6

»Laßt uns hier eine Rast einlegen«, schlug Caramon vor und steuerte auf ein baufälliges Gebäude zu, das sich wie ein schmollendes Tier im Wald versteckt hielt. »Vielleicht ist sie hier.«

»Das bezweifle ich wirklich«, sagte Tolpan, der unsicher das Schild beäugte, das an einer Kette über der Tür hing. »Der ›Gesprungene Krug‹ scheint wirklich nicht der Ort zu sein...«

»Unsinn«, knurrte Caramon, »sie muß essen. Selbst große, wichtige Kleriker müssen essen. Oder vielleicht hat jemand sie hier auf dem Pfad gesehen. Bisher hatten wir kein Glück.«

»Nein«, murmelte Tolpan leise, »aber wir könnten mehr Glück haben, wenn wir auf der Straße suchen und nicht in Wirtshäusern.«

Sie befanden sich nun seit drei Tagen auf der Reise, und Tolpans schlimmste Befürchtungen über dieses Abenteuer hatten sich als wahr erwiesen.

Normalerweise sind Kender begeisterte Reisevögel. Alle Kender sind von Wanderlust erfüllt, wenn sie ungefähr das zwanzigste Lebensjahr erreichen. In dieser Zeit schlagen sie fröhlich unbekannte Wege ein, ohne jegliche Absicht, außer Abenteuer und alle möglichen wunderschönen, entsetzlichen oder merkwürdigen Gegenstände zu finden.

Tolpan Barfuß, der auf die Dreißig zuging, war in vielerlei Hinsicht ein typischer Kender. Er war kreuz und quer durch den Kontinent Ansalon gereist, zuerst mit seinen Eltern, bevor sie sich in Kenderheim niedergelassen hatten. Als er alt genug war, hatte er sich allein auf die Wanderschaft begeben, bis er Flint Feuerschmied, den Zwergenschmied, und seinen Freund Tanis, den Halbelf, kennenlernte. Als Sturm Feuerklinge, Ritter von Solamnia, und die Zwillinge Caramon und Raistlin zu ihnen stießen, wurde Tolpan in das wunderschönste Abenteuer seines Lebens hineingezogen, den Krieg der Lanze.

Aber in gewisser Hinsicht war Tolpan kein typischer Kender. Der Verlust zweier Leute, die er sehr geliebt hatte – Sturm Feuerklinge und Flint —, hatte den Kender tief berührt. Er hatte das Gefühl der Angst kennengelernt, der Angst um jene, die ihm etwas bedeuteten. Seine Angst um Caramon war gerade jetzt groß.

Und sie wuchs täglich.

Anfangs war die Reise lustig gewesen. Nachdem Caramon seinen Schmollanfall wegen Tikas Hartherzigkeit und der Unfähigkeit der Welt, ihn zu verstehen, überwunden hatte, hatte er ein paar Schlucke aus seiner Flasche genommen und sich besser gefühlt. Nach einigen weiteren Schlucken begann er Geschichten zu erzählen über die Zeit, als er beim Aufspüren von Drakoniern mitgeholfen hatte. Tolpan fand das amüsant und unterhaltsam und genoß den Morgen, obgleich er ständig Bupu im Auge behalten mußte, damit sie nicht von einem Wagen überfahren wurde oder in ein Schlammloch geriet.

Am Nachmittag war die Flasche leer und Caramons Laune so gut, daß er bereitwillig einigen Geschichten Tolpans zuhörte, die der Kender immer wieder erzählte. Jedoch mitten im besten Teil der Geschichte, als er sich mit dem Pelzelefanten auf der Flucht befand und die Zauberer mit Blitzen auf ihn schossen, stieß Caramon unglücklicherweise auf eine Taverne.

»Ich will nur die Flasche nachfüllen«, murmelte er und ging hinein.

Tolpan wollte ihm folgen, sah jedoch auf Bupu, die erstaunt und mit offenem Mund auf die Schmiede eines Hufschmieds auf der anderen Straßenseite starrte. Da ihm klar war, daß sie entweder sich selbst oder die Stadt oder beides zusammen in Brand setzen würde, und da er auch wußte, daß er sie nicht mit in die Taverne nehmen konnte – die meisten Wirte verweigerten Gossenzwergen den Eintritt —, entschied Tolpan, draußen zu bleiben und ein Auge auf sie zu haben. Denn Caramon würde ja nur einige Minuten...

Zwei Stunden später taumelte der große Mann heraus.

»Wo in der Hölle bist du gewesen?« rief Tolpan.

»Hab’ nur... hab’ ein bißchen...«, Caramon schwankte unsicher, »einen für die... Straße.«

»Ich bin auf einer Suche!« schrie Tolpan aufgebracht. »Meine erste Suche, mir aufgetragen von einer wichtigen Person, die sich vielleicht in Gefahr befindet. Und ich hänge hier zwei Stunden mit einer Gossenzwergin herum!« Tolpan zeigte auf Bupu, die in einem Graben eingeschlafen war. »Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so gelangweilt, und du bist da drin und läßt dich mit Zwergenspiritus vollaufen!«

Caramon funkelte ihn an, seine Lippen spitzten sich zu einem Schmollmund. »Weißt du was«, murmelte der große Mann, während er zur Straße schwankte, »du fängst an wie Tika zu reden...«

Von da an ging es rapide bergab.

Am Abend erreichten sie eine Kreuzung.

»Laßt uns hier entlanggehen«, sagte Tolpan. »Crysania wird sicherlich wissen, daß Leute versuchen, sie aufzuhalten. Sie wird eine Straße nehmen, die nicht so stark bereist ist. Ich denke, wir sollten die gleiche Straße nehmen, die wir auch vor zwei Jahren genommen haben, als wir Solace verlassen hatten...«

»Unsinn!« schnaufte Caramon. »Sie ist eine Frau und eine Klerikerin zu Fuß. Sie wird die unbeschwerlichere Straße nehmen. Wir nehmen die Straße nach Haven.«

Tolpan war über diese Entscheidung sehr unschlüssig gewesen, und seine Zweifel hatten sich als begründet erwiesen. Sie hatten nur einige Meilen zurückgelegt, als sie auf eine weitere Taverne stießen.

Caramon ging hinein, um zu erfahren, ob jemand eine Person gesehen hatte, die Crysania glich, und ließ Tolpan mit Bupu zurück. Eine Stunde später tauchte der große Mann wieder auf, sein Gesicht war fröhlich.

»Nun, hat jemand sie gesehen?« fragte Tolpan gereizt.

»Wen gesehen? Nein...«

Und jetzt, zwei Tage später, hatten sie erst den halben Weg nach Haven zurückgelegt. Aber der Kender hätte ein Buch über alle Tavernen auf dem Weg schreiben können.

»In den alten Zeiten«, schäumte Tolpan vor Wut, »wären wir in dieser Zeit nach Tarsis und wieder zurück gelaufen!«

»Damals war ich jünger und unreif. Mein Körper ist jetzt gereift, und ich muß meine Stärke aufbauen«, erklärte Caramon hochmütig, »Schritt für Schritt.«

»Er baut etwas Schritt für Schritt auf«, sagte Tolpan grimmig zu sich, »aber Stärke ist es keineswegs!«

Caramon konnte meistens nicht mehr als eine Stunde laufen und war dann gezwungen, eine Pause einzulegen und sich hinzusetzen. Oft brach er völlig zusammen, stöhnte vor Schmerz auf, Schweiß strömte aus seinem Körper. Tolpan, Bupu und die Flasche Zwergenspiritus waren nötig, um ihn wieder auf die Beine zu bringen. Er beklagte sich bitter und unentwegt. Seine Rüstung scheuerte, er war hungrig, die Sonne brannte zu heiß, er hatte Durst. Am späten Abend bestand er darauf, in einem erbärmlichen Wirtshaus einzukehren. Hier hatte Tolpan das erregende Erlebnis zu beobachten, wie der große Mann sich besinnungslos betrank. Tolpan und der Wirt mußten ihn in sein Zimmer schleifen, in dem er bis spät in den anderen Morgen hinein schlief.

Nach dem dritten Tag und ihrer zwanzigsten Taverne und ohne eine Spur von Crysania begann Tolpan ernsthaft darüber nachzudenken, nach Kenderheim zurückzukehren, sich ein nettes, kleines Haus zu kaufen und sich vom Abenteuerleben zurückzuziehen.

Es war um Mittag, als sie den »Gesprungenen Krug« erreichten und Caramon unverzüglich ins Innere verschwand. Tolpan stieß einen Seufzer aus, während er bei Bupu stand und in grimmigem Schweigen den schlampigen Ort betrachtete.

»Ich nicht mögen dies weiter«, verkündete Bupu. Sie funkelte Tolpan vorwurfsvoll an. »Du sagen, wir finden hübschen Mann in roten Roben. Alles, was wir finden, ist fetter Trunkenbold. Ich gehe zurück nach Hause, zurück zu Großbulp.«

»Nein, geh nicht! Noch nicht!« schrie Tolpan verzweifelt auf. »Wir finden den hübschen Mann. Oder zumindest eine hübsche Frau, die helfen will, den hübschen Mann zu finden. Vielleicht – vielleicht erfahren wir hier etwas.«

Offensichtlich glaubte Bupu ihm nicht. Tolpan glaubte es selber nicht. »Sieh mal«, sagte er, »warte hier einfach auf mich. Es wird nicht lange dauern. Ich hole dir etwas zu essen. Versprichst du mir, nicht zu gehen?«

Bupu leckte sich die Lippen und beäugte dabei zweifelnd Tolpan. »Ich warten«, sagte sie und ließ sich auf die schlammige Straße plumpsen. »Zumindest bis nach dem Mittagessen.«

Tolpan folgte Caramon in die Taverne, sein spitzes Kinn entschlossen vorgeschoben. Er und Caramon würden ein kleines Gespräch führen...

Es stellte sich jedoch heraus, daß es nicht notwendig war.

»Auf eure Gesundheit, meine Herren«, sagte Caramon und hob sein Glas der schlampigen Menge entgegen, die im Wirtshaus versammelt war. Es waren nicht viele – zwei reisende Zwerge, die neben der Tür saßen, und eine Gruppe Menschen, die wie Waldhüter gekleidet waren und ihre Krüge in Erwiderung auf Caramons Trinkspruch hoben.

Tolpan setzte sich neben Caramon; er war so niedergeschlagen, daß er tatsächlich eine Geldbörse zurückgab, die seine Hände aus dem Gürtel eines der Zwerge im Vorbeigehen genommen hatten.

»Ich glaube, du hast das fallen lassen«, murmelte Tolpan und gab sie dem Zwerg zurück, der ihn verwundert anstarrte.

»Wir suchen eine junge Frau«, sagte Caramon, der es sich für den Nachmittag gemütlich machte. Er trug ihre Beschreibung vor, wie er sie in jeder Taverne von Solace an vorgetragen hatte. »Schwarzes Haar, klein, zierlich, blasses Gesicht, weiße Roben. Sie ist eine Klerikerin...«

»Ja, die haben wir gesehen«, sagte einer der Waldhüter.

Bier spritzte aus Caramons Mund. »Ihr habt sie gesehen?« keuchte er würgend.

Tolpan wurde munter. »Wo?« fragte er eifrig.

»Sie wanderte in den Wäldern östlich von hier umher«, sagte der Waldhüter und deutete mit dem Daumen.

»Ach?« machte Caramon argwöhnisch. »Und was habt ihr in den Wäldern zu schaffen?«

»Goblins jagen. In Haven gibt es eine Prämie für sie.«

»Drei Goldstücke für Goblinohren«, sagte sein Freund mit einem zahnlosen Grinsen, »wenn du dein Glück versuchen willst.«

»Was ist mit der Frau?« verfolgte Tolpan das Thema weiter.

»Sie ist verrückt, glaube ich.« Der Waldhüter schüttelte den Kopf. »Wir haben ihr gesagt, daß das ganze Land hier von Goblins wimmelt und sie nicht allein herumlaufen soll. Sie sagte nur, sie sei in den Händen von Paladin, und der würde auf sie aufpassen.«

Caramon stieß einen Seufzer aus und hob sein Glas an die Lippen. »Das hört sich ganz nach ihr an...«

Tolpan sprang hoch und schnappte das Glas aus der Hand des großen Mannes. »Komm schon!« sagte er. »Wir müssen gehen! Vielen Dank für eure Hilfe.« Er zerrte Caramon zur Tür. »Was habt ihr gesagt, wo ihr sie gesehen habt?«

»Ungefähr zehn Meilen östlich von hier. Hinter der Taverne findet ihr einen Weg. Er zweigt von der Hauptstraße ab. Folgt ihm, und er wird euch durch den Wald führen. War früher mal die Abkürzung nach Torweg, bevor es zum Reisen zu gefährlich wurde.«

»Danke nochmals!« Tolpan schob Caramon, der immer noch protestierte, aus der Tür.

»Verdammt noch mal, warum die Eile?« knurrte Caramon wütend und riß sich von Tolpans Händen los. »Wir könnten zumindest zu Mittag essen...«

»Caramon!« sagte Tolpan drängend und tanzte auf und ab. »Denk doch mal nach! Erinnere dich! Ist dir nicht klar, wo sie ist? Zehn Meilen östlich von hier! Sieh mal...« Er riß einen seiner Beutel auf und holte ein ganzes Bündel Karten hervor. Eilig durchsuchte er sie und warf sie in seiner Eile auf den Boden. »Sieh mal«, wiederholte er schließlich, rollte eine auf und hielt sie vor Caramons rotangelaufenes Gesicht.

Der große Mann starrte darauf und versuchte etwas zu erkennen. »Nun?«

»Sieh mal, hier ungefähr sind wir. Und hier ist Haven, südlich von uns. Da drüben ist Torweg. Und hier ist der Weg, über den sie gesprochen haben, und hier...« Tolpan zeigte mit dem Finger.

Caramon krümmte sich. »Düsterwald«, murmelte er. »Düsterwald. Hört sich vertraut an...«

»Natürlich hört sich das vertraut an! Wir wären dort beinahe gestorben!« schrie Tolpan und fuchtelte mit den Armen. »Ohne Raistlin wären wir verloren gewesen...« Als er Caramons finsteren Blick bemerkte, fragte er flehend: »Was ist, wenn sie da allein herumläuft?«

Caramon sah in den Wald hinein, seine trüben Augen beäugten den engen, überwachsenen Pfad. Sein finsterer Blick vertiefte sich. »Vermutlich erwartest du von mir, daß ich sie aufhalte«, murmelte er.

»Nun, natürlich müssen wir sie aufhalten!« begann Tolpan, dann blieb er plötzlich stehen. »Das war niemals deine Absicht«, sagte er und starrte Caramon an. »Die ganze Zeit war das niemals deine Absicht, ihr nachzugehen. Du bist hier nur ein paar Tage herumgetaumelt, ein bißchen trinken, ein bißchen lachen, wolltest dann zu Tika zurück, um ihr zu sagen, daß du ein erbärmlicher Versager bist, hast dir ausgemalt, daß sie dich wieder aufnimmt, so wie immer...«

»Was erwartest du denn von mir?« knurrte Caramon und wandte sich von Tolpans vorwurfsvollem Blick ab. »Wie kann ich dieser Frau helfen, den Turm der Erzmagier zu finden?« begann er zu wimmern. »Ich will ihn nicht finden! Ich habe geschworen, mich niemals wieder in der Nähe dieses abscheulichen Ortes aufzuhalten! Dort haben sie ihn zerstört, Tolpan. Als er wiederkam, hatte seine Haut diese seltsame goldene Farbe angenommen. Sie gaben ihm diese verfluchten Augen, mit denen er nur noch den Tod sehen kann. Sie zerstörten seinen Körper. Er konnte nicht atmen, ohne zu husten. Und sie ließen ihn... sie ließen ihn mich töten!« Caramon würgte und vergrub das Gesicht in den Händen, schluchzte schmerzerfüllt auf, zitterte vor Entsetzen.

»Er... er hat dich nicht getötet, Caramon«, sagte Tolpan, sich völlig hilflos fühlend. »Tanis hat mir das gesagt. Es war nur ein Bild von dir. Und er war krank und verängstigt. Er wußte nicht, was er tat...«

Aber Caramon schüttelte nur den Kopf.

Der zartfühlende Kender konnte ihm keine Schuld geben. Kein Wunder, daß er nicht dorthin will, dachte Tolpan zerknirscht. Vielleicht sollte ich ihn nach Hause bringen. In diesem Zustand kann ihn niemand gebrauchen. Aber dann erinnerte er sich an Crysania, die dort ganz allein war, im Düsterwald herumstolperte... »Ich habe dort einmal zu einem Geist gesprochen«, murmelte er, »aber ich bin mir nicht sicher, ob er sich an mich erinnert. Und dort draußen gibt es Goblins. Ich habe zwar keine Angst vor ihnen, aber ich glaube nicht, daß ich mehr als drei oder vier bekämpfen kann.«

Tolpan war in Verlegenheit. Wenn nur Tanis hier gewesen wäre! Der Halbelf wußte immer, was zu sagen oder zu tun war. Aber Tanis war nicht da, mahnte eine strenge Stimme im Inneren des Kenders, die sich manchmal verdächtig nach Flint anhörte. Es liegt an dir, du Türknopf!

Ich will aber nicht, daß es an mir liegt, jammerte Tolpan, dann wartete er einen Moment, ob die Stimme ihm antworten würde. Aber das tat sie nicht. Er war allein.

»Caramon«, sagte Tolpan und versuchte, so tief wie möglich und wie Tanis zu klingen, »hör mal, komm einfach nur bis zum Rand des Waldes von Wayreth mit. Dann kannst du nach Hause gehen. Wir werden höchstwahrscheinlich sicher sein, wenn...«

Aber Caramon hörte nicht zu. Voll Schnaps und Selbstmitleid brach er zusammen. Er lehnte sich gegen einen Baum und bat Tika, ihn wieder aufzunehmen.

Bupu erhob sich und stellte sich vor den großen Krieger. »Ich gehen«, sagte sie voll Abscheu. »Nicht brauchen fetten, sabbernden Trunkenbold, ich finden nach Hause.« Zur Bekräftigung nickte sie, dann ging sie den Pfad hinunter.

Tolpan rannte ihr nach und hielt sie fest. »Nein, Bupu! Das darfst du nicht! Wir sind doch schon fast da!«

Plötzlich verlor er die Geduld. Tanis war nicht hier. Niemand war hier, um zu helfen. Er ging zu Caramon und trat ihn vors Schienbein.

»Au!« Caramon starrte Tolpan mit einem verletzten und verwirrten Gesichtsausdruck an. »Was hast du vor?«

Als Antwort trat Tolpan ihn wieder hart. Stöhnend griff Caramon nach seinem Bein.

»Na, jetzt haben wir Spaß«, sagte Bupu. Sie rannte ausgelassen nach vorne und trat Caramon ans andere Bein. »Ich bleiben jetzt.«

Der große Mann brüllte auf und funkelte Tolpan wütend an. »Verdammt noch mal, Barfuß, wenn das eins deiner Spiele ist...«

»Es ist kein Spiel, du Ochs!« schrie der Kender. »Ich habe mich entschlossen, etwas Vernunft in dich zu treten, das ist alles! Ich habe dein Winseln satt! Die ganzen Jahre winselst du nur herum! Der ehrenwerte Caramon, der alles für seinen undankbaren Bruder opfert. Der liebende Caramon, der Raistlin immer an die erste Stelle setzt. Nun, vielleicht stimmt das, aber vielleicht stimmt das auch nicht. Ich beginne zu denken, daß du Caramon immer an die erste Stelle gesetzt hast. Und vielleicht wußte das Raistlin im Inneren, was ich mir gut vorstellen kann. Du hast das nur getan, weil es dir ein gutes Gefühl gegeben hat. Raistlin hat dich nicht gebraucht – du hast ihn gebraucht. Du hast sein Leben gelebt, weil du zu viel Angst hast, ein eigenes Leben zu führen.«

Caramons Augen glühten fiebrig, sein Gesicht erblaßte vor Zorn. Langsam erhob er sich mit geballten Fäusten. »Dieses Mal bist du zu weit gegangen, du kleiner Bastard...«

»Bin ich das?« Tolpan schrie nun, während er auf und ab hüpfte. »Hör mir zu, Caramon! Die ganze Zeit blubberst du herum, daß niemand dich braucht. Hast du je daran gedacht, daß Raistlin dich jetzt mehr denn je braucht? Und Crysania – sie braucht dich! Und du stehst hier herum, ein zitternder Waschlappen mit einem Gehirn, das völlig aufgeweicht und zu Brei geworden ist!«

Caramon machte einen unsicheren Schritt nach vorn, sein Gesicht war gefleckt und häßlich. Bupu kreischte auf und duckte sich hinter Tolpan. Der Kender blieb aufrecht stehen – genauso wie damals, als die wütenden Elfenfürsten ihn in zwei Stücke schneiden wollten, weil er die Kugel der Drachen zerbrochen hatte. Caramon ragte über ihm auf, der nach Schnaps stinkende Atem des großen Mannes ließ Tolpan übel werden. Wider Willen schloß er die Augen. Nicht aus Angst, sondern wegen der Qual und des Zorns in Caramons Gesicht.

Er stand versteift da und wartete auf den Schlag. Aber der Schlag kam nicht. Man hörte riesige Füße durch den dichten Busch stapfen.

Vorsichtig öffnete Tolpan die Augen. Caramon war verschwunden, krachte den Pfad in den Wald hinunter. Seufzend starrte ihm Tolpan nach.

Bupu kroch hinter seinem Rücken hervor. »Das ist Spaß«, verkündete sie. »Ich bleiben trotz allem. Vielleicht spielen wir wieder Spiel?«

»Ich glaube nicht, Bupu«, sagte Tolpan. »Komm. Wir sollten ihm lieber nachgehen.«

»Na gut«, sinnierte die Gossenzwergin. »Anderes Spiel wird kommen, genauso viel Spaß.«

»Ja«, stimmte Tolpan abwesend bei. Als er sich ängstlich umschaute, ob vielleicht jemand in dem erbärmlichen Wirtshaus etwas gehört hatte und Ärger anfangen wollte, riß er die Augen weit auf.

Die Taverne zum gesprungenen Krug war verschwunden: das verfallene Gebäude, das an einer Kette hängende Schild, die Zwerge, die Waldhüter, der Wirt, selbst das Glas, aus dem Caramon getrunken hatte. Alles hatte sich in der Nachmittagsluft aufgelöst wie ein böser Traum.

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