4

Eine Armee von Zwergen marschierte im Schlafzimmer umher. Jeder Zwerg hielt in seiner Hand einen Hammer, und wenn er am Bett vorbeikam, schlug er damit gegen Caramons Kopf.

Caramon stöhnte auf und fuchtelte mit den Händen. »Verschwindet!« murmelte er. »Verschwindet!«

Aber die einzige Antwort der Zwerge war, sein Bett auf ihre starken Schultern zu heben und in schnellem Tempo weiterzumarschieren.

Caramon spürte seinen Magen sich heben. Nach mehreren verzweifelten Versuchen schaffte er es, aus dem Bett zu springen, und stürmte zum Nachttopf in der Ecke. Nachdem er sich übergeben hatte, fühlte er sich besser. Sein Kopf klärte sich. Die Zwerge verschwanden – obgleich er argwöhnte, daß sie sich unter dem Bett versteckt hielten und nur darauf warteten, daß er sich wieder hinlegte.

Statt dessen öffnete er eine Schublade des winzigen Nachtschränkchens, in der er seine kleine Flasche mit Zwergenspiritus aufbewahrte. Weg! Caramon knurrte. Tika spielte also wieder dieses Spiel. Er grinste und stolperte zum Kleiderschrank an der anderen Seite des Zimmers. Er öffnete ihn und wühlte sich durch Tuniken und Hosen und Hemden, die seinem aufgeschwemmten Körper nicht mehr paßten. Da war sie – steckte in einem alten Stiefel.

Caramon zog zärtlich die Flasche hervor, nahm einen Schluck von dem scharfen Schnaps, rülpste und seufzte auf. Nun, das Hämmern im Schädel war verschwunden. Er sah sich im Zimmer um. Laß die Zwerge ruhig unter dem Bett bleiben. Es störte ihn nicht.

Im Nachbarzimmer war das Klirren von Porzellan zu hören. Tika! Eilig nahm Caramon einen weiteren Schluck, dann verschloß er die Flasche und steckte sie in den Stiefel zurück. Er schloß den Schrank leise, richtete sich auf, fuhr durch sein wirres Haar und machte sich daran, in den Hauptwohnbereich zu gehen. Dann sah er sich beim Vorbeigehen kurz im Spiegel. »Ich sollte mein Hemd wechseln«, murmelte er heiser. Er zog das schmutzige Hemd aus und warf es in eine Ecke. Vielleicht sollte er sich waschen? Pah! Wer war er denn – ein Waschlappen? Nun gut, er roch – es war ein männlicher Geruch. Unzähligen Frauen gefiel es, sie fanden es attraktiv, beklagten sich niemals oder nörgelten herum so wie Tika. Warum nahm sie ihn nicht so, wie er war? Nachdem er sich in ein sauberes Hemd gekämpft hatte, das er am Fußende des Bettes gefunden hatte, empfand Caramon Selbstmitleid. Niemand verstand ihn... das Leben war schwer... gerade jetzt machte er eine schwere Zeit durch... aber das würde sich ändern... wartet nur... eines Tages – vielleicht morgen...

Nachdem er aus dem Schlafzimmer getorkelt war, versuchte er lässig zu wirken, ging mit unsicherem Schritt durch das aufgeräumte, saubere Wohnzimmer und brach auf einem Stuhl am Eßtisch zusammen. Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht. Tika drehte sich um.

Als Caramon ihren Blick sah, seufzte er. Tika war sauer – wieder einmal. Er versuchte sie anzugrinsen, aber es war ein erbärmliches Grinsen und half nicht. Ihre roten Locken flogen umher, als sie herumwirbelte und durch eine Tür in die Küche verschwand. Caramon zuckte zusammen, als er schwere Eisentöpfe klappern hörte. Das Geräusch brachte die Zwerge und ihre Hämmer zurück. Innerhalb kurzer Zeit kam Tika mit einem riesigen Teller mit Schinken, gebratenem Maiskuchen und Eiern zurück. Sie warf den Teller mit solcher Kraft vor ihm auf den Tisch, daß die Kuchen einige Zentimeter in die Luft sprangen.

Caramon zuckte wieder zusammen. Er fragte sich kurz, ob er in Anbetracht des empfindlichen Zustandes seines Magens essen konnte, aber er war am Verhungern und konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal gegessen hatte. Tika ließ sich auf einen Stuhl neben ihm fallen. Als er kurz aufblickte, sah er ihre grünen Augen funkeln. Ihre Sommersprossen standen deutlich von ihrer Haut ab – ein sicheres Zeichen von Zorn.

»In Ordnung«, knurrte Caramon und aß. »Was soll ich jetzt machen?«

»Du erinnerst dich nicht?«

Caramon wühlte hastig in den nebligen Regionen seines Gehirns. Irgend etwas rührte sich vage. Am Abend zuvor hätte er irgendwo sein sollen. Er war den ganzen Tag zu Hause gewesen, um sich bereitzuhalten. Er hatte Tika versprochen... aber dann war er durstig geworden. Seine Flasche war leer. Er war nur zu einem schnellen Schluck ins Wirtshaus zum Trog gegangen, dann zu... wo... warum... »Ich hatte Geschäfte zu erledigen«, sagte er und wich Tikas Blick aus.

»Ja, dein Geschäft haben wir gesehen«, fuhr ihn Tika bitter an. »Das Geschäft, das dich direkt vor Tanis’ Füßen hat umkippen lassen!«

»Tanis!« Caramon ließ die Gabel fallen. »Tanis... letzte Nacht...« Mit einem verzweifelten Stöhnen ließ der kräftige Mann seinen schmerzenden Kopf in seine Hände sinken.

»Du bist recht unangenehm aufgefallen«, fuhr Tika mit erstickter Stimme fort. »Vor der ganzen Stadt plus der Hälfte der Elfen, die auf Krynn leben. Ganz zu schweigen von unseren alten Freunden.« Jetzt weinte sie leise vor sich hin. »Unseren besten Freunden...«

Caramon stöhnte wieder auf. Jetzt weinte er auch. »Warum? Warum?« schluchzte er. »Tanis, ausgerechnet er...« Seine Selbstanklagen wurden von einem Klopfen an der Haustür unterbrochen.

»Und jetzt?« murmelte Tika, erhob sich und wischte die Tränen mit dem Ärmel ihrer Bluse weg. »Vielleicht ist es Tanis, trotz allem.« Caramon hob den Kopf. »Versuch zumindest, wie der Mann auszusehen, der du einst warst«, sagte Tika im Flüsterton, während sie zur Tür eilte.

Sie zog den Riegel zurück und öffnete die Tür. »Otik?« sagte sie erstaunt. »Was machst... Was ist das für Essen?«

Der dickliche, ältere Wirt stand in der Tür und hielt einen Teller mit dampfendem Essen in einer Hand. Er sah an Tika vorbei. »Ist sie nicht hier?« fragte er verblüfft.

»Wer ist hier?« erwiderte Tika verwirrt. »Niemand ist hier.«

Otiks Gesicht wurde düster. Geistesabwesend begann er vom Teller zu essen. »Dann hat der Stallbursche vermutlich doch recht. Sie ist verschwunden – obwohl ich doch dieses schöne Frühstück bereitet habe.«

»Wer ist verschwunden?« verlangte Tika aufgebracht zu wissen und fragte sich, ob er Dezra meinte.

»Crysania. Sie ist nicht in ihrem Zimmer. Auch ihr Gepäck ist nicht da. Und der Stallbursche sagte, sie sei am Morgen gekommen, habe ihm befohlen, das Pferd zu satteln, und sei davongeritten. Ich dachte...«

»Crysania!« keuchte Tika. »Sie ist allein weggeritten? Natürlich will sie...«

»Was?« fragte Otik kauend.

»Nichts«, sagte Tika. Sie erblaßte. »Nichts, Otik. Oh, du gehst besser zurück ins Wirtshaus. Ich... Ich komme heute etwas später.«

»Sicher, Tika«, meinte Otik freundlich, nachdem er Caramon über dem Tisch zusammengekrümmt gesehen hatte. »Komm rüber, wenn du kannst.« Dann ging er; er aß im Laufen. Tika schloß die Tür hinter sich.

Als Caramon sah, daß Tika wiederkam, und wußte, daß er nun eine Strafpredigt anzuhören hatte, erhob er sich unbeholfen. »Mir geht es nicht so gut«, sagte er. Er taumelte zurück in das Schlafzimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Tika konnte gequältes Schluchzen hören.

Sie setzte sich an den Tisch und dachte nach. Crysania war verschwunden, sie hatte sich allein auf den Weg zum Wald von Wayreth gemacht. Oder besser gesagt, sie hatte sich auf die Suche begeben. Niemand fand den Wald gemäß der Legende. Er findet dich! Tika erschauerte und erinnerte sich an Caramons Geschichten. Der grauenhafte Wald war auf Karten verzeichnet, aber wenn man sie verglich, stimmten zwei Karten niemals über seinen Standort überein. Und immer stand ein Warnsymbol daneben geschrieben. In seinem Zentrum befand sich der Turm der Erzmagier von Wayreth, in dem die Kräfte aller Magier auf Ansalon konzentriert waren. Nun ja, fast alle...

In einem plötzlichen Entschluß erhob sich Tika und warf die Tür zum Schlafzimmer auf. Als sie eintrat, fand sie Caramon auf dem Bett weinend und schluchzend wie ein Kind vor. Sie verhärtete ihr Herz gegenüber diesem mitleiderregenden Anblick und ging mit festen Schritten hinüber zum Kleiderschrank. Als sie ihn öffnete und die Kleidungsstücke durchwühlte, fand sie die Flasche, warf sie aber einfach in eine Ecke des Zimmers. Dann – ganz unten – holte sie das hervor, wonach sie gesucht hatte.

Caramons Rüstung.

Sie nahm einen Beinharnisch am Lederriemen, erhob sich, drehte sich um und schleuderte das polierte Metallstück direkt auf Caramon. Es traf ihn an der Schulter und schlug dann klappernd auf den Boden.

»Au!« schrie der große Mann und setzte sich auf. »Im Namen der Hölle, Tika! Laß mich in Ruhe...«

»Du gehst ihr nach«, sagte Tika mit fester Stimme, während sie einen weiteren Teil der Rüstung hochhob. »Du gehst ihr nach, und wenn ich dich im Schubkarren hier herausfahren muß!«

»Entschuldigt mich«, sagte ein Kender zu einem Mann, der neben der Straße am Stadtrand von Solace herumschlenderte. Der Mann schloß sofort die Hand um seine Geldbörse. »Ich suche das Haus eines Freundes von mir. Nun, in der Tat sind es zwei Freunde von mir. Es ist eine Frau, hübsch, mit roten Locken. Ihr Name ist Tika Waylan...«

Der Mann funkelte den Kender an, dann deutete er mit dem Daumen. »Dort drüben.«

Tolpan folgte dem Daumen. »Dort?« fragte er beeindruckt. »Das wahrhaft herrliche Haus aus neuem Vallenholz?«

»Was?« Der Mann stieß ein kurzes, scharfes Lachen aus. »Wie nennst du es? Wahrhaft herrlich? Das ist gut!« Immer noch lachend ging er davon und zählte hastig die Münzen in seiner Börse.

Wie ungehobelt! dachte Tolpan und ließ geistesabwesend das Taschenmesser des Mannes in einen seiner Beutel gleiten. Dann vergaß der Kender unverzüglich den Vorfall und steuerte auf Tikas Haus zu. Sein Blick ruhte liebevoll auf jeder Einzelheit des schönen Hauses, das in den Zweigen des immer noch wachsenden Vallenholzbaumes stand.

»Ich freue mich ja so für Tika«, bemerkte Tolpan zu etwas, das wie ein Kleiderbündel auf Füßen aussah und neben ihm lief. »Und natürlich auch für Caramon«, fügte er hinzu. »Aber Tika hat wirklich niemals ein eigenes Zuhause gehabt. Wie stolz sie sein muß!«

Als Tolpan das Haus erreichte, erkannte er, daß es eines der besseren Häuser in der Stadt war. Es war in der jahrhundertealten Tradition von Solace gebaut. Die zierlichen Biegungen des gewölbten Giebels waren so geformt, daß es den Anschein hatte, als wären sie ein Teil des Baumes. Jeder Raum ging vom Hauptbeieich des Hauses ab, das Holz der Wände war so geschnitzt und poliert, daß es dem Baumstamm glich. Das Bauwerk paßte sich der Form des Baumes an, eine friedliche Harmonie bestand zwischen der Arbeit des Menschen und der Natur. Tolpan spürte ein warmes Glühen in seinem Herzen, als er an seine zwei Freunde dachte, die in diesem wunderschönen Haus lebten und arbeiteten. Dann...

»Das ist ja witzig«, sagte Tolpan zu sich. »Ich frage mich, warum es kein Dach gibt.«

Als er näher kam und das Haus aufmerksamer betrachtete, bemerkte er, daß einige Dinge fehlten – unter anderem ein Dach. Die riesigen, gewölbten Giebel hatten in der Tat keine andere Funktion, als den Rahmen für ein Dach zu bilden, das nicht da war. Die Wände der Räume erstreckten sich nur teilweise um das Gebäude. Der Boden war nur eine dürftige Plattform.

Als Tolpan darunter stand, blickte er nach oben und fragte sich, was hier vor sich ging. Er konnte Hämmer und Äxte und Sägen sehen, die Rost ansetzten. So wie sie aussahen, waren sie seit Monaten nicht mehr benutzt worden. Das Bauwerk selbst zeigte die Einwirkung des Wetters. Tolpan zog nachdenklich an seinem Zopf.

Aber ein Teil des Hauses war fertig. Das Glas war sorgfältig in die Fensterrahmen eingesetzt worden, die Wände waren vollständig, ein Dach beschützte das Zimmer vor den Naturgewalten. Zumindest hatte Tika ein eigenes Zimmer, dachte der Kender. Aber als er das Zimmer genauer inspizierte, verblaßte sein Lächeln. Über der Tür, das konnte er deutlich trotz der Verwitterung erkennen, markierte ein sorgfältig ausgeführtes Zeichen den Wohnsitz eines Zauberers.

»Ich hätte es wissen müssen«, sagte Tolpan kopfschüttelnd. Er schaute sich um. »Nun, Tika und Caramon können hier auf keinen Fall leben. Aber der Mann sagte... Oh.«

Als er um den riesigen Vallenholzbaum ging, stieß er auf ein kleines Haus, das unter überwachsenen Unkräutern fast verloren ging, verborgen im Schatten des Vallenholzbaumes. Wenn ein Gebäude überhaupt unglücklich aussehen konnte, so sinnierte Tolpan, dann war es dieses hier. Die Farbe wies Risse auf und löste sich. Dennoch gab es Blumen in den Fensterkästen und gekräuselte Gardinen an den Fenstern. Der Kender seufzte. Das war also Tikas Haus, im Schatten eines Traumes gebaut.

Als er das kleine Haus erreichte, blieb er vor der Tür stehen und lauschte aufmerksam. Im Inneren schien eine schreckliche Unruhe zu herrschen. Er konnte dumpfe Schläge und zerbrechendes Glas und Schreie hören.

»Ich glaube, du wartest lieber draußen«, sagte Tolpan zu dem Kleiderbündel.

Das Bündel grunzte und ließ sich behaglich auf den schlammigen Weg vor dem Haus fallen. Tolpan sah unsicher darauf, dann zuckte er die Schultern und ging zur Tür. Er legte seine Hand auf den Türgriff, drehte ihn um und trat einen Schritt nach vorne, vertrauensvoll erwartend, daß er hineinspazieren konnte. Stattdessen schlug er mit der Nase gegen das Holz. Die Tür war verschlossen.

»Das ist ja komisch«, sagte Tolpan, trat zurück und sah sich um. »Was denkt sich Tika? Türen verschließen! Wie barbarisch. Ich dachte, ich werde erwartet...« Er starrte düster auf das Schloß. Das Geschrei und Gekreische ging innen weiter. Er glaubte Caramons tiefe Stimme zu hören.

»Es hört sich interessant an.« Tolpan sah sich um. »Das Fenster! Natürlich!«

Aber als er zum Fenster eilte, fand er es ebenfalls verschlossen vor. »Das hätte ich ja von Tika nicht erwartet«, murmelte der Kender traurig. Als er das Schloß näher begutachtete, bemerkte er, daß es einfach und schnell zu öffnen war. Er holte aus seiner Werkzeugsammlung in einem Beutel den Dietrich hervor, das Geburtsrecht jeden Kenders. Er setzte ihn ein, drehte ihn fachmännisch herum und war zufrieden, als er das Schloß aufklicken hörte. Selig lächelnd schob er die Fensterscheibe beiseite und kroch hinein. Er kam geräuschlos auf dem Boden auf, blickte aus dem Fenster zurück und sah das formlose Bündel im Rinnstein ein Nickerchen halten.

Erleichtert hielt Tolpan inne, um sich im Haus umzuschauen, seine scharfen Augen nahmen alles auf, seine Hände berührten alles. »Oh, ist das interessant«, war sein unablässiger Kommentar, während er auf die verschlossene Tür vor ihm zusteuerte, durch die die lauten Geräusche kamen. »Tika hat bestimmt nichts dagegen, wenn ich es studiere. Ich stelle es wieder zurück.« Der Gegenstand purzelte aus eigenem Willen in seinen Beutel. »Und schau dir das mal an! Oh, da ist ja ein Sprung drin. Sie wird mir dankbar sein, wenn ich ihr das sage.« Der Gegenstand glitt in einen anderen Beutel. »Und was macht die Butterdose hier? Ich bin sicher, Tika bewahrt sie in der Speisekammer auf. Ich werde sie lieber wieder zu ihrem richtigen Platz bringen.« Die Butterdose verschwand in einem dritten Beutel.

Inzwischen hatte Tolpan die verschlossene Tür erreicht. Er drehte am Griff, war dankbar, daß Tika diese Tür nicht verschlossen hatte, und trat ein.

»Hallo«, sagte er glücklich. »Erinnert ihr euch? Sagt mal, das sieht ja nach Spaß aus. Darf ich mitspielen? Gib mir auch was, das ich auf ihn werfen kann, Tika. Donnerwetter, Caramon«, Tolpan betrat das Schlafzimmer und ging zu Tika hinüber, die ihn mit einem Brustharnisch in der Hand höchst erstaunt anstarrte, »was ist mit dir los? Du siehst schrecklich aus, einfach schrecklich! Sag mal, warum schmeißt du mit der Rüstung auf Caramon, Tika?« Er hob eine Kettenpanzerweste auf und wandte sich zu dem großen Krieger um, der sich hinter dem Bett verbarrikadiert hatte. »Macht ihr zwei das regelmäßig? Ich habe ja schon gehört, daß Ehepaare komische Dinge tun, aber dies scheint mir doch unheimlich...«

»Tolpan Barfuß!« Tika hatte ihre Stimme wiedergefunden. »Was im Namen der Götter hast du hier zu suchen?«

»Oh, ich bin sicher, Tanis hat euch gesagt, daß ich komme«, antwortete Tolpan und warf Caramon den Kettenpanzer zu. »Ich fand die Haustür verschlossen vor.« Er sah sie vorwurfsvoll an. »In der Tat bin ich durch ein Fenster eingestiegen, Tika«, sagte er streng. »Ich finde, du hättest rücksichtsvoller sein können. Nun gut, ich soll hier Crysania treffen und...«

Zu Tolpans Verblüffung ließ Tika den Brustharnisch fallen, fing zu weinen an und brach auf dem Fußboden zusammen. Der Kender blickte zu Caramon, der sich hinter dem Bett wie ein Geist aus seinem Grab erhob. Caramon sah Tika mit einem verlorenen und sehnsüchtigen Ausdruck an. Dann bahnte er sich seinen Weg durch die Teile der Rüstung, die auf dem Boden verstreut herumlagen, und kniete sich zu ihr nieder. »Tika«, flüsterte er und streichelte ihre Schulter. »Es tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint. Ich liebe dich! Ich habe dich immer geliebt. Es ist nur... ich weiß nicht, was ich machen soll!«

»Du weißt, was du machen sollst!« schrie Tika. Sie riß sich von ihm los und sprang auf. »Ich habe es dir gesagt! Crysania ist in Gefahr. Du mußt ihr folgen!«

»Wer ist diese Crysania überhaupt?« schrie Caramon zurück. »Warum soll ich mich verdammt noch mal darum scheren, ob sie in Gefahr ist oder nicht?«

»Hör mir einmal in deinem Leben zu«, zischte Tika zwischen zusammengepreßten Zähnen, ihr Zorn trocknete ihre Tränen. »Crysania ist eine mächtige Klerikerin Paladins, eine der mächtigsten auf der Welt neben Elistan. Sie wurde in einem Traum gewarnt, daß das Böse von Raistlin die Welt zerstören könnte. Sie ist auf dem Weg zum Turm der Erzmagier von Wayreth, um mit Par-Salian zu sprechen, um...«

»Um Hilfe zu bekommen, ihn zu vernichten, nicht wahr?« knurrte Caramon.

»Und wenn es so wäre?« brauste Tika auf. »Verdient er es denn zu leben? Er würde dich töten, ohne einen Gedanken zu verlieren!«

Caramons Augen blitzten gefährlich auf. Tolpan schluckte, sah, wie sich die Faust des großen Mannes ballte, aber Tika ging auf ihn zu. Obwohl ihr Kopf kaum an sein Kinn reichte, hatte Tolpan den Eindruck, daß der Mann sich vor ihrem Zorn duckte. Seine Hand öffnete sich.

»Aber nein, Caramon«, sagte Tika grimmig, »sie will ihn nicht vernichten. Sie ist ein genauso großer Dummkopf wie du. Sie liebt deinen Bruder, mögen die Götter ihr beistehen. Sie will ihn retten, sie will ihn vom Bösen bekehren.«

Caramon starrte Tika verwundert an. Sein Ausdruck wurde weicher. »Wirklich?« fragte er.

»Ja, Caramon«, sagte Tika erschöpft. »Darum kam sie hierher. Sie dachte, du wärst in der Lage, ihr zu helfen. Nun, als sie dich gestern abend sah...«

Caramons Augen füllten sich mit Tränen. »Eine Frau, eine Fremde will Raist helfen. Und riskiert ihr Leben dabei.« Er begann wieder zu schluchzen.

Tika starrte ihn wütend an. »Oh, um der Liebe willen... Geh ihr nach, Caramon!« schrie sie und stampfte mit den Füßen auf. »Sie wird den Turm niemals allein erreichen. Das weißt du doch! Du bist durch den Wald von Wayreth gegangen.«

»Ja«, antwortete Caramon schniefend. »Ich ging mit Raist. Ich ging mit ihm, damit er den Turm finden und die Prüfung machen konnte. Diese verruchte Prüfung! Ich bewachte ihn. Er brauchte mich... damals.«

»Und Crysania braucht dich jetzt!« sagte Tika grimmig. Caramon stand immer noch unentschlossen da, und Tolpan sah, daß sich in Tikas Gesicht entschlossene, harte Linien festsetzten. »Du darfst keine Zeit verlieren, wenn du sie einholen willst. Erinnerst du dich an den Weg?«

»Ich erinnere mich!« rief Tolpan aufgeregt. »Das heißt, ich habe eine Karte.« Tika und Caramon drehten sich um und starrten den Kender an.

»Ich weiß nicht«, sagte Caramon, während er Tolpan düster musterte. »Ich erinnere mich an deine Karten. Eine davon führte uns zu einem Hafen, der überhaupt kein Meer hatte!«

»Das war nicht meine Schuld!« schrie Tolpan beleidigt. »Das hat sogar Tanis gesagt. Meine Karte war noch aus der Zeit vor der Umwälzung, bevor das Meer verschwand. Aber du mußt mich mitnehmen, Caramon! Ich sollte Crysania treffen. Sie hat mich auf eine Suche geschickt, eine richtige Suche. Und ich habe sie ausgeführt. Ich fand«, eine plötzliche Bewegung erregte Tolpans Aufmerksamkeit, »oh, da ist Bupu.« Er winkte mit der Hand.

Tika und Caramon drehten sich um und sahen ein formloses Kleiderbündel in der Tür zu ihrem Schlafzimmer stehen. Nur waren aus dem Bündel inzwischen zwei schwarze, argwöhnische Augen gewachsen.

»Ich hungrig«, sagte das Bündel anklagend zu Tolpan.

»Aber was im Namen der Hölle will Crysania mit einer Gossenzwergin?« fragte Tika völlig verwirrt. Sie hatte Bupu in die Küche genommen, ihr altbackenes Brot und ein Stück Käse gegeben und sie dann wieder nach draußen geschickt – der Gestank der Gossenzwergin trug nicht gerade zur Behaglichkeit des kleinen Hauses bei. Bupu kehrte glücklich zum Rinnstein zurück, wo sie ihr Mahl mit Wasser aus einer Straßenpfütze ergänzte.

»Oh, ich habe versprochen, es nicht zu sagen«, erklärte Tolpan wichtigtuerisch. Der Kender half Caramon, seine Rüstung festzuschnallen – eine schwierige Aufgabe, da der große Mann beträchtlich zugenommen hatte, seitdem er sie das letzte Mal getragen hatte. Tika und Tolpan arbeiteten, bis sie schwitzten, zogen an den Riemen, drückten und preßten Fettwülste unter das Metall.

Caramon ächzte und stöhnte, wie ein Mann, der auf der Folterbank gestreckt wurde. Er leckte sich die Lippen, und sein sehnsüchtiger Blick ging mehr als einmal zum Schlafzimmer und der kleinen Flasche. Tika hatte sie nachlässig in eine Ecke geworfen.

»Oh, komm schon, Tolpan«, schmeichelte Tika, da sie wußte, daß der Kender kein Geheimnis für sich behalten konnte. »Ich bin sicher, daß Crysania nichts dagegen hat...«

Tolpans Gesicht verzog sich in Todesqualen. »Sie... sie ließ mich bei Paladin versprechen und schwören, Tika!« Das Gesicht des Kenders wurde feierlich. »Und du weißt, daß Fizban – ich meine Paladin – und ich persönliche Freunde sind.« Der Kender hielt inne. »Zieh deine Wampe ein, Caramon«, befahl er gereizt. »Wie bist du überhaupt in diesen Zustand geraten?« Er stellte seinen Fuß gegen den Oberschenkel des Mannes und zog.

Caramon kreischte vor Schmerz auf. »Ich bin gut in Form«, murmelte er wütend. »Es ist die Rüstung. Sie ist eingelaufen.«

»Ich wußte gar nicht, daß Metall einlaufen kann«, sagte Tolpan interessiert. »Ich wette, es wurde erhitzt! Wie hast du das denn angestellt? Oder ist es hier herum heiß geworden?«

»Oh, halt den Mund!« fauchte Caramon.

»Ich war lediglich hilfsbereit«, sagte Tolpan verletzt. »Wegen Crysania.« Sein Gesicht nahm einen hochmütigen Ausdruck an. »Ich habe einen heiligen Eid geschworen. Ich kann nur sagen, daß sie von mir wollte, daß ich ihr alles über Raistlin sage, woran ich mich erinnere. Und das habe ich getan. Crysania ist wirklich eine wundervolle Person, Tika«, fuhr Tolpan feierlich fort. »Du hast es vielleicht nicht bemerkt, aber ich bin nicht sehr religiös. Das sind Kender in der Regel nicht. Aber man muß auch nicht sehr religiös sein, um zu erkennen, daß Crysania wahrhaft gut ist. Sie ist auch klug. Vielleicht sogar klüger als Tanis.« Seine Augen strahlten voll Geheimniskrämerei und Wichtigkeit. »Ich glaube, ich kann euch so viel sagen«, sagte er im Flüsterton. »Sie hat einen Plan! Einen Plan, um Raistlin zu retten! Bupu ist ein Teil des Planes. Sie will sie mit zu Par-Salian nehmen!«

Sogar Caramon bekam einen zweifelnden Blick, und Tika dachte insgeheim, daß Flußwind und Tanis vielleicht doch recht hatten. Vielleicht war Crysania verrückt. Trotzdem, alles, was Caramon helfen, ihm eine Hoffnung geben konnte...

Aber Caramon hatte sich offenbar seine eigenen Pläne zurechtgelegt. »Wißt ihr was? Es ist alles die Schuld von diesem Fistanudel, oder wie sein Name ist«, sagte er, während er unbehaglich an den Lederriemen zerrte, wo sie in sein schwammiges Fleisch schnitten. »Wißt ihr, dieser Magier Fizban – äh – Paladin hat uns davon erzählt. Und Par-Salian weiß auch etwas darüber!« Sein Gesicht strahlte auf. »Wir werden das schon in Ordnung bringen. Wir bringen Raistlin hierher zurück, wie wir es geplant hatten, Tika! Er kann in das Zimmer ziehen, das wir für ihn fertiggestellt haben. Wir kümmern uns um ihn, du und ich. In unserem neuen Haus. Es wird alles gut werden!« Caramons Augen leuchteten. Tika konnte ihn nicht ansehen. Er klang wie der alte Caramon, der Caramon, den sie geliebt hatte...

Sie behielt ihren strengen Gesichtsausdruck bei, drehte sich um und steuerte auf das Schlafzimmer zu. »Ich hole die restlichen Sachen...«

»Warte!« hielt Caramon sie auf. »Ich schaffe es schon. Wie wäre es, wenn du uns etwas Eßbares einpackst?«

»Ich helfe«, bot Tolpan sich an und ging eifrig auf die Küche zu.

»Nun gut«, sagte Tika. Sie streckte ihre Hand aus und erwischte den Kender am Zopf, der über seinen Rücken hing. »Warte eine Minute, Tolpan Barfuß. Du gehst nirgendwohin, bis du dich nicht hingesetzt und alle Beutel ausgepackt hast!«

Tolpan protestierte. Caramon eilte in das Schlafzimmer und schloß die Tür. Ohne stehen zu bleiben, ging er in die Ecke und ergriff die Flasche. Er schüttelte sie und fand sie halbgefüllt vor. Er lächelte zufrieden, warf sie tief in seinen Beutel und stopfte hastig Kleidungsstücke darüber. »Nun, ich bin bereit!« rief er Tika fröhlich zu.

Er bot einen grotesken Anblick. Die gestohlene Drachenrüstung, die er in den letzten Monaten des Feldzuges getragen hatte, war von ihm völlig aufpoliert worden, als er wieder nach Solace zurückgekehrt war. Sie war immer noch in einem hervorragenden Zustand. Nur bestand jetzt unglücklicherweise eine weite Lücke zwischen dem glänzenden schwarzen Kettenpanzer, der seine Brust bedeckte, und dem breiten Gürtel, der sich um seine dickliche Taille schloß. Er stöhnte, als er den Schild hob und ihn argwöhnisch betrachtete, als ob jemand ihn in den vergangenen zwei Jahren mit Bleigewichten behängt hätte. Sein Schwertgurt paßte nicht mehr um seinen durchhängenden Bauch. »Ich sehe wie ein Narr aus«, murmelte er.

Bupu starrte ihn mit Augen an, die so groß wie Teetassen waren, ihr Mund stand offen. »Er sehen fast wie mein Großbulp aus.« Sie seufzte.

Eine lebhafte Erinnerung an den fetten, schlampigen König der Gossenzwergsippe in Xak Tsarot fiel Tolpan ein. Er ergriff die Gossenzwergin und stopfte ein Stück Brot in ihren Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. Aber der Schaden war bereits angerichtet. Offensichtlich erinnerte sich auch Caramon.

»Das reicht«, knurrte er, lief knallrot an und schleuderte seinen Schild auf die Holzveranda, wo er laut klirrend aufschlug. »Ich gehe nicht! Es war sowieso eine dämliche Idee!« Er starrte Tika anklagend an, dann drehte er sich um und wollte wieder hineingehen. Aber Tika stellte sich vor ihn.

»Nein«, sagte sie ruhig. »Du gehst nicht eher in mein Haus zurück, Caramon, als bis du als ganze Person zurückkehrst.«

»Du redest Unsinn!« fuhr Caramon sie an und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Geh mir aus dem Weg, Tika!«

»Hör mir zu, Caramon«, sagte Tika. Ihre Stimme war sanft, aber durchdringend; ihre Augen hielten die Aufmerksamkeit des großen Mannes fest. Sie legte ihre Hand auf seine Brust und sah ernst zu ihm auf. »Du hast dich einst angeboten, Raistlin in die Dunkelheit zu folgen. Erinnerst du dich?«

Caramon schluckte, dann nickte er stumm mit blassem Gesicht.

»Er lehnte es ab«, fuhr Tika sanft fort, »und sagte, es würde deinen Tod bedeuten. Aber, Caramon, du bist ihm in die Dunkelheit gefolgt! Und du stirbst allmählich! Raistlin sagte dir, du sollst deinen eigenen Weg gehen und ihn seinen gehen lassen. Aber das hast du nicht getan! Du versuchst, beide Wege zu gehen. Du lebst zur Hälfte in der Dunkelheit, und die andere Hälfte versucht, den Schmerz und das Entsetzen, das du hier siehst, wegzutrinken.«

»Es ist meine Schuld!« Caramon begann zu schluchzen, seine Stimme schlug um. »Es ist meine Schuld, daß er sich den Schwarzen Roben zuwandte. Ich habe ihn dazu getrieben! Das ist der Grund, warum Par-Salian versuchte, mich sehen zu lassen...«

Tika biß sich auf die Lippe. Ihr Gesicht wurde vor Zorn grimmig und streng, aber sie behielt ihre Gedanken für sich. »Vielleicht«, war ihr einziger Kommentar. Dann holte sie tief Luft. »Aber du kommst nicht zu mir als Ehemann oder gar als Freund zurück, wenn du nicht mit dir selbst in Frieden zurückkommst.«

Caramon starrte sie an, als ob er sie zum ersten Mal sähe. Tikas Gesicht war entschlossen, ihre grünen Augen waren klar und kalt. Tolpan erinnerte sich plötzlich, wie sie gegen die Drakonier im Tempel von Neraka in jener letzten entsetzlichen Nacht des Krieges gekämpft hatte. Sie hatte genauso ausgesehen.

»Vielleicht wird das nie der Fall sein«, sagte Caramon verdrießlich. »Jemals daran gedacht, meine Liebe?«

»Ja«, antwortete Tika ruhig. »Ich habe daran gedacht. Auf Wiedersehen, Caramon.« Sie wandte sich von ihrem Ehemann ab, ging durch die Haustür und verschloß sie.

Caramon zuckte zusammen. Er ballte seine riesigen Fäuste, und eine Minute befürchtete Tolpan, er werde die Tür einschlagen. Dann wurden Caramons Hände schlaff. Zornig und im Versuch, seine angeschlagene Würde zu retten, stapfte er von der Veranda. »Ich werde es ihr zeigen«, murmelte er im Gehen, während seine Rüstung klirrte. »Ich komme in drei oder vier Tagen zurück, mit dieser Crysania. Dann werden wir uns unterhalten. Das kann sie nicht mit mir machen! Nein, bei allen Göttern! In drei, vier Tagen wird sie mich anflehen zurückzukommen. Aber vielleicht will ich dann nicht...«

Tolpan stand unentschlossen da. Hinter ihm im Haus konnten seine scharfen Kenderohren ein herzzerreißendes Schluchzen hören. Aber was konnte er tun? »Ich passe auf ihn auf, Tika!« schrie Tolpan, dann ergriff er Bupu, und beide eilten dem großen Mann nach. Tolpan seufzte. Von allen Abenteuern, die er unternommen hatte, begann dieses von Anfang an falsch.

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