KAPITEL II HINAUF NACH GEHENNA UND HINAB NACH GOLGATHA

Kapitän Johan Schwejksam, Kommandant des Imperialen Sternenkreuzers Unerschrocken, befand sich auf dem Heimweg, um zu sterben, und er versuchte mühsam, einen verdammten Dreck darauf zu geben. Schließlich hatte er lediglich seine Mission vermasselt, und die meisten seiner Leute waren dabei gestorben. Schwejksam blickte auf das randvolle Glas in seiner Hand und schnitt eine Grimasse. Das Dumme am fortgesetzten Trinken war, daß die Zunge nach einer Weile taub wurde und man nicht mehr sagen konnte, was man eigentlich trank.

Doch wenn man genau bedachte, was er da eigentlich in großen Mengen in seine Kehle schüttete, war das nicht unbedingt ein Nachteil. Die Nahrungsmittelautomaten produzierten Alkohol und Aromen, aber die Kombinationen waren – genau wie die Qualität – ziemlich eingeschränkt. Angeblich war es Rotwein, den Schwejksam da zu sich nahm, doch das Zeug färbte seine Zähne pink. Trotzdem. Für einen Wein, der höchstens zehn Minuten gelagert worden war, schmeckte er eigentlich gar nicht schlecht. Nicht, daß es einen Unterschied gemacht hätte.

Schwejksam hätte ihn auf jeden Fall getrunken.

Sein Kopf dröhnte, seine Hände zitterten, und sein Magen rebellierte, sobald er sich bewegte. Schwejksam trank jetzt seit beinahe drei Tagen beinahe ununterbrochen. Er aß und schlief nur, wenn es unbedingt sein mußte. Normalerweise trank er nicht viel, und jetzt machte er die Erfahrung, daß sich zu betrinken – und vor allem: betrunken zu bleiben – viel härtere Arbeit war, als er sich vorgestellt hatte. Dennoch hielt er sich ran. Es gab nichts anderes zu tun. Er hatte versagt, und er war auf dem Weg nach Hause, um einer Imperatorin von seinem Versagen zu berichten, die ihn dafür töten lassen würde.

Und all diese guten Männer verloren…

Schwejksam würde mit schlechten Nachrichten nach Golgatha zurückkehren. Mit schlechten Nachrichten und mit ganz schlechten. Die Imperatorin hatte ihm zwar schon einmal Gnade gewährt, als er versagt hatte, doch ein zweites Mal würde das sicher nicht geschehen. Er war mit einer ganz einfachen Aufgabe zur Wolflingswelt geschickt worden. Begleitet von einer Kompanie ausgebildeter, aufgerüsteter Männer, von Wampyren, und dem Liebhaber und Prinzgemahl der Eisernen Hexe, dem Hohen Lord Dram, rechte Hand der Imperatorin.

Schwejksam war mit dem Auftrag unterwegs gewesen, den gesuchten und flüchtigen Verräter Owen Todtsteltzer und alle, die sich in seiner Begleitung fanden, in Arrest zu nehmen und zu exekutieren. Anschließend sollte er mit den Köpfen der Rebellen und den Geheimnissen der Wolflingswelt nach Golgatha zurückzukehren. Man hatte ihm sogar das einzige Fremdwesen von Grendel mitgegeben, das jemals unterworfen und gefügig gemacht worden war. Ein außergewöhnliches und bisher einzigartiges Exemplar. Die Mission hätte ein Spaziergang werden müssen.

Statt dessen lag nun der Leichnam des Hohen Lords Dram im Frachtraum, das Wesen von Grendel war tot – was eigentlich vollkommen unmöglich sein sollte –, und die drei Wampyre, die nicht im Kampf mit den Rebellen gefallen waren, waren von den wiedererweckten Hadenmännern gefangengenommen worden. Schwejksam wollte lieber nicht über den Grund nachdenken. Er kippte den Wein hinunter und schenkte sich nach.

Die Hadenmänner. Die einstigen Feinde der Menschheit. Vor langer, langer Zeit in einem blutigen Krieg vernichtend geschlagen. Man hatte geglaubt, sie wären alle ausgelöscht worden oder sie würden zumindest bis in alle Ewigkeit in der Gruft von Haden schlafen. Aber dieser Todtsteltzer hatte die Gruft gefunden und sie wieder aufgeweckt, und jetzt kämpften sie an der Seite der Rebellen. Mochte Gott dem Imperium beistehen.

Die Mauern stürzten ein, und die Wölfe waren auf die Herde losgelassen worden.

Schwejksam kippte ein weiteres Glas hinunter. Und noch eins. Er war wirklich nicht scharf darauf, der Imperatorin zu erklären, daß die Wolflingswelt zugleich auch die verlorene Welt Haden war, die Heimat der Hadenmänner. Was bedeutete, daß die Rebellen jetzt auch Zugang zu den legendären Laboratorien von Haden besaßen. Zusammen mit all den technologischen Wundern und Schrecken, die in der Vergangenheit dort produziert worden waren. Wissenschaft über jede Vernunft hinaus. Waffen, die aufzuhalten es keine Hoffnung gab.

Und all das war gegen das Imperium gerichtet. Durch sein Versagen hatte Schwejksam das Todesurteil der Zivilisation unterschrieben, und ziemlich wahrscheinlich auch das der gesamten menschlichen Rasse.

Schwejksam hatte nichts als schlechte Nachrichten für seine Herrscherin, und sie würde ihn dafür töten…, wenn seine eigenen Leute ihr nicht zuvorkamen. Alle Männer, die er mit hinuntergenommen hatte in die Höhlen tief unter der Oberfläche der erfrorenen Wolflingswelt, waren dort gestorben, ausgelöscht von Waffen und entsetzlichen Dingen, die niemand hatte vorhersehen können. Und anstatt sie zu rächen, war Schwejksam in sein Schiff gestiegen, um nach Hause zu fliegen. Seine Mannschaft wußte nichts von dem, was er dort unten gesehen hatte. Wußte nicht, warum es so wichtig war, daß er alles stehen und liegen gelassen hatte und geflohen war. Er mußte sicherstellen, daß das Imperium vor den aufkommenden Gefahren gewarnt wurde.

Und jetzt verachtete ihn seine Mannschaft. Viele haßten ihn sogar. Wenn Investigator Frost nicht an seiner Seite gestanden und sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, daß sie seinen Tod rächen würde, müßte er sich inzwischen wahrscheinlich keine Gedanken mehr darüber machen, was er Löwenstein sagen würde. Es hätte einen unerwarteten, bedauerlichen Unfall gegeben, und alles wäre vorbei gewesen. Sicher wäre es ein gnädiger Tod gewesen, wirklich – aber man durfte nicht erwarten, daß ein Investigator so etwas verstand. Investigatoren wurden von Kind auf dafür ausgebildet und erzogen, um Fremdrassige zu jagen und zu töten. Die Subtilitäten menschlichen Verhaltens gingen ihnen manchmal ab. So überließ Schwejksam die Führung dessen, was von seinem Schiff noch übrig war, seinem Stellvertreter und saß allein in seiner Kabine, um zu trinken. Um die Zeit totzuschlagen, wenn schon nichts anderes.

Ein Klopfen an der Tür ließ Schwejksam mit verschleierten Augen aufblicken. Er wußte, wer da geklopft hatte. Es gab nur eine einzige Person, die ihn in diesen Tagen besuchte.

Schwejksam überlegte kurz, ob er aufstehen und die Tür selbst öffnen sollte, aber dann entschied er sich dagegen. Er vertraute seinen Beinen nicht mehr. Also bewegte er mühsam die taube Zunge in seinem erschlafften Mund und befahl der Tür mit so viel Autorität und Klarheit, wie er nur zustande brachte, sich zu öffnen. Investigator Frost trat ein. Sie nickte Schwejksam zu und blickte sich lässig um, während die Tür hinter ihr zuglitt.

Schwejksam machte sich nicht die Mühe, ihrem Blick zu folgen. Er wußte, daß es in seiner Kabine schrecklich aussah.

Schwejksam war nie besonders ordentlich gewesen, aber normalerweise kümmerte sich sein Bursche darum. Er hatte seinen Burschen inzwischen seit fünf Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen, und es überraschte ihn nur wenig, wie schlimm die Dinge sich in fünf Tagen entwickeln konnten, wenn man keinen feuchten Dreck mehr darauf gab.

Schwejksam warf einen kurzen Seitenblick in den Spiegel an der Wand und zuckte zusammen. Ein großer, schlanker Mann Ende Vierzig blickte ihm entgegen, mit bleichem, tief zerfurchtem Gesicht, das dringend eine Rasur benötigte. Er sah ungewaschen und ziemlich heruntergekommen aus, genau wie das ungemachte Bett, auf dem er saß. Seine Uniform war eine Schande. Er hatte sich zweimal übergeben müssen, und der linke Ärmel hatte sich nicht davon erholt. Investigator Frost sah im krassen Gegensatz dazu makellos aus wie immer. Ihre engsitzende Uniform war frisch gestärkt, die Knöpfe auf Hochglanz poliert, als wollte sie im nächsten Augenblick zu einer Parade antreten. Sie war großgewachsen, geschmeidig muskulös und Ende Zwanzig, obwohl ihre Augen wesentlich älter wirkten. Sie waren blau und von einer durchdringenden Kälte, und sie stachen aus dem bleichen, beherrschten Gesicht unter dem braunen, kurzgeschorenen Haar deutlich hervor.

Frost trug trotz der Schiffsvorschriften einen Disruptor an der Hüfte, und auf ihrem Rücken hing ein langes Schwert. Selbst jetzt noch, wo sie gelassen und entspannt dastand, erweckte sie den Eindruck, es jederzeit mit einer Armee aufnehmen zu können. Und wer gegen Frost auf die Armee wettete, der hatte entweder zuviel Geld oder war ziemlich mutig. Sie war attraktiv, aber nicht wirklich schön, und wer sie ohne schriftliche Einladung anlächelte, war nicht mutig, sondern dumm. Frost lächelte nur, wenn sie tötete. Sie zog einen Stuhl heran, entfernte mit Daumen und Zeigefinger ein schmutziges T-Shirt und nahm unaufgefordert Schwejksam gegenüber Platz. Er hob eine Augenbraue. Frost besaß normalerweise ein makellos formelles Auftreten, selbst im Privaten.

»Was macht Ihr hier, Investigator?« erkundigte Schwejksam sich müde und bemerkte erfreut, daß seine Stimme nicht zitterte, wenngleich er Mühe hatte, deutlich zu sprechen.

Frost schniefte. »Ich dachte, wir hätten ausgemacht, daß Ihr zu trinken aufhört?«

»Ihr habt das allein ausgemacht. Ich war es leid, mit Euch zu streiten.«

»Es kann Euch aber nicht helfen, Kapitän.«

»Es kann aber auch nicht schaden«, entgegnete Schwejksam.

»Die Dinge stehen bereits so schlecht, daß es nicht mehr schlechter geht.«

»Es besteht immer die Möglichkeit, daß sich eine Situation

überraschend verbessert. Wir müssen unsere Sinne beisammenhalten, Kapitän. Wir müssen bereit sein, jeden Vorteil wahrzunehmen, der sich uns bietet.«

»Macht das, Investigator, macht das. Ich bin zu müde, und es kümmert mich nicht mehr. Außerdem – ganz egal, was auch geschehen mag, unsere Mission ist trotzdem schiefgelaufen.

Die Zivilisation wird untergehen, und meine Männer werden auch nicht mehr lebendig. Und es waren gute Männer. Sie folgten mir ins Labyrinth des Wahnsinns, weil ich es ihnen befahl.

Weil ich ihnen gesagt habe, es wäre sicher. Und als hätte das noch nicht gereicht, habe ich die Überlebenden auch noch gegen die Hadenmänner geschickt. Es wäre freundlicher gewesen, sie alle in den Rücken zu schießen. Aber das habe ich ja genaugenommen auch.« Schwejksam seufzte, als die vertrauten Selbstvorwürfe und Schuldgefühle über ihm zusammenschlugen. Er hatte auch früher Männer verloren, aber noch nie so wie diesmal. Er hatte auch früher Fehlschläge hinnehmen müssen, aber nicht so. »Und jetzt, wenn Ihr mich bitte entschuldigen würdet, Investigator – auf mich wartet noch eine Menge Wein.«

Schwejksam senkte den Blick in sein Glas, um Frost die Gelegenheit zu geben, sich würdevoll zu entfernen, aber als er den Blick wieder hob, saß sie noch immer an ihrem Platz und musterte ihn mit kalten Augen.

»Ich weiß, was in Euch vorgeht«, sagte sie tonlos. »Seit unseren Erfahrungen auf der Geisterwelt Unseeli seid Ihr… sind wir beide… auf eine seltsame Art und Weise miteinander verbunden. Nicht direkt Telepathie, aber so etwas Ähnliches. Ich habe es nicht weiter beachtet, genau wie Ihr. Wir wollten nicht, daß man uns für Esper hält. Aber dann betraten wir das Labyrinth des Wahnsinns, und die Verbindung wurde stärker. Ich kann sie nicht länger ignorieren. Wenn ich mich konzentriere, fühle ich, was Ihr fühlt, und weiß, was Ihr denkt. Manchmal geschieht es sogar, wenn ich es gar nicht will. Es ist wirklich sehr lästig. Für einen Imperialen Offizier ist Euer Verstand extrem unorganisiert. Eure Gefühle sind ebenso undiszipliniert wie Eure Gedanken, und mein Mund ist gegenwärtig voll vom Geschmack des Abfalls, den Ihr da trinkt. Das muß aufhören.«

»Ich kann Euch nicht fühlen, Investigator«, erwiderte Schwejksam. »Aber das ist ja auch gar nicht möglich, nicht wahr? Ihr seid Investigator, und ein Investigator hat keine Gefühle.«

»Mein Verstand ist jedenfalls diszipliniert«, entgegnete Frost gelassen. »Im Gegensatz zu Eurem. Ist das vielleicht der Grund, aus dem Ihr Euch so angestrengt bemüht, in eine Flasche zu klettern und darin zu ertrinken?«

Schwejksam funkelte Frost wütend an. »Für den Fall, daß es Euch entgangen ist, Investigator: Die Unerschrocken bringt uns nach Hause, damit wir der Imperatorin nicht nur vom Scheitern unseres Auftrags und dem Tod ihres Liebhabers und Obersten Kriegers berichten, sondern darüber hinaus auch von einer gewaltigen Rebellion, die zusammen mit einer ganzen Armee wiedererwachter Hadenmänner im Anmarsch ist. Die Herrscherin wird nicht erfreut sein über diese Neuigkeiten. Sie wird nicht erfreut sein über uns. Ganz und gar nicht. Wenn wir Glück haben, bringt sie uns an Ort und Stelle um. Aber wann hatten wir in letzter Zeit schon einmal Glück, Investigator?«

»Warum kehren wir dann überhaupt zurück?« erkundigte sich Frost.

Die Worte hingen schwer in der Luft. Schwejksam konnte sie nicht ignorieren. Er blickte in sein Glas, doch es hielt keine Antwort für ihn bereit. Er seufzte schwer und blickte Frost in die kalten blauen Augen.

»Weil es meine Pflicht ist. Ich mag alles andere in meinem Leben falsch gemacht haben, aber ich kenne meine Pflicht. Die Herrscherin muß gewarnt werden. Ich habe einen Eid auf meine Ehre geschworen, das Imperium zu schützen und ihm bis zu meinem letzten Blutstropfen zu dienen, und ich glaube noch immer daran, ganz egal, wer gerade auf dem Thron sitzt. Das Imperium ist es wert, erhalten zu werden, trotz seiner vielen Fehler. Die Alternativen sind allesamt schlimmer, von Barbarei über Massensterben durch Hungersnöte auf Tausenden von Welten, wenn das System zusammenbricht, bis hin zu allen möglichen Formen der Diktatur, wenn die Herrschaft der Eisernen Hexe erst zerbrochen ist. Die Rebellion bedeutet eine Gefahr für die Zivilisation selbst. Ich wage erst gar nicht daran zu denken, was geschieht, wenn diese verdammten KIs von Shub die Gelegenheit zu einem Angriff nutzen, während wir uns mit einer Rebellion herumschlagen müssen. Und was ist mit den Fremdrassigen? Ihr habt dieses Ding auf Unseeli mit seinem halb lebendigen Schiff gesehen. Löwenstein muß gewarnt werden, Investigator. Und wir müssen dafür sorgen, daß sie den Ernst der Lage begreift. Sie wird mir keinen Glauben schenken wollen, also wird sie einen Hirntech hinzuziehen, und ihm wird sie glauben müssen, ob sie will oder nicht. Deshalb kehre ich zurück, Frost. Aber Ihr müßt nicht mitkommen, wenn Ihr nicht wollt.«

Schwejksam nahm einen weiteren kräftigen Schluck. Seine Kehle fühlte sich trocken an. »Auch ich muß zurück, Kapitän«, erklärte Frost. »Das Imperium hat mich zum Investigator ausgebildet, und ich weiß nicht, was ich sonst tun sollte. Und selbst wenn, ich würde es nicht wollen. Mir gefällt, was ich bin. Es ist eine direkte, unkomplizierte Arbeit. Aber nur das Imperium hat Verwendung für einen Investigator, und ich hoffe sehr, daß zwischen hier und zu Hause irgend etwas geschieht, das uns vom Haken hilft.«

»Und wenn nicht?« erkundigte sich Schwejksam. »Falls ich fliehen sollte, später… Würdet Ihr mit mir kommen, Investigator?«

»Nein. Ich kann nicht. Ich muß sein, was sie aus mir gemacht haben.« Frost blickte ihm lange in die Augen. »Ich kann die Herrscherin warnen. Wir müssen nicht beide zu ihr. Und es macht ganz sicher keinen Sinn, wenn wir beide sterben.«

»Es geht nicht, Frost. Ich kann Euch nicht im Stich lassen.«

»Ich würde es tun, wenn ich könnte.«

»Das weiß ich.« Schwejksam grinste sie an. Sie lächelte nicht zurück, aber das kümmerte ihn nicht. Frost war Investigator.

Und obwohl sie angeblich nicht mehr als eine kalte, berechnende Mordmaschine war, hatte Schwejksam das Gefühl, Frost zu verstehen. Selbst dann, wenn sie nichts sagen wollte… oder konnte. Er brauchte keine geheimnisvolle Verbindung dazu.

»Was macht Stelmach?« fragte er schließlich, um das Thema zu wechseln.

»Er schmollt noch immer, weil wir sein kostbares Schoßtier auf der Wolflingswelt zurücklassen mußten. Offensichtlich hat er nur durch Zufall herausgefunden, wie man das fremde Wesen von Grendel kontrolliert, und er ist nicht sicher, ob er seinen Erfolg bei einem anderen Wesen wiederholen kann. Aber Ihr könnt sicher sein, daß er sich bereits eine heiße Geschichte ausgedacht hat, die ihn besonders gut und uns sehr, sehr schlecht aussehen läßt.«

»Ganz ohne Zweifel«, stimmte Schwejksam zu. »Ich könnte schwören, daß dieses verdammte Ungeheuer Stelmach nähergestanden hat als jemals irgendein menschliches Wesen. Wenn ich auf den Namen Kühnhold getauft worden wäre und es nur bis zum Sicherheitsoffizier gebracht hätte, würde mir das auch zu schaffen machen. Wie sein Bericht auch immer aussehen mag, Ihr könnt sicher sein, daß er uns einen Dolch in den Rücken stoßen will.«

»Ja, natürlich. Das ist die Aufgabe eines Sicherheitsoffiziers.«

»Und Ihr könnt sicher sein, daß er bei Löwenstein mehr auf seine eigenen Interessen bedacht sein wird als darauf, sie auf die drohende Gefahr durch die Rebellen aufmerksam zu machen. Noch ein Grund, warum ich zurückkehren muß. Verdammt. «

»Wir könnten ihn jederzeit umbringen«, schlug Frost vor.

»Es ist schwierig, jemandem aus einem Sarg heraus einen Dolch in den Rücken zu stoßen.«

Schwejksam dachte über ihre Worte nach. »Nein. Es würde die Dinge nur noch komplizierter machen. Er weiß nicht genug, um uns wirklich schaden zu können. Er weiß nichts über unsere Verbindung.«

Niemand wußte davon. Die Verbindung war keine richtiges ESP, jedenfalls nicht, soweit sie es beurteilen konnten, doch das würde das Imperium nicht daran hindern, Frost und Schwejksam wie Esper zu behandeln, wenn es je bekannt werden sollte. Und Esper waren Bürger zweiter Klasse, nur wenig besser gestellt als Klone. Mit Sicherheit hätte es das Ende ihrer Karrieren als Schiffskommandant und Investigator bedeutet.

Sie würden als Versuchskaninchen enden, unter Beobachtung von Wissenschaftlern, und am Ende würde man sie mit ziemlicher Sicherheit vivisektieren. Also hatten sie niemals jemandem davon erzählt.

»Habt Ihr etwas Neues von Eurer Tochter gehört?« erkundigte sich Frost.

Schwejksam schüttelte den Kopf. Seine Tochter Diana. Sie war ein Esper, und sie war bei ihm und Frost gewesen, als die Dinge auf Unseeli aus dem Ruder gelaufen waren. Diana hatte eine Menge durchgemacht, genug, um jeden anderen daran zerbrechen zu lassen. Aber sie war schließlich Schwejksams Tochter. Diana hatte überlebt, und sie war stärker aus der Geschichte hervorgegangen, als sie je zuvor gewesen war. Stark genug, um nach ihrer Rückkehr von der Unseeli- Mission in den Esper-Untergrund zu flüchten. Seither hatte Schwejksam nichts mehr von Diana gehört oder gesehen, und er war insgeheim froh darüber. Er hätte sie nicht gerne ausgeliefert. Diana war seine Tochter, sein einziges Kind, und er liebte sie sehr…

Aber Schwejksam kannte seine Pflicht. Was wahrscheinlich auch der Grund war, aus dem sie nicht mit ihm in Kontakt trat.

Schwejksam hoffte sehr, daß es Diana gutging und daß sie glücklich war.

»Was ist mit der Besatzung?« fragte er nach einer Weile und wechselte erneut das Thema. »Macht jemand Schwierigkeiten?«

»Das würden sie nicht wagen«, entgegnete Frost. »Einige versuchten, mir die kalte Schulter zu zeigen, also habe ich ein paar Ohrfeigen ausgeteilt, um ihnen Manieren beizubringen.

Sie werden sich rasch erholen, wenn sie erst aus der Krankenabteilung entlassen sind. Seither sind alle sehr höflich und gehorsam, wenn ich in der Nähe bin. Ich weiß nicht, was sie so aufgebracht hat. Wir haben ein paar Leute verloren, schön. So etwas soll vorkommen. Das gehört zum Beruf.«

»Aber wir haben einen vollständigen Landetrupp verloren«, entgegnete der Kapitän. »Und alle Wampyre.«

»Vertraut mir, Kapitän. Niemand gibt einen Dreck auf die Wampyre.«

»Aber sie waren die letzten kampferfahrenen aufgerüsteten Soldaten im gesamten Imperium!«

»Das ist genau das gleiche, als würdet Ihr sagen, sie waren die letzten Kakerlaken. Jedermann an Bord ist froh, daß sie nicht mehr sind.«

»Trotzdem waren es meine Männer«, beharrte Schwejksam.

»Ich war verantwortlich für sie. Und ich habe nur dabeigestanden und zugesehen, als die Hadenmänner sie abführten.«

»Was hättet Ihr denn dagegen unternehmen können? Nichts, absolut gar nichts. Wir waren in der Unterzahl.«

»Inzwischen werden sie ebenfalls tot sein. Man hat sie sicher auseinandergenommen, um nachzusehen, wie sie funktionieren. Dann, hat man die Einzelteile hübsch numeriert und in Gläsern auf einem verdammten Laborregal von Haden gestapelt.«

»Da gehören sie auch hin, wenn Ihr mich fragt«, erklärte Frost. »Ich habe ihnen nie über den Weg getraut.«

»Sie kämpften auf unserer Seite«, widersprach Schwejksam.

»Und die meisten starben dabei. Bedeutet das vielleicht gar nichts? Nein, Euch bedeutet das nichts. Ich vergaß – Ihr seid schließlich Investigator, nicht wahr? Ihr habt Euch noch nie um etwas anderes gesorgt als um die beste Methode, einen Feind zu töten. Und Gott weiß, ich wünschte, ich wäre wie Ihr.«

Schwejksam hob sein Glas. Es war bereits wieder leer. Er griff nach der Flasche, doch Frost legte die Hand auf seinen Arm.

»Bitte. Laßt das.«

Lange Zeit blickten sie sich schweigend in die Augen. Dann ertönte plötzlich der Summer, und Schwejksam hob eine Augenbraue. Es war schon eine Weile her, daß ihn jemand auf dem Kommandokanal angerufen hatte. Er aktivierte sein Komm-Implantat und wartete einen Augenblick, um sicherzugehen, daß seine Stimme ruhig und fest klang.

»Hier spricht der Kapitän.«

»Brücke hier, Kapitän. Komm-Offizier. Ich denke, Ihr und der Investigator solltet besser so schnell wie möglich auf die Brücke kommen, Sir.«

Schwejksam runzelte die Stirn. Die Stimme des Mannes besaß einen eigenartigen Unterton. Einen Unterton, der auf mehr als Besorgnis hindeutete. »Wo liegt das Problem?«

»Wir haben ein Signal aufgefangen, Sir. Ich denke, Ihr werdet die Nachricht selbst hören wollen.«

Es lag definitiv ein eigenartiger Unterton in den Worten des Komm-Offiziers. Irgend etwas hatte den Mann bis ins Mark erschüttert. Deshalb war er augenblicklich zu seinem Kapitän gerannt. Schwejksam lächelte grimmig. »Also schön. Ich bin auf dem Weg. Veranlaßt Alarmstufe Gelb, und bereitet alle Kampfstationen vor. Schwejksam Ende.« Der Kapitän unterbrach die Verbindung und blickte nachdenklich zu Frost.

»Scheint ja wirklich etwas ziemlich Unübliches oder Gefährliches zu sein, wenn sie uns auf die Brücke rufen. Vielleicht haben wir Kontakt mit einem Schiff der Fremden.«

Frost erhob sich und strich ihre Uniform glatt. »Ich habe Euch gleich gesagt, daß noch viel geschehen kann, bis wir zu Hause sind, Kapitän. Irgend etwas geschieht immer.«

»Das ist es ja gerade, was mir Sorgen macht«, erwiderte Schwejksam. »Wenn ich an mein verdammtes Glück denke, dann steht uns mit Sicherheit eine ziemlich unangenehme Überraschung bevor.«

»Schön«, sagte Frost. »Vielleicht bekomme ich ja Gelegenheit, irgend etwas zu töten.«

Zwanzig Minuten später betraten Frost und Schwejksam die Brücke der Unerschrocken und stapften auf direktem Weg zur Komm-Station. Schwejksam hatte eine kalte Dusche genommen und fühlte sich stocknüchtern… und als hätte er gerade einen Marathonlauf absolviert. Seine Knie zitterten, genau wie seine Hände, wenn er für einen Augenblick vergaß, sie zu Fäusten zu ballen. Schwejksam hatte sich rasiert und war in eine frische Uniform geschlüpft, doch es ging ihm nicht besonders gut, und dementsprechend war seine Laune. Er beugte sich über die Konsole und las die Instrumente ab, doch er fand nichts, was eine offensichtliche Abweichung dargestellt hätte.

Der Komm-Offizier wandte den Kopf ein wenig ab, und Schwejksam wurde bewußt, daß er noch immer eine ziemliche Fahne haben mußte. Pech. Er zwang sich, auf das zu hören, was der Komm-Offizier ihm zu sagen versuchte.

»Wir sind direkt hinter dem Rand aus dem Hyperraum gefallen, um wieder in Kontakt mit dem Imperium zu treten. Unsere Signale können die Dunkelwüste noch immer nicht durchdringen. Komm-Signale gehen zwar durch den Hyperraum und sollten nicht beeinflußbar sein, aber das ist die Dunkelwüste.

Im gleichen Augenblick, als wir wieder im Normalraum waren, arbeitete meine Station wieder so, wie sie sollte. Und das erste, was wir auffangen konnten, war ein Notsignal. Nichts Visuelles, nur Stimmaufzeichnung. Es stammt von der Imperialen Basis auf Gehenna. Ich habe bereits nachgesehen. Gehenna ist eine unbewohnte Welt, weit draußen an der Grenze. Ein ungemütlicher Ort. Die Basis besteht aus einem wissenschaftlichen Forschungslabor mit hundert Mann Besatzung. Sie rufen um Hilfe. Der von ihnen verwendete Kode besitzt oberste Priorität.

Ich glaube, nur im Krieg benutzen wir einen Kode mit noch höherer Priorität. Unsere Befehle besagen zwar, daß wir auf direktem Weg nach Golgatha zurückkehren sollen, um persönlich über den Erfolg unserer Mission zu berichten, aber ich dachte, Ihr wollt Euch das hier vielleicht anhören, Sir. Für den Fall, daß Ihr andere Befehle erteilen wollt.«

»Gut. Das war richtig«, lobte Schwejksam. »Und jetzt spielt den Notruf ab.«

Der Kapitän lauschte angestrengt der flüsternden Stimme, die aus dem Lautsprecher der Konsole drang. Sie war kaum hörbar, trotz aller Anstrengungen des Komm-Offiziers, das Signal zu verstärken. Schwejksam warf einen Blick zu Frost und runzelte fragend die Stirn, aber sie schüttelte nur den Kopf. Er wandte sich wieder an den Offizier und sagte: »Was haben die Rechner herausgefunden?«

»Nicht viel, Sir. Es ist eine Signalboje, die immer und immer wieder eine aufgezeichnete Botschaft ausstrahlt. Nur die Herkunft des Signals und die Bitte um Hilfe sind deutlich zu entschlüsseln. Wir haben versucht, in direkten Kontakt mit der Basis zu treten, doch sie antwortet nicht.«

»Wenn es eine Boje ist – wie lange sendet sie schon?« erkundigte sich Frost. »Und warum hat außer uns noch niemand das Signal aufgefangen?«

»Das wissen wir nicht, Investigator. Das Signal ist sehr schwach, und wir befinden uns hier am Rand. Vielleicht fangen wir es nur deswegen auf, weil wir ebenfalls hier draußen sind. Wir lauten Ihre Befehle, Kapitän?«

Schwejksam blickte wieder zu Frost. »Wir sollten es ignorieren. Direkt nach Golgatha Weiterreisen. Die Boje könnte das Signal schon seit Ewigkeiten aussenden. Was immer auf Gehenna geschehen sein mag, inzwischen ist es mit Sicherheit vorbei.«

»Natürlich, Kapitän«, erwiderte Frost feierlich. »Aber diese Leute könnten noch immer unsere Hilfe benötigen, und wir sind das einzige Schiff in der Nähe.«

»Präzise. Unsere Pflicht ist eindeutig. Rudergänger, Kurs setzen auf Gehenna. Investigator, wir werden unter vier Augen darüber diskutieren.« Dann wandte Schwejksam sich an seinen Stellvertreter: »Lassen Sie mich wissen, wenn wir da sind. Ansonsten wünsche ich, nicht gestört zu werden.«

Der Erste Offizier schniefte. Seine Verachtung war kaum zu überhören. Frost wirbelte herum, die Hand auf dem Schwert… …aber Schwejksam gebot ihr Einhalt. Er stapfte zum Kommandositz hinüber, packte den Offizier mit einer Hand am Kragen und hob ihn scheinbar mühelos aus dem Sitz. Die Augen des Mannes quollen hervor, und seine Zunge schwoll an, als er verzweifelt nach Luft schnappte. Er umfaßte Schwejksams Unterarm mit beiden Händen, doch der Mann konnte den Griff des Kapitäns nicht lockern. Er zog den Disruptor, Schwejksam schlug ihm die Waffe aus der Hand, die über den Decksboden schlitterte, bis Frost den Fuß darauf setzte. Die restliche Brückenbesatzung musterte Frost verstöhlen und blieb regungslos auf ihren Posten sitzen. Schwejksam ließ die Kehle des Offiziers los. Der Mann fiel zurück in den Sitz, faßte sich an den Hals und schnappte würgend nach Luft.

Schwejksam beugte sich vor und brachte sein Gesicht ganz dicht vor das des anderen. Dann flüsterte er gefährlich leise:

»Noch eine derartige Respektlosigkeit vor meinem Rang, Bursche, und ich schieße dich in Unterwäsche aus einem Torpedorohr ins All. Und jetzt wirst du gefälligst tun, was ich dir befohlen habe, ist das klar? Gut.« Dann fuhr er mit lauter Stimme fort: »Ich bin froh, daß wir uns einmal von Mann zu Mann unterhalten konnten. Fühlt Euch frei, jederzeit zu mir zu kommen, falls weitere Fragen auftauchen sollten, zu deren Klärung ich beitragen kann.«

Schwejksam machte kehrt und stapfte aus der Zentrale, Frost an seiner Seite. Als er an der Komm-Station vorbeikam, murmelte der diensthabende Offizier: »Gut, daß Ihr wieder da seid, Kapitän.« Schwejksam mußte sich ein Grinsen verkneifen. Die Tür glitt hinter ihm ins Schloß, und der Kapitän der Unerschrocken atmete tief durch. Er blieb stehen und lehnte sich gegen die Schottenwand. Sein Kopf schmerzte wie wahnsinnig, und seine Hände zitterten wieder.

»Ich brauche etwas zu trinken«, sagte er müde.

»Nein, braucht Ihr nicht«, widersprach Frost.

»Ist das Euer Kater, oder was?«

»Ihr brauchtet keine Hilfe, als Ihr den Ersten aus dem Sitz geholt habt«, erwiderte Frost. »Und das mit einer Hand. Ich bin sehr beeindruckt.«

»Das bin ich selbst auch«, sagte Schwejksam. Er drückte sich von der Wand ab und setzte sich wieder in Bewegung. Frost blieb an seiner Seite. Sie sprachen kein Wort mehr, bis sie sicher in die Privaträume des Kapitäns zurückgekehrt waren.

Jeder an Bord wußte, daß der Sicherheitsoffizier das Schiff vom Bug bis zum Heck verwanzt hatte. Schwejksam entfernte die winzigen Spione regelmäßig aus seiner Kabine, und da er Zugang zu besserer Technologie besaß als Stelmach, war er dem übereifrigen Sicherheitsoffizier immer einen Schritt voraus.

Schwejksam ließ sich in seinen Lieblingssessel sinken, und Frost zog sich einen anderen Sessel heran. Der Kapitän blickte nachdenklich auf die halbleere Weinflasche, dann sah er weg.

Vielleicht später.

»So, Investigator. Wie es scheint, hat uns die kurze Zeit im Labyrinth des Wahnsinns weitaus mehr verändert, als wir geglaubt haben. Ich hatte beinahe das Gefühl, als würde der Erste Offizier überhaupt nichts wiegen. Ich hätte ihn mit bloßen Händen zerreißen können. Und ein Teil von mir hatte große Lust dazu.«

»Ich frage mich, ob ich ebenfalls stärker geworden bin«, sinnierte Frost. »Aber vielleicht warten auf mich andere Überraschungen. Ich frage mich auch, was aus uns geworden wäre, wenn wir den ganzen Weg durch das Labyrinth zurückgelegt hätten…«

»Ihr könnt immer noch die Rebellen fragen, sollten wir ihnen jemals wieder begegnen. Sie sind alle hindurchgegangen.«

»Was auch immer. Ich denke, das ist eine weitere Sache, die wir am besten strikt für uns behalten, Kapitän.«

»Ganz meine Meinung, Investigator. Laßt uns über andere Dinge sprechen. Was ist Eurer Meinung nach auf Gehenna geschehen, daß ihr einziger Hilferuf eine Stimmaufzeichnung ist, die von einer Boje ununterbrochen wiederholt wird? Unter normalen Umständen hätten sie doch bloß auf einem offenen Kanal rufen müssen, und innerhalb weniger Stunden wäre ein Imperialer Sternenkreuzer an Ort und Stelle gewesen. Das ist die Standardprozedur, ganz gleich, wo innerhalb des Imperiums man sich gerade aufhält. Sicher, wir befinden uns hier draußen am Rand, aber selbst hier… Könnte es sein, daß die Rebellen ihren ersten Angriff begonnen haben?«

»Das bezweifle ich, Kapitän. Erstens machten sie nicht den Eindruck, bereits gut genug organisiert zu sein, um einen größeren Überfall durchzuführen. Zweitens denke ich, daß ihnen einfach noch die nötigen Ressourcen fehlen, um überhaupt etwas Größeres auf die Beine zu stellen. Und drittens… ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Sache. Man benötigt unglaublich wirkungsvolle Waffen, um eine planetare Basis so rasch und wirkungsvoll außer Gefecht zu setzen, daß nur noch Zeit zum Abschießen einer Signalboje bleibt. Wahrscheinlich wirkungsvollere Waffen, als dem Imperium oder den Rebellen

überhaupt zur Verfügung stehen…«

»Und über was reden wir dann hier? Die KIs von Shub? Die Hadenmänner?«

»Vielleicht. Aber ich muß immer wieder daran denken, daß wir beim letzten Mal, als eine Basis verstummte, auf Unseeli endeten.«

»Wo wir ein abgestürztes Raumschiff fanden, voller unbekannter und wahrscheinlich der unseren weit überlegener Technologie… und eine Basis voller Leichen.« Schwejksam runzelte nachdenklich die Stirn. »Ihr meint, es könnte sich erneut um die Fremden handeln?«

»Kann schon sein«, antwortete Frost. Sie lächelte kurz. »Ich bin genau in der richtigen Stimmung, um mir ein paar Fremde vorzuknöpfen.«

»Wart Ihr das jemals nicht, Investigator? Ich bin einfach froh über den guten Grund, unsere Rückkehr nach Golgatha noch ein wenig aufzuschieben. Ein möglicher Angriff durch die Fremden ist eine der wenigen Entschuldigungen, mit denen wir durchkommen. Aber ich muß sagen, die Vorstellung, daß wir eine weitere planetare Basis verloren haben, gefällt mir überhaupt nicht. Es macht uns verwundbar gegen alles mögliche, und außerdem besteht immer die Gefahr, daß es sich um eine Falle handelt, um ahnungslose Schiffe anzulocken.«

»Dann sehen wir besser zu, daß wir als erste dort ankommen«, sagte Frost. »Wir sind schließlich entbehrlich.«

»Sprecht nur für Euch selbst, wenn es Euch nichts ausmacht«, entgegnete Schwejksam.

Die Unerschrocken fiel aus dem Hyperraum und schwenkte in einen Orbit um den Planeten Gehenna ein, die Welt des ewigen Feuers. Gehenna brannte wie ein weiß glühendes Stück Kohle in der Nacht. Kontinentweite Flammen zuckten in die Atmosphäre hinauf, ohne jemals zu erlöschen. Vor langer Zeit hatte irgend etwas auf der Oberfläche Feuer gefangen, und durch eine Art Kettenreaktion hatte sich das Feuer ausgebreitet, bis es den gesamten Planeten umspannte. Die Pole waren geschmolzen, die Ozeane verdampft, und nur die Flammen waren geblieben. Die Oberfläche brannte, verbrannte sich selbst; langsam, aber unaufhaltsam. Man hatte Hinweise gefunden, daß Gehenna einst von einer fremden Zivilisation bewohnt worden war, doch die Wesen waren verschwunden, und niemand wußte, was mit ihnen geschehen war. Nur eine Handvoll fremdartiger Steinbunker war geblieben, groß, massiv und eindrucksvoll, aber vollkommen leer, tief im Fels, weit weg von den alles verzehrenden Flammen. Wenn die Bunker ein Geheimnis besaßen, dann blieb es eines. Niemand wußte, ob die fremde Zivilisation von einer äußeren Macht zerstört worden war oder ob sie sich selbst ausgelöscht hatte. Oder ob das Feuer zuerst dagewesen oder ob es nur der Nebeneffekt von etwas gewesen war, das eine gesamte Spezies so sorgfältig vernichtet hatte, daß nicht mehr der kleinste Hinweis zurückgeblieben war.

Das Imperium hatte natürlich gewaltiges Interesse an einem Apparat oder was auch immer, der einen ganzen Planeten in Flammen setzen konnte. Er würde eine unglaublich gute Waffe abgeben, und Löwenstein wollte sie haben. Also hatte die Imperatorin Befehl gegeben, dort eine Basis einzurichten, mitten im Herzen der Flammen, geschützt durch die stärksten Energieschirme, die die Imperialen Ingenieure zu errichten imstande waren. Nach den Daten der Unerschrocken zu urteilen, arbeiteten die Wissenschaftler inzwischen seit neun Jahren dort, doch Antworten hatten sie noch nicht gefunden.

Schwejksam selbst führte den Landungstrupp an. Zum Teil, weil er an Ort und Stelle sein wollte, um Entscheidungen zu fällen, falls die Basis Schaden genommen hatte, aber hauptsächlich, weil er es eigentlich gar nicht wollte. Der Kapitän fühlte sich noch immer elend, und seine Leute musterten ihn weiterhin mit verstohlenen Blicken, wenn sie meinten, er würde es nicht bemerken. Schwejksam war nicht sicher, ob er wieder Entscheidungen würde fällen können, wenn Menschenleben auf dem Spiel standen, aber das war genau der Grund, aus dem er gehen mußte. Tat er es nicht, dann konnte er genausogut sein Kommando zurückgeben, und dazu war er noch nicht bereit. Also führte er den Landungstrupp persönlich. Und er betete, daß er der Situation gewachsen war. Frost begleitete ihn (natürlich) als Investigator der Unerschrocken. Aber was Schwejksam wirklich überraschte, war der Wunsch des Sicherheitsoffiziers Stelmach, ebenfalls mitzukommen. Vielleicht traute er den beiden nicht mehr über den Weg. Der Rest des Trupps bestand aus sechs Marineinfanteristen, die durch Los bestimmt worden waren, sowie Kommunikationsoffizier Eden Creutz. Creutz hatte zwei Jahre zuvor kurze Zeit auf Gehenna Dienst verrichtet. Er schien nicht sonderlich erfreut darüber, dem Planeten einen weiteren Besuch abzustatten.

Creutz war mittelgroß, mittelschwer, von dunkler Hautfarbe und ein schweigsamer Typ. Er hatte nicht zu denen gehört, die hinter Schwejksams Rücken über den Kapitän getuschelt hatten, doch er sprach auch außer Dienst kaum ein Wort. Als es schließlich darum gegangen war, ob er zum Landungstrupp gehören sollte oder nicht, war er beim Suchen von Gründen, die dagegen sprachen, zu Schwejksams Überraschung beinahe geschwätzig geworden. Schwejksam war das nur recht gewesen. Er wollte keine stumpfsinnigen, loyalen Leute in gefährlichen Situationen um sich haben. Er brauchte Leute, die Angst hatten, Leute, die mitdachten. Überlebenskünstler. Interessanterweise war Creutz noch gar nicht lange Kommunikationsoffizier. Er war von einer Position zur anderen versetzt worden, üblicherweise immer auf eigenen Wunsch, anscheinend, weil er sich nach einer Weile stets gelangweilt hatte, ganz egal, was er tat. Er war zu gut, und das in einer Umgebung, in der Uniformität mehr galt als alles andere. Creutz würde es entweder zum Kapitän bringen, noch bevor er dreißig war, oder vorher resignieren. Schwejksam hatte ihm das Kommando über die Pinasse übertragen, die sie zur Planetenoberfläche hinabbringen würde. Creutz würde sie sicher nach unten bringen oder bei dem Versuch sterben. Es lag nicht in seiner Natur, sich mit weniger zufriedenzugeben.

Schwejksam umklammerte die Armlehnen seines Sitzes, als die Pinasse wie ein Stein der Oberfläche entgegenfiel. Er schaltete sich über das Komm-Implantat auf die Sensoren des Schiffs, und vor seinen Augen erschienen die Temperaturanzeigen. Der Kapitän beobachtete mit ausdruckslosem Gesicht, wie die Werte sprunghaft anstiegen und sich auf einem unglaublichen Niveau einpendelten. Schwejksam schaltete die Anzeigen wieder ab. Sie machten ihn nervös. Die lange, schlanke Pinasse schoß durch die überhitzte Atmosphäre und bäumte sich auf, als sie durch die röhrenden Flammen raste, die sich meilenweit über die Oberfläche hinaufschwangen.

Schwejksam zwang sich dazu, die Armlehnen loszulassen. Die Außenhülle der Pinasse würde die Insassen vor jeder Temperatur schützen, und außerdem gab es auch noch den Energieschirm. Das Schiff würde mit allem zurechtkommen, was Gehenna ihm entgegenwerfen konnte.

Theoretisch zumindest.

Schwejksam hatte da seine Zweifel. Es gab bereits zu viele unbeantwortete Fragen in bezug auf Gehenna, und die Signalboje war nur die letzte davon. Der Kapitän rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her, aber bequemer wurde es dadurch nicht. Der Hartanzug verhinderte es. Schwejksam hatte ihn wie jeder andere auch angelegt, bevor er an Bord des kleinen Schiffes gegangen war. Er benötigte ihn erst, wenn die Pinasse gelandet war, aber einen Hartanzug überzuziehen war schon schwierig genug, wenn man ringsum viel Freiraum hatte.

In dem beengten Abteil der Pinasse wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, sich umzuziehen.

Der Hartanzug war zum Teil Raumanzug, zum Teil Schutzpanzer und mit Waffen ausgerüstet. Er war konstruiert, seinen Benutzer am Leben zu halten, egal, wie lebensfeindlich die Umgebung auch sein mochte. Wenn erst alle Systeme liefen, kühlte oder wärmte er seinen Träger, gleichgültig, was draußen geschah. Hartanzüge waren sperrig, und in ihnen war man ungefähr so gelenkig und flink wie ein Kieselstein, aber sie erfüllten ihren Zweck. Ihre Panzerung war transportablen Schutzschildern unterlegen, aber es gab keinen Ersatz, wenn es darum ging, eigenhändige Untersuchungen vorzunehmen. Diese Anzüge waren strahlungssicher, schützten perfekt gegen Umwelteinflüsse, waren härter als Stahl und überstanden beinahe alles – wenn es nicht gerade ein Disruptorstrahl aus unmittelbarer Nähe war. Ursprünglich als gepanzerte Kampfanzüge für Extremsituationen entworfen, hatten sie sich für diesen Zweck als zu schwer und unhandlich erwiesen, und so hatte die Flotte sie zu Allzweckschutzanzügen umfunktioniert. Jeder an Bord der Pinasse schien sich in seinem Anzug mit gewissen Einschränkungen wohl zu fühlen. Bis auf Schwejksam. Der Kapitän hatte das Gefühl, in ein erstarrendes Teerfaß gefallen zu sein.

Schweißperlen traten auf Schwejksams Stirn, doch er konnte den gepanzerten Arm nicht weit genug heben, um sie abzuwischen. Es hätte nicht so heiß sein dürfen. Die Lebenserhaltungssysteme der Pinasse hielten automatisch eine angenehme Innentemperatur aufrecht. Aber man konnte nicht an die unglaubliche Hitze dort draußen denken, ohne etwas zu spüren, und wenn es nur Einbildung war. Die sechs Marineinfanteristen ließen eine Flasche kreisen, doch die Servomechanismen ihrer Anzüge bewirkten, daß sie das meiste verschütteten.

Schwejksam wünschte sich insgeheim, daß sie die verdammte Flasche in seine Richtung reichen würden, aber er durfte seine Soldaten nicht darum bitten. Es würde keinen guten Eindruck hinterlassen. Schwäche. Es war wichtig, daß er bei seinen Leuten einen starken, selbstsicheren Eindruck hinterließ. Ganz besonders nach dem, was beim letzten Landungsunternehmen geschehen war.

Schwejksam wandte den Blick ab. Stelmach saß allein in seiner Ecke, ein schweigsamer, unergründlicher Mann, anonym wie ein Beamter. Er starrte geradeaus, und es war offensichtlich; daß er lieber woanders gewesen wäre. Egal, wo. Frost runzelte geistesabwesend die Stirn, die Augen in weite Ferne gerichtet. Zeiten wie diese waren es, wofür sie lebte. Das und die Aussicht auf ein wenig Chaos. Und die Gehenna-Basis versprach ein faszinierendes Problem und die Möglichkeit, vielleicht jemanden töten zu können. Noch ein wenig mehr, und Frost würde wahrscheinlich vor Glück explodieren. Schwejksam wurde bewußt, daß sie vielleicht die Geschehnisse außerhalb des Schiffes verfolgte, und er benutzte ein weiteres Mal das Komm-Implantat, um sich auf die Außensensoren aufzuschalten. Er wollte sehen, was Frost sah.

Vor seinen Augen entstand das Bild sengend heißer Flammen, als die Schottenwände der Pinasse durchsichtig zu werden schienen. Wohin er auch blickte, überall war Feuer. Hin und wieder erwischte Schwejksam einen Ausblick auf die schwarze, hartgebrannte Oberfläche Gehennas tief unten. Sonst nichts. Es gab sonst nichts. Nichts lebte auf diesem Planeten.

Jedenfalls, soweit man wußte. Die einzigen noch existierenden Bauwerke lagen tief unter der Oberfläche. Das wäre auch für die Basis der vernünftigste Platz gewesen, aber Löwenstein hatte darauf bestanden, sie an der Oberfläche zu errichten. Für die Eiserne Hexe war es eine Frage des Prinzips gewesen: Sie hatte beweisen wollen, daß das Imperium eine Basis mitten im Herzen der Hölle errichten und aufrechterhalten konnte, an einem Ort, wo niemand sonst dazu in der Lage war. Die Basis sollte noch immer intakt sein, wenn ihr Schild noch arbeitete.

Und wenn der Schild noch arbeitete, dann sollte auch das Personal noch wohlauf sein. Der Schild konnte alles aushalten, was diese Welt auf ihn zu werfen vermochte. Und selbst wenn der Schild zusammengebrochen war, aus welchem Grund auch immer, so hätte die Basis selbst ebenfalls die Hitze des Planeten aushalten müssen. Sie war speziell dazu konstruiert worden. Schwejksam versuchte sich in Optimismus. Es war harte Arbeit. Gehenna war eine unversöhnliche Welt, immer auf der Lauer nach dem kleinsten Fehler oder Versehen.

»Wir setzen gleich zur Landung an, Kapitän«, meldete Creutz. »Schnallt Euch lieber an, Sir. Es ist eine Weile her, daß ich hier ein Schiff landen mußte.«

Schwejksam schaltete die Sensorübertragung ab, und die Außenwände der Pinasse wurden wieder undurchsichtig: Ihm war noch heißer als zuvor. Der Kapitän bemerkte, daß die anderen sich in ihren Sitzen so weit herumgedreht hatten, daß sie ihn beobachten konnten. Vielleicht warteten sie auf ein paar letzte zuversichtliche Worte aus seinem Mund. Er atmete tief durch, und als er zu sprechen ansetzte, klang seine Stimme ruhig und selbstsicher wie immer.

»Wir landen, Männer. Schaltet alle Systeme ein, und macht Euch bereit, die Helme aufzusetzen. Vergeßt nicht – der Hartanzug kann Euch bis zu einer Woche am Leben halten, falls erforderlich, aber seid trotzdem vorsichtig. Der Planet wird Euch töten, wenn Ihr ihm nur die geringste Chance dazu gebt.

Vergeßt nicht, Euren Energiepegel im Auge zu behalten. Die Anzüge verbrauchen eine Menge davon, selbst wenn man sich nicht bewegt.

Sobald wir unten sind, wird Investigator Frost als erste das Schiff verlassen. Sie wird eine rasche Lagebeurteilung vornehmen und entscheiden, ob wir weitermachen. Vorausgesetzt, wir sind nicht mitten in einem Kampfgebiet gelandet, werden die Infanteristen folgen und einen defensiven Ring bilden.

Creutz, Stelmach und ich folgen zum Schluß. Vergeßt nicht, Leute: Das hier ist eine Rettungsaktion, keine Invasion. Wer auf jemanden schießt, ohne daß es absolut notwendig ist, bekommt es mit mir zu tun. Ich will Überlebende, die mir Antworten geben können, keine Leichen mit großen Löchern darin.

Gut, das war alles. Helme überziehen. Creutz, landet die Pinasse.«

Schwejksam nahm seinen Helm aus dem Schoß, eine konturlose Stahlkonstruktion, die perfekt auf das Joch an der Schulter paßte. Einen Augenblick lang herrschte tiefste Finsternis, während die Verbindungen des Anzugs aufgebaut wurden. Dann schalteten sich die Sensoren auf sein Kommimplantat und verschafften ihm einen freien Rundumblick. Es war ein Gefühl, als hätte der Helm sich plötzlich in Luft aufgelöst, doch Schwejksam konnte das Gewicht noch immer auf den Schultern spüren. Der Rest der Mannschaft sah aus wie blind, was den Anblick von Creutz an den Kontrollen nicht gerade beruhigend wirken ließ. Dann krachte die Pinasse auf die Oberfläche und rutschte mit kaum verminderter Geschwindigkeit über den Boden. Schwejksam und die anderen klammerten sich an ihren Armlehnen fest, und nur die schweren Sicherheitsnetze verhinderten, daß sie in den Gang geschleudert oder gegen die Kabinenwände geworfen wurden. Das Schiff schüttelte die Insassen von oben bis unten durch. Dann kam es zu einem plötzlichen Halt, als wäre es gegen ein Hindernis gestoßen.

Schwejksam löste den Verschluß seines Netzes und kam unsicher auf die Beine. Das Summen der Servomechanismen, als sie seine Körperbewegungen in Bewegungen des Anzugs umsetzten, klang laut in seinen Ohren. Der Kapitän stapfte den Gang entlang zur Luftschleuse, wo Frost ihn bereits erwartete.

Ihr Anzug besaß die Farbe ihrer Uniform, genau wie sein eigener, aber er hätte sie auch so erkannt. Nur Frost konnte so rasch bei der Luke sein. Die meisten der Infanteristen waren noch vollauf damit beschäftigt, sich aus ihren Sitzen zu erheben.

Schwejksam wartete auf Creutz’ Zeichen, dann betätigte er die Verriegelung der Innentür. Die Luke fuhr mit einem Zischen zur Seite, und Frost stapfte in die Schleusenkammer. Die Luke schloß sich wieder. Nach einer kurzen Pause meldete sich Frosts Stimme ruhig in Schwejksams Ohr.

»Die Außenluke ist offen. Ich gehe jetzt hinaus.« Eine weitere Pause. »Keine Probleme, alles ist ruhig. Kein Zeichen von irgend etwas außer Dreck und Flammen. Ich komme mir vor, als würde ich durch ein Krematorium laufen. Hereinspaziert, hereinspaziert: Das Inferno ist dieses Jahr ganz besonders hübsch.«

Schwejksam mußte unwillkürlich grinsen. Er öffnete die innere Luke und winkte die Infanteristen an sich vorbei. Es dauerte nicht lange, bis alle draußen waren. Schwejksam betrat die Oberfläche von Gehenna, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Zuerst konnte er außer Flammen überhaupt nichts erkennen. Ein flackerndes Meer aus Purpur und Gold. Undeutliche Schatten bewegten sich in den Flammen. Dann schalteten sich die Erweiterungen des Anzugs ein und verstärkten die Bilder der Sensoren, bis die Schatten als Mitglieder von Schwejksams Mannschaft zu erkennen waren. Der Kapitän blickte an sich hinunter und konnte den Boden kaum erkennen, auf dem er stand. Die Erde war schwarz verbrannt, hier und da auseinandergebrochen und von tiefen Rissen durchzogen, aus denen plötzliche Flammenstöße bis weit in den Himmel schossen, bevor sie sich im konstanten Flackern und Glühen ringsum verloren. Die Temperaturanzeigen waren unglaublich hoch.

Willkommen in der Hölle, dachte Schwejksam. Willkommen im zerbrochenen Land und bei den Feuern, die niemals erlöschen. Wenigstens weiß ich jetzt, was mich erwartet, wenn die Eiserne Hexe mich schließlich exekutiert hat.

»Kapitän, hier spricht Creutz.« Die Stimme des Kommunikationsoffiziers erklang laut in Schwejksams Ohr. »Wenn Ihr bereit seid, können wir los. Ich habe die Boje lokalisiert; die Basis liegt nur wenige Minuten zu Fuß von hier.«

»Sehr schön«, erwiderte Schwejksam. »Gut gemacht, Creutz.

Geht voran. Alle anderen machen ihre Waffensysteme einsatzbereit. Aber vergeßt nicht, niemand feuert, es sei denn in Notwehr. Ich bin zwar auch für einen dramatischen Auftritt, aber ich will nicht, daß wir aus Versehen die Leute umbringen, die wir eigentlich retten wollen. Hört Ihr mir zu, Investigator?«

»Entspannt Euch«, ertönte Frosts Antwort. »Ich töte nur Leute, die darum betteln.«

»Ich bin sicher, das erleichtert uns alle ungemein, Investigator«, erwiderte Creutz trocken. »Alles aufgepaßt, bitte. Folgt mir einzeln hintereinander, die Hand auf der Schulter des Vordermanns. Nehmt Euch Zeit, und laßt Euch nicht ablenken.

Wer den Kontakt mit der Gruppe verliert, dessen Anzug wird sich automatisch auf das Signal der Pinasse einloggen. Kehrt dorthin zurück, und wartet, bis wir zurückgekehrt sind. Habe ich etwas vergessen, Kapitän?«

»Nein«, antwortete Schwejksam. »Ihr macht das gut. Fahrt fort.«

Der Kapitän wartete geduldig, während seine Leute sich in einer Reihe hintereinander aufstellten, dann legte er die Hand auf Stelmachs Schulter, der vor ihm stand. Er konnte seinen stählernen Handschuh sehen, aber er spürte nichts, und als die Reihe sich in Bewegung setzte, verstand er, was Creutz damit gemeint hatte, daß man leicht verlorengehen könnte. In seinem Hartanzug besaß er keinerlei Tastsinn, und das einzige Geräusch war das konstante Brüllen des Feuers. Schwejksam hatte die Lautsprecher automatisch heruntergefahren, um seine Ohren zu schonen und damit er seine Leute über Funk hören konnte. Der Anzug schirmte ihn bis auf die Sichteindrücke vollkommen von der Außenwelt ab, um ihn zu schützen.

Schwejksam stapfte hinter Stelmach her. Ringsum tobte das Feuer, doch es konnte ihm nichts anhaben. Erneut brach ihm der Schweiß aus, trotz der kühlen Luft, die innerhalb des Anzugs zirkulierte. Die Zeit verging langsam. Creutz hatte gesagt, die Basis wäre nur wenige Minuten entfernt, aber waren sie nicht schon länger unterwegs? Oder hatte Creutz die Orientierung verloren und führte sie blind im Kreis? Schwejksam hatte vergessen, auf die Uhr zu sehen, bevor sie losgegangen waren.

Er war froh, daß die anderen sein verlegenes Erröten nicht sehen konnten. Schwejksam schaltete auf den Notfallkanal. Das Signal der Boje ertönte laut und klar. Seine Sensoren zeigten die Basis genau geradeaus. Auf jeder normalen Welt wäre sie längst in Sichtweite gewesen. Schwejksam starrte angestrengt in die Flammen, schaltete die rechnergesteuerten Verstärkungen auf Maximum, und allmählich schälte sich weiter voraus ein großer schwarzer Schatten aus dem Feuer.

Als er näher kam, wurde das Bild auf der Innenseite seines Helms schlagartig klarer, und im gleichen Augenblick wurde ihm bewußt, daß er nicht so dicht hätte herankommen dürfen.

Der Schutzschirm der Basis hätte ihn längst aufhalten müssen: Der Kapitän befahl Creutz anzuhalten und stapfte langsam nach vorn, Schulter um Schulter, bis er bei Creutz und Investigator Frost angekommen war. Von hier aus konnte er sogar die gerissenen und zerbrochenen Außenwände der Basis erkennen.

Die Außenmauer war so konstruiert worden, daß sie einem andauernden Beschuß aus einer Disruptorkanone widerstehen konnte und allem anderen ebenfalls, angefangen bei Erdbeben bis hin zu einem nuklearen Feuersturm. Dennoch hatte irgend etwas die Basis aufgeknackt wie eine Eierschale. Breite, gezackte Risse liefen über die Wände. Die Hauptschleuse stand offen, und dahinter lag nichts als Dunkelheit. Schwejksam biß sich auf die Unterlippe. Eines war zumindest sicher: Das hier war nicht die Folge eines Erdbebens oder irgendeiner anderen Naturgewalt. Es sah ganz danach aus, als hätte jemand immer und immer wieder mit einem Riesenhammer gegen die Wände geschlagen, bis sie auseinandergebrochen waren und er – wer auch immer hinter dem Angriff steckte – eindringen konnte.

»Das ist doch vollkommen unmöglich!« ertönte Creutz’ Stimme in Schwejksams Lautsprecher. »Ich habe die Spezifikationen für die Außenwände gesehen. Diese Basis wurde so konstruiert, daß sie selbst ohne Schutzschirm intakt bleiben und überleben würde. Die Wände waren zehnmal und überleben würde. Die Wände waren zehnmal stärker als bei irgendeiner anderen Basis des Imperiums. Und warum sollten sie überhaupt den Schirm abgeschaltet haben?«

»Ihr überseht das Wichtigste«, entgegnete Frost ruhig. »Irgend jemand hat es getan. Irgend jemand, den wir nicht kennen. Und um so etwas zustande zu bringen, benötigt dieser Jemand eine Technologie, die der unseren nicht nur ebenbürtig, sondern ziemlich wahrscheinlich sogar überlegen ist. Wo also ist diese unbekannte Macht? Befindet sie sich noch im Innern der Basis? Und wenn nicht, wohin ist sie verschwunden, und wird sie wiederkommen?«

»Gute Fragen«, lobte Schwejksam. »Aber auch Ihr überseht etwas. Der Schutzschirm ist ausgeschaltet, und die Wände sind an so vielen Stellen geborsten, daß sie überhaupt keinen Schutz mehr gewähren. Warum ist also diese Basis nicht wie alles andere auf diesem infernalischen Planeten in Flammen aufgegangen?«

»Mir fällt nur ein Weg ein, das herauszufinden«, erwiderte Frost. Es gehörte nicht viel dazu, sich vorzustellen, wie sie hinter dem glatten stählernen Schutzhelm grinste.

»Also schön. Ihr geht voran, Investigator«, sagte Schwejksam. »Aber vergeßt nicht: Antworten, meine Liebe. Keine Leichen.«

»Selbstverständlich, Kapitän. Selbstverständlich.«

Frost trat an Creutz vorbei und stapfte auf die offene Schleusentür zu. Schwejksam folgte ihr. Creutz’ Hand ruhte auf seiner Schulter. Dann kamen Stelmach und die Marineinfanteristen. Der Sicherheitsoffizier war sehr wortkarg gewesen, doch Schwejksam bezweifelte, daß das noch lange so bleiben würde, wenn sie erst die Basis betreten hatten. Ein Platz wie dieser war voll von vertraulichem Material und geheimen Apparaten, von denen ein einfacher Kapitän und noch niedrigere Ränge nichts wissen durften. Schwejksam gab einen Dreck darauf. Wenn es Antworten gab, dann würde er sie finden, und es war ihm egal, worauf sein Blick dabei fiel.

Vorsichtig trat er durch die weit offenstehende Schleusenluke. Sein Blick schweifte unablässig hin und her, vor und zurück, doch alles schien ruhig. Es war dunkel, und Schwejksam schaltete die Schulterscheinwerfer seines Anzugs ein. Noch mehr Licht flammte auf, als der Rest der Mannschaft seinem Beispiel folgte. Langsam schälte sich das Foyer aus der umgebenden Dunkelheit. Das erste, was der Kapitän der Unerschrocken bemerkte, war Regen. Es regnete heftig, und Schwejksam benötigte einen Augenblick, um zu erkennen, daß die Sprinkleranlage seltsamerweise noch immer in Betrieb war.

Allerdings hätte das Wasser bei dieser Hitze verdampfen müssen. Er überprüfte die Außentemperatur mit Hilfe der Anzugsensoren, und eine Zahl erschien unten auf der Innenseite seines Helms. Die Temperatur lag nur wenige Grad über Standard, trotz der geborstenen Wände und offenstehenden Türen.

Das hätte unmöglich sein müssen. Ohne Schutzschirm und bei diesen Schäden in den Außenwänden gab es absolut keine Möglichkeit, wie die Basis so niedrige Temperaturen hätte aufrechterhalten können.

»Investigator, überprüft Eure Sensoren. Welche Temperatur zeigen sie?«

»Das gleiche wie bei Euch, Kapitän. Standard, jedenfalls verdammt nah dran. Ich könnte schwören, daß wir noch immer durch einen Energieschirm geschützt werden, doch meine Sensoren zeigen nichts an. Wir haben hier Standardgravitation und eine atembare Atmosphäre, aber fragt mich nicht, warum. Wir könnten sogar ohne unsere Anzüge überleben, wenn es sein müßte.«

»Denkt nicht einmal daran«, erwiderte Schwejksam rasch.

»Wir haben nicht die geringste Ahnung, wodurch die äußeren Bedingungen zustande kommen. Wir müssen davon ausgehen, daß sie jeden Augenblick umschlagen können. Außerdem will ich, daß wir die vollständige Quarantäneprozedur durchführen.

Die Anzugintegrität ist zu jeder Zeit sicherzustellen. Hat das jeder verstanden?« Rasche Bestätigungen vom Rest der Mannschaft kamen durch den Lautsprecher. Frost grunzte nur, aber das war zu erwarten gewesen. Schwejksam musterte das verlassene Foyer. »Ausschwärmen und einen Verteidigungsring bilden. Investigator, spaziert im Augenblick noch nicht zu weit von hier weg. Stelmach, daß Ihr mir nichts anfaßt! Creutz, Ihr wart früher schon einmal hier. Welchen Eindruck habt Ihr?«

»Das Foyer ist ein einziger Trümmerhaufen«, antwortete Creutz. »Wer auch immer hier durchgekommen ist, hat ganze Arbeit geleistet. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«

Schwejksam stimmte seinem Komm-Offizier insgeheim zu.

Das Foyer sah aus, als wäre eine schwere Granate eingeschlagen. Vielleicht sogar mehrere. Das Mobiliar war umgekippt und lag überall verstreut. Ein großer Teil war zu wenig mehr als Kleinholz zertrümmert. Der Empfangstresen, ein schweres Möbel aus Eisenholz, war in der Mitte durchgebrochen, als hätte sich jemand zu Schweres daraufgesetzt. Keiner der eingebauten Apparate arbeitete noch. Nirgendwo gab es ein Lebenszeichen. In den Wänden befanden sich überall Risse, durch die man das höllische Wüten des Feuers draußen sehen konnte, aber das Licht drang eigenartigerweise nicht weit in die Dunkelheit hinein. Die Sprinkleranlage hatte alles durchnäßt. Hier und da hatten sich Pfützen und große Wasserlachen gebildet.

»Kein Blut und keine Leichen«, meldete sich Frost vom anderen Ende des Foyers. »Aber überall Kampfspuren. Die Decken und Wände sind voller Einschüsse von Disruptoren. Doch kein Zeichen, daß sie etwas getroffen hätten.«

Schwejksam blickte hinauf zu den gezackten Löchern in der Decke. Man konnte sich darauf verlassen, daß Frost etwas fand, das jeder andere übersehen hätte.

»Warum die Decke?« meldete sich Stelmach plötzlich zu Wort. »Wie groß waren die Angreifer?«

»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen«, sagte Schwejksam. »Bis jetzt haben wir keinerlei stichhaltige Beweise, daß es überhaupt einen Angriff gegeben hat. Es kann sich durchaus herausstellen, daß wir es mit einem weiteren wirklich schlimmen Fall von Kabinenfieber zu tun haben. Ich gebe zu, das klingt unwahrscheinlich – aber wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Frost, Ihr führt eine Energieabtastung dieser Disruptoreinschüsse durch. Überprüft, wie alt sie sind. Stelmach, Ihr seht nach, ob Ihr irgendwo in diesem Chaos ein funktionierendes Terminal findet, das uns Zugriff auf die Lektronen der Basis gewährt. Vielleicht finden wir Hinweise im Logbuch. Und Creutz, wieso kommt es, daß die Sprinkleranlage noch arbeitet? Ihr hätte doch sicher längst das Wasser ausgehen müssen?«

»Die Sprinkleranlage wird aus einem unterirdischen See gespeist«, erwiderte Creutz. »Er liegt tief unter der Oberfläche und enthält Millionen Liter Wasser. Wahrscheinlich könnte es hier drin ewig weiterregnen. Ein Wunder auf diesem Feuerplaneten.«

»Jetzt fangt nicht an, religiös zu werden«, sagte Frost. »Ich hasse es, in meinen Helm zu kotzen.«

»Hierher!« meldete sich Stelmach plötzlich. »Ich habe jemanden gefunden!«

»Nichts anfassen!« befahl Schwejksam in scharfem Ton.

»Bleibt, wo Ihr seid. Investigator, seht nach.«

Der Sicherheitsoffizier kauerte neben dem zusammengebrochenen Empfangstresen. Frost stapfte rasch zu ihm und sah sich um. Nach einer Weile meldete sie: »Es ist eine Hand, Kapitän. Menschlich. Nackt. Keine offensichtlichen Fallen, sagen meine Sensoren. Stelmach, helft mir, den Tresen wegzuschieben.«

Investigator und Sicherheitsoffizier mühten sich redlich in ihren sperrigen Anzügen mit dem Tresen ab. Creutz und Schwejksam setzten sich in Bewegung, um ihnen zu helfen.

Eine blasse Hand ragte unter einer Seite des Tresens hervor. Zu viert und unter Ausnutzung der Servomotoren ihrer Anzüge hoben sie das massive Möbelstück an und setzten es vorsichtig zur Seite. Dann erstarrten sie, als sichtbar wurde, was unter dem Tresen gelegen hatte. Es war eine Frau gewesen, doch das meiste von ihr fehlte. Die Knochen lagen noch da, auf einen Haufen gestapelt. Sie waren so sauber von jedem Fleisch befreit, daß sie beinahe wie poliert aussahen. Nur das Gesicht war übriggeblieben und ein Teil des Armes mitsamt der Hand.

Auch das Haar war noch da, doch irgend etwas hatte den Schädel der Frau auf der Rückseite aufgebrochen und auch das Gehirn entfernt. Das Wasser aus den Sprinklern regnete auf den Kopf und lief wie Tränen über die Wangen des leblosen Gesichts.

»Sauber abgenagt«, sagte Frost. »Und nach dem ausgefransten Ende des verbliebenen Arms zu urteilen, würde ich sagen, daß es eher das Werk von Zähnen war als das von scharfen Messern oder Schneidwerkzeugen. Das gleiche gilt für den Hinterkopf; die Einwirkung brutaler Gewalt ist unübersehbar.

Ich frage mich, warum der Arm und das Gesicht übriggeblieben sind…?«

»Vielleicht wurde es oder sie unterbrochen?« schlug Creutz vor.

»Was kann so etwas getan haben?« fragte Stelmach mühsam.

Seine Stimme klang belegt vor Übelkeit. »Was für eine Kreatur…«

»Geht einen Schritt zur Seite, und atmet ein paarmal tief durch«, unterbrach Schwejksam. »Es ist keine gute Idee, wenn Ihr Euch in Euren Anzug erbrecht.«

»Mir fehlt nichts«, erwiderte Stelmach ärgerlich. »Ich komme schon zurecht.«

»Jedenfalls habt Ihr eine gute Frage gestellt«, sagte Creutz.

»Was für eine Kreatur würde so fressen?«

»Praktisch jede«, entgegnete Frost. »Jedenfalls wenn sie hungrig genug ist. Allerdings finde ich die Gründlichkeit., interessant. Sie haben sich nicht mit Fett und Muskeln begnügt, sondern alles genommen. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise fressen verschiedene Spezies verschiedene Körperteile.

Vielleicht brachten die Angreifer die Frau zuerst um, und dann kam irgend etwas anderes und hat den Körper gefressen.«

»Auf diesem Planeten gibt es keine Spur von Leben«, erklärte Creutz. »Es sei denn, die Angreifer brachten es mit.«

»Seid Ihr noch immer der Meinung, es handele sich um Kabinenfieber, Kapitän?« erkundigte sich Stelmach.

»Noch schließe ich nichts aus«, erwiderte Schwejksam gelassen. »Es sieht zwar mehr und mehr nach einem Angriff durch Fremde aus, darin stimme ich Euch zu – aber bisher haben wir keinerlei Beweis, daß hier irgend etwas anderes außer Menschen war. Und vergeßt nicht: Die Hadenmänner sind wieder wach. Und dann gibt es auch noch Shub und seine Furien. Investigator, kann es sein, daß jemand das Gewebe zu Studienzwecken von den Knochen getrennt hat? Statt als Nahrung?«

»Möglich ist es, Kapitän. Das würde zumindest die Gründlichkeit erklären.«

»Das kann jedenfalls noch warten«, entschied Schwejksam.

»Ich will, daß die gesamte Basis überprüft wird, jedes einzelne Stockwerk. Fragen und Hypothesen können wir immer noch aufwerfen, wenn wir uns davon überzeugt haben, daß niemand mehr hier ist.«

Der Kapitän winkte den Marineinfanteristen, und mit Frost an der Spitze und gezückten Waffen drangen sie tiefer ins Innere der Basis vor. Das Chaos wurde immer schlimmer, je weiter sie kamen. Überall Zerstörung und Leichenteile. Türen waren aus den Rahmen gerissen, Löcher in Wände geschlagen, Apparate zertrümmert und die Einzelteile scheinbar willkürlich verstreut überall worden. Jeder einzelne Raum bot das gleiche Bild des Grauens, aber nichts Offensichtliches war entwendet worden. Die Anzahl der Leichen stieg ständig. Alle Körper waren mehr oder weniger unvollständig. Nur die Schädel waren noch da – mit Ausnahme der Gehirne –, und die Gesichter der Toten schrien in lautlos erstarrtem Entsetzen. Schwejksam spürte, wie langsam kalte Wut in ihm aufstieg. Das hier war kein gewöhnlicher Angriff gewesen, nein – das hier war ein reines Schlachten. Er fluchte leise bei jedem neuen toten Gesicht, und er schwor sich, blutige Rache zu nehmen.

Frost schien lediglich zunehmend fasziniert, aber sie war ja auch Investigator. Creutz sagte sehr wenig – bis auf seine mit erstickter Stimme vorgetragenen Kommentare über die zunehmende Zerstörung und die gelegentliche Identifikation eines bekannten Gesicht. Stelmach hatte nichts zu sagen. Er hielt sich stets dicht in der Nähe der anderen. Die sechs Infanteristen sicherten weiter nach allen Seiten und erkundeten jeden offenen Durchgang und jede Biegung mit entsicherten Waffen. Die Spannung nahm unerbittlich zu, während sich der Landungstrupp durch die Finsternis arbeitete. Das einzige Licht kam aus den Scheinwerfern, die sie mit sich führten. Drohende Schatten tanzten über die Wände. Und das einzige Geräusch in den Kopfhörern stammte von den Schritten ihrer schweren stählernen Stiefel auf dem Boden und dem zunehmend rauhen Atmen der Männer. Niemand war nach Reden zumute. Es gab noch immer keine Spur von toten Fremden, aber hier und da lagen Schwerter, die an etwas zerbrochen waren, das härter war als Stahl, und noch mehr Spuren von Energiewaffenentladungen befanden sich an den Wänden. An einigen Stellen waren große Löcher mit unglaublicher Kraft in die dicken Stahlwände geschlagen worden wie von einer Riesenfaust. Schwejksam hätte das selbst mit der servoverstärkten Kraft seines Anzugs nicht vermocht. Schwejksam kannte nur eine einzige Kreatur, die zu einer derartigen Leistung imstande war – die genetisch manipulierten Bestien, die er im Gewölbe der Schläfer auf dem Planeten Grendel gefunden hatte. Der Gedanke beunruhigte ihn, also schwieg er zunächst. Später war noch genug Zeit für Hypothesen.

Wohin sie auch kamen, überall regnete es aus den Sprinklern, als würden sie versuchen, das Geschehene hinwegzuwaschen.

Im zweiten Stock blieb Frost plötzlich stehen. Sie kniete nieder und leuchtete mit ihrem Scheinwerfer auf etwas am Boden.

Die anderen drängten sich um sie herum und verstärkten das Licht. Eine Lache aus dunkler Flüssigkeit bedeckte den Boden.

Investigator Frost untersuchte sie nachdenklich und rührte langsam mit einem stählernen Finger darin herum. Die Flüssigkeit war dick wie Sirup und klebte an ihrem Finger, als sie ihn wieder zurückzog. Frost mußte die Hand kräftig schütteln, um die Reste wegzuschleudern.

»Was habt Ihr gefunden, Investigator?« erkundigte sich Schwejksam schließlich.

»Es ist noch zu früh, um etwas Genaues zu sagen, Kapitän«, erwiderte Frost. »Ich habe an mehreren Stellen kleinere Spritzer davon gesehen, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, woher es stammt. Es scheint organisch zu sein.«

»Blut von den Fremden?« fragte Creutz.

»Vielleicht«, antwortete Frost unverbindlich. »Ich werde ein paar Proben einsammeln, damit die Labors auf der Unerschrocken sie analysieren können.«

»Haltet Euch an die Quarantäneprozedur«, befahl Schwejksam. »Man kann nie wissen.«

»Selbstverständlich, Kapitän.«

Selbstverständlich. Sie weiß, was sie tut. Störe sie nicht dauernd bei ihrer Arbeit. Schwejksam atmete tief durch. Er blickte sich um und runzelte in seinem Helm besorgt die Stirn. Es tat der Moral überhaupt nicht gut, wenn die anderen bemerkten, wie frustriert er inzwischen war.

Mittlerweile waren sie in einem der Hauptkontrollzentren auf der zweiten Etage angekommen. Das Chaos und die Zerstörung waren hier noch schlimmer als weiter unten – wenn das überhaupt möglich war. Die meisten Instrumente waren aus ihren Verankerungen gerissen und teilweise zerlegt worden. Als hätten diejenigen, die das getan hatten, noch nie zuvor etwas Ähnliches gesehen. Vielleicht hatten sie das auch nicht. Nicht zum ersten Mal kam Schwejksam der Vergleich mit dem fremden Schiff in den Sinn mit seinen seltsamen biomechanischen Systemen, das er und Frost auf Unseeli gefunden hatten. Ein Schiff, das ebensosehr gezüchtet wie gebaut worden zu sein schien. Das einzige fremde Wesen an Bord des Schiffes hatte jeden Menschen in Basis Sieben getötet und die Basis selbst auf entsetzliche Weise verändert. Schwejksam hoffte inbrünstig, daß sie hier nicht das gleiche Problem vorfinden würden.

Die Zeichen sprachen jedenfalls dagegen.

»Stelmach, sucht bitte nach einem Terminal, auf das wir zugreifen können. Ich brauche unbedingt das Logbuch des Kommandanten.«

»Ich tue, was ich kann, Kapitän. Anscheinend sind einige Labors noch in Betrieb, aber es wird nicht leicht sein hinzukommen. Was auch immer hier war – es hat ganze Arbeit geleistet.«

Ich will Ergebnisse, keine Ausflüchte! hätte Schwejksam beinahe gebellt, doch er hielt sich zurück. »Macht das, Stelmach.

Macht das. Wir werden nicht von hier weggehen, bis Ihr jede Möglichkeit ausprobiert habt.« Er wandte sich um, als Creutz zu ihm trat. »Gibt es etwas Neues?«

»Ich weiß es nicht, Sir. Irgend etwas stimmt hier nicht. Ich meine, über das Offensichtliche hinaus. Es gibt nicht genug Körper.«

»Fahrt fort.«

»Wenn man bedenkt, wie groß das Kontingent war, das auf dieser Basis arbeitete, dann hätten wir bisher viel mehr Leichen finden müssen, Sir. Es sei denn, jemand hat sie irgendwo aufgestapelt, wo wir bis jetzt noch nicht waren. Ich würde sagen, siebzig oder achtzig Prozent des Personals fehlen. Daraus schließe ich, daß die Invasoren die Überlebenden mitgenommen haben, als sie sich zurückzogen.«

»Als Geiseln?«

»Oder Forschungsobjekte.«

»Besteht nicht die Möglichkeit, daß sie noch leben?«

»Ich weiß es nicht, Sir. Vielleicht haben die Fremden sie mit an Bord eines ihrer Schiffe genommen, um sie… zu studieren.«

Eine interessante Wortwahl, dachte Schwejksam unglücklich. Es konnte alles bedeuten, von Beobachten bis hin zur Vivisektion. Und es war eine Komplikation, die Schwejksam höchst ungelegen kam. Er war hier, um herauszufinden, was mit der Gehenna-Basis geschehen war, und nicht, um blindlings hinter verschwundenem Personal herzujagen. Doch er durfte die Tatsachen nicht einfach ignorieren. Nicht, wenn eine Chance bestand – und sei sie auch noch so klein –, daß einige der Leute noch am Leben waren. Schwejksam runzelte die Stirn, während er darüber nachdachte, was er als nächstes unternehmen sollte. Seine Pflicht war klar: Die Untersuchung der Vorfälle auf der Basis besaß oberste Priorität. Wer oder was auch immer die Basis so gründlich zerstört hatte, konnte sehr wohl eine Gefahr für das Imperium selbst darstellen. Ausgerechnet jetzt, wo eine weitere Bedrohung das letzte war, was das Imperium noch gebrauchen konnte. Auf der anderen Seite konnte Schwejksam Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, dem Tod oder noch Schlimmerem. Nein, das konnte er nicht. Schwejksam zwang sich, das Gesicht zu entspannen. Sein Kopf schmerzte wieder. Fakten. Er benötigte Fakten, die ihm halfen, eine Entscheidung zu treffen.

»Stelmach…«

»Schon gut, schon gut. Ich schätze, ich habe etwas gefunden…«

Schwejksam und Frost traten zu Stelmach und Creutz, die sich an einem Komm-Paneel zu schaffen gemacht hatten. Es sah nicht so schlimm aus wie all die anderen, aber der Schaden war auch bei diesem Paneel beträchtlich. Schwejksam erkannte es an der Art und Weise, wie Stelmach und Creutz am Innenleben des Apparats herumbastelten.

»Habt einen Augenblick Geduld mit uns, Kapitän«, sagte Stelmach, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. »Ich habe Ersatzteile aus einem Dutzend anderer Paneele zusammengesteckt, und mit ein wenig Glück kann es durchaus sein, daß es sich dazu herabläßt, für uns zu arbeiten.«

»Ich habe geholfen«, ergänzte Creutz.

»Schon gut, ich wollte es gerade erwähnen. Dieser Mann ist an seinem augenblicklichen Posten verschwendet, Kapitän. Er weiß mehr über das Innenleben von Kommunikationstechnik als ich, und ich dachte immer, ich wüßte alles. Habt Ihr je über eine Karriere in der Sicherheitsbehörde nachgedacht, Creutz?«

»Spart Euch Eure Werbesprüche für später«, unterbrach ihn Frost. »Was habt Ihr erreicht?«

»Wenn wir großes Glück haben: Zugang zu den Sicherheitssystemen. Überall in der Basis gab es Überwachungskameras.

Ihre Daten werden getrennt von den anderen aufbewahrt. Aus offensichtlichen Gründen, wie ich hinzufügen möchte. Es scheint, die Eindringlinge haben nicht genau genug gesucht, um sie zu finden.«

»Ja«, sagte Schwejksam. »Das klingt ganz nach Sicherheit.«

»Drückt besser die Daumen, Kapitän, daß ich mich nicht irre«, entgegnete Stelmach steif. »Die Angreifer sind schon lange wieder weg. Die Aufzeichnungen der Sicherheit sind vielleicht der einzige Hinweis auf das, was hier geschah.«

»Wir applaudieren später«, sagte Frost. »Fangt endlich an.«

Stelmach schniefte laut hörbar, um Frost wissen zu lassen, daß seine Gefühle verletzt waren. Dann schalteten er und Creutz die letzten Verbindungen zusammen, und die Aufzeichnungen aus den Sicherheitsdateien wurden direkt in die Komm-Implantate des Landungstrupps eingespielt. Die Bilder des Geschehens erschienen unmittelbar auf der Innenseite ihrer Helme. Die Aufzeichnungen waren bruchstückhafte Fetzen, eine schnelle Folge von Schnitten über die gesamte Basis verteilt, aber zusammengenommen war die Geschichte, die sie erzählten, eindeutig genug. Die Geschichte des Tages, an dem die Fremden nach Gehenna gekommen waren.

Die Fremden sahen aus wie Insekten. Alle Größen, alle Formen. Gottesanbeterinnen, Käfer, Spinnen, meterlange Hundertfüßler. Sie rannten, krochen, hüpften und sprangen in einer schier endlosen Flut. Die Wesen erschienen in allen möglichen Größen, von zentimeterlang bis zur Größe eines Menschen und darüber. Schreckliche Kombinationen von dumpfen Panzern und flirrenden Flügeln, viel zu viele Beine und Augen, und alle bewegten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit und abgehackten, ruckartigen Bewegungen. Die Fremden schnappten und rissen und zerrten mit klauenbewehrten Gliedern an ihren menschlichen Opfern. Manche besaßen klickende Mandibeln, kräftig genug, um einem Menschen mit beinahe obszöner Lässigkeit den Kopf von den Schultern zu trennen.

Schwejksams Nackenhaare richteten sich in einer instinktiven Reaktion auf. Es war etwas Schreckliches und Unnatürliches an derart großen Insekten. Organisierten Insekten. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete der Kapitän, wie die Wesen durch die Basis schwärmten und jede freie Fläche bedeckten. Sie liefen über Wände und Decken und warfen sich auf das Personal der Basis, um sie ohne Pause und ohne jede Gnade bei lebendigem Leibe aufzufressen. Überall spritzte Blut, das von den kleineren Insekten mit langen Rüsseln aufgesaugt wurde.

Disruptoren und kalter Stahl forderten ihren Tribut unter den Angreifern, aber es waren zu viele. Tausende, Zehntausende, und ein Ende war nicht abzusehen. Männer und Frauen starben an giftigen Bissen und Stichen, oder sie lagen zuckend auf dem Boden, während kleine Insekten sich in ihr Fleisch wühlten.

Große Käfer, die aussahen wie lebende Panzer, rissen menschliche Gliedmaßen mit erschreckender Leichtigkeit aus den Körpern ihrer Opfer und wedelten mit ihnen wie Siegesfahnen.

Leute schrien und kämpften und starben, und noch immer strömten mehr Insekten herbei.

»Interessant«, sagte Frost leise. »Ich habe noch nie so viele offensichtlich verschiedene und nicht miteinander verwandte Rassen auf derartige Weise zusammenarbeiten gesehen. Vielleicht handelt es sich um ein Kollektivbewußtsein. Oder vielleicht sind sie alle nur Drohnen, die den Befehlen einer gut versteckten und geschützten Königin folgen. Mehr kann ich nicht sagen, ohne ein paar Exemplare untersucht zu haben.

Aber eins kann ich mit Sicherheit sagen, Kapitän. Diese großen Käfer dort sind nicht natürlichen Ursprungs. Insekten werden nicht so groß. Ihre Körperstruktur erlaubt das nicht. Woraus folgt, daß sie genetisch manipuliert, konstruiert und für vielerlei Aufgaben ausgerüstet wurden. Vielleicht gilt das auch für die kleineren Wesen. Vielleicht für alle. Das läßt wiederum auf eine biologische Entwicklungsstufe schließen, die der unseren haushoch überlegen ist.«

»Wie könnt Ihr nur so ruhig bleiben?« fragte Creutz wütend.

»Diese Bastarde haben unsere Leute, Männer und Frauen gleichermaßen, einfach abgeschlachtet, und Ihr redet daher, als wäre dies alles nichts weiter als eine Simulation während einer Trainingsstunde.«

»Das ist Teil meiner Arbeit«, erwiderte Frost.

»Verdammt noch mal! Das waren lebendige Männer und Frauen!«

»Das weiß Investigator Frost«, unterbrach ihn der Kapitän.

»Aber sie ist eben ein Investigator. Sie hat bereits schlimmere Dinge gesehen. Und jetzt seid bitte still und konzentriert Euch auf die Aufzeichnungen.«

»Ich denke, die neue Datei hier zeigt, wie alles angefangen hat«, sagte Stelmach. »Es ist die einzige intakte Aufnahme.«

Der Schutzschild der Basis brach plötzlich zusammen, und niemand im Inneren schien einen Grund dafür zu kennen. Allein das war vollkommen unmöglich. Das Personal machte sich im ersten Augenblick keine sonderlichen Gedanken. Die Basis war so konstruiert, daß sie auch ohne Schirm ausreichenden Schutz gewährte. Doch dann kamen die Insekten. Sie knackten die Außenhaut der Basis wie eine Eierschale, um an das ungeschützte Fleisch im Innern zu kommen. Die Basis rief mit zunehmender Verzweiflung um Hilfe, doch die Komm-Systeme waren nutzlos. Gestört. Überlagert. Auch das war vollkommen unmöglich.

Schließlich hörte eine Kamera nach der anderen auf zu arbeiten, als die Insekten sie entdeckten und zerstörten. Anschließend gab es nur noch Finsternis.

Die normale Umgebung erschien wieder auf den Innenseiten der Helme, als die Aufzeichnung des Sicherheitssystems geendet hatte. Ein langes Schweigen folgte.

»Dieser Invasion lag ein Plan zugrunde«, erklärte Frost schließlich. »Die größeren Insekten waren die Panzerbrecher, die mittelgroßen griffen die Menschen an, und die kleinen machten hinterher sauber, beseitigten die Blutspuren, schafften Maschinen und Ausrüstung weg und fraßen die Gefallenen ohne Unterschied, ob es Menschen oder Insekten waren.«

Schwejksam schloß die Augen, aber er konnte noch immer die Bilder von schreienden Männern und Frauen sehen, die sich vergeblich wehrten oder nach Hilfe schrien, die niemals kam.

Er war froh, daß in den Aufzeichnungen nur wenige Szenen des Gemetzels festgehalten worden waren. Der Kapitän war nicht sicher, ob er den Horror und das Entsetzen länger ertragen hätte. Er öffnete die Augen wieder und atmete tief und gleichmäßig durch, um seinen Verstand zu klären. Schwejksam mußte kühl und beherrscht sein, wenn er seine Rache an den Käfern erleben wollte.

»Sie waren alle auf eine bestimmte Funktion spezialisiert«, fuhr Frost fort. Schwejksam zwang sich, ihren Ausführungen zu folgen. »Entwickelt für ganz spezifische Aufgaben. Aber was hatten sie hier zu suchen?«

»Das, was Fremde immer wollen«, erwiderte Stelmach. »Die Menschheit vernichten.«

Schwejksam schluckte schwer. Sein Mund war wie ausgetrocknet. »So einfach ist es in der Regel nicht, mein lieber Stelmach. Wir wissen jetzt, was hier geschehen ist, aber wir kennen deswegen noch lange nicht den Grund. Und ohne den Grund können wir nicht wissen, was sie als nächstes unternehmen werden. Sie könnten inzwischen überall im Imperium sein. Es muß einen Grund für diese Zerstörung und all das Blutvergießen geben. Investigator, Ihr habt erwähnt, daß diese Insekten alle für spezifische Aufgaben während der Invasion geschaffen wurden. Das bedeutet, daß ein Sinn hinter all dem gesteckt haben muß, ein Ziel, das es zu erreichen galt.«

»Ja«, stimmte Frost zu. »Beinahe mit hundertprozentiger Sicherheit. Ich habe den Eindruck, sie suchten Informationen. Sie haben den Rechneraufzeichnungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Menschen wurden zum größten Teil erst dann angegriffen und getötet, wenn sie in den Weg gerieten oder die Suche behinderten. Ich denke, die Invasoren suchten nach etwas.«

»Und was kann das sein?« erkundigte sich Creutz. » Gehenna ist der am weitesten draußen gelegene Planet in diesem Sektor des Imperiums. Dahinter befindet sich nur noch die Dunkelwüste

»Und sie können unmöglich quer durch das Imperium hergekommen sein, ohne entdeckt zu werden«, ergänzte Stelmach.

»Also müssen sie von… außerhalb des Imperiums kommen.«

»In der Dunkelwüste gibt es kein Leben«, erklärte Frost. »Mit Ausnahme der Verräter von Haden

»Dann sind sie vielleicht von der anderen Seite der Dunkelwüste gekommen«, sagte Schwejksam bedächtig. »Und das hier war der erste menschliche Außenposten, den sie entdeckten. Aber warum haben sie gleich angegriffen? Wir versuchen immer zuerst zu kommunizieren, und wenn nur aus dem Grund, weil wir herausfinden wollen, was uns erwartet. Gab es in der Basis etwas, das die Fremden unbedingt haben wollten?

Etwas, von dem sie wußten, daß die Besatzung es nicht freiwillig herausgeben würde?«

»Ich denke, wir spekulieren zuviel«, sagte Creutz.

»Natürlich tun wir das«, erwiderte Frost. »Fällt Euch vielleicht etwas Besseres ein? Wenn Ihr nichts Sinnvolleres zur Diskussion beizutragen habt, dann haltet jetzt bitte die Klappe.

Wir denken nämlich nach. Also, die Fremden haben unsere Technik auseinandergenommen und die Besatzung getötet, weil sie etwas suchten. Informationen. Was können sie gewollt haben, was wir ihnen nicht freiwillig gegeben hätten?«

»Unsere Schwächen«, überlegte Stelmach laut. »Unsere Verteidigungsstellen, unsere Bewaffnung, andere Geheimnisse…«

»Die Position unserer Heimatwelt!« stieß Schwejksam hervor. »Zerstöre Golgatha, und das gesamte Imperium ist verkrüppelt!« Ein Schauer durchzuckte ihn, als seine Gedanken zu rasen begannen. »Ihr habt gedacht, das hier wäre eine Falle, Investigator, aber das war es nicht. Es war ein Ablenkungsmanöver! Wir sollten beschäftigt werden, und inzwischen ziehen die Fremden nach Golgatha! Alles zusammenpacken! Wir gehen zurück!«

»Oh, hört schon auf, Kapitän! Das ist reine Spekulation!« mahnte Stelmach.

»Nein«, widersprach Frost. »Ich habe so ein Gefühl, als könnte es stimmen. Es ist genau das, was ich tun würde.«

»Aber… aber was ist mit dem vermißten Personal?« fragte Creutz. »Was, wenn die Leute irgendwo hier auf Gehenna gefangengehalten werden? Was, wenn wir einem Gespenst hinterherjagen, während sie hier sterben? Was ist, wenn wir uns irren, Kapitän?«

»Dann irren wir uns eben«, antwortete Frost. »Und jetzt haltet Euren Mund und setzt Euch in Bewegung! Unsere Heimatwelt muß beschützt werden, um jeden Preis! Kein Wunder, daß Ihr dauernd versetzt werdet, Creutz. Ihr redet einfach zuviel.«

»Los, Männer, wir brechen auf«, wiederholte Schwejksam.

»Investigator, Ihr geht voraus. Creutz und Stelmach, Ihr bleibt bei mir. Die Infanteristen decken den Rückzug. Wenn sich etwas bewegt, wird augenblicklich geschossen! Wir haben keine Freunde mehr hier unten.«

Und so machten sie sich auf den Rückweg. Die Mitglieder des Ladungstrupps stapften durch den ewigen Regen aus der Sprinkleranlage, so schnell sie konnten. Die schweren, ungelenken Anzüge behinderten ein rasches Fortkommen, aber schließlich waren sie doch draußen. Niemand wußte, wie groß der Vorsprung der Invasoren inzwischen war. Der Angriff auf die Basis konnte noch nicht lange zurückliegen, denn die Überreste der Leichen waren gut erhalten. Das bedeutete: höchstens ein paar Tage. Also hing jetzt alles davon ab, welche Art von Hyperraumantrieb die Fremden besaßen und ob er dem neuen Aggregat der Unerschrocken ebenbürtig war. Die Unerschrocken war das schnellste Schiff im gesamten Imperium, doch Schwejksam und Frost wußten etwas, das der Rest der Mannschaft nicht wußte. Der erstaunliche neuartige Antrieb basierte auf einer Technologie, die die beiden an Bord des abgestürzten fremden Schiffes auf Unseeli gefunden hatten. Was bedeutete, daß niemand vorhersehen konnte, wie schnell das Schiff der Invasoren war. Ganz besonders dann nicht, wenn es wirklich die Dunkelwüste durchquert hatte – eine Leistung, die noch kein Imperiales Schiff vollbracht hatte.

Üblicherweise war es das Imperium, das neue Rassen aufspürte und Entscheidungen über ihre Zukunft traf. Die Fremden konnten dem Imperium beitreten, oder sie wurden unterworfen. Wenn sie sich weigerten, mußten sie sterben. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Diesmal war es umgekehrt. Irgend jemand hatte das Imperium gefunden. Und Schwejksam konnte nichts weiter tun als hoffen, daß die Unerschrocken rechtzeitig genug nach Golgatha zurückkehrte, um die Heimatwelt zu warnen, bevor die Fremden ankamen und anfingen, Entscheidungen bezüglich der Menschheit zu treffen.

Die Unerschrocken fiel aus dem Hyperraum und schoß in einen Orbit um Golgatha, alle Stationen in höchster Gefechtsbereitschaft, die Waffen geladen. Der riesige Sternenkreuzer begann unverzüglich, auf allen Frequenzen Warnungen abzustrahlen. Seine Sensoren durchkämmten die Dunkelheit auf der Suche nach einem fremden Schiff. Dann erst entdeckte die Unerschrocken, daß die Verteidigungsanlagen Golgathas vollkommen im Chaos versunken waren. Die Unerschrocken verließ den Orbit, um auf dem Hauptlandefeld niederzugehen, nur um herauszufinden, daß auf allen Kanälen jeder jeden anbrüllte und niemand ihnen zuhörte. Creutz ging sogar die Notfallfrequenzen mit der höchsten Priorität durch, doch überall herrschte das gleiche Durcheinander.

»Was, zur Hölle, geht da unten vor?« fragte Schwejksam.

»Sind die Fremden doch schneller gewesen als wir?«

»Die Sensoren können jedenfalls nichts entdecken«, erwiderte Frost. »Aber da ist noch etwas. Im System sind normalerweise sechs Sternenkreuzer stationiert, in einem Orbit um Golgatha, als letzte Verteidigungslinie. Ich kann keine Spur von ihnen entdecken.«

Schwejksam blickte zur Kommunikationskonsole. »Creutz, kommt Ihr mit Euren Warnungen durch?«

»Unmöglich zu sagen, Kapitän. Auf allen Frequenzen herrscht ein derartiges Durcheinander, daß Prioritäten der reinste Hohn sind.«

»Laßt mich mal ran«, forderte Stelmach und trat zu Creutz.

»Ich habe Zugriff auf Kanäle, von denen die meisten nichts wissen.«

»Fangt an«, sagte Schwejksam. »Frost, Ihr benutzt die Langstreckensensoren. Ich will wissen, wie es dort unten aussieht.«

Frost knurrte eine Antwort. Sie war mit ihren Instrumenten beschäftigt. Einen Augenblick später schälte sich ein Bild aus dem Nichts. Der Raumhafen und die Landefläche waren systematisch zerstört worden. Rauch stieg von brennenden Ruinen auf, und zerstörte Schiffe lagen zu Dutzenden auf den Landeplätzen. Der Kontrollturm aus Stahlglas wurde von einem klaffenden Riß durchzogen, und überall brannten außer Kontrolle geratene Feuer. Die Notdienste taten alles, was in ihrer Macht stand, aber anscheinend waren sie völlig überlastet.

Überall lagen Leichen herum, und Schwejksam zweifelte nicht eine Minute daran, daß er noch längst nicht alles gesehen hatte.

»Das Schiff der Fremden traf vor sechs Stunden ein«, berichtete Stelmach. »Es griff sofort an, während der Kontrollturm noch versuchte, es zu identifizieren. Die Fremden zerstörten die Schiffe auf den Landeplätzen und begannen anschließend mit einem systematischen Beschuß des Raumhafens und der Hauptstadt. Ihr Schiff benutzt Energiewaffen unbekannter Bauart. Schutzschilde sind wirkungslos. Entweder versagen sie, oder die fremden Energiewaffen lassen sie zusammenbrechen. Die Verluste an Menschenleben gehen in die Hunderttausende. Die Imperatorin schwebt bis jetzt noch nicht in Gefahr; sie befindet sich im Imperialen Palast tief unter der Oberfläche.

Wir können nur hoffen, daß die Fremden keine Ahnung haben, wo sie ist.«

»Das ist doch vollkommen verrückt!« entfuhr es Schwejksam. »Wie kann ein einziges Schiff ungestraft so viel Schaden anrichten?«

»Wie es scheint, erwischten die Fremden einen glücklichen Zeitpunkt«, sagte Creutz. »Nach allem, was ich bis jetzt den Nachrichten entnehmen konnte, hat die Untergrundbewegung ein paar Stunden vor Eintreffen des fremden Schiffes einen Sabotageangriff gestartet. Anschließend flohen die Rebellen an Bord eines Hadenmann-Schiff es. Die sechs Sternenkreuzer haben sich an die Verfolgung gemacht. Die Sicherheit hat sich in ihren eigenen Schwanz gebissen, als sie versuchte, das Ausmaß der Sabotage festzustellen, und wurde mit heruntergelassenen Hosen erwischt.«

»Es war nicht die Schuld der Sicherheit!« protestierte der Sicherheitsoffizier. »Die Rebellen haben fast alle unserer Verteidigungsrechner sabotiert! Wir waren vollkommen hilflos!«

»Hört auf, Euch wegen der Schuldfrage zu streiten!« befahl Schwejksam. »Wo steckt das Schiff der Fremden jetzt?«

»Auf der entgegengesetzten Seite von Golgatha«, antwortete Frost. »Es befindet sich auf dem Weg hierher. Noch zwei oder drei Minuten, abhängig davon, ob es unterwegs eine weitere Pause einlegt, um irgend etwas in die Luft zu jagen.«

»Was werdet Ihr tun, Kapitän?« erkundigte sich Creutz.

»Ich blase es aus dem All«, knurrte Schwejksam.

»Nein!« widersprach Frost augenblicklich. »Ich wäre der gleichen Meinung wir Ihr, Kapitän – unter normalen Umständen. Aber wir brauchen im Augenblick Antworten dringender als Rache. Wir müssen mehr über die Fremden in Erfahrung bringen. Wir müssen wissen, woher sie kommen. Wenn dieses Schiff wirklich die Dunkelwüste durchquert hat, um uns zu finden, wer weiß, was ihm noch folgt? Wir brauchen Gefangene, die wir verhören können, Kapitän! Und das Schiff so intakt wie nur irgend möglich, um es zu studieren.«

»Ist das alles? Oder wollt Ihr mir noch mehr Beschränkungen auferlegen?« fragte Schwejksam.

»Da wäre noch die Sache mit dem vermißten Personal von Gehenna«, sagte Creutz starrköpfig. »Wenn sie sich an Bord des fremden Schiffes befinden…«

»Sie sind entbehrlich«, unterbrach Schwejksam. »Ich werde sie retten, wenn sich eine Möglichkeit bietet, aber versprechen will ich nichts. Das gleiche gilt für Euch, Investigator. Unsere oberste Priorität ist es, den Angriff aufzuhalten. Golgatha muß beschützt werden. Und wenn es heißt, das feindliche Schiff entweder entkommen zu lassen oder es zu vernichten, dann werde ich es vernichten.«

»Verstanden«, sagte Frost. »Ihr hättet einen guten Investigator abgegeben, Kapitän.«

»Danke sehr«, erwiderte Schwejksam. »Creutz, wo steckt es jetzt?«

»Es kommt näher«, meldete der Komm-Offizier. »Sollte jeden Augenblick in Sichtweite sein.«

»Alarmstufe Rot!« ordnete Schwejksam an. »Alle Schilde hoch, Waffensystem laden, Feuerkontrollen einschalten.

Creutz, Ihr sichert unser Logbuch, zusammen mit allen nützlichen Informationen, die die Fremden betreffen und das, was auf Gehenna passiert ist. Schießt die Daten in einer Signalboje hinaus. Wenn uns etwas zustößt, dann sind die Informationen wenigstens nicht verloren. Wer auch immer diese Katastrophe überlebt, kann die Boje bergen.«

»Es kommt heran«, sagte Creutz. »Ich habe es auf den Sensoren. Seine Geschwindigkeit ist unglaublich.«

»Auf den Schirm!« befahl Schwejksam.

Die Szene auf dem Schirm wechselte und zeigte die leuchtende, runde Kugel Golgathas und die sternenübersäte Dunkelheit dahinter. Einer der Sterne bewegte sich rasch auf die Unerschrocken zu, und er gewann ruckhaft an Größe, als Creutz das Bild heranzoomte. Schließlich wurde aus dem Stern das feindliche Schiff. Schwejksam beugte sich in seinem Sitz vor, um es genauer zu betrachten. Das Schiff erinnerte an einen großen weißen Seidenkokon oder an ein Wespennest. Jedenfalls sah es nach Insekten aus. Der Kokon wies keinerlei sichtbare Strukturen und keine erkennbare Technologie auf.

»Wie groß ist es?« fragte Schwejksam.

»Etwas über drei Kilometer im Durchmesser«, antwortete Creutz. »Ich habe alle Frequenzen geöffnet, doch ich kann keinerlei Signal auffangen.«

»Nach den Sensoren zu urteilen, besteht die Hülle größtenteils aus organischem Material«, erklärte Frost. »Wahrscheinlich durch eine Art Energieschirm geschützt, aber die wenigen Energiemessungen, die ich bis jetzt habe, ergeben absolut keinen Sinn. Kein erkennbarer Antrieb, keine Waffen, nichts… wirklich überhaupt nichts.«

»Versucht mit Ihnen zu reden«, schlug Stelmach vor. »Vielleicht können wir verhandeln.«

»Unwahrscheinlich«, erwiderte Frost. »Selbst unsere besten Lektronenübersetzer benötigen Monate, um eine Sprache zu erlernen. Außerdem würde ich sagen, sie haben ihre Absichten bereits unmißverständlich klargemacht.«

»Verdammt richtig«, pflichtete ihr Schwejksam bei. »Und ich verhandle nicht mit Schlächtern. Sonst noch etwas auf den Sensoren?«

»Da sind ein paar hochenergetische Muster. Sie werden stärker, je näher wir dem Gegner kommen. Nichts, was wir kennen. Wartet einen Augenblick. Irgend etwas geht da vor sich…

Die Energiemuster werden immer stärker…!«

Ein leuchtender Blitz sprang aus dem feindlichen Schiff und überquerte die Distanz zur Unerschrocken im Bruchteil einer Sekunde. Die Schilde knisterten und knackten, und die fremdartige Energie umschloß den gesamten Schild auf der Suche nach Schwachstellen. Überall in der Unerschrocken schrillten die Alarme, als die fremde Energie langsam, aber unerbittlich durch die Schilde sickerte, durch die Außenhülle krachte und ins Schiffsinnere durchbrach. Blendendes Licht schoß durch den getroffenen Sektor der Unerschrocken, und jeder ging in lodernde Flammen auf, der mit ihm in Berührung kam. Ständig erklangen neue Alarmglocken, und in einem Chaos aus Schreien, gebrüllten Befehlen und wild flammenden Feuern breitete sich die fremde Energie ungehindert aus.

»Sektion evakuieren!« befahl Schwejksam. »Bringt so viele Leute raus, wie es geht, und dann versiegelt und isoliert diesen Teil des Schiffs! Stellt Schildprojektoren in den Korridoren auf. Unternehmt alles, um die Ausbreitung wenigstens zu verlangsamen. Frost, redet mit mir! Was ist das? Was macht es mit meinem Schiff?«

»Nach den Sensoren zu urteilen, handelt es sich um reine Energie, Sir«, antwortete Frost gelassen. »Sie besitzt bestimmte physische Eigenschaften. Möglicherweise handelt es sich um eine Art Plasmaenergiesuspension, aber zitiert mich nicht. Wir können sie nicht aufhalten, Kapitän. Und wenn ich den Instrumenten Glauben schenke, dann hat sie bereits begonnen, unsere Instrumente in jener Sektion zu infiltrieren. Sie umgeht die Kontrollmechanismen und übernimmt die Systeme!«

»Soeben haben wir die Sektoren H bis K verloren«, meldete Creutz. »Sie reagieren nicht länger auf die zentrale Systemsteuerung oder auf unsere Reservegeräte. Die Lebenserhaltungsfunktionen schalten sich in den betroffenen Sektoren ab, ohne daß wir daran etwas ändern könnten.«

»Sind alle Leute draußen?«

»Die meisten. Wer es nicht geschafft hat, für den ist es jetzt zu spät.«

»Evakuiert die angrenzenden Sektoren ebenfalls«, befahl Schwejksam. »Riegelt sie mit so vielen inneren Schilden ab, wie wir erzeugen können. Die Verletzten müssen selbst sehen, wie sie zur Krankenstation kommen. Alle anderen bleiben auf ihren Posten. Investigator, was schlagt Ihr vor?«

»Unsere Schilde werden die Energie nicht lange aufhalten können, Kapitän. Sämtliche Defensivmaßnahmen halten dem Ansturm nur kurz stand. Das läßt meiner Meinung nach nur einen Weg offen: Wir müssen zum Gegenangriff übergehen.

Falls das feindliche Schiff mit Schilden ausgerüstet ist, können meine Sensoren sie nicht orten. Ich bin von Minute zu Minute mehr davon überzeugt, daß unsere beste Chance darin liegt, sie mit allem zu treffen, was wir haben, und abzuwarten, was geschieht.«

»Ich hatte gehofft, wir könnten vorher noch etwas anderes versuchen«, sagte Schwejksam. »Ich mag es nicht, meinen besten Trumpf bereits so früh auszuspielen. Aber was sein muß, muß sein. Geschützoffizier, nehmt das feindliche Schiff unter Beschuß. Feuert so lange weiter, bis seine Schilde zusammenbrechen und wir ihm wirklich weh tun, dann brecht den Angriff ab und wartet auf neue Befehle.«

Die Disruptorbatterien der Unerschrocken eröffneten das Feuer. Eine Kanone nach der anderen, im Salventakt, schleuderte ihre zerstörerische Ladung auf das feindliche Schiff.

Plötzlich flammten seltsame Felder rings um den Riesenkokon auf. Die Strahlen aus den Disruptorkanonen schlugen auf die feindlichen Schilde ein, doch sie hielten.

An Bord der Unerschrocken breiteten sich die fremdartigen Energien immer weiter aus, und unaufhaltsam wurde ein essentielles System nach dem anderen infiltriert. Die Lebenserhaltung erlosch Sektor um Sektor. Besatzungsmitglieder starben auf ihren Posten oder rannten um ihr Leben.

Dann explodierte eine Konsole auf der Brücke, und der Mann, der an ihr Dienst verrichtet hatte, flog leblos und mit brennenden Haaren und Kleidern durch die Luft. Die fremdartigen Energien tanzten durch die Atmosphäre der Brücke wie heiße Blitzschläge in einem Gewitter. Schwejksam brüllte seine Leute an, sich von der brennenden Konsole fernzuhalten und auf den Posten zu bleiben.

Die Flammen aus der Konsole leckten bereits an einer Wand der Zentrale.

Die Disruptorbatterien feuerten unablässig weiter, und mit einemmal brach der Schild des Gegners zusammen. Große Fetzen des weißen Kokongewebes trudelten davon. Und genauso plötzlich verschwand auch die seltsame Energie, die an Bord der Unerschrocken gewütet hatte. Die Konsolen nahmen wieder ihre normale Arbeit auf, Notsysteme begannen sich um die Feuer überall an Bord zu kümmern, die Lebenserhaltung wurde wiederhergestellt, und der Kampf war vorüber.

Schwejksam befahl den Disruptorbatterien, das Feuer einzustellen und sich bereitzuhalten, falls ein weiterer Angriff notwendig wurde. Die Toten wurden davongetragen, die Verletzten versorgt und die Feuer gelöscht. Als die letzte Alarmglocke verstummte, herrschte mit einemmal eine merkwürdige Stille in der Zentrale.

»Schön, das hätten wir«, sagte Stelmach. »Und was tun wir jetzt?«

»Wir gehen an Bord des anderen Schiffs«, antwortete Frost.

»Wir haben ihnen einige Schäden zugefügt, aber niemand weiß, wieviel oder wie lange sie für die Reparaturen benötigen.

Also handeln wir besser jetzt, solange sie noch geschwächt sind.«

»Einverstanden«, erklärte Schwejksam. »Ich will das Schiff an einem Stück haben, damit unsere Techniker es auseinandernehmen und seine Funktionsweise untersuchen können. Ganz besonders die Schilde und Waffen. Es ist durchaus möglich, daß wir ihnen irgendwann wieder gegenüberstehen. Aber wenn ich den Zustand der Unerschrocken bedenke, dann können wir nur eine kleine Entermannschaft entbehren. Ihr, Investigator, ich selbst und ein Dutzend Infanteristen.«

»Klingt gut«, sagte Frost.

»Ihr könnt das Schiff jetzt nicht verlassen, Kapitän!« widersprach Stelmach. »Von überall an Bord gehen Schadensmeldungen ein!«

»Dann kümmert Ihr Euch darum. Ich werde woanders gebraucht, schon allein deswegen, weil ich einer der wenigen Leute bin, die bereits Fremden begegnet sind und lange genug überlebt haben, um davon zu berichten. Creutz, Ihr arbeitet mit Sicherheitsoffizier Stelmach zusammen. Seht zu, daß er alle Unterstützung bekommt, die er braucht.«

»Jawohl, Sir«, sagte Creutz. »Aber ich denke, ich sollte Euch darauf hinweisen, daß die Vorschriften in dieser Hinsicht eindeutig sind…«

»Schön, das habt Ihr hiermit getan. Und jetzt vergeßt es. Bei den ganzen Schwierigkeiten, in denen ich bereits stecke, sind ein paar übertretene Vorschriften meine geringste Sorge. Ihr braucht mich nicht an Bord, Creutz. Dieses Schiff schwimmt tot im Wasser. Achtet einfach darauf, daß es nicht untergeht und daß Stelmach unter seiner neuen Verantwortung nicht zusammenbricht. Falls jemand mit mir reden will – Ihr wißt, wo Ihr mich findet. Und jetzt laßt uns aufbrechen, Investigator. Ich will mir das Schiff aus der Nähe ansehen, das imstande ist, eine ganze Stadt und den dazugehörigen Raumhafen in Schutt und Asche zu legen, und das darüber hinaus auch noch beinahe einen Imperialen Sternenkreuzer abgeschossen hätte.«

»Richtig«, stimmte Frost zu. »Und mit ein wenig Glück bekommen wir sogar ein paar der Fremden vor unsere Waffen.«

»Vielleicht stellen sie sich tot«, warf Stelmach ein.

»Dann sollten sie lieber rasch damit aufhören, oder sie sind es wirklich«, entgegnete Schwejksam.

Die Unerschrocken manövrierte mit der wenigen verbliebenen Energie vorsichtig längsseits. Das fremde Schiff zeigte keine Reaktion. Die Sensoren fingen keine Energieströme oder sonstigen Lebenszeichen ein. Schwejksam wartete schweigend in seinem Hartanzug in einem der Torpedorohre und verfolgte über sein Komm-Implantat die eingehenden Meldungen. Er vertraute den Sensoren nicht, und in ihm regte sich der starke Verdacht, daß das fremde Schiff noch immer sehr wohl imstande war, seine Geheimnisse für sich zu behalten. Schwejksam bewegte sich unruhig, so gut es in der Enge ging. Er lag mit dem Gesicht nach unten im Rohr, und die Schultern seines Anzugs scheuerten an den Wänden. Es war so eng, daß er kaum mit den Fingern schnippen konnte, und eine Reaktion auf den Juckreiz, der sich mit bösartiger Langsamkeit zwischen seinen Schulterblättern ausbreitete, war vollkommen unmöglich. Normalerweise trug er höchsten vier- oder fünfmal im Jahr einen Hartanzug, aber das war jetzt schon das zweite Mal an einem einzigen Tag. Er seufzte tief und startete einmal mehr das in den Anzug eingebaute Diagnoseprogramm. Alles, um sich abzulenken. Sobald die Unerschrocken nahe genug war, würde man ihn aus dem Rohr in Richtung des fremden Schiffes schießen, und diese Aussicht stimmte Schwejksam nicht gerade fröhlich. Aber es war seine eigene Idee gewesen. Der Riesenkokon wies keine Luke auf, zu der man mit der Pinasse hätte übersetzen können, und ein Loch in das feindliche Schiff zu blasen, das groß genug war, um mit der Pinasse anzudocken, hätte alle möglichen Arten unangenehmer Konsequenzen nach sich ziehen können. Also war nur noch die Möglichkeit geblieben, in einen Hartanzug zu steigen und mit seiner Hilfe die Tür einzutreten.

Schwejksam seufzte erneut und wünschte sich, vorher noch einmal auf die Toilette gegangen zu sein. Die sanitären Einrichtungen des Anzugs waren zweckmäßig, aber einfach. Auf der Innenseite seines Helms war nichts zu sehen außer den Innenwänden des Torpedorohrs und den üblichen zahlreichen Diagrammen und Sensoranzeigen. Schwejksam hatte das Gefühl, als steckte er bereits seit Stunden in dem Rohr, doch das Chronometer des Anzugs, das aufreizend langsam links in seinem Blickfeld blinkte, bestand darauf, daß erst zwanzig Minuten vergangen waren. So sieht es im Innern eines Sarges aus, dachte Schwejksam träge und verfluchte sich insgeheim sofort dafür.

»Kapitän, die Unerschrocken ist in Position«, meldete die Stimme des Ersten Offiziers plötzlich. »Wir werden Euch jetzt hinausschießen.«

In Schwejksam regte sich der beinahe übermächtige Wunsch zu sagen: Nein, halt, ich habe mir die Sache anders überlegt!

Dann schien die Außendruckanzeige zu explodieren, und er schoß aus dem Rohr in die Schwärze des Alls. Tiefe Dunkelheit umgab ihn, nur durchbrochen von grell schimmernden Sternen. Sie wirbelten in schwindelerregenden Kreisen um Schwejksam herum, bis der Hartanzug seine Taumelbewegung regelte und die eingebauten Rechner das feindliche Schiff anpeilten. Der Rückstoßantrieb auf seinem Rücken schaltete sich ein und setzte ihn mit einer Reihe sorgfältig bemessener Schübe in Bewegung. Der große weiße Ball hing schweigend und rätselhaft vor ihm. Aus der Nähe betrachtet sahen die Stränge, aus denen der Kokon bestand, mehr nach dicken, verdrehten Kabeln aus. Die gesamte Konstruktion wirkte besorgniserregend organisch. Lebendig. Und nicht annähernd so stark beschädigt, wie sie zu sein vorgab.

Schwejksam konnte die Stellen mit wachsender Deutlichkeit erkennen, an denen das Disruptorfeuer der Unerschrocken eingeschlagen war. Weite ausgefranste Löcher in der weißen Oberfläche, die tief in das Schiff hineinreichten, zu tief, um selbst mit Hilfe der Sichtverstärker des Hartanzugs den Boden zu erkennen. Die gezackten Enden der zerrissenen Kabel hingen schlaff und reglos an den Seitenwänden. Schwejksam bildete sich ein, daß einige von ihnen sich am Rand seines Gesichtsfelds bewegten, doch wenn er den Blick in ihre Richtung wandte, war keine Regung zu erkennen.

Schwejksam erblickte Frost, die langsam neben ihm heranschwebte, und seine Sensoren verrieten ihm, daß die Marineinfanteristen ringsum in einem engen Halbkreis verteilt waren.

Ihre Gegenwart gab ihm augenblicklich ein Gefühl von Sicherheit, und sein Atem beruhigte sich ein wenig. Schwejksam hatte seit seinen Tagen auf der Kadettenakademie nicht viel Zeit im Weltraum verbracht, und er hatte völlig vergessen, wie kalt und einsam es hier draußen sein konnte. Unter ihm lag Golgatha, groß und golden. Der Planet gab Schwejksam zumindest eine gewisse Orientierung für Oben und Unten – doch die unendliche Weite des Alls war schrecklich einschüchternd. So schön die Sterne auch anzusehen waren – es war höllisch weit bis zu ihnen. Es war auch höllisch weit nach unten, und Schwejksam gab sich die größte Mühe, nicht weiter darüber nachzudenken. Falls sein Anzug irgendwie versagte, gab es eine ganze Reihe unangenehmer Möglichkeiten zu sterben.

Aber der Anzug würde nicht versagen. Die Kontrollen zeigten, daß alles so funktionierte, wie es sollte. Die eingebauten Steuerungsrechner würden Schwejksam viel sicherer zu dem feindlichen Schiff bringen, als er es manuell hätte bewerkstelligen können. Dort schließlich würde er ganz ohne Zweifel ein paar wirklich unangenehmen fremden Lebensformen begegnen, die nur allzu bereit waren, ihn auf noch unangenehmere Weise zu töten. Kommt zur Imperialen Flotte und seht das Universum.

Schwejksam mußte unwillkürlich grinsen. Es war ihm wesentlich lieber, persönlich das Unternehmen zu leiten, als auf der Brücke festzustecken und sich darüber Gedanken zu machen, was Frost und die Marineinfanteristen erwartete.

Schwejksam konzentrierte sich auf das fremde Schiff, das stetig in seinem Blickfeld wuchs. Es war inzwischen so groß wie ein Planet, und noch immer trieb er der Hülle weiter entgegen. Die weißen Stränge waren dicker als ein Landungsfahrzeug, unglaublich lang, und sie erstreckten sich in jede Richtung. Sie waren mit kleinen und großen Löchern übersät, als hätte etwas oder jemand an ihnen genagt. Der Gedanke beunruhigte Schwejksam. Was, zur Hölle, konnte während der weiten Reise durch die Dunkelwüste versucht haben, das fremde Raumschiff aufzufressen! Schwejksam verdrängte den Gedanken aus seinem Bewußtsein und konzentrierte sich statt dessen auf die bevorstehende Landung.

Langsam trieb die Gruppe der Oberfläche des Raumschiffs entgegen wie Flugsamen einem Waldboden. Schließlich sammelten sie sich am Rand eines der Krater, die die Disruptorkanonen der Unerschrocken in die Außenhaut des fremden Schiffes gebrannt hatten. Er maß gut zehn Meter im Durchmesser und war mindestens dreißig Meter tief. Weiter reichten die Sensoren der Hartanzüge eigenartigerweise nicht, obwohl sie durchaus dazu in der Lage gewesen wären. Schwejksam überprüfte seine anderen Instrumente. Keine Umgebungswärme strahlte aus dem Loch, keine Radioaktivität, keine Magnetfelder und nur geringe Spuren von Gravitation. Höchstens ein Zehntel des menschlichen Standards. Welche Geheimnisse das fremde Schiff auch immer barg, es behielt sie sorgsam für sich.

Schwejksam aktivierte sein Komm-Implantat.

» Unerschrocken, hier spricht der Kapitän. Könnt Ihr mich hören?«

»Laut und deutlich, Kapitän«, meldete sich Creutz ohne Verzögerung. »Unsere Sensoren sind auf Euren Standort gerichtet, und wir erhalten vollständige Daten von Euren Anzügen. Wir sind in der Lage, Eure Bewegungen mitzuverfolgen und Euch zu helfen, wo Ihr auch immer hingeht.«

»Ich fühle mich bereits ein gutes Stück sicherer«, brummte Frost. »Haltet die Kanonen schußbereit, Creutz. Ganz egal, was auch geschieht – dieses Schiff darf unter gar keinen Umständen entkommen. Ihr werdet eine Flucht mit allen Euch zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern. Ist das klar?«

»Kapitän?« fragte Creutz unsicher.

»Tut, was der Investigator gesagt hat«, antwortete Schwejksam tonlos. »Sie ist die Expertin in dieser Angelegenheit.

Wenn es hart auf hart kommt, sind wir alle entbehrlich. Investigator Frost und ich wahrscheinlich sogar entbehrlicher als die anderen. Wir gehen jetzt rein. Laßt uns alle dicht beisammen bleiben, Leute. Was auch immer wir im Innern dieses Schiffes finden, laßt Euch nicht ablenken. Ich brauche Informationen und keine toten Helden. Investigator, wenn Ihr bitte vorausgehen würdet, dann kann die Schau beginnen.«

»Selbstverständlich, Kapitän.«

Frost trat über den Rand des Einschußkanals und sank langsam in das tiefe Loch hinab, das die Unerschrocken in den Rumpf des fremden Schiffes gebrannt hatte. Kurze Stöße aus den Antriebseinheiten ihres Anzugs steuerten Frosts Fall.

Schwejksam folgte ihr, und nach ihm die Marineinfanteristen, einer nach dem anderen, in einer langen Reihe gemächlich sinkender Gestalten. Die Schulterscheinwerfer ihrer Anzüge trieben die Dunkelheit zurück, doch es gab nicht viel zu sehen. Die Innenseite des Kraters bestand aus den gleichen dicken weißen Strängen, dicht an dicht und ineinander verdreht. Der kontrollierte Sturz schien eine Ewigkeit zu dauern, aber schließlich kam der Grund des Loches in Sicht. Frost kam als erste auf, kämpfte für den Bruchteil einer Sekunde um ihr Gleichgewicht und blickte sich rasch um, die eingebauten Waffen schußbereit.

Einen Augenblick später gesellte sich Schwejksam zu ihr. Die massiven Stränge unter seinen Füßen gaben keine Spur nach.

Sie wölbten sich ringsum empor wie Wellen in einem gefrorenen Meer. Die Marineinfanteristen sanken ringsum zu Boden wie große silberne Schneeflocken, die aus der Finsternis ins Licht schwebten. Die Soldaten landeten mit spielerischer Leichtigkeit und bildeten sofort einen Verteidigungsring um Schwejksam und Investigator Frost, die inzwischen nachdenklich den Boden untersucht hatte.

»Interessant«, erklärte sie schließlich. »Wir haben dieses Schiff mit allem beschossen, was wir haben. Als seine Schilde zusammenbrachen, bekam die Hülle – oder was auch immer das hier für ein Zeug ist – die volle Wirkung der Disruptorkanonen aus allerkürzester Distanz ab. Massiver Stahl wäre geschmolzen und zerlaufen wie Butter in der Sonne, wenn er nicht augenblicklich verdampft wäre. Aber ich finde keinerlei Spuren von Hitzeeinwirkung oder Beschädigungen überhaupt.«

»Selbstregenerierend?« fragte Schwejksam. Frost zuckte die Schultern.

»Vielleicht. Wenn, dann ist es viel weiter entwickelt als alles, was wir haben. Und warum haben sie dann nur die Wände repariert? Warum haben sie nicht gleich das Loch versiegelt?«

»Weil sie wußten, daß wir kommen würden. Weil sie kontrollieren wollten, wo wir auf dem Schiff landen«, erwiderte Schwejksam. »Das Wort Falle kommt mir unwillkürlich in den Sinn. Vorschläge?«

»Wir sprengen uns einen Weg frei«, antwortete Frost. »Ich habe genug Granaten mitgenommen, um einen Weg durch einen kleinen Mond zu sprengen. Wenn wir erst drinnen sind, können wir immer noch sehen, ob jemand kommt und sich wegen des Lärms beschwert.«

»Wenn Ihr anfangen wollt, mit Granaten um Euch zu werfen, nehme ich meine Männer und verschwinde von hier«, sagte Schwejksam entschlossen. »Ich habe noch nie einen Investigator gesehen, der das Konzept der Subtilität verstand, wenn es um Sprengstoffe ging.«

Plötzlich unterbrach er sich und musterte mißtrauisch die Wand. Zwei der dicken Stränge bogen sich langsam auseinander und gaben den Blick auf einen engen Tunnel frei, der tiefer in das Schiff hineinführte. Frost steckte vorsichtig den Kopf durch die Öffnung. Ihre Anzugscheinwerfer leuchteten den Gang aus, soweit es ging. Er schien vollkommen leer zu sein.

Schwejksam versuchte es mit seinen Sensoren, aber sie fingen keinerlei Signal auf. Soweit es die Sensoren betraf, existierte der Tunnel überhaupt nicht.

»Schwejksam an Unerschrocken, bitte melden. Könnt Ihr ein Signal empfangen?«

»Wir sind auf die Komm-Signale Eurer Anzüge aufgeschaltet, Kapitän«, murmelte Creutz’ Stimme in sein Ohr. »Wir sehen alles, was Ihr seht. Doch unsere Fernsensoren empfangen ebenfalls nichts. Wir haben bisher keinerlei Lebenszeichen entdecken können. Der Raumhafen von Golgatha hat sich in der Zwischenzeit gemeldet; sie sind noch immer viel zuviel mit sich selbst beschäftigt, um uns Unterstützung zu gewähren. Die gute Nachricht ist, das die sechs neuen Sternenkreuzer, die das Hadenmann-Schiff verfolgten, anscheinend den Kontakt mit ihm verloren haben. Sie befinden sich auf dem Rückweg und sollten in weniger als einer Stunde wieder hier sein.«

»Nun, das ist wenigstens etwas, würde ich sagen.« Schwejksam wandte sich an Frost. »Eure Entscheidung, Investigator.

Gehen wir hinein oder nicht?«

»In eine mögliche Falle, die vielleicht voller mordlustiger Fremdwesen steckt? Selbstverständlich gehen wir hinein, Kapitän. Wir gewinnen nichts, wenn wir nur hier herumstehen.«

»Ich habe gewußt, daß Ihr das sagen würdet. Also schön, Ihr geht voraus. Die Infanteristen bleiben dicht hinter uns. Haltet Euch bereit, auf alles zu feuern, was sich bewegt, Leute, aber seid vorsichtig. Es besteht noch immer die Möglichkeit, daß wir das vermißte Personal der Gehenna-Basis irgendwo hier drin finden. Ich würde die Leute gerne lebend nach Hause bringen, wenn das überhaupt möglich ist. Geht voraus, Investigator.«

Frost trat vorsichtig in den Tunnel und tastete sich Schritt für Schritt voran. Schwejksam und die Marineinfanteristen folgten ihr. Die Stränge, aus denen die Wände des Tunnels geformt waren, wirkten glatter, feiner und dünner als die im Krater, doch auch sie gaben keinen Millimeter nach. Dünne blaue Fäden zogen sich durch das strahlende Weiß wie Adern.

Schwejksam zoomte die Wand heran. Die Stränge pulsierten kaum wahrnehmbar, aber regelmäßig. Schwejksam schaltete die Vergrößerung wieder auf normal zurück und berührte einen Strang mit den Sensoren in seinen stählernen Handschuhen. Sie entdeckten keinerlei Wärme, aber eine gewisse Feuchtigkeit.

Die Wände des Tunnels waren bauchig wie die Decke oder der Boden, als würden Schwejksam und seine Leute durch die Eingeweide eines seltsamen Riesenwesens marschieren. Vielleicht kam das der Wahrheit sogar ziemlich nah. Schwejksam warf einen Blick über die Schulter nach hinten, um zu sehen, wie sich die Soldaten hielten, und bemerkte, daß der Gang sich hinter dem letzten seiner Leute wieder geschlossen hatte. Die Stränge hatten sich dicht und undurchdringlich aneinander geschmiegt. Schwejksam benachrichtigte die anderen. Sie wirbelten herum, um sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. Frost stand im Begriff, nach hinten zu gehen und die Stränge mit ihrem Disruptor zu bearbeiten, doch Schwejksam gebot ihr Einhalt.

»Wir wollen zuerst dem Tunnel folgen und sehen, wohin er führt. Wir können später immer noch zurückkehren und uns einen Weg nach draußen freischießen. Unerschrocken, habt Ihr mitverfolgt, was hier geschehen ist?«

In seinen Ohren herrschte nichts als Stille.

»Hallo, Unerschrocken? Könnt Ihr mich empfangen?«

Schwejksam lauschte angestrengt, aber außer seinem eigenen rauhen Atem war nichts zu hören. »Investigator, versucht Ihr sie zu erreichen.«

Frost rief nach der Unerschrocken, dann die Soldaten – doch ohne Erfolg. Frost fluchte leise vor sich hin, bevor sie sich an Schwejksam wandte. »Der Fehler liegt nicht bei den Anzügen.

Die Diagnoseprogramme zeigen keine Fehlerfunktion an. Irgend etwas blockiert das Signal. Wir sind auf uns allein gestellt, Kapitän.«

»Das wäre nicht das erste Mal, Investigator. Macht weiter.

Ich denke nicht, daß uns die Eigentümer dieses Schiffes hergeführt haben, damit wir hier stehenbleiben. Ich denke… sie erwarten uns.«

Frost schniefte verächtlich und übernahm erneut die Führung.

Während der Landungstrupp tiefer in das fremde Schiff eindrang, öffneten sich die Stränge vor den Menschen und erweiterten den Tunnel. Hinter ihnen schlossen sie sich wieder und versperrten den Rückweg, so daß Schwejksam und seine Leute sich innerhalb einer wandernden Tasche durch das Schiff bewegten.

Die Dicke der Stränge variierte jetzt noch stärker, doch es gab auch noch andere Veränderungen. Die leichenblassen Stränge waren wirr und ohne jeden erkennbaren Sinn oder Zweck ineinander verschlungen. Einige von ihnen waren kaum dicker als ein kleiner Finger. Auch der Boden bildete keine Ausnahme. Mehr als je zuvor überkam Schwejksam das Gefühl, über ein Spinnennetz zu laufen, das rhythmische Signale über seinen derzeitigen Aufenthaltsort und seine Marschrichtung an die unsichtbare Besatzung des Schiffes weiterleitete.

Mit jedem Schritt wurde es schwieriger, die Stiefel vom Boden zu heben, und bald bewegten die Soldaten sich nur noch durch die schiere Kraft der Servomotoren ihrer Anzüge weiter. Seltsame Lichter pulsierten in den Tunnelwänden, kamen und gingen in so rascher Folge, daß es unmöglich war, ihre Farbe zu bestimmen. Doch noch immer gab es nirgendwo ein Anzeichen von Apparaten oder anderen Dingen, die künstlich geschaffen worden waren, geschweige denn einen Hinweis auf die Besatzung des fremden Schiffs.

Plötzlich verengte sich der Tunnel zu einem schmalen Durchlaß, und die Männer mußten auf Händen und Knien einer hinter dem anderen weiterkriechen. Als sie auf der anderen Seite wieder aufrecht stehen konnten, befanden sie sich in einer gewaltigen, eiförmigen Kammer mit sanft schimmernden Wänden und hoher Decke. Dunkle Umrisse und eigenartige, sorgfältig geformte Dinge knospten aus Boden und Decke. Ihr Sinn blieb schleierhaft. Frost bellte eine Warnung, die Knospen auf keinen Fall zu berühren, was Schwejksam vollkommen überflüssig fand. Er hätte diese… Dinger nicht für alles Geld der Welt freiwillig berührt. Aus unerfindlichen Gründen gaukelte sein Bewußtsein Schwejksam immer wieder Bilder von sich selbst vor, wie er hilflos in einer der dunklen Knospen gefangen war, während langsam aggressive Verdauungssäfte in die große Kammer strömten. Er schwitzte in seinem Hartanzug, nicht zum ersten Mal und trotz der kühlen Luft, die darin zirkulierte.

Sorgfältig darauf achtend, nichts zu berühren, stapften die Menschen langsam durch die weite Kammer und verließen sie schließlich auf der gegenüberliegenden Seite durch einen weiteren beengten Gang. Dahinter setzte sich der Tunnel fort, öffnete sich vor und schloß sich hinter dem Landungstrupp, und sie kamen durch weitere Kammern voller seltsamer Knospen, deren Funktion sich dem menschlichen Verstand nicht erschloß. Schließlich landeten sie in einer kleinen Kammer, wo sie herausfanden, was mit der vermißten Besatzung von Gehenna-Basis geschehen war.

Die Kammer maß hundert Meter im Durchmesser. Die Wände waren von pockennarbigen Vertiefungen durchzogen. Eine dünne Schicht von Nebel waberte über dem Boden und schlug sich feucht auf den Anzügen nieder. Ein grelles, blauweißes Licht, das von überall und nirgends zu stammen schien, tauchte die Kammer in einen unbarmherzigen Schein. Lange, flache Gestelle aus unbekanntem Metall standen wirr verteilt herum, die kaum über den Nebel ragten, und auf diesen Gestellen, festgehalten von einer unsichtbaren Kraft, lagen die Überreste der menschlichen Besatzung von Gehenna. Einige waren nur noch einzelne Körperteile; Gliedmaßen, Organe, Gesichter. Ein Dutzend vollständiger Körper war auf das gründlichste vivisektiert worden, und aus dem Anblick der wenigen noch vorhandenen Schädel und dem Ausdruck auf den Gesichtern schloß Schwejksam, daß die Männer und Frauen noch gelebt hatten und bei vollem Bewußtsein gewesen waren, als die Vivisektion begann. An jedem anderen Ort wäre dem Kapitän der Unerschrocken sicherlich schlecht geworden, trotz all seiner Erfahrung; aber hier, an Bord des Schiffes der Fremden, hielt ihn eine besinnungslose Wut gepackt, und er war außerstande, darüber hinaus noch etwas anderes zu empfinden.

»Dafür werden sie alle sterben«, erklärte Frost mit eiskalter, beherrschter Stimme. »Jedes lebende Wesen an Bord dieses Schiffes wird mit seinem Blut dafür bezahlen.«

Die Marineinfanteristen blickten sich unbehaglich um und hielten die Waffen schußbereit. Kein Ziel war zu sehen.

Schwejksam wußte, wie sie sich fühlten, denn er konnte seine eigene Wut nur mühsam kontrollieren. »Ihr werdet die Fremden erst töten, wenn unsere Spezialisten jeden einzelnen Tropfen an Informationen aus ihnen herausgequetscht haben, Investigator. Und bis dahin will ich lebendige Gefangene, keine Leichen. Vergeßt Eure Befehle nicht, Männer. Nur unbedingt notwendige Gewalt, nicht mehr – es sei denn zur Selbstverteidigung. Benutzt Euer Urteilsvermögen, aber vergeßt nicht, daß Ihr später vielleicht dafür geradestehen müßt. Die Zeit der Rache wird kommen, doch im Augenblick benötigen wir die Informationen. Durchaus möglich, daß wir uns in Zukunft mit weiteren Schiffen dieser Art konfrontiert sehen.«

»Hört auf, mir Vorträge zu halten«, sagte Frost. »Ich kenne meine Pflichten.«

»Tut mir leid, Investigator. Ich habe für das Log gesprochen.

Hier können wir jedenfalls nichts mehr tun. Markiert die Position der Kammer in der automatischen Karte Eures Anzugs, dann gehen wir weiter. Wir werden später jemanden herschicken, um die Leichen zu bergen. Zuerst müssen wir die Brücke oder Zentrale oder was auch immer finden. Ich will, daß dieses Schiff tot und hilflos im All treibt, bevor es Reparaturen ausführen kann. Außerdem will ich einen genaueren Blick auf die Besatzung werfen, und ich bin von Minute zu Minute mehr davon überzeugt, daß das nur in der Zentrale geht. Die Fremden würden nicht wagen, ihre Zentrale zu räumen.«

Schwejksam übernahm die Führung. Er durchquerte die Kammer und vermied dabei sorgfältig, noch einen weiteren Blick auf die Gestelle mit den ausgeweideten, blutbesudelten Leichen zu werfen. So konnte er seine Wut leichter im Zaum halten. Eine Ewigkeit schienen zu vergehen, bevor er endlich die gegenüberliegende Wand und die Öffnung darin erreicht hatte, doch als er ankam, fiel ein Vorhang von massiven, dicht gepackten bleichen Strängen darüber. Der Kapitän der Unerschrocken bemühte sich mit Hilfe der Servomotoren, die Stränge auseinanderzuziehen. Sie gaben keinen Millimeter nach. Was Schwejksam im Grunde genommen auch nicht erwartet hatte. Er hämmerte wütend mit der Faust gegen den Vorhang, dann wandte er sich zu den anderen um. Seine Leute standen abwartend da, die Gesichter hinter glatten, stählernen Helmen verborgen. Langsam wurde es dunkler, und die Gestelle mit ihrer grausigen Last verschwanden allmählich im dichter werdenden, aufsteigenden Nebel. Schwejksam mußte seine Phantasie nicht sonderlich anstrengen, um sich auszumalen, wie sich die Besatzung des fremden Schiffs auf der anderen Seite des versperrten Ausgangs formierte.

»Soldaten, ich schätze, wir befinden uns nun in einer definitiv lebensbedrohlichen Situation. Schießt also auf alles, was sich bewegt und nicht zu uns gehört. Ich hätte allerdings immer noch gerne ein paar Gefangene, also laßt ein paar am Leben, wenn es sich einrichten läßt. Investigator, schafft uns einen Durchgang.«

Frost hob ihre gepanzerte Rechte und zielte auf den versperrten Durchgang. Der in den Arm eingebaute Disruptor brannte ein Loch mitten durch das dicht gepackte Gewebe. Fahles, grünes Licht ergoß sich aus dem zehn Meter weiten Loch in die Kammer. Alle wappneten sich gegen einen Angriff, der niemals kam. Schwejksam und Frost beugten sich vor und spähten durch die neu entstandene Öffnung. Auf allen Seiten und von der Decke herab baumelten lose Enden von Strängen, aber sie machten keinerlei Anstalten, sich wieder zusammenzufügen.

Die Stränge schleiften kraftlos über die Hartanzüge, ohne Schaden anzurichten, als die Menschen durch das Loch schritten. Hinter der Öffnung lag ein milchig weißer Tunnel mit glatten, schwach glühenden Wänden. Er maß kaum drei Meter im Durchmesser, gerade weit genug, um Schwejksam und seine Leute in den schwer gepanzerten Hartanzügen passieren zu lassen. Schwejksam fragte sich unwillkürlich, ob Absicht dahintersteckte. Noch immer war kein Zeichen vom Feind zu sehen.

»Ich gehe wieder voran«, sagte Frost. »Das hier ist eine Angelegenheit für einen Investigator.«

»Ganz Eurer Meinung«, erwiderte Schwejksam. »Nach Euch, Investigator.«

Frost betrat den engen Tunnel, die Handschuhe mit den eingebauten Waffen gerade nach vorn gestreckt. Schwejksam folgte ihr, und die Marineinfanteristen bildeten den Schluß. Der Boden wankte besorgniserregend unter ihrem Gewicht, als könnte er jeden Augenblick einbrechen und die gesamte Truppe in das stürzen, was auch immer darunter lauern mochte.

Schwejksam drängte voran und bemühte sich, eine solche Vorstellung aus seinen Gedanken zu verdrängen. Er hatte längst jede Orientierung verloren, ohne sich wirklich zu verlaufen – natürlich nicht. Sein Anzug protokollierte automatisch den gesamten Weg und würde ihn mit Leichtigkeit zum Ausgangspunkt zurückführen. Trotzdem wußte Schwejksam nicht, wo im Innern des Schiffes er sich befand oder wie weit er sich vom Eingang entfernt hatte. Es blieb nur das unheimliche Gefühl, tiefer und tiefer ins Innere, in Richtung des dunklen Herzens des fremden Schiffs geführt zu werden. Schwejksam überprüfte seinen Luftvorrat, doch bisher hatte er ihn kaum angetastet.

Theoretisch reichte sein Sauerstoffvorrat locker für eine Woche. Unter normalen Umständen jedenfalls.

Der Kapitän betrachtete die Tunnel wände rechts und links.

Sie bestanden nicht mehr aus Strängen, sondern waren flach und glatt, eher wie Membranen. Sie pulsierten und schwankten aus keinem erkennbaren Grund. Wellen blasser Farben bewegten sich über das milchige Weiß der Oberfläche wie flüchtige Gedanken oder Träume. Der Durchgang verengte sich immer mehr, je weiter die Menschen vordrangen. Schwejksam benutzte die Anzugsensoren, um die Weite des Tunnels zu messen. Er runzelte die Stirn, als er das Ergebnis mit den Werten vom Eingang dieses Bereichs verglich. Der Kapitän überschlug, wie lange es noch dauern würde, bis der Tunnel zu eng werden würde, um weiter vorzudringen, und dieses Ergebnis gefiel ihm noch weniger. Vier Minuten und siebenunddreißig Sekunden.

Höchstens.

»Alles stehenbleiben!«

Die Gruppe gehorchte. Frost drehte sich nicht um, doch er wußte, daß sie ihn unter ihrem glatten Metallhelm beobachtete.

Schwejksam überprüfte den Tunneldurchmesser hinter sich und war nicht überrascht festzustellen, daß er bereits zu eng geworden war, um auf dem gleichen Weg zurückzukehren.

»Ich frage mich bereits seit einiger Zeit, wann es Euch endlich auffällt«, sagte Frost. »Sieht ganz danach aus, als hätten die Fremden uns dort, wo sie uns haben wollen. Soll ich den Durchgang sprengen?«

»Zur Hölle, ja«, erwiderte Schwejksam. »Im Zweifel soll man Krach schlagen. Gebt Bescheid, daß wir hier sind… und nicht im geringsten darüber glücklich.«

Frost richtete ihre eingebauten Disruptoren auf den enger werdenden Tunnel vor sich… …und die milchig weißen Wände teilten sich an Hunderten Stellen zugleich, als zahllose Insektenwesen aus ihren Verstecken hervorbrachen und den Landungstrupp angriffen. Die Angreifer variierten in der Größe von faustgroßen vielbeinigen Käfern, die über die gepanzerten Anzüge Schwejksams und seiner Leute auf der Suche nach Schwachstellen ausschwärmten, durch die sie eindringen und die Träger angreifen konnten, bis hin zu riesigen, bösartigen Kreaturen, die ihren eigenen Panzer trugen und mit häßlichen Kneifzangen ausgestattet waren. Einige Augenblicke beherrschte das Blitzen der Disruptoren die Szene, doch als die Waffen verstummten, verschwanden die Soldaten unter einer wogenden Masse von Insektenleibern. Winzige Kreaturen blockierten die Sensoren. Schwejksam war mit einem Schlag taub und blind. Er versuchte, die Insekten mit Hilfe der bärenstarken Servos in den stählernen Händen wegzuwischen, doch es waren einfach zu viele. Warnleuchten blinkten vor seinen Augen auf, als ätzende Säuren sich einen Weg in die gepanzerten Gelenke fraßen und die Dichtigkeit des Anzugs bedrohten. Schreie erklangen in Schwejksams Ohren, als Insekten in den Hartanzug eines der Marineinfanteristen eindrangen und den Mann bei lebendigem Leib zu fressen begannen. Andere Soldaten fielen in das Schreien ein.

»Frost!« rief Schwejksam. »Habt Ihr Eure Granaten noch?«

»Genug, um uns alle zur Hölle zu schicken, wenn Ihr das meint.«

»Ich dachte mehr daran, lediglich die Insekten zu töten, ohne unsere Anzüge zu beschädigen.«

»Kein Problem, Kapitän. Aufgepaßt!«

Die Explosion war so heftig, daß auf Schwejksams Kontrollanzeigen für kurze Zeit ein Dutzend Warnlichter aufflackerte.

Doch der Anzug blieb unbeschädigt, und die roten Lichter verloschen eins nach dem anderen wieder. Schwejksam klopfte sich unsicher ab. Sicht und Gehör kehrten zurück, als tote Insekten von ihm abfielen und die Sensoren wieder frei waren.

Der Tunnel ringsum hing in Fetzen, und dahinter lag das Geheimnis des fremden Schiffes offen vor Schwejksam und seinen Leuten: der schwere, gewaltige Leib der Königin des fremden Insektenvolks.

Sie füllte den gesamten Raum hinter dem Tunnel aus, ein riesiger, aufgeblähter Sack lebenden Gewebes, Dutzende von Metern lang, lebendige Mauern aus blassem, pulsierendem Fleisch, aus dem hier und dort schwarze, lidlose Facettenaugen blickten. Unglaublich kleine, verkümmerte Gliedmaßen ragten an verschiedenen Stellen aus dem deformierten Körper, Überbleibsel eines lang vergessenen früheren Lebens. Metallene Instrumente und glänzende Kabel drangen überall in den mächtigen Körper ein, als wäre die Königin in das Schiff eingebaut worden oder als wäre das Schiff um sie herum gewachsen.

Schwejksam mußte sich zwingen, den Blick von der fremden Königin abzuwenden. Er sah sich um. Die schwärmenden Insektenmassen waren vom Druck der Explosion zerfetzt worden. Überall lagen tote und verletzte Fremdwesen; einige zuckten noch wie rasend. Schwejksam zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß weitere Angreifer unterwegs waren. Acht seiner Soldaten standen noch und warteten benommen auf weitere Befehle. Frost hatte nur Augen für die Königin. Schwejksam untersuchte die vier gefallenen Marineinfanteristen, obwohl er bereits vorher wußte, was er finden würde. Ihre Anzüge waren durch den Säureangriff der Insekten schon so weit beschädigt gewesen, daß sie dem Druck der Explosion nicht mehr standgehalten hatten. Vier weitere gute Männer, die auf das Konto der Fremden gingen. Schwejksams Kopf ruckte hoch, als die Sensoren kriechende und krabbelnde Geräusche auffingen, die sich näherten.

»Investigator, weitere Angreifer sind unterwegs. Irgendwelche Empfehlungen?«

»Erledigt die Königin. Sie ist Herz und Verstand der Fremden.«

»Ihr habt Investigator Frost gehört, Männer. Greift die Königin mit allem an, was Ihr habt.«

Strahlendes Licht schoß aus den Disruptoren und sengte große Mengen Gewebe aus dem Leib der Königin, doch er versiegelte sich augenblicklich wieder. Die fremde Königin war einfach zu groß, um mit den Energiewaffen ernsthaft verletzt zu werden. Sie ragte über den Männern auf wie ein gewaltiger monolithischer Block, und mit einemmal drangen von allen Seiten weitere Angreifer in das vor, was von dem Tunnel übriggeblieben war. Die lebendige Wand schien kein Ende nehmen zu wollen. Schwejksam erkannte, daß dieses Mal keine Waffe ausreichen würde, um sie aufzuhalten. Die Insekten würden immer weiter anstürmen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, bis ihre schiere Zahl auch den letzten seiner Männer überwältigt hätte. Wenn er Glück hatte, würde er bei dem Angriff sterben.

Verdammt. Noch mehr gute Männer. Frost. Ich wünschte…

Und dann änderte sich schlagartig alles. Das rätselhafte Geschenk, das das Labyrinth des Wahnsinns ihm mitgegeben hatte, leuchtete hell in Schwejksams Verstand, und einmal mehr vereinte sich sein Bewußtsein mit dem Frosts. Ein Verstand, eine Seele. Ein lautes, unverständliches Brüllen erfüllte ihre Köpfe – die fremdartigen Gedanken von Millionen Insekten.

Und durch das Brüllen hindurch, wie donnernder Herzschlag, die Kommandos der fremden Königin. Es dauerte nur einen Augenblick, bis Frost und Schwejksam sich in das Tosen des Massenbewußtseins eingeklinkt, die Kontrolle übernommen und ihre eigenen Befehle übermittelt hatten. Die Insektenwelle wandte sich von ihrer menschlichen Beute ab und fiel die eigene Königin an. Die lebende Mauer schwärmte auf dem gewaltigen Leib der Königin aus und begann, sie bei lebendigem Leib zu fressen. Das letzte, was Schwejksam und Frost hörten, bevor ihre Verbindung wieder abbrach und jeder sich allein in seinem eigenen Kopf wiederfand, war das verzweifelte Kreischen der Königin. Beide grinsten wild.

Schwejksam und Frost blickten sich an, einmal mehr nur Mensch. Keiner konnte das Gesicht des anderen sehen, aber das war auch nicht notwendig. Schwejksam sah zu den wie betäubt dastehenden, das Schauspiel verfolgenden Marineinfanteristen und beschloß, daß Erklärungen warten konnten. Er aktivierte das Komm-Implantat und stellte auf dem Kommandokanal eine Verbindung zu Frost her.

»Das ist nicht die gleiche Kreatur wie die, die wir auf Unseeli fanden«, sagte Frost gelassen. »Und sie besitzt auch keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was die armen Schweine auf Wolf IV vorfanden. Was sind das für Wesen? Die Schöpfer der Kreaturen in den Gewölben der Schläfer? Oder ist das der uralte Feind, zu dessen Bekämpfung die Schläfer von Grendel erschaffen wurden? Oder vielleicht eine vollkommen andere Rasse?«

»Wenn ich nur die geringste Ahnung hätte, Investigator. Sollen die Spezialisten sich deswegen den Kopf zerbrechen. Wir müssen reden, Frost. Diese… diese Verbindung zwischen uns.

Sie wird stärker. Ich weiß nicht, wie lange wir sie noch geheimhalten können.«

»Wir müssen sie geheimhalten«, erwiderte Frost. »Niemand darf erfahren, was hier wirklich geschehen ist. Man würde uns als Esper einstufen und uns degradieren. Wir würden als Versuchskaninchen in den Labors landen. Ich würde lieber auf der Stelle sterben als das.«

»Wir könnten in den Untergrund gehen.«

»Nicht wir.«

»Nein«, seufzte Schwejksam. »Ihr habt recht. Fremde wie diese könnten jederzeit wieder über das Imperium herfallen, und nur stark und vereint besitzen wir eine Chance, ihrem Ansturm zu widerstehen. Also werden wir darüber schweigen, was hier geschehen ist. Wir tun einfach, als würden wir es selbst nicht verstehen. Löwenstein darf die Wahrheit auf keinen Fall erfahren.«

»Andererseits«, entgegnete Frost nachdenklich, »andererseits hat Löwenstein heute ziemliches Glück gehabt. Die Flotte war nicht da, die planetare Verteidigung in vollkommener Auflösung, und Golgatha war praktisch schutzlos. Wenn wir nicht zur rechten Zeit aufgetaucht wären, hätten die verdammten Fremden den gesamten Planeten in Schutt und Asche gelegt.

Wir haben Löwenstein ihren verdammten Imperialen Arsch gerettet. Vielleicht zeigt sie sich dankbar? Dankbar genug, um unsere Fehlschläge zu übersehen. Was meint Ihr?«

»Nie im Leben«, erwiderte Schwejksam.

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