VII

Am nächsten Tag erschien Fred in seinem Jedermann-Anzug, um sich über die Verwanzungsinstallation zu informieren.

»Die Aufnahmen der sechs Holo-Kameras, die nun innerhalb des Anwesens arbeiten – wir meinen, daß sechs vorerst genügen dürfen –, werden in ein Kontroll-Zentrum abgestrahlt, das sich in einem Apartment im gleichen Häuserkomplex befindet wie Arctors Haus, nur ein kleines Stück die Straße hinunter«, erläuterte Hank und breitete einen Grundriß von Bob Arctors Haus auf einem Metalltisch aus, der zwischen ihnen stand? Als Fred den Grundriß sah, begann er zu frösteln, aber nicht sehr stark. Er nahm den Plan an sich und studierte die Stellen, an denen die Kameras in den verschiedenen Räumen installiert worden waren, gleichmäßig da und dort verteilt, so daß jeder Winkel permanent optisch und akustisch überwacht werden konnte. »Also sehe ich die Bänder in dem Apartment durch, von dem Sie sprachen«, sagte Fred.

»Wir benutzten dieses Apartment als Kontroll-Zen­trum für ungefähr acht – oder, besser gesagt, jetzt neun – Häuser oder Apartments, die wir in diesem speziellen Komplex unter Überwachung halten.

Sie werden also öfters anderen Agenten begegnen, die an den Monitoren ihre eigenen Bänder abspielen. Tragen Sie also immer Ihren Anzug.«

»Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß man mich sieht, wenn ich in das Apartment gehe. Es liegt zu nahe bei Arctors Haus.«

»Kann schon sein, aber der Komplex ist riesig – Hunderte von Wohneinheiten. Und außerdem war das das einzige Apartment, das die richtigen Voraussetzungen für die notwendigen elektronischen Installationen bot. Wir werden uns damit behelfen müssen, wenigstens so lange, bis wir mit Hilfe eines Räumungsbefehls ein anderes Apartment in einem weiter entfernten Komplex bekommen können. Wir haben uns schon dahintergeklemmt … zwei Blocks weiter weg, wo Sie weniger Verdacht erregen werden. Ich schätze, in einer Woche oder so ist die Sache über die Bühne. Wenn sich bloß holografische Bilder mit hinreichend guter Auflösung durch Mikro-Relais-Kabel oder durch die Kabelfernsehleitungen älteren Typs schicken ließen, dann –«

»Ich werde einfach einen Vorwand erfinden, falls Arctor oder Luckman oder ein anderer dieser Freaks mich dabei beobachten, wie ich das Haus betrete. Zum Beispiel könnte ich ihnen erzählen, daß da so eine Nutte wohnt, die ich manchmal durchbumse.« In Wirklichkeit komplizierte die Lage des Apartments die Dinge gar nicht so sehr; tatsächlich ersparte sie ihm ja sogar lange Anfahrzeiten, für die er nicht bezahlt wurde – ein wichtiger Faktor.

Er konnte leicht mal eben zwischendurch ins Kontroll-Zentrum rüberschlendern, sich die Bänder durchsehen, entscheiden, was für seine Berichte wichtig war und was abgelegt werden konnte, und dann rasch zurückgehen –

Zu meinem eigenen Haus, dachte er. Arctors Haus. In dem Haus oben an der Straße bin ich Bob Arctor, der verdächtige Rauschgiftsüchtige, der ohne sein Wissen ununterbrochen überwacht wird; und dann, alle paar Tage, finde ich einen Vorwand, um mich die Straße hinunter und ins Kontroll-Zentrum zu schleichen, wo ich Fred bin, der Kilometer um Kilometer Bänder abspielen läßt, um zu sehen, was ich getan habe. Diese ganze Angelegenheit, dachte er, ist irgendwie bedrückend. Aber zugleich werde ich dadurch wertvolle persönliche Informationen erhalten – und ich werde mich besser schützen können.

Vielleicht werde ich dank der Holo-Kameras schon innerhalb der ersten Woche erfahren, wer mich eigentlich jagt.

Bei diesem Gedanken ließ seine Anspannung sofort nach.

»Fein«, sagte er zu Hank.

»Aus dem Plan können Sie genau ersehen, wo die Holos installiert sind. Falls sie gewartet werden müssen, können Sie das möglicherweise selbst machen, während Sie sich in Arctors Haus aufhalten und gerade niemand in der Nähe ist. Sie haben doch normalerweise Zutritt zu seinem Haus, oder nicht?

So eine Scheiße! dachte Fred. Wenn ich das tue, dann ist ganz klar, daß ich auch mit auf den Bildern bin. Leite ich die Holos dann an Hank weiter, so weiß er mit absoluter Sicherheit, daß ich eine der Personen sein muß, die darauf zu sehen sind, und das schränkt die Zahl der Möglichkeiten deutlich ein.

Bisher hatte er es geschickt verstanden, Hank darüber im unklaren zu lassen, wie er das in Erfahrung brachte, was es über die Verdächtigen auf seiner Liste in Erfahrung zu bringen gab; nur er selbst, Fred, war der Schirm, auf dem die Informationen erschienen. Aber von jetzt an gab es dafür noch andere Apparate: Holo-Kameras und Mikrophone, die im Gegensatz zu seinen mündlichen Berichten nicht automatisch all die Hinweise ausfilterten, die zur Aufdeckung seiner Identität führen mochten. Ganz deutlich würde da Robert Arctor zu erkennen sein, der an den Holos herumbastelte, wenn sie nicht richtig funktionierten; sein Gesicht würde den Bildschirm vollständig ausfüllen. Aber andererseits würde ja er der erste sein, der die Speicherbänder abspielte; er konnte immer noch selektiv Informationen ausfiltern – zum Beispiel, indem er Teile der holografischen Aufzeichnungen einfach löschte. Nur würde das Zeit und Sorgfalt beanspruchen.

Aber was sollte er eigentlich löschen? Arctor vielleicht – und das vollständig? Aber Arctor war doch gerade der Verdächtige. Und war es nicht eine glänzende Bestätigung dieses Verdachtes, wenn Arctor an den Holos herumbastelte?

»Ich werde mich selbst elektronisch von den Bildern löschen«, sagte er. »Damit Sie mich nicht sehen. Eine reine Routinemaßnahme zu meinem eigenen Schutz. «

»Natürlich. Haben Sie vorher noch nie mit solchen Überwachungssystemen gearbeitet?« Hank griff nach ein paar Bildern und zeigte sie ihm. »Zum elektronischen Edieren holografischer Aufzeichnungen benützen Sie einen solchen Totalauslöscher – damit können Sie jeden Abschnitt der Bänder löschen, auf dem Sie in Ihrer Identität erscheinen. Das betrifft in erster Linie die Holos; für die Tonaufzeichnungen gibt es keine feststehenden Richtlinien. Sie werden allerdings wohl kaum besondere Schwierigkeiten haben. Wir nehmen es als gesicherte Tatsache an, daß Sie eine der Personen aus Arctors Freundeskreis sind, die sein Haus regelmäßig besuchen – Sie sind entweder Jim Barris oder Ernie Luckman oder Charles Freck oder Donna Hawthorne –«

»Donna?« Er lachte. Oder besser gesagt: Eigentlich lachte der Anzug. Auf seine eigene, ganz spezielle Art.

»Oder Bob Arctor«, fuhr Hank fort, während er nachdenklich die Liste der Verdächtigen studierte.

»Ich berichte die ganze Zeit über mich selbst?«, sagte Fred.

»Also werden Sie sich selbst von Zeit zu Zeit doch auf den Holo-Bändern auftreten lassen müssen, die Sie an uns weitergeben, denn wenn Sie sich systematisch herausedieren, können wir durch einen Eliminationsprozeß daraus schließen, wer Sie sind, ob wir das nun wollen oder nicht. Das Problem für Sie besteht also letztlich darin, sich selbst gezielt herauszuedieren, sozusagen auf – wie soll ich das nennen? – erfinderische, künstlerische … jetzt hab’ ich’s, Teufel noch mal: auf kreative Weise … also zum Beispiel während der kurzen Zeitabschnitte, wenn Sie allein im Haus sind und recherchieren, also etwas, wenn Sie Papiere durchblättern und Schubladen durchsuchen. Oder, wenn Sie eine Holo-Kamera im Aufnahmebereich einer anderen Kamera warten, oder –«

»Sie sollten einfach einmal im Monat jemanden in einer Uniform zu Arctors Haus schicken«, sagte Fred. »Der könnte dann ja sagen: ›Guten Morgen! Ich bin hier, um die Überwachungssysteme zu warten, die wir heimlich in Ihrem Haus, Ihrem Telefon und Ihrem Wagen installiert haben.‹ Vielleicht würde Arctor sich ja bereit erklären, die Reparatur zu bezahlen.«

»Arctor würde ihn wahrscheinlich kaltmachen und dann verschwinden.«

Der Jedermann-Anzug Fred sagte: »Falls Arctor wirklich so viel auf dem Kerbholz hat. Das ist bisher noch nicht erwiesen. «

»Arctor könnte eine ganze Menge auf dem Kerbholz haben. Wir haben erst kürzlich neue Informationen über ihn erhalten und sofort analysiert. Meiner Ansicht nach gibt es nicht mehr die geringsten Zweifel: der ist so echt wie ein Dreidollar-Schein. Ausgekocht bis dorthinaus. Ein wirklich übler Typ. Bleiben Sie also an ihm dran, bis er reif ist, bis wir so viele und so gute Beweise haben, daß er sich nicht mehr rauswinden kann, wenn wir ihn uns greifen.«

»Wollen Sie sein Haus mit Dope spicken lassen?«

»Darüber sprechen wir vielleicht später noch mal.«

»Sie glauben, daß er eine große Nummer in der … na, Sie wissen schon … in der ST-Agentur ist?«

»Was wir glauben, hat für unsere Arbeit nicht die geringste Bedeutung«, sagte Hank. »Wir werten aus und ziehen unsere Schlüsse; Sie berichten nur und teilen uns Ihre eigenen, notwendigerweise unzulänglichen Schlußfolgerungen mit. Damit will ich Ihre Arbeit nicht abwerten, aber Sie können mir glauben, daß wir eine gewaltige Menge von Informationen haben, die Ihnen nicht nur zur Verfügung stehen. Wir sehen das ganze Bild, und das haben nicht fehlbare Menschen, sondern Computer zusammengesetzt.«

»Arctor ist verloren«, sagte Fred. »Jedenfalls, wenn er wirklich in eine große Sache verwickelt ist. Und nach dem, was Sie mir da so erzählen, kriege ich langsam eine dumpfe Vorahnung, daß da was dran sein könnte.«

»Wenn wir weiter so gut vorwärts kommen wie bisher, sollten wir ihn bald vor Gericht stellen können«, sagte Hank. »Und dann können wir ihn endgültig abhaken. Und darüber würden wir uns ja alle freuen. «

Fred lernte mit stoischer Ruhe die Adresse und die Nummer des Apartments auswendig und erinnerte sich plötzlich daran, daß er manchmal ein junges Freak-Pärchen, das kürzlich mit einemmal verschwunden war, beim Betreten und Verlassen des Gebäudes beobachtet hatte. Wahrscheinlich hatte man sie hochgehen lassen und ihr Apartment übernommen, um dort das Kontroll-Zentrum einzurichten. Er hatte sie wirklich gemocht. Das Mädchen hatte langes, flachsblondes Haar und trug nie einen BH. Einmal war er zufällig mit dem Wagen vorbeigekommen, als sie sich mit ein paar Einkaufstüten abschleppte, und hatte ihr angeboten, sie mitzunehmen; daraufhin hatten sie sich ein bißchen miteinander unterhalten. Sie schien auf dem Makrobiotik-Trip zu sein, so richtig mit Megavitaminen und Seetang und Sonnenlicht. Ein hübsches, scheues Mädchen. Und sie war merkwürdig mißtrauisch gewesen. Jetzt also kannte er den Grund dafür: Offenbar hatten sie und ihr Freund eine Menge Stoff daheim gehabt. Oder, was noch wahrscheinlicher war, sogar gedealt. Aber wenn das Apartment dringend gebraucht wurde, hätte auch eine Anklage wegen Drogenbesitzes gereicht, und die konnte man immer kriegen.

Wofür, fragte er sich, würde wohl Bob Arctors verdrecktes, aber geräumiges Haus von den Behörden genutzt werden, wenn man Arctor erst mal weggekarrt hatte? Nun, höchstwahrscheinlich würde man daraus ein noch größeres Kontroll-Zentrum machen, wo sich noch mehr einlaufende Informationen sichten und verarbeiten ließen …

»Arctors Haus würde Ihnen gefallen«, sagte er laut. »Es ist total heruntergekommen, eine richtige schmutzige Doper-Bude halt, aber es ist groß. Ein schöner Hof. Eine Menge Büsche und Stauden.«

»Das hat die Installationsmannschaft in ihrem Bericht auch erwähnt. Das Haus böte wirklich einige ausgezeichnete Verwendungsmöglichkeiten. «

»Sie … was? Sie haben berichtet, es ›böte einige ausgezeichnete Verwendungsmöglichkeiten‹ ja?« Er hatte das Gefühl, gleich wahnsinnig zu werden, als er hörte, wie die schnarrende Stimme des Jedermann-Anzugs selbst diesen Worten jeden Klang und alle Emotionen raubte. Seine Wut steigerte sich immer mehr. »Zum Beispiel?«

»Nun, eine Verwendungsmöglichkeit liegt doch auf der Hand: Vom Wohnzimmer aus blickt man direkt auf eine vielbefahrene Kreuzung, so daß sich vorbeifahrende Wagen und deren Nummernschilder bequem fotografieren ließen …« Hank las wieder einmal in einem der unzähligen Berichte, die er vor sich liegen hatte. »Aber der Leiter der Crew, Burt – komisch, aber ich kann mich nie an sein Gesicht erinnern – Burt also vertritt hier die Auffassung, daß das Haus so übel heruntergekommen sei, daß es sich nicht lohnen würde, es zu übernehmen. Zu hohe Kosten.«

»In welcher Hinsicht? In welcher Weise heruntergekommen?«

»Das Dach.«

»Das Dach ist perfekt.«

»Sowohl der Innen- als auch der Außenanstrich. Der Zustand der Böden. Die Küchenschränke –«

»Quatsch mit Soße«, sagte Fred, oder jedenfalls summte der Anzug das. »Okay, Arctor hat vielleicht nichts dagegen unternommen, daß sich das Geschirr und der Müll nur so stapeln, und Staub gewischt hat er auch nicht, aber schließlich leben da je auch drei Macker ohne Puppen! Seine Frau hat ihn verlassen; normalerweise kümmern sich doch die Frauen um den ganzen Kram. Wenn Donna Hawthorne eingezogen wäre – und Arctor hat sie darum gebeten, ja, er hat sie deswegen richtig angebettelt –, dann hätte sie das Haus bestimmt in Ordnung gehalten. Auf jeden Fall könnte ein professioneller Reinigungs-Service das ganze Haus in einem halben Tag wieder in Topzustand bringen, jedenfalls soweit’s ums Saubermachen geht. Was das Dach betrifft, da ärgere ich mich wirklich drüber, weil –«

»Dann empfehlen Sie also offiziell, daß wir das Haus erwerben, nachdem Arctor festgenommen worden ist und sein Besitzanspruch erloschen ist?«

Fred, der Anzug, starrte ihn an.

»Nun?« sagte Hank unbeteiligt. Sein Kugelschreiber schwebte schon über dem entsprechenden Formular.

»Ich hab’ dazu überhaupt keine Meinung. Mir ist das alles ganz egal.« Fred erhob sich von seinem Stuhl, um zu gehen.

»Sie werden noch nicht gehen«, sagte Hank und bedeutete ihm, wieder Platz zu nehmen. Er fischte ein Blatt zwischen den Unterlagen auf seinem Schreibtisch hervor. »Ich habe hier ein Memorandum –«

»Sie haben immer Memoranden«, sagte Fred. »Für jedermann.«

»In diesem Memorandum«, sagte Hank, »werde ich angewiesen, Sie hinüber nach Zimmer 203 zu schicken, bevor Sie heute das Haus verlassen.«

»Wenn es wegen der Anti-Drogen-Ansprache sein sollte, die ich im Lions-Qub gehalten habe … dafür hat man mich schon zusammengeschissen.«

»Nein, darum geht es diesmal nicht.« Hank warf ihm den zerknüllten Zettel zu. »Diesmal ist es was anderes. Ich bin für heute mit Ihnen fertig – warum setzen Sie sich also nicht in Bewegung, traben schnurstracks da hinüber und bringen es hinter sich?«


*


Zimmer 203 erwies sich als vollständig weißer Raum mit stählernen Beleuchtungskörpern, stählernen Sesseln und einem stählernen Schreibtisch, die alle festgeschraubt waren – ein Raum wie in einem Krankenhaus, blitzblank und steril und kalt; grelles Licht stach Fred in die Augen. Eine Personenwaage an der rechten Seite des Raumes, an der ein Schild mit der Aufschrift NACHJUSTIERUNG NUR DURCH ANGEHÖRIGE DES TECHNISCHEN PERSONALS prangte, verstärkte den Krankenhauseindruck noch. Als er eintrat, blickten ihm zwei Polizeibeamte in voller Uniform entgegen; besondere Ärmelstreifen wiesen sie allerdings als medizinische Assistenten im polizeiärztlichen Stab des Sheriff-Büros von Orange County aus.

»Sie sind der Beamte Fred?« fragte einer der beiden. Er trug einen Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart.

»Ja, Sir«, sagte Fred. Er fühlte sich verschreckt.

»All right, Fred, lassen Sie mich zunächst noch einmal eine grundsätzliche Tatsache klarstellen. Wie Sie zweifellos wissen, werden sämtliche Sitzungen, in denen Sie Ihre Aufträge erhalten oder Bericht erstatten, aufgezeichnet und später noch einmal auf einer Mitschauanlage abgespielt, und zwar für den Fall, daß bei den Sitzungen selbst etwas übersehen worden ist. Das ist natürlich eine reine Routineangelegenheit und gilt für alle Beamten, die hier zur mündlichen Berichterstattung erscheinen, nicht nur für Sie.«

Der andere medizinische Assistent sagte: »Diese Regelung betrifft auch alle Ihre sonstigen Kontakte mit Ihrer Abteilung, also etwa Telefongespräche, und alle übrigen dienstlichen Aktivitäten, wie beispielsweise die öffentliche Ansprache, die Sie kürzlich in Anaheim vor den Jungs vom Rotary-Club gehalten haben.«

»Lions-Club«, sagte Fred.

»Nehmen Sie Substanz T?« sagte der medizinische Assistent zur Linken.

»Diese Frage«, sagte der andere, »ist trivial, weil wir es als gegeben annehmen, daß Sie im Vollzug Ihrer Arbeit dazu gezwungen sind. Antworten Sie also nicht. Nicht, daß es Sie belasten könnte, aber es ist einfach trivial.« Er wies auf einen Tisch, auf dem ein Stapel Blöcke und anderer Krimskrams lagen, darunter grellbunte Gegenstände aus Plastik und andere Objekte, die der Beamte Fred nicht identifizieren konnte. »Kommen Sie hier herüber und setzen Sie sich, Beamter Fred. Wir werden Sie, kurz gesagt, einigen einfachen Tests unterziehen. Das wird nicht viel von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen, und es sind auch keine physischen Unannehmlichkeiten damit verbunden.«

»Was diese Rede angeht, die ich gehalten habe –«, sagte Fred.

»Wir führen diese Untersuchungen durch«, sagte der medizinische Assistent zur Linken, während er sich setzte und einen Stift und ein paar Formulare hervorkramte, »weil ein vor kurzem vorgelegter Regierungsbericht gezeigt hat, daß in unserem Zuständigkeitsbereich in den letzten Monaten mehrere Geheime Rauschgift-Agenten in Kliniken für neurale Aphasie eingewiesen werden mußten.«

»Sie sind sich der Tatsache bewußt, daß Substanz T in hohem Maße suchtbildend ist?« sagte der andere Assistent zu Fred.

»Sicher«, sagte Fred. »Natürlich bin ich mir dessen bewußt.«

»Wir werden Ihnen jetzt diese Tests vorlegen«, sagte der sitzende medizinische Assistent, »und zwar in dieser Reihenfolge … Wir beginnen mit einem Test, den wir den OH-Test oder auch –«

»Sie glauben, daß ich süchtig bin?« sagte Fred.

»Ob Sie süchtig sind oder nicht, ist eine zweitrangige Frage, da wir ohnehin damit rechnen, daß die bei den Streitkräften für chemische Kriegsführung zuständige Abteilung irgendwann in den nächsten fünf Jahren ein Gegenmittel finden wird.«

»Bei diesen Tests geht es nicht um die suchtbildenden Eigenschaften von Substanz T, sondern um – na, am besten lege ich Ihnen zuerst diesen Objekt-Hintergrund-Test vor, mit dessen Hilfe sich die Fähigkeit messen läßt, problemlos ein Objekt von seinem Hintergrund zu unterscheiden. Sehen Sie dieses geometrische Diagramm?« Er legte eine vollgekritzelte Karte vor Fred auf den Tisch. »Inmitten dieser scheinbar bedeutungslosen Linien verbirgt sich ein wohlvertrautes Objekt, das jeder normale Mensch eigentlich erkennen müßte. Sie sollen mir nun sagen, worum es sich bei diesem …«

Item. Im Juli 1969 veröffentlichte Joseph E. Bogen seinen revolutionären Aufsatz »Die andere Seite des Gehirns: Das appositionelle Denken«. In diesem Aufsatz zitierte er einen in der Fachwelt völlig unbekannten Dr. A. L. Wigan, der bereits 1844 geschrieben hatte:


Der Geist ist seinem Wesen nach zweigeteilt, wie jenes Organ, dem er entspringt. Diese Idee hat sich mir aufgedrängt, und ich habe mich mehr als ein Vierteljahrhundert eingehend damit beschäftigt, ohne daß es mir gelungen wäre, einen einzigen validen oder auch nur plausiblen Einwand zu finden. Daher glaube ich, beweisen zu zu können – (1) Daß jede Gehirnhemisphäre als Organ des Denkens ein eigenständiges, in sich vollendetes Ganzes ist. (2) Daß in jeder der beiden Hälften des Cerebrums simultan voneinander unabhängige, gesonderte Prozesse des Denkens oder Schlußfolgerns abzulaufen vermögen.


In seinem Aufsatz schlußfolgerte Bogen daraus: »Ich bin [wie Wigan] der Ansicht, daß jeder von uns zwei Persönlichkeiten in einer Person vereinigt. Natürlich wirft diese Hypothese eine Unzahl von Einzelfragen auf, die noch beantwortet werden müssen. Aber in erster Linie gilt es, dem Hauptwiderstand gegen Wigans Theorie entgegenzutreten: nämlich dem uns allen eigenen subjektiven Empfinden, daß jeder Mensch in sich eine unauflösliche Einheit ist. Dieser Glaube an die menschliche Ganzheit wird in unserer westlichen Kultur nach wie vor hochgehalten. …«

»… Objekt handelt. Sodann zeigen Sie uns bitte, wo genau es sich innerhalb des Gesamtfeldes befindet.«

Ich werde hier für dumm verkauft, dachte Fred. »Was soll das alles eigentlich?« sagte er, wobei er nicht das Diagramm, sondern den medizinischen Assistenten anstarrte. »Ich wette, Sie machen das nur wegen der Rede vor dem Lions-Club?« sagte er. Er zweifelte keinen Augenblick lang daran.

Der ihm gegenübersitzende Assistent sagte:»Bei vielen von denen, die Substanz T nehmen, tritt eine Spaltung zwischen der rechten und der linken Hemisphäre des Gehirns auf. Das führt zu einem Verlust der Fähigkeit zur angemessenen Gestalt-Wahrnehmung, was ein Defekt innerhalb sowohl das des perzeptiven als auch des kognitiven Systems ist, obwohl das kognitive System scheinbar weiterhin normal funktioniert. Aber die Daten, die das kognitive System nun vom perzeptiven System empfängt, sind bereits durch diese Spaltung deformiert, so daß auch das kognitive System nach und nach immer mehr versagt, fortschreitend immer weiter verfällt. Haben Sie das vertraute Objekt in dieser Strichzeichnung ausfindig gemacht? Können Sie es mir zeigen?«

Fred sagte: »Sie meinen damit nicht die Ablagerung von Schwermetallspuren in den Synapsen, wo die Nervenimpulse verarbeitet werden, nicht wahr? Irreversible –«

»Nein«, sagte der Assistent, der neben dem Tisch stand. »Das ist kein herkömmlicher Hirnschaden, sondern eine Art Toxizität, eine Gehirntoxizität. Eine toxische Gehirnpsychose, die das perzeptive System schädigt, indem sie es spaltet. Was da vor Ihnen liegt, dieser OH-Test, mißt den Grad der Handlungsfähigkeit Ihres perzeptiven Systems als ein einheitliches Ganzes. Können Sie die Form hier sehen? Sie sollte Ihnen geradewegs ins Auge springen. «

»Ich sehe eine Coke-Flasche«, sagte Fred.

»Eine Limonadenflasche ist die richtige Antwort«, sagte der sitzende Assistent, nahm mit einem raschen Griff die Zeichnung weg und ersetzte sie durch eine neue. »Haben Sie etwas Ungewöhnliches festgestellt, als Sie meine Rapporte und das alles studiert haben? Irgendwas in Richtung Matschbirne?« Es liegt an der Rede, dachte er. »Was ist mit der Rede, die ich gehalten habe?« sagte er. »Habe ich da bilaterale Dysfunktionen gezeigt? Bin ich darum zu diesen Tests hierhergeschleift worden?« Er hatte mal etwas über diese Gehirnspaltungsteste gelesen, die die Abteilung von Zeit zu Zeit durchführen ließ.

»Nein, das hier ist eine reine Routinemaßnahme«, sagte der sitzende Assistent. »Wir wissen schließlich, Beamter Fred, daß es für Geheime Rauschgift-Agenten oft notwendig ist, im Zuge der Ausübung ihrer Pflicht Drogen zu nehmen; die, deren Einweisung in staatliche –«

»Für immer?« fragte Fred.

»Nur in den seltensten Fällen für immer. Um es noch einmal zu wiederholen: Es handelt sich hierbei um eine Art Verseuchung der Wahrnehmung, die im Laufe der Zeit durchaus von selbst wieder verschwinden mag, wenn –«

»Trübe«, sagte Fred. »Trüber Schmant, der sich über alles legt.«

»Haben Sie manchmal Überlagerungseffekte?« fragte ihn plötzlich einer der Assistenten.

»Was?« sagte er unsicher.

»Zwischen den Hemisphären. Wenn in der linken Hemisphäre, wo das Sprachzentrum normalerweise verortet ist, ein Schaden entsteht, dann übernimmt die rechte Gehirnhälfte oft die ausgefallenen Funktionen, so gut sie das kann.«

»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich bin mir dessen nicht bewußt.«

»Gedanken, die nicht Ihre eigenen zu sein scheinen. Etwa so, als ob noch eine andere Person, ein anderer Geist in Ihrem Kopf denken. Aber ganz anders, ab Sie normalerweise denken würden. Sogar ausländische Worte, die Sie nicht kennen. Man erlernt so etwas oft irgendwann im Leben durch periphere Perception.«

»Nichts in der Art. Ich hätte das bemerkt.«

»Wahrscheinlich. Nach den Berichten, die Leute mit einer Schädigung der linken Hemisphäre gegeben haben, ist es offensichtlich eine ziemlich schockierende Erfahrung.«

»Ich glaube eigentlich doch, daß ich das bemerkt hätte.«

»Früher nahm man im allgemeinen an, daß die rechte Hemisphäre über überhaupt keine sprachlichen Fähigkeiten verfügte, aber diese Theorie wurde aufgestellt, bevor sich so viele Leute die linke Gehirnhälfte mit Drogen ruiniert hatten und ihr – der rechten, meine ich – dadurch eine Chance gaben, auf den Plan zu treten. Das Vakuum zu füllen.«

»Ich werde bestimmt in Zukunft darauf achten«, sagte Fred und lauschte zugleich auf den rein mechanischen Klang seiner Stimme. Wie die Stimme eines pflichteifrigen Kindes in der Schule. Eine Stimme, aus der die Bereitschaft sprach, jedem noch so dummen Befehl zu gehorchen, der ihm von jenen erteilt wurde, die die Befehlsgewalt innehatten. Jenen, die größer waren als er und sich in einer Position befanden, die es ihnen erlaubte, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Egal, ob der Befehl nun sinnvoll war oder nicht.

Immer nur beipflichten, dachte er. Und das tun, was einem befohlen wird.

»Was sehen Sie auf dem zweiten Bild?«

»Ein Schaf«, sagte Fred.

»Zeigen Sie mir das Schaf.« Der sitzende Deputy beugte sich vor und drehte das Bild um. »Wenn Ihre Fähigkeit zur Unterscheidung von Objekt und Hintergrund beeinträchtigt ist, dann kann Ihnen das eine Menge Ärger machen – statt keine Formen wahrzunehmen, nehmen Sie falsche Formen wahr.«

Wie Hundescheiße, dachte Fred. Hundescheiße würde bestimmt zu den falschen Formen gerechnet werden. Egal, was man für einen Maßstab anlegt. Er …


Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, daß die stumme, untergeordnete Hemisphäre auf die Gestalt-Wahrnehmung spezialisiert ist, also in erster Linie den Informations-Input ganzheitlich-synthetisch verarbeitet. Im Gegensatz dazu scheint die mit Sprachfähigkeit begabte, dominierende Hemisphäre eher in der Art eines Computers, also tendenziell logischer und analytischer, zu arbeiten, und die Befunde legen die Vermutung nahe, daß ein möglicher Grund für die zerebrale Ungleichgewichtigkeit beim Menschen in der grundlegenden Unvereinbarkeit der Sprachfunktionen einerseits und der synthetischer Perzeptionsfunktionen andererseits zu suchen ist.


… fühlte sich krank und niedergschlagen, fast so sehr wie während der Ansprache vor dem Lions-Club. »Da ist gar kein Schaf, nicht wahr?« sagte er. »Aber war ich wenigstens nahe dran?«

»Das hier ist kein Rorschach-Test«, sagte der sitzende Assistent, »bei dem ein vager Fleck von verschiedenen Testpersonen auf unterschiedliche Weise gedeutet werden kann. Bei diesem Test zeigen die Testkarten ein definitiv festgelegtes Objekt. Eins und nur eins. In diesem Fall ist es ein Hund.«

»Ein was?« sagte Fred.

»Ein Hund.«

»Woher wissen Sie, daß es ein Hund ist?« Er sah keinen Hund. »Zeigen Sie ihn mir.« Der medizinische Assistent …


Diese Schlußfolgerung findet ihren experimentellen Beweis durch den sogenannten »Spaltungsversuch«, bei dem die beiden Gehirnhemisphären eines Tieres darauf trainiert werden können, unabhängig voneinander wahrzunehmen, Strategien zu erwägen und zu handeln. Beim Menschen, wo die dominanten, handlungsrelevanten Denkfunktionen sehr ausgeprägt in nur einer Hemisphäre verortet sind, hat sich die andere Hemisphäre offensichtlich auf eine strukturell andersartige Form des Denkens spezialisiert, die man appositionell nennen könnte. Die Regeln oder Modelle, nach denen die Denkakte der dominanten Hemisphäre (jener also, die spricht, liest und schreibt) ablaufen, sind bereits seit vielen Jahren Gegenstand syntaktischer, semantischer, mathematisch-logischer u. a. Analysen. Die Gesetze und Modelle, nach denen auf der anderen Seite des Gehirns das appositionelle Denken abläuft, werden hingegen noch viele Jahre intensiver Erforschung bedürfen.


… wendete die Karte; auf der Rückseite war als schematisch stark vereinfachter Umriß EIN HUND gezeichnet, und jetzt erkannte Fred, daß es sich dabei tatsächlich um die Form handelte, die inmitten der Linien auf der Vorderseite eingezeichnet gewesen war. Übrigens war es nicht nur einfach irgendein Hund, sondern eine ganz bestimmte Hunderasse: ein Windhund mit eingezeichneten Gedärmen.

»Was bedeutet es«, sagte er, »daß ich statt dessen ein Schaf gesehen habe?«

»Vielleicht haben Sie einfach nur eine psychologische Blockade«, sagte der Assistent, der neben dem Tisch stand und sein Gewicht dauernd von einem Fuß auf den anderen verlagerte. »Erst wenn wir mit dem ganzen Stapel von Testkarten durch sind und diverse andere Tests –«

»Die Überlegenheit dieses Tests gegenüber dem Rorschach-Test«, unterbrach der sitzende Assistent ihn, während er zugleich die nächste Zeichnung auf den Tisch legte, »besteht darin, daß er nicht interpretativ ist; es gibt so viele falsche Antworten, wie man sich nur ausdenken kann, aber nur eine richtige. Pro Karte ein ganz bestimmtes Objekt, vom Bundesamt für Psychotest-Graphiken eingezeichnet und mit Brief und Siegel bestätigt; das und nur das ist das richtige Objekt, denn schließlich kommen die Angaben direkt aus Washington. Entweder finden Sie es, oder Sie finden es nicht, und wenn Sie eine ganze Serie von Fehlern machen, dann haben wir einen Anhaltspunkt für eine funktionale Wahrnehmungsbeeinträchtigung. Und in diesem Fall werden wir Sie für eine Weile trockenlegen müssen – so lange, bis spätere Tests beweisen, daß bei Ihnen wieder alles okay ist.«

»In einer Staatlichen Nervenklinik?« sagte Fred.

»Ja. So, was sehen Sie in dieser Zeichnung zwischen den schwarzen und weißen Linien?«

Die Stadt des Todes, dachte Fred, während er die Zeichnung studierte. Genau das sehe ich: Tod in allen Formen und nicht nur in der einen, korrekten. Tod überall. Angeheuerte Killer auf kleinen Wägelchen, neunzig Zentimeter groß.

»Sagen Sie mal«, sagte Fred, »hat Sie nicht doch die Ansprache vor dem Lions-Club auf mich aufmerksam gemacht?«

Die beiden medizinischen Assistenten wechselten einen Blick.

»Nein«, sagte schließlich der, der neben dem Tisch stand. Es war ein kurzer Dialog zwischen Ihnen und Hank. Eigentlich nur eine beiläufige Bemerkung. Eine Blödelei. Ungefähr vor zwei Wochen … Wie Sie sicher wissen, gibt es eine technisch bedingte Verzögerung bei der Sichtung dieses ganzen Mülls, dieser ganzen Roh­informationen, die bei uns zusammenlaufen. Die zuständigen Sachbearbeiter sind noch gar nicht bis zu Ihrer Ansprache gekommen. Das wird wohl auch noch ein paar Tage dauern.«

»Worum ging’s denn bei dem ›Rumgealber‹?«

»Um ein gestohlenes Fahrrad«, sagte der andere Assistent. »Ein Sieben-Gang-Fahrrad, wie Sie es nannten. Sie haben versucht, herauszufinden, wo wohl die fehlenden drei Gänge geblieben sein mochten, richtig?« Wieder schauten sie einander an, die beiden medizinischen Assistenten. »Sie äußerten die Vermutung, daß die Gänge auf dem Boden der Garage liegengeblieben sein könnten, aus der das Rad gestohlen worden war.«

»Zum Teufel noch mal«, protestierte Fred. »Das war doch alles Charles Frecks Fehler, nicht meiner; er hat alle damit verrückt gemacht wie ‘n Weltmeister. Ich fand die ganze Angelegenheit nur irgendwie witzig.«


BARRIS: (Steht mit einem großen, tollen, chromglänzenden Fahrrad mitten im Wohnzimmer und strahlt über das ganze Gesicht) Schaut mal, was ich für nur zwanzig Dollar gekriegt hab’!

FRECK: Was is’n das?

BARRIS: Ein Fahrrad, ein Zehn-Gang-Fahrrad, praktisch funkelnagelneu. Ich hab’s bei unseren Nachbarn im Hof stehen sehen und mich danach erkundigt, und weil die gleich vier von der Sorte hatten, haben sie’s mir für zwanzig Dollar bar auf die Hand verkauft. Farbige. Sie haben’s sogar für mich über den Zaun gehievt.

LUCKMAN: Wußte gar nicht, daß man ein fast fabrikneues Zehn-Gang-Fahrrad für zwanzig Dollars kriegen kann.

DONNA: Ich finde, es ähnelt unheimlich dem, das der Puppe, die bei mir gegenüber wohnt, vor ungefähr einem Monat geklaut worden ist. Vielleicht haben diese schwarzen Typen es geklaut.

ARCTOR: Na klar doch. Wenn sie vier davon hatten und sie so billig verscherbeln.

DONNA: Wenn es wirklich der Kleinen mir gegenüber gehört, solltest du’s ihr zurückgeben. Auf jeden Fall solltest du’s ihr mal zeigen, damit sie sehen kann, ob’s ihres ist.

BARRIS: Das ist ein Herrenfahrrad. Also kann’s gar nicht ihres sein.

FRECK: Warum behauptest du eigentlich, es sei ein Zehn-Gang-Fahrrad, wo’s doch nur sieben Gänge hat?«

BARRIS (erstaunt) Was?

FRECK: (Geht hinüber zum Rad und zeigt ihm, was er meint) Schau mal, fünf Zahnräder hier und zwei Zahnräder hier am anderen Ende der Kette. Fünf und zwei …


Wenn der optische Chiasmus einer Katze oder eines Affen sagital geteilt wird, so gelangen die vom rechten Auge aufgenommenen visuellen Daten nur noch in die rechte Hemisphäre; analog dazu informiert das linke Auge nur noch die linke Hemisphäre. Wenn ein Tier nach dieser Operation darauf trainiert wird, unter ausschließlicher Benutzung jeweils nur eines Auges zwischen zwei Symbolen zu unterscheiden, so zeigen spätere Tests, daß es diese Symbole auch mit dem anderen Auge korrekt unterscheiden kann. Wenn jedoch vor dem Training die Nervenverbindungsstränge – besonders der Corpus Callosum – durchtrennt worden sind, so müssen das ursprünglich abgedeckte Auge und seine ipsilaterale Hemisphäre ganz neu trainiert werden. Die antrainierte Fähigkeit überträgt sich, um es noch einmal anders auszudrücken, also nicht von einer Hemisphäre auf die andere, wenn die Nervenverbindungsstränge durchtrennt worden sind. Das ist der grundlegende »Spaltungsversuch« von Myers und Sperry (1953; Sperry, 1961; Myers, 1965; Sperry, 1967).


… macht zusammen sieben. Also ist das nur ein Sieben-Gang-Rad.

LUCKMAN: Yeah, aber selbst ein Sieben-Gang-Rennrad ist seine zwanzig Dollars wert. Er hat immer noch einen guten Kauf gemacht.

BARRIS: (verärgert) Diese Farbigen haben mir aber gesagt, es sei ein Zehn-Gang-Rad. Das ist Betrug!

(Alle drängen sich um das Rad, um es genauer in Augenschein zu nehmen. Sie zählen wieder und wieder die Gänge.)

FRECK: Jetzt zähle ich acht. Sechs vorne, zwei hinten. Das ergibt acht.

ARCTOR: (logisch) Aber es müßten zehn sein. Es gibt keine Sieben- oder Acht-Gang-Räder. Jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Habt ihr ‘ne Idee, was mit den fehlenden Gängen passiert sein könnte?

BERRIS: Diese Farbigen müssen daran herumgebastelt haben. Bestimmt haben sie’s mit völlig ungeeigneten Werkzeugen auseinandergenommen, ohne auch nur einen blassen Schimmer von Fahrradmechanik zu haben, und als sie es dann wieder zusammengebaut haben, haben sie drei Gänge auf dem Boden der Garage vergessen. Vielleicht liegen sie da noch rum.

LUCKMAN: Dann sollten wir rübergehen und sie um die fehlenden Gänge bitten.

BARRIS: (wütend) Aber eben da liegt ja der Betrug: Wahrscheinlich werden sie uns anbieten, mir die Gänge extra zu verkaufen, statt sie umsonst rauszugeben, wie es eigentlich ihre Pflicht wäre. Ich frage mich, was sie wohl sonst noch alles kaputtgemacht haben. (Inspiziert das gesamte Rad)

LUCKMAN: Wenn wir alle zusammen hingehen, rücken sie die Gänge bestimmt raus; darauf kannst du Gift nehmen, Mann. Wir gehen alle, richtig? (Blickt sich beifallheischend um)

DONNA: Seid ihr sicher, daß das Rad nur sieben Gänge hat?

FRECK: Acht.

DONNA: Sieben, acht. Ich meine jedenfalls, ihr solltet jemanden fragen, bevor ihr rübergeht. Irgendwie, find’ ich, sieht es nicht so aus, als hätten sie’s auseinandergenommen oder sonst was in der Richtung. Bevor ihr da rübergeht und denen Feuer unter dem Arsch macht, müßt ihr das doch erst mal rausfinden. Kapiert ihr das?

ARCTOR: Sie hat recht.

LUCKMAN: Aber wen könnten wir fragen? Kennt einer von euch jemanden, der Ahnung von Rennrädern hat?

FRECK: Fragen wir doch einfach den ersten, den wir treffen. Wir schieben es vor die Tür, und wenn dann irgend so ein Freak daherkommt, fragen wir ihn. Auf diese Weise kriegen wir wenigstens ein neutrales Urteil.

(Gemeinsam schieben sie das Rad nach draußen und treffen auch sofort einen jungen Schwarzen, der gerade aus seinem Wagen steigt. Sie deuten auf die sieben – acht? – Gänge und fragen ihn, wie viele Gänge das Rad denn nun habe, obwohl sie doch ganz deutlich sehen können – außer Charles Freck natürlich –, daß es nur sieben sind: fünf Zahnräder am einen Ende der Kette, zwei am anderen. Fünf und zwei macht zusammen sieben. Das können sie mit eigenen Augen feststellen. Wo liegt denn nun der Hund begraben?)

JUNGER FARBIGER: Sie müssen die Zahl der Zahnräder vorne mit der Zahl der Zahnräder hinten malnehmen, um die Zahl der Gänge zu erhalten. Nicht addieren, sondern multiplizieren. Verstehen Sie? Die Kette springt nämlich bei jedem Schaltvorgang von einem Zahnrad zum nächsten weiter, so daß jeweils eine andere Übersetzung entsteht. Zunächst koppelt die Kette jedes der fünf Zahnräder hinten (er deutet mit dem Finger auf diese fünf Zahnräder) mit einem der beiden vorne (er zeigt auch darauf), was einmal fünf und damit fünf verschiedene Übersetzungsverhältnisse ergibt – fünf Gänge. Wenn Sie dann diesen Hebel hier an der Lenkstange ziehen, springt die Kette hinüber auf das andere der beiden vorderen Zahnräder und koppelt nun dieses mit jedem der fünf Zahnräder hinten, was weitere fünf plus fünf und damit zehn Gänge. Verstehen Sie jetzt, wie das funktioniert? Die Zahl der Gänge wird nämlich immer berechnet, indem man –

(Sie bedanken sich bei ihm und rollen schweigend das Rad ins Haus zurück. Der junge Schwarze, den sie noch nie vorher gesehen haben und der kaum älter als siebzehn sein kann und einen unglaublich alten, vermackelten Wagen – so eine Art Lieferwagen – fährt, schließt jetzt die Wagentür endgültig ab, und sie machen die Haustür hinter sich zu und stehen da wie begossene Pudel.)

LUCKMAN: Hat irgendwer von euch Dope dabei? Where there’s dope there’s hope.«[2] (Keiner…


Alle Befunde deuten darauf hin, daß eine Trennung der Hemisphären zwei voneinander unabhängige Bewußtseinssphären innerhalb desselben Kraniums erschafft, will heißen: innerhalb eines einzigen Organismus. Diese Schlußfolgerung mag manche Leute – nämlich jene, die das Bewußtsein als eine unteilbare Eigenschaft des menschlichen Gehirns betrachten – beunruhigen. Andere Kritiker mögen sie als voreilig abtun, weil sie darauf beharren, daß sich die bisher entdeckten Fähigkeiten der rechten Hemisphäre auf einer quasi automatenhaften Ebene bewegen. Unzweifelhaft ist, daß sich bei allen bisher untersuchten Fällen eine deutliche Ungleichheit der Hemisphären hat zeigen lassen, aber es ist durchaus möglich, daß dies nur ein Charakteristikum gerade jener Individuen ist, die wir studiert haben. Wenn das Gehirn eines sehr jungen Menschen auf die oben beschriebene Weise »geteilt« würde, läßt es sich keineswegs ausschließen, daß in der Folge beide Hemisphären dieses Gehirns getrennt und unabhängig voneinander mentale Funktionen einer höheren Ordnung entwickeln würden – und das auf einem Level, das sonst bei normalen Individuen nur in der linken Hemisphäre erreicht wird.


lacht.)

»Wir wissen, daß Sie eine der Personen in dieser Gruppe waren«, sagte der medizinische Assistent, der ihm am Tisch gegenübersaß. »Es ist übrigens ganz egal, welche. Keiner von Ihnen war in der Lage, das Rad anzuschauen und die simple mathematische Operation wahrzunehmen, die erforderlich ist, um aus diesem sehr kleinen System von Übersetzungen die richtige Zahl der Gänge abzuleiten.« Aus der Stimme des Assistenten konnte Fred ein gewisses Mitgefühl heraushören, einen Versuch, freundlich zu sein. »Problemstellungen wie diese finden sich in jedem Eignungstest für weiterführende Schulen. Waren Sie alle high?«

»Nein«, sagte Fred.

»Eignungstests dieses Schwierigkeitsgrads werden selbst Kindern vorgelegt«, sagte der andere medizinische Assistent.

»Also woran lag’s, Fred?« fragte der erste Assistent.

»Weiß ich auch nicht mehr«, sagte Fred. Er schwieg einen Moment lang. Und dann sagte er: »Für mich klingt das alles so, als sei im kognitiven Bereich was schiefgegangen, nicht im perzeptiven. Spielt bei einem solchen Vorgang nicht das abstrakte Denken eine entscheidende Rolle? Und nicht –«

»Das könnte man zunächst meinen«, sagte der sitzende Assistent. »Aber Tests haben gezeigt, daß das kognitive System versagt, weil es keine akkuraten Daten erhält. Mit anderen Worten: Der Input ist auf eine solche Weise verzerrt, daß man, wenn man ihn verarbeiten will, ihn falsch verarbeitet, weil man nicht –« Der Assistent wedelte hilflos mit den Händen in der Luft herum, weil es ihm sichtlich schwerfiel, einen Weg zu finden, die Zusammenhänge in einfachen Worten zu erklären.

»Aber ein Zehn-Gang-Rad hat sieben Zahnräder«, sagte Fred. »Was wir gesehen haben, war korrekt. Zwei vorne, fünf hinten.«

»Aber die Zahnräder an sich sind eben nicht mit den Gängen identisch. Sie haben nicht wahrgenommen – keiner von Ihnen hat das –, wie die sieben Zahnräder durch die Kette miteinander in Verbindung treten müssen, damit zehn verschiedene Übersetzungen und damit zehn Gänge entstehen. Nämlich die fünf hinten mit jedem der beiden vorne, ganz so, wie der Schwarze Ihnen das ja auch erklärt hat. War er ein sehr gebildeter Mann?«

»Wahrscheinlich nicht«, sagte Fred.

»Das, was der Schwarze gesehen hat«, sagte der stehende Assistent, »unterschied sich grundlegend von dem, was Sie alle gesehen haben.

Er sah nämlich zwei gesonderte Verbindungslinien zwischen dem rückwärtigen und dem vorderen Zahnradsystem, das heißt, er konnte simultan zwei voneinander verschiedene Verbindungslinien wahrnehmen, die von den beiden vorderen Zahnrädern der Reihe nach zu jedem der fünf hinteren verliefen. Sie hingegen haben nur eine Verbindung zu allen rückwärtigen Zahnrädern gesehen.«

»Aber das würde dann sechs Gänge machen«, sagte Fred. »Zwei Zahnräder vorne, aber eine Verbindung.«

»Was wiederum ein Fall von inakkurater Wahrnehmung ist. Keiner hat dem schwarzen Jungen das beigebracht; wenn man ihm in der Schule überhaupt was beigebracht hat, dann höchstens, durch Nachdenken – also durch eine Aktivität auf der kognitiven Ebene – herauszufinden, was es mit diesen beiden Verbindungslinien auf sich haben könnte. Sie hingegen haben eine davon einfach vollständig übersehen. Sie alle! Obwohl Sie vorne zwei Zahnräder gezählt haben, haben Sie sie auf der perzeptiven Ebene doch als gleichartig aufgefaßt.«

»Beim nächsten Mal werd’ ich’s besser machen«, sagte Fred.

»Bei welchem nächsten Mal? Wenn Sie wieder ein geklautes Zehn-Gang-Rad kaufen? Oder wenn Sie den ganzen perzeptiven Input, der täglich so anfällt, in Ihrem Gehirn verarbeiten?«

Fred schwieg.

»Lassen Sie uns mit dem Test fortfahren«, sagte der sitzende Assistent. »Was sehen Sie in diesem Bild hier, Fred?«

»Plastik-Hundescheiße«, sagte Fred. »Wie die, die hier im Raum Los Angeles verkauft wird. Kann ich jetzt gehen?« Das alles kam ihm wie eine Neuauflage der Ansprache vor dem Lions-Club vor.

Aber zu seiner Überraschung lachten die beiden Assistenten.

»Wissen Sie, Fred«, sagte der, der ihm gegenübersaß, »Sie nehmen’s wenigstens noch mit Humor, und wenn Sie den auch in Zukunft behalten, dann werden Sie’s vielleicht machen.«

»Machen?« wiederholte Fred wie ein Echo. »Was machen? Meinen Weg machen? Eine Puppe anmachen? Meine Fehler wiedergutmachen? Mir in die Hose machen? Geld machen? Boden gutmachen? Noch mehr von diesem Scheiß hier durchmachen? Definieren Sie die Bedeutungsebene des von Ihnen verwendeten Begriffs. Das lateinische Wort für ›machen‹ ist facere, was mich immer an hickere erinnert, und das ist lateinisch für ›ficken‹, und das wiederum bringt mich darauf, daß in der Hinsicht …


Das Gehirn der höheren Tiere und somit auch das menschliche Gehirn ist ein Doppelorgan, das sich aus einer rechten und einer linken Hemisphäre zusammensetzt, die durch einen Isthmus aus Nervengewebe, den man ›Corpus Callosum‹ nennt, miteinander verbunden sind. Vor rund fünfzehn Jahren machten Ronald E. Myers und R.W. Sperry, die seinerzeit an der Universität von Chicago arbeiteten, eine überraschende Entdeckung: Wenn diese Verbindung zwischen den beiden Hälften des Cerebrums durchtrennt wird, so funktionieren beide Hemisphären unabhängig voneinander, als sei jede davon ein vollständiges Gehirn.


… in letzter Zeit nicht sehr viel gelaufen ist, scheiß’ was drauf, Plastikscheiße oder richtige Scheiße oder was für Shit auch immer. Wenn ihr Jungs so ‘ne Art Psychologen seid und ihr euch laufend meine endlosen Rapporte bei Hank angehört habt, dann sagt mir doch mal eins: Wie deichsle ich die Sache mit Donna? Wie komme ich an sie ran? Ich meine, wie macht man das? Bei so einer süßen, einzigartigen, spröden kleinen Puppe wie der?«

»Jedes Mädchen ist anders«, sagte der sitzende Assistent.

»Ich meine, auf anständige Weise«, sagte Fred. »Nicht auf die Tour, sie mit Pillen und Fusel vollzupumpen und ihr dann einen reinzuschieben, während sie auf dem Fußboden vom Wohnzimmer liegt.«

»Kaufen Sie ihr Blumen«, sagte der stehende Assistent.

»Wie bitte?« sagte Fred, und seine durch den Schirm des Jedermann-Anzugs gefilterten Augen öffneten sich weit.

»Zu dieser Jahreszeit können Sie überall kleine Frühlingsblumen kriegen. In den Blumenabteilungen von Penney’s oder K Mart zum Beispiel. Oder eine Azalee.«

»Blumen«, murmelte Fred. »Meinen Sie Plastikblumen? Richtige Blumen, vermute ich.«

»Die aus Plastik bringen’s nicht«, sagte der sitzende Assistent. »Die sehen aus, als wären sie … na, nachgemacht halt. Irgendwie nachgemacht.«

»Darf ich jetzt gehen?« fragte Fred.

Die beiden Assistenten wechselten einen Blick und nickten dann. »Wir werden Sie zu einem späteren Zeitpunkt weiter durchtesten, Fred«, sagte der, der neben dem Tisch stand. »Es eilt nicht so. Hank wird Sie von dem neuen Termin in Kenntnis setzen.«

Aus einem undeutlichen Impuls heraus, dessen Ursprung er nicht ergründen konnte, hätte Fred ihnen am liebsten die Hand geschüttelt, bevor er hinausging, aber dann tat er das doch nicht; er ging nur einfach wortlos hinaus, ein bißchen down und ein bißchen verwirrt, was möglicherweise an der Art lag, wie es ihn so plötzlich erwischt hatte. Sie haben das ganze Material über mich wieder und wieder durchgesehen, dachte er, und versucht, Anzeichen dafür zu finden, daß mein Gehirn ausgebrannt ist, und sie haben welche gefunden. Jedenfalls genug, um mich diese Tests machen zu lassen.

Frühlingsblumen, dachte er, als er den Aufzug erreichte. Kleine Frühlingsblumen; vielleicht wachsen sie dicht am Boden, und eine Menge Leute trampeln darauf herum. Wachsen sie wild? Oder in besonderen kommerziell betriebenen Gewächshäusern oder auf großen, eingezäunten Farmen? Ich möchte zu gerne wissen, wie es wohl draußen auf dem Land ist. Die Felder und das alles, die seltsamen, ungewohnten Gerüche. Und, so fragte er sich, wo findet man so etwas? Wo muß man hingehen, und was muß man machen, um hinzukommen und dortzubleiben? Was für eine Art von Trip ist das, und was für eine Art von Fahrkarte braucht man dazu? Und von wem kauft man sich das Ticket?

Und, dachte er weiter, ich würde gerne jemanden mitnehmen, wenn ich dorthin gehe. Donna vielleicht. Aber wie bittet man darum? Wie bittet man eine Puppe darum, wenn man nicht einmal weiß, wie man an sie rankommen soll? Wenn man schon seit Ewigkeiten ein Auge auf sie geworfen hat und trotzdem immer noch nichts erreicht hat – nicht mal Stufe eins. Wir sollten uns beeilen, dachte er, weil bald alle Frühlingsblumen tot sein werden. Tot und verblüht.


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