6.

Cliff Allistair McLane drehte seinen Kopf von dem Mikrophon weg. Neben McLane starrten de Monti, Helga Legrelle und Tamara Jagellovsk auf die runde Scheibe des Schirms. McLane sagte halblaut zu Helga: »Dauerbeobachtung des umliegenden Raums!«

»Jawohl, Chef!« sagte Helga. Sie war mit zwei langen Schritten an ihrem Funktisch.

»Kampfstand besetzen, Mario! Alarmstart vorbereiten!«

De Monti verschwand aus der Steuerkanzel. Ein halbes Deck höher, weiter dem Rand des Diskus zu, befanden sich die beiden Kampfstände. Fassungslos sagte der GSD-Leutnant: »Außerirdische Lebewesen

- hier? In unserem Herrschaftsgebiet?«

McLane saß bereits in seinem Sessel und bereitete den Schnellstart der ORION vor. Er hob nicht einmal das Gesicht von seinen Schaltern und Hebeln, als er erwiderte: »Dieser Asteroid ist einer der äußersten Stützpunkte Terras. Wir stehen nur einige Lichtjahre vor der letzten Grenze unserer Raumkugel. Ein größeres Gebiet kann im Augenblick nicht wirksam genug kontrolliert werden.«

»Gab es jemals Anzeichen dafür, daß außer uns Terranern auch noch andere Wesen in dieser Galaxis leben?« fragte Tamara schnell.

Gereizt antwortete McLane: »Für Ihre Ausbildung haben Sie reichlich anthropozentrisches Weltbild! Allein in unserer Galaxis gibt es rund sieben Milliarden Planeten, die intelligentes Leben hervorgebracht haben können. Woher nehmen Sie eigentlich die Arroganz anzunehmen, wir wären die einzigen Zweibeiner, die addieren und multiplizieren können?«

»So dumm bin ich auch nicht. Theoretisch aber ...«

McLane schnitt ihr das Wort ab.

»Was Hasso eben durchgesagt hat, klang nicht im entferntesten theoretisch!« Er rief: »ORION VII ruft Sigbjörnson auf MZ 4! Hasso - wo seid ihr? Könnt ihr starten?«

Die Stimme des Ingenieurs kam sofort über die Bordlautsprecher zurück.

»Hier Hasso. Wir sind auf dem Weg zum Landeschacht.«

»Gut. Haltet ihr noch einen Kontakt mit den Fremden?«

»Nein. Sie lassen uns in Ruhe. Ich weiß nicht, aus welchem Grund. Wir rennen weiter auf den Landeschacht zu.«

»Wenn die Fremden ohne jeden ersichtlichen Grund Clarence und seine Mannschaft umgebracht haben, warum greifen sie dann Hasso und Atan nicht an?« fragte Tamara. Sie spielte in höchster Nervosität mit ihrer schmalen Identifikationsplakette.

Hintereinander fuhr McLane sämtliche Maschinen der ORION hoch.

»Ich kann keine Gedanken lesen, Gnädigste«, sagte er sarkastisch. »Die von Nonhumanoiden auf gar keinen Fall!«

Ein Schrei zerfetzte die angespannte Atmosphäre der Kommandokanzel. Er kam vom Funktisch.

»Cliff! Unbekannte Objekte!«

McLane wirbelte mit dem Sessel zum Schirm herum.

»Was? Wo?«

Helga Legrelle legte die Impulse, die ihre Geräte empfingen, auf den Schirm des Commanders um.

»Radar zeichnet, Cliff. Wir haben Kontakt mit vier

- fünf, mit sieben fremden Schiffen.«

Die klirrenden Geräusche des Astrosonar zirpten aus den Lautsprechern. Auf McLanes Schirm wurden Punkte sichtbar. Sie vergrößerten sich schnell, mußten also in einer unfaßbaren Geschwindigkeit näher kommen. McLane konzentrierte seinen Blick auf das erste der sieben Objekte: Es war eine Kugel mit zwei schlanken, flügelartigen Ausläufern.

»Entfernung?«

Es war nahezu unmöglich, ohne technische Hilfsmittel die Entfernung eines Objekts im Raum abzuschätzen, wenn man nicht genau wußte, wie groß es war. Der Raum verzerrte zudem die Schätzungen durch das Fehlen von Merkmalen, die man zu Vergleichszwecken heranziehen konnte.

»Vierzig Lichtsekunden, neununddreißig - siebenunddreißig ... Cliff! Sie haben eine irrsinnige Geschwindigkeit!«

Die Gefahr war jetzt wesentlich. Sie ging von den sieben Schiffen aus, die sich rasend schnell dem Asteroiden näherten, auf dem noch zwei Besatzungsmitglieder waren.

»Wir müssen hier sofort weg«, sagte McLane laut. »Wir schweben unbeweglich wie eine Zielscheibe. Wir müssen augenblicklich Geschwindigkeit gewinnen, um manövrierfähig zu werden. Fertig zum Alarmstart!«

»Und Hasso und Atan?« schrie de Monti.

Cliff riß das Mikrophon der Funkanlage zu sich heran.

»Wo bleibt ihr denn? Hasso! Atan! Was ist los? Seid ihr im Startschacht? Warum startet ihr nicht?«

Hasso bemühte sich, seine Panik zu unterdrücken.

»Wir sind in der LANCET, Cliff. Wir kommen nicht weg. Sie haben unsere Elektronik zerstört!«

McLane überlegte nicht länger als eine Sekunde. Dann sagte er drängend: »Wir werden vermutlich angegriffen, Hasso. Sieben fremde Schiffe nähern sich uns. Ich kann keine Sekunde länger auf euch warten.«

»Bringst du ohne mich einen Schnellstart fertig, Cliff?« fragte Hasso, immer noch ruhig. »Ich muß es versuchen. Ich werde starten und abwarten, was die Fremden tun. Greifen sie an, schlagen wir zurück. Versteckt euch im Asteroiden, so gut es geht - wir holen euch nachher ab. Ende.«

McLane legte sämtliche Leitungen aus dem Schaltpult Hassos auf seinen Tisch um und drehte den Hebel der Startschaltung bis an den Anschlag durch. Das Schiff löste die Verankerung aus der Masse des Asteroiden und raste hinaus in die Schwärze des Alls.

Die Formation der fremden Flugkörper war die eines stumpfwinkligen Dreiecks. Jetzt zog sie sich auseinander. Die seitlich fliegenden Schiffe holten auf.

»Zwölf Lichtsekunden!« meldete Helga.

Neben McLane saß Tamara am Commanderpult. Die Insassen hörten die hämmernden Arbeitsgeräusche des Digitalrechners. Aus dem Ausgabeschlitz schob sich langsam ein breiter Lochstreifen. Helga drehte ihren Sessel herum, stand auf und blieb neben dem Streifen stehen. Sie las halblaut mit.

»Kurs ist programmiert. Die Korrektur wird an die Maschinen durchgegeben.«

McLane nickte. Er blickte zuerst auf den Sichtschirm, dann auf den Monitor über seinem Kopf. Mario de Montis Gesicht blickte auf McLane herunter.

»Wir müssen in wenigen Sekunden auf Fluchtdistanz sein, Mario!« Mario nickte. »Und für Sie habe ich auch eine Arbeit, Leutnant!« sagte McLane. »Gehen Sie hinüber zu Helga und setzen Sie einen Lichtspruch ab, der über den nächstgelegenen Verstärker geht und dort in einen Hyperimpuls verwandelt wird. Helga kennt die Schaltzeichen. Text: An Oberste Raumbehörde und an die Raumaufklärungsverbände. Extraterrestrier auf MZ 4 im Kubus Zehn/Nord 219. Die Besatzung wurde getötet. Sieben fremde Schiffe im Anflug. Kampfhandlungen stehen bevor.«

Tamara stand auf und fragte erstaunt: »Aber ...«

McLane brüllte sie an: »Worauf warten Sie noch, Leutnant?«

»Ich denke, der gesamte Funkverkehr in diesem Kubus ist gestört?«

»Wie kommen Sie auf diese Idee?« fragte McLane aufgebracht.

»Dieser Funksatellit!«

»Es gibt noch mehr Relaisstationen, junge Frau«, sagte McLane. »Tun Sie bitte, was ich Ihnen sage. Für Erklärungen haben wir später Zeit, falls wir überleben!«

Tamara zuckte die Schultern und setzte sich neben Helga, die eine Leitung frei machte und das Mikrophon einschaltete.

Mario de Monti saß angeschnallt vor dem Zielgerät im Kampfstand. Er konzentrierte sich auf die Zieleinrichtung.

Die drei fluoreszierenden Kreise näherten sich einander.

Ein zweiter Schirm hatte die fremden Schiffe in einer einzigen Linie. Die Ortung lief bereits. Mario sagte ruhig: »Die Ortung läuft. Die Objekte zeichnen klar. Abstand: Fünfzehn Lichtsekunden.«

»Wir haben Geschwindigkeit aufgenommen und einen Abstand herbeigeführt, der uns einige Handlungsfreiheit läßt. Würdest du treffen können?«

Mario blickte in die Linse des Videophons und sagte: »Das ist sinnlos, Cliff. Sie sind noch zu weit entfernt!«

Ein schrilles Heulen überlagerte sämtliche andere Laute.

Die Lichtzeilen, die den Arbeitsgang des Digitalrechners kennzeichneten, erloschen hintereinander, von oben nach unten. Das Rattern des Schreibgeräts, angeschlossen an den Computer, wurde langsamer. Durch den Lärm hörte Mario den grellen Schrei Helga Legrelles.

»McLane - der Computer fällt aus!«

Helga wollte aufspringen, aber eine ungeheure Kraft drückte sie vornüber auf das Schaltbrett. Die ORION wurde von einem Strahl gepackt und beschleunigt. Die Werte mußten derart ungeheuerlich sein, daß die Retarder nicht mehr ausreichten: Ein Schwerefeld baute sich in der Schiffshülle auf. McLane brach über dem großen Schirm zusammen.

Es gelang ihm, bevor er mit Kinn und Brust aufprallte, die Arme auszubreiten und den Andruck abzufangen - teilweise. Krampfhaft versuchte der Commander, sich hochzustemmen. Es gelang nicht. McLane drehte langsam, wie in Zeitlupe, den Kopf herum und sah mit tränenden Augen, daß auch Tamara in ihrem Sitz zusammengepreßt wurde.

»Was - ist - mit - der ORION - los, Major?« stammelte sie mühsam.

»Wir werden entweder beschleunigt«, keuchte McLane, »oder die fremden Schiffe bauen ein Feld erhöhter Massenanziehung auf. Ich weiß es nicht.«

Helgas Augen waren dicht vor einigen Instrumenten. Sie sah undeutlich, daß sich Zeiger bewegten.

»Cliff!« ächzte sie. »Die Fremden haben unsere Stromkreise kurzgeschlossen. Sämtliche Geräte sind ausgefallen!«

McLane bemühte sich erneut hochzukommen. Die Kraft preßte ihn zurück auf die Sichtscheibe. Er hoffte, daß das mißhandelte Material sein Gewicht aushielt, auch wenn die Beschleunigung es heraufsetzen würde.

»Umschalten auf Elektronik ... Versuche ...« keuchte er qualvoll.

Der Antrieb, dessen Heulen an den Nerven gezerrt hatte, setzte einen Herzschlag lang aus. Die Geräusche kehrten mit voller Lautstärke wieder und verstummten erneut. Die Maschinen arbeiteten unregelmäßig, und es war fraglich, wie lange die überbeanspruchten Leitungen die Lasten aushalten konnten.

»Mario - die Geschütze!« schrie McLane.

Einhundert Lichtsekunden betrug jetzt der Abstand. Das bedeutete, daß die ORION mehr als eineinhalb Minuten mit annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt hatte. Dennoch bewegten sich die Schiffe im Normalraum. Die fremde Kraft hatte den Kreuzer ergriffen und weggewirbelt. Der Erste Offizier schrie aus dem Lautsprecher des Videophons: »Weg von hier, Cliff! Sie setzen Kräfte ein, denen wir nichts entgegenhalten können. Wir sind wehrlos!«

Weitere Sekunden vergingen unerträglich langsam.

»Sie schaffen es nicht, Major!« schluchzte Tamara wütend. »Versuchen Sie einen Hyperraumsprung zurück.«

»Zwecklos!« schrie McLane in das Inferno aus Schall und Bewegung. »Helga, kannst du auf unser zweites System umschalten?«

»Ich versuche es, Cliff!« stöhnte der Funkoffizier.

Ihre Hand tastete sich millimeterweise über das Armaturenbrett, legte sich nach einer ungeheuren Anstrengung auf einen Schalter und preßte ihn hinein.

»Gut!« keuchte McLane. »Hyperraumflug. Koordinaten von MZ 4. Ich versuche, Hasso und Atan herauszuholen.«

»Das ist doch aussichtslos, Major. Die Fremden holen uns unweigerlich ein, und dann zerstören sie das Schiff restlos!« rief Tamara resignierend.

McLanes Hand hatte einen Schalter erreicht, der auf der anderen Seite des Pultes lag, eingebettet in einen durchsichtigen Schutz aus Kunststoff. Das Metall des Pultes leitete das harte Geräusch, mit dem er einrastete, in McLanes Ohr, das auf der Sichtscheibe lag. Fast augenblicklich ließen die Gravitationsstörungen nach. Die Geräusche des Antriebs wurden lauter. Dann sprang das Schiff in den Hyperraum. McLane stand auf.

»Die Fremden«, stellte Helga Legrelle sachlich fest und justierte die wichtigsten Geräte neu ein, »haben eine Reichweite, von der unsere Techniker nicht einmal träumen.«

»Ich kann doch Hasso und Atan nicht einfach dort ausgesetzt lassen«, murmelte der Commander, als habe er nichts gehört.

Beschwörend sagte Tamara, die sich in ihrem Sessel aufrichtete und über die Stirn strich: »Es geht um mehr, Major! Die ORION ist durch die fremden Schiffe auf unerklärliche Weise außer Gefecht gesetzt worden. In der Elektronik sind sämtliche Daten über diese Vorkommnisse gespeichert. Und dieses Material muß zur Erde. Es kann der Anfang einer Invasion sein, McLane!«

»Abstand, Helga?« fragte McLane ungerührt. Er fühlte, daß seine geschundenen Muskeln zu zittern begannen.

»Zweihundertvierzig Lichtsekunden, Cliff.«

»Wenn die Fremden uns verfolgen wollen, holen sie uns leicht ein.«

De Monti kam schweißüberströmt aus dem Kampfstand zurück und steckte sein Taschentuch wieder ein.

»Cliff - wer immer sie sind, sie sind uns um Jahrzehnte voraus. Wenn sie näher herankommen, knak-ken sie uns wie eine Auster.«

Helga deutete auf ein Kursdiagramm, das auf der schwarzen Scheibe des Analogrechners abgebildet war. Zwei Kurven verliefen dort in der Relation zu einem Punkt.

»Ich glaube«, sagte Helga, »daß sie gar nichts von uns wollen. Ich habe die Anfluglinien berechnet: Die Fremden wollen nach MZ 4.«

Langsam und resigniert erwiderte de Monti: »Und wir können überhaupt nichts mehr tun!«

»Wir müssen etwas tun!« sagte Tamara bestimmt.

»Ach - ja?« grollte McLane und drehte sich zu ihr herum. »Und was schlagen Sie vor?«

Ohne jede Ironie erklärte der GSD-Offizier: »Sie kennen die Alpha-Order der III b für sämtliche Kreuzerkommandanten so gut wie ich, Cliff.«

McLane nickte betroffen. Der Funkoffizier und de Monti sahen sich erstaunt an. Dann begriffen sie, was Tamara gemeint hatte.

Tamara fragte weiter: »Commander, bitte sagen Sie jetzt die Wahrheit: Haben Sie die technischen Möglichkeiten, die Station MZ 4 zu zerstören, bevor uns die Fremden eingeholt haben?«

»Technisch - ja. Durch Energiebrand. Solange aber die geringste Möglichkeit besteht, daß Sigbjörnson und Shubashi noch leben, kann kein Mensch von mir verlangen, daß ich die Basis zerstöre«, erwiderte Cliff.

Langsam begann Tamara zu zitieren. Es war der betreffende Artikel des Diensteides der Raumleute.

»Jede Raumbasis ist im Fall eines erfolgreichen Zugriffs durch außerirdische Kräfte oder Lebewesen ohne Rücksicht auf etwaige eigene Verluste zu vernichten. Ich erteile Ihnen Alpha-Order, dieser Anordnung Folge zu leisten!«

»Sie sind wahnsinnig, Leutnant!« schrie de Monti.

Tonlos sagte Cliff: »Sie hat recht, Mario. Sie hat vollkommen recht.« Dann wandte er sich an Helga.

»Hyperraumspruch an Raumaufklärungsverbände Terra. Major McLane vom Schnellen Raumkreuzer ORION VII. Ich versuche, auf Weisung des Sicherheitsoffiziers die Relaisstation MZ 4 zu vernichten. Die Basis ist mit Sicherheit in der Hand von Extrater-restriern. Die Feindschiffe sind uns an Reichweite und Geschwindigkeit hoch überlegen. Daher Rückflug zur Erde. Verlustmeldung Hasso Sigbjörnson, Ingenieur und Astrogator Atan Shubashi. Ende.«

Zu Mario gewandt, sagte er: »Energiewerfer fertigmachen!«

»Das hätte ich dir nicht zugetraut, Cliff!« sagte de Monti und verließ die Kommandokanzel.

McLane verlor die Beherrschung.

»Soll ich die beiden noch anrufen«, schrie er und schlug mit beiden Fäusten auf die Platte seines Pultes, »und ihnen sagen: >Liebe Freunde, es tut mir sehr leid, aber ich bringe euch jetzt um

Er beherrschte sich wieder und ging zum Lift.

»Wo wollen Sie hin?« fragte Tamara ruhig.

»Wollen Sie es etwa tun?« fragte er aggressiv zurück.

»Commander McLane ...« begann Tamara.

»Commander?« fragte McLane und hob die Brauen. »Hiermit quittiere ich meinen Dienst in der Flotte.«

Hinter ihm schloß sich die halbrunde Tür des Lifts.

Im Hyperraum raste die ORION zurück zum Asteroiden. Wenige Sekunden später rematerialisierte der Diskus in der Nähe der Felsenkugel. Der winzige Mond zeichnete sich auf dem Schirm ab. Nichts wies darauf hin, daß er von Fremden übernommen worden war. Die ORION bremste mit laufenden Maschinen ab.

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