiten zerstört. Im Vertrauen, Owen: Ich freue mich, daß du ein Rebell geworden bist.

Als Aristokrat hast du nie besonders viel getaugt. Außerdem will ich, daß du dem Imperium in den Arsch trittst. Man hat mich mißbraucht, um dich zu verletzen. Ich werde so etwas nie wieder zulassen.«

Owen erwiderte nichts. Ein Teil von ihm wollte glauben, daß es wirklich Oz war, mit dem er sprach, daß sein Freund wieder zurückgekehrt war, aber er hatte gespürt, wie Ozymandius in seinem Bewußtsein gestorben und wie er in einer Dunkelheit ohne Ende verschwunden war. Doch wenn das hier nicht Oz war, wer war es dann? Irgendeine andere KI, die sich über die alte Verbindung zu Oz in sein Bewußtsein schaltete? Etwas, das er im Labyrinth des Wahnsinns gefunden hatte? Oder wurde Owen einfach langsam wahnsinnig und brach unter dem Druck zusammen, einer der Anführer der neuen Rebellion zu sein? Und wenn er wahnsinnig wurde, war er verpflichtet, es den anderen zu sagen?

»Wer auch immer du bist, halt den Mund!« sagte Owen schließlich. »Ich habe im Augenblick schon genug, über das ich mir den Kopf zerbrechen muß.«

»Wie du meinst«, entgegnete Ozymandius. »Ruf mich, wenn du deine Meinung änderst. Ich werde so lange Däumchen drehen und Elektronen zählen.«

Owen wartete ein paar Sekunden, doch in seinem Kopf war plötzlich alles ruhig. Das einzige Geräusch kam von hinten, wo ein paar Hadenmänner damit beschäftigt waren, kleinere Schäden an dem goldenen Schiff zu reparieren, mit dem Owen von Golgatha zurückgekehrt war. Anscheinend ging es in der Hauptsache darum, die hintere Finne mit schweren Hämmern und einer Menge Enthusiasmus wieder geradezuklopfen. Owen wollte verdammt sein, wenn er irgendwelche Schäden an dem Schiff erkennen konnte, aber so waren die aufgerüsteten Männer eben. Ständig bei der Arbeit, ständig mit irgend etwas beschäftigt, ständig beim Reparieren und Verbessern, auf der Suche nach Perfektion. Owen wandte rechtzeitig den Kopf in Richtung des Schiffes, um zwei Frauen mit identischen Gesichtern zu erblicken, die aus der offenen Frachtschleuse traten. Er nickte höflich, als sie auf ihn zukamen, die Stevie Blues, Esper-Klone und Repräsentanten der Untergrundbewegung Golgathas. Jedesmal, wenn er sie anblickte, erinnerte sich Owen an die dritte Stevie Blue, die auf der Flucht aus dem Gebäude der Steuerbehörde gestorben war, obwohl er alles nur Menschenmögliche für ihre Rettung getan hatte. All seine neuen Kräfte und Fähigkeiten, und er war trotzdem nicht imstande gewesen, ein einziges Menschenleben zu retten, als es darauf angekommen war. Die Stevie Blues waren Klone, Frauen und miteinander verheiratet – eine Beziehung, die enger und fester war als alles, was Owen sich vorstellen konnte. Wie mußten sie sich fühlen, nachdem die dritte von ihnen tot war? Sie blieben vor ihm stehen und nickten respektvoll.

»Hallo«, sagte die Linke der beiden. »Ich bin Stevie Eins, das dort ist Stevie Drei. Verwechselt uns nicht, das macht uns verrückt.«

»Es tut mir so leid wegen Stevie Zwo«, erklärte Owen. »Ich hätte alles gegeben, um sie zu retten.«

»Ihr habt Euer Leben riskiert bei dem Versuch, das ihre zu retten«, erwiderte Stevie Eins. »Ein Esper und Klon, den Ihr kaum kanntet. Das ist eine Menge mehr, als die meisten getan hätten.«

»Ihr Tod wird gerächt werden«, entgegnete Owen. »Auch wenn das nur ein verdammt schwacher Trost ist.«

»Kalter Trost ist besser als gar keiner«, sagte Stevie Eins, und Stevie Drei nickte. Stevie Eins blickte zu dem goldenen Schiff zurück und musterte die emsigen Hadenmänner.

»Scheußliche Leute, nicht wahr? Ich habe Verkaufsautomaten gesehen, die menschlicher waren als diese Bande, und sprechende Aufzüge mit mehr Persönlichkeit. Mir laufen dauernd Schauer über den Rücken.«

»Richtig«, stimmte Stevie Drei ihrer Schwester zu. »Und es hilft auch nichts, daß sie von uns fasziniert sind. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so fasziniert von mir war und nicht gleich versucht hat, in meine Hose zu gelangen. Anscheinend gab es zu ihrer Zeit keine Esper-Klone. Sie fragen uns immer wieder höflich, ob wir nicht Lust hätten, ihren Laboratorien einen Besuch abzustatten, aber ich habe den starken Verdacht, daß sie uns bloß auseinandernehmen wollen, um zu sehen, wie wir funktionieren. Buchstäblich.«

»Wahrscheinlich habt Ihr recht«, erwiderte Owen. »Sie haben auch eine Anzahl Wampyre von der Imperialen Streitmacht, die wir geschlagen haben, gefangengenommen – und keiner von ihnen ist je wieder aufgetaucht.«

»Zur Hölle!« entfuhr es Stevie Eins. »Wenn man vom Teufel spricht: Da kommt noch einer!«

Ein einzelner Hadenmann kam vom goldenen Schiff zielstrebig auf die kleine Gruppe zu. Owen wußte nicht, ob er diesen hier bereits kannte oder nicht. Für ihn sahen sie alle gleich aus.

Er war groß, perfekt gebaut und bewegte sich mit dem Inbegriff an Grazie und Eleganz. Seine goldenen Augen leuchteten wie die Sonne. Halb Mensch, halb Maschine, doch mehr als beides. Und wie alle seiner Art extrem stur. Die beiden Stevies wechselten einen Blick. Stevie Eins zog eine Münze hervor und warf sie in die Luft.

»Kopf«, sagte Stevie Drei, während die Münze noch in der Luft schwebte. Stevie Eins fing sie auf und schlug sie auf ihren Handrücken. Stevie Drei blickte hin und verzog das Gesicht.

»Verdammt«, sagte sie.

»Du hast verloren«, sagte Stevie Eins, und die beiden wandten sich mit dem gleichen kalten Ausdruck im Gesicht zu dem Hadenmann um.

Der aufgerüstete Mann blieb vor ihnen stehen, und als er zu sprechen begann, klang seine Summstimme ruhig und sehr vernünftig. »Ihr müßt einer Untersuchung zustimmen. Es ist unbedingt erforderlich, daß wir die Veränderungen begreifen, die während unserer Abwesenheit in der menschlichen Rasse stattgefunden haben.«

»Wir sind keine Versuchskaninchen«, erklärte Stevie Eins.

»Richtig«, stimmte ihre Schwester zu. Blaue Flammen zuckten rings um sie herum auf und leckten an ihrem Körper, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Owen und Stevie Eins wichen einen Schritt zurück, die Hände erhoben, um das Gesicht vor der sengenden Hitze zu schützen, doch der Hadenmann blieb ungerührt vor ihr stehen. Die Hitze schien ihm nicht das geringste auszumachen. Stevie Drei grinste böse und erhöhte die Temperatur noch ein wenig. Schweißperlen traten auf die Stirn des Hadenmanns.

»Ich bin ja so froh, daß wir uns ein wenig unterhalten konnten«, sagte Stevie Drei. »Und jetzt macht, daß Ihr von hier verschwindet, oder ich schweiße Euch die Beine aneinander.«

Der Hadenmann dachte einen Augenblick nach. Schwarze Brandspuren breiteten sich auf seinem einfachen Umhang aus.

Dann trat er einen Schritt vor und brachte sein Gesicht ganz dicht vor das von Stevie Drei. Das Licht aus seinen goldenen Augen blendete sie beinahe aus dieser geringen Entfernung.

»Wir werden später noch einmal darüber sprechen müssen«, sagte er.

»Ja, richtig«, entgegnete Stevie Drei, während sie gegen den Impuls ankämpfte, ihrerseits einen Schritt zurückzuweichen.

»Später ist ein guter Zeitpunkt.«

Der Hadenmann wandte sich ohne sonderliche Eile ab und stapfte in Richtung der glänzenden Stadt davon. Owen und die beiden Stevies blickten ihm hinterher, und keiner der drei sprach ein Wort, bis sie sicher waren, daß der Hadenmann außer Hörweite war. Owen wandte sich zu Stevie Drei um und fächelte sich mit der Hand kühlende Luft ins Gesicht.

»Könntet Ihr jetzt vielleicht damit aufhören? Es wird allmählich ungemütlich warm.«

»Oh. Entschuldigung«, sagte Stevie Drei. Die Flammen rings um sie verloschen so rasch, wie sie entstanden waren. »Ich kann einfach nicht glauben, daß wir mit den aufgerüsteten Männern verbündet sind. Schließlich sind sie wirklich absolut nicht menschlich.«

»Es gibt Leute, die behaupten genau das gleiche über uns«, sagte Stevie Eins.

»Nicht in meiner Gegenwart, Schwester, darauf kannst du wetten«, erwiderte Stevie Drei. »Man kann uns nicht mit den Hadenmännern vergleichen. Wie wurden schließlich geboren und nicht auf einem Fließband hergestellt.«

»Wir wollen zu der Versammlung aufbrechen«, wechselte Stevie Eins diplomatisch das Thema. »Wir sind sowieso schon spät dran. Werdet Ihr mit uns kommen, Todtsteltzer?«

»Bald«, antwortete Owen. »Wartet nicht auf mich.«

Die beiden Esper-Klone nickten gleichzeitig mit der gleichen Geste, und ihre Gesichter wurden mit einemmal ausdruckslos und leer, als sie über die Komm-Implantate Verbindung mit der Fluchtburg aufnahmen. Dann verschwanden sie von einem Augenblick auf den anderen, und die Luft schlug klatschend in das Vakuum, das die Stevies hinterlassen hatten. Owen blinzelte respektvoll. Teleportation wie diese hier benötigte unglaubliche Mengen an Energie, was ein Grund war, warum sie im Imperium nicht mehr verwendet wurde. Esper waren viel billiger und leichter zu kontrollieren. Außerdem hatte es keinen Sinn, eine derart nützliche Technik in die Hände der Allgemeinheit fallen zu lassen. Der Adel mußte schließlich seine Privilegien bewahren, nicht wahr? Owen zog ein verdrießliches Gesicht. Die Fluchtburg hatte in der letzten Zeit eine Menge Energie verbraucht, und selbst ihre gewaltigen Ressourcen waren nicht bodenlos. Aber das war nicht Owens Problem. Sein Problem lief noch immer irgendwo in der Stadt der Hadenmänner herum und ließ sich verdammt viel Zeit für den Rückweg. Er ließ den Blick über die glänzende Stadt schweifen, sah zum hundertsten Mal auf das Chrono und fluchte leise vor sich hin. Owen konnte nicht mehr länger warten. Er mußte gehen und Hazel suchen.

Natürlich bestand die Möglichkeit, daß Hazel etwas zugestoßen war, aber das erschien Owen als recht unwahrscheinlich.

Er würde es gewußt haben. Wer den Weg durch die rätselhafte Struktur geschafft hatte, die unter dem Namen Labyrinth des Wahnsinns bekannt war, war verändert wieder aus ihr hervorgekommen. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.

Owen stand auf eine tiefe, fundamentale Weise mit den anderen in Verbindung, einer Verbindung, die durch nichts gestört werden konnte, auch nicht durch die allergrößte Entfernung. Er konzentrierte sich, und da waren die anderen, irgendwo in seinem Unterbewußtsein, und erwiderten seinen mentalen Blick.

Jakob Ohnesorg, Ruby Reise und Owens Vorfahr Giles befanden sich in der Fluchtburg in Orbit. Hazel befand sich nicht weit entfernt von Owens Standort in der Stadt. Er konzentrierte sich auf sie und machte ihren genauen Aufenthaltsort aus. Sie war wirklich ganz in der Nähe. Ein bequemer Fußmarsch.

Owen mußte nur in die fremdartigste und beunruhigendste Stadt hineinlaufen, die er jemals gesehen hatte, um Hazel zu finden. Verdammt, dachte er leidenschaftslos. Owen atmete tief durch, überprüfte seine Waffen und machte sich auf den Weg.

Die fremdartigen Bauwerke und Strukturen ragten unheilvoll und drohend rings um Owen in die Höhe. Bald schon schlossen sie ihn von allen Seiten ein. Die Gebäude schimmerten von innen heraus in einem unerschütterlichen silbernen Glühen, das geheimnisvoll und entnervend zugleich war. Irgend etwas an den Gebäuden störte Owen. Schließlich entdeckte er den Grund dafür. Es gab keine Schatten. Das Licht schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen, und nirgendwo fand Owen auch nur die Spur eines Schattens. Nur Licht, überall dieses unnachgiebige, harte Licht, das sich auf der Haut kalt anfühlte wie die Berührung eines vorüberschwebenden Geistes. Die feindselige Grellheit verursachte bald einen Kopfschmerz, der direkt hinter den Augen zu sitzen schien. Vielleicht lag es auch an den Formen der fremdartigen Strukturen. Die Dimensionen schienen verkehrt zu sein. Schief und beunruhigend auf einer sehr fundamentalen Ebene, wie ein Dreieck, dessen drei Winkel zusammen mehr als einhundertachtzig Grad ergaben. Ein weiterer Beweis, daß die Hadenmänner nicht länger menschlich waren.

Ein Mensch wäre verrückt geworden, hätte er längere Zeit in dieser Stadt leben müssen. Was, zur Hölle, konnte so bedeutsam sein, daß es Hazel immer und immer wieder in diese widernatürliche Stadt trieb und sie dort festhielt, wenn jeder einzelne menschliche Instinkt ihr zuschreien mußte, augenblicklich zu verschwinden?

Es wurde immer kälter, je weiter Owen in die Stadt vordrang.

Die Luft schien dünner zu werden, als würde Owen einen hohen Berg ersteigen und sich stetig dem Gipfel nähern. Die Luft stank nach Ozon und anderen giftigen Chemikalien, die er nicht erkannte, und ein konstantes, tiefes Klopfgeräusch erfüllte die Luft, so leise, daß Owen es mindestens genausosehr in den Knochen spürte wie mit den Ohren hörte, ein Pulsieren wie der Schlag eines riesenhaften Herzens. Wohin Owen auch blickte, überall sah er Hadenmänner, die an unbekannten Maschinen arbeiteten oder zielstrebig über die weiten Straßen stapften. Einige standen reglos in der Gegend und schienen ins Nichts zu blicken, während sie auf neue Befehle warteten. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Sie waren untereinander auf einer Ebene miteinander verbunden, die weit über normale Sprache hinausging. Niemand drehte den Kopf und blickte zu Owen, während er an den Hadenmännern vorbeimarschierte, aber er wußte, daß man ihn beobachtete. Solange er nichts berührte oder sie bei ihrer Arbeit störte, würde man ihn nicht behelligen. Die meiste Zeit über verhielten sie sich äußerst respektvoll gegenüber dem Mann, der sie aus ihrem Schlaf erweckt hatte. Erlöser nannten sie ihn, und sie verneigten sich vor Owen – doch er war nicht so dumm zu versuchen, daraus einen Vorteil zu ziehen. Ihr Verhalten sollte ihn wahrscheinlich nur verunsichern. Owen war im Gegensatz zu den Hadenmännern ein Mensch, und wenn er ihnen in die Quere kam oder etwas sah, das er nicht sehen sollte, würden sie ihn ganz ohne Zweifel mit der gleichen Lässigkeit umbringen, wie ein Mann eine Schmeißfliege erschlug. Also spazierte er lässig die Hauptstraße hinunter und blickte stur geradeaus, die Nackenhaare unter dem Blick zahlloser beobachtender Augen steil aufgerichtet und die Hand ständig in der Nähe des Disruptors an seinem Gürtel. Hazel hatte besser einen verdammt guten Grund, um sich hier aufzuhalten…

Owen fand Hazel in einer Nebenstraße. Sie hatte sich nicht gerade versteckt, aber sie war auch nicht von weitem zu sehen.

Hazel unterhielt sich mit einem Hadenmann. Sie blickte nicht auf, als Owen sich näherte. Der aufgerüstete Mann reichte ihr eine kleine Metallflasche, die Hazel augenblicklich in einer Tasche verschwinden ließ. Dann erst sah sie mit verdrießlichem Gesicht zu Owen. Der Hadenmann entfernte sich in die entgegengesetzte Richtung, ohne Owen auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Was, zur Hölle, hast du hier zu suchen, Aristo?« fragte Hazel mit der kältesten Stimme, die Owen je von ihr gehört hatte.

»Die gleiche Frage könnte ich Euch stellen«, erwiderte Owen leichthin. »Wir sollten einem Konzil in der Fluchtburg beiwohnen, oder habt Ihr das vergessen? Es würde gar nicht gut aussehen, wenn wir nicht erschienen; immerhin sind wir beide die Ehrengäste.«

Hazel zuckte die Schultern. »Geh nur. Mich brauchen sie nicht. Pläneschmieden gehört nicht gerade zu meinen Stärken.«

»Das ist mir nicht verborgen geblieben. Aber man hat ausdrücklich uns beide eingeladen. Wahrscheinlich wegen unserer Popularität, damit potentielle Gönner und Mäzene unsere Gesichter sehen. Worüber habt Ihr Euch mit dem Hadenmann unterhalten?«

»Hast du ihn nicht erkannt? Das war Mond.«

Owen blickte dem Hadenmann rasch hinterher, doch er war bereits verschwunden. Er sah wieder zu Hazel. »Nein. Ich habe ihn nicht erkannt. Wie habt Ihr ihn gefunden? Er sieht inzwischen genauso aus wie alle anderen.«

»Mond hat mich gefunden.«

»Hat… hat er sich an Euch erinnert?«

»Nicht wirklich. Er erkannte mich. Du und ich sind Teil aller Hadenmann-Programme. Aber Tobias Mond existiert nicht mehr. Nichts ist mehr übrig von dem Mann, den wir einst kannten.« Hazel zuckte die Schultern. »Nicht so schlimm. Wir standen uns nie besonders nahe.«

Owen nickte zustimmend und schwieg. Er würde Hazel nur in Verlegenheit bringen, wenn er nachhakte und sie dazu brachte zuzugeben, daß sie sich immerhin genug aus Mond machte, um in einer Stadt nach ihm zu suchen, die die meisten Menschen nicht ohne eine Armee im Rücken betreten hatten.

Hazel sah sich gerne als über derartige menschliche Schwächen erhaben. »Was war das für eine Flasche, die er Euch gegeben hat?« erkundigte Owen sich, um das Thema zu wechseln.

»Hör auf, mich mit deinen Fragen zu löchern, Aristo. Meine Sache. Es geht dich nichts an. Und jetzt laß uns gehen. Wir haben eine Verabredung, oder hast du das vergessen?«

Frauen, dachte Owen, doch er besaß genug Geistesgegenwart, es nicht laut auszusprechen. All das wegen ein bißchen Gefühl. Der Himmel mochte verhüten, daß irgend jemand in Hazel nicht die starke, unnahbare Piratin mit einem Herzen aus Stein sah. Owen bedeutete ihr mit einem Wink vorauszugehen, und sie machten sich auf den Weg. Keiner der Hadenmänner, an denen sie vorbeikamen, blickte auch nur für einen Augenblick von seiner Arbeit auf.

»Sie werden sich ziemlich anstrengen müssen, wenn sie hier Touristen haben wollen«, sagte Hazel. »Keine Bars, keine romantischen Aussichten, und die Luft stinkt zum Himmel.«

»Richtig«, stimmte Owen zu. »Vielleicht sollten sie einen Streichelzoo anlegen.«

»Ob das etwas nützt?« zweifelte Hazel. »Wahrscheinlich würden sie Menschen in die Käfige setzen.« Sie hielt inne und blickte über die Schulter zu Owen. »Findest du es nicht seltsam, daß sie alle so nett und vernünftig sind? Ich meine, diese Leute, wenn der Begriff erlaubt ist, waren schließlich einmal die offiziellen Feinde der Menschheit. Wenn ein Mensch einen Hadenmann sah, dann war es meist das letzte, was er in seinem Leben überhaupt gesehen hat. Warum helfen sie uns jetzt bei unserer Rebellion? Wo liegt ihr Gewinn bei dieser Sache?«

»Tote Menschen, schätze ich. Die alte Sache von wegen Teilen und Herrschen. Sie wollen sehen, wie das Imperium fällt, und gleichzeitig ihre Fähigkeiten als Kämpfer verbessern. Wir müssen immer auf der Hut sein und sicherstellen, daß sie nicht wieder zu mächtig werden. Aber wir schaffen es nicht ohne sie, Hazel. Sie sind alles, was wir den Armeen des Imperiums entgegen werfen können.«

»Und was, wenn sie nur so lange mit uns kämpfen, bis sie all unsere Schwachstellen entdeckt haben, und uns erledigen, sobald wir das Imperium besiegt haben?«

»Dann werden Ihr und ich ins Spiel kommen und den Tag retten müssen«, sagte Owen gelassen. »Das ist unsere Aufgäbe, oder habt Ihr das vergessen? Wie sind schließlich die Helden hier.«

»Ja«, erwiderte Hazel gedehnt. »Helden.«

Owen und Hazel teleportierten in die Große Halle der Fluchtburg hinauf und stellten fest, daß alle anderen bereits versammelt waren. Die Halle war riesig, größer noch als die Halle in der Todtsteltzer-Burg daheim auf Virimonde, aber sie war trotzdem bis zum Bersten gefüllt mit den Holos von Menschen, die sich freundlich miteinander unterhielten. Jede Gruppe, die an der Rebellion interessiert war, hatte einen holographischen Repräsentanten entsandt, um sicherzustellen, daß man nichts Wichtiges versäumte. Owen und Hazel standen unbeachtet am Rand des Geschehens, wofür zumindest Owen dankbar war. Er wollte zuerst eine Vorstellung von der Bärenfalle gewinnen, in die er trat, bevor er den Mund öffnete. Owen blickte sich unauffällig um, doch in dem Meer von Gesichtern erblickte er niemanden, den er kannte. Einige schienen allein von der schieren Größe der Halle beeindruckt, obwohl sie sich Mühe gaben, das nicht zu zeigen. Owen mußte grinsen. Sie sollten dankbar sein, daß sie hier in der Halle waren. Die Hadenmänner hatten vorgeschlagen, die Versammlung in der Stadt abzuhalten, doch die Menschen hatten das rasch abgelehnt, weil die Stadt einfach zu beunruhigend war. Ganz besonders Giles hatte Bedenken geäußert. Er war davon überzeugt, daß die Hadenmänner nicht einfach nur ihre Stadt restaurierten, sondern daß eine ganze Menge mehr dahintersteckte, wovon die Menschen keine Ahnung hatten. Jedenfalls waren alle darin übereingekommen, es sei am besten, einen sicheren Abstand zwischen den aufgerüsteten Männern und möglichen Verbündeten aus dem Imperium zu wahren. Die Hadenmänner hatten darauf bestanden, ebenfalls einen Vertreter zu entsenden, in Person.

Der aufgerüstete Mann stand recht isoliert in der Halle. Die Menschen hielten sich, soweit es ging, von ihm entfernt, doch es schien ihn nicht weiter zu stören. Er hielt ein Glas Wein in der Hand, ohne davon zu trinken, und lächelte jedermann freundlich zu, der seinen Weg kreuzte. Es war kein besonders erfolgreiches Lächeln, aber für einen Hadenmann gar nicht schlecht. Vielleicht hatte er vor einem Spiegel geübt.

Hunderte von Holos aus jeder Ecke des Imperiums hatten sich versammelt, und dank der Kyberratten von Golgatha trafen die Signale über eine verwirrende Vielzahl von Relaisstationen hier ein. Jeder, der einen Versuch unternehmen würde, die Versammlung abzuhören, würde sich allein bei der Verfolgung des Signalweges von Station zu Station hoffnungslos verlieren, ohne je etwas Nützliches auffangen zu können. Viele der Anwesenden waren von Jakob Ohnesorgs Namen angezogen worden. Der berühmte Berufsrebell besaß noch immer eine beträchtliche Anziehungskraft, obwohl seine Niederlagen weitaus zahlreicher waren als seine Siege. Jakob hielt in der Mitte des Saales hof, mit einem breiten Grinsen und einem freundlichen Wort für jedermann. Ruby Reise stand dicht neben ihm, bereit, jeden anzugiften, der zu nahe an Jakob herantrat.

Es darf nicht verschwiegen werden, daß eine ganze Reihe von Leuten schockiert war, Jakob in seinem gegenwärtigen Zustand zu sehen. Die Jahre und all die bitteren Niederlagen hatten ihre Spuren hinterlassen, aber es waren besonders die Hände und Apparate der Imperialen Hirntechs, die ganze Arbeit geleistet hatten. Die Legende von Jakob Ohnesorg hatte sich durch das gesamte Reich verbreitet, hauptsächlich durch Propaganda-Holos, die er in seinen früheren, erfolgreicheren Tagen in Umlauf gesetzt hatte. Aber das war damals, und heute war heute, und Jakob sah überhaupt nicht mehr wie ein strahlender Held aus.

Er war ein kleiner schmächtiger Mann Ende Vierzig, doch er wirkte zwanzig Jahre älter. Sein schmales, gefurchtes Gesicht wurde von zerzaustem Haar eingerahmt, das aussah, als hätte er es selbst geschnitten. Einst war er ein muskulöser Mann gewesen, aber jetzt konnte man ihn bestenfalls noch als drahtig bezeichnen. Auf seinen Handrücken zeichneten sich Altersflecken ab, und die Hände zitterten ununterbrochen.

Jakob Ohnesorg sah nicht mehr aus wie ein berühmter Rebell und Kämpfer. Eher wie ein alter Mann, der um diese Zeit längst ins Bett gehört.

Ruby Reise andererseits sah aus wie der Tod auf zwei Beinen mit einem dazu passenden Blick. Sie war die beste Kopfgeldjägerin auf Nebelwelt gewesen, was einiges zu bedeuten hatte, und die meisten Leute gingen ihr noch mehr aus dem Weg als dem Hadenmann. Als Holos waren die Versammelten natürlich vor ihr sicher, aber irgendwie mußten sie nur einen Blick auf Ruby werfen und hatten plötzlich tausend verschiedene Ausreden, warum sie nicht in Rubys Nähe sein konnten. Die Kopfgeldjägerin war mittelgroß und geschmeidig, und sie trug glänzend schwarze Lederkleidung unter verschmutzten weißen Fellen. An den Hüften hingen Schwert und Pistole, und niemand bezweifelte auch nur für eine Sekunde, daß Ruby wußte, wie man damit umging. Ihr Gesicht war schmal und spitz, ihr Blick fest und ihr Lächeln wild. Sie war dunkelhaarig und nicht gerade schön, doch auf gefährliche Weise attraktiv. Jakob Ohnesorg gewann bei den Anwesenden allein schon dadurch eine Menge zusätzlichen Respekt, daß er sich so ungezwungen in Rubys Nähe aufhielt.

Owen und Hazel bewegten sich ohne Eile durch die Menge, nickten nach hier und verbeugten sich nach dort und begrüßten jedermann, während sie sich darum bemühten, Zuversicht auszustrahlen. Sie bemühten sich außerdem, niemanden anzurempeln, obwohl es sehr voll war. Owen hatte mehr Erfahrung in Diplomatie und im Lügen mit unbewegtem Gesicht, und so hinterließ er einen besseren Eindruck als Hazel, doch er mußte ihr zugestehen, daß sie sich zumindest Mühe gab. Hazel war selbst zu ihren besten Zeiten nicht besonders gesellig gewesen, und in letzter Zeit hatte sie sich noch weiter zurückgezogen.

Owen hatte zaghaft versucht, sie daraufhin anzusprechen, aber ihr kalter Blick hielt ihn auf Distanz, genau wie jeden anderen auch. Wahrscheinlich war sie noch immer stocksauer, daß sie auf einer leeren und öden Welt festsaß, die Lichtjahre von jeder Zivilisation entfernt war. Hazel liebte den Luxus, und sie interessierte sich einen Dreck für Politik. Wenn man etwas nicht trinken, nicht essen und auch keinen Streit mit ihm vom Zaun brechen konnte, war es Hazel in der Regel egal.

Schließlich beendeten Owen und Hazel ihren Rundgang durch die Reihen der anwesenden Gäste und wandten sich der kleinen Selbstbedienungstheke zu, die Giles vorausschauend in einer Ecke der Halle aufgestellt hatte. Owen stützte einen Ellbogen auf den Tresen und seufzte. Seine Wangen schmerzten.

Er hatte seit Jahren nicht mehr so viel lächeln müssen. Hazel erlaubte ihm, ihr ein großes Glas auszuschenken, und betrachtete die Menge mit verdrießlichem Gesicht.

»Kennst du einige von diesen Leuten?« fragte sie Owen leise.

»Ich hasse den Gedanken, diese Schau für eine Bande von Nullen abgezogen zu haben.«

»Einige kenne ich tatsächlich«, antwortete Owen und hielt überrascht inne, um den exzellenten Jahrgang in seinem Glas mit gehobener Augenbraue zu betrachten. Irgendwo in der Festung schien es einen ganz außerordentlichen Weinkeller zu geben. Hazel kippte ihr Glas hinunter, als wäre darin ein billiger Claret. Owen unterdrückte ein schockiertes Zusammenzucken und fuhr fort zu sprechen.

»Eine Handvoll unbedeutenderer Lords sind anwesend, Vertreter verschiedener Clans und Gesellschaften, und ein paar unbedeutende Helden. Niemand von Jakob Ohnesorgs Klasse, aber es ist trotzdem gut, daß sie gekommen sind. Man nimmt uns also ernst. Hallo, seht mal dort! Ihr wißt sicherlich, wer das ist, oder?«

»Verdammt gut sogar«, brummte Hazel. »Investigator Topas von Nebelwelt. Der einzige wirklich mächtige Esper, der jemals zum Investigator ausgebildet wurde. Die stärkste Sirene, die es je im Imperium gegeben hat. Als sie abtrünnig wurde und nach Nebelwelt floh, schickten sie eine ganze Kompanie Soldaten hinter ihr her, und Topas tötete alle mit einem einzigen Lied. Und sie rettete Nebelwelt praktisch ganz allein, als das Imperium eine Typhus-Marie auf den Planeten schmuggelte. Ich kenne Topas nicht persönlich. Wir sind uns nie begegnet, aber ich kann nicht sagen, daß mir das leid tut. Man sagt, sie sei kalt wie Eis und doppelt so gefährlich. Ich fühle mich ihr gegenüber ziemlich deklassiert.«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Owen. »Schließlich ist sie zu uns gekommen, und nicht umgekehrt.«

»Guter Punkt«, sagte Hazel. »Aber wir sollten Ruby trotzdem von ihr fernhalten. Nur für den Fall.«

Owen und Hazel fuhren herum, als jemand Owens Namen rief, und ein Hologramm näherte sich mit breitem Grinsen. Ein dicker, selbstzufrieden wirkender Mann, ganz in bunte Seide gekleidet, kam vor Owen zum Stehen, verbeugte sich, grinste noch breiter und nickte Hazel zu. »Owen, mein lieber Junge!

Es tut gut, dich wiederzusehen.«

»Ich hätte wissen müssen, daß ich dich hier treffe«, erwiderte Owen. »Du verpaßt wirklich keine Gelegenheit, nicht wahr, Elias? Hazel D’Ark, erlaubt mir, Euch Elias Gutmann vorzustellen, Abenteurer und Profitmacher, ein verrotteter Ast von einem namhaften Baum. Seine Familie schickt ihm regelmäßig Geld, solange er verspricht, nicht nach Hause zu kommen. Er hat mit meinem Vater bei einigen seiner schmutzigeren Geschäfte zusammengearbeitet und Geld für seine Intrigen herbeigeschafft.«

»Sehr schmutzige, aber auch sehr profitable Geschäfte«, ergänzte Gutmann, noch immer grinsend. »Ich bin ja so froh zu sehen, daß du endlich in die Fußstapfen deines Vaters getreten bist, mein Freund. Meine Kollegen und ich erwarten große Dinge von dir.«

»Mein Vater hat nichts damit zu tun, daß ich hier bin«, widersprach Owen, und Hazel warf ihm einen überraschten Blick zu, als sie das Eis in Owens Stimme hörte. »Ich kämpfe aus meinen eigenen Gründen, und ich suche mir meine Freunde und Verbündeten selbst aus. Laßt Euch über Elias Gutmann aufklären, Hazel. Auf der Hälfte aller Planeten des Imperiums hat er seine Finger in jedem korrupten und illegalen Geschäft, das Ihr Euch vorstellen könnt. Kein Handel ist zu schmutzig, als daß er sich nicht eine Scheibe vom Profit abschneidet, und die einzigen Gesetze, die er noch nicht gebrochen hat, sind die, die ihm bisher nicht im Weg standen. Er verdient sein Geld am Leid anderer, und wahrscheinlich hat er genausoviel Blut an den Fingern wie die Löwenstein selbst.«

Gutmann lachte aus vollem Hals. »Wie schmeichelhaft, mein lieber Junge, wie schmeichelhaft! Aber ich bin nichts weiter als ein Geschäftsmann mit einem gesunden Blick für Profit. Dein Vater hatte nie etwas dagegen.«

»Ich bin nicht mein Vater«, entgegnete Owen.

»Das freut mich zu hören. Der alte Knabe war immer viel idealistischer, als ihm guttat, Gott sei seiner Seele gnädig. Er konnte sich nie die erste Regel für ein gutes Geschäft merken: Prinzipien dürfen einem guten Geschäft nie im Wege stehen. In Kriegszeiten gibt es stets eine Menge Geld zu verdienen, und ich habe die Absicht, mir mein Stück vom Kuchen und noch ein wenig mehr abzuschneiden. Paß auf, daß du nicht am Boden landest, Owen; vielleicht wirst du schon bald merken, daß ich und meinesgleichen für die Rebellion viel wertvoller sind als du. Finanzielle Unterstützung ist schwer zu bekommen, aber an Leuten, die dumm genug sind, den Helden zu spielen, hat es noch nie gemangelt.«

Gutmann lächelte, verbeugte sich und spazierte davon, während Owen noch verzweifelt über eine passende Antwort nachdachte. Er stand für einen Augenblick einfach nur da, schäumend vor Wut, und stieß schließlich seufzend den Atem aus.

Owen war noch nie besonders schlagfertig gewesen. Die richtige Antwort fiel ihm meist erst Stunden später ein, wenn schon alles vorbei war. Auf der anderen Seite machte es wenig Sinn, zu diesem frühen Zeitpunkt schon ärgerlich zu werden. Ganz ohne Zweifel würden noch andere derartige Situationen während der Versammlung auf ihn zukommen, wenn die Diskussionen hitzig und leidenschaftlich wurden.

Owen murmelte zu Hazel, er habe jemanden gesehen, den er kannte, und mischte sich unter die Leute. Er brauchte ein wenig Zeit für sich selbst. Bekannte Gesichter tauchten ringsum auf, während Owen sich durch die angeregt schnatternden Holos drängte wie der einzige lebende Mensch auf einer Versammlung von Geistern. Die Menschen nickten Owen zu und lächelten, aber er gab vor, es nicht zu bemerken. Er war nicht in der Stimmung für Politik. Dann weckte ein unerwarteter Gast Owens Aufmerksamkeit, und er hielt für einen Augenblick inne, um das tätowierte Gesicht des Mannes zu betrachten, der sich mit Giles unterhielt. Offensichtlich war Investigator Topas nicht die einzige Vertreterin von Nebelwelt. Owen war dem Mann namens Chance bereits früher begegnet, im Abraxus-Informationszentrum auf Nebelwelt, wo junge Esper gegen Bezahlung alles in Erfahrung brachten und verrieten. Einer dieser Esper hatte behauptet, Owens Zukunft gesehen zu haben.

Ich sehe dich, Owen Todtsteltzer. Das Schicksal hält dich in seinen Fängen, sosehr du dich auch sträubst. Du wirst ein Imperium zu Fall bringen, und du wirst das Ende von allem erleben, an das du je geglaubt hast. Du wirst alles aus Liebe tun, einer Liebe, die du nie erfahren wirst. Und wenn es vorüber ist, dann stirbst du – allein, weit weg von allen Freunden und ohne Beistand oder Hilfe.

Owen spürte ein plötzliches Frösteln. Würde er lange genug atmen, um das Ende der Rebellion zu erleben, die er angezettelt hatte? Würde es irgend etwas ändern, wenn er vor seiner Bestimmung davonlief? Er zuckte unbehaglich die Schultern. Seine Überzeugung und Ehrenhaftigkeit hatten ihn bis hierher geführt, und sie würden ihn auch noch weiter bringen. Owen Todtsteltzer war jetzt ein Teil der Rebellion, was es auch kosten mochte. Und Chance hatte selbst zugegeben, daß sein junger Esper sich bei seinen Wahrsagungen genauso oft irrte, wie er die Wahrheit sagte. Und selbst wenn er den eindeutigen Beweis in der Hand gehalten hätte, daß Owen sterben würde – Owen hätte trotzdem nicht seine Pläne geändert. Er hatte den verfaulten Unterbau des Imperiums gesehen. Er hatte gesehen, wie der Luxus weniger durch das Leid Unzähliger erkauft wurde, und jetzt, nachdem er es gesehen hatte, konnte er den Blick nicht mehr abwenden. Zu seiner eigenen Überraschung war er ein Mann von Ehre geworden. Und wer wußte schon – vielleicht war Owen ja tatsächlich ein Held. Ganz egal, was kommen würde – er mußte Löwensteins Fall sehen, bevor er starb.

Koste es, was es wolle.

Hazel D’Ark blickte Owen hinterher, als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Sie biß die Zähne zusammen, damit niemand das Beben ihrer Lippen bemerkte. Hazel verschränkte die Arme vor der Brust, die Hände zu Fäusten geballt. Ihr Verlangen war größer als je zuvor, und es nagte heftig an ihrer Selbstkontrolle. Sie war froh, daß Owen gegangen war. Sie wußte nicht, ob sie es noch lange vor ihm hätte verbergen können. Hazel blickte sich so gelassen um, wie sie konnte, doch niemand schien sie im Augenblick zu beachten. Sie zwang ihre Hände zur Ruhe und goß sich ein neues Glas Wein aus. Plötzlich war es ganz einfach, die kleine metallene Flasche hervorzuziehen, die der Hadenmann ihr gegeben hatte, den Verschluß abzuschrauben und einen winzigen Tropfen des Inhalts in das Glas zu geben.

Hazel verschoß die Flasche sorgfältig und steckte sie wieder ein. Niemand hatte etwas bemerkt. Und wenn doch, so hätte niemand verstanden, was er gesehen hatte. Da war sie absolut sicher. Für den Augenblick jedenfalls. Hazel blickte auf den Wein in ihrem Glas. Er sah vollkommen harmlos aus, und der Tropfen begann sich bereits mit der restlichen Flüssigkeit zu vermischen. Sie schwenkte das Glas, um den Vorgang zu beschleunigen, doch dann konnte sie nicht mehr länger warten.

Hazel nahm einen tiefen Schluck und grinste breit, als die Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete. Blut war ein fabelhafter Stoff, und selbst eine so geringe Menge reichte aus, um ihr Verlangen danach zu stillen. Hazel zwang sich dazu, den Rest des Weines langsam zu trinken, und ein behagliches Wohlbefinden erfüllte sie. Ihr Grinsen wurde breiter. Sie fühlte sich stark, selbstsicher und bereit, es mit dem gesamten verdammten imperium aufzunehmen. Und wichtiger noch, Hazel fühlte sich wieder wie ein Mensch. Jedenfalls so sehr, wie man sich nur als Mensch fühlen konnte, wenn man süchtig nach Wampyrblut war.

Die Wampyre. Angepaßte Menschen, die das Imperium als seine neuen Sturmtruppen hatte einsetzen wollen. Als Ersatz für die rebellischen Hadenmänner. Um einen Wampyr zu produzieren, tötete man einen gewöhnlichen Mann, indem man einfach sein Blut absaugte, und füllte anschließend seine Adern mit einer künstlichen Flüssigkeit, bevor man ihn wiedererweckte. Das Resultat war ein viel stärkerer, schnellerer Mann, der außerdem ein gutes Stück schwerer zu töten war… und schwierig zu kontrollieren. Die Wampyre hatten ihren Herren mehr Schwierigkeiten bereitet, als sie genutzt hatten, und so war das Projekt zögerlich wieder eingestellt worden. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten ein paar Leute bereits einen anderen Verwendungszweck für die synthetische Flüssigkeit in den Adern der Wampyre gefunden. Es war eine stärkere Droge als alles, was die Menschheit bis dahin gekannt hatte. Es machte einen zum Übermenschen, genau wie die Wampyre, zumindest für kurze Zeit. Und nachdem das Gefühl abgeklungen war, tat man alles, um wieder in diesen Zustand zu geraten. Wampyrblut machte süchtig.

Hazel hatte ihre ersten Erfahrungen damit auf Nebelwelt gemacht. Sie war in einer Beziehung gelandet, an die sie lieber nicht zurückdachte. Der Wampyr namens Luzius Abbott hatte sie mit den dunklen Freuden seines Blutes bekanntgemacht. Sie hatte die Beziehung wieder beendet, doch von der Sucht loszukommen hatte ein gutes Stück länger gedauert. Beinahe hätte es sie umgebracht. Aber schließlich hatte Hazel es geschafft, vielleicht nur aus dem einen Grund, daß sie niemandes Sklavin sein wollte, auch nicht ihre eigene.

Doch heute hatte das Blut sie wieder in seinem Griff, und das alles war allein Owens Schuld. Er hatte Hazel in diese verdammte Rebellion mit hineingezogen, und er hatte nicht bemerkt, wie sie unter dem konstant auf ihr lastenden Druck von ständiger Flucht und Gefahr langsam zerbrach. Schließlich war alles zuviel geworden, und sie hatte dem Druck nachgegeben.

Hazel war nie besonders stark gewesen. Sie hatte immer irgendwelche Mittelchen benötigt, die sie unterstützt hatten, gleichgültig, ob es sich dabei um Alkohol, Drogen oder beschissene Bekanntschaften gehandelt hatte.

Auf der Wolflingswelt hatte Hazel gedacht, sie würde verrückt werden, und nichts hatte ihr Erleichterung verschafft – bis sie sich daran erinnert hatte, daß die Hadenmänner noch immer die gefangenen Wampyre in ihrer Gewalt hatten, die die Imperiale Streitmacht hatte zurücklassen müssen. Die Hadenmänner waren von ihren Nachfolgern fasziniert gewesen und hatten sie zu weiteren Untersuchungen mit in ihre Stadt genommen. Niemand hatte die Wampyre seither gesehen.

Also war Hazel in die Stadt gegangen, hatte sich mit den Hadenmännern getroffen und sie ohne Umschweife nach dem Blut gefragt. Die aufgerüsteten Männer hatten sich sehr verständnisvoll gezeigt. Sie versorgten Hazel mit allem Blut, nach dem sie verlangte, immer nur in kleinen Portionen, und sie redeten niemals über einen Preis. Hazel zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß die Hadenmänner irgendwann einen Preis fordern würden, doch im Augenblick konnte sie sich nicht dazu durchringen, einen Dreck darauf zu geben oder auch nur darüber nachzudenken, woher das Blut stammte. Das Blut erlöste sie von dem unerträglichen Druck, und das war alles, was zählte. Für eine Weile hatte Hazel geglaubt, der Zorn, den sie im Labyrinth des Wahnsinns von Owen geerbt hatte, würde einen Ersatz abgeben, doch er hielt nie lange genug an, und er besaß seine eigenen Gefahren. Das war typisch Owen. Er ließ einen immer genau dann im Stich, wenn man ihn wirklich brauchte.

Hazel wußte natürlich, daß das nicht stimmte, doch es war ihr egal. Sie brauchte einfach jemanden, dem sie die Schuld geben konnte. Im Augenblick wußte niemand von ihrem Handel mit den Hadenmännern. Sie hatten versprochen, es für sich zu behalten. Irgendwann würde die Wahrheit ans Licht kommen, doch der Zeitpunkt lag weit in der Zukunft, und in diesen Tagen benötigte Hazel all ihre Kraft, um allein mit dem fertig zu werden, was in der Gegenwart lag.

Die Versammlung kam schließlich schleppend in Gang. Jakob Ohnesorg hatte den Vorsitz. Er stand auf einem kleinen Podest, wo jeder ihn sehen konnte, und begann, laut und deutlich zu sprechen. Er mochte nicht mehr sonderlich eindrucksvoll aussehen, doch seine Stimme war noch immer so scharf wie der Knall einer Peitsche, und er besaß die Gabe, seine Worte mit natürlicher Autorität zu verbinden. Das Stimmengemurmel wurde leiser und wich einem erwartungsvollen Schweigen, als Ohnesorg allen für ihr Kommen dankte. Er stellte sich und ein paar andere prominente Gesichter vor und eröffnete anschließend die allgemeine Diskussion. Es war für niemanden weiter überraschend, daß Elias Gutmann als erster die Stimme erhob.

»Bevor wir beginnen, liebe Freunde, möchte ich die Gelegenheit nutzen und feststellen, daß der Anschlag auf die Steuerbehörde unserer Sache einen Bärendienst erwiesen hat. Wegen dieses Anschlages waren die Schilde Golgathas unten, als das Schiff der Fremden angriff, und jedermann gibt uns die Schuld für die vielen Toten und die Schäden, die der Angriff verursachte. Es wird jetzt sogar noch schwerer werden als zuvor, unter der Bevölkerung breite Zustimmung für unsere Sache zu finden.«

»Das ist nicht fair!« protestierte Hazel. »Woher sollten wir denn wissen, daß ein fremdes Schiff kommen und angreifen würde? Wir haben nur getan, was wir alle gemeinsam beschlossen hatten, und wir haben dabei unser eigenes Leben riskiert, wie ich hinzufügen möchte. Außerdem haben wir alles erreicht, was man uns aufgetragen hat. Wenn du glaubst, das ist nicht gut genug, dann mach es doch beim nächsten Mal selber!«

»Richtig!« stimmte Owen zu. »Seht es doch von der positiven Seite. Die Besteuerungsunterlagen sind ein einziges Chaos, wenn nicht vollkommen unbrauchbar, und so wird es wahrscheinlich für die nächsten Jahre bleiben. Und wir besitzen Milliarden von Kredits auf unseren geheimen Konten. Das Geld wird ausreichen, die Rebellion zu finanzieren. Was auch immer wir als nächstes unternehmen, dieser Anschlag hat es erst ermöglicht. Vergeßt das nicht, Ihr undankbarer Kerl, Ihr!«

»Wir wollen die gegenseitigen Beschimpfungen auf ein Mindestmaß beschränken, meine Herren!« fuhr Jakob Ohnesorg rasch dazwischen. »Ansonsten werden wir niemals zu einem Ergebnis kommen. Ich denke, wir stimmen alle darin überein, daß Golgatha mit Recht als Erfolg bezeichnet werden darf. Wir haben unsere Ziele erreicht. In Zukunft müssen wir eben ein wenig sorgfältiger planen, um unerwartete… Komplikationen zu berücksichtigen. Im Augenblick jedenfalls werden die erbeuteten Gelder bereits dazu verwendet, Rebellenstützpunkte und Untergrundbewegungen auf Planeten im gesamten Imperium zu etablieren. Mit diesen Geldern werden wir außerdem Schiffe und Waffen kaufen können und, wenn es sein muß, Söldnerarmeen. Ich weiß, daß vielen der Anwesenden dieser Gedanke schwer im Magen liegt, aber die Tatsache bleibt bestehen, daß wir eine Armee ausgebildeter Soldaten benötigen, wenn wir uns Löwensteins Streitkräften stellen wollen. Die Hadenmänner waren so freundlich, uns in dieser Hinsicht ihre volle Unterstützung zuzusagen, aber ich denke, wir alle würden ruhiger schlafen, wenn wir nicht von ihrem guten Willen abhängig wären. Vergeßt nicht, daß es Zeit und Erfahrung braucht, einfache Kämpfer zu richtigen Soldaten auszubilden.

Ich muß es wissen, schließlich habe ich es schon häufig getan.

Die Fremden… Sie sind ein unbekannter Faktor in der Gleichung. Wir werden uns damit befassen, wenn und falls die Situation es erfordert. Im Augenblick müssen wir uns auf den Feind konzentrieren, den wir kennen. Wir sind nicht völlig ohne eigene Waffen; zwei Esper-Klone sind als Repräsentanten der Untergrundbewegung Golgathas zu uns gekommen, und sie sprechen für eine ganze Armee im Kampf ausgebildeter Esper, die bereit sind, jeden Augenblick loszuschlagen. Investigator Topas ist unter den Anwesenden und vertritt die Bewohner von Nebelwelt. Ich bin sicher, ich muß Euch nicht erst an die Stärken des Rebellenplaneten erinnern. Er allein ist so gut wie eine ausgebildete Armee – wenn seine Bewohner sich dazu entschließen können, das gleiche Ziel zu verfolgen.«

Ein paar Leute kicherten unterdrückt. Die Bewohner Nebelwelts waren bekannt dafür, daß sie genausoviel Zeit mit ihren eigenen Streitereien verbrachten wie mit dem Kampf gegen das Imperium. Aber was sollte man schon anderes von einem Planeten erwarten, der ausschließlich von Rebellen, Ganoven und politisch Subversiven bewohnt war? Das Kichern erstarb, als Topas eisige Blicke um sich warf. Ohnesorg räusperte sich, und Owen stellte anerkennend fest, daß jedermanns Augen an den Lippen des berühmten Rebellen hingen. Jakobs alte Zuversicht schien zurückzukehren, als er mit seiner Aufgabe warm wurde. Er sah mehr und mehr nach dem legendären Helden aus, der er einmal gewesen war. An seiner Seite stand sein alter Freund und Kampfgefährte Alexander Sturm, der zustimmend zu allem nickte, was Ohnesorg von sich gab. Die beiden Waffenbrüder hatten sich auf die Schultern geschlagen und viel gelacht, als sie sich nach langer Zeit zum ersten Mal wiedergesehen hatten, und seit diesem Augenblick war Sturm keine Minute mehr von Ohnesorgs Seite gewichen. Auf diese Weise hatte er jedermann gezeigt, daß der Untergrund von Golgatha Ohnesorg stillschweigend unterstützte. Interessanterweise hatte Ruby sich überhaupt nicht mit Sturm anfreunden können, trotz alle seines Charmes. Natürlich konnte es sein, daß sie einfach nur auf jeden eifersüchtig war, der Ohnesorgs Aufmerksamkeit und Zuneigung in Anspruch nahm. Owen grinste bei diesem Gedanken. Er konnte noch immer nicht richtig verstehen, was die beiden aneinander fanden. Trotzdem schienen sie sich gut zu verstehen und glücklich zu sein. Jedenfalls lief es bei ihnen ganz eindeutig besser als bei Hazel und Owen. Er verdrängte den Gedanken mit einer bewußten Anstrengung. Hoffentlich fand Sturm einen Weg, mit Ruby zu einem Waffenstillstand zu kommen – sonst würde er wahrscheinlich mit einem Messer im Rücken enden. Oder sogar in der Brust. Ruby Reise konnte sehr direkt werden, wenn es darum ging, ihre Gefühle unter Umständen sehr direkt auszudrücken.

»Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein«, mischte sich Elias Gutmann erneut ein und drängte sich durch die Menge nach vorn, wo er Ohnesorg mit unversöhnlichen Blicken anstarrte. »Aber wir haben die Frage noch nicht geklärt, wer bei dieser neuen Rebellion das Sagen haben wird. Jeder von uns ist mit anderen Sorgen und einer anderen Agenda hierhergekommen. Wir wollen im Endeffekt zwar alle das gleiche, doch irgend jemand wird entscheiden müssen, auf welchem Weg wir unser Ziel verfolgen. Meine Kollegen und ich haben seit Dekaden Aufstände und Unruhen geplant, und wir werden uns ganz bestimmt nicht auf eine Hinterbank verziehen, um ein paar dahergelaufenen Neuankömmlingen das Kommando zu überlassen, nur weil sie einige aufsehenerregende Erfolge vorzeigen können. Und ganz bestimmt werden wir uns nichts von einem alten Mann sagen lassen, der seine beste Zeit schon lange hinter sich hat. Ihr seid Vergangenheit, Jakob Ohnesorg, und wir müssen unseren Blick in die Zukunft richten. So berühmt Ihr auch sein mögt, die Tatsache bleibt bestehen, daß Ihr immer und immer wieder darin versagt habt, das Imperium zu stürzen.

Die neue Rebellion braucht einen besseren Führer als einen alten Mann mit fehlendem Charisma.«

Ohnesorg erwiderte gelassen den Blick des Dicken, ohne sich eine Reaktion auf die Beleidigungen anmerken zu lassen. »Hallo, Elias! Schön, Euch auch einmal wiederzusehen. Was machen die Hämorrhoiden? Ihr habt inzwischen beinahe so lange im verborgenen konspiriert, wie ich Armeen ins Feld geführt habe, aber ich kann nicht erkennen, daß Ihr erfolgreicher gewesen wärt als ich. Trotz all Eurer großartigen Intrigen und Pläne sitzt die Eiserne Hexe noch immer auf ihrem Thron. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als Ihr ein Knabe wart, Elias. Ihr wart so vielversprechend, was ist nur aus Euch geworden! Ich erinnere mich auch an Euren Vater. Ein guter und ehrenhafter Mann. Ein Glück, daß er tot ist; so muß er wenigstens nicht mit ansehen, was aus seinem Sohn geworden ist.«

»Natürlich ist er tot«, sagte Gutmann. »Ich habe ihn selbst umgebracht. Es ist der traditionelle Weg zu Macht und Einfluß, oder habt Ihr das vergessen? Die Alten müssen immer für die Jungen Platz machen. Und jetzt verschwindet endlich von Eurem Podest, und räumt den Platz für einen besseren Mann.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Ohnesorg. »Kennt Ihr denn einen?«

Erneut wurde Kichern laut, und Gutmann errötete ein wenig.

»Schlaue Worte, Ohnesorg. Ich repräsentiere eine Gruppe von Leuten, die ihre eigenen Vorstellungen über den Verlauf dieser Rebellion besitzen. Wir haben Jahre unseres Lebens im Kampf gegen die Tyrannei und für die Freiheit investiert, und wir haben nicht die geringste Lust, noch mehr Zeit zu verschwenden, indem wir auf ein altes Wrack und seine überholten Ideen hören.«

Gutmann unterbrach sich, als Ruby einen Schritt vortrat und ihn mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen musterte.

»Du da! Benimm dich gefälligst, oder du bist draußen!«

»Und wie bitte wollt Ihr das anstellen?« Gutmann grinste selbstgefällig. »Schließlich bin ich nur ein Hologramm, meine Liebe. Euer wohlbekannter Hang zu Gewalttätigkeit nutzt Euch in diesem Fall überhaupt nichts. Ich habe noch eine ganze Menge mehr zu sagen, und Ihr könnt nichts unternehmen, um mich daran zu hindern.«

»Willst du darauf wetten, Fettsack?« entgegnete Ruby. Sie zog einen kleinen Apparat aus der Tasche, zeigte damit auf Gutmann, grinste böse und drückte auf einen Knopf. Die Holoprojektion des dicken Mannes fiel in sich zusammen und verschwand. Ruby musterte die versammelte Menge, und Unruhe wurde laut. »Ein praktisches kleines Gerät ist das«, erklärte sie.

»Ich habe es von den Hadenmännern. Also reißt Euch gefälligst zusammen, Leute. Hütet Eure Zungen, wenn Ihr wollt, daß wir Euch zuhören.«

»Betrachtet Ruby Reise als meinen Stabsoffizier«, sagte Ohnesorg. »Und seid froh, daß niemand von Euch persönlich anwesend ist. Ruby setzt sehr unkonventionelle Methoden ein, wenn es darum geht, mit Leuten fertig zu werden, die sie verärgern. Es dauert ewig, hinterher all das Blut aufzuwaschen.

Schön, wo war ich stehengeblieben?«

»Ihr habt über die Rebellion und die Art und Weise gesprochen, wie sie durchgeführt werden soll«, meldete sich David Todtsteltzer zu Wort. Er trat zusammen mit seinem Freund Kit Sommer-Eiland nach vorn. Niemand schien über das Auftauchen der beiden sonderlich überrascht. »Die Antwort erscheint mir offensichtlich. Nach Euren Worten ist mein Vorfahr, der ursprüngliche Todtsteltzer, wieder aufgetaucht. Zusammen mit dem Dunkelwüsten-Projektor. Also müssen wir nichts weiter tun, als die Macht dieser Waffe zu demonstrieren, um Löwenstein zu beweisen, daß wir sie besitzen. Anschließend stellen wir ihr ein Ultimatum zum Rücktritt, weil wir das Gerät sonst gegen Golgatha richten. Auf diese Weise müssen wir keinen Krieg führen.«

»Unglücklicherweise ist es nicht ganz so einfach«, erwiderte Ohnesorg. »Giles, würdet Ihr bitte erklären, um was es geht?«

Der ursprüngliche Todtsteltzer trat auf das Podium neben Ohnesorg. Die Menge rührte sich und murmelte unruhig, als jedermann einen ersten Blick auf die Person werfen konnte, die eine noch größere Legende war als Ohnesorg. Der Todtsteltzer war groß und hager, seine nackten Oberarme muskelbepackt.

Er schien Mitte Fünfzig zu sein, mit hartem, klarem Gesicht und einem grauen Spitzbart. Sein langes graues Haar war zu einem Söldnerzopf geflochten, und er war mit abgewetzten, konturlosen Fellen bekleidet, die in der Leibesmitte von einem breiten Ledergürtel gehalten wurden. Giles trug schwere goldene Armreifen und Ringe an den Fingern. Auf seinem Rücken hing ein Schwert in einer ledernen Scheide, und in einem Halfter an der Hüfte steckte eine Pistole unbekannter Konstruktion.

Alles in allem erweckte Giles ganz den Eindruck eines gefährlichen Barbaren von irgendeiner Grenzwelt, auf der Zivilisation und Gesetz längst vergessene Erinnerungen waren. Jedenfalls sah er nicht im geringsten aus wie der legendäre erste Oberste Krieger des Imperiums. Das unruhige Gemurmel wurde lauter und verstummte auch dann nicht, als der ursprüngliche Todtsteltzer zu reden begann.

»Als ich das letzte Mal den Dunkelwüsten-Projektor benutzte, erloschen tausend Sonnen von einem Augenblick zum anderen. All ihre Welten und die Zivilisationen darauf starben in der Kälte der ewigen Dunkelheit. Der Dunkelwüsten-Projektor ist keine Waffe, mit der man genau zielen kann. Wenn ich ihn wieder benutze, mitten im Herzen des Imperiums, dann wird nicht nur von Golgatha, sondern auch vom ganzen Rest des Imperiums nicht mehr viel übrigbleiben.«

Plötzlich wurde es in der großen Halle sehr still. David runzelte die Stirn. »Wir müssen ihn ja nicht wirklich einsetzen. Es reicht, wenn wir damit drohen.«

»Drohungen funktionieren nur, wenn man sie auch wahr machen kann«, erwiderte Ohnesorg. »Die Löwenstein wird wissen, daß wir nur bluffen. Wir wollen das Imperium befreien, nicht zerstören. Außerdem würde die bloße Drohung, den Dunkelwüsten-Projektor einzusetzen, praktisch jedermann im Imperium zu unserem Gegner machen. Statt unsere Rebellion zu unterstützen, würden sie schreiend zu Löwenstein rennen und sie anflehen, daß man uns wahnsinnige Terroristen auslöscht.

Nein, wir dürfen den Dunkelwüsten-Projektor nicht einsetzen und auch nicht damit drohen. Wir können nur dafür sorgen, daß Löwenstein ihn nicht in die Finger bekommt. Sie würde nämlich keinen Augenblick zögern, ihn zu benutzen, wenn sie das Gefühl hat, sie könnte verlieren.«

Wieder setzte Gemurmel ein, doch diesmal klang es zustimmend. Giles trat vorn Podium herunter, um die Aufmerksamkeit nicht von Ohnesorg abzulenken. David blickte seinem Vorfahren mürrisch hinterher. »Wenn wir uns schon Sorgen machen, was die Bevölkerung denkt, dann sollten wir vielleicht auch bestimmte Leute aus dem Licht der Kameras halten.

Wenn das wirklich der ursprüngliche Todtsteltzer ist, dann gewinnt er jedenfalls keinen Blumentopf mit seiner Ausstrahlung. Wenn die Menschen ihn auch nur für einen Augenblick auf ihren Holoschirmen zu sehen bekommen, denken sie sofort, wir wären eine Bande von Wilden. Wir müssen uns als erstrebenswerte, zivilisierte Alternative zu Löwenstein präsentieren.«

»Richtig«, stimmte der Sommer-Eiland zu. »Es ist wichtig, daß wir das richtige Bild vermitteln. Manche Leute könnten unserem Image nur Schaden zufügen. Ich sollte es schließlich wissen. Soweit ich weiß, war Ruby Reise früher eine bezahlte Mörderin und die D’Ark sogar eine Klonpascherin.«

»Zur Hölle, das ist noch gar nichts«, fiel Owen ein. »Ich zum Beispiel war ein Lord. Unsere Rebellion bietet Platz genug für alle, Sommer-Eiland; Klone, Esper und selbst für privilegierte Aristokraten wie Euch und mich.«

»Aber wir sind wenigstens Menschen«, sagte David. »Was ist mit diesem… Ding da?« Er gestikulierte abschätzig zu dem einzelnen Vertreter der Hadenmänner, der regungslos in seiner Ecke stand und das Geschehen aufmerksam verfolgte. David verzog das Gesicht vor Abscheu und Ärger. »Ich kann einfach nicht glauben, daß wir eine Allianz mit den Haldenmännern eingehen. Sie sind Maschinen, keine Menschen. Woher wissen wir, daß sie nicht insgeheim mit den KIs von Shub zusammenarbeiten? Schließlich gibt es eine Menge Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Und sie tragen beide den offiziellen Namen Feinde der Menschheit.«

»Vielleicht sollten wir wirklich eine Allianz mit Shub in unsere Überlegungen einbeziehen«, schlug der Hadenmann gelassen vor. »Wir alle haben die Berichte über die Furie bei Hofe gesehen. Die KIs sind jedenfalls gewillt, an unserer Seite gegen die Fremden zu kämpfen.«

»So einen Vorschlag kann nur jemand unterbreiten, der so wenig menschlich ist wie Ihr!« entrüstete sich Hazel. »Die KIs sind gegen alles, das unser Menschsein ausmacht. Sie wollen nicht an unserer Seite kämpfen; sie wollen über uns herrschen und uns als ihre Armee mißbrauchen.«

»Richtig«, stimmte Owen zu. » Shub geht entschieden zu weit. Wie könnten wir den KIs jemals trauen?«

»Wie können wir den Hadenmännern jemals trauen?« konterte David.

Owen musterte seinen Vetter nachdenklich. Ohnesorg mischte sich in die Unterhaltung ein, bevor die Pause peinlich werden konnte. »Zwei Gründe. Erstens: Wir können die Hadenmänner packen, wenn es sein muß. Sie leben auf einem einzigen Planeten in einer einzigen Stadt, und wir kennen den Ort.

Sie sind noch nicht lange wieder wach. Sie sind verwundbar, und das wissen sie. Zweitens: Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen den aufgerüsteten Männern von Haden und den abtrünnigen KIs von Shub. Die Hadenmänner wollen uns lediglich in Wesen verwandeln wie sie selbst. Shub will unsere vollständige Vernichtung. Shub will uns auslöschen, als hätte es uns nie gegeben. Für den Augenblick jedenfalls nutzt es uns mehr, wenn wir uns mit den Hadenmännern verbünden, als wenn wir sie zum Gegner hätten. Versucht doch einfach, sie als notwendiges Übel zu betrachten… wie zum Beispiel Zahnärzte.«

»Ich bin noch nicht überzeugt«, erwiderte David stur. »Wenn wir schon Hadenmänner akzeptieren müssen, dann bleibt uns keine andere Wahl, als auch Klone und Esper zu akzeptieren.

Uns geht es doch um ein menschliches Imperium. Was für einen Sinn macht es, wenn wir Löwenstein stürzen und im Anschluß daran jedem genetischen Experiment und jeder Mißgeburt erlauben, in unseren politischen Gremien mitzureden?«

»Wir wollen nicht nur mitreden«, meldete sich Stevie Eins mit scharfer Stimme. »Wir verlangen volle Bürgerrechte für alle Klone und Esper als Gegenleistung für unsere Unterstützung. Ansonsten werden wir alleine weiterkämpfen, auch gegen Euch, wenn es sein muß, und unser Krieg wird sich hinziehen, bis entweder Ihr oder wir ausgelöscht sind.«

»Richtig!« stimmte Stevie Drei ihrer Schwester zu. Sie hob die geballte Faust, und blaue Flammen entsprangen mit drohendem Knistern ihrer Hand.

»Macht das aus, oder ich schalte die Sprinkler ein!« befahl Jakob Ohnesorg. Stevie Drei zögerte kurz, dann erloschen die Flammen, und sie senkte die Hand. »Also wirklich«, fuhr Jakob fort. »Man kann sie nirgendwohin mitnehmen… Zurück zum Thema, Leute. Wenn wir unseren alten Ängsten und Feindschaften nachgeben und zulassen, daß wir uns deswegen zerstreiten, dann haben wir schon verloren, bevor wir noch richtig angefangen haben. Unsere Gemeinsamkeiten sind wichtiger als das, was zwischen uns steht. Und es liegt in unser aller Interesse, daß Löwenstein vom Eisernen Thron vertrieben wird. Wir können uns später immer noch Gedanken darüber machen, wen oder was wir als ihren Nachfolger wählen. Diese Diskussion wird am Beginn unserer neuen Demokratie stehen.«

An verschiedenen Stellen brach spontaner Applaus aus, aber ebenso viele der Anwesenden schlossen sich dem Beifall nicht an. Alle waren gewillt, Jakob zuzuhören, doch bisher waren einfach noch nicht alle überzeugt.

»Mir bereiten die Fremden die größten Sorgen«, meldete sich Evangeline Shreck zu Wort. »Ihre Existenz ist inzwischen kein bloßes Gerücht mehr. Ein einziges ihrer Schiffe hat den Raumhafen von Golgatha in Schutt und Asche gelegt. Und das war erst eine der unbekannten Rassen. Angeblich gibt es zwei.

Was, wenn sie sich gegen die Menschheit verbünden? Immerhin könnte es sein, daß die Fremden eine viel größere Bedrohung für die Menschheit darstellen als Löwenstein.«

»Dann sollten wir besser zusehen, daß wir unsere Rebellion durchführen, bevor sie über das Imperium herfallen«, sagte Giles. »Wenn das Imperium so uneinig ist wie bisher, gibt es keine Hoffnung, einem gemeinsamen Angriff zweier Rassen unbekannter Herkunft und Stärke zu widerstehen. Es ist unbedingt erforderlich, daß wir uns alle vereinen und ein gemeinsames Ziel vor Augen haben. Und da Löwenstein in dieser Hinsicht niemals zustimmen würde, ist es aus meiner Sicht lebensnotwendig, sie vom Thron zu stoßen, solange noch Zeit dazu ist.«

»Jedermann kennt Eure Legende«, meldete sich Finlay Feldglöck zu Wort und musterte Giles nachdenklich. »Die Kinder lernen es in der Schule, und beinahe jedes Jahr gibt es einen neuen Holofilm, der auf Euren Abenteuern basiert. Ihr wart vor mehr als neunhundert Jahren der erste Oberste Krieger des Imperiums, und Ihr habt das Beste des alten Imperiums verkörpert. Woher sollen wir wissen, daß Ihr in Eurem Herzen auf unserer Seite steht und nicht tief im Innern für den Eisernen Thron und das Imperium seid, für das Ihr vor so langer Zeit so häufig Euer Leben in die Waagschale geworfen habt?«

»Das Imperium, an das ich glaubte und an das ich mich erinnere, ist längst vergangen«, erwiderte Giles Todtsteltzer. »Und trotz allem, was die Holofilme Euch erzählt haben mögen – es begann schon damals von innen heraus zu verrotten. Ich versuchte, diesen Prozeß aufzuhalten, aber ich war nur ein einzelner Mann, und obwohl ich damals der Oberste Krieger war, blieb mir am Ende nichts anderes übrig, als um mein Leben zu rennen. Wenn ich sehe, was in der Zwischenzeit aus dem Imperium geworden ist, dann erkenne ich es nicht wieder. Löwensteins Reich ist eine Karikatur dessen, was seine Gründer im Sinn hatten. Der Traum der Menschheit ist zu einem Alptraum geworden. Und wir sind der Wecker. Es ist noch nicht zu spät.

Wir können die Dinge ändern, wenn wir uns nur einig sind und zusammenarbeiten.«

»Rührende Worte«, entgegnete Finlay Feldglöck. »Aber über was für eine Art von Veränderungen sprechen wir genau? Es ergibt keinen Sinn, daß wir alle unser Leben riskieren, um Löwenstein von ihrem Thron zu stoßen, wenn wir sie hinterher durch jemanden oder etwas ersetzen, das genauso schlecht ist.

Das gesamte System ist korrupt. Ich sage, wir müssen es vollständig zerschlagen und ganz von vorn beginnen. Ich habe Dinge gesehen… Ich darf nicht zulassen, daß es so weitergeht.

Ich spreche für den Untergrund von Golgatha, und wir verlangen allgemeines Wahlrecht, ein Parlament, das die gesamte Bevölkerung repräsentiert – einschließlich Klonen und Espern! – und eine strikt konstitutionelle Monarchie. Und eine Generalamnesie für alle, die aus politischen Gründen in den Gefängnissen sitzen.«

»Richtig«, sagte Stevie Drei. »Reißt Silo Neun ab, und macht den Experimenten an Klonen und Espern ein Ende!«

»Und brecht die Macht der Familien«, fügte Jakob Ohnesorg hinzu. »Die Clans kontrollieren alle Produktionsmittel. Die neue Regierung muß als erstes sämtliche Clans enteignen und die Kontrolle über ihre Vermögen übernehmen. Stürzt sie alle, und laßt sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten, genau wie der Rest von uns.«

»Einen Augenblick!« fuhr Owen dazwischen. »Ich bin immer noch loyal gegenüber dem Eisernen Thron, selbst wenn diejenige, die ihn gegenwärtig besetzt, nicht als Herrscher geeignet ist. Wir brauchen nichts weiter als jemanden, der geistig gesund und vernünftig mit der ihm übertragenen Macht umgeht.

Anschließend können wir mit dieser Person über vorsichtige demokratische Reformen verhandeln. Nur weil schlechte Menschen an der Macht sind, heißt das noch lange nicht, daß das gesamte System schlecht ist.«

»Doch, das heißt es«, widersprach Hazel. »Es ist nämlich genau das System, das schlechte Menschen hervorbringt. Jakob hat vollkommen recht, wir müssen alles einreißen. Jeder muß eine Chance erhalten.«

Owen funkelte sie wütend an. »Ihr wollt immer nur Chaos.

Wie sollen wir eine effiziente Gesellschaft aufbauen, wenn niemand seinen Platz kennt?«

»Du willst nur dein altes Leben zurück«, fauchte Hazel ihn an. »Du willst in deinen verdammten Elfenbeinturm zurück, wo du sicher bist und von einer kleinen Armee von Dienern vor der Wirklichkeit behütet wirst, die jeden deiner Wünsche auf ein Fingerschnippen hin erfüllen. Zur Hölle damit, Aristo!

Wenn es bei dieser Rebellion um irgend etwas gehen soll, dann darum, daß jeder die Chance auf ein gutes Leben bekommt!«

»Und gleiche Rechte für Klone und Esper«, sagte Stevie Eins.

»Neue Märkte«, sagte Gregor Shreck.

»Reiche Beute«, sagte Ruby Reise.

»Wir kommen schon wieder vom Thema ab«, unterbrach Jakob Ohnesorg das allgemeine Geschnatter. »Zuerst einmal müssen wir Löwenstein von ihrem Thron vertreiben, und dann können wir uns immer noch streiten, womit wir sie ersetzen.

Unsere Rebellion ist groß genug für alle Meinungen. Im Augenblick ist jedoch der Feind meines Feindes mein Freund – oder zumindest mein Verbündeter. Der ganze Sinn unseres Aufstandes ist doch, ein vereinigtes Imperium zu schaffen, das all seine Kräfte auf die herandrängenden Fremden konzentrieren kann, anstatt sein Potential mit Kämpfen und Querelen untereinander zu verschleißen.

Wir können mit den politischen Debatten anfangen, wenn wir sicher sind, daß es eine Zukunft gibt, über die es zu diskutieren lohnt. Und jetzt laßt uns bitte weitermachen. Wir haben noch immer die Frage der Finanzierung zu klären. Bewaffnete Auseinandersetzungen kosten Geld. Viel Geld. Unser Überfall auf die Steuerbehörde Golgathas hat uns zwar viele Milliarden Kredits eingebracht, aber das wird nur für den Anfang reichen.

Wir müssen Stützpunkte errichten und sie mit Kampf schiffen, Rechnern und Waffen ausrüsten, Untergrundbewegungen müssen gegründet und aufrechterhalten werden. Soldaten müssen ausgebildet, Agenten eingeschleust und Politiker bestochen werden, damit sie in eine andere Richtung blicken. Man darf nie die Bedeutung dessen unterschätzen, was man mit einer guten Bestechung erreichen kann. Doch all das ist nur möglich, wenn wir einen stetigen Zustrom von Mitteln erhalten und dieser Zustrom über lange Zeit bestehen bleibt. Was auch der Grund ist, aus dem einige der Anwesenden zu dieser Versammlung eingeladen wurden. Bitte stellt Euch den anderen vor, meine verehrten Herrschaften.«

»Wurde aber auch allmählich Zeit«, brummte Gregor Shreck, und ein selbstzufriedenes Grinsen zeigte sich auf dem feisten Gesicht. »Politische Rhetorik mag ja ganz schön sein, aber davon kann niemand Waffen kaufen. Leute wie ich entscheiden, ob diese Rebellion endlich ins Rollen kommt. Ich bin gekommen, um die volle, wenn auch verdeckte Unterstützung kommen, um die volle, wenn auch verdeckte Unterstützung meines Clans anzubieten. Als Gegenleistung erwarte ich für die Zukunft einige Zugeständnisse.«

»Welche Art von Zugeständnissen?« erkundigte sich Owen mißtrauisch.

Der Shreck spreizte seine fetten Finger. »Um das zu diskutieren, haben wir uns hier versammelt.«

»Ich dachte, Ihr und Eure Leute stünden auf freundschaftlichem Fuß mit der gegenwärtigen Staatskirche?« fragte Finlay Feldglöck.

»Das stimmt«, erwiderte der Shreck. »Offiziell jedenfalls.

Doch die Kirche ist nicht der starke Verbündete, den ich mir erhofft hatte. Sie erteilt viel zu gerne Befehle, und die Einschränkungen, die man mir für mein Privatleben auferlegt, werden immer unverschämter. Ich erhoffe mir größere Vorteile, wenn ich mich der Rebellion anschließe. Außerdem trete ich nur in die Fußstapfen meiner geliebten Tochter Evangeline.

Wie ist das Leben im Untergrund so, meine kleine Evie? Du hast mir kein einziges Mal geschrieben.«

»Sehr angenehm, Vater«, entgegnete Evangeline Shreck tonlos. »Ich bin jetzt viel glücklicher, nachdem der Druck aus meinem Leben verschwunden ist.«

»Um wieviel glücklicher wärst du erst, wenn du wieder zu mir nach Hause kommen würdest«, sagte Gregor. »Zurück zu deinem liebenden Vater. Deine Freundinnen vermissen dich ebenfalls sehr. Erinnerst du dich noch an die kleine Penny? Ihr beide wart so eng befreundet, bevor sie in Silo Neun endete.

Unglücklicherweise hat sie ihre Geheimnisse nicht so sorgfältig gehütet wie du, mein Kind. Du hast versucht, sie zu retten, doch das ging daneben. Aber ich, ich habe sie befreit. Ich habe Verbindungen, meine liebe Evie, weißt du? Ich kenne Leute, die mir alles bringen, was ich haben will. Jetzt lebt Penny bei mir, und sie liebt mich, wie du es einst getan hast. Komm wieder nach Hause, Evie. Ohne deine Unterstützung weiß ich nicht, wie lange ich die arme Penny noch schützen kann. Du willst doch nicht, daß ihr irgend etwas zustößt, oder?«

»Laßt sie in Frieden«, zischte Finlay scharf und trat zwischen Evangeline und ihren Vater. »Ich spüre ganz genau, was Ihr vorhabt, Shreck. Ihr wollt Evie dazu zwingen, zu Euch zurückzukommen, damit Ihr einen Keil zwischen uns treiben könnt.

Ich weiß, daß Ihr sie mißhandelt habt. Evie spricht niemals darüber, aber ich weiß, wie sehr Ihr sie verletzt habt. Also laßt sie in Frieden, Ihr verdammter Bastard, oder ich werde Euch eigenhändig töten. Die Rebellion kann sehr gut ohne die Unterstützung von Abschaum wie Euch leben.«

»Kann sie?« erwiderte Gregor ungerührt. »Ich schätze, Eure Vorgesetzten im Untergrund denken da ganz anders. Was bedeutet schon eine Person gegen die Reichtümer eines Clans?

Und ich will meine Evie zurückhaben! Wenn ich dazu über Eure Leiche gehen muß, Feldglöck, dann um so besser!«

»Ihr seid ein toter Mann, Shreck«, knurrte Finlay mit rauher Stimme.

»Nimm deinen Hund an die Leine, liebe Evie«, sagte der Shreck gelassen. »Oder ich werde dafür sorgen, daß man ihm einen Maulkorb anlegt. Vergiß nicht, die Rebellion braucht mich.«

»Ich muß ihm leider zustimmen«, mischte sich Jakob Ohnesorg ein. »Wir haben uns hier versammelt, um über die Zukunft der gesamten Menschheit zu sprechen und nicht über Eure persönlichen Probleme. Macht das zu gegebener Zeit untereinander aus. Nur eins noch, Finlay: Die Sache geht vor. Immer.

Vergeßt das nicht.«

»Haltet mir keine Vorträge«, erwiderte Finlay. »Ich habe einen Eid auf meinen Namen, meine Ehre und mein Leben geschworen, Löwenstein zu stürzen. Ich werde kämpfen und, wenn es sein muß, auch für unsere Sache sterben. Aber früher oder später wird eine Zeit kommen, wenn die Rebellion die Unterstützung des Shreck nicht mehr benötigt. Und dann werde ich ihn töten.«

»Ihr werdet mich immer brauchen«, entgegnete der Shreck.

»Habt Ihr nicht zugehört? Der Sturz Löwensteins ist nur der Anfang. Der wirkliche Kampf um Macht und Einfluß beginnt erst danach. Und Ihr werdet immer Leute wie mich benötigen.

Wer weiß, vielleicht sollte ich als Preis für meine Unterstützung Evies Rückkehr und Euren Kopf auf einem Pfahl verlangen?«

»Davon träumt Ihr nur, kleiner Mann«, erwiderte Finlay.

»Unsere Rebellion soll uns von Leuten wie Euch befreien.

Stimmt es nicht, Ohnesorg?«

»Haltet bitte endlich den Mund. Alle beide!« Jakob Ohnesorg funkelte Finlay und Gregor wütend an. »Ihr könnt Eure Hahnenkämpfe meinetwegen woanders austragen, aber nicht hier.

Je länger sich diese Versammlung hinzieht, desto größer ist die Gefahr, daß das Imperium uns entdeckt. Und jetzt: Hat noch irgend jemand etwas zur Sache zu sagen?«

»Ich biete die Unterstützung des Todtsteltzer-Clans«, sagte David und grinste Owen kalt an. »Ich bin der Lord von Virimonde, und all meine Ressourcen stehen der Rebellion zur Verfügung. Virimonde liegt relativ weit ab vom Zentrum, und es dauert sicher eine Zeit, bevor das Imperium etwas bemerkt.«

» Virimonde gehört nur so lange dir, bis ich komme und es mir zurückhole«, sagte Owen. »Richte dich nicht zu behaglich ein, David. Du wirst nicht lange dort bleiben.«

»Du hast kein Recht auf irgend etwas dort, wie auch immer die Rebellion ausgeht«, widersprach David. »Ich bin jetzt der Todtsteltzer, und du bist ein Niemand. Ich werde mein Eigentum gegen jeden verteidigen, der es mir wegnehmen will.«

»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.« Owen lächelte seinen Vetter an. »Soweit ich mich entsinne, gehört die Lordschaft von Virimonde zu dem Preis, der auf meinen Kopf ausgesetzt ist. Also muß mich nur irgend jemand töten, und Löwenstein wird ihn zum Lord von Virimonde ernennen. Deine Festung ist auf Sand gebaut, Vetter, und die Flut kommt bereits heran.«

»Wenn die Rebellion die Nahrungsmittel und Vorräte will, die ich liefern kann, dann wird sie mich als den rechtmäßigen Lord anerkennen müssen, und zwar jetzt und später.«

»Das stimmt«, sagte Ohnesorg. »Tut mir leid, Owen.«

David grinste Owen selbstgefällig an. »Ich habe bereits sämtliche Spuren deiner kurzen Herrschaft beseitigen lassen. Bald wird sich niemand mehr daran erinnern, daß du jemals ein Lord warst. Nicht, daß du meinst, du hättest viele Spuren auf Virimonde hinterlassen, so zurückgezogen, wie du in deiner Festung gelebt und Geschichten geschrieben hast, die kein Schwein jemals lesen wird. Im Gegensatz zu dir habe ich jedenfalls große Pläne mit Virimonde. Ich werde dem Namen Todtsteltzer wieder zu seiner alten Größe verhelfen.«

Owen schäumte innerlich. Der Gedanke daran, daß dieser kleine Erbschleicher sich in seiner Festung eingenistet hatte, in seinem Bett schlief und seinen Wein trank, hätte ihn beinahe in einen Schlaganfall getrieben. Aber irgendwie bewahrte er die Ruhe. Sosehr Owen auch haßte, es zugeben zu müssen: Jakob Ohnesorg hatte recht. Die Rebellion kam an erster Stelle. Er suchte noch immer nach einer halbwegs diplomatischen Antwort, als Giles Todtsteltzer vortrat und David mit unerbittlichem Blick musterte.

»Der Name Todtsteltzer war immer ein großer Name, Bursche, den du dir erst noch verdienen mußt. Wenn du dich unbedingt beweisen willst, dann mach das gefälligst auf dem Schlachtfeld, wie es seit jeher Sitte ist bei den Todtsteltzern.

Und in der Zwischenzeit wirst du dich mit Owen vertragen. Ihr seid miteinander verwandt. Ihr seid durch Blut und Ehre und eine mehr als neunhundert Jahre währende Tradition aneinander gebunden. Ihr seid beide meine Nachfahren, in jeder nur denkbaren Hinsicht, und ich dulde nicht, daß ihr gegeneinander die Waffen zieht. Vertragt euch endlich, oder ich stoße euch mit den Köpfen gegeneinander, daß es kracht!«

Owen mußte grinsen. Der Alte hatte schon eine eigenartige Methode, zur Sache zu kommen. Die Familie war wichtiger als jede Politik, und das würde immer so bleiben. Die Umstände kamen und gingen, die Politik entwickelte und änderte sich, aber die Familie blieb. Er nickte David schroff zu.

»Ich will nicht für deinen Tod verantwortlich sein, Vetter.

Ich bezweifle zwar ernsthaft, daß wir uns jemals gut werden leiden können, aber Giles hat recht. Du gehörst zur Familie.

Doch vergiß nicht, daß die Eiserne Hexe dir jederzeit alles wieder wegnehmen kann, so wie sie es mir weggenommen hat.

Paß auf deinen Rücken auf. Und halte deine eigenen Sicherheitsleute im Auge. Sie waren die ersten, die sich gegen mich gewandt haben, nachdem ich für vogelfrei erklärt worden bin.

Komm nachher zu mir, und ich verrate dir einen Fluchtweg, den sie nicht kennen.«

»Danke für den guten Rat«, sagte David. »Ich werde es mir merken.« Er blickte zu Jakob Ohnesorg. »Kit Sommer-Eiland und ich repräsentieren eine ganz beträchtliche Anzahl von Leuten meiner Generation. Jüngere Söhne, die niemals erben werden und… kein Verständnis für die gegenwärtige Ordnung der Dinge haben. Viele von uns haben eine Karriere beim Militär oder der Flotte eingeschlagen, und – den richtigen Anreiz vorausgesetzt – werden sie sich der Rebellion anschließen.«

»Dann sprecht mit ihnen«, sagte Ohnesorg. »Aber seid vorsichtig mit dem, was Ihr ihnen versprecht. Niemand von uns kann im Augenblick vorhersehen, was die Zukunft bringen wird.«

Der alte Rebell unterbrach sich, als eine Gruppe von sechs Männern zielstrebig durch die Menge auf ihn zukam. Ihre Holosignale waren so stark, daß sie alle anderen Anwesenden zur Seite zwangen. Die Menschen fluchten und schimpften, doch die sechs Männer ignorierten sie einfach. Sie waren allesamt groß und schlank, Albinos mit weißem Haar, blasser Haut und blutroten Augen. Die Männer trugen lange Gewänder in schrillen Farben, und ihre Gesichter wiesen wilde rituelle Narben auf. Jeder wußte, wer sie waren, wer sie sein mußten. Die Blutläufer waren berüchtigt. Ihre Basis lag im Obeahsystem, einer kleinen Gruppe von Planeten am Rand des Abgrunds, und sie wurden von einer uralten, dunklen Religion zusammengehalten, die sich auf Blut, Leid und Besessenheit durch verstorbene Vorfahren gründete. Mörderische Fanatiker, die auch noch stolz darauf waren. Die Staatskirche hatte sie bereits vor vielen Jahren als Häretiker verbannt, doch niemand unternahm etwas gegen sie. Die Blutläufer hatten ihre Finger in jedem schmutzigen Geschäft im gesamten Imperium, und ihr Arm reichte weit.

Sie handelten mit allem, von Wampyrblut über Leichen bis hin zu Sklaven, und sie beugten vor keinem Herren den Kopf. Die sechs blieben vor Ohnesorg stehen, der sie nachdenklich musterte.

»Wunderbar«, sagte er schließlich. »Noch mehr Komplikationen. Was, zur Hölle, habt Ihr hier zu suchen? Ihr wart nicht auf der Gästeliste. Zur Hölle, Leute wie Ihr stehen auf keiner Gästeliste des Universums. Wenn Ihr bei einer Beerdigung auftaucht, ergreift selbst die Leiche die Flucht. Für den Fall, daß ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt habe: Macht, daß Ihr von hier verschwindet, aber ein bißchen plötzlich, bevor wir die Bude ausräuchern müssen. Die Rebellion kann niemals so schlecht dran sein, daß wir die Unterstützung von Leuten wie Euch benötigen.«

»Das sind harte Worte von einem müden alten Mann«, entgegnete der Anführer der Abordnung des Obeahsystems. »Ich bin Scour, und ich spreche für die Blutläufer. Wir sind ein Volk von eigener Rasse und mit eigener Religion, und unsere Wurzeln reichen viel weiter in die Vergangenheit zurück als Euer verehrtes Imperium. Wir sind stolz und ehrenhaft, und wir leben nach unseren Traditionen. Wir haben niemals das Knie vor Löwenstein oder einem ihrer Vorgänger gebeugt. Wir sind gekommen, um der Rebellion unsere Unterstützung anzubieten.

Wir sind reich. Ihr seid eingeladen, Euch alles zu nehmen, was Ihr benötigt.«

Ohnesorg leckte sich über die Lippen. Sein Mund fühlte sich trocken an. Scours Stimme war ein heiseres Krächzen, alt und voller Schmerz wie der staubige Atem eines Großmütterchens.

Ohnesorg erinnerte sich an einige der unheimlichen Geschichten, die man sich über die Blutläufer erzählte, und plötzlich erschienen sie ihm gar nicht mehr so unglaubwürdig. Er wollte ihre Hilfe nicht. Er wollte überhaupt nichts von ihnen. Aber die Rebellion brauchte finanzielle Unterstützung.

»Ich nehme an, Eure Hilfe hat ihren Preis?« erkundigte er sich schließlich. »An was genau habt Ihr dabei gedacht?«

»Wir wollen in Ruhe gelassen werden. Wir leben auf unsere Art und Weise, schon seit Jahrhunderten, und wir haben nicht den Wunsch, daran etwas zu ändern. Löwensteins neue Politik bedroht unsere Unabhängigkeit. Als Gegenleistung für die von uns angebotene Hilfe verlangen wir lediglich, daß man uns zukünftig in Ruhe läßt. Mißbilligt unsere Lebensweise, wenn Ihr meint, daß Ihr das müßt, aber bitte aus sicherer Entfernung.«

»Wo ist der Haken?« fragte Ohnesorg mißtrauisch.

»Es gibt noch eine andere Sache«, sagte Scour. »Eine Frage der Ehre. Einer Eurer Leute schuldet uns etwas.« Die Blutläufer drehten alle zugleich die totenbleichen Köpfe nach Hazel D’Ark um. »Ihr seid die einzige Überlebende des Raumschiffes Scherbe. Der Kapitän der Scherbe hatte einen Vertrag mit uns.

Versprechen wurden abgegeben, und Hilfe wurde geleistet, und als Ausgleich wurde uns eine Bezahlung zugesichert. Der Kapitän und der Rest der Mannschaft sind tot. Ihr seid die einzige Überlebende, Hazel D’Ark, und die Bezahlung ist lange überfällig.« Scour drehte sich wieder zu Ohnesorg um. »Wir verlangen, daß Ihr uns diese Frau übergebt.«

»Verschwende nicht deine Zeit«, erklärte Hazel. »Was Kapitän Markee dir auch immer versprochen hat, mich hat er vorher nicht gefragt, und ich habe nichts unterschrieben. Außerdem könnte ich nichts bezahlen. Ich bin pleite.«

»Wir verlangen kein Geld«, erwiderte Scour. »Euer Kapitän traf eine Übereinkunft mit uns. Die Scherbe sollte uns mit frischen Körpern versorgen. Ein gewisser Prozentsatz von allem, was Ihr während Eurer Tätigkeit als Klonpascher in Euren Besitz brachtet. Wir benötigen ständig frische Körper, um unsere Sitten und Gebräuche ausüben zu können. Wir können nicht einfach über die Schuld hinwegsehen; das wäre unehrenhaft.

Also müssen wir unseren Anteil am Fleisch verlangen, Hazel D’Ark. Wir werden Euren Körper zu schätzen wissen…, solange Ihr vorhaltet.«

»Zur Hölle, das hättet Ihr wohl gern!« meldete sich Owen, und seine Stimme durchbrach kalt, hart und tödlich die plötzlich eintretende Stille. »Hazel ist meine Freundin. Niemand bedroht sie, solange ich in der Nähe bin.«

»Danke sehr, Owen«, sagte Hazel, »aber ich kann für mich alleine sprechen.« Sie funkelte die Blutläufer an. »Ihr hattet einen Handel mit Markee, und Markee ist tot. Ihr habt nie einen Handel mit mir abgeschlossen, also schulde ich Euch auch nichts. Ihr werdet Eure Hände nicht an mich legen. Ich habe gehört, was mit den Leuten geschieht, die in Euren dreckigen Fingern landen. Sie betteln um den Tod, damit der Schmerz aufhört.«

»Was ist schon Schmerz«, erwiderte Scour, »wenn das Ziel Wissen lautet? Wir entschlüsseln die Geheimnisse von Leben und Tod. Ihr solltet Euch geehrt fühlen, uns dabei behilflich sein zu dürfen.«

»Nimm deine verdammte Ehre und steck sie dir sonstwohin«, fauchte Hazel. »Du wirst mich nicht Stück für Stück bei lebendigem Leib auseinanderschneiden.«

»Doch, das werden wir«, sagte Scour ruhig. »Es wurde so vereinbart. Der Vertrag ist unabänderlich und festgeschrieben.«

»Ihr seid genauso verrückt wie böse«, entgegnete Owen.

»Verschwindet aus meinen Augen. Hier gibt es nichts für Euch zu holen.«

»Halt, einen Augenblick mal«, meldete sich Gregor Shreck zu Wort. »Diese Leute da haben uns unbeschränkte finanzielle Unterstützung zugesichert. Was bedeutet schon ein Leben, verglichen damit?«

»Richtig«, stimmte Kit Sommer-Eiland zu. »Ich meine, sie ist schließlich nur eine verdammte Klonpascherin. Die Luft im Imperium stinkt jedesmal ein bißchen weniger, wenn einer von ihnen stirbt.«

Ein allgemeines zustimmendes Gemurmel erhob sich. Owen blickte hilfesuchend zu Ohnesorg. Jakob kaute auf seiner Unterlippe und schien nachzudenken. Owens Hand fiel auf den Griff der Waffe an seiner Hüfte, doch dann entspannte er sich wieder. Die Blutläufer waren nur Hologramme, genau wie alle anderen. Sie bedeuteten keine unmittelbare Gefahr.

»Hazel geht nirgendwohin«, sagte er tonlos und starrte über die Menge. »Wer anderer Meinung ist, darf gerne persönlich herkommen und mir das sagen. Ich schicke ihn dann zu seinen Vorfahren. Aber bitte drängelt nicht, sondern stellt Euch immer hübsch hintereinander an.«

Ein silbernes Schimmern erschien unter statischem Knistern in der Luft rings um Hazel. Sie versuchte, sich umzudrehen, doch das Energiefeld hemmte sie in ihrer Bewegung wie ein Insekt, das in Marmelade gefallen war. Ruby Reise versuchte, den Holostörer auf die Blutläufer anzuwenden, aber diesmal funktionierte das Gerät nicht. Hazel blickte Owen voller Verzweiflung an. Er versuchte, zu ihr zu gelangen, doch es ging nicht. Owen hämmerte mit bloßen Fäusten auf das schimmernde Energiefeld ein und ignorierte den Schmerz, der seine natürliche Hand verbrannte – ohne Erfolg. Er versuchte es immer und immer wieder, bis das Feld ihn plötzlich zurückstieß.

Owen funkelte hilflos die Blutläufer an, die ihn einfach ignorierten und unverwandt auf Hazel blickten.

Owen konnte nichts tun, gar nichts – aber er mußte etwas tun.

Irgend etwas. Er wandte sich erneut zu Hazel um, die inzwischen hinter der schimmernden Wand beinahe unsichtbar war, und plötzlich vereinigten sich Wille und Not in seinem Bewußtsein, und etwas Dunkles, Schreckliches erwachte tief in seinem Innern, im Kleinhirn, in dem Teil Owens, der vom Labyrinth des Wahnsinns verändert und gestärkt worden war.

Eine ungeheure Macht erwachte in Owen zum Leben, und die Luft ringsum begann zu knistern wie bei einem eingesperrten Gewitter, das jeden Augenblick loszubrechen drohte. Owen wurde mehr als menschlich, und seine Gegenwart war mit einemmal überwältigend und riesengroß, als er sich konzentrierte. Jeder in der Halle starrte ihn an, unfähig, den Blick abzuwenden, die Augen gefesselt mit der Faszination einer Motte, die um das helle Licht einer Flamme kreiste. Und Owen brannte sehr, sehr hell.

Der Todtsteltzer trat vor, senkte die Hände in das schimmernde Teleportationsfeld und riß es auseinander. Es brach augenblicklich zusammen, und Hazel stolperte auf unsicheren Beinen in seine Arme. Er hielt sie für eine Sekunde, bevor er sie sanft von sich schob und Ohnesorg übergab. Owen war noch nicht fertig. Er wandte sich zu den Blutläufern um, das Gesicht kalt und hart, und sie erwiderten seinen Blick verächtlich und herausfordernd.

»Ihr meint, Ihr wärt sicher vor mir, nicht wahr?« erkundigte sich Owen mit gefährlich leiser Stimme. »Ihr seid Lichtjahre weit von hier entfernt, am anderen Ende des Abgrunds. Aber Ihr irrt. Ich kann Euch vernichten, wo auch immer Ihr Euch befindet.«

Owen griff hinaus auf eine Weise, die ihm völlig neu war, aber jetzt, da die Macht in ihm erwacht war, schien alles so selbstverständlich, so offensichtlich zu sein. Seine Wut fiel auf Scour. Der Blutläufer schrie auf, und Blut schoß aus seinem Mund, seiner Nase und aus seinen Augen. Dann explodierte er und beschmutzte seine Kameraden mit Innereien, Blut und Knochensplittern. Owen Todtsteltzer lächelte, als er die schockierten Gesichter der restlichen Blutläufer erblickte, und dann wandte er sich ab und musterte mit grimmigen Blicken die Versammlung, die so schnell bereit gewesen war, Hazel aus eigennützigen Gründen zu opfern. Die Anwesenden erschauerten unter den Blicken des Todtsteltzers, doch sie konnten noch immer nicht wegsehen. Owen spürte die Macht in sich, die danach verlangte, benutzt zu werden, doch er zwang sich zur Ruhe. Er verstand seine neue Fähigkeit noch nicht, und er hatte den starken Verdacht, daß sie ihren Preis von ihm fordern würde. Owen konzentrierte sich und ließ die Macht in seinem Unterbewußtsein verschwinden, und schließlich war er wieder ein ganz normaler Mann. Hazel wand sich aus Ohnesorgs Griff und trat unsicher zu Owen. Ihr Gesicht war gefaßt, doch ihre Hände zitterten.

»Danke, Owen. Ich bin dir was schuldig. Ich wußte gar nicht, daß du zu so etwas imstande bist.«

»Ich wußte es bis eben selbst nicht«, entgegnete Owen. »Ich denke, es war das Labyrinth. Es hat uns viel stärker verändert, als wir uns selbst eingestehen wollten. Ihr besitzt die gleiche Macht, Hazel. Ihr hättet Euch genausogut auch selbst befreien können.«

»Das nächste Mal werde ich das auch tun«, sagte Hazel.

»Wir müssen wissen, was mit uns geschieht, Owen. Welche Fähigkeiten wir sonst noch besitzen.«

»Darüber können wir auch später noch reden«, unterbrach sie Ohnesorg. »Wir wollen doch unsere zukünftigen Freunde nicht unnötig erschrecken. Ich denke, es ist besser, wenn sie nur in kleinen Portionen davon erfahren.« Er wandte sich an die verbliebenen Blutläufer. »Und Ihr macht besser, daß Ihr von hier verschwindet, wie ich bereits gesagt habe. Wir haben diese Rebellion ins Leben gerufen, um Praktiken wie den Euren ein Ende zu setzen.«

»Wir werden Hazel D’Ark schon noch bekommen«, sagte einer der Blutläufer. »Wenn nicht jetzt, dann eben später.«

»Nein, das werdet Ihr nicht«, widersprach Owen. »Wenn Ihr mir nur noch ein einziges Mal unter die Algen kommt, seid Ihr Geschichte. Und jetzt geht zurück in das Rattenloch, aus dem Ihr gekrochen seid, und versucht, uns nicht wieder in die Quere zu kommen, bevor Ihr nicht gelernt habt, Euch wie zivilisierte Menschen zu benehmen.«

Die Blutläufer musterten Owen eine ganze Weile schweigend. Dann waren sie plötzlich verschwunden. Unter den Anwesenden war deutlich eine allgemeine Erleichterung zu verspüren, und bald setzte wieder leises Stimmengemurmel ein.

Schon der Anblick eines Blutläufers war selten genug, ohne daß jemand ihnen so überzeugend in den Hintern trat. Eine Reihe von Leuten bedachte Owen mit bewundernden Blicken, doch er bemerkte auch, daß mindestens ebenso viele verstört, wenn nicht gar besorgt dreinblickten – wegen der unglaublichen Macht, die er in Händen hielt. Owen verstand sie nur zu gut. Er machte sich ebenfalls Gedanken. Würde er sich zu etwas Höherem entwickeln, wenn die Macht in ihm weiter wuchs? Oder würde er fallen? Owen blickte sich um, als Jakob Ohnesorg endlich zur Ordnung rief und das Gemurmel verstummte.

»Ich schätze, das war genug Aufregung für heute«, sagte Jakob trocken. »Wir werden unsere Versammlung in den nächsten Tagen über die üblichen Verbindungen fortsetzen. Wir werden uns wieder treffen, wenn wir konkretere Dinge zu besprechen haben. Außer natürlich, daß irgend jemand noch etwas Wichtiges zur Sprache bringen möchte, das wir bisher übersehen haben und mit dem wir uns unbedingt noch auseinandersetzen müssen…«

»Allerdings!« unterbrach eine tiefe, autoritäre Stimme mitten in der Menge, und einmal mehr wichen die Leute zurück, als eine große, gebieterische Gestalt vortrat und zum Podium ging.

Der Mann war einen Kopf größer als jeder andere in der Versammlung, von muskulöser Statur und auf diabolische Weise schön. Sein langes dunkles Haar fiel bis zu den Schultern herab, und er trug seinen silbernen Kampfanzug mit goldenen Besätzen, als wäre er darin geboren worden. Der Mann strahlte Stärke und Zuversicht aus, und Klugheit und Leidenschaft waren deutlich in seinem atemberaubenden Gesicht zu erkennen.

Er bewegte sich mit der Anmut eines perfekten Kriegers, und sein Charisma strahlte heller als die Beleuchtung an der Decke.

Owen mißtraute ihm vom ersten Augenblick an. Niemand hatte das Recht, so phantastisch auszusehen.

»Und wer, zur Hölle, seid Ihr?« fragte Owen, ohne auf seinen unfreundlichen Tonfall zu achten.

»Ich bin Jakob Ohnesorg«, sagte der Neuankömmling. »Der echte Jakob Ohnesorg.«

Ohrenbetäubendes Geschnatter erhob sich, als alle auf einmal zu sprechen begannen. Ohnesorgs Kiefer fiel herab, und einen Augenblick lang sah er ganz wie ein alter Mann aus, der einen Schock zuviel erlebt hatte. Er riß sich rasch wieder zusammen, doch eine Menge Leute hatten seine Reaktion bereits bemerkt.

Ruby Reise trat schützend vor Jakob. Sein alter Freund Alexander Sturm blieb wie angewurzelt stehen. Er war offensichtlich starr vor Staunen. Dann stand der Neuankömmling vor seinem Namensvetter, die Arme vor der mächtigen Brust verschränkt, der Blick fest und herausfordernd. Owen und Hazel sahen sich an, aber keiner von beiden wußte, was er zu der neuesten Entwicklung sagen sollte. Ruby Reise funkelte den Neuen an, die rechte Hand ganz instinktiv auf dem Griff des Disruptors an ihrer Hüfte.

»Du kannst unmöglich Jakob sein«, sagte sie tonlos. »Du bist nicht annähernd alt genug.«

»Ich habe mehrere schwere Regenerationen hinter mir«, erwiderte der junge Jakob Ohnesorg. »Das ist auch der Grund, warum man mich so lange nicht mehr gesehen hat. Das Imperium hätte mich beinahe geschafft. Aber jetzt bin ich zurück, und ich bin besser als je zuvor. Ich bin gekommen, um die neue Rebellion anzuführen.« Er lächelte Sturm an, der noch immer wie betäubt dastand und ungläubig blinzelte. »Schön, dich wiederzusehen, Alex. Ist schon eine ganze Weile her, daß wir zusammen bei Eisfels gekämpft haben.«

Sturm bemerkte, daß sein Mund weit offenstand, und schloß ihn mit einem schnappenden Geräusch. »Du siehst genauso aus wie er«, sagte er langsam. »Jünger, aber…«

»Nun?« fragte Finlay Feldglöck. »Ist er der echte Jakob Ohnesorg, oder ist er es nicht?«

»Ich weiß es nicht!« antwortete Sturm. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.« Er blickte zu dem alten Ohnesorg neben sich. »Du siehst ebenfalls aus wie Jakob Ohnesorg. Älter, aber… ich weiß es nicht!«

»Ich schon«, sagte Ruby Reise. »Ich habe neben dem echten Jakob Ohnesorg gekämpft, und er steht hier an meiner Seite.

Jeder, der ein Problem damit hat, soll vortreten, damit ich das Maß für seinen Sarg nehmen kann.« Die Kopfgeldjägerin funkelte den jungen Ohnesorg wütend an, doch er lächelte gewinnend zurück.

»Loyalität! Wie ich das an einem Kämpfer bewundere!«

»Entschuldigt bitte, wenn ich mich einmische«, sagte Owen, ohne seine Stimme zu senken. »Aber kommt es eigentlich niemandem der Anwesenden eigenartig vor, daß dieser vollkommene Krieger in seiner glänzenden Rüstung genau zum rechten Zeitpunkt aus dem Nichts auftaucht und behauptet, Jakob Ohnesorg zu sein? Ich denke, er ist ein Betrüger. Bestenfalls.

Schlimmstenfalls ist er ein Spitzel, der uns uneinig machen soll. Ich sage, wir zeigen ihm die Tür und treten ihm in den Arsch. Soweit es mich betrifft, befindet sich der echte Jakob Ohnesorg bereits unter uns, und wir benötigen keinen blenderischen Hochstapler. Habe ich recht, Jakob?«

»Ich weiß nicht«, antwortete der alte Jakob Ohnesorg. »Was, wenn er die Wahrheit sagt? Wenn er der echte Jakob Ohnesorg ist und ich das Duplikat? Er sieht viel echter aus als ich, und er klingt echter. Das Imperium hat mich für lange Zeit in den Fingern gehabt. Vielleicht wurde ich geklont, und ich bin der Klon. Das würde zumindest erklären, warum meine Erinnerungen so lückenhaft sind.«

»Das waren die Imperialen Hirntechs«, erklärte Ruby Reise.

»Die bringen jeden Verstand durcheinander. Alle wissen das.

Mir kommt es wahrscheinlicher vor, daß dieser Kerl der Klon ist, daß man ihn geschickt hat, um uns zu verwirren, genau wie der Todtsteltzer es vermutet.«

»Wenn er der Klon ist, dann macht er seine Arbeit jedenfalls verdammt gut«, sagte Hazel.

Der ältere Ohnesorg blickte zu Sturm. »Du sagst, wir wären zusammen auf Eisfels gewesen, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Warst du während der Schlacht bei mir?«

»Ja«, erwiderte Sturm. »Ich verstehe einfach nicht, wie du so etwas vergessen kannst. Wir kämpften Seite an Seite, und beinahe wären wir Seite an Seite gestorben. Du wurdest gefangengenommen, und mir gelang die Flucht nur um Haaresbreite.

Ich habe dich seit damals nicht mehr gesehen. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich von der Geschichte halten soll.«

»Wir benötigen einen Esper«, sagte Hazel. »Wir müssen die beiden Ohnesorgs vor einen Telepathen schleppen. Er wird schon herausfinden, wer lügt.«

»Das wird nicht funktionieren«, entgegnete Giles. »Sie könnten beide wirklich davon überzeugt sein, daß sie genau der sind, der sie zu sein behaupten. Die Imperialen Hirntechs bringen einen dazu, alles zu glauben. Das war bereits zu meiner Zeit so. Nein, wir benötigen einen Gentest. Nur damit können wir herausfinden, wer der echte Ohnesorg ist.«

»Kein Problem«, sagte der junge Jakob Ohnesorg. »Ich bin auf dem Weg zur Wolflingswelt, um mich mit Euch zu treffen.

Dann könnt Ihr gerne ein paar Gewebeproben haben. Ich werde schon bald da sein. Und dann werde ich Euch in eine Rebellion führen, die endlich die Eiserne Hexe von ihrem Thron stoßen wird.«

Die Menge brach in begeisterten Applaus aus. Viele jubelten dem jungen Ohnesorg zu. Es war ganz offensichtlich, daß sie es viel einfacher fanden, dem jungen, charismatischen Helden zu folgen anstatt dem alten, hageren, heruntergekommenen Mann, der zuvor den berühmten Namen für sich in Anspruch genommen hatte. Owen konnte das gut verstehen, obwohl er den Gedanken an den Grund dafür haßte. Er hatte Ohnesorg auf Nebelwelt kennengelernt, und er hatte ihm anfangs auch nicht glauben wollen. Der Todtsteltzer hatte ebenfalls nach dem Helden aus der Legende gesucht. Nach jemandem wie dem jüngeren Mann, dessen Hologramm jetzt vor ihm stand.

»Ich werde bald bei Euch sein«, wiederholte der junge Ohnesorg, nachdem der Applaus sich endlich gelegt hatte. »Und dann wird es an Euch liegen, zu entscheiden, wer von uns beiden der echte Ohnesorg ist und wie Ihr mich in der bevorstehenden Rebellion am besten verwendet. Die Zeit der Helden ist gekommen, meine Freunde. Zeit für Männer mit gutem Willen und Ehre, Zeit, vereint gegen das Böse vorzugehen, das wir nicht länger dulden dürfen!«

Er mußte erneut eine Pause einlegen, als weiterer Applaus aufbrandete. Hochrufe wurden laut. Der junge Ohnesorg lächelte, verbeugte sich, und dann verschwand sein Hologramm.

Rasch erstarb auch der Applaus, und Stille fiel über die Versammlung, als sich einer nach dem anderen umwandte und den alten Jakob Ohnesorg musterte. Der alte Mann biß sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Ruby stieß ihm den Ellbogen in die Rippen.

»Sag schon was!«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, entgegnete Jakob leise, ohne aufzublicken. »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich bin müde. Ich denke, ich werde mich für eine Weile hinlegen.«

Und mit diesen Worten trat er vom Podium und verließ mit schleppenden Schritten die Halle. Niemand hob eine Hand, um ihn aufzuhalten. Nicht einmal Owen.

Die anschließende Diskussion war hitzig und wirr, doch es konnte keinen Zweifel geben, daß das Auftauchen des jüngeren Ohnesorg die Menge stärker aufgerüttelt hatte, als der alte es jemals vermocht hätte. Sie hatten jemanden gebraucht, der ihren Enthusiasmus und ihr Engagement wachrüttelte, und jetzt waren sie zum Kampf bereit. Giles, Owen und Hazel leiteten das Treffen, so gut sie konnten, aber soweit es die drei anging, besaß keiner von ihnen genügend Autorität, um bindende Entscheidungen zu treffen. Jakob Ohnesorgs Name hatte die Menschen zu der Versammlung in der Todtsteltzer-Fluchtburg geführt, und sie waren nicht bereit, sich von jemand anderem führen zu lassen. Am Ende übernahmen Alexander Sturm und die beiden Stevie Blues als Repräsentanten der Untergrundbewegung von Golgatha den Vorsitz. Sie hatten sich seit vielen Jahren auf eine Rebellion vorbereitet, die das gesamte Imperium überziehen sollte, doch ihnen fehlten die finanziellen Mittel und die Gefolgsleute, um ihre Pläne in die Tat umzusetzen.

Schließlich beruhigte sich alles ein wenig, und ein paar Entscheidungen wurden zur Abstimmung gebracht. Jedermann wußte, daß die Rebellen in einem offenen Krieg gegen die Streitkräfte Löwensteins unweigerlich untergehen würden. Sie besaßen weder genug Leute noch die Disziplin und die Ressourcen der Imperialen Armeen. Statt dessen schlug der Untergrund von Golgatha vor, auf jedem Planeten des Imperiums gleichzeitig Aufstände zu organisieren, zusammen mit Sabotageaktionen und zivilen Unruhen, um die Imperialen Streitkräfte so weit auseinanderzureißen, daß sie in individuellen Auseinandersetzungen und Schlachten bekämpft und besiegt werden konnten.

Allerdings waren vier Planeten von elementarer Bedeutung.

Wer immer die Kontrolle über diese Planeten besaß, würde am Ende gewinnen. Erst wenn das Schicksal dieser Planeten besiegelt war, würde die Rebellion in die letzte Phase eintreten und Golgatha selbst und den Imperialen Palast angreifen können. Wer Golgatha beherrschte, der beherrschte das Imperium.

Die vier Planeten waren Technos III, wo der Wolf-Clan die Hyperraumantriebe konstruierte, Nebelwelt, der Planet der Rebellen, Shannons Welt, der Vergnügungsplanet, und Virimonde, verantwortlich für Nahrungsmittelproduktion und Logistik im gesamten Imperium. Beinahe einstimmig wurde beschlossen, daß Owen und Hazel nach Nebelwelt zurückkehren sollten, wo sie sich bereits auskannten und ihre Kontakte besaßen.

»Oh, großartig«, sagte Owen. »Als ich das letzte Mal dort war, hatte ich alle Mühe, am Leben zu bleiben, und mich hält man für einen Experten?«

»Wenn du auf Nebelwelt am Leben geblieben bist, dann qualifiziert dich das als Experten«, erwiderte Hazel. »Und ich kenne einige Leute, die sich als nützlich erweisen könnten. Das zeichnet uns gegenüber jedem anderen der hier Versammelten aus. Kopf hoch, Kumpel. Vielleicht läuft es diesmal ja gar nicht so schlecht.«

»Es könnte gar nicht schlechter laufen«, widersprach Owen.

»Darauf würde ich an deiner Stelle kein Geld setzen«, meinte Ruby Reise.

»Ich werde in einer Urne zurückkehren«, brummte Owen.

»Ich weiß es ganz genau. Nebelwelt ist der einzige Planet, den ich kenne, gegen den der Imperiale Hof langweilig und zurückhaltend wirkt. Nebelwelt ist keine Zivilisation, sondern Evolution bei der Arbeit. Wenn es auf Nebelwelt auch nur eine Spur gewalttätiger zuginge, könnten sie den Anhängern der Arenaspiele Saisonkarten verkaufen. Es wäre jedenfalls ein Straßenfeger, wenn man es auf Holo übertragen würde. Auf Nebelwelt gibt es mehr Sex und Gewalt als in jedem durchschnittlichen Holofilm. Vielleicht sollten wir verhandeln, um die Rechte zur Übertragung zu erwerben…«

»Owen«, unterbrach ihn Hazel, »du redest Unsinn. Wenn wir den Dschungel von Shandrakor überlebt haben, dann werden wir auch Nebelwelt überleben.«

»Es wird ein böses Ende nehmen«, orakelte Owen.

Der Todtsteltzer bemerkte, daß die Leute ihn anstarrten, und leise vor sich hin murmelnd verstummte er. Die Versammlung wechselte das Thema, doch Hazel hörte nicht mehr länger zu.

Hinter einer unbeweglichen Fassade erschauerte sie innerlich.

Wenn sie die Wolflingswelt verlassen mußte, bedeutete das auch, daß sie ihre Quelle für Wampyrblut hinter sich ließ. Sie konnte ihre Vorräte vor der Abreise natürlich aufstocken, und sie war sicher, daß sich auf Nebelwelt eine neue Quelle finden lassen würde (auf Nebelwelt fand man alles), doch es vergrößerte die Gefahr, daß man hinter ihr Geheimnis kommen würde. Hazel war es egal, was der Rebellenrat von ihr hielt. Man hatte sie bereits verurteilt, nur weil sie früher eine Klonpascherin gewesen war. Doch Owen wäre so schrecklich enttäuscht von ihr. Er würde nicht wütend reagieren, damit hätte sie umgehen können, aber er würde sie mit diesem unendlich traurigen, niedergeschlagenen Blick ansehen, und das konnte sie nicht ertragen. Aus einem Grund, den sie nicht kannte und über den sie nicht nachdenken wollte, verabscheute Hazel den Gedanken, Owen zu enttäuschen. Er durfte es niemals erfahren.

Hazel verschränkte die Arme vor der Brust und preßte die Hände an den Leib. Sie konnte das Gewicht der Blutampulle in ihrer Tasche spüren. Ihr Verlangen wuchs bereits wieder, doch sie kämpfte dagegen an. Hazel hatte noch immer alles unter Kontrolle, im Augenblick jedenfalls. Und vielleicht… vielleicht konnte sie den Abstecher nach Nebelwelt dazu benutzen, einmal mehr von ihrer Blutsucht loszukommen. Sie wäre an einem vertrauten Ort, bei alten Freunden. Der Druck wäre nicht so stark. Hazel D’Ark konnte es schaffen. Sie war stärker als die Droge. Und während sie all das bedachte, preßte sie die Hände immer fester an ihre Seiten, um das Zittern zu unterbinden, das ihr Verlangen nach dem Inhalt der Tasche hervorrief, Hazel zwang sich dazu, der Diskussion zu folgen, und stellte fest, daß man den älteren Jakob Ohnesorg zusammen mit Ruby Reise und Alexander Sturm bestimmt hatte, um als Vertreter der Rebellion nach Technos III zu gehen. Eine Menge Leute Waren sich nicht sicher wegen Jakob Ohnesorgs Identität; doch andererseits wollte ihn auch noch niemand hinauswerfen – also schien es das Beste zu sein, ihn nach Technos III zu entsenden, wo er sich nützlich machen konnte. Der Planet war eine Fabrikwelt, und das bereits seit vielen Generationen. Der größte Teil der Oberfläche war unter einer Schicht stetig wachsender, kilometerlanger Fertigungsstraßen verschwunden. Die Luft war so dreckig, daß man sie schneiden konnte, und die eingeborene Ökologie war bereits vor langer Zeit vollständig ausgestorben.

Nicht, daß das jemanden gekümmert hätte. Nichts wirklich Wichtiges war verlorengegangen. Die Fabriken arbeiteten weiter, als wäre nichts geschehen, und die Produktion stieg sogar an, nachdem man sich keine Gedanken mehr um schädliche Auswirkungen auf die Umwelt machen mußte.

In jenen Tagen gehörte praktisch der gesamte Planet dem Wolf-Clan, und man produzierte beinahe ausschließlich den neuen Hyperraumantrieb. Es war ein langwieriges, kompliziertes Verfahren, das praktisch jede Ressource des Planeten erforderte, aber da die Wolfs die Rückendeckung der Imperatorin besaßen, wagte niemand, sich zu beschweren. Oder wenigstens niemand, dessen Stimme Gewicht besessen hätte. Die Arbeiter waren zum größten Teil Klone und Zwangs verpflichtete, die teilweise uralte Familienschulden abarbeiteten. Wenn man die gegenwärtigen Zinsen auf alte Kredite bedachte, dann konnte ein Mensch geboren werden und sein ganzes Leben arbeiten, ohne an der Summe der Schulden auch nur das Geringste zu ändern. Und deshalb war es auch nicht sonderlich überraschend, daß sich ein kleiner, aber blühender Untergrund aus Rebellen und Unzufriedenen gebildet hatte, die eine unsichere Existenz in den weggeworfenen Überresten von Hochtechnologie und Laborexperimenten fristeten, welche die riesigen Industriewüsten des Planeten ausfüllten.

Die Rebellen von Technos III waren brutale, leidenschaftliche Kämpfer, und das mußten sie auch sein. Solange der Wolf-Clan die Dinge unter Kontrolle hatte, gab es für sie keine Möglichkeit, Technos III zu verlassen.

In letzter Zeit waren die Dinge auf Technos III so aus dem Ruder geraten, daß Valentin Wolf sich gezwungen gesehen hatte, Löwenstein um Hilfe zu bitten, damit die Produktion der neuen Antriebe ungestört fortgeführt werden konnte. Die Imperatorin hatte wieder einmal ihren Sinn für Humor bewiesen, als sie auf Valentins Anfrage hin fünf Kompanien Kirchentruppen zusammen mit einigen ausgewählten Jesuitenkommandos unter dem Befehl von Kardinal James Kassar persönlich entsandt hatte. Kassar und Valentin kamen nicht miteinander zurecht.

Sie konnten sich nicht ausstehen. Valentin hatte die Gelegenheit genutzt, sich noch weiter in den Hintergrund zu begeben.

Er hatte Stephanie und Daniel freie Hand bei der Leitung der Produktionsanlagen gelassen. Im Augenblick war die Kirche dabei, die lokale Untergrundbewegung mit religiösem Eifer zu bekämpfen – und zu verlieren. Kassar war außer sich vor Wut, nicht zuletzt deswegen, weil Löwenstein sich weigerte, ihm Verstärkungen zukommen zu lassen. Alle Probleme auf Technos III waren Kassars Probleme, und er allein trug die Verantwortung.

Ohnesorg, Ruby Reise und Sturm würden unbemerkt auf Technos III landen, mit den Rebellen in Verbindung treten und sie zum Sieg über die Streitkräfte der Kirche von Christus dem Krieger führen. Man hoffte, auf diese Weise die Untergrundbewegung dazu zu bringen, daß sie sich der allgemeinen Rebellion anschloß und den Hyperraumantrieb für den bevorstehenden Krieg produzierte. Niemand erwähnte es, doch alle wußten, daß es eine gewaltige Herausforderung an den alten Jakob Ohnesorg bedeutete. Entweder, er hatte Erfolg, und in diesem Fall war er mit großer Wahrscheinlichkeit der echte Jakob Ohnesorg, oder er versagte – was dann keinen sonderlich großen Verlust bedeutete. Man konnte jederzeit jemand anderen entsenden, der die Rebellen anführte.

Evangeline Shreck, Finlay Feldglöck, Giles Todtsteltzer und der Wolfling sollten nach Shannons Welt gehen. Der berühmteste und luxuriöseste Vergnügungsplanet im gesamten Imperium. Vor drei Jahren war etwas Schreckliches auf Shannons Welt geschehen. Niemand wußte etwas Genaues, doch die wenigen Menschen, die tapfer genug gewesen waren, um nachzusehen, waren nie zurückgekehrt. Die Imperatorin hatte eine ganze Kompanie von Marineinfanteristen entsandt, und auch sie war spurlos verschwunden. Seither stand Shannons Welt unter Quarantäne, sowohl um zu verhindern, daß irgend etwas den Planeten verlassen konnte, als auch, um alle möglichen Dummköpfe daran zu hindern, auf eigene Faust nachzusehen, was dort unten los war. Die verschiedenen Eigentümer stritten noch immer darüber, wer welchen Anteil an den enormen Kosten für die notwendige Expeditionsarmee tragen sollte, die nötig war, um eine Antwort auf die brennenden Fragen zu finden.

Nur ein einziger Mann war lebend von Shannons Welt zurückgekehrt. Halb tot, halb wahnsinnig hatte er nur ein paar Tage überlebt, hauptsächlich, weil er nicht mehr hatte leben wollen. Er hatte Shannons Welt den neuen Namen Haceldama gegeben, Feld des Blutes. Anscheinend tobte unten auf der Oberfläche des Vergnügungsplaneten ein erbarmungsloser Krieg, obwohl niemand eine Vorstellung davon besaß, wer die Parteien waren.

»Und dort wollt Ihr uns hinschicken?« fragte Finlay Feldglöck ungläubig. »Wer, zum Teufel, hat Euch gesagt, daß wir Selbstmordmissionen annehmen? Und was macht dieses Höllenloch überhaupt so verdammt wichtig?«

»Vincent Harker«, erwiderte Alexander Sturm schlicht. »Einer der größten Strategen unserer Zeit. Er besitzt Kenntnisse über die gesamten Verteilungsprozesse und Nachschublinien des Imperiums und Zugang zu allen Plänen für den Fall eines Rebellenangriffs. Das sind lebenswichtige Informationen, und wir benötigen sie. Harker ist normalerweise so gut bewacht, daß wir nicht die Spur einer Chance hätten, an ihn heranzukommen. Aber vor ziemlich genau zwölf Stunden wurde Harkers Schiff von einem Piraten angegriffen. Wir haben nichts damit zu schaffen. Die beiden Schiffe brachten es fertig, sich gegenseitig zu zerstören, doch Harker gelang die Flucht in einer Rettungskapsel. Er landete auf Shannons Welt. Wir müssen ihn finden, bevor das Imperium ihn rettet.

Wir besitzen drei Vorteile. Erstens sind seither nur zwölf Stunden vergangen, und wir haben eine gute Chance, ihn zu finden, bevor die Truppen, die Löwenstein schließlich entsenden wird, überhaupt ankommen. Zweitens war Harkers Rettungskapsel mit einer Signalboje ausgerüstet, und sie sollte eigentlich noch immer senden…, obwohl das niemand mit Bestimmtheit sagen kann, bevor er nicht auf der Oberfläche des Planeten steht. Und drittens: Was auch immer auf Shannons Welt vorgeht, niemand ist besser geeignet als Ihr, um dort zu überleben. Niemand sonst hätte größere Chancen, unversehrt zurückzukehren.«

»Na und?« erwiderte Finlay. »Ihr schickt uns zu einem Planeten, von dem nur ein einziger Mann lebend zurückgekehrt ist, und der ist auch noch wahnsinnig geworden und kurze Zeit später gestorben?«

»Genau. Ihr habt es erfaßt«, antwortete Sturm. »Aber wir dürfen diese einzigartige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wir müssen Harker in unsere Hände bekommen.

Betrachtet es als Herausforderung.«

Finlay bedachte Sturm mit einem harten Blick. »Betrachtet es doch selbst als Herausforderung. Ich werde nicht nach Shannons Welt gehen.«

»Doch, das wirst du«, mischte sich Evangeline Shreck ein.

Finlay wandte den Kopf und funkelte seine Geliebte an.

»Nenn mir einen einzigen guten Grund«, verlangte er. »Zur Hölle, nenn mir einen schlechten Grund.«

»Ich werde gehen«, sagte Evangeline schlicht. » Haceldama, Feld des Blutes. Das klingt romantisch, findest du nicht?«

»Du hast eine eigenartige Vorstellung von Romantik«, entgegnete Finlay.

»Natürlich«, gab Evangeline bereitwillig zu. »Ich habe mich schließlich auch in dich verliebt, oder nicht?«

»An Eurer Stelle würde ich jetzt aufgeben«, sagte Giles zu Finlay. »Vertraut mir, Ihr habt keine Chance zu gewinnen.«

Finlay bedachte den ursprünglichen Todtsteltzer mit einem vernichtenden Blick. »Für den unwahrscheinlichen Fall, daß ich lebend von diesem Abenteuer zurückkehre, sollten sich gewisse Leute in der Zwischenzeit lieber eine mächtig große Belohnung ausgedacht haben.«

»Mein strahlender Held!« rief Evangeline.

Nach dieser kurzen Unterbrechung wurden David Todtsteltzer und Kit Sommer-Eiland bestimmt, um Virimonde unter Kontrolle zu halten und für die Zwecke der Rebellion umzufunktionieren. Die Versammlung endete, und alle gingen ihrer Wege. Nur die Geschichte sollte später bemerken, daß genau in diesem Augenblick die Große Rebellion endgültig ihren Anfang genommen hatte…

In der großen Kombüse der Fluchtburg hatten sich Owen, Hazel, der Wolfling, Jakob, Ruby und Giles um einen Tisch versammelt und entspannten sich nach der anstrengenden Ratsversammlung bei ein paar Flaschen wirklich ausgesprochen guten Weins und einer stärkenden Mahlzeit der stets gleichen Proteinwürfel. Giles wurde nicht müde zu versichern, daß er die Nahrungsmittelautomaten reparieren würde, doch irgendwie war er immer zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. In Owen regte sich allmählich der Verdacht, daß sein Vorfahr das Handbuch für die Maschinen verloren hatte und es jetzt nicht zugeben wollte. Alexander Sturm und die beiden Stevie Blues hatten einen kurzen Blick auf das angebotene Essen geworfen.

Dann war ihnen überraschend eingefallen, daß sie dringend ihre Berichte für die Untergrundbewegung von Golgatha fertigstellen und sich deshalb für eine Zeit zurückziehen mußten.

Owen war sicher, daß sie irgendwo ihr eigenes Essen versteckt hatten.

Der Todtsteltzer biß entschlossen in seinen zweiten Würfel.

Owen gab die Hoffnung nicht auf, daß er sich früher oder später an das Zeug gewöhnen würde, aber es schmeckte jeden Tag aufs neue ekelhaft. Nur reine Willenskraft ließ seinen Kehlkopf eine Schluckbewegung machen, und Owen beeilte sich, den Mund mit einem großen Schluck Wein zu spülen. Kein Wunder, daß er nach jeder Mahlzeit halb betrunken war. Er fragte sich allmählich, ob es nicht vielleicht besser wäre, wenn er sich bereits vor dem Essen betrank, um nicht so viel davon schmecken zu müssen. Owen seufzte schwer und schob den Rest des Würfels von sich. Er hatte sowieso geplant, demnächst eine Diät zu machen.

»Sei nicht traurig«, versuchte Hazel ihn zu trösten. »Auf Nebelwelt gibt es ein paar wirklich hervorragende Restaurants.«

»Hoffentlich«, erwiderte Owen.

»Ich will einen Gentest«, meldete sich Jakob Ohnesorg unvermittelt zu Wort. Alle fuhren herum und blickten den alten Mann fragend an. Er errötete ein wenig. »Ich meine, irgendwo in dieser riesigen Burg muß doch die nötige Ausrüstung für einen Gentest auf zutreiben sein!«

»Ich denke schon«, sagte Giles. »Oder zumindest etwas, mit dem ich einen Gentest improvisieren kann. Aber das ist nicht notwendig. Wir alle wissen, daß Ihr der echte Jakob Ohnesorg seid. Wir stehen miteinander in geistiger Verbindung, seit wir im Labyrinth des Wahnsinns waren.«

»Das reicht mir nicht«, beharrte Jakob Ohnesorg. »Es beweist doch nur, daß ich davon überzeugt bin, der echte zu sein.

Aber ich könnte mich irren. Wer weiß schon, was die Imperialen Hirntechs mit mir angestellt haben, während ich ihr Gefangener war?«

»Du mußt dich keinem Test unterziehen, um uns zu beweisen, wer du bist«, entgegnete Ruby.

»Zur Hölle mit Euch!« fuhr Ohnesorg sie an. »Ich will den verdammten Test, damit ich selbst weiß, wer ich bin! Ich weiß es nämlich nicht mehr! Und Ihr habt die Gesichter in der Versammlungshalle gesehen. Sie haben erwartet, eine Legende anzutreffen, und fanden statt dessen einen alten Mann mit wirren und lückenhaften Erinnerungen.«

»Hörst du wohl endlich mit diesem Unsinn von wegen alter Mann auf?« herrschte Ruby Reise Jakob an. »Du bist erst siebenundvierzig. Das hast du mir selbst gesagt.«

»Aber ich habe in den wenigen Jahren so viel erlebt«, widersprach Jakob. »Wenigstens glaube ich das. Ich traue meinen eigenen Erinnerungen nicht mehr.«

»Ich kann den Test vorbereiten, wenn Ihr darauf besteht«, erklärte Giles. »Aber es dauert eine Zeit, bis ich die Ausrüstung zusammengebaut habe. Es würde bedeuten, daß sich Eure Abreise nach Technos III um zwei, vielleicht sogar drei Tage verzögert.«

Owen runzelte die Stirn. »Ich denke nicht, daß wir so lange warten können. Wir arbeiten nach einem Plan, vergeßt das nicht.«

»Der Test kann jedenfalls warten«, sagte Ruby Reise entschieden. »Ich weiß genau, wer du bist, selbst wenn du es nicht weißt. Auf uns warten Aufgaben, und die gehen in jedem Fall vor.«

Ohnesorg blickte noch immer nachdenklich drein. Schließlich zuckte er die Schultern und nickte. Alle saßen schweigend an dem großen runden Tisch, sahen sich an und anschließend weg. Bald schon würden sie sich aufteilen müssen und zu verschiedenen Missionen aufbrechen, und vielleicht kehrte keiner von ihnen lebend zurück. Niemand wußte so recht, was er sagen sollte.

»Wir werden trotzdem noch miteinander in Verbindung stehen«, sagte Giles schließlich. »Wo auch immer wir uns aufhalten. Ich glaube nicht, daß Entfernung den geringsten Unterschied macht.«

»Aber es könnte sein«, erwiderte Hazel. »Das alles ist viel zu neu für uns. Niemand hat je so eng mit jemand anderem in Verbindung gestanden wie wir untereinander. Zur Hölle, es hat nie jemanden wie uns gegeben!«

»Ja«, sagte Owen gedehnt. »Und das ist es, was mir Sorgen macht. Man bekommt solche Kräfte nicht einfach geschenkt.

Man muß dafür bezahlen, wenn ich auch nicht weiß, wie oder mit was.«

»Das ist eine typisch menschliche Denkweise«, warf der Wolfling ein. »Und beschränkt dazu. Ihr seid nicht länger menschlich, Owen. Warum solltet Ihr also menschliche Grenzen beachten?«

»Aber es muß Grenzen geben«, erwiderte Giles. »Irgendwann stößt man immer an Grenzen. Mag schon sein, daß wir keine richtigen Menschen mehr sind, aber das heißt noch lange nicht, daß wir jetzt Götter sind.«

»Oh, ich hätte nichts dagegen«, sagte Ruby. »Braungebrannte junge Akolythen, die mir Gold und Juwelen als Tribut darbrächten. Ich könnte damit leben.«

»Es ist mehr als das«, widersprach Owen. »Die Verbindung zwischen uns ist nicht nur ein verbesserter Komm-Kanal. Wir verändern uns andauernd und kommen uns immer näher. Hat einer von Euch bemerkt, daß wir begonnen haben, auf die gleiche Art und Weise zu reden?«

»Ja«, sagte Hazel. »Wir alle reden viel ähnlicher als zu Beginn. Wir benutzen die gleichen Phrasen, teilen die gleichen Vorstellungen und entwickeln ähnliche Wege, wie wir die Dinge sehen.«

»Wenn Euch das alles aufgefallen ist…«, sagte Jakob Ohnesorg, »… warum habt Ihr dann bisher kein Wort darüber verloren?«

»Ich hatte gehofft, daß ich es allein wäre. Verdammt, es ist richtig unheimlich, wenn man sich die Sache überlegt. Und es ist nicht allein die Sprache. Wir teilen die gleichen Fähigkeiten, ohne sie lernen zu müssen. Selbst außergewöhnliche Talente wie zum Beispiel Owens Zorn

»Und andauernd sagt einer von Euch genau das, was ich gerade dachte«, fügte Owen hinzu. »Und ich spüre, wo Ihr seid und was Ihr gerade macht, ohne daß ich es irgendwoher wissen könnte. Werden wir zu einem Kollektivbewußtsein oder was?«

»Ich denke nicht«, antwortete Giles. »Wir sind noch immer fähig, Geheimnisse voreinander zu bewahren. Oder etwa nicht, Hazel?«

Ihr Herz drohte für einen Augenblick auszusetzen, doch sie ließ sich nichts anmerken. »Wovon redest du, Mann?«

»Vielleicht würdet Ihr uns freundlicherweise mitteilen, warum Ihr so viel Zeit in der Stadt der Hadenmänner verbringt?« fragte Giles.

»Das ist allein meine Angelegenheit«, erwiderte Hazel tonlos.

»Wir alle haben ein Recht auf unser Privatleben«, wurde sie von Owen unterstützt.

»Ich will es aber trotzdem wissen«, beharrte Giles.

»Sie hat Tobias Mond besucht. Reicht das?« erklärte Owen.

»Wenn sie es uns nicht sagen will, dann ist das ihr gutes Recht.

Nur weil wir uns so nahestehen, bedeutet das noch lange nicht, daß wir uns gegenseitig das Herz ausschütten müssen.«

»Aber uns bleibt vielleicht keine andere Wahl«, sagte Giles.

»wenn die Verbindung weiterhin stärker und intensiver wird.«

»Das klingt in meinen Ohren nach einem verdammt guten Grund, sich aufzuteilen und eine gewisse Entfernung voneinander einzuhalten«, bemerkte Ohnesorg. »Ich will niemandem zu nahe treten, aber ich will auch niemand anderen als mich selbst in meinem Kopf haben.«

»Richtig«, stimmte Hazel ihm zu. »Und außerdem denke ich nicht, daß die Menschheit bereit ist, eine Göttin wie Ruby zu ertragen.«

»Du hast eben keinen Ehrgeiz«, lamentierte Ruby.

»Die Tatsache bleibt, daß wir zusammen viel stärker sind als getrennt«, sagte Owen. »Erinnert Ihr Euch an den Schild, den wir gegen die Truppen von Kapitän Schwejksam errichtet haben? Sie konnten ihn mit nichts durchdringen, sosehr sie sich auch bemühten. Ich glaube nicht, daß einer von uns allein dazu imstande wäre. Gut möglich, daß es auch noch andere Dinge gibt, die wir zusammen fertigbringen. Und haben wir nicht die Verpflichtung gegenüber der Rebellion, daß wir so stark werden wie nur irgend möglich? Wir sind die geheimste Waffe der Rebellion, ein As, das tief im Ärmel steckt, und vielleicht sind wir das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag über Sieg oder Niederlage gibt. Ist es nicht egoistisch von uns, wenn wir unsere Individualität über die Nöte und Bedürfnisse der Rebellion stellen?«

»Vielleicht ist es genau das, wofür wir kämpfen – jedermanns Recht auf Individualität«, hielt Ohnesorg dagegen. »Wir können die Menschheit nicht retten, indem wir unmenschlich werden. Die einzigen anderen Wesen, die lebend durch das Labyrinth des Wahnsinns gekommen sind, waren die Wissenschaftler, die am Ende die Hadenmänner erschufen. Wollen wir vielleicht etwas Ähnliches als unser Vermächtnis?«

»Er hat recht«, gestand Giles zögernd. »Wir alle tragen ein Monster in uns. Was, wenn unsere wachsende Macht diese Monster freisetzt? Wer weiß denn schon, was dann aus uns wird?«

Sie verstummten, und jeder hing für eine Weile schweigend seinen eigenen Gedanken nach. Owen überlegte, wie einfach es für ihn gewesen war, den Blutläufer zu töten, der sich irgendwo am anderen Ende des Imperiums im Obeahsystem befunden hatte. Schließlich seufzte Jakob Ohnesorg laut und beugte sich vor. »Das alles ist doch vollkommen unwichtig. Wir können einfach nicht zusammenbleiben. Man braucht uns auf drei verschiedenen Planeten, und das zur gleichen Zeit. Wir werden aufbrechen, sobald die Schiffe der Hadenmänner bereit sind.

Alles Weitere wird bis zu unserer Rückkehr warten müssen.

Gibt es sonst noch etwas, das wir vorher besprechen sollten?

Ich gebe unumwunden zu, daß mich der heutige Tag ziemlich geschafft hat. Irgendwo steht ein Bett mit einer bequemen Matratze und schwerer Wäsche, das laut meinen Namen ruft.«

»Eine Sache noch«, begann Owen zögernd. »Erinnert Ihr Euch an meine KI Ozymandius? Sie entpuppte sich als Imperialer Spion, und ich zerstörte sie mit Hilfe meiner neuen Fähigkeiten, bevor sie uns zerstören konnte. Nun… Ozymandius ist wieder da. Er spricht mit mir, aber es scheint, ich bin der einzige, der ihn hören kann. Manchmal habe ich direkt Angst, daß ich allmählich unter dem Druck wahnsinnig werde und mir das alles nur einbilde, aber es ist durchaus möglich, daß etwas Ernsthafteres dahintersteckt.«

»Davon hast du bisher kein Wort gesagt«, brummte Ruby Reise.

»Wahrscheinlich hatte er Angst, daß wir ihn für verrückt halten«, sagte Hazel. »Keine Sorge, Owen, wir halten dich nicht für verrückt. Jeder von uns weiß, was der Druck mit uns macht.«

»Außerdem«, ergänzte Ohnesorg, »hätten wir ganz sicher etwas durch unsere Verbindung gespürt, wenn Ihr verrückt geworden wärt.«

»Besitzt Ozymandius noch immer Kenntnis über die Kontrollworte, die er in deinen und Hazels Verstand eingepflanzt hat?« erkundigte sich Giles besorgt.

»Er sagt nein«, antwortete Owen. »Aber ich weiß nicht, ob er mich belügt oder nicht. Bisher hat er jedenfalls nicht versucht, die Worte zu benutzen.«

»Sprecht mit ihm«, sagte Ohnesorg. »Jetzt. Wir werden versuchen mitzuhören. Jeder soll seinen Komm-Kanal weit öffnen und gleichzeitig über die mentale Verbindung lauschen. Fangt an, Owen.«

»Also schön«, erwiderte Owen ohne rechtes Selbstbewußtsein. »Ozymandius, bist du da?«

»Natürlich bin ich da, Owen«, meldete sich die KI. »Wo sollte ich denn sonst sein? Du selbst hast mir befohlen, den Mund zu halten, erinnerst du dich? Wenn du mich fragst, ich bin ganz erstaunt, wie du ohne meine Hilfe über die letzte Zeit gekommen bist. Ich hätte dir jede Menge guter Ratschläge während der Versammlung geben können, nur als Beispiel… Aber ich schätze, du brauchst mich nicht mehr, mit all deinen neuen magischen Fähigkeiten. Ich meine, ich bin schließlich nur eine KI der Klasse Sieben, und ich besitze mehr Informationen, als du in deinem ganzen Leben verarbeiten kannst…«

»Halt die Klappe, Ozymandius«, befahl Owen und blickte die anderen der Reihe nach an. »Nun? Hat jemand die Unterhaltung gehört?«

»Kein Wort«, sagte Ohnesorg. Die anderen schüttelten die Köpfe. Ohnesorg blickte Owen nachdenklich an. »Glaubt Ihr, daß es wirklich Eure KI ist?«

»Nein«, erwiderte Owen. »Es kann nicht sein. Ich habe sie selbst zerstört, als wir im Labyrinth des Wahnsinns waren. Ich zerstörte ihr Bewußtsein vollständig, dank meiner neuen Fähigkeiten. Und ich habe gespürt, wie Ozymandius starb.«

»Aber wer ist es dann?« fragte Hazel.

»Woher soll ich das wissen?« entgegnete Owen.

»Könnte es sein, daß es sich um einen weiteren Nebeneffekt aus dem Labyrinth handelt?« warf der Wolfling ein. »Ich habe es Ewigkeiten studiert, ohne dem Rätsel auch nur einen einzigen Schritt näherzukommen oder es auch nur in Ansätzen zu verstehen.«

»Oh, wie tröstend«, sagte Ruby Reise. »Meint Ihr vielleicht, wir würden am Ende alle derartige Wahnvorstellungen entwickeln?«

»Wenn du nichts Gescheites zu sagen hast, dann halt gefälligst die Klappe«, wies Hazel ihre Freundin zurecht. »Kein Wunder, daß Owen mit niemandem von uns darüber sprechen wollte.«

»Ich muß gestehen, daß ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie wir Euch helfen könnten, Owen«, gestand Ohnesorg. »Haltet uns trotzdem über alle neuen Entwicklungen auf dem laufenden. Das gilt für die anderen ebenso. Aber ich denke, wir sollten unsere Unterhaltung auf einen späteren Zeitpunkt vertagen, wenn wir von unseren Missionen zurückgekehrt sind. Sie haben in jedem Fall Vorrang. Ich schlage vor, daß Ihr ein paar Diagnosen an Euren Komm-Implantaten durchführt, bevor wir aufbrechen müssen, Owen, und seht nach, ob Ihr einen Fehler finden könnt. Hat sonst noch jemand Probleme, über die er gerne sprechen möchte?«

Alle blickten sich an. Hazel schwieg. Sie konnte den anderen nichts von ihrer Sucht erzählen. Sie würden sie nicht verstehen.

Es war ihr persönliches Problem, und sie mußte allein damit fertig werden. Hazel hatte es auch schon früher einmal geschafft, auf Nebelwelt, und dorthin würde sie zusammen mit Owen gehen. Das war ein Zeichen. Es mußte eines sein. Die Stille zog sich in die Länge, bis Ohnesorg schließlich seinen Stuhl zurückschob und sich erhob.

»Gute Nacht zusammen. Mein linker Fuß ist bereits eingeschlafen, und ich würde es ihm gerne so rasch wie möglich gleichtun. Schlaft Euch aus, so gut Ihr könnt, bevor wir aufbrechen. Ich habe den starken Verdacht, daß es eine ganze Weile dauern wird, bis wir wieder in einem richtigen Bett schlafen können.«

Jakob nickte den anderen zu, machte kehrt und verließ die Kombüse. Ruby Reise schnappte sich eine halbleere Flasche Wein und folgte ihm. Hazel nickte Owen zu und zog sich so rasch zurück, wie sie konnte, ohne daß es jemandem auffiel.

Sie wagte nicht, den Mund aufzumachen. Vielleicht hätte sie die Wahrheit gesagt. Wenn jemand sie verstand, dann war es Owen. Aber Hazel durfte das Risiko nicht eingehen, und so verließ sie schweigend die Kombüse, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, und marschierte allein in Richtung ihres Quartiers. Auch der Wolfling erhob sich und wünschte höflich eine gute Nacht. Giles und Owen saßen sich an dem großen runden Tisch allein gegenüber und blickten sich an.

»Es tut mir sehr leid, daß unsere Wege sich schon so rasch wieder trennen müssen, Vorfahre«, sagte Owen schließlich.

»Wir hatten kaum Gelegenheit, uns richtig kennenzulernen.«

»Ich weiß, daß du ein richtiger Todtsteltzer bist«, erwiderte Giles. »Und das ist alles, was zählt. Für einen Historiker bist du ein verdammt guter Kämpfer, mein Junge. Gibt es sonst noch etwas… über das du mit mir reden möchtest?«

»Nun«, begann Owen zögernd. »Ich… ich frage mich schon die ganze Zeit… Warum trägst du einen Zopf? Ich meine…

Schließlich ist es das Zeichen der Söldner.«

»Ja«, sagte Giles. »Das ist es. Das Imperium, an das ich geglaubt habe, existiert nicht mehr. Es ist nur noch eine Erinnerung. Der Imperator, dem zu dienen ich geschworen habe, ist seit Jahrhunderten tot. Die Dinge haben sich in der Zwischenzeit ganz anders entwickelt, als ich eigentlich gehofft hatte.

Aber sä ist das halt. Man hofft stets, daß die Zukunft besser sein wird und daß die Nachfahren ein leichteres Leben haben werden als man selbst…, aber ich konnte schon damals erkennen, wie das Imperium zu faulen begann. In den letzten neunhundert Jahren hat sich nichts geändert, außer zum Schlechteren. Wenigstens habe ich lange genug gelebt, um den Beginn eines neuen Anfangs zu sehen. Ich bin nicht mehr der Oberste Krieger. Das Amt wurde mir vor langer Zeit genommen… Ich bin jetzt ein Kämpfer für die Sache anderer Leute. Also ein Söldner, Owen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deswegen der Zopf. Ich hatte schon immer eine Schwäche für dramatische Gesten. Aber… bist du sicher, daß dir nichts mehr auf der Seele brennt, über das du mit mir reden möchtest, bevor wir aufbrechen, mein Junge?«

Owen rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.

Seit er den Hohen Lord Dram getötet hatte, hatte Giles immer wieder versucht, für Owen eine Vatergestalt abzugeben, doch Owen wollte oder brauchte keinen Vater mehr. Er hatte noch immer genug Probleme, sich darüber klarzuwerden, was er von seinem leiblichen Vater halten sollte. Also grinsten sich die beiden Männer am Ende nur schweigend an, nickten abschließend und marschierten in verschiedenen Richtungen zu ihren Quartieren davon, um sich noch ein wenig auszuruhen, bevor ihre Missionen begannen.

Zwei Todtsteltzer, aneinandergefesselt durch Blut und Ehre, durch Schuld und vielleicht auch durch ein wenig Sympathie.

Helden der bevorstehenden Rebellion. Keiner konnte wissen, zu welchem dunklen Ende die Vorsehung sie führen würde.

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