Alrik war hellwach.. Warum mußte ihm das passieren? Andra lag neben ihm. Verschlafen öffnete sie die Augen und blinzelte ihn an. Was für eine Frau, dachte der Ritter und liebkoste sie sanft. Wenn sie nur nicht so ...
Andra sprang von ihrem gemeinsamen Lager auf. Was für ein Körper! Im flackernd gelben Licht der Öllampe, die die Höhle beleuchtete, erschien ihr Körper wie aus rotem Gold modelliert.
Wäre sie nur nicht so kühl. Und jetzt ... Ohne ein Wort war sie aus dem ›Bett‹ gesprungen und kleidete sich an. Wo waren ihr Feuer und ihre Leidenschaft? Stahl konnte nicht kälter sein als sie.
Erst als Andra sich vollständig angekleidet hatte, wandte sie sich um, und ihre ersten Worte waren so nüchtern und emotionslos, als habe die letzte Nacht gar nicht stattgefunden. »Nun, Alrik, ich glaube, du brauchst eine Rüstung, in der man gut laufen kann. — Das hier ist mir schon gestern abend ins Auge gestochen.«
Mit Schwung warf sie ihm ein feinmaschiges Kettenhemd herüber. »Vielleicht solltest du dir dazu noch ein paar Armoder Beinschienen suchen. Das müßte reichen. Frag doch Linosch, ob er vielleicht noch ein paar alte Kleider von meinem Vater hat. Du solltest wirklich nicht mehr in diesem Fummel herumlaufen.«
Was für romantischer Unsinn die Minne doch war. Langsam setzte Alrik sich auf. Ein Ritter und ein schönes Mädchen in einer einsamen Höhle. Was hätte ein Bänkelsänger aus dieser Situation nicht alles machen können ... Und was geschah? Kein Wort der Liebe. Kein Kuß. Kein ...
»Träum nicht herum, Alrik! Wir sollten hier schnellstens verschwinden. Ich geh schon mal nach nebenan und frag Linosch, ob er uns noch was zu essen mitgeben kann.« Noch bevor er etwas erwidern konnte, war die Jägerin durch einen engen Durchschlupf in die Nachbarhöhle verschwunden.
Alrik wühlte in dem Fellhaufen herum, in dem sie übernachtet hatten. Dunkel erinnerte er sich dort am Vorabend einige Kleidungsstücke gesehen zu haben. Schließlich fand er einen braunen Waffenrock und eine lederne Hose. Beides war sehr eng. Was für ein Mann wohl Andras Vaters gewesen war? Jedenfalls konnte er nicht sehr muskulös gewesen sein, denn die Lederhose kniff erbärmlich.
Unter dem Kettenhemd behielt Alrik Leriellas Seidenhemd an. Der Ritter lächelte versonnen. Wenn die Jägerin wüßte, daß die Fee dieses Hemd einst getragen hatte. Schade, daß das schwere Kettenhemd es vermutlich schnell zerreißen würde.
Der Zwerg Linosch war ziemlich aufgeregt. Er wollte auf keinen Fall, daß die Fee sie bei ihm fand, und bemühte sich, sie so schnell wie möglich aus der Höhle zu komplimentieren.
»Nichts für ungut, Kinder, aber wer hier lebt, kann es sich nicht leisten, sich schlecht mit Leriella zu stellen ...«
Durch die Höhle hüpfte ein großer schwarzer Rabe und tat sich an den Resten des Frühstücks gütlich.
»Kroah wird euch begleiten und warnen, wenn die Fee und ihre Häscher euch zu nahe kommen. Sobald ihr den Berg verlaßt, wird er allerdings zu mir zurückkehren.«
Alrik wollte nach einigen Resten vom Frühstück greifen, doch Linosch packte ihn am Ärmel und zerrte ihn in die Eishöhle. Auf seinen Rücken geschnallt hatte der Zwerg einen großen, runenverzierten Rundschild dabei.
Draußen erwartete sie ein klarer Himmel. Ihr Atem bildete kleine Dampfwölkchen; es war schneidend kalt.
»Ihr müßt über die Eisbrücke kommen, bevor Leriellas Häscher sie erreichen. Von dort gibt es viele Abstiege in die Seitentäler. Am besten haltet ihr euch in nördlicher Richtung. Entschuldigt, wenn ich das Gastrecht so grob mißachte, aber ich weiß nur zu gut, was denjenigen erwartet, den der Zorn der Fee trifft.«
Linosch trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, während Andra schon den Braunen am Zügel gepackt hatte und das Schneefeld hinabstieg. »Warte noch einen Moment, Ritter.« Der Zwerg hatte Alrik am Arm gepackt.
»Paßt mir gut auf die Kleine auf, hörst du? Sie ist manchmal etwas übermütig und unbedacht. Seid vorsichtig, wenn ihr Leriellas Elfenfreunden begegnet. Sie sind zwar miserable Schwertkämpfer, aber dafür tödliche Bogenschützen. Kroah hat mir erzählt, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis die ersten das Schneefeld erreichen. Nimm diesen Schild mit, und reite du das Pferd.«
Linosch schnallte sich den großen Rundschild vom Rücken. »Er ist ein kostbares Erbstück aus der Zeit, als wir Zwerge noch mit dem Elfenvolk und deiner Welt im Krieg lagen. Seine magische Kraft ist fast erschöpft, aber für dieses eine Mal wird er hoffentlich noch nutzen. Wann immer Bogenschützen auf dich anlegen, hebe den Schild und rufe laut ›Schütze mich‹, dann wird er alle Pfeile abfangen, die auf dich, dein Reittier und jeden, der hinter dir im Sattel sitzt, abgeschossen werden ...«
»Kommst du endlich!« rief Andra, die mit dem Pferd am Zügel schon ein ganzes Stück ins Schneefeld abgestiegen war. »Oder hast du beschlossen, dort oben auf deine Fee zu warten?«
»Mach dich auf den Weg, Ritter, und viel Glück! Ihr werdet es brauchen.« Der Zwerg schneuzte sich. »Na los, steh hier nicht weiter rum, und glotz mich nicht an wie ein Kalb. Verdammt kalt hier draußen.«
»Vielen Dank!« Alrik hob den Schild, den er sich um den Arm geschnallt hatte zum Gruß und rannte dann hinter Andra den verschneiten Hang hinab.
Kroah war die Bergflanke hinabgeflogen, um Ausschau nach den Häschern der Fee zu halten. Jetzt zog er enge Kreise über ihren Köpfen.
Vor Alrik und Andra lag bläulich schimmernd die Eisbrücke.
»Es kommen mehr Krieger, als ich Krallen habe«, krächzte der Rabe vom Himmel.
»Und wie weit sind sie noch entfernt?« rief die Jägerin.
»Bis zum Eis, das den Himmel durchspannt, haben sie noch zwei Flügelschläge, und sie tragen Äste mit Federn bei sich ...«
»Sprich mit einem Vogel, und du erhältst immer eine klare Antwort«, lamentierte Alrik.
»Jedenfalls können sie nicht mehr weit fort sein.« Die Jägerin war aus dem Sattel gesprungen und musterte die andere Seite der Schlucht. Alles schien ruhig, doch konnten sich zwischen den Felsbrocken und mannshohen Schneeverwehungen auf der anderen Seite leicht ein paar Dutzend Krieger verborgen haben.
»Vielleicht solltest du mir einfach mal die Führung überlassen?« Alrik saß immer noch im Sattel und blickte zu Andra herab. »Schließlich bin ich ein Krieger, und wir sind jetzt in einer Lage, die einen Krieger erfordert. Vertrau mir, ich hole uns schon hier raus.« Der Ritter streckte die Hand nach ihr aus.
Andra blickte ihn zweifelnd an.
»Komm schon, uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Der Hengst begann unruhig zu tänzeln. Schließlich ergriff die Jägerin seine Hand und schwang sich hinter ihm in den Sattel.
»Vertrau mir«, rief Alrik noch einmal und gab dem Pferd die Sporen. Wie von Dämonen getrieben, preschte der Braune auf die Brücke, so daß das Eis bedenklich unter seinen Hufen knirschte.
»Bist du wahnsinnig?« kreischte Andra. »Laß mich sofort runter! Du bringst uns noch um.«
»Klammer dich an meine Hüfte, ich werde gleich beide Hände brauchen«, erwiderte der Ritter kühl. Dann zog er den Schild vom Rücken auf den Arm, nahm die Zügel zwischen die Zähne und zog mit der Rechten sein Schwert.
Als sie die Mitte der Brücke passiert hatten, begann der Braune auf dem Eis zu rutschen. Starke Windböen drohten ihn aus der Balance zu bringen, und der Hengst stieg wild wiehernd auf seine Hinterbeine. Alrik hörte, wie Andra hinter ihm angefangen hatte, leise zu den Göttern zu beten. Krampfhaft hielt sie sich mit beiden Armen an ihm fest.
Mit beruhigenden Worten und leichtem Schenkeldruck versuchte der Ritter das scheuende Pferd unter Kontrolle zu halten. Der Hengst hatte wieder Halt gefunden.
Unmittelbar vor ihnen lag die schmälste Stelle der Brücke. Dort war ein großes Stück aus dem Eisbogen herausgebrochen. Wenn sie das erst hinter sich hatten, dann wäre es geschafft, dachte Alrik. Dort war die Gefahr am größten, daß die Brücke brach.
»Komm, mein Brauner, bringen wir es hinter uns«, flüsterte er dem Pferd ins Ohr.
»Das kannst du dir sparen. Schau mal ans Ende der Brücke«, erklang Andras Stimme hinter ihm. »Dort marschieren die Krieger deiner Freundin auf.«
Alrik hob den Kopf. Eine Handvoll Elfen blockierte das vor ihnen liegende Ende der Brücke.
»Mach dir keine Sorgen, daß ist kein wirkliches Problem«, brüllte Alrik, um das Getöse des Windes zu übertönen.
»Wie kommt es nur, daß ich immer bei diesen Worten anfange, mir Sorgen zu machen?«
Statt einer Antwort gab der Ritter dem Pferd die Sporen. »Für den Prinzen!« schrie er aus vollem Halse, während der Hengst mit einem gewaltigen Satz über die Engstelle hinwegsetzte. Unter ihnen krachte und knirschte das Eis. Große Stücke brachen aus der Brücke und stürzten in den bodenlosen Abgrund. Ein Netzwerk feiner Risse durchzog das Eis. Alrik schloß die Augen und trieb das Pferd gnadenlos vorwärts.
Dann hatten sie es geschafft. Das gefährlichste Stück der Brücke lag hinter ihnen. Alrik öffnete die Augen und vermied es, in den Abgrund zu blicken. Bis zu den Kriegern am anderen Ende mochten es jetzt vielleicht noch zwanzig Schritt sein. Sie schienen damit zu rechnen, daß er sich ergeben würde. Dumm ...
»Attacke!« brüllte der junge Oberst aus vollem Halse und ließ sein Schwert über dem Kopf kreisen.
Die Elfenkrieger vor ihm rissen eilige Bögen von der Schulter und legten auf ihn an.
Für gut gezielte Schüsse würde ihnen keine Zeit mehr bleiben. »Schütze mich«, murmelte der Ritter und schob den Schild vor seine Brust.
Krachend schlugen zwei Pfeile in den Runenschild.
Dann hatten Alrik die Elfen erreicht. Den vordersten zerschmetterten die Hufe des gewaltigen Hengstes. Einen anderen traf Alrik mit dem Schwert. Doch statt in alle Richtungen davonzustieben, versuchten die Krieger ihn und Andra vom Pferd zu zerren.
»Folge der Felsspalte nach Westen«, schrie die Jägerin, während sie den Schwerthieb eines Elfen parierte.
Alrik ließ den Hengst steigen, so daß ihre Widersacher ängstlich vor den Hufen zurückwichen. Dann brach er durch die Linie der Feinde und galoppierte nach Norden.
Zischend flogen ihnen Pfeile um die Ohren. Doch schon nach wenigen Augenblicken hatte das kräftige Pferd sie aus der Reichweite der Bogenschützen getragen. Rund um sie spritzte der Schnee in weißen Fontänen auf, während sich der kräftige Hengst unermüdlich vorwärts arbeitete. Als keine Gefahr mehr bestand, noch von einem Pfeil getroffen zu werden, stieß Linoschs Rabe wieder zu ihnen. »Pferdemänner kommen. Mehr als gestern Wolken am Himmel waren. Sie sind schnell.«
»Zügel das Pferd«, rief Andra.
»Vergiß es«, schrie der Ritter. »Wir können uns nicht leisten, unseren Vorsprung aufzugeben.«
»Halt an, oder ich spring herunter.«
Widerwillig brachte Alrik den Braunen zum Stehen. »Was hast du vor? Wir haben jetzt wirklich keine Zeit für deine Spielchen.«
»Darum geht es, du Ignorant. Ich werde die Felsspalte hinabsteigen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis du aus dem Schnee heraus bist, und auf felsigen Grund werden uns die Elfenpferde einholen. Zu zweit sind wir zu schwer für meinen Braunen.«
»Du willst die vereisten Felsen herunterklettern? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Das ist mit Sicherheit nicht gefährlicher, als mit dir zu reiten. Und jetzt schau, daß du weiterkommst, sonst erwischen uns Leriellas Häscher noch beim Diskutieren.« Mit diesen Worten ging Andra auf die klaffende Schlucht zu und begann vorsichtig, den eisschimmernden Abhang hinabzuklettern. Ungläubig starrte Alrik ihn hinterher.
Kopfschüttelnd schwang sich der Ritter auf sein Pferd. Um keinen Preis der Welt würde er diese Bergwand herunterklettern, aber Andra wußte sicher, was sie tat.
Zu seiner Linken konnte er die ersten Reiter erkennen. Sie waren einige hundert Schritt entfernt und erreichten gerade die Schneegrenze. Alrik gab dem Braunen die Sporen.
Schon fast eine Stunde mußte vergangen sein, seit Andra ihn verlassen hatte. Der Ritter hatte die Schneegrenze schon lange hinter sich gelassen. Doch obwohl Andras Pferd mehr Kraft und Ausdauer bewies als jedes andere Pferd, das er jemals geritten war, gelang es seinen Verfolgern stetig aufzuholen.
Jetzt konnte er schon deutlich die Wappen der vorderen Feenritter erkennen. Ein roter Falke auf weißem Grund. Gierig hatte der Raubvogel die Fänge vorgestreckt, so als wolle er gleich im Sturzflug seine Beute schlagen. Alrik kannte das Wappen nur zu gut. Das waren die Leibwachen Leriellas.
Noch einmal blickte er über die Schulter. Wieder waren sie ein Stück näher gekommen. Jede Einzelheit war jetzt deutlich zu erkennen. Die Reiter trugen hohe federgeschmückte Helme und unter ihren weißen Waffenrökken Schuppenpanzer, die im Sonnenlicht silbrig schimmerten. Alle waren mit langen Reiterlanzen bewaffnet.
Alrik schwitzte. Er durfte sie nicht zu nahe herankommen lassen. Gegen die Lanzen konnte er nicht bestehen. Sie würden ihn vom Pferd gestochen haben, noch bevor er den ersten Schwerthieb landen könnte. Mit einem von ihnen mochte er vielleicht noch fertig werden, aber es waren mehr als zehn, die ihn jagten.
Der Hengst zeigte langsam die ersten Anzeichen von Erschöpfung. Immer häufiger stolperte er in dem unebenen Gelände, daß er anfangs mit beinahe übernatürlicher Sicherheit passiert hatte. Andras Brauner war wirklich etwas Besonderes. Doch auch über Feen- und Elfenpferde erzählte man sich die unglaublichsten Geschichten. Ängstlich blickte Alrik zurück. Seine Verfolger hatten schon wieder um mindestens eine Pferdelänge aufgeholt.
Das unebene Gelände war kein Vorteil gegen sie, soviel war sicher, und wenn kein Wunder geschah, dann würden sie ihn bald haben.
Vor sich konnte Alrik jetzt die Ruine eines alten Wachtturms erkennen. Dort mußte der Weg beginnen, von dem Andra erzählt hatte! Noch einmal gab er dem Hengst die Sporen. Blutiger Schaum tropfte dem erschöpften Tier von den Nüstern. Alrik fluchte.
Schließlich erreichten sie einen gewundenen Pfad, der von der Ruine in weiten Kehren den Berg hinabführte. Wenn er nicht bald den Wald erreichte und dort ein geeignetes Versteck fände, wäre es um ihn geschehen. Wieder blickte Alrik zurück.
Die Reiter schienen ein kleines Stück an Boden verloren zu haben. Oder wurden sie absichtlich langsamer? Ritt er in eine Falle?
Alrik bog erneut um eine Kehre des Hohlwegs, und dann wußte er, warum die anderen sich Zeit ließen. Keine zweihundert Schritt vor ihm wartete ein Feenritter mit eingelegter Lanze. Ihm auszuweichen war unmöglich. Links von ihm erhob sich eine steile Felswand bis in den Himmel, und rechts klaffte ein Abgrund.
Der Feenritter spornte sein Pferd. Kalt glitzernd brach sich das Sonnenlicht auf der Lanzenspitze des Reiters.
Alrik winkelte den Arm an, so daß der Schild seine Brust schützte. Mit rasender Geschwindigkeit verringerte sich der Abstand zwischen ihnen. Nun waren es vielleicht noch fünfzig Schritt ... noch dreißig ... Wenn ihn die Lanze mitten auf den Schild traf, würde er durch die Wucht des Aufpralls vom Pferd geschleudert. Womöglich stürzte er gar in den Abgrund!
Im letzten Augenblick preßte Alrik seinen Oberarm an den Brustkorb und gab dem Schild eine leichte Schräglage.
Dann traf ihn der Schlag. Eine Welle von Schmerz pulste durch seinen Arm. Die Lanzenspitze knirschte mit scharfem Kratzen über den Schild und glitt seitlich an ihm vorbei. Im Reflex schlug Alrik nach dem Ritter. Doch der Krieger fing den Schwerthieb geschickt mit seinem Schild ab. Dann hatten die beiden Reiter einander passiert.
Er würde Schwierigkeiten haben, auf dem engen Weg zu wenden, dachte Alrik. Beinahe wäre er selber über die Klippen gestürzt, als sie aneinander vorbeigeritten waren. Höchstens eine Handbreit hatte ihn noch vom Abgrund getrennt. Ein kleiner Stoß vom Pferd des Feenritters, und es wäre vorbei mit ihm gewesen.
Wieder bog Alrik um eine Wegkehre. Vor ihm lag nun eine kleine Brücke. Einige grob zusammengezimmerte Balken, darunter lauerte der Abgrund. Sein Brauner scheute. Er redete auf das Tier ein. Nur die paar Schritt noch! Auf der anderen Seite sprang Alrik aus dem Sattel. Zwei Holzstreben, die unter der Brücke schräg zur Felswand hin verliefen, stützten die Konstruktion auf dieser Seite ab. Der Oberst nahm ein Seil vom Sattel des Pferdes und schlang es um eine der Stützstreben. Dann befestigte er das andere Ende am Sattel.
»Komm Brauner, jetzt gilt es.« Er strich dem Pferd über den Hals. Langsam setzte sich der Hengst in Bewegung. Das Seil spannte sich; von der Brücke war ein Knirschen zu hören. Mit letzter Kraft stemmte sich der Braune ins Seil, doch immer noch hielt die Brücke stand. Auf der anderen Seite der Schlucht war das Donnern von Pferdehufen zu hören.
»Vorwärts, ich denke, du bist der Sohn eines Centauren. Zeig mir, was du kannst!« Auch Alrik zerrte nun an dem Seil, das bis zum Zerreißen gespannt war. Dann gab es einen trockenen Knall. Der Ritter stürzte nach vorne, während der Hengst den Weg hinabgaloppierte und mit dem Strebepfeiler hinter der nächsten Wegbiegung verschwand.
Ohne die Stütze hatte der Steig eine bedenkliche Schräglage bekommen. Alrik plagte sich auf, um den Schaden zu begutachten. Im selben Moment erschien auf der anderen Seite der Feenritter, mit dem er sich den Lanzengang geliefert hatte. Er zügelte sein Pferd und musterte die Brücke. Dann stieg er ab und setzte vorsichtig einen Fuß auf die Holzkonstruktion. Schon unter der leichten Belastung erzitterte der Steig. Alrik jubilierte. Damit wäre die Verfolgungsjagd erst einmal beendet.
Der Feenritter hatte sich inzwischen ein paar Schritt zurückgezogen. Er trug einen Topfhelm, von dem bunte Bänder herabhingen, einen weißen Waffenrock, unter dem ein silbrig poliertes Kettenhemd schimmerte, sowie einen weißen Schild mit einem roten, sich aufbäumenden Einhorn als Wappen. Trotz der schweren Rüstung wirkte der Ritter feingliedrig. Alrik stutzte. Wie konnte dieser Mann ihn beinahe im Lanzengang geschlagen haben? Noch immer schmerzte ihn der Schildarm, mit dem er den Lanzenstoß abgefangen hatte.
Jetzt nahm der Feenritter seinen Helm ab. Langes, blondes Haar fiel ihm in Locken über die Schultern. Sein Gesicht war feingeschnitten und blaß. »Nun, verlorener Gast, es scheint ganz so, als könnte ich Euch vorläufig nicht in die gastlichen Mauern des Schlosses meiner Herrin zurückbitten, doch seid gewiß, daß dies noch nicht das Ende unserer Bemühungen bedeutet. Wir alle waren überrascht, in welch unhöflicher Weise Ihr das Schloß verlassen habt.«
Während er sprach, war Leriellas Ritter wieder an den Abgrund herangekommen. Nur wenige Schritt trennten sie. Alrik grinste ihn erschöpft an: »Nun, wie es scheint, brauchtet Ihr nun wohl Flügel, um mich noch einmal der Gastfreundschaft Eurer Herrin zuzuführen.«
»Triumphiert nicht zu früh, Oberst. Glaubt mir, mir ständen noch ganz andere Mittel zur Verfügung, Euch zu bekämpfen, doch Ihr, Ritter Alrik, seid ein Mann des Schwertes, und deshalb werde ich Euch nur mit der blanken Waffe entgegentreten, so wie es der Ehrenkodex unter Rittern erfordert. Nun schaut, daß Ihr Euer Pferd wiederfindet und in Sicherheit kommt, denn hier seid Ihr nicht annähernd so sicher, wie Ihr glaubt.« Die Worte des Feenritters wurden durch lauter werdendes Hufgetrappel unterstrichen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Verfolgerschar die halb zerstörte Brücke erreichen würde. Alrik hob seine Hand zum Gruß. »Es war mir eine Ehre, mit Euch zu kämpfen, und ich wünschte, daß wir uns unter einem besseren Stern begegnet wären. Nennt mir Euren Namen, Ritter, damit ich weiß, mit wem ich eine Lanze breche, falls wir uns wirklich so schnell Wiedersehen, wie Ihr sagt.«
»Man nennt mich Mandavar vom Walde, Ritter Alrik, doch nun eilt Euch.« Ohne ein weiteres Wort drehte der Feenritter sich um und stieg in den Sattel.
Alrik begann zu laufen, um die nächste Kehre des Weges zu erreichen, bevor die anderen Verfolger eintrafen. Vielleicht führten einige von ihnen Bögen mit sich und hatten eine weniger strenge Auffassung von Ritterschaft.