4. Kapitel - Vergangenheit


18. August 1998

»Na? Endlich wach?« Mikes Finger krochen auf ihr Gesicht zu, machten sich einen Moment lang an ihrem Hals zu schaffen und versuchten sich einen Weg unter die Decke zu graben, zogen sich dann aber blitzschnell zurück, als sie spielerisch danach schlug.

Charity war viel zu müde, um zu treffen; außerdem wollte sie das auch gar nicht.

»Lass mich in Ruhe«, murmelte sie, das Gesicht halb unter der Decke vergraben. »Wenn du überschüssige Energien hast, dann steh auf und mach Kaffee.«

Mike runzelte in übertrieben geschauspielerter Enttäuschung die Stirn. »Du bist prüde«, behauptete er.

»Nein«, gab Charity gähnend zurück. »Müde. Ich habe seit zehn Jahren nicht geschlafen.« Sie lauschte einen Moment auf das Schweigen, das ihr antwortete.

Es war das erste Mal seit Wochen, dass sie nicht durch Stimmen oder ein Klopfen an der Tür oder das Schrillen des Telefons geweckt wurde; das erste Mal, dass sie einfach aufstehen und sich anziehen konnte, ohne Angst haben zu müssen, vom Dach des gegenüberliegenden Hauses herab gefilmt zu werden. Im stillen dankte sie Gott, dass er das fremde Raumschiff geschickt hatte.

Ruhm konnte zu einer Last werden. Vor allem, wenn man ihn gar nicht wollte.

Sie bemerkte, dass Mike tatsächlich aufgestanden war und sich in der Küche zu schaffen machte. Verschlafen hob sie den Kopf, blinzelte auf die Armbanduhr und registrierte ohne besondere Überraschung, dass sie länger als zwölf Stunden geschlafen hatte.

Trotzdem fühlte sie sich alles andere als ausgeruht.

Einen Moment lang genoss sie es noch, einfach so dazuliegen und sich in die Wärme der zerknautschten Bettwäsche zu kuscheln, dann stand sie widerwillig auf, schlurfte ins Bad und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, unter den eiskalten Strahlen der Dusche vollends wach zuwerden.

Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee zog durch die kleine Wohnung, als sie in die Küche ging. Mike hatte nicht nur Kaffee gemacht, sondern ein üppiges Frühstück vorbereitet. Charity verspürte wenig Appetit, aber sie lächelte trotzdem dankbar.

Sie setzte sich und runzelte die Stirn, als sie bemerkte, wie Mike sie mit Blicken förmlich auszog.

»Jetzt wird gefrühstückt«, sagte sie bestimmt.

»Ich hätte eine bessere Idee.«

»Lustmolch«, erwiderte Charity betont sachlich.

»Was willst du?« sagte er. »Ich habe ein gewisses Nachholbedürfnis. Immerhin habe ich dich die letzten zehn Wochen nur im Raumanzug oder auf Bildern gesehen.«

»Und das war anscheinend schon zu viel«, seufzte Charity. »Ich hätte dir doch irgendein schleimiges Sternenmonster von Bord des Schiffes mitbringen sollen. Außerdem - was willst du? Wir waren fast sechs Wochen ununterbrochen zusammen.«

»Aber nicht allein.« Mike zog eine Grimasse. »Und schon gar nicht unbeobachtet, oder?«

Charity lächelte.

»Ach, die paar Kameras. Wir hätten uns eine goldene Nase verdienen können, wenn wir Tantiemen für die Filme bekommen hätten.«

Sie nippte an ihrem Kaffee und wollte eine weitere spöttische Bemerkung hinzufügen, aber in diesem Moment schrillte die Türglocke.

Mike fuhr erschrocken zusammen. Einen Moment lang blickte er sie fragend an, dann verschwand die gute Laune geradezu schlagartig von seinem Gesicht.

»Wenn das wieder so ein beschissener Reporter ist ...«

Es klingelte erneut, und diesmal hielt der unbekannte Besucher den Finger auf dem Klingelknopf. Mike wollte aufspringen, aber Charity hielt ihn mit einem raschen Kopfschütteln zurück, schloss ihren Morgenrock und stand auf. Das Schrillen der Klingel brach nicht ab, während sie zur Tür ging, sondern schien noch aufdringlicher und drängender zu werden.

Charity machte sich nicht einmal die Mühe, durch den Spion zu blicken, sondern riss die Tür mit einem Ruck auf und setzte zu einer alles anderen als freundlichen Begrüßung an.

Aber vor der Tür stand kein Reporter, sondern ein schlanker junger Mann in der blauen Uniform der Space-Force.

»Captain Laird?« fragte der Lieutenant.

Charity nickte. Ihr Gegenüber zog einen Dienstausweis aus der Brusttasche, hielt ihn eine halbe Sekunde lang in die Höhe und machte dann eine vage Kopfbewegung.

»Man hat mir gesagt, dass ich Lieutenant Wollthorpe bei Ihnen finde. Ist das richtig?«

»Geht Sie das etwas an?« fragte Charity freundlich.

»Im Prinzip nicht«, gestand ihr Gegenüber. »Aber ich muss Sie bitten, mich zu begleiten. Beide.«

»Was ist passiert?«

Charity sah flüchtig auf. Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass Mike ihr nachgekommen war. Der Space-Force-Lieutenant schüttelte andeutungsweise den Kopf.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete er. »Ich habe nur den Befehl, Sie abzuholen. Beide. Und schnell - bitte.«

Mike setzte zu einer Antwort an, beließ es aber dann bei einem Achselzucken und drehte sich ohne ein weiteres Wort um, und nach einer Weile folgte ihm auch Charity. Sie beide kannten den Ton in der Stimme des jungen Lieutenants zu gut, um nicht zu wissen, dass es wirklich dringend war. Und sie hatten ein zehnwöchiges Martyrium hinter sich - Becker würde sie kaum wegen einer Lappalie nach drei Tagen aus ihrem wohlverdienten Urlaub rufen.

Sie machte sich nicht Mühe, den Lieutenant hereinzubitten, aber kaum drei Minuten später traten Mike und sie - komplett und vorschriftsmäßig in ihre Uniformen gekleidet - wieder zu ihm heraus. Schweigend folgten sie ihm in den Aufzug.

Sie fuhren nicht nach unten, wie sie erwartet hatte, sondern nach oben, auf das Dach des Apartmenthauses hinauf, auf dem ein Helijet mit laufendem Motor auf sie wartete - ein Jetcopter, der gut zweifache Schallgeschwindigkeit machte und alles andere als unauffällig war. Commander Becker würde sie kaum mit einer solchen Maschine abholen lassen, nur um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen, dachte sie. Trotzdem sagte sie kein Wort, sondern folgte dem Lieutenant geduckt bis zum Einstieg. Eine Hand streckte sich ihr entgegen und zog sie reichlich unsanft ins Innere der Maschine. Der Helijet hob ab, kaum dass Mike und der junge Lieutenant ihr gefolgt waren.

Verwirrt blickte sie aus dem Fenster und sah, wie die Dächer New Yorks unter ihr in die Tiefe stürzten. Was der Pilot der Maschine hier vollführte, war erstens vorschriftswidrig und zweitens nichts anderes als ein Alarmstart.

Mike setzte sich neben sie, und sie bemerkte erst jetzt, dass sie nicht mehr allein waren - der junge Lieutenant, der sie abgeholt hatte, hatte auf der gepolsterten Bank ihr gegenüber Platz genommen; sein Gesicht wirkte nicht mehr ganz so verkrampft wie zuvor.

»Das Schiff?« fragte sie.

Der Lieutenant zuckte zusammen und nickte dann. »Woher wissen Sie das?«

Charity lächelte. »Vielleicht weibliche Intuition. Vielleicht«, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu, »auch nur ein Schuss ins Blaue. Sie sollten nicht sofort alles gestehen, nur weil jemand rein zufällig die Wahrheit erraten hat, Lieutenant.«

»Was soll das?« raunte Mike. »Musst du den armen Kerl so in Verlegenheit bringen?«

»Ja«, antwortete Charity, so laut, dass ihr Gegenüber die Worte garantiert mitbekam - er sollte es auch. »Schließlich hat er mir den Urlaub verdorben.«

»Der Befehl kam von ganz oben«, erwiderte der Lieutenant verlegen.

»Und wohin geht die Reise jetzt?« fragte Charity.

»Ins Pentagon«, antwortete der Lieutenant. »Und mehr«, fügte er hinzu, »darf ich Ihnen im Moment nicht sagen, Captain. Ich könnte es nicht einmal, wenn ich wollte.«

Charity unterdrückte ein Lächeln. Sie begriff, dass Mike recht hatte: Sie brachte den armen Burschen in Verlegenheit, und er konnte wahrscheinlich am allerwenigsten dafür. Man hatte ihm nur die undankbare Aufgabe zugeteilt, sie und Mike zu holen. Was war mit den anderen Mitgliedern ihrer Crew?

Auf ihre Frage erntete sie ein abermaliges Achselzucken. »Ich habe nur den Befehl, Sie und Lieutenant Wollthorpe abzuholen. Aber ich glaube ja - die ganze Crew.«

Charity war nicht sehr überrascht. Es hätte wenig Sinn ergeben, nur sie und Mike zurückzupfeifen - es gab nichts, was sie oder er allein und ohne die anderen erlebt hatten.

Sie lehnte sich im Sitz zurück, schloss die Augen und verschlief den Rest des Fluges. Sie erwachte erst wieder, als der Helijet auf dem Dach des Pentagons landete, wo sie von einer ganzen Abteilung bewaffneter, aber sehr schweigsamer Soldaten in Empfang genommen wurden. Ihrer und Mikes Ausweis wurden pedantisch überprüft. Erst dann gestattete man ihnen, sich zusammen mit den Wachsoldaten in einen winzigen Aufzug zu quetschen und das Allerheiligste zu betreten.

Die Fahrt nach unten dauerte sehr lange - entweder, der Aufzug war ein gutes Stück langsamer, als sie angenommen hatte, oder die Reise ging ein gutes Stück unter die Erde. Nach einer Ewigkeit hielt die kleine Kabine an, und Charity atmete erleichtert auf.

Sie sah sich mit unverhohlener Neugierde um, während Mike und sie den Soldaten durch die nur trüb beleuchteten Gänge folgten.

Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte - die Wände waren fensterlos und kahl, in blassen Pastellfarben gestrichener Beton ohne irgendwelche Beschriftungen, an den Türen lediglich Zahlen, und in der Luft lag nur das Summen der Klimaanlage.

Hastig rekapitulierte sie noch einmal alles, was sie über das Sternenschiff wusste.

Viel war es nicht; aber das lag wohl eher daran, dass niemand viel über diese riesige Scheibe aus der Galaxis wusste, nicht einmal das Wissenschaftlerteam, das seit zwei Wochen damit beschäftigt war, sie Millimeter für Millimeter zu untersuchen. Und es kam hinzu, dass sie in den letzten Wochen eine heftige Abneigung gegen dieses Thema entwickelt hatte. Andererseits war es schlichtweg unmöglich, nichts über das Sternenschiff zu hören. Es gab seit Wochen nur noch ein Thema in den Medien.

Nach einer schier endlosen Odyssee durch meilenlange menschenleere Korridore erreichten sie ihr Ziel: eine weitere, unscheinbare Tür, vor denen ihre Führer stehen blieben und ihnen wortlos bedeuteten, einzutreten.

Sie war nicht sonderlich überrascht, mit Ausnahme Bellingers die gesamte Crew der CONQUEROR vorzufinden - einschließlich Soerensens -, und sie war auch nicht besonders erstaunt, das markante Gesicht Commander Beckers zu erblicken, was im übrigen nichts Gutes verhieß; wo Becker auftauchte, gab es Ärger.

Womit sie aber nicht gerechnet hatte, war der Anblick des schlanken, nicht sehr hochgewachsenen Mannes am Kopfende des Tisches. Sie war ihm niemals zuvor begegnet. Natürlich. Jeder kannte das Gesicht des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

»Wenn Sie sich wieder gefasst haben, Captain Laird«, sagte Becker halblaut, »dann schließen Sie bitte die Tür und setzen sich.«

Charity fuhr zusammen, merkte erst jetzt, dass sie tatsächlich mitten im Schritt erstarrt war und den Präsidenten unverwandt anstarrte, und schloss hastig die Tür hinter sich. Sie wollte salutieren, aber Becker winkte unwillig ab und deutete auf einen der wenigen freigebliebenen Stühle. Charity setzte sich. Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen.

»Was ist passiert?« fragte sie knapp.

Der Präsident lächelte flüchtig, während Becker sie eindeutig missbilligend ansah, aber nicht antwortete, sondern demonstrativ auf seine Armbanduhr blickte.

Charity fiel auf, dass es nur noch einen einzigen freien Stuhl am Tisch gab. Offensichtlich war ihre Runde noch nicht komplett.

Sie sah sich um, begrüßte Niles, Landers und Soerensen mit einem raschen Kopfnicken und stellte mit wachsender Beunruhigung fest, wie hochkarätig die Besatzung dieses unterirdischen Konferenzraumes war - mit Ausnahme der ehemaligen CONQUEROR-Crew schien es niemanden hier drinnen zu geben, der nicht mindestens zwei Sterne auf den Schultern trug. Allermindestens. Was zum Teufel war passiert?

Sie warf Soerensen einen fragenden Blick zu, erntete aber nur ein Achselzucken. Der Wissenschaftler wusste so wenig wie sie. Sein Gesicht wirkte sehr ernst. Er rauchte, und seine Finger hatten die Zigarette fast zerdrückt, ohne dass er es überhaupt zu bemerken schien.

Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Hinterher begriff sie überrascht, dass sie weniger als fünf Minuten auf den Mann gewartet hatten, für den der letzte Stuhl reserviert war, aber sie wurden zu einer Ewigkeit. Und als er dann kam, war Charity nicht die einzige, die überrascht zusammenfuhr und ihn anstarrte.

Der Mann war grauhaarig; sein Alter konnte sie kaum schätzen.

Er hatte ein verschlossenes Gesicht und Hände, die feingliedrig wie die eines Chirurgen waren und nicht zu seiner übrigen Erscheinung passen wollten. Wie Becker und die meisten anderen im Raum trug er Uniform, und auf seinen Schultern protzten gleich vier Sterne - aber es gab noch etwas, was ihn von Commander Becker und den anderen unterschied: Seine Uniform war hellbraun, und sowohl auf seiner Mütze als auch auf dem Kragen der dazu passenden Jacke leuchteten kleine, blutrote Sowjetsterne.

Becker stand auf, als der Russe hereinkam. Er lächelte, aber der Blick, den er den anderen dabei zuwarf, enthielt eindeutig eine Warnung. Wortlos eilte er ihrem Besucher entgegen, geleitete ihn zu seinem Stuhl und hastete dann zu seinem eigenen Platz zurück.

»Meine Herren«, begann er. »Madame ...« Das galt nur Charity, denn sie war die einzige Frau im Zimmer. »...ich muss Sie nicht extra darauf hinweisen, dass dieses Gespräch und alles, was Sie vielleicht anschließend erfahren sollten, absoluter Geheimhaltung unterliegt.«

Er hält sich nicht einmal mit einer Begrüßung auf, dachte Charity verwundert. Was um Gottes willen ist passiert?!

»Und um allen Spekulationen vorzubeugen«, fuhr Becker fort, »General Demisow ist auf ausdrücklichen Wunsch des Präsidenten der Vereinigten Staaten hier, sowohl als Beobachter als auch als Repräsentant seiner Regierung. Bitte sparen Sie sich also irgendwelche überflüssige Fragen.« Er legte eine kleine Kunstpause ein, nickte noch einmal in Demisows Richtung und fuhr fort: »Die meisten von Ihnen werden ahnen, worum es geht - vor allem, da ja wohl jeder hier Captain Laird und ihre Crew kennen dürfte.«

»Das Sternenschiff«, sagte Mike überflüssigerweise. »Was ist passiert?«

Becker bedachte ihn mit einem strafenden Blick. Aber er antwortete trotzdem.

»Das wissen wir nicht. Noch nicht. Wir sind hier, um es herauszufinden.« Er starrte einen Moment lang an Mike vorbei ins Leere und seufzte hörbar. Plötzlich sah er sehr alt aus, fand Charity.

Und sehr müde.

Becker sprach nicht weiter, wie sie alle erwartet hatten, sondern setzte sich wieder und hob die linke Hand. »Den Film, bitte.«

Eine unsichtbare Hand am Ende einer ebenfalls unsichtbaren Mikrofonverbindung legte ein paar Schalter um, und für eine Sekunde senkte sich tiefe Dunkelheit über den Raum. Charity streckte unwillkürlich die Hand nach Mikes Fingern aus und war plötzlich sehr froh, ihn in der Nähe zu wissen. Sie hatte Angst.

Als die riesige Videowand hinter Becker eine halbe Sekunde später aufleuchtete, zeigte sie nichts, was diese Angst irgendwie begründet hätte, sondern nur ein Bild, das vielleicht ungewöhnlich war, seit ein paar Wochen aber über jeden Bildschirm der Welt flimmerte: das Schiff, eine grausilberne, zerschrammte Stahlkappe, die wie über den Nordpol gestülpt zu sein schien. Der Schnee, den seine feuerumtoste Landung geschmolzen hatte, war längst wiedererstarrt und zu einem flachen See aus Eis geworden, auf dem die Zelte und Fertigbau-Iglus der verschiedenen Forscherteams standen. Ein ganzer Schwärm riesiger Lastenhubschrauber umkreiste den stählernen Koloß, aber sie sahen aus wie kleine Libellen aus Metall; Zwerge gegen den leblosen Giganten, der aus den Tiefen des Kosmos auf den Nordpol herabgestürzt war.

Gegen ihren Willen spürte Charity wieder eine fast unangenehme Erregung, als sie das Sternenschiff sah. Der Anblick an sich war absurd: In den letzten drei Wochen hatten eine Unzahl amerikanischer, russischer, englischer, französischer, deutscher und einiger anderer Forscherteams die stählerne Scheibe untersucht, und sie alle waren zu einem Schluss gekommen, der die Euphorie ein wenig gedämpft hatte, in die das Erscheinen des Schiffes die Welt stürzen wollte: Das Schiff war kein technisches Wunderwerk. Es war primitiv, seine Technik in großen Teilen sehr viel einfacher konstruiert und gebaut als vergleichbare irdische Maschinen. Und es war auf eine Weise gelandet, die geradezu haarsträubend erschien: Wie ein flach geworfener Stein war es auf die Erdatmosphäre geprallt, nachdem es bei seinem Rundflug um die Sonne offensichtlich einen Großteil seiner Geschwindigkeit aufgezehrt hatte, als weißglühender Meteor sieben-, acht-, neunmal von der Lufthülle der Erde zurückgefedert und schließlich tiefer gesunken.

Die riesigen Raketenmotoren in seinem Rumpf hatten nicht ein einziges Mal gezündet.

Das Ding war einfach wie eine unglaublich große Frisbee-Scheibe durch die Atmosphäre gerauscht, wobei sich seine Unterseite in weißglühenden Schrott verwandelt hatte.

Charity verstand eine Menge von Navigation, aber sie weigerte sich einfach, die bloße Möglichkeit zu akzeptieren, dass man eine Landung wie diese vorausberechnen konnte.

Beckers Stimme riss sie in die Wirklichkeit des Konferenzsaales zurück. Er hatte lange genug gewartet, sie alle noch einmal das Bild des Sternenschiffes betrachten und in sich aufnehmen zu lassen. Als er weitersprach, klang seine Stimme anders als zuvor...

»Sie alle kennen diese Aufnahmen«, sagte er. »Sie sind einen Tag alt - dreiundzwanzig Stunden, um genau zu sein. Was Sie jetzt sehen werden, ist eine Satellitenaufnahme, nicht ganz dreißig Minuten alt.«

Wieder hob er die Hand, und das Bild wechselte.

Im ersten Moment erkannte Charity kaum einen Unterschied. Das Bild war nicht mehr dreidimensional, sondern flach, und die Farbqualität hielt nicht mit der vorhergehenden Aufnahme mit, aber das war auch alles - Perspektive und Bildausschnitt waren gleich.

Dann erkannte sie es. Und diesmal konnte sie ein erschrockenes Aufatmen nicht mehr ganz unterdrücken.

Das Bild war still. Es war keine Fotografie - man erkannte deutlich die bizarren Muster, zu denen der Wind den Schnee rings um das Schiff formte, und etwas weniger deutlich den Schatten einer Wolke, die gemächlich über die riesige Eisfläche trieb - aber die HeliCopter waren verschwunden. Zwischen den buntfarbenen Zelten und Iglus regte sich nichts. Kein Fahrzeug. Kein Mensch.

»Was ist passiert?« fragte Soerensen. Charity hörte nur wissenschaftliche Neugier in seiner Stimme, nicht das allermindeste Gefühl.

»Das wissen wir nicht«, antwortete Becker. »Der Funkkontakt brach vor sieben Stunden ab, schlagartig und zu allen Gruppen gleichzeitig. Seither haben wir kein Lebenszeichen mehr empfangen. Von niemandem.«

»Aber dort sind Tausende von Leuten!« protestierte Soerensen. »Irgend jemand muss doch ...«

»Fast anderthalbtausend Wissenschaftler, aus allen Teilen der Welt«, unterbrach ihn Becker ruhig. »Dazu eine fünftausendköpfige Einheit der UNO und ...« Charity sah, wie er im Dunkeln den Kopf wandte und seinen sowjetischen Kollegen kurz ansah, ehe er weitersprach. »...eine etwas kleinere Eliteeinheit der US Air Force. Ich nehme an, unsere russischen Kollegen sind dort ebenfalls vertreten.«

Demisows Gesicht war in der Dunkelheit nicht zu erkennen, aber sein Schweigen war Antwort genug.

»Sie haben natürlich jemanden hingeschickt, um nachzuschauen«, vermutete Charity.

»Wir haben es versucht«, sagte Becker.

Er starrte unverwandt weiter auf das Bild der riesigen, entsetzlich toten Scheibe.

»Versucht?« Mike beugte sich gespannt vor. »Was soll das heißen, Commander?«

Becker seufzte, in einer Art, die klarmachte, dass er ein Eingeständnis zu machen hatte. Er sah Mike nicht an, als er antwortete. »Wir kommen nicht heran«, sagte er. »Wir haben vier Jets und ein halbes Dutzend Hubschrauber verloren, bevor wir es begriffen. Etwas... umgibt dieses Schiff. Eine Art Schutzschild.«

»Ein Schutzschild?« Charity konnte Soerensens zweifelndes Stirnrunzeln fast hören. »Was soll das heißen?«

»Keine unsichtbare Mauer oder irgendein Science-Fiction-Kram, Professor.«

Charity war überrascht, als sie merkte, dass Demisow antwortete.

Der Russe sprach ein fast perfektes Englisch. »Irgend etwas bringt unsere Maschinen zum Versagen. Eine Art... Feld, wenn Sie mir diesen laienhaften Ausdruck gestatten, das jeden elektrischen Fluss zum Erliegen bringt. Man kann das Gebiet passieren, aber nur zu Fuß.«

»Dann schicken Sie Männer mit Hundeschlitten hin«, sagte Soerensen. »Das ...«

»...haben wir getan, Professor«, unterbrach ihn Becker ungeduldig. »Wofür halten Sie uns?«

»Und?«

»Nichts«, sagte Becker. »Der Durchmesser dieses Feldes beträgt exakt einhundertfünfzehn Meilen. Es wird Tage dauern, bis sie dort sind.«

»Und die... die Teams?« Charity kannte die Stimme nicht, die diese Frage stellte. Aber sie hörte die Angst, die darin mitschwang. »Die Wissenschaftler und Soldaten. Sind Sie... alle tot?«

»Wahrscheinlich«, sagte Becker kalt. »Tot oder zumindest bewegungsunfähig. Sie sehen es selbst. Nicht das geringste Lebenszeichen.«

Aber das war nicht alles, das spürte Charity. Es konnte ein Dutzend logischer Erklärungen dafür geben, dass auf der Satellitenaufnahme niemand zu sehen war - allen voran die, dass mit sämtlichem elektrischem Gerät natürlich auch im gesamten Lager die Heizungen ausgefallen waren. Und es war bitterkalt am Nordpol. Niemand hatte bei Temperaturen von fünfzig Grad unter Null große Lust zu einem Spaziergang.

»Warum setzen Sie keine Fallschirmjäger ein?« fragte dieselbe Stimme, die sich gerade um die Teams gesorgt hatte.

Becker lachte leise. Es klang abfällig. »Dieses Feld hat die Form einer Halbkugel, General Watkins«, sagte er. »Wir haben leider keine Flugzeuge, die fünfzig Meilen hoch fliegen.«

»Irgendwelche Lebenszeichen aus dem Schiff?« fragte Soerensen. »Irgendwelche Radiosignale, Strahlungen?«

Becker schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Aber etwas anderes. Wir haben diese Sitzung nicht allein wegen dieses ... Phänomens... einberufen.«

»Sondern?« fragte Soerensen.

Diesmal antwortete Becker nicht sofort. Es fiel Charity schwer, die Schatten der anderen vor der hellerleuchteten Videowand zu unterscheiden, aber ihr war, als tauschte Becker einen raschen, fragenden Blick mit dem Präsidenten, ehe er weitersprach.

»In ein paar Stunden erfahren Sie es sowieso, Professor, falls kein Wunder mehr geschieht. Der Präsident der Vereinigten Staaten wird den Notstand ausrufen. Ich fürchte, dass da ...« Er deutete auf den Bildschirm. »...ist erst der Anfang.«

»Der Anfang wovon?« fragte Soerensen.

Seine Stimme zitterte. Er wusste die Antwort so gut wie jeder andere hier, dachte Charity. Beckers rhetorische Mätzchen waren absolut überflüssig. Aber vielleicht hatte er auch einfach nur Angst, es auszusprechen.

Und es war auch nicht Becker, der auf Soerensens Frage antwortete, sondern der Mann neben ihm, der Präsident der USA.

»Der Anfang eines Krieges, Professor. So leid es mir tut - aber es hat keinen Zweck, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Wir müssen mit einem Angriff rechnen. Ich fürchte, er hat längst begonnen.«

Soerensens Stimme bebte.

»Aber das ist doch Unsinn! Es kann tausend harmlose Erklärungen für dieses Phänomen geben, und ...«

»Wir haben noch mehr, Professor«, sagte Becker, und obwohl er sehr leise gesprochen, ja, fast geflüstert hatte, verstummte Soerensen abrupt.

»Das da«, fuhr Becker fort, »kam vor sieben Stunden über Satellit herein, ein paar Sekunden, bevor die Verbindung abbrach. Sehen Sie genau hin.«

Das Bild auf der Videowand wechselte. Sie zeigte jetzt das Innere des Schiffes.

Die Kamera war auf den gigantischen Eisenblock gerichtet, den Soerensen und Charity im Inneren der Scheibe entdeckt hatten. Das grelle Licht der Scheinwerfer ließ ihn weniger unheimlich und düster erscheinen; es zeigte, dass er nicht schwarz, sondern vom gleichen stumpfen Grau war wie der größte Teil des Schiffes. Die winzigen Gestalten der Männer, die an seinem Fuß und auf seiner Basis herumkrochen, ließen ihn noch viel größer erscheinen. In ihren pelzgefütterten Mänteln und Kapuzen sahen die Männer aus wie vermummte Ameisen, die auf einem zyklopischen Opferstein herumkrochen.

Das Bild wechselte. Die Umrisse der Männer zerflossen und bildeten sich neu, ganz leicht verändert nur. Becker ließ das Videoband in maximaler Zeitlupe ablaufen.

Sekundenlang erstarrte die kubische Alptraumlandschaft vor ihnen wieder zur Reglosigkeit, zerfloss dann erneut - »Sehen Sie genau hin«, sagte Becker. »Es ist nur ein einziges Bild. Die Übertragung ist sofort zusammengebrochen.«

Wieder zerflossen die Konturen der Männer, aber diesmal waren es nicht nur sie, die sich veränderten. Charitys Blick war wie gebannt auf den titanischen Silberring gerichtet, der auf der Oberseite des Blockes thronte - und sie sah deutlich, wie auch er sich veränderte, ein Stück in die Breite und Höhe zu gleiten schien, als wäre er ... gewachsen? Aber wie war das möglich? Es war ein Ring aus kompaktem Titanium; das hatten Soerensens Kollegen eindeutig festgestellt!

Doch als das nächste und letzte Bild erschien - WAR ES NICHT MEHR LEER!!!

Plötzlich waberte und wogte dort etwas... Eine unförmige Schwärze bewegte und formte sich.

Charity schrie auf, aber ihr Schrei ging im entsetzten Keuchen der anderen unter.

Es war ein Ungeheuer. Eine zehnbeinige Bestie aus schwarzbraunem Chitin, die entfernt an einen riesenhaft vergrößerten Käfer erinnerte, gleichzeitig aber ganz anders war, so unbeschreiblich fremd, dass sein bloßer Anblick Charity Schmerzen bereitete.

Trotzdem zwang sie sich, ihn genau zu betrachten, denn der Rest vor ihr, der nicht vor Entsetzen und Unglauben zu Eis erstarrt war, war von dem Anblick auf morbide Weise fasziniert. Das Ungeheuer war gigantisch. Wenn sie den Ring, aus dem es hervorkroch (Ring? Es war ein TOR! dachte sie hysterisch, großer Gott, dieses Ding war nichts anderes als ein gottverdammter Materietransmitter), wenn sie diesen Ring als Maßstab nahm, musste er an die fünfzehn Meter lang sein. Sein riesiger, zangenbewehrter Schädel hing gute vier Meter über den eingefrorenen Gestalten der Männer auf dem Bild, die ihn noch gar nicht bemerkt hatten, und jedes einzelne seiner Beine war so dick wie der Körper eines Menschen. Seine Kraft - diese entsetzliche Insektenkraft, die in seinem gepanzerten Leib schlummern mochte - musste ausreichen, einen Sherman-Tank in die Höhe zu heben und zu zerquetschen.

Aber es kam noch schlimmer. Dieses Ungeheuer war nicht allein durch das Tor gekrochen - etwas hockte in seinem Nacken.

Die Gestalt ähnelte entfernt einem Menschen, aber sie hatte vier Arme und war entschieden zu groß, um wirklich humanoid zu sein.

Ihr Körper wirkte wie eine primitive Rüstung, die aus dem gleichen Material wie der Panzer ihres Reittieres zu bestehen schien, und von ihrem Gesicht waren nur die Augen zu erkennen, die die Betrachter selbst von der Videowand herab voller Hass anzustarren schienen.

Eine ihrer vier vielfingrigen Hände hielt eine Art Zügel, der mit dem Schädel des Riesenkäfers verbunden war.

In den drei anderen lagen schlanke, mattsilbern blinkende Stäbe.

Und Charity war mehr als nur sicher, dass es sich dabei um nichts anderes als um Waffen handelte.

Drei Stunden, zehn Tassen Kaffee und ungefähr zweihundert Zigaretten später saßen sie zusammen in Beckers Büro, fünf Etagen über dem geheimen Konferenzraum.

Ihr Kreis war kleiner geworden - sie hatten noch lange geredet, aber Charity hatte Mühe, sich an alles zu erinnern, was gesagt worden war. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu ordnen, und es war fast unmöglich, wirklich zu begreifen, was vor zehn Stunden am Nordpol passiert war und vielleicht jetzt noch dort geschah.

»Sie haben es gewusst, nicht wahr?«

Charity sah auf und blickte durch einen Schleier aus grauem Zigarettenrauch in Soerensens Gesicht.

Sie waren wieder unter sich, die gesamte alte Crew der CONQUEROR, zusammen mit einem sehr schweigsamen jungen Mann, der sich als Lieutenant Terhoven vorgestellt hatte und offensichtlich Bellingers Platz einnehmen sollte.

Becker hatte noch lange geredet, und dann war das Gespräch ganz genau so verlaufen, wie Charity es sich vorgestellt hatte.

Irgendwann zu seinem Ende hin war das Wort Megatonnen gefallen.

Der Wahnsinn begann also, und er hieß Krieg. Als die Runde sich aufzulösen begann, hatte Becker sie und die anderen angewiesen, in sein Büro zu gehen und dort auf sie zu warten. Charity hatte das ungute Gefühl, zu ahnen, was dieser Befehl bedeutete.

»Wie... was meinen Sie, Professor«, sagte sie unwillig.

»Dort oben, im Schiff«, sagte Soerensen. Er starrte sie an. »Als wir das erste Mal im Schiff waren, draußen. Sie ... Sie haben es gespürt. Ich habe Ihr Gesicht beobachtet, als Sie diesen Block angesehen haben.«

»Warum sprechen Sie das Wort nicht aus?« sagte Charity böse.

Plötzlich hatte sie Lust, jemandem weh zu tun - warum nicht Soerensen? »Es ist ein Materietransmitter.«

»Unsinn«, widersprach Soerensen ein bisschen zu hastig. »So etwas ist naturwissenschaftlich unmöglich.«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, fauchte Charity. »Sie haben es genauso deutlich gesehen wie wir.«

»Ich habe ein Bild gesehen«, antwortete Soerensen. Er begriff sichtlich nicht, woher ihre plötzliche Feindschaft kam, aber er wehrte sich immerhin, was ihn Charity wieder ein bisschen sympathischer machte. »Es kann täuschen. Eine Projektion vielleicht, eine bewusste Irreführung ...«

»Der Russen, Professor?« Niles Stimme troff vor Hohn. »Vielleicht steckt ja auch die IRA dahinter, wer weiß. Und so ganz nebenbei haben Sie ein Kraftfeld erfunden, das unsere gesamte Technik zu Schrott macht.«

»Sie sind ein Ignorant«, fauchte Soerensen. »Wir können über ...«

»Das reicht.« Mike schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, und für einen Moment kehrte tatsächlich Ruhe ein. Soerensen senkte betroffen den Blick, und Niles sah demonstrativ weg. Mike blickte Charity an.

»Was hat er damit gemeint, Cherry?«

Charitys Ärger fand ein neues Ziel. Sie hasste es, wenn er sie so nannte, vor allem in der Öffentlichkeit, und das wusste er ganz genau.

»Woher soll ich das wissen«, sagte sie. »Frag ihn doch selbst.«

Mike hätte es wahrscheinlich sogar getan, aber in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Commander Becker stürmte herein.

Wenn es überhaupt möglich war, dachte Charity, dann hatte sich der Ausdruck auf seinem Gesicht noch weiter verdüstert.

Einen Moment lang blieb er unter der Tür stehen und wedelte demonstrativ mit der Hand in der Luft vor seinem Gesicht herum, um die blaugrauen Rauchschwaden zu vertreiben, dann eilte er zum Fenster und schaltete die Klimaanlage höher. Es wurde spürbar kälter im Zimmer, aber der Zigarettenrauch blieb.

»Das ist Wahnsinn«, fuhr Soerensen fort, in einem Ton und mit einem Blick, als hätte er Becker gar nicht bemerkt. »Wir sitzen hier und... und reden über einen Krieg mit außerirdischen Wesen, die ...«

»Noch«, fiel ihm Becker scharf ins Wort, »reden wir über gar nichts, Professor. Sie haben völlig recht - wir haben nur ein paar Bilder gesehen, die alles mögliche bedeuten können.«

Charity sah überrascht auf. Becker hatte ihr Gespräch mitgehört. Sie fragte sich, warum.

»Aber es ist wahrscheinlich, dass es zu ... Konflikten kommt«, sagte Mike vorsichtig.

Becker sah ihn fast ausdruckslos an. »Wir sind auf DEFCON 2, wenn Sie das meinen«, sagte er nach einer Weile. »Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass es zu Kampfhandlungen kommen muss. Das Ganze kann sich als Irrtum herausstellen. Als Überreaktion der einen oder anderen Seite. Als Missverständnis ...« Er hob in einer hilflos aussehenden Bewegung die Hände.

»Das ist Wahnsinn!« beharrte Soerensen. »Das muss ein Alptraum sein. Ein... ein Krieg zwischen zwei Planeten ist völlig unmöglich. Selbst wenn sie hierher kommen könnten, es würde sich gar nicht lohnen.«

»Sie sind doch schon da, Professor«, sagte Becker, fast sanft.

»Aber es ist Irrsinn«, murmelte Soerensen. Charity spürte, dass er dem Zusammenbruch nahe war. »Ein... ein Volk, das weit genug fortgeschritten ist, andere Welten zu besuchen, kann nicht ...«

»Auf Eroberungen aus sein?« Niles schnaubte. »O nein, natürlich nicht. Es muss ethisch viel höherstehend als wir sein, nicht wahr? Ich glaube, so etwas Ähnliches haben die Indianer vor zweihundert Jahren hier auch gedacht. Und wissen Sie was, Professor? Sie hatten unrecht.«

Soerensen fuhr hoch, aber der erwartete Protest blieb aus. Er blickte Niles nur an, sah dann wieder weg und zündete sich eine weitere Zigarette an, obwohl die alte erst halb aufgeraucht im Aschenbecher lag.

»Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn«, sagte Landers plötzlich. Mit Ausnahme Terhovens war er bisher der Schweigsamste von ihnen gewesen; tatsächlich hatte Charity fast vergessen, dass er überhaupt da war. Jetzt sah er abwechselnd Becker und Soerensen an.

»Verdammt, wir alle wissen doch, wie es im Inneren dieses sogenannten Sternenschiffes aussieht. Das Ding ist primitiver, als hätten wir es gebaut.«

»Und?« fragte Becker.

»Woher kommt dieser... dieser Materiesender, oder was immer es ist? Er paßt einfach nicht ins Bild.«

»Da passt eine ganze Menge nicht ins Bild«, bestätigte Becker. »Aber damit sollen sich die Wissenschaftler auseinandersetzen, nicht wahr? Früher oder später werden wir eine Erklärung finden.«

»Wenn sie uns Zeit dazu lassen.«

Becker sah Charity scharf an. »Sie sind nicht hier, um Pessimismus zu verbreiten, Captain«, sagte er. »Die Lage ist ernst, aber wir werden mit ihr fertig, keine Sorge. Es ist nur ein Schiff, ganz egal, wie groß es auch ist. Und ganz egal, wie viele Riesenkäfer und sonstige Ungeheuer herauskommen, wenn es sein muss, sprengen wir sie in die Luft.«

Ja, dachte Charity, das war ganz genau die Antwort, die sie von Becker erwartet hatte. Und ein wenig hoffte sie sogar, dass er recht hatte, dass sie es konnte, wenn sie mussten. Sie war nicht sicher.

»Das klingt, als warteten Sie nur darauf, Becker!« sagte Soerensen aufgebracht.

Becker blieb ruhig. »Nein«, sagte er gelassen. »Wenn Sie es genau wissen wollen, habe ich eine Scheißangst davor. Aber ich bin vorbereitet, wenn es sein muss.«

»Warum sind wir hier, Commander?« fragte Charity, ehe Soerensen erneut loslegen konnte. »Doch sicher nicht, um über einen Angriff auf die Aliens zu beraten, oder?«

Becker lächelte schwach und wurde sofort wieder ernst.

»Nein«, sagte er. »Ich wollte Ihnen Ihre Marschbefehle persönlich mitteilen, das ist alles. Die CONQUEROR und ihre beiden Schwesterschiffe werden verlegt. Vorsorglich«, fügte er hinzu.

»Verlegt? Wohin?«

»SS Nulleins«, antwortete Becker.

Charity hatte das halbwegs erwartet, aber sie fragte sich, warum. Und sie stellte diese Frage laut.

»Weil wir nur drei Kampfschiffe haben, Captain«, antwortete Becker unwillig. »Und weil wir gerne auf alle Eventualitäten vorbereitet sind. Sie kennen Plan Omega, oder?« Der Tadel in seiner Stimme war unüberhörbar.

Bis auf Soerensen wurden alle plötzlich sehr ruhig. Der Wissenschaftler blinzelte irritiert.

»Plan Omega?«

Charity sah Becker fragend an, und der Commander nickte.

»Ein Planspiel für den Ernstfall«, erklärte Charity. »Natürlich nicht für den, der jetzt eingetreten ist, sondern für die ...« - sie betonte die Worte absichtlich spöttisch, was ihr einen weiteren ärgerlichen Blick Beckers eintrug - »...unwahrscheinliche Vorstellung, dass es eines Tages zum großen Knall zwischen uns und Demisows Brüdern auf der anderen Seite kommen sollte, Professor. Survival Station Nulleins ist der sicherste und tiefste Bunker dieses Landes. Angeblich hält er sogar einen Volltreffer aus, obwohl das noch niemand probiert hat. Plan Omega sieht vor, die Regierung der Vereinigten Staaten in diese Anlage zu evakuieren.«

»Mit einem Raumschiff?«

Charity lächelte. »Natürlich nicht. Aber es gibt bombensichere Hangaranlagen dort. Und vielleicht brauchen wir die drei Schiffe hinterher.«

»Und wozu?«

»Na, zum Beispiel, um uns einen neuen Planeten zu suchen, falls unsere gute alte Erde ein bisschen zu mitgenommen sein sollte.«

»Das reicht, Captain«, sagte Becker ärgerlich. Und sein Blick fügte hinzu: Er muss nicht unbedingt den ganzen Plan erfahren. Plan Omega sah noch mehr vor: nämlich im allerschlimmsten Fall der Fälle die Erdregierung mit Hilfe der drei Schiffe auszufliegen, auf eine der Mondbasen oder die Orbitstadt, sollte noch eine existieren.

Immerhin, dachte Charity spöttisch, war es möglich, dass die Jungs von dort oben aus ein Fleckchen Erde entdeckten, das noch nicht bombardiert worden war...

»Und... was soll ich dabei?« fragte Soerensen verwirrt.

Becker lächelte kalt. »Überleben, Professor. Haben Sie keine Lust dazu?« Er machte eine rasche Handbewegung, als Soerensen widersprechen wollte. »Der Befehl kommt vom Präsidenten persönlich, Soerensen. Und ich habe ihm dazu geraten. Verdammt, Sie gehören zu den fünf besten Köpfen auf der Welt, was unser Problem angeht. Glauben Sie im Ernst, wir werfen Sie den Außerirdischen zum Fraß vor?«

Beckers Wortschatz gefiel Charity nicht besonders, aber sie schwieg dazu und fragte nur einfach: »Wann?«

»So schnell wie möglich. Sie fliegen noch heute zurück und überführen die DESTROYER, anschließend die CONQUEROR. Die ENTERPRISE befindet sich noch im Dock. Aber ich mache ein bisschen Dampf. In ein paar Tagen ist sie flugfähig.«

Wenn es dann noch irgend etwas gab, wohin sie fliegen konnte, dachte Charity.

Aber das sprach sie vorsichtshalber nicht laut aus.

Загрузка...