V

Es war unvermeidlich, daß sich Bob Arctor für längere Zeit außerhalb seines Domizils aufhielt, damit es ordentlich (und das hieß: lückenlos) verwanzt werden konnte – inklusive des Telefons, obwohl das doch schon längst von einer anderen Abteilung der Behörden angezapft worden war. Normalerweise sah es in der Praxis so aus, daß Beamte das betreffende Haus überwachten, bis sie sich sicher sein konnten, daß alle Bewohner es verlassen hatten und wohl auch nicht so bald zurückkommen würden. Manchmal mußten die Behörden tage- oder sogar wochenlang auf einen geeigneten Zeitpunkt warten. Wenn schließlich trotz der mühseligen Warterei von selbst absolut nichts laufen wollte, arrangierte man dann halt einen Vorwand: Man teilte den Hausbewohnern einfach mit, daß ein Kammerjäger einen ganzen Nachmittag in ihrem Haus zu tun haben würde (oder was sich sonst auch immer als Bluff anbieten mochte) und alle Einwohner doch bitte deshalb verduften sollten – »So etwa bis gegen sechs Uhr abends, okay?«

Aber im vorliegenden Fall war der Verdächtige, ein gewisser Robert Arctor, so zuvorkommend, sein Haus ganz von selbst zu verlassen und dabei auch gleich noch seine beiden Mitbewohner mitzunehmen, um sich zusammen mit ihnen auf die Suche nach einem Cephalo­chro­moskop zu machen, das die drei auf Leihbasis benutzen konnten, bis Barris Arctors Cephskop wieder repariert hatte. Die drei Hausbewohner wurden dabei beobachtet, wie sie mit ernsten Mienen in Arctors Wagen stiegen und wegfuhren. Dann, nur wenig später, ging in der Zentrale ein Anruf von Fred ein, der sich, in seinen Jedermann-Anzug gekleidet, von einem Münzfernsprecher aus meldete und berichtete, daß für den Rest des Tages niemand daheim sein würde. Er, Fred, habe die drei Männer dabei belauscht, wie sie den Entschluß faßten, den ganzen langen Weg nach San Diego hinunterzufahren, um sich ein Cephskop anzuschauen, das irgendein Typ offenbar geklaut hatte und jetzt für rund fünfzig Kröten zum Verkauf anbot. Wahrscheinlich war der Typ ein total ausgeflippter Fixer, denn wer ein Cephskop so billig anbot, mußte schon ziemlich meschugge sein. Und ein Cephskop für nur fünfzig Kröten war die lange Fahrt und den ganzen Zeitaufwand echt wert.

Zudem gab diese Entwicklung den Behörden die Möglichkeit, neben der Verwanzungsaktion auch noch eine klitzekleine (und natürlich illegale) Durchsuchung zu starten, was die Geheimagenten vom Rauschgiftdezernat sowieso immer gerne taten, wenn es keine Zeugen dafür gab. Es schien ihnen ein innerer Reichsparteitag zu sein, Schreibtischschubladen herauszuziehen, um nachzuschauen, was wohl an der Rückseite festgeklebt war; Stehlampen auseinanderzunehmen, um festzustellen, ob nicht vielleicht Hunderte von Tabletten heraussprangen; tief in Toilettenschüsseln hinabzutauchen, um zu überprüfen, was da für kleine, in Klopapier eingewickelte Päckchen befestigt sein mochten, außer Sichtweite und dort, wo sie beim Abziehen von den rauschenden Wasserfluten automatisch weggespült werden würden; und schließlich sogar in das Gefrierfach des Kühlschranks zu schauen, um zu kontrollieren, ob nicht irgendeins der Päckchen mit tiefgefrorenen Erbsen und Bohnen in Wirklichkeit tiefgefrorenes Dope enthielt, das natürlich schlau mit einem falschen Etikett getarnt war. Und in der Zwischenzeit wurden die komplizierten Holo-Kameras installiert. Die Beamten setzten und stellten sich dazu an verschiedene Plätze, um die Kameras durchzutesten. Die gleiche Prozedur wurde dann noch einmal für die Audioeinheiten wiederholt. Aber der Video-Teil war wichtiger und nahm mehr Zeit in Anspruch. Und natürlich durften die Holo-Kameras von keiner Stelle aus sichtbar sein. Es verlangte schon ein beachtliches handwerkliches Können, sie so anzubringen. Eine ganze Reihe von Plätzen mußten durchprobiert werden. Die Techniker, die die Geräte einbauten, wurden gut bezahlt, denn wenn sie Mist bauten und die Bewohner des Hauses später auch nur eine der Holo-Kameras entdecken, würden sie sofort wissen, daß man bei ihnen eingebrochen hatte, und sie nun unter ständiger Beobachtung standen – und dann würden sie bei allen ihren zukünftigen Aktivitäten vorsichtiger sein. Und außerdem würden sie vielleicht das ganze Holo-System herausreißen und verhökern.

Es hatte sich als schwierig für die Gerichte erwiesen, dachte Bob Arctor, als er über den San Diego Freeway nach Süden fuhr, Leute für den Diebstahl und den Verkauf elektronischer Apparaturen schuldig zu sprechen, die illegal in deren Häusern installiert worden waren. Die Polizei konnte dann nur versuchen, die Angeklagten unter dem Vorwand anderer Vergehen doch noch reinzureißen. Seltsam, dachte Arctor, eigentlich reagieren auch Pusher in einer entsprechenden Situation ganz ähnlich, nur eben noch etwas konsequenter. Er erinnerte sich an einen Fall, bei dem ein Heroindealer einer Puppe eins reinwürgen wollte und darum zwei Päckchen mit Heroin im Griff ihres Bügeleisens versteckt hatte. Anschließend hatte er der Polizei anonym einen telefonischen Tip gegeben, aber bevor die Bullen darauf hatten reagieren können, hatte die Puppe das Heroin zufällig gefunden. Aber statt es durchs Klo zu spülen, hatte sie es verkauft. Die Polizei kreuzte bei ihr auf, fand aber nichts, machte dann einen Stimmabdruck von dem anonymen Anrufer und verhaftete den Pusher, weil er den Behörden falsche Informationen gegeben hatte. Als der Pusher auf Kaution wieder freigelassen wurde, besuchte er mitten in der Nacht die Puppe und schlug sie fast tot. Als er geschnappt wurde und man ihn fragte, warum er dem Mädchen ein Auge ausgeschlagen und ihr beide Arme und mehrere Rippen gebrochen habe, erklärte er, daß die Puppe auf zwei Päckchen mit hochgradigem Heroin gestoßen sei, die ihm gehörten, sie dann mit einem guten Schnitt verkauft und ihn nicht am Profit beteiligt habe. Das, dachte Arctor, ist halt die Pusher-Mentalität.

Er lud Luckman und Barris in San Diego ab, wo sie alleine versuchen sollten, das Cephskop zu organisieren. Dadurch saßen sie erst einmal fest, was sie nicht nur daran hinderte, zum Haus zurückzukehren, während die Verwanzungsaktion in vollem Gange war, sondern es Arctor zudem auch möglich machte, mal wieder bei einem Mädchen vorbeizuschauen, das auf der Liste jener Personen stand, die er observieren sollte und das er seit über einem Monat nicht mehr gesehen hatte. Er kam selten in diese Gegend, und die Puppe schien sowieso nicht viel mehr zu tun als zwei- oder dreimal am Tag Meth zu schießen und gelegentlich ein paar Freier abzuschleppen, um so das Geld für ihren Stoff zusammenzubringen. Sie wohnte mit ihrem Dealer zusammen, der – was ja auf der Hand lag – auch ihr Zuhälter war. Gewöhnlich war Dan Mancher tagsüber weg, und das war günstig für Arctor. Der Dealer war zugleich auch selber süchtig, aber Arctor hatte bisher nicht herausfinden können, nach welchem Stoff. Offensichtlich nach einer ganzen Reihe von Drogen. Um welchen Stoff es sich auch immer handeln mochte – er hatte Dan seltsam und bösartig werden lassen. Außerdem unberechenbar und gewalttätig. Es war ein Wunder, daß die örtliche Polizei ihn nicht längst wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eingebuchtet hatte. Vielleicht waren die Beamten bestochen. Oder, was am wahrscheinlichsten war, sie kümmerten sich einfach nicht mehr darum; dieses merkwürdige Pärchen lebte in einem Slumviertel, in dem sonst nur Rentner und andere arme Leute hausten. Die Polizisten betraten den Cromwell-Village-Distrikt mit seinen heruntergekommenen Häusern, den Müllkippen, Parkplätzen und Straßen, die wie Schuttabladeplätze wirkten, wohl nur dann, wenn es sich absolut nicht mehr vermeiden ließ – also etwa bei Kapitalverbrechen.

Auf der ganzen Welt schien es nichts zu geben, was mehr Schmutz und menschliches Elend produzierte als solche endlosen Straßenzüge mit ihren grauen, tristen Mietskasernen, die eigentlich gebaut worden waren, um die Leute aus dem Schmutz und dem Elend herauszuholen. Arctor stellte seinen Wagen ab, fand den richtigen, nach Urin stinkenden Treppenaufgang, stieg hinauf in die Dunkelheit und entdeckte schließlich die Tür von Apartment 4, die mit einem G gekennzeichnet war. Eine volle Dose Drano lag vor der Tür, und er hob sie automatisch auf, wobei er sich fragte, wie viele Kinder hier wohl spielen mochten. Einen Augenblick lang erinnerte er sich an seine eigenen Kinder und daran, was er über die Jahre hinweg alles unternommen hatte, um sie vor Gefahren zu schützen. Dazu hätte auch gehört, eine solche Dose aufzuheben. Er hämmerte mit der Dose gegen die Tür.

Sofort rasselte das Türschloß, und die mit einer Vorlegekette gesicherte Tür öffnete sich einen Spalt weit. Das Mädchen, Kimberly Hawkins, spähte heraus. »Ja?«

»Hallo«, sagte er. »Ich bin’s, Bob.«

»Was hast du da in der Hand?«

»Eine Dose Drano«, sagte er.

»Scherzkeks.« Sie löste apathisch die Kette; auch ihre Stimme klang apathisch. Kimberly war down, das konnte er sehen – sehr down. Außerdem hatte sie ein blaues Auge und eine gespaltene Lippe. Und als Arctor sich umblickte, sah er, daß die Fenster des kleinen, total verdreckten Apartments zersplittert waren. Glasscherben lagen auf dem Boden, vermischt mit umgekippten Aschenbechern und Coke-Flaschen.

»Bist du allein?« fragte er.

»Yeah. Dan und ich hatten einen Streit, und dann ist er abgehauen.« Das Mädchen – ein Chicano-Halbblut, klein und nicht besonders hübsch, mit der gelblichen Gesichtsfarbe der Schnee-Freaks – starrte blicklos zu Boden, und Arctor bemerkte ein Raspeln in ihrer Stimme, wenn sie sprach. Manche Drogen bewirkten das, aber es konnte auch von einer schweren Kehlkopfentzündung herrühren. Da die Fenster kaputt waren, ließ sich das Apartment nicht mehr richtig beheizen.

»Er hat dich zusammengeschlagen.« Arctor stellte die Dose mit Drano auf ein Regal neben einige Porno-Taschenbücher; die meisten davon waren uralt und vom vielen Lesen zerfleddert.

»Tja, er hatte sein Messer nicht dabei, Gott sei Dank. Sein Schnappmesser, das er jetzt immer in einer Scheide am Gürtel trägt.« Kimberly ließ sich in einen schweren Plüschsessel fallen, aus dem die Sprungfedern ragten. »Was willst du, Bob? Ich bin im Arsch, wirklich.«

»Möchtest du, daß er wieder zu dir zurückkommt?«

»Tja –« Sie zuckte ein wenig mit den Achseln. »Wer weiß?«

Arctor ging zum Fenster und schaute hinaus. Dan Mancher würde ganz bestimmt früher oder später wiederauftauchen – das Mädchen war eine Geldquelle, und Dan wußte, daß sie Nachschub brauchen würde, wenn ihr der Stoff ausging. »Wie lange reicht’s noch?« fragte er.

»Einen Tag.«

»Kannst du nicht irgendwoanders was kriegen?«

»Yeah, aber nicht so billig.«

»Was ist mit deiner Kehle los?«

»‘ne Erkältung«, sagte sie. »Von dem Wind, der reinkommt.«

»Du solltest –«

»Wenn ich zum Arzt gehe«, sagte sie, »dann wird er sehen, daß ich kokse. Ich kann nicht hingehen.«

»Ein Arzt würde sich nicht weiter darum kümmern.«

»Aber sicher doch.« Plötzlich schien sie zu lauschen. Da war ein Geräusch – ein Autoauspuff, unregelmäßig und laut. »Ist das Dans Wagen? Ein roter Ford Torino, Modell ‘79?«

Arctor, der immer noch am Fenster stand, schaute hinaus und sah, wie ein zerknautschter roter Torino, aus dessen Doppelrohr-Auspuff dunkler Rauch quoll, auf dem mit Abfall übersäten Parkplatz anhielt; langsam öffnete sich die Fahrertür. »Ja.«

Kimberly verschloß die Tür: zwei Extraschlösser. »Vielleicht hat er jetzt das Messer.«

»Hast du ein Telefon?«

»Nein«, sagte sie.

»Du solltest dir unbedingt eins anschaffen.«

Das Mädchen zuckte die Achseln.

»Er wird dich kaltmachen«, sagte Arctor.

»Nicht jetzt. Du bist ja hier.«

»Aber später, wenn ich wieder weg bin.«

Kimberly setzte sich wieder und zuckte erneut die Achseln.

Nur wenige Augenblicke später konnten sie draußen auf der Treppe Schritte hören und dann ein wildes Hämmern an der Tür. Dann die Stimme Dans, der brüllte, Kimberly solle die Tür öffnen. Sie schrie ein »Nein« zurück, und daß jemand bei ihr sei. »Okay!« schrie Dan mit überschnappender Stimme. »Dann schlitze ich dir eben deine Reifen auf!« Er lief treppabwärts, und Arctor und das Mädchen beobachteten durch das zerbrochene Fenster, wie Dan Mancher, ein magerer, kurzhaariger, tuntig wirkender Macker, der mit einem Messer herumfuchtelte, sich Kimberly s Wagen näherte. Er schrie immer noch Drohungen zu ihr hoch; seine Worte mußten in der ganzen Nachbarschaft zu verstehen sein. »Ich schlitz’ jetzt deine Reifen auf, deine Scheißreifen! Und dann mache ich dich alle, du verfluchte Hure!« Er bückte sich und zerschlitzte erst einen Reifen am alten Dodge des Mädchens, und dann noch einen.

Kimberly sprang plötzlich auf, hetzte zur Tür des Apartments und begann wie wahnsinnig die diversen Schlösser aufzuschließen. »Ich muß ihn aufhalten! Der zerschneidet mir alle Reifen! Ich bin doch nicht versichert!«

Arctor riß sie zurück. »Mein Wagen steht auch da unten.« Natürlich hatte er seinen Revolver nicht bei sich, und Dan hatte das Schnappmesser und war offensichtlich völlig außer Kontrolle. »Reifen sind nicht –«

»Meine Reifen!« Kreischend versuchte das Mädchen, die Tür aufzukriegen.

»Aber merkst du denn nicht, daß er hofft, daß du genau das tust?« sagte Arctor.

»Eine Etage tiefer«, keuchte Kimberly. »Wir können die Polizei rufen – die haben ein Telefon. Laß mich doch los!«

Mit einer schier übermenschlichen Kraftanstrengung stieß sie ihn weg und brachte es irgendwie fertig die Tür aufzubekommen. »Ich werde die Polizei rufen. Meine Reifen! Einer davon ist noch ganz neu!«

»Ich geh’ mit dir.« Er packte sie an der Schulter; sie stolperte vor ihm die Stufen hinunter, und er schaffte es kaum, mit ihr Schritt zu halten. Schon hatte sie das nächste Apartment erreicht und hämmerte gegen die Tür. »Bitte, öffnen Sie!« rief sie. »Bitte, ich möchte die Polizei rufen! Bitte lassen Sie mich doch die Polizei anrufen!«

Arctor holte sie ein, schob sich neben sie und klopfte ebenfalls an. »Wir müssen unbedingt Ihr Telefon benutzen«, sagte er. »Es ist wirklich dringend. Ein Notfall.«

Ein älterer Mann, der eine graue Wolljacke, eine zerknitterte, konservativ geschnittene Hose und eine Krawatte trug, öffnete die Tür.

»Danke«, sagte Arctor.

Kimberly drängte sich in die Wohnung, rannte zum Telefon und wählte die Nummer der Vermittlung. Arctor stand da, zur Tür gewandt, und rechnete jeden Moment damit, daß Dan auftauchen würde. Alles war still, bis auf Kimberlys Plappern. Sie schien dem Fräulein vom Amt eine völlig wirre Geschichte zu erzählen, die irgend etwas mit einem Streit wegen eines Paares Stiefel, das sieben Dollars gekostet hatte, zu tun hatte. »Er meinte, sie würden ihm gehören, weil ich sie ihm zu Weihnachten gekauft hatte«, plapperte sie, »aber sie gehörten mir, weil ich sie doch bezahlt habe, und da wollte er sie mir wegnehmen, und dann habe ich die Schäfte mit einem Dosenöffner zerfetzt, und dann hat er –« Sie verstummte; dann nickte sie. »All right, danke. Ja, ich bleibe dran.«

Der ältliche Mann starrte Arctor an, und Arctor starrte zurück. Vom Nebenzimmer aus verfolgte eine ältliche Dame in einem Kleid aus bedrucktem Kattun stumm die ganze Szene; ihr Gesicht war steif vor Angst.

»Muß schlimm für Sie sein«, sagte Arctor zu den beiden ältlichen Leuten.

»So geht’s die ganze Zeit«, sagte der ältliche Mann. »Wir hören sie die ganze Nacht über, Nacht für Nacht, wie sie sich streiten. Und er sagt dauernd; daß er sie töten will.«

»Wir hätten doch nach Denver zurückgehen sollen«, sagte die ältliche Dame. »Ich hab’s dir wieder und wieder gesagt. Wir hätten wirklich wieder nach Denver ziehen sollen.«

»Diese schrecklichen Streitereien«, sagte der ältliche Mann. »Und wie sie dauernd Sachen kaputtschlagen, und dann der ganze Lärm.« Er starrte Arctor mit einem müden, flehenden Blick an, fast so, als erwarte er Hilfe von ihm oder vielleicht wenigstens ein bißchen Verständnis. »Weiter und weiter, es hört nie auf, und außerdem, was überhaupt das Schlimmste ist …Wissen Sie, jedesmal –«

»Ja, erzähl’ ihm das mal«, drängte die ältliche Dame.

»Was am schlimmsten ist«, sagte der ältliche Mann würdevoll, »ist nämlich Folgendes: Jedesmal, wenn wir nach draußen gehen, um einzukaufen oder einen Brief einzuwerfen, dann treten wir in … na, Sie wissen schon … in das, was die Hunde so hinter sich lassen.«

»Hundekürtel«, sagte die ältliche Dame voller Entrüstung.


*


Der Streifenwagen der örtlichen Polizeistation tauchte auf. Arctor gab seine Zeugenaussage zu Protokoll, ohne sich als Polizeibeamter zu erkennen zu geben. Der Bulle nahm seine Aussage auf und versuchte, auch eine von Kimberly zu bekommen, die die Polizei ja schließlich alarmiert hatte; aber was Kimberly sagte, ergab keinen Sinn. Sie lamentierte nur pausenlos über das Paar Stiefel und warum sie sie besorgt hatte und wie viel sie ihr bedeuteten. Der Bulle, der mit seinem Klemmblock und einem darauf befestigten Formular Kimberly gegenübersaß, blickte einmal zu Arctor auf und betrachtete ihn mit einem kalten Ausdruck, den Arctor zwar nicht deuten konnte, der ihm aber jedenfalls ganz und gar nicht gefiel. Schließlich riet der Bulle Kimberly, sich ein Telefon anzuschaffen und wieder anzurufen, wenn der Verdächtige noch mal zurückkam und noch mehr Ärger machte.

»Haben Sie das mit den aufgeschlitzten Reifen notiert?« erkundigte sich Arctor, als der Bulle gerade wieder gehen wollte. »Haben Sie den Wagen des Mädchens draußen auf dem Parkplatz untersucht und persönlich festgestellt, wie viele Reifen beschädigt worden sind? Steht in Ihrem Protokoll drin, daß die Schäden mit einem scharfen Gegenstand – vermutlich einem Schnappmesser – verursacht worden sind, und zwar erst vor ganz kurzer Zeit – sogar jetzt tritt ja noch Luft aus den Reifen aus?«

Der Bulle starrte ihn wieder mit dem gleichen Ausdruck in den Augen an und ging ohne weiteren Kommentar.

»Du bleibst besser nicht hier«, sagte Arctor zu Kimberly. »Er hätte dir den Rat geben sollen, dich davonzumachen. Hätte dich fragen sollen, ob es irgendeinen anderen Ort gibt, wo du unterkommen könntest.«

Kimberly saß auf der schäbigen Couch in ihrem mit Trümmern übersäten Wohnzimmer. Jetzt, da sie ihre unzulänglichen Bemühungen, dem ermittelnden Beamten ihre Situation darzulegen, eingestellt hatte, waren ihre Augen wieder so glanzlos wie zuvor. Sie zuckte die Achseln.

»Ich fahre dich überallhin, wo du hin möchtest«, sagte Arctor. »Weißt du irgendeine Freundin, bei der du –«

»Mensch, verpiß dich doch endlich!« sagte Kimberly übergangslos mit einer bösen Stimme, die sehr wie die Dan Manchers klang, nur rauher. »Verpiß dich, und zwar auf der Stelle, Bob Arctor – zisch ab, mach ‘ne Fliege, verdammt noch mal. Hau endlich ab!«

Ihre Stimme wurde immer schriller und brach dann verzweifelt ab.

Er verließ wortlos das Apartment und stieg langsam die Treppe hinunter, Stufe um Stufe. Als er die unterste Stufe erreichte, hörte er einen Knall. Etwas rollte hinter ihm die Treppe herunter; es war die Dose mit Drano. Er hörte, wie Kimberly ihre Tür wieder verschloß, einen Riegel nach dem anderen vorschob … Völlig sinnlos, dachte er. Das ist alles völlig sinnlos. Der Ermittlungsbeamte rät ihr, wieder anzurufen, wenn der Verdächtige zurückkommt. Aber wie kann sie das, ohne ihr Apartment zu verlassen? Und dann wird Dan Mancher sie aufschlitzen, genau wie die Reifen. Und wenn sie dann tot umfällt … Plötzlich erinnerte er sich an die Klagen der alten Leutchen, die eine Treppe unter Kimberly wohnten. Ja, wenn sie dann tot umfällt, wird sie bestimmt mitten in einem Häufchen Hundescheiße landen. Er verspürte den Drang in sich, hysterisch loszulachen. Als er daran dachte, in welcher Rangordnung diese alten Leutchen die Probleme in ihrer Umgebung sahen. Da verprügelt zwar eine Etage über ihnen ein ausgeklinkter Freak Nacht für Nacht eine junge Rauschgiftsüchtige, die auf den Strich geht, mit tödlicher Sicherheit eine schwere Kehlkopfentzündung hat und dazu vielleicht noch andere, viel schlimmere Krankheiten; da droht dieser Freak dem Mädchen pausenlos damit, daß er es töten werde – eine Drohung, die er vielleicht schon sehr bald wahrmachen mochte – aber zu allem Überfluß – Als er mit Luckman und Barris zurück Richtung Norden fuhr, kicherte er laut. »Hundescheiße«, sagte er. »Hundescheiße.« Wieviel Humor doch in so einem Stückchen Hundescheiße steckt, dachte er, wenn man nur darüber lachen kann. Oh, wie lustig ist doch Hundescheiße!

»Du solltest lieber die Spur wechseln und den Überlandlaster da überholen«, sagte Luckman. »Der Lahmarsch kommt ja kaum von der Stelle.«

Arctor ordnete sich in die linke Spur ein und beschleunigte. Aber dann, als er den Fuß vom Gas nahm, sackte das Pedal urplötzlich bis auf die Bodenmatte durch. Gleichzeitig heulte der Motor wütend auf, und der Wagen schoß wild mit gewaltiger Geschwindigkeit vorwärts.

»Langsamer!« sagten Luckman und Barris wie aus einem Mund.

Inzwischen hatte der Wagen fast 160 Stundenkilometer erreicht; vor ihnen tauchte verschwommen ein VW-Lieferwagen auf. Das Gaspedal blieb tot; es kam nicht wieder hoch, sondern blieb einfach unten. Sowohl Luckman, der neben Arctor saß, als auch Barris hinten auf dem Rücksitz rissen instinktiv die Arme hoch. Arctor kurbelte wie wild am Lenkrad und schoß an dem VW-Lieferwagen vorbei nach links, hinein in eine unglaubliche winzige Lücke vor einem heranjagenden Corvette. Der Corvette hupte, und sie hörten seine Bremsen quietschen. Jetzt schrien Luckman und Barris irgendwas; Luckman griff plötzlich zur Fahrerseite hinüber und stellte die Zündung ab. Zugleich schaltete Arctor das Automatikgetriebe auf die Nullstellung. Der Wagen wurde langsamer; Arctor bremste ihn ab und lenkte ihn auf die rechte Spur und weiter auf den Randstreifen. Nun, da der Motor abgeschaltet war und auch im Getriebe keine Kraftübertragung mehr stattfand, rollte der Wagen langsam aus und kam zum Stehen.

Der Corvette, der schon fast außer Sicht war, hupte immer noch entrüstet. Und jetzt rollte der riesige Überlandlaster an ihnen vorbei und ließ für einen taub machenden Augenblick sein eigenes Warnhorn ertönen.

»Was, zum Teufel, ist passiert?« sagte Barris.

Seine Hände und seine Stimme und überhaupt alles an ihm zitterte, als Arctor sagte: »Die Feder vom Gaszug. Muß festgehakt oder abgebrochen sein.« Er wies nach unten. Sie alle blickten auf das Pedal, das immer noch flach auf dem Boden lag. Der Motor war bis zur größtmöglichen Umdrehungszahl auf Touren gekommen, was für den Wagen wirklich beachtlich war. Arctor wußte nicht, wie schnell der Wagen zum Schluß gewesen war; der Tacho hatte die erreichte Geschwindigkeit gar nicht mehr anzeigen können. Bestimmt viel mehr als 160 Kilometer, dachte Arctor. Und plötzlich begriff er, daß der Wagen auch nicht langsamer geworden war, als er reflexartig auf die Bremse gestiegen war.

Schweigend stiegen sie alle drei aus und öffneten die Motorhaube. Weißer Rauch stieg von dem mit einem dünnen Ölfilm bedeckten Motor auf, und aus dem Kühlsystem sprühte fast kochend heißes Wasser.

Luckman beugte sich über den heißen Motor und zeigte auf etwas. »Die Feder ist nicht kaputt«, sagte er, »sondern die Verbindung vom Pedal zum Vergaser. Seht ihr? Sie ist auseinandergefallen.« Der lange Verbindungsstab lag nutzlos da, obwohl die Kopplungsringe noch an der richtigen Stelle waren. »Darum ist das Gaspedal nicht wieder zurückgeschnellt, als du den Fuß weggenommen hast. Aber –« Er sah sich den Vergaser eine Zeit lang genauer an und runzelte dann die Stirn.

»Da gibt es doch eine mechanische Sicherung am Vergaser«, sagte Barris und zeigte grinsend seine Zähne, die aussahen, als seien sie künstlich. »So ein System, das einspringt, wenn das Verbindungsgestänge auseinandergeht –«

»Aber warum ist es denn überhaupt auseinandergegangen?« unterbrach ihn Arctor. »Sollte dieser Ring hier nicht die Schraubenmutter an Ort und Stelle halten?« Er strich an dem Gestänge entlang. »Wie konnte es denn einfach so abfallen?«

Als hätte er Arctors Einwand gar nicht gehört, fuhr Barris fort: »Wenn – aus welchem Grund auch immer – diese Verbindung hier nachgibt, dann müßte sich der Motor eigentlich von selbst auf Leerlauf umstellen. Als Sicherheitsfaktor. Aber statt dessen hat sich die Drehzahl immer mehr erhöht.« Er verdrehte sich wie eine Schlange, um einen besseren Blick auf den Vergaser zu haben. »Diese Schraube hier hat sich vollständig herausgedreht«, sagte er. »Ich meine, die Schraube, die im Notfall bewirkt, daß sich der Motor auf Leerlauf schaltet. Und als das Gestänge auseinanderfiel, hat der Abschalter deshalb das genaue Gegenteil bewirkt – die Umdrehungszahl ist nicht gesunken, sondern immer noch mehr angestiegen.«

»Wie hat das passieren können?« sagte Luckman laut. »Besteht die Möglichkeit, daß sich eine solche Schraube von selbst ganz herausdreht, so weit wie in diesem Fall? Rein zufällig?«

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, holte Barris sein Taschenmesser hervor, klappte die kleine Klinge heraus und fing an, die Leerlauf-Regler-Schraube wieder festzuschrauben. Er zählte laut mit. Zwanzig Umdrehungen, dann erst saß die Schraube wieder fest. »Um diese Vorrichtung, die aus dem Haltering und der Schraubenmutter besteht und das Verbindungsgestänge zum Gaspedal zusammenhält, loszumachen«, sagte er, »würde man Spezialwerkzeuge benötigen. Etliche sogar. Ich würde schätzen, daß es so ungefähr eine halbe Stunde dauern wird, um das hier wieder hinzukriegen. Ich habe allerdings alle dazu nötigen Werkzeuge in meiner Werkzeugkiste.«

»Deine Werkzeugkiste steht bei uns zu Hause«, sagte Luckman.

»Ja.« Barris nickte. »Dann werden wir uns eben eine Tankstelle suchen müssen, wo wir uns entweder Werkzeuge leihen oder aber einen Abschleppwagen anfordern können. Ich würde vorschlagen, daß wir die Mechaniker aus der Werkstatt hierher holen, damit sie den Wagen gründlich überprüfen können, bevor wir wieder damit fahren.«

»Hey, Mann«, sagte Luckman laut, »war das nun eigentlich ein Zufall, oder hat jemand absichtlich am Motor rumgespielt? Genau wie bei Bobs Cephskop?«

Barris dachte angestrengt nach, wobei er immer noch sein verschlagenes, klägliches Lächeln zeigte. »Dazu kann ich nichts Definitives sagen. Sabotage an einem Wagen, böswillige Manipulationen, um einen Unfall herbeizuführen … « Er starrte Arctor an, die Augen unsichtbar hinter der grünen Sonnenbrille verborgen. »Wir wären fast drauf gegangen. Wenn dieser Corvette auch nur ein kleines bißchen schneller gewesen wäre … Da hat ja kaum noch ‘ne Briefmarke dazwischengepaßt. Du hättest die Zündung sofort abstellen sollen, als du gemerkt hast, was los war.«

»Ich hab’ die Automatik auf Leerlauf geschaltet«, sagte Arctor. »Sofort, als ich bemerkt hab’, daß da was nicht in Ordnung war. Aber ich hab’ im ersten Augenblick gar nicht geschnallt, was eigentlich passiert war.« Er dachte: Wenn es die Bremsen gewesen wären, wenn das Brems­pedal unten geblieben wäre, dann hätt ich’s eher kapiert. Dann hätte ich gewußt, wie ich reagieren mußte. Aber das … das war irgendwie abartig.

»Das hat jemand absichtlich gemacht«, sagte Luckman laut. Er wirbelte wütend herum und ließ die Fäuste ziellos durch die Luft sausen. »SO EINE ABGEWICHSTE SCHEISSE! Wir wären fast dran gewesen! Verdammte Scheiße, fast hätten sie uns erwischt!«

Barris stand am Rand des Freeway, auf dem pausenlos der dichte Verkehr vorbeidröhnte, und nahm eine kleine Schnupftabakdose aus Schildpatt heraus, die bis obenhin mit T-Tabletten gefüllt war. Er schluckte etliche davon, hielt die Dose Luckman hin, der nur ein paar Tabletten nahm, und wollte sie dann an Arctor weiterreichen.

»Vielleicht ist es gerade das, was uns langsam kirre macht«, sagte Arctor gereizt und weigerte sich, die Dose anzunehmen. »Was unsere Gehirne so versaut.«

»Dope kann keine Verbindungsgestänge und keine mechanischen Sicherungen losschrauben«, sagte Barris, der die Schnupftabakdose immer noch Arctor hinhielt. »Am besten nimmst du wenigstens drei davon – sie sind Primo, aber mild. Mit ein bißchen Meth verschnitten.«

»Tu endlich die verdammte Dose weg«, sagte Arctor. Er spürte, wie in seinem Kopf laute Stimmen sangen: eine schreckliche Musik, als wäre die Wirklichkeit um ihn plötzlich vergoren. Die dahinschießenden Wagen, die beiden Männer, sein eigener Wagen mit der offenstehenden Motorhaube, der Smoggeruch, das grelle, heiße Mittagslicht – das alles war irgendwie ranzig, fast so, als sei seine ganze Welt durch und durch in Fäulnis und Verwesung übergegangen. Diese seltsame Veränderung wirkte nicht eigentlich bedrohlich, und sie flößte Arctor auch keine Furcht ein, aber es machte ihn regelrecht krank, daß alles, was er sah, hörte und roch, nach Moder stank. Er schloß die Augen und erschauerte.

»Was riechst du?« fragte Luckman. »Ein Hinweis, Mann? Irgend ein Geruch vom Motor, der –«

»Hundescheiße«, sagte Arctor. Er konnte sie riechen, und der Gestank kam direkt aus dem Motorblock. Er beugte sich vor und schnüffelte. Ja, hier war der Geruch ganz deutlich; er wurde immer stärker. Abartig, dachte er. Ein echter Horror. »Riecht ihr die Hundescheiße?« fragte er Barris und Luckman.

»Nein«, sagte Luckman und musterte Arctor scharf. Zu Barris sagte er: »Waren irgendwelche Psychedelics im Dope?«

Barris lächelte und schüttelte den Kopf.

Als Arctor sich über den heißen Motor beugte, den Geruch von Hundescheiße immer noch in der Nase, begriff er auf einmal, daß dies eine Illusion war; es gab gar keinen Hundescheiße-Geruch. Aber trotzdem roch er sie immer noch. Und jetzt sah er überall auf dem Motorblock, besonders unten bei den Zündkerzen, schmierige, dunkelbraune Flecken – eine widerwärtige Substanz. Öl, dachte er. Ausgelaufenes Öl. Da muß eine Dichtung kaputt sein. Aber er mußte mit der Hand hinfassen und die Substanz berühren, um sich dessen zu versichern, um das, was sein Verstand ihm sagte, zu bekräftigen. Seine Finger berührten die klebrigen braunen Flecken und zuckten dann instinktiv zurück. Er hatte mit den Fingern in Hundescheiße gepackt. Auf dem ganzen Motorblock und auf allen Kabeln war ein dicker Überzug von Hundescheiße. Dann nahm er plötzlich wahr, daß die Hundescheiße auch auf dem Luftfilter war, und als er aufblickte, entdeckte er sie auch an der Unterseite der Motorhaube. Der Gestank überwältigte ihn. Er schloß die Augen und erschauerte.

»Hey, Mann«, sagte Luckman scharf und packte den schwankenden Arctor an der Schulter, damit er nicht umfiel. »Du hast einen Flashback, nicht wahr?«

»Freikarten fürs Theater», stimmte Barris zu und kicherte.

»Du setzt dich besser hin«, sagte Luckman. Er geleitete Arctor zurück zum Fahrersitz und bugsierte ihn hinein. »Mann, du bist ja echt weggetreten. Bleib nur ganz ruhig da sitzen. Keine Panik. Wir leben doch alle noch, und jetzt sind wir ja gewarnt.« Er schloß die Wagentür hinter Arctor. »‘s is’ alles in Butter, klar?«

Barris tauchte am Wagenfenster auf und sagte: »Möchtest du ein Stückchen Hundescheiße. Bob? Zum Draufrumkauen?«

Arctor verspürte tief in seinem Innern eine ungeheure Kälte. Er öffnete die Augen und starrte Barris an, aber dessen grünverglaste Augen waren völlig ausdruckslos. Hat er das wirklich gesagt? dachte Arctor. Oder hat mein Kopf das nur erfunden? »Was, Jim?« sagte er.

Barris begann zu lachen. Und lachte und lachte und lachte.

»Laß ihn in Ruhe, Mann«, sagte Luckman und versetzte Barris einen Schlag auf den Rücken. »Los, verpiß dich, Barris.«

»Was hat er gerade eben gesagt?« erkundigte Arctor sich bei Luckman. »Verdammt noch mal, was genau hat er zu mir gesagt?«

»Ich weiß nicht«, sagte Luckman. »Ich verstehe sowieso nicht mal die Hälfte von dem, was Barris alles zu den Leuten sagt.«

Barris lächelte immer noch, hielt aber jetzt den Mund.

»Du gottverdammtes Arschloch«, sagte Arctor zu ihm. »Ich weiß, daß du’s gewesen bist. Du hast erst mein Cephskop und jetzt auch noch den Wagen kaputtgemacht, du Drecksau. Du hast’s getan, du dreckiger kleiner Bastard.« Er konnte seine Stimme selbst kaum hören, aber als er dem lächelnden Barris diese Anklage entgegenbrüllte, wurde der schreckliche Gestank von Hundescheiße stärker. Er gab seine sinnlosen Sprechversuche auf, klammerte sich am jetzt nutzlosen Lenkrad seines Wagens fest und konzentrierte sich ganz darauf, nicht endgültig umzukippen. Gott sei Dank ist Luckman mitgefahren, dachte er. Wenn er nicht da gewesen wäre, dann wäre ich jetzt endgültig weg vom Fenster. Game over, und das hätte ich diesem übergeschnapptem Schleimscheißer zu verdanken, dieser Tunte, die mit mir unter einem Dach wohnt.

»Keine Panik, Bob«, drang Luckmans Stimme durch die endlosen Wellen von Übelkeit zu ihm durch.

»Ich weiß genau, daß er’s getan hat«, sagte Arctor.

»Aber warum, zum Teufel noch mal?« schien Luckman zu sagen (oder versuchte er nur, das zu sagen?). »Er hätte sich doch auf diese Art selbst mit plattgemacht. Warum, Mann? Warum?«

Der Geruch, der von dem immer noch lächelnden Barris ausströmte, überwältigte Bob Arctor, und er erbrach sich auf das Armaturenbrett seines eigenen Wagens. Tausend dünne Sümmchen zwitscherten los, strömten auf ihn ein, und endlich ließ der Gestank nach. Tausend dünne, fremdartige Stimmen, die nach ihm riefen; er verstand nicht, was sie ihm sagen wollten, aber wenigstens konnte er jetzt wieder etwas sehen, und der Gestank, dieser entsetzliche Gestank, war nun ganz verschwunden. Arctor zitterte und griff nach dem Taschentuch in seiner Hosentasche.

»Was war in diesen Tabletten, die du uns gegeben hast?« fragte Luckman herausfordernd den lächelnden Barris.

»Zum Teufel, ich hab’ doch selber ein paar eingepfiffen«, sagte Barris, »und du auch. Und wir hatten keine schlechten Trip. Also lag’s nicht am Dope. Und außerdem ist es viel zu schnell losgegangen. Wie hätte es denn am Dope liegen können? Der Magen kann das doch in der kurzen Zeit gar nicht absorbieren, und –«

»Du hast mich vergiftet«, sagte Arctor wild. Sein Blick war fast klar, und auch sein Geist klärte sich langsam wieder. Nur die Angst, die sich jetzt, da der Anfall von Wahnsinn vorüber war, als Reaktion auf die Ereignisse der letzten Minuten eingestellt hatte – diese Angst wollte nicht weichen. Arctor hatte Angst, wenn er an das dachte, was fast passiert wäre, Angst, schreckliche Angst vor dem lächelnden Barris und seiner Scheiß-Schnupf­tabakdose und vor dem Irrsinn, der aus seinen Erklärungen und seinen Äußerungen und seinem Verhalten und seinen Gewohnheiten und seinen privaten Ritualen und aus seinem klammheimlichen Kommen und Gehen sprach. Und da waren noch der anonyme Telefonanruf, mit dem Robert Arctor bei der Polizei denunziert worden war, und die zusammengefutschelte elektronische Abschirmung, die immerhin gut genug funktioniert hatte, um die Stimme des Anrufers unkenntlich zu machen. Und auch dahinter konnte nur Barris stecken.

Bob Arctor dachte: Der Scheißkerl will mich fertigmachen.

»Ich hab’ noch nie jemanden so schnell ausflippen sehen wie gerade Bob«, sagte Barris, »aber andererseits –«

»Bist du jetzt wieder okay, Bob?« sagte Luckman. »Wir werden die Kotze wegmachen, keine Sorge. Leg dich besser auf den Rücksitz.«

Er und Barris öffneten gemeinsam die Wagentür; Arctor, der immer noch ganz betäubt war, stieg unsicher aus. Luckman wandte sich an Barris. »Du bleibst also dabei, daß du ihm nichts untergejubelt hast?«

Barris wedelte protestierend mit den Händen in der Luft herum.


Загрузка...