13. Kapitel - Gegenwart

12. Dezember 1998

Sie schaffte es nicht.

Irgend jemand schien beschlossen zu haben, den Teil der Rocky Mountains, in denen sich der Bunker befand, als Amboß zu benutzen, jedenfalls waren die Erschütterungen beinahe unbeschreiblich. Trotz aller Panik war sie umsichtig genug, nicht den Aufzug zu benutzen, was ihr wahrscheinlich das Leben rettete.

Sie verlor für Sekunden das Bewusstsein, so hart war der Schlag, der den Berg traf und sie von den Füßen riss, und als sie wieder erwachte, war das Licht erloschen und dem düsteren Rot der Notbeleuchtung gewichen. Der Berg stöhnte.

Überall rings um sie herum krachte und polterte es, als stürze der ganze unterirdische Bunker zusammen. SS Nulleins war in ein natürliches Höhlensystem hineingebaut worden. Einige schwere Erschütterungen konnten das ganze verdammte Labyrinth zusammenbrechen lassen.

Mühsam arbeitete sie sich auf die Füße, wischte sich Staub und Blut aus dem Gesicht und verzog schmerzhaft die Lippen, als die alte Wunde in ihrem Oberschenkel sich wieder meldete. Warmes Blut lief an ihrem Bein herab.

Sie biss die Zähne zusammen, klaubte ihren Tornister unter dem Berg von Schutt und Staub hervor und humpelte weiter.

Vor ihr wurden die Schreie lauter, dann hörte sie das Geräusch von Schüssen und das hohe, boshafte Summen eines Lasers. Großer Gott - waren sie schon hier?

Ihr Armbandfunkgerät meldete sich piepsend. Charity drückte die Antworttaste und hielt das Gerät ans Ohr, aber alles, was sie hörte, war ein helles, an- und abschwellendes Pfeifen und ein paar vollkommen unverständliche Wortfetzen. Sie fluchte, humpelte mit zusammengebissenen Zähnen weiter und ließ Gewehr und Rucksack einfach fallen, als sie eines der Wandtelefone entdeckte.

Sie hatte kaum damit gerechnet - aber es funktionierte noch.

Becker höchstpersönlich meldete sich, als sie den Knopf drückte.

»Laird - wo sind Sie?«

»Irgendwo auf halber Strecke«, antwortete Charity. »Was ist passiert?«

Becker ignorierte ihre Frage. »Versuchen Sie sich zum Schiff durchzuschlagen, Captain«, sagte er. »Wir kommen so schnell wie möglich nach.«

»Der halbe Bunker ist zusammengebrochen«, antwortete Charity. »Ich glaube nicht, dass ich die Schleuse erreiche. Wir ...«

»Verdammt, dann benutzen Sie den Fluchttunnel!« brüllte Becker. »Ich habe jetzt keine Zeit für Diskussionen, Captain! Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe! Wir sind in spätestens zwanzig Minuten beim Raumschiff!«

Es klickte leise, als Becker die Verbindung kurzerhand unterbrach. Charity starrte den Hörer einen Herzschlag lang wütend an, knallte ihn auf die Gabel zurück und bückte sich abermals nach ihren Sachen. Becker hatte nicht einmal so unrecht - der Hangar, in dem die CONQUEROR und ihr Schwesterschiff standen, war weit genug von der eigentlichen Bunkerfestung entfernt, um vielleicht noch intakt zu sein. Was immer SS Nulleins getroffen hatte - und es musste etwas verdammt Großes gewesen sein! -, war mit Sicherheit auf das Herz der Bunkeranlage gezielt gewesen, nicht auf einen fast fünf Meilen entfernt liegenden Raumschiffhangar, von dessen Existenz ohnehin nur eine Handvoll Leute wussten.

Ihr Bein schmerzte stärker. Sie sah an sich herab und bemerkte einen dunklen, allmählich größer werdenden Fleck über der Wunde.

Aber das war jetzt unwichtig.

Wenn sie nicht verdammt schnell hier herauskam, dachte sie, brauchte sie sich um das Loch in ihrem Oberschenkel wohl keine Gedanken mehr zu machen...

Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte sie weiter, erreichte die nächste Abzweigung und blieb abermals stehen. Wo zum Teufel war dieser verdammte Fluchttunnel? Becker hatte ihn ihr nur ein einziges Mal gezeigt, und allein der Gedanke daran hatte ihr eine solche Furcht eingejagt, dass sie sich den Standort seiner Eingänge kaum gemerkt hatte - es war nicht unbedingt jedermanns Sache, sich in ein Loch fallen zu lassen, um anderthalb Meilen weit in immer größer werdenden Spiralen in die Tiefe zu rutschen...

Das Schießen vor ihr wurde lauter, und zwischen dem peitschenden Rattern der MP-Salven und dem Schreien hörte sie noch einen anderen Laut, ein Geräusch, das ihr nur zu bekannt vorkam und das ihr schier das Blut in den Adern gerinnen ließ: das dumpfe, trockene Krachen der plumpen Insektenwaffen, wie die Außerirdischen sie benutzten.

Und als sie das Ende des Korridors erreicht hatte, entdeckte Charity sie auch.

Ein halbes Dutzend der riesigen Wurmkreaturen lag reglos zwischen den Trümmern, und hinter und zwischen ihnen bewegten sich Dutzende der schlanken, vierarmigen Söldnerkreaturen. Charity begriff schmerzhaft, dass diese riesigen Würmer nichts als die Vorhut gewesen waren, die Pioniere, die den Weg in den Bunker freischaufelten und denen jetzt die Sturmtruppen folgten. Der Angriff schien nicht besonders erfolgreich zu sein - es waren kaum zwei Dutzend Soldaten, die sich gegen die Insektenwesen wehrten, aber offenbar schössen sie sie zu Hunderten ab; beinahe schneller, als sie aus den riesigen Wurmlöchern herauskommen konnten.

Trotzdem würde es nichts nutzen, dachte sie verbittert. Einen Gegner, der über unbegrenzte Reserven verfügt, konnte man nicht zermürben.

Mit einem lautlosen Fluch zog sie sich ein Stück in den Gang zurück, entdeckte eine weitere Abzweigung, an der sie das erste Mal einfach vorbeigelaufen war, und humpelte los. Ihr Bein schmerzte immer stärker.

Als sie in den Seitengang eindrang, stand sie einem Schatten gegenüber. Instinktiv hob sie ihr Gewehr, hörte einen erschrockenen Ausruf und nahm im letzten Moment den Finger vom Abzug, als sie ihren Gegenüber erkannte.

»Stone!« rief sie. »Was zum Teufel tun Sie hier?«

»Ich habe Sie gesucht«, antwortete Stone. Nervös blickte er sich um und deutete dann in die Richtung, aus der er gekommen war.

»Wir müssen weg. Kommen Sie, Captain!«

»Was soll das?« fragte Charity gereizt. »Ich habe meine Befehle, Lieutenant, und Sie ...«

»Vergessen Sie sie«, unterbrach sie Stone. »Sie sind überall, Laird. Es ist aus. Aber ich kann sie hier herausbringen, wenn Sie wollen.«

Charity rührte sich noch immer nicht. »Heraus?« fragte sie. »Und wohin, Lieutenant? Dort oben ist nichts als eine radioaktive Hölle!«

Stone lachte hart. »Ach? Sie denken, wir wären von einer Bombe getroffen worden?« Er schüttelte so heftig den Kopf, dass seine Haare flogen. »Das war Becker«, sagte er.

»Becker?« Charity atmete erschrocken ein. Sie wusste, was Stone meinte, aber sie wollte es einfach nicht glauben.

»Dieser Idiot hat die Sprengsätze gezündet«, sagte Stone bitter. »Es war keine Atombombe, Captain. Becker hat den halben Bunker in die Luft gejagt. Es gibt jetzt keinen Ausgang mehr.«

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