Molly und ich kamen exakt an der Stelle aus dem Portal, wo ich sie gebeten hatte, uns abzusetzen: bei den Greenwich Docks, direkt unterhalb jenes großartigen alten Segelschiffs, der Cutty Sark. Der Tag war noch nicht im Anbruch begriffen und die Luft köstlich kühl und klar nach der ungesunden Atmosphäre der Gefängnispferche des Manifesten Schicksals. Die hohen Masten des Cutty-Sark-Schifffahrtsmuseums zeichneten sich scharf vor dem sternenklaren Himmel ab. Ich ließ meine Blicke in beide Richtungen über den steinernen Kai schweifen, aber die Docks waren wie ausgestorben. Und das war auch völlig richtig so; normale Menschen lagen jetzt noch im Bett, und ich war fest entschlossen, ihnen so bald wie möglich nachzueifern. Es war ein langer Tag und eine lange Nacht gewesen, dank der einen oder anderen Sache.
»Sie bringen mich ja an die nettesten Orte, Eddie!«, meinte Molly. »Dürfte ich fragen, was zum Teufel wir hier verloren haben, wo selbst gefallene Engel ohne bewaffnete Leibwächter und schriftlichen Passierschein sich zu schreiten fürchten würden?«
»Greenwich ist heutzutage wirklich ganz zivilisiert«, entgegnete ich. »Praktisch luxussaniert, mancherorts. Ich habe ein Hausboot hier liegen, das nicht nur allen Erfordernissen eines Zuhauses gerecht wird, sondern auch dessen Annehmlichkeiten bietet. Ein weiterer meiner sicheren Plätze, wenn ich die ausgetretenen Pfade verlassen und mich vor allen verstecken muss, sogar vor meiner Familie.«
»Sie wissen nichts von diesem Hausboot?«
»Sie haben nie gefragt. Meine Familie hat sich nie darum gekümmert, wie ich machte, was ich machte, solange ich machte, was man mir sagte. Hier entlang!«
Ein Spaziergang von wenigen Minuten brachte uns zu meinem Hausboot, der Lucky Lady; nur einem unter ein paar Dutzend Barkassen und Hausbooten, die am Kai festgebunden waren. Eine ziemlich wenig teure Möglichkeit, in einem teuren Teil Londons zu wohnen. Man findet hier eine Menge Schauspieler.
Die Lucky Lady tanzte träge auf dem dunklen, teerigen Wasser; sie selbst war in Rennrot und Grün gestrichen und ihre ganzen Messingarbeiten glänzten im gelben Licht der Straßenlaternen. (Ich habe ein kleines Heinzelmännchenwesen, das jede zweite Woche vorbeischaut und das alte Boot rein hält; dafür lasse ich ihm eine Schale Single Malt Whiskey stehen. Ich halte viel davon, die alten Traditionen hochzuhalten - besonders wenn das bedeutet, dass ich nicht mit dem Duraglit auf alle viere heruntergehen muss. Ich hasse es, Messing zu polieren.)
Ich hätte Molly lieber in meine hübsche Wohnung in Knightsbridge mitgenommen, aber das wagte ich nicht: Meine Familie wusste von der Wohnung. Bestenfalls hatten sie Agenten vor Ort, die aufpassten und warteten, für den Fall, dass ich dumm genug wäre, mein Gesicht dort zu zeigen. Schlimmstenfalls - und sehr viel wahrscheinlicher - hatten sie die Wohnung schon auseinandergenommen auf der Suche nach Hinweisen oder belastenden Dokumenten, die sie darauf brächten, wo ich war und was ich vielleicht gerade machte. Ich kannte das Prozedere; ich hatte es selbst oft genug angewandt. Na ja, sollten sie suchen. Ich ließ nie etwas von Wert in meiner Wohnung zurück. Oder sonst wo, um genau zu sein. Ein Frontagent muss bereit sein, jederzeit von allem wegzugehen und nie zurückzublicken. Wir dürfen nicht sentimental sein oder Bindungen entwickeln. Unsere einzigen Wurzeln sind in der Familie. Dafür sorgt die Familie.
Das war ungefähr der Sinn meiner Worte zu Molly, und sie nickte.
»Sie haben wahrscheinlich Ihr ganzes gutes Zeug in Stücke geschlagen, aus reiner Gehässigkeit. Ich habe gesehen, wie Ihre Familie vorgeht. Wissen Sie ganz genau, dass dort nichts ist, mit dessen Hilfe sie Sie aufspüren können? Ich könnte Sie überall finden, ich brauche bloß irgendeinen Gegenstand in Händen zu halten, der einmal Ihnen gehört hat.«
»Nicht, solange ich den Torques trage«, sagte ich. »Meine Rüstung schirmt mich vor allem ab.«
Ich half Molly auf das Deck meines Hausboots hinunter und sprang dann leichtfüßig neben sie. Molly betrachtete mich nachdenklich.
»Ihre Rüstung kommt von Ihrer Familie. Sind Sie sicher, dass sie nicht doch eine geheime Möglichkeit haben, Sie durch die Rüstung zu finden?«
»Absolut sicher! Das war schon immer unsere Stärke und unsere Schwäche. Dieselbe Rüstung, die uns so mächtig macht, isoliert uns auch von allem anderen in der Welt.«
»Dann sind Sie also immer allein?«
»Ja. Das ist der Grund, weshalb so wenige Droods draußen in der Welt zurechtkommen, fern von den allumfassenden Armen der Familie. Kommen Sie, es ist kalt hier draußen. Lassen Sie uns nach unten gehen!«
Ich öffnete die Luke, und wir stiegen in das luxuriös ausgestattete Innere der Lucky Lady hinab. Egal wo ich wohne, ich wohne gern gut. Ich hatte das Hausboot vor einigen Jahren bei einem Pokerspiel mit einem vom Pech verfolgten Privatdetektiv gewonnen; am Ende musste das arme Schwein in seinem eigenen Büro wohnen. Geschah ihm ganz recht; er hatte versucht zu betrügen. Es gibt nichts, was mir mehr Spaß macht, als einen Betrüger zu prellen. Ich kann Extraasse aus Stellen herausziehen, die Sie mir nicht glauben würden!
Ich machte mir in dem alten Wohnbereich zu schaffen, entzündete die alten Schiffssturmlaternen und stellte die Dochte ein, bis das Innere des Hausboots von einem warmen, goldenen Schein erfüllt wurde. Molly oohte und aahte angesichts der aufwendigen Ausstattung und mannomannte beifällig ob der Zeitalterdetails. Die Lucky Lady hat keinen neuzeitlichen Komfort, keine Elektrizität. Der springende Punkt beim Aufenthalt auf dem Hausboot war, von der modernen Welt abgeschnitten zu sein. (Es gibt eine chemische Toilette. Und einen tragbaren CD-Spieler. Es hat keinen Zweck, in diesen Dingen ein Fanatiker zu sein.) Schließlich ließen wir beide uns auf der bequem gepolsterten Chaiselongue nieder, und zum ersten Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit entspannte ich mich.
»Es gefällt mir, wie Sie wohnen, Eddie«, sagte Molly und zog die Beine unter sich an. »Es ist so … so nicht Sie! Ein bisschen einsam allerdings.«
»Das ist der Sinn der Sache«, meinte ich.
Sie schaute mich ernst an. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für Sie sein muss, ein so einsames Leben zu führen - so abgeschnitten von allem und jedem. Nie jemandem vertrauen zu können, der nicht Familie ist.«
»Das kommt mit der Arbeit«, sagte ich. »Und nachdem ich in einem Herrenhaus aufgewachsen war, das vor Familie aus den Nähten platzte, war ich froh, fortzukommen.«
»Hat es denn nie …jemand anders gegeben? Jemand, der Ihnen etwas bedeutete?«
»Nein. Nie. Ich kann niemand zu nahe kommen, ohne ihm zu verraten, was ich mache. Und das erlaubt die Familie nicht. Ehe, sogar … Freundschaften finden nur nach dem Ermessen der Familie statt. Sie müssen genehmigt werden. Besonders bei jenen von uns, die im Außendienst arbeiten und zugänglich für die Versuchungen der Welt sind. Von dem Moment an, wo wir geboren werden und sie unseren Säuglingshälsen den goldenen Torques auferlegen, gehören wir der Familie - mit Leib und Seele. Ich wohne allein, wo immer ich wohne, und wenn ich auch vielleicht von Zeit zu Zeit Leute einlade, mich zu besuchen, so dürfen sie doch nie bleiben. Zu ihrer eigenen Sicherheit.«
»Also … keine Freundinnen? Keine Lebensgefährtinnen? Keine echten Freunde? Was für eine Art von Leben ist das?«
»Ein Leben des Dienstes an einer größeren Sache«, antwortete ich. »Das war es, was ich glaubte. Was mir beigebracht worden war. Wie hätte ich wissen sollen, dass das alles eine Lüge war?«
»Gibt es hier etwas zu Essen oder zu Trinken?«, wechselte Molly netterweise das Thema. »Ich könnte einen Happen vertragen, falls Sie was dahätten.«
»Selbstverständlich!«, sagte ich. »Lassen Sie mich nur schnell ein paar Brotkäfer aus dem Schiffszwieback klopfen!«
Ich machte mich daran, mithilfe der Konservendosen, die ich immer vorrätig habe, eine bescheidene kalte Mahlzeit zu organisieren, und öffnete eine Flasche Brandy, die ich für medizinische Notfälle aufbewahre. Molly beschäftigte sich inzwischen damit, meine CD-Sammlung durchzusehen und abfällige Kommentare über meinen Musikgeschmack von sich zu geben.
»Was ist das denn? Kein Hawkwind, kein Motörhead, nicht mal was von Meat Loaf? Bloß … Judy Collins, Mary Hopkin und Kate Bush …«
»Ich mag Sängerinnen«, erklärte ich, während ich mit einem Tablett hereinkam.
»Na schön, ich werde Ihnen ein paar meiner Within-Temptation-Importe ausleihen; die werden Ihnen gefallen. Es ist eine holländische Band mit einer großartigen Sängerin; ein bisschen wie ABBA auf Crack.«
»Hm«, meinte ich. »Das ist doch mal was, worauf man sich freuen kann!«
Wir fielen mit gesundem Appetit über unser Essen her. Molly schlang ihres hinunter, womit sie sich meine stille Anerkennung verdiente. Ich kann Leute nicht ausstehen, die in ihrem Essen herumstochern. Danach saßen wir zusammen, während der Brandy sich in unseren Mägen erwärmte, gesellig nahe, noch zu aufgedreht vom Adrenalinausstoß der Nacht, um schon zu schlafen. Also redeten wir von alten Zeiten, alten Fällen, wo wir immer auf verschiedenen Seiten gestanden hatten und uns ziemlich oft nach Kräften bemüht hatten, uns gegenseitig umzubringen. Es gibt manche Sachen, über die man nur mit alten Feinden reden
kann. Weil man da gewesen sein muss, um zu verstehen.
Der Fall des Millennium-Upgrades war ein klassischer Schlamassel von beinah legendären Ausmaßen. Meine Familie erfuhr, dass ein ziemlich bedeutender deutscher Wissenschaftler im Begriff war, von Vril Power Inc. in München abzufallen und nach London gekommen war, um die Früchte seiner Forschungen an den Meistbietenden zu verkaufen. Damit spielte die Sache in meinem Territorium, und ich wurde aufs Feld geschickt, um sicherzustellen, dass seine Arbeit an jemanden ging, den die Familie akzeptierte. Oder um den Wissenschaftler ohne Rücksicht auf Verluste auszuschalten, sollte ihm nicht nach Kooperation zumute sein.
Wir geraten normalerweise bei Industriespionage nicht so aus dem Häuschen, aber Herr Doktor Herman Koenig arbeitete an einer zukunftsweisenden Technologie der Schnittstelle von Computer- und Menschenverstand und hatte offenbar eine Methode entwickelt, direkten Kontakt zwischen menschlichem Denken und Rechnerleistungsfähigkeit herzustellen. Theoretisch konnte daraus eine Kombination aus beiden resultieren, die ein Ganzes hervorbringen konnte, das weit größer als die Summe seiner Teile war. Eine ganze Menge Leute war bereit, eine ganze Menge Geld für die Alleinrechte an so einem Verfahren zu bezahlen, daher oblag es mir, sicherzustellen, dass nur die richtige Art von Person es in die Hände bekam. Oder gar keine. Meine Familie kann in manchen Sachen sehr missgünstig sein, auch wenn sie selbst gar nichts damit anfangen kann.
Doktor Koenig hatte sich ein behelfsmäßiges Laboratorium in einer nicht mehr benutzten Denkfabrik der Regierung im alten Bradbury Building eingerichtet, nur ein Stückchen unterhalb vom Centre Point. Dort einzubrechen war ein Kinderspiel. Ich war die Art von Sicherheitsmaßnahmen gewohnt, die einem einen Dämon aus der Hölle entgegenwirft, wenn man es falsch anstellt. Elektronische Schlösser und Bewegungsmelder spielen nicht wirklich in derselben Liga. Herr Doktor hatte nicht mal für ein paar bewaffnete Wachen geblecht, der alte Geizkragen. Ehrlich, manche Leute verdienen alles, was ihnen zustößt!
Gute drei Stunden vor dem geplanten Beginn der Auktion ließ ich mich in die Eingangshalle des Bradbury Buildings hinein und machte ohne Schwierigkeiten meinen Weg durch das stille Gebäude nach oben. Alle anderen waren heimgegangen, nichts ahnend von dem bevorstehenden Drama. Ich rüstete hoch und trabte mühelos die vierundvierzig Treppenfluchten bis zum Stockwerk des Doktors hoch. (Niemals einem Aufzug trauen!) In diesem Fall rechnete ich nicht mit ernst zu nehmendem Widerstand.
Ich wusste nicht, dass Molly Metcalf sich bereits im Gebäude befand.
Sie war mittels eines abgeschirmten Teleportationszaubers auf dem Dach angekommen, hatte sich hereingelassen und war selbst auf dem Weg nach unten. Sie war da, um Doktor Koenig vor Störungen von außen zu beschützen. Nicht, weil sie etwas von der eigentlichen Bedeutung des Computer/ Menschenverstand-Interfaces verstanden hätte - oder, wäre das der Fall gewesen, es gutgeheißen hätte -, sondern weil sie leidenschaftlich an das Recht der Menschen glaubte, sich selbst mit allen möglichen Mitteln zu verbessern und dadurch dabei zu helfen, die Welt von der Drood-Kontrolle zu befreien.
Stimmt, sagte Molly an diesem Punkt. Computer sind mir ein Rätsel. Ich kann gerade mal meine E-Mail bearbeiten, und das war's auch schon. Obwohl es mir Spaß macht, auf nicht ganz astreinen Pornosites zu surfen.
Also: Wir stürzten beide im selben Moment ins Labor des Doktors, erschreckten den Kerl zu Tode und blieben dann jäh stehen, um uns gegenseitig wütend anzufunkeln. Ich kannte Molly vom Hörensagen, und natürlich erkannte auch sie augenblicklich die goldene Rüstung. Wir schlugen mit jeder Waffe aufeinander ein, die wir hatten, entfesselten Energien und Kräfte, die für jeden anderen außer uns sofort tödlich gewesen wären. Doktor Koenig schrie hysterisch auf Deutsch herum und versuchte, seine kostbare Ausrüstung mit dem eigenen Körper zu schützen. Das Ganze eskalierte sehr schnell … und wir ließen es buchstäblich krachen. Das Bradbury Building bröckelte einfach auseinander und zerfiel unter der Gewalt der Kräfte, die wir freisetzten. Das ganze Gebäude brach wie ein Kartenhaus in Schutt und Asche zusammen. Molly und ich kamen natürlich völlig unversehrt heraus, aber Herr Doktor Koenig war dahin und seine ganze Ausrüstung mit ihm. Zwar gab man ihm die Schuld an der Explosion, aber es war trotzdem nicht gerade eine meiner Glanzleistungen. Gewisse Personen in meiner Familie äußerten sich anschließend sehr bissig.
Und so lernte ich die wilde Hexe Molly Metcalf kennen.
Die letzte Mission, bei der wir aneinanderrasselten, war der Fall des wiedergeborenen Pendragons. Es schien, als ob sämtliche Präkogs und Medien des Landes, die etwas taugten, aufgeregt über die Rückkehr des Pendragons berichteten: dass Artus wiedergeboren worden war und bald anfangen würde sich zu erinnern, wer er wirklich war. Und schon war alles auf den Beinen, um ihn als Erstes zu finden und für sich zu beanspruchen.
Und die arme Socke einer Gehirnwäsche im Sinne ihrer jeweiligen Sache zu unterziehen, unterbrach Molly.
Tja, ganz recht, sagte ich.
Wie dem auch sei, meine Familie hat immer die besten Informationen, und der wiedergeborene Pendragon war schnell als ein gewisser Paul Anderson identifiziert, ein junger Angestellter einer Werbeagentur mit Sitz in Devon. Wie sich herausstellte, war der einzige Drood-Agent in dieser Gegend nach einem äußerst bedauerlichen Zwischenfall, in den eine der lokalen einflussreichen Personen, Joan das Euter, verwickelt war, immer noch arbeitsunfähig, also schickte man mich hin, um einzuspringen, mit der Begründung, dass ich der einzige Außendienstagent war, der gegenwärtig nicht an einem Fall arbeitete. Die Familie konnte mich nicht dorthin teleportieren, denn ein solcher Zauber hätte entdeckt werden und unser Interesse verraten können. Deshalb musste ich den Zug von London nach Devon nehmen, und das ist eine verflucht lange Reise.
Die Familie war nicht einmal bereit, eine Erste-Klasse-Fahrkarte springen zu lassen.
Aber ich kam als Erster bei Paul Anderson an, erklärte ihm die Lage, so gut ich konnte, zeigte ihm meine Rüstung, um zu beweisen, dass ich nicht verrückt war, und überredete ihn dazu, mit mir ins Herrenhaus zurückzukommen, um weitere Tests durchzuführen. Nur um sicherzugehen, dass er der wahre Jakob war. (Sie wären erstaunt, wie viele Thronprätendenten jedes Jahrhundert auftauchen. Und von dem verdammten Fischerkönig will ich gar nicht erst anfangen.) Genau genommen war Paul ziemlich erleichtert. Offenbar hatte er wiederholt sehr lebhafte Träume von Rittern in Rüstung gehabt, die auf rauen Schlachtfeldern blutig zusammenstießen - was für einen jungen Mann mit Aufstiegschancen in der Werbebranche ein bisschen beunruhigend war.
Und dann kreuzte Molly auf. Schrie, Paul solle sich verdammt noch mal von mir fortschaffen, schimpfte mich einen Lügner und faschistischen Handlanger und drängte ihn dann mit dem Rücken an die Wand seines eigenen Wohnzimmers, während sie ihn mit all ihren besten Argumenten förmlich erschlug. Ich argumentierte in meiner Ecke nicht weniger heftig, und bald brüllten Molly und ich uns gegenseitig ins Gesicht. Leider gelang es uns damit nur, Paul völlig kirre zu machen, bis er seinerseits uns beide anschrie, wir sollten aus seinem Haus und aus seinem Leben verschwinden und ja nie wiederkommen. Molly war es nicht gewohnt, überschrien zu werden, also schlug sie mit ihrem besten Zweifelzerstreuungszauber auf ihn ein und zwang damit seine ererbte Kernpersönlichkeit an die Oberfläche.
Und das war der Moment, wo alles den Bach runter ging.
Der Zauber traf etwas in Paul Anderson, weitete sich völlig unkontrolliert aus und jagte das Häuschen, in dem wir standen, in die Luft. Zuerst dachte ich wirklich, Molly und ich hätten es wieder verbockt, aber als der Rauch sich lichtete, standen wir alle drei wohlauf und munter in den Trümmern des Häuschens. Ich in meiner Rüstung, Molly in ihrem Schutzschild und Paul Anderson in geschwärzten und zerrissenen Kleidern, aber mit einem ganz neuen Ausdruck in seinem Gesicht. Molly nutzte den Moment, um mich anzugreifen, fest entschlossen zu verhindern, dass die Droods diesen wiedergeborenen Pendragon beeinflussen und kontrollieren würden. Ich wehrte mich natürlich, und während wir beide abgelenkt waren, spazierte der neue Pendragon einfach fort in die Nacht hinein.
Der erste Hinweis, den Molly und ich darauf erhielten, dass etwas schrecklich schiefgelaufen war, war, dass der Wald auf dem Hügel hinter dem Häuschen explodierte. Wir stellten unsere Versuche, einander umzubringen, ein und schauten uns um, und so weit meine Blicke reichten, stand der ganze Horizont in Flammen, und die jahrhundertealten brennenden Bäume hoben sich hell gegen den Nachthimmel ab. Die Flammen schlugen hoch, wild und boshaft, geschürt von mehr als nur Naturkräften. Molly und ich einigten uns auf eine sehr einstweilige Waffenruhe und gingen den Hügel hoch, um nachzusehen, was zum Teufel los war. Nie werde ich den ersten Anblick des Mannes vergessen, der Paul Anderson gewesen war, wie er lachend in den Flammen stand, verwandelt und umgestaltet, unberührt von der entsetzlichen Hitze, und uralte und furchtbare Zaubersprüche in einer vergessenen Sprache sang.
Wie sich herausstellte, hatten die Präkogs und Medien es nur zur Hälfte richtig mitbekommen, wie üblich. Paul Anderson war eine Pendragon-Wiedergeburt, so weit, so gut - aber nicht Artus. Paul war Mordred, Sohn von Artus, wieder da, um seine Bosheit auf der Welt zu verbreiten.
Vorsichtig näherten Molly und ich uns ihm. Wir wussten beide, wer er war, wer er sein musste. Ich dachte bereits ernsthaft darüber nach, Verstärkung anzufordern. Falls Mordred seine volle Macht wiedererlangt hatte, spielte er in einer ganz anderen Liga als ich. Zum Glück hatte Mollys Zauber ihn verfrüht zurückgebracht, und er war immer noch ziemlich verwirrt. Ansonsten hätte er nie einen so elementaren Angriffszauber gegen meine Rüstung losgelassen. Die Rüstung warf den Zauber genau auf ihn zurück und sprengte seine noch ungeschützte menschliche Gestalt in Stücke. Nichts blieb von ihm übrig außer blutigen Klumpen, die sich im weiten Umkreis verteilten.
Molly verschwand, während ich damit beschäftigt war, eine Truppe zu organisieren, die sich um den Waldbrand kümmerte.
Und diesmal war die Familie richtig stinkig.
Das war so ziemlich das Muster über die Jahre. Molly und ich tauchten auf, um irgendeine wichtige Person oder einen wichtigen Preis für uns zu beanspruchen, bei jeder Auseinandersetzung immer auf verschiedenen Seiten und mehr als bereit, uns gegenseitig umzubringen, um zu verhindern, dass der andere mit dem Preis oder der Person entwischte. Manchmal gewann ich, manchmal sie, aber alles in allem waren die Trümpfe gleichmäßig verteilt, würde ich schätzen. Ich kann nicht sagen, dass ich sie jemals wirklich gehasst hätte, und ich war erleichtert zu erfahren, dass es ihr genauso ging. Es war immer nur rein geschäftlich für uns beide, nur die Arbeit, nichts Persönliches. Außer dass es auf eine seltsame Weise irgendwann doch persönlich wurde. Wenn man jemanden wirklich kennen- und bewundern lernen will, gibt es nichts Besseres, als wiederholt zu versuchen, ihn zu töten. Um seine Qualitäten schätzen zu lernen.
»Wie viele Leute haben Sie umgebracht, Eddie?«, fragte Molly irgendwann, während sie die Knie an die Brust zog und die Arme darum legte.
Ich zuckte mit den Schultern. Die Frage als solche brachte mich nicht in Verlegenheit; es war einfach nichts, worüber ich jemals nachgedacht hatte. »Ich habe vor Jahren aufgehört zu zählen. Und Sie?«
»Überraschend wenige, alles in allem. Es ist eine große Sache, jemand zu töten. Man tötet ja nicht nur den, der er ist, sondern auch alle, die er vielleicht noch werden würde, und alles, was er vielleicht noch getan hätte.«
»Manchmal ist das der springende Punkt«, sagte ich. Es war mir wichtig, dass sie es verstand. Dass ich ein Agent war, kein Mörder. »Ich denke gern, dass ich immer nur aus Notwehr getötet habe, oder um die Welt zu beschützen. Um zukünftiges Leiden oder Töten zu verhindern. Aber am Ende … war meine Aufgabe nur, alles zu machen, was meine Familie mir sagte. Und das tat ich, denn ich vertraute ihnen. Wenn sie mir sagten, jemand müsse getötet werden, dann ging ich immer davon aus, dass sie einen guten Grund dafür hatten. Zu meiner Verteidigung würde ich anführen, dass sie meistens recht hatten und das ganz offensichtlich. Ich habe in meiner Zeit so manchen wirklich üblen Scheißkerl getötet. Ich könnte Ihnen Namen nennen …«
»Wahrscheinlich kenne ich sie schon«, sagte Molly. »Sie haben einen ziemlichen Ruf, Eddie.«
»Ich weiß. Einst war ich stolz darauf. Aber nicht nur als Killer, hoffe ich?«
»Naja … größtenteils. Der diskreteste Agent waren Sie nie, Eddie.«
»Sie scheinen ja eine ganze Menge zu wissen!«, sagte ich lässig. »Bei den meisten meiner Aufträge war ich drin und wieder draußen, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Das ist das Merkmal eines guten Agenten: Er führt seinen Auftrag aus, und niemand erfährt je, dass er da war.«
»Wenn Sie es sagen!«, meinte Molly lächelnd. »Aber … haben Sie denn nie einen ihrer Befehle infrage gestellt? Einen ihrer Aufträge?«
»Wieso sollte ich? Sie kamen von meiner Familie. Wir wurden alle großgezogen, um den guten Kampf zu kämpfen, um die Welt zu beschützen, um uns selbst als Helden im größten Spiel von allen zu betrachten. Familie war das eine, worauf man sich in einer unzuverlässigen Welt verlassen konnte. Also brachte ich die Leute um, die sie mir nannten. Und wenn ich auch manchmal nicht glücklich darüber war, was ich machte … ich lernte damit zu leben.«
»Und deshalb leben Sie allein«, sagte Molly. »Abgesehen von Familie, wer könnte hoffen, die Dinge zu verstehen, die wir tun?«
Wir saßen eine Weile still da und hörten Enya zu, die auf dem tragbaren CD-Spieler sang. Von draußen kam das leise Murmeln des Windes, die Geräusche des Wassers und des Kais und das ferne Grollen des Stadtverkehrs. Eine ganze Welt, die weitermachte, genau wie immer, nicht wissend, dass alles sich geändert hatte. Aber das … musste bis morgen warten. Ich konnte spüren, wie mein Körper sich langsam entspannte, herunterdrehte von einem Tag, von dem ich gedacht hatte, er würde niemals enden.
»So«, sagte Molly schließlich. »Was machen wir als Nächstes? Was können wir als Nächstes machen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich aufrichtig. »Ich habe viel erfahren, was ich nicht gewusst habe, aber nicht das, was ich wissen muss: Warum meine Familie mich den Wölfen vorgeworfen hat. Warum ich von einer Familie für vogelfrei erklärt worden bin, der ich mein ganzes Leben lang treu gedient habe. Warum meine eigene Großmutter mich unbedingt tot sehen will. Irgendetwas muss ich getan haben, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, was. Ich meine, ich weiß jetzt, wieso meine Familie sich so lang an die Macht geklammert hat; ich weiß, worum es bei den Geschäften der Drood-Familie wirklich geht. Aber es ist nicht so, dass ich irgendetwas davon vor dem heutigen Tag gewusst oder auch nur geahnt hätte.«
»Haben Sie schon einmal in Betracht gezogen, mit anderen Mitgliedern der Familie in Verbindung zu treten, die selbst ausgestoßen wurden?«, fragte Molly plötzlich. »Würden Sie das gerne? Ich meine, wenn schon sonst nichts, sollten die wenigstens in der Lage sein, Ihnen einige wertvolle Tipps zu geben, wie man sich vor Ihrer Familie versteckt, wie man auf sich allein gestellt überlebt, draußen in der Welt.«
Ich dachte darüber nach. Ich hatte immer noch eine entschiedene Abneigung gegen das Wort vogelfrei, auch wenn ich es inzwischen selbst war. Im Lauf der Familiengeschichte hatte es schon immer Vogelfreie gegeben, gewisse Individuen, die den Einfluss der Familie abgeschüttelt und Reißaus in die Welt genommen hatten. Oder aus gutem Grund weggejagt worden waren. Ihre Namen wurden aus der Ahnentafel der Familie gestrichen, und niemand durfte sie jemals wieder erwähnen. Genau in diesem Moment, daheim im Herrenhaus, war jemand dabei, sämtliche Spuren meiner Existenz auszulöschen, und jeder, der mich je gekannt hatte, würde angewiesen werden, nie mehr meinen Namen zu gebrauchen. Selbst mein Onkel Jack und mein Onkel James würden mitziehen. Für die Familie. Vogelfreie waren schlimmer als Verräter; sie waren eine Peinlichkeit. Und so verbrachten sie ihr Leben versteckt und in ständiger Tarnung, um nicht gehetzt und getötet zu werden.
»Der einzige Vogelfreie, den ich je gekannt habe«, sagte ich langsam, »war der Blutige Mann, Arnold Drood. Übler kleiner Scheißkerl. Wissen Sie, was er getan hat? Mit den Kindern? Ich kann nicht glauben, wie lange er es geheim halten konnte … Wie dem auch sei, die Familie sagte mir, was er getan hatte und wo er sich versteckt hielt, und ich ging geradewegs hin und tötete ihn.« Ein schrecklicher Gedanke schoss mir durch den Kopf, und ich schaute Molly ängstlich an. »Sie sagten es mir … aber war es auch wirklich wahr? Habe ich einen unschuldigen Mann umgebracht?«
»Nein!«, sagte Molly schnell und tätschelte mir beruhigend den Arm. »Entspannen Sie sich, Eddie! Er hat tatsächlich die ganzen entsetzlichen Sachen gemacht, die ihm alle nachgesagt haben. Ihre Familie waren nicht die Einzigen, die sich dem Blutigen Mann an die Fersen geheftet hatten. Aber nur einer von euch konnte ihn trotz seiner Rüstung erwischen.« Einen Augenblick lang sah sie mich nachdenklich an. »Wie haben Sie es geschafft, ihn zu töten, Eddie?«
»Das war nicht schwer«, antwortete ich. »Ich habe gemogelt. Lassen Sie uns das Thema wechseln! In Anbetracht der Tatsache, dass ich so lange ein so guter Soldat gewesen bin, wird sich da überhaupt einer der anderen Vogelfreien bereit erklären, mit mir zu reden?«
»Sie werden mit mir reden«, sagte Molly. »Ich hatte in meiner Zeit mit ein paar von ihnen zu tun. Schauen Sie nicht so schockiert, Eddie! Sie befinden sich jetzt draußen in der wirklichen Welt, und hier packen wir die Dinge anders an. Allianzen kommen und gehen, und wir alle verkehren, mit wem immer wir eben verkehren müssen, um unsere Angelegenheiten erledigt zu bekommen. Ich habe keine Familie, die mich unterstützt, also habe ich mir aus den wenigen Menschen, denen ich wirklich vertraue, meine eigene gemacht. Ich kenne überall Leute. Und ich kenne auch Leute, die Leute kennen. Genau genommen kenne ich drei vogelfreie Droods, die in und um London leben. Wenn ich mich für Sie verbürge, werden sie einem Treffen zustimmen. Wahrscheinlich.«
»Mir liegt nichts daran, bloß zu überleben«, sagte ich. »Ich werde mich nicht in einem Loch verkriechen und es hinter mir zuscharren wie die andern Vogelfreien. Ich muss meine Familie zu Fall bringen, tief zu Fall bringen, für das, was sie getan haben. Dafür, dass sie nicht sind, was sie zu sein behauptet haben. Aber … es muss auch jemand da sein, der stark genug ist, das Manifeste Schicksal aufzuhalten. So schlimm meine Familie auch ist, diese Dreckskerle sind noch schlimmer. Und Sie können darauf wetten, dass der ganze Schaden, den wir ihnen heute zugefügt haben, sie noch nicht mal bremsen wird. Sie sind groß und sie sind organisiert und sie sind verkommen bis ins Mark. Falls ich die Macht der Droods über die Welt breche … wer wäre dann noch übrig, der stark genug ist, Truman an all den schrecklichen Sachen zu hindern, die er jedem antun will, der nicht zum Manifesten Schicksal gehört?«
»Da gibt es eine offensichtliche Antwort«, sagte Molly. »Hetzen Sie sie sich gegenseitig auf den Hals!«
»Nein!«, widersprach ich sofort. »Ich will nicht dafür verantwortlich sein, einen Krieg anzufangen. Zu viele Unschuldige würden sterben, weil sie ins Kreuzfeuer geraten. Außerdem hat auch nicht jeder in meiner Familie Dreck am Stecken; manche sind gute Menschen, die den guten Kampf nicht nur aus Verpflichtung der Familie gegenüber kämpfen, sondern einfach weil sie glauben, dass es das Richtige ist.«
»Wenn Sie es sagen!«, meinte Molly.
Jetzt war die Reihe an mir, sie nachdenklich zu betrachten. »Ich kam nicht umhin zu bemerken, Molly, dass Sie heute sehr … wortkarg, geradezu zurückhaltend waren. Keine Ihrer üblichen wilden Zaubereien wie sonst in unseren Kämpfen. Genau genommen haben Sie den Großteil der harten Arbeit mir überlassen.«
Sie grinste. »Ich habe mich schon gefragt, wann Sie es wohl merken würden. Ich habe Sie in Aktion beobachtet, Eddie, wollte sehen, was Sie können. Ich habe versucht, mir ein Bild davon zu machen, wer Sie wirklich sind. Ich habe die Droods die meiste Zeit meines Lebens gehasst und bekämpft, und das aus gutem Grund: Sie haben meine Eltern ermordet, als ich noch ein Kind war.«
»Es tut mir leid!«, sagte ich. »Das wusste ich nicht.«
»Ich habe nie herausgefunden, warum. Droods stehen nicht darauf, ihre Handlungen zu erklären. Deshalb konnte Truman mich auch so leicht umgarnen … Aber Sie waren schon immer anders, Eddie. Ich habe zu meiner Zeit gegen ein Dutzend verschiedener Drood-Agenten gekämpft, aber Sie … Sie waren der Einzige, der jemals sauber gekämpft hat. Sie haben mich immer … fasziniert, Eddie.«
»Ich liebe es, wenn eine Frau unanständige Sachen sagt!«, entgegnete ich.
Wir beugten uns zueinander hin, als der Annäherungsalarm des Hausboots losging, ein geräuschloses karminrotes Licht, das die Kajüte erfüllte. Ich bedeutete Molly mit einer eindringlichen Geste, still zu sein, und stand schnell auf, um den CD-Spieler auszuschalten. Draußen heulte der Wind mit einer Stimme, die nicht ganz allein seine war. Mit einer scharfen Gebärde brachte ich das karminrote Warnlicht zum Erlöschen und ließ mich wieder neben Molly fallen. Ich brachte meinen Mund dicht an ihr Ohr.
»Nicht bewegen, nicht sprechen, mach gar nichts! Da draußen ist etwas. Und mein Sicherheitsalarm würde nicht so aufleuchten, wenn es nicht etwas wirklich Fieses in der näheren Umgebung wäre.«
»Das nach uns sucht?«, fragte Molly nahezu unhörbar.
»Höchstwahrscheinlich. Aber es ist nicht meine Familie; das würde einen ganz anderen Alarm auslösen.«
»Hast du irgendwelche Waffen an Bord?«
»Nein. Und auch keine Verteidigungssysteme. Das ist ja der Gedanke, der hinter diesem Boot steckt: Hier gibt es nichts, was irgendwie Aufmerksamkeit erregen könnte, nichts, was irgendein Feind spüren könnte. Es ist praktisch gar nicht existent.«
Wir lauschten dem tobenden Wind. Die Kajüte hob und senkte sich jetzt stoßweise, denn etwas wühlte das Wasser auf. Die Temperatur fiel jäh ab. Mein Atem dampfte in der Luft und vermischte sich mit dem von Molly.
»Was glaubst du, was es ist?«, wisperte Molly.
»Könnten alle möglichen richtig bösen Wesen sein. Ich habe mir im Lauf meiner Karriere einige ernst zu nehmende Feinde gemacht. Wahrscheinlich denken sie, dass ich jetzt, wo meine Familie mich verstoßen hat, verwundbar bin.«
»Aber du hast deine Rüstung und ich habe meine Zaubersprüche …«
»Nein. Wenn wir unsere Position verraten, werden wir uns wieder auf die Flucht begeben müssen, und mir gehen allmählich die sicheren Verstecke aus. Halt den Kopf unten und bleib dicht bei mir! Die bloße Nähe zu meinem Torques müsste dich ebenfalls verbergen.«
Wir saßen schweigend zusammen, während das Hausboot schlingerte und stampfte und der Wind wie ein lebendiges Wesen heulte. Eine nach der anderen flackerten die Sturmlaternen und erloschen, sodass eine zunehmende Düsterkeit die Kajüte erfüllte, als ob etwas ganz in der Nähe sei, das Licht und Wärme nicht ertragen konnte. Ich konnte die Präsenz von etwas schrecklich anderem spüren, das unerbittlich heranrückte, etwas Bösem und Scheußlichem, wie ein Stachel in meiner Seele. Ich zitterte inzwischen und Molly ebenso, und das nicht nur vor der bitteren Kälte, die die Kajüte durchdrang. Etwas suchte nach uns, etwas, was für unsere Körper und unsere Seelen gefährlich war, und es war gefährlich nahe. Ich nahm Molly in die Arme und sie klammerte sich an mich. Ob ich sie festhielt, um sie näher an den Torques heranzubringen oder einfach nur aus dem verzweifelten Bedürfnis nach menschlicher Berührung heraus, konnte ich nicht sagen.
Ich hätte hochrüsten können. Ich war mir ziemlich sicher, dass meine Rüstung mich vor dem beschützen würde, was draußen lauerte. Aber der Einsatz so starker Magie hätte meine Position sofort verraten. Und Molly wäre schutzlos geblieben.
Schließlich bewegte sich die Präsenz draußen weiter, und die Nacht wurde wieder normal. Der Wind ließ nach, bis er nur noch ein Raunen war, und das Hausboot hörte auf zu schaukeln, als das Wasser sich beruhigte. Die Sturmlaternen gingen plötzlich wieder an, eine nach der anderen, und langsam füllten Licht und Wärme wieder die Kajüte. Molly fing an, sich von mir loszumachen, und ich gab sie sofort frei. Sie schüttelte langsam den Kopf und streckte sich dann theatralisch.
»Gott, bin ich müde! Komm nicht auf dumme Gedanken, Eddie! Wir sind Verbündete in diesem Fall, mehr nicht!«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich brauche etwas Schlaf. Hättest du gern eine heiße Schokolade, ehe wir uns hinhauen?«
»Heiße Schokolade klingt sehr gut«, antwortete sie. »Aber wo genau hauen wir uns hin? Wie viele Betten hast du hier?«
»Nur das eine«, erklärte ich, »im Schlafzimmer am anderen Ende. Du kannst dort übernachten, und ich lege mir ein paar Decken auf den Boden hier.«
»Mein perfekter edler Ritter!«, sagte Molly lächelnd.
Ich bereitete uns in der winzigen Schiffsküche zwei Becher dampfend heißer Schokolade zu, und wir saßen noch eine Weile zusammen und sprachen über nichts Besonderes. Einfach abspannen nach einem langen, harten Tag. Schließlich begannen wir beide zu gähnen, Molly fielen die Augen zu, und sie schlief mitten auf der Couch ein. Ich rettete den Becher aus ihren langsam erschlaffenden Fingern und stellte ihn zur Seite. Der Schlaftrunk, den ich ihr in den Becher getan hatte, hatte ausgezeichnet gewirkt, verschleiert vom intensiven Geschmack der Schokolade. Es war nicht so, als ob ich ihr gänzlich misstraut hätte, aber wir hatten schon zu oft versucht, uns gegenseitig umzubringen, und ich musste mich sicher fühlen können, während ich schlief.
Ich hob Molly hoch und trug sie in das kleine abgetrennte Schlafzimmer am anderen Ende des Hausboots. Vorsichtig breitete ich sie auf dem Bett aus und knöpfte ein paar Knöpfe an ihrem Hals auf. Sie bewegte sich träge im Schlaf und murmelte wie ein träumendes Kind. Ich fing an, ein paar Extradecken auszusortieren, aber ich war einfach zu müde. Und das Bett bot massig Platz für zwei. Ich streckte mich neben ihr aus. Molly schnarchte bereits leise. Bestimmt würde sie mir ein paar harte Worte zu sagen haben, wenn sie morgen früh aufwachte … aber das konnte warten.
Mein Bett passte mir wie angegossen, und Schlafen hatte sich noch nie so gut angefühlt.