Nach dem Höllenlärm, der an Bord der Himmelsstadt geherrscht hatte, kam Charity die Stille doppelt intensiv vor. Und sie besaß etwas Unangenehmes, Tödliches. Vielleicht ist diese Stille das letzte, was du in deinem Leben hörst, dachte Charity.
Sie hatten das Shuttle mit einem einzigen, kräftigen Schub der Triebwerke aus dem Hangar katapultiert und dann jedes technische Gerät an Bord abgeschaltet, das sie entbehren konnten. Selbst das Summen der Sauerstoffversorgung war verstummt. Das Shuttle war groß genug, um fünfundzwanzig Passagiere oder eine entsprechende Menge Fracht aufzunehmen. Charity hoffte, daß der Sauerstoff an Bord für nur drei Passagiere ausreichen würde, um den halbstündigen Flug zur EXCALIBUR zu überstehen. Sie konnten es sich nicht leisten, irgendein Gerät an Bord einzuschalten, das Wärme oder auch nur Energie in nennenswerter Menge produzierte.
Ihr Plan war so einfach wie riskant. Keiner von ihnen bildete sich ein, daß der Start des Shuttle den Angreifern verborgen geblieben war. Aber wenn sie auch nur halb so gut über Skytown Bescheid wußten, wie es nach ihrem bisherigen Vorgehen den Anschein hatte, dann mußten sie auch erkannt haben, daß es sich um einen unbewaffneten Transporter handelte, und nicht um ein Kampfschiff. Ihr ganzer Plan beruhte einzig auf der Hoffnung, daß die unbekannten Aggressoren glaubten, es würde sich um ein Schiff mit Flüchtigen handeln, und daß sie ihm weiter keine Beachtung schenkten.
Der Kurs, den sie eingeschlagen hatten, führte in flachem Winkel zur Erde. Fügte man in seiner zweiten Hälfte einen fast rechtwinkligen Knick hinzu, lag am Endpunkt des Kurses die EXCALIBUR. Der Augenblick, in dem sie den Kurs ändern mußten, war der kritische Moment. Sie hatten eine gute Chance, daß das Shuttle bereits von den Ortungsschirmen des Angreifers verschwunden war, denn so, wie es mit abgeschalteten Triebwerken durch das All glitt, war es wenig mehr als ein Stück totes Metall und kaum von den zahllosen Bruchstücken zu unterscheiden, die seit der Vernichtung des Mondes ununterbrochen auf die Erde herabregneten.
Eine Chance - aber keine Garantie. Es konnte auch gut sein, daß sie im gleichen Moment starben, in dem sie die Triebwerke zündeten.
Charity verscheuchte den Gedanken. Es war ihr Job, Risiken einzugehen. Sie wandte sich wieder dem Fenster zu, hinter dem Skytown rasch an Größe verlor. Aus der Entfernung betrachtet, sahen die Schäden, die der Station von den Angreifern zugefügt worden waren, beinahe harmlos aus. Doch Charity und die beiden anderen hatten auf dem Weg zum Hangar gesehen, daß die Schäden alles andere als harmlos waren. Skytown brannte an einem halben Dutzend Stellen, und es hatte zahlreiche Verletzte und Tote gegeben.
Trotzdem machte der Anblick deutlich, daß es den Angreifern nicht darum gegangen war, die Himmelsstadt zu zerstören. Abgesehen von dem Treffer auf dem Aussichtsdeck, der Charity immer mehr wie ein bloßer Terrorakt vorkam, hatten die Fremden die Station mit beinahe chirurgischer Präzision entwaffnet.
»Noch zehn Minuten«, sagte Hartmann.
In seiner Stimme war etwas, das Charity dazu brachte, ihm einen raschen Blick zuzuwerfen. Es waren die ersten Worte, die Hartmann gesagt hatte, seit sie ins Shuttle gestiegen waren. Sein Gesicht war verschlossen und zeigte keinerlei Regung, aber Charity wußte genau, was in ihm vorging.
»Sie haben es bestimmt geschafft«, sagte Charity. »Net ist eine hervorragende Pilotin.«
Hartmann schwieg auch dazu, doch die Frage, die in seinen Augen geschrieben stand, war nicht zu übersehen. Wenn Net durchgekommen war, wo blieb dann die Verstärkung?
Charity sah bewußt wieder weg. Sie machte sich ebenfalls Sorgen um Net und die Kinder, doch Net war nicht nur ihre Freundin, sie war Hartmanns Frau, und Jack und Christopher waren seine Kinder. Charity wußte, daß Hartmann es nicht überwinden würde, wenn ihnen etwas zugestoßen war.
»Ich möchte zu gern wissen, wer sie sind«, murmelte Skudder. »Warum greifen sie uns an, verdammt?«
»Um uns zu entwaffnen«, antwortete Hartmann tonlos. »Wenn ich die Erde überfallen wollte, würde ich es ganz genau so machen: Skytown, die EXCALIBUR...«
Er sprach nicht weiter, aber Charity führte den Satz für ihn zu Ende.
Und die beiden Basen in Europa und Nordamerika. Es war möglich, daß Net entkommen war und den Jet mitten in eine Schlacht lenkte.
Die Zeit verstrich quälend langsam. Schon vor Ablauf der Frist stiegen sie in die Raumanzüge. Die Kleidungsstücke hatten nichts mehr mit den klobigen Panzern zu tun, in denen sich die Astronauten des vergangenen Jahrhunderts bewegt hatten - oder es wenigstens versuchten. Sie unterschieden sich kaum von den normalen Monturen, die sie an Bord der Himmelsstadt trugen, bestanden aber aus einem äußerst widerstandsfähigen Material, das seinen Träger mehrere Stunden lang zuverlässig vor der Weltraumkälte schützte. Die dazugehörigen Helme bestanden aus einer dünnen, transparenten Folie, die sich durch den Luftdruck im Inneren des Anzuges aufbliesen. Selbst im absoluten Vakuum und der Kälte des Weltraums konnten sie in diesen Anzügen vier oder fünf Stunden überleben; wenn sie sparsam mit ihrer Atemluft umgingen, auch länger.
Aber das spielte im Moment keine Rolle. Ihr Plan basierte auf der Annahme, daß es schnell ging. Skytown hatte keine vier oder fünf Stunden. Vielleicht nicht einmal die halbe Stunde, die sie brauchten, um zur EXCALIBUR zu fliegen und zurückzukommen.
Wenn sie zurückkamen.
»Jetzt«, sagte Hartmann. Mit ein paar schnellen Handgriffen erweckte er den Bordcomputer des Shuttles wieder zum Leben. Nur Sekunden später erwachten auch die Triebwerke des kleinen Transportschiffes. Das Shuttle begann zu beben, schüttelte sich wie ein Pferd, das einen Moment lang gegen das Geschirr ankämpfte, und richtete den stumpfen Bug dann langsam auf den leuchtenden Stern über dem Erdhorizont aus, der die EXCALIBUR darstellte.
Charitys Blick wanderte nervös zwischen den Kontrollen des Shuttle und dem flimmernden Lichtpunkt hin und her. Wenn die Angreifer den Raum zwischen der Erde und der EXCALIBUR mit ihren Ortungsgeräten absuchten, dann mußten sie sie einfach entdecken.
Nichts geschah. Hartmann richtete das Shuttle direkt auf die EXCALIBUR aus und beschleunigte weiter. Eine Minute, zwei... länger, als Charity lieb war. Aber sie sagte nichts. Hartmann war der eindeutig bessere Pilot von ihnen beiden. Wenn es überhaupt jemandem gelingen konnte, sie unbemerkt zur EXCALIBUR zu bringen, dann Hartmann.
Nach quälenden, endlosen vier Minuten schaltete Hartmann zuerst die Triebwerke und dann sämtliche anderen Geräte an Bord ab. Jäh wurde das Shuttle wieder zu einem Stück leblosem Metall, das sich allenfalls noch durch die Restwärme seiner Triebwerke verraten konnte; ein Umstand, an dem aber nichts zu ändern war.
»Wir sind auf Kurs«, sagte Hartmann überflüssigerweise. »ETA in neunzehn Minuten.«
Eine Ewigkeit. Hätte sie die Triebwerke ein paar Minuten länger benutzen können, so wäre diese Frist auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft. Aber es erschien Charity jetzt schon fast wie ein Wunder, daß das Leuchtfeuer, das sie für vier Minuten auf so ziemlich allen Wellenlängen veranstaltet hatten, nicht bemerkt worden war.
»Wir werden sie nicht genau treffen«, sagte Hartmann. »Aber ich hoffe, wir kommen nahe genug heran, daß wir das restliche Stück mit den Anzügen schaffen können.« Er blickte Charity und Skudder nacheinander an. »Hat einer von euch schon einmal eine Viper geflogen?«
Zumindest in Charitys Fall war die Frage überflüssig; Hartmann wußte, daß sie diese Maschinen nicht kannte. Nach einem Augenblick schüttelte aber auch Skudder den Kopf.
»Es ist nicht allzu schwer«, fuhr Hartmann fort. »Die Jäger fliegen sich fast von allein. Es gibt einen Neurohelm für den Piloten, aber ich würde euch nicht raten, ihn zu benutzen. Es braucht einige Übung, um damit umzugehen. Achtet auf die Seriennummern. Nur die Jäger mit den ungeraden Endnummern sind vollgetankt und bewaffnet. Der Rest ist erst vergangene Woche auf die EXCALIBUR verlegt worden. Ich weiß nicht, ob sie schon startbereit sind.«
»Wie viele Piloten sind an Bord der EXCALIBUR?« fragte Skudder.
»Drei«, antwortete Hartmann. »Uns mitgerechnet, falls wir ankommen.«
»Oh«, sagte Skudder.
»Wir haben keine Zeit, uns um die EXCALIBUR zu kümmern«, sagte Hartmann. »Ganz egal, was dort vor sich geht. Laßt euch auf keinen Fall auf irgend etwas ein. Ganz gleich, was ihr auch seht.«
Skudder wollte etwas sagen, doch Charity warf ihm einen raschen, beschwörenden Blick zu, und der Indianer beließ es bei einem Nicken. Hartmann gab Anordnungen, die nicht nötig waren. Sie wußten so gut wie er, worauf es ankam. Wahrscheinlich redete er nur, um überhaupt etwas zu sagen. Charity konnte sich gut vorstellen, daß er das Schweigen einfach nicht mehr ertrug.
Unerträglich langsam nur wuchs der Leuchtpunkt vor den Fenstern heran. Das Shuttle bewegte sich mit mehr als fünftausend Stundenkilometern, und trotzdem hatte Charity für lange Zeit das Gefühl, gar nicht von der Stelle zu kommen. Endlich aber begann aus dem Lichtfleck ein verschwommener, langgestreckter Umriß zu werden.
Hartmann hatte perfekt gezielt. Charity verlängerte den Kurs des Shuttle in Gedanken und stellte fest, daß sie die EXCALIBUR nur um wenige Meilen verfehlen würden; angesichts der gewaltigen Entfernung, die sie zurückgelegt hatten, eine wahre Meisterleistung. Vielleicht aber trotzdem nicht meisterlich genug. Entfernungen waren vor allem im Weltraum etwas höchst Relatives. Knapp vorbei nach kosmischen Maßstäben konnte immer noch unendlich weit nach menschlichen sein. Aber sie konnten es nicht riskieren, die Triebwerke noch einmal einzuschalten.
Als sie näher kamen, zerfiel der Umriß des im Bau befindlichen Sternenschiffes in ein großes und mehrere kleine Objekte. Charity stellte überrascht fest, was für enorme Fortschritte der Bau der EXCALIBUR gemacht hatte, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Bei ihrem letzten Besuch vor knapp vier Monaten war das Schiff kaum mehr als ein achthundert Meter langes Stahlskelett gewesen, das wie eine bizarre Fortsetzung des Raumdocks eine halbe Meile tief in die Leere des Alls hineinragte. Jetzt waren gut zwei Drittel der Rumpfpanzerung angebracht, und die EXCALIBUR erinnerte mehr denn je an einen riesigen, teilweise skelettierten Wal.
Hinter den meisten Bullaugen herrschte noch immer das Vakuum des Weltalls, und das hintere Drittel, das später die gewaltigen Triebwerke und Generatoren aufnehmen würde, bestand im Moment aus nicht viel mehr als einem stählernen Skelett, zwischen dem ein halbes Dutzend Decks heranwuchsen.
Über und neben der EXCALIBUR schwebte ein halbes Dutzend weiterer, viel kleinerer Umrisse. Charity identifizierte drei von ihnen als die gleiche Art rochenförmiger Schiffe, die Skytown angegriffen hatten. Bei den anderen handelte es sich um die ebenfalls schon vertrauten, walzenförmiger Transporter.
Charity hielt vergebens nach irgendwelchen Beschädigungen an der EXCALIBUR Ausschau. Das Schiff war offensichtlich nicht beschossen worden. Wozu auch? Die Waffensysteme der EXCALIBUR waren noch nicht einsatzfähig.
Hartmann verschwand für einen Moment in der Passagierkabine und kam mit drei flachen, mit Trageriemen versehenen Tornistern zurück, die sie sich gegenseitig anlegten. Keiner von ihnen wußte, ob die Leistung der Geräte ausreichen würde, ihre Geschwindigkeit ausreichend zu reduzieren. Die Vorstellung, mit mehr als tausend Stundenkilometern gegen den Rumpf der EXCALIBUR zu rasen und nichts als einen häßlichen Fleck darauf zu hinterlassen, gefiel Charity nicht sonderlich.
»Wir werden leuchten wie die Weihnachtsbäume, wenn wir die Dinger einschalten«, sagte Skudder mißmutig. »Glaubt einer von euch wirklich, daß sie uns nicht bemerken?«
»Nur, wenn sie zufällig in unsere Richtung sehen«, antwortete Hartmann. »Außerdem habe ich noch eine kleine Überraschung für unsere Freunde vorbereitet.« Er deutete zur Schleuse. »Setzt die Helme auf. Gleich wird es ein bißchen zugig.«
Charity hatte keine Ahnung, was Hartmann vorhaben mochte, aber sie vertraute auf seine Erfahrung. Skudder und sie stülpten ihre Helme über. Hartmann hantierte noch einige Augenblicke lang am Kommandopult, dann drehte er sich ebenfalls herum und schloß seinen Anzug. Kaum hatte er es getan, hörte Charity, wie die Sauerstoffpumpen ansprangen. Sie konnten die Schleusentüren nicht öffnen, solange im Inneren des Schiffes noch Überdruck herrschte, ohne sofort ins All hinauskatapultiert zu werden. Nach etwas mehr als einer Minute herrschte im Inneren des Shuttle dasselbe Vakuum wie im umgebenden Weltraum. Die Schleusentüren glitten lautlos auf, und Hartmann trat ohne zu zögern an ihnen vorbei, hielt sich für einen Moment am Türrahmen fest, um in die richtige Position zu gelangen, und stieß sich dann mit aller Kraft ab. Skudder folgte ihm, und Charity bildete den Abschluß.
Es war nicht das erste Mal, daß Charity sich im freien Raum aufhielt. Trotzdem drohte sie für einen Moment in Panik zu geraten. Die ungeheure Weite des Weltalls schien sie verschlingen zu wollen. Sie hatte das Gefühl, im Bruchteil einer Sekunde zu einem Nichts reduziert zu werden, das sich im nächsten Augenblick einfach auflösen mußte. Und sie erschrak überdies bis ins Mark, als sie sah, wie nahe sie der EXCALIBUR mittlerweile gekommen waren, und wie rasend schnell sie sich weiter näherten.
Aus den Augenwinkeln sah Charity, wie Hartmann heftig in ihre Richtung zu gestikulieren begann, und schaltete rasch ihren Tornister ein. Das Gerät erwachte mit heftigen Vibrationen zum Leben und begann, Charitys Geschwindigkeit aufzuzehren. Da Hartmann und Skudder im gleichen Moment ebenfalls bremsten, spürte Charity im Grunde nichts davon. Aber das Shuttle, das seine ursprüngliche Geschwindigkeit beibehielt, schien jäh schneller zu werden und entfernte sich immer rascher.
Einen Moment später konnte Charity sehen, wie die Triebwerke der Raumfähre aufleuchteten, und das Schiff beschleunigte tatsächlich. Jetzt begriff sie auch, was Hartmann gerade gemeint hatte.
Sein improvisiertes Ablenkungsmanöver funktionierte tatsächlich. Während das Shuttle schneller und schneller der EXCALIBUR entgegenraste, löste sich eines der Rochenschiffe von seiner Position und nahm Kurs auf die näherkommende Raumfähre.
Charity beobachtete gebannt, was weiter geschah.
Das Shuttle beschleunigte ununterbrochen weiter und begann plötzlich Haken zu schlagen. Offensichtlich hatte Hartmann den Computer so programmiert, daß er das Schiff auf einen Zufallskurs lenkte. Gleichzeitig begannen die starken Suchscheinwerfer am Bug des Shuttle in rascher Folge aufzublitzen und wieder zu erlöschen. Für den Piloten des Rochenschiffes mußte es so aussehen, als versuche das Shuttle ein Ausweichmanöver zu fliegen und gleichzeitig das Feuer zu eröffnen. Die Täuschung würde keinem genaueren Hinsehen Stand halten. Ausweichmanöver bestehen im allgemeinen nicht aus einem willkürlichen Hin- und Herspringen, und selbst der stärkste Scheinwerfer gibt nur eine wenig effektive Waffe ab.
Dem Pilot des Rochenschiffes blieb jedoch nicht genug Zeit, auf solche Feinheiten zu achten. Raumgefechte bestehen im allgemeinen aus neunundneunzig Prozent Langeweile - endlose Minuten, wenn nicht sogar Stunden, in denen man nach dem Feind suchte oder sich ihm allmählich näherte, ohne irgend etwas anderes tun zu können, als die Instrumente anzustarren und zu versuchen, die eigene Phantasie im Zaum zu halten, die einem in immer neuen Variationen zeigte, was bei dem bevorstehenden Kampf alles schief gehen konnte.
Das Gefecht selbst lief dann manchmal in Bruchteilen von Sekunden ab. Obwohl moderne Raumjäger zum allergrößten Teil von Computern manövriert und beherrscht wurden, war die Waffenkontrolle doch dem Menschen vorbehalten. Niemand, nicht einmal ein Hardliner wie Harris, wäre jemals auf die Idee gekommen, die Entscheidung über Leben und Tod einer Maschine zu überlassen.
Zumindest war das bei irdischen Raumjägern so.
Bei außerirdischen offensichtlich auch, wie Charity in der nächsten Sekunde klar wurde.
Der Pilot des Rochenschiffes verschwendete keine Zeit damit, erst nachzusehen, ob das Shuttle mit einer tödlichen Waffe oder einem harmlosen Lichtstrahl auf ihn schoß, sondern feuerte sofort zurück.
Charity konnte die Schießbahn der Waffe selbst nicht sehen, aber dafür war ihre Wirkung um so spektakulärer: Der gesamte Bug des Shuttle leuchtete plötzlich dunkelrot auf, begann dann gelb und schließlich weiß zu strahlen, und in der nächsten Sekunde explodierte das kleine Schiff in einer grellen Feuersalve.
Charity schloß geblendet die Augen und betete, daß keiner der Millionen glühender Trümmerstücke zielsicher genug in ihre Richtung fliegen mochte, um ihrem Unternehmen ein vorzeitiges Ende zu bereiten.
Als sie die Augen wieder öffnete, war das Shuttle verschwunden. Eine Wolke rasch verblassenden Gases zeigte die Position an, an der es sich befunden hatte, und das All war voller glühender Trümmerstücke, die jedoch zum Großteil den ursprünglichen Kurs des Schiffes beibehielten. Das Rochenschiff raste mit unverminderter Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Wahrscheinlich versuchte der Pilot den Kurs des Shuttle zurückzuverfolgen und hielt nach weiteren Angreifern Ausschau.
Hartmanns Plan war aufgegangen. Selbst wenn Charity und die beiden anderen jetzt auf irgendeinem Ortungsschirm an Bord der Rochenschiffe auftauchten, waren sie praktisch nicht mehr von irgendeinem der zahllosen Trümmerstücke zu unterscheiden, die auf die EXCALIBUR zurasten.
Während ihr Tornisteraggregat weiter mit aller Macht kämpfte, um ihre Geschwindigkeit aufzuzehren, drehte Charity sich umständlich herum und suchte nach Hartmann und Skudder.
Hartmann war ganz in der Nähe, doch Skudder hatte sich bereits ein gutes Stück entfernt. Sie alle waren mit der gleichen Geschwindigkeit wie das Shuttle gestartet, aber offenbar hatte Skudder seinen Absprungwinkel falsch berechnet. Charity wollte ihm über Funk eine Warnung zurufen, aber dann sah sie, daß er bereits dabei war, seinen Kurs mit vorsichtigen kleinen Schüben aus den Korrekturdüsen zu ändern. Außerdem hatten sie verabredet, den Funk nur im äußersten Notfall zu benutzen.
Skudder hob die Hand und streckte den Daumen nach oben, zum Zeichen, daß alles in Ordnung war. Obwohl Charity das Gefühl hatte, sich dabei ziemlich lächerlich zu machen, erwiderte sie die Geste. Vielleicht aber war Zweckoptimismus die stärkste Waffe, die sie hatten.
Sie wurden immer langsamer, während sie sich dem Schiff näherten. Die EXCALIBUR wuchs vor ihnen heran, wurde größer und größer und füllte schließlich eine Hälfte des Universums vollkommen aus. Das Schiff maß vom Bug bis zum Heck annähernd achthundert Meter; eine Zahl, die sich relativ klein anhörte, aber zu etwas Ungeheuerlichem heranwuchs, wenn man sich einem Gebilde dieser Größe näherte.
Charity und die anderen trafen dicht nebeneinander auf dem Rumpf der EXCALIBUR auf, noch immer viel zu schnell, so daß sie alle drei stürzten und Charity vor Schmerz aufschrie. Aber sie spürte auch, daß sie sich nichts gebrochen hatte. Schmerzen zu ertragen oder einfach zu ignorieren, hatte sie gelernt.
Trotzdem mußte sie die Tränen wegblinzeln. Neben ihr richteten Hartmann und Skudder sich unsicher auf; ihren umständlichen Bewegungen nach zu urteilen, war ihre Landung nicht sanfter gewesen als die Charitys.
Trotzdem hob Skudder rasch erneut den Daumen zu seiner albernen alles-in-Ordnung Geste. Diesmal verzichtete Charity jedoch darauf, sie zu erwidern. Statt dessen deutete sie zum Heck der EXCALIBUR, wandte sich um und ging los. Die magnetischen Sohlen ihrer Stiefel ermöglichten es ihr, über den Rumpf des Schiffes zu gehen, statt in der Schwerelosigkeit sofort den Halt zu verlieren; sie machten das Gehen aber auch mühsam und schwierig.
Sie brauchten länger als erwartet, bis sie jenen Teil des Schiffes erreichten, an dem die Außenhaut noch nicht fertiggestellt war.
Hartmann deutete nach unten. Die fünfzehn Zentimeter dicke Metallplatte, die nun die äußerste einer ganzen Anzahl übereinandergeschichteter Panzerplatten bildete, endete wie abgeschnitten unmittelbar vor ihren Füßen. Darunter gähnte ein gut achtzig Meter tiefer Abgrund: die nach oben noch offene Halle, die eines der sechs gigantischen Staustrahl-Triebwerke aufnehmen würde.
Es erwies sich als gar nicht so einfach, nach unten zu gelangen. Sie konnten nicht springen, weil sie in der Schwerelosigkeit bestenfalls einfach im Nichts hängengeblieben wären, und ihre Antriebstornister waren restlos leergebrannt. So ließ Charity sich in die Hocke sinken, drehte sich herum und schob sich rücklings über die Kante, bis die übereinander-geschichtete Sandwich-Panzerung vor ihrem Helm nach oben wegglitt und sie reglos unter der nicht vorhandenen Hallendecke schwebte. Mit einem kräftigen Ruck stieß sie sich ab, schoß kerzengerade in die Tiefe und landete diesmal, ohne zu stürzen. Skudder und Hartmann folgten ihr auf die gleiche Weise.
Die Halle war trotz ihrer verlockenden Größe vollkommen leer. Als Charity das letzte Mal hiergewesen war, hatte sie als zusätzlicher Lageraum gedient. Vermutlich stand der Einbau der Triebwerke kurz bevor.
Hartmann deutete auf eine Tür am anderen Ende und ging los. Auch hier unten herrschte vollkommene Schwerelosigkeit, was das ungute Gefühl in Charity verstärkte. Zumindest im Inneren des Schiffes sollte eigentlich künstliche Schwerkraft herrschen.
Sie erreichten die Tür. Charity und Hartmann zogen ihre Waffen und wichen nach rechts und links zur Seite, während Skudder den Code eingab und geduckt darauf wartete, daß die Schleusenkammer aufschwang. Keiner von ihnen wäre überrascht gewesen, wären sie von einem halben Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Aliens erwartet worden.
Doch die Kammer war leer. Skudder schlüpfte rasch hinein, warf einen Blick durch das winzige Fenster in der Tür auf der gegenüberliegenden Seite und winkte dann den anderen, ihm zu folgen.
Sie huschten in die Schleuse, verriegelten die Tür und warteten ungeduldig, bis der Druckausgleich hergestellt war und die innere Tür aufschwang.
Daß irgend etwas nicht stimmte, spürte Charity im gleichen Moment.
Die Luft war zu dünn, viel zu kalt und von einem intensiven Brandgeruch erfüllt. Auch auf der anderen Seite der Schleuse herrschte Schwerelosigkeit, und irgendwo weit vor ihnen schien ein Kampf zu toben.
Instinktiv packte Charity ihre Waffe fester, ehe sie sich an die Worte erinnerte, die Hartmann ihnen eingeschärft hatte. Sie waren nicht hier, um zu kämpfen, sondern um ein Schiff zu stehlen und Skytown zu verteidigen; und sollte dies nicht möglich sein, um Hilfe zu holen.
»Wohin?« flüsterte Skudder.
Hartmann deutete nach rechts. »Die dritte Tür. Der Hangar liegt zwei Decks tiefer, aber ich halte es für keine gute Idee, den Aufzug zu benutzen.«
»Geht vor«, sagte Skudder. »Ich sichere nach hinten.«
Charity und Hartmann nickten und machten sich auf den Weg.
Die Illusion, sich an Bord eines ganz normalen Raumschiffes zu befinden, in dem es lediglich ein bißchen zu kalt war, hielt nur noch wenige Schritte vor. An der nächsten Gangkreuzung fanden sie deutliche Spuren eines Kampfes - die typischen Brandnarben von Laserschüssen, die Wände und Boden getroffen hatten, aber auch Stellen, an denen das Metall aussah, als wäre es von gigantischen Hammerschlägen getroffen und regelrecht zermürbt worden. Charity mußte daran denken, auf welche Art und Weise die Aussichtsplattform von Skytown zerborsten war.
Sie gingen weiter, erreichten die nächste Gangkreuzung und fanden die ersten Toten. Es waren ausnahmslos Männer der Space-Force. Viele schienen durch Laserschüsse getötet worden zu sein, aber einige boten auch einen Anblick, der Charity nicht dazu bewog, ein zweites Mal und genauer hinzuschauen. Der Kampf mußte entlang des gesamten Korridors vor ihnen getobt haben, doch sie entdeckten nicht einen toten Angreifer. Die Fremden hatten ihre Toten entweder mitgenommen - oder keine Verluste gehabt.
Hartmann deutete auf eine Tür am Ende des Ganges. Sie liefen dorthin, öffneten sie und fanden sich in einem rechteckigen, senkrecht in die Tiefe führenden Schacht wieder. Vielleicht würde er später einmal eine Aufzugkabine aufnehmen, oder eine Treppe, im Moment aber war es einfach nur ein Loch, das quer durch das gesamte Schiff zu führen schien. Die Schwerelosigkeit und ihre Magnetstiefel halfen den Gefährten, problemlos den Grund des Schachts zu erreichen.
Hartmann verstellte den Fokus seiner Waffe und wies mit der gleichen Bewegung auf die einzige Tür, die vor ihnen lag.
»Der Hangar«, sagte er. »Seid jetzt auf der Hut. Ich an ihrer Stelle würde den Hangar streng bewachen.«
Er sagte Charity damit nichts Neues. Trotzdem glaubte sie nicht ernsthaft daran, daß sie auf der anderen Seite der Tür auf irgendwelchen Widerstand stoßen würden. Nach allem, was sie bisher gesehen hatte, schien es den Angreifern nicht besonders schwer gefallen zu sein, die Besatzung der EXCALIBUR zu überwältigen. Die Fremden hatten es wohl kaum nötig, Wachen aufzustellen. Trotzdem war sie auf alles gefaßt, als Hartmann die Tür öffnete.
Genauer gesagt, es versuchte.
Die Tür rührte sich nicht. Hartmann runzelte die Stirn, probierte es noch einmal und mit größerer Kraft, doch mit demselben Ergebnis. Die Tür saß so unverrückbar im Rahmen, als wäre sie festgeschweißt.
»Verriegelt?« fragte Skudder.
»Die Tür hat überhaupt kein Schloß. Jedenfalls, soweit ich es beurteilen kann«, sagte Hartmann. »Ich verstehe das nicht.« Er hob seine Waffe. »Tretet ein Stück zur Seite.«
Charity gehorchte, schloß aber vorsichtshalber ihren Helm und bedeutete Skudder und Hartmann, dasselbe zu tun.
Hartmann feuerte. Der dünne, gebündelte Strahl seiner Laserpistole fraß sich in das Metall der Tür und ließ schmelzenden Stahl und brennende Farbpartikel in sämtliche Richtungen spritzen. Charity trat hastig beiseite, um nicht von einem der glühenden Geschosse getroffen zu werden, die von keiner Schwerkraft gebremst wurden.
Und dann änderten sie jäh ihren Kurs. Der Laserstrahl hatte die Tür durchstoßen, und plötzlich wurden Flammen, brennendes Metall und Sauerstoff mit Urgewalt durch das entstandene Loch gezogen. Charitys Vorsicht war berechtigt gewesen. Auf der anderen Seite der Tür herrschte Vakuum.
Was die Tür wie festgeschweißt an ihrem Platz gehalten hatte, war der Luftdruck im Inneren des Schiffes gewesen.
»Passen Sie auf, was Sie tun, Hartmann«, sagte Skudder. »Gouverneur Seybert wird Sie auspeitschen lassen. Sie zerstören mutwillig Staatseigentum.«
Hartmann schnitt ihm eine Grimasse, hob seine Waffe und erweiterte das Loch, das er in die Tür geschweißt hatte. Der Sauerstoff strömte immer schneller aus dem Schacht.
Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis der Luftdruck so weit gefallen war, daß sie die Tür öffnen konnten. Charity bebte innerlich vor Ungeduld.
Sie hatten schon viel zu viel Zeit verloren. Skytown wurde wahrscheinlich in genau diesem Moment gestürmt, und sie war längst nicht mehr sicher, daß die Angreifer eine kampflose Kapitulation akzeptieren würden.
Endlich schwang die Tür auf, und sie stürmten geduckt in den Hangar. Der Raum war hell erleuchtet, aber luftleer. Die großen Hangartore auf der gegenüberliegenden Seite standen offen, und zumindest auf den ersten Blick war kein Wächter zu entdecken. Die Angreifer hatten es dem Vakuum des Weltalls überlassen, auf das Dutzend Viper-Jäger aufzupassen, das vor ihnen stand.
»Perfekt«, sagte Hartmann. »Achtet auf die Seriennummern. Und los!«
»Warte!« sagte Skudder. »Wir brauchen die Vipern nicht. Da vorn steht etwas Besseres.«
Charitys Blick folgte seinem ausgestreckten Arm. Nicht sehr weit von ihnen entfernt, ein Stück abseits der Vipern, standen fünf scheibenförmige, zwölf Meter durchmessende Moroni-Jets.
»Bingo!« sagte Skudder fröhlich. »Sieht so aus, als hätte wir endlich einmal Glück. Die vorletzte ist eine Kampfmaschine, seht ihr?«
Selbst Charity fiel der Unterschied erst auf den zweiten Blick auf, was allerdings nicht allzu verwunderlich war. Sämtliche Jets der Moroni glichen sich auf den ersten Blick wie das sprichwörtliche Ei dem anderen. Der Unterschied bestand darin, daß einige Maschinen nur leicht bewaffnet waren, einige gar nicht, und wieder andere schwer genug, um damit einen Krieg zu gewinnen. Die Flugscheibe, auf die sie nun nebeneinander zurannten, gehörte zur letzten Kategorie.
Obwohl es mit den Magnetstiefeln schwierig war, zu rennen, erreichte Charity den Jet als erste. Sie stürmte die Rampe hinauf, warf sich mit einer schwungvollen Bewegung in den Pilotensitz und stellte mit einem Gefühl beiläufiger Enttäuschung fest, daß der Jet nicht für die Bedürfnisse eines menschlichen Piloten umgebaut worden war. Trotzdem würde sie ihn fliegen können - vielleicht nicht ganz so souverän wie ihren eigenen Jet, aber gut genug.
Hartmann und Skudder stürmten herein und nahmen auf den beiden anderen Sitzen Platz, und Charity schlug mit der flachen Hand auf den Hauptschalter, der den Gravitationsgenerator des Schiffes zum Leben erweckte.
»Ich schätze, unsere Freunde werden gleich eine böse Überraschung erleben«, sagte Skudder. »Charity, wo bleibt die Waffenenergie?«
Charity blinzelte verwirrt, schlug noch einmal auf den Schalter und wurde mit dem gleichen Ergebnis belohnt: Keinem. Die Energiequelle des Jets weigerte sich, ihren Dienst aufzunehmen.
»Was ist los?« fragte Hartmann.
»Keine Ahnung«, antwortete Charity. »Es funktioniert nicht. Verdammt!«
»Okay«, sagte Hartmann knapp. »Raus hier! Versuchen wir es in einer der anderen Maschinen.«
Sie verließen den Jet und rannten zu der daneben abgestellten Flugscheibe, einem leichten bewaffneten Transporter, der aber immer noch schneller und ungefähr zehnmal gefährlicher war als Hartmanns Vipern. Diesmal nahm Hartmann selbst im Pilotensessel Platz. Charity beobachtete mit angehaltenem Atem, wie er den Hauptschalter herunterdrückte.
Nichts geschah. Der Gravitationsgenerator unter ihren Füßen blieb stumm, und auf dem Kontrollpult leuchtete kein einziges Licht auf. Der Jet war ebenso tot wie der, aus dem sie gerade kamen.
»Das kann doch kein Zufall sein«, sagte Hartmann kopfschüttelnd. »Die Dinger sind praktisch unzerstörbar! Sie können nicht beide gleichzeitig defekt sein.«
»Das sind sie auch nicht«, sagte Charity leise. Obwohl sie wußte, wie sinnlos es war, beugte sie sich an Hartmann vorbei über das Kontrollpult und drückte wahllos ein paar Knöpfe.
Nichts geschah.
»Der Generator funktioniert nicht«, sagte Skudder düster. »Anscheinend haben sie nicht nur unsere Kommunikation lahmgelegt.«
»Wenn sie das könnten«, widersprach Hartmann, »dann hätten sie Skytown nicht in Stücke schießen müssen. Ein Knopfdruck hätte genügt, um uns zu lähmen.«
»Es sei denn, sie wissen, daß wir aus Sicherheitsgründen einen Teil des Energievorsprungs auf herkömmliche Systeme umgestellt haben«, fügte Charity hinzu. »Sieh es endlich ein, Hartmann. Wir wissen zwar nichts über sie, sie dafür aber anscheinend alles über uns.« Sie deutete aus dem Fenster. »Ich gehe jede Wette ein, daß die anderen Jets genauso tot sind.«
»Dann eben zurück zu Plan A«, knurrte Hartmann.
Er war zu sehr Soldat, um sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen. Dabei waren die Konsequenzen dessen, was sie gerade entdeckt hatten, noch gar nicht abzusehen. Mit Ausnahme einiger weniger Schiffe basierte die gesamte Verteidigung der Erde auf der von den Moroni zurückgelassenen Technologie.
In dem Moment, als sie das Schiff verließen, trat eine hochgewachsene Gestalt durch die Tür, durch die auch die Gefährten den Hangar betreten hatten, und eröffnete ohne Vorwarnung das Feuer.
Charity entging dem grellgrünen Laserblitz nur durch einen puren Zufall. Ihre Magnetstiefel fanden auf dem Metall des Jet keinen richtigen Halt, so daß sie mehr aus dem Schiff schwebte als ging. Im gleichen Moment jedoch, in dem ihre Schuhsohlen wieder über dem Stahl des Hangarbodens schwebten, wurde sie mit einem unsanften Ruck einen halben Meter in die Tiefe gezerrt, und der Laserstrahl, der nach ihrem Kopf gezielt worden war, spritzte als harmloses Licht am Metall des Jet über ihr auseinander.
Instinktiv ließ sie sich zu Seite abrollen, schoß zurück und registrierte aus den Augenwinkeln einen zweiten Lichtblitz, der über sie hinweg nach dem Angreifer stach. Weder Charitys noch Skudders Schuß trafen, doch der schwarzgekleidete Riese mußte sich hastig zurückziehen, so daß Charity Gelegenheit bekam, rasch hinter einer der Landungsstützen des Schiffes in Deckung zu gehen.
Skudder stieß sich über ihr ab und segelte gute fünfzehn Meter weit durch das Vakuum, bis seine Magnetstiefel ihn wieder nach unten zogen. Hartmann warf sich auf der Rampe des Jet auf den Bauch und zielte mit beiden Händen. Als der Angreifer nun wieder unter der Tür erschien, konnten sie ihn zu dritt ins Kreuzfeuer nehmen.
Trotzdem trafen sie nicht.
Charity sah den Angreifer jetzt genauer. Er war von humanoider Gestalt und weit über zwei Meter groß, bewegte sich dabei aber mit einer Schnelligkeit, die Charity fast unglaublich erschien. Seine Ausrüstung schien die Schwerelosigkeit sehr viel besser zu kompensieren als die Charitys und der beiden Männer, denn das riesenhafte Wesen rannte hakenschlagend und immer schneller in den Hangar hinein. Der Fremde trug einen einteiligen mattschwarzen Anzug, auf dessen Rücken sich ein klobiger Tornister befand. Sein Kopf war unter einem wuchtigen Helm verborgen, ebenfalls schwarz bis auf ein schmales, verspiegeltes Visier, das kaum größer war als eine Sonnenbrille.
Skudder, Hartmann und Charity schossen, was ihre Laser hergaben. Rechts, links, vor und hinter dem rennenden Riesen explodierten bunte Lichtkaskaden auf dem Boden, doch es war beinahe so, als würde der Fremde auf magische Weise spüren, wo der jeweils nächste Einschlag erfolgte. Noch ein paar Schritte, und er würde die erste Viper erreichen und sich dahinter in Deckung werfen.
Skudder traf ihn, als er noch zwei Schritte von dem Raumjäger entfernt war. Sein Laserstrahl schlug in den Rücken des schwarzen Riesen, durchbohrte den Tornister, die schwarze Montur darunter und entlud seine Energie in den Körper, den sie verbarg. Die Gestalt taumelte, schien für einen unglaublichen Moment trotz allem noch auf den Füßen zu bleiben und verlor dann plötzlich den Halt. Skudders Schuß hatte nicht nur den Angreifer getötet, sondern auch ein wichtiges Teil in seinem Anzug zerstört.
Plötzlich im Griff der Schwerelosigkeit, begann die hünenhafte Gestalt allmählich in die Höhe zu steigen und sich gleichzeitig zu drehen. Aus dem Riß in seinem Anzug strömte Luft, die im Vakuum sofort zu Eis gefror und eine schimmernde, schnell vergängliche Wolke rings um die treibende Gestalt bildete, durchsetzt mit Myriaden winziger, dunkelroter Tröpfchen. Blut, das aus der Wunde quoll und ebenfalls sofort gefror.
Charity richtete sich vorsichtig hinter ihrer Deckung auf und schaute sich um, doch es erfolgte kein weiterer Angriff. Der Fremde war allein gewesen. Über ihr stand auch Hartmann wieder auf, und fünfzehn Meter entfernt erschien Skudder hinter dem Jet, hinter den er sich in Deckung geworfen hatte.
»Das war knapp«, sagte Hartmann. »Aber jetzt nichts wie weg. Ich bin sicher, daß gleich noch mehr von ihnen hier auftauchen.«
Charity wandte sich sofort um und eilte auf eine der Vipern zu, und auch Hartmann steuerte den nächsten Raumjäger an. Skudder hingegen näherte sich mit weit ausgreifenden Schritten dem Riesen.
»Skudder, verdammt, was tust du?« fragte Charity. Nicht, daß sie die Antwort nicht kannte.
»Eine Moment«, antwortete Skudder. »Ich will wissen, womit wir es zu tun haben.«
Charity war zwar alles andere als begeistert, aber mindestens genau so neugierig wie Skudder. Außerdem mochte sich jede noch so kleine Information, die sie bekamen, als äußerst wichtig erweisen. Sie erreichte die Viper, die sie anhand der Seriennummer als eine der einsatzbereiten Maschinen identifiziert hatte, kletterte aber noch nicht in das Cockpit, sondern schaute zu Skudder zurück.
Der Indianer hatte den Toten mittlerweile erreicht. Der reglose Körper drehte sich nun nicht mehr um sich selbst, war aber weiter in die Höhe gestiegen, so daß Skudder sich auf die Zehenspitzen stellen mußte, um ihn zu erreichen.
Im gleichen Moment, in dem er die Hand des vermeintlich Toten berührte, schlossen sich dessen Finger um Skudders Handgelenk. Skudder als Anker benutzend, riß sich der schwarze Gigant mit einem einzigen Ruck in die Tiefe und holte gleichzeitig mit dem anderen Arm aus, um Skudder die Waffe aus der Hand zu schlagen.
Das alles geschah in Bruchteilen von Sekunden. Der Fremde bewegte sich mit einer Schnelligkeit, wie Charity sie bisher nur bei einem einzigen lebenden Wesen gesehen hatte.
Charity schrie auf und hob ihre Waffe, wagte es aber nicht, zu schießen, da die Gefahr bestand, Skudder zu treffen. Dieser Nachteil währte jedoch nur noch eine einzige Sekunde, denn kaum hatte der Riese den Boden berührt, packte er Skudder mit beiden Händen, riß ihn in die Höhe und schleuderte ihn wie eine Stoffpuppe durch die Halle. Gleichzeitig wirbelte er herum und versuchte, die Waffe zu greifen, die er Skudder aus der Hand geschlagen hatte.
Charity und Hartmann schossen gleichzeitig. Hartmanns Laserstrahl verfehlte sein Ziel, aber Charity traf den Riesen in den Oberschenkel. Der Strahl durchbohrte das Bein des Wesens und spritzte an der Wand hinter ihm auseinander. Wieder quollen Luft und gefrorenes Blut aus der Wunde.
Der Fremde taumelte zurück. Charity konnte sehen, daß sich das Material seines Anzuges praktisch sofort zusammenzog, um die Beschädigung zu verschließen, und der Angreifer selbst tat Charity diesmal nicht mehr den Gefallen zu stürzen, sondern humpelte ungeschickt, aber sehr schnell, weiter auf Skudders Waffe zu, die ein paar Meter neben ihm träge dahinglitt.
Charity schoß wieder, dann Hartmann. Beide Schüsse trafen.
Diesmal taumelte der Fremde stärker, fiel aber immer noch nicht, und Charity ergriff ihre Waffe mit beiden Händen, zielte eine Sekunde und jagte den nächsten Laserblitz genau in das verspiegelte Helmvisier des Riesen.
Das spiegelnde Material reflektierte einen Großteil der Energie, doch Charity hatte ihre Waffe auf maximale Kraft eingestellt. Eine halbe Sekunde lang leuchtete das Visier grell auf, dann explodierte es in einer Wolke aus glühenden Glassplittern, gefrorener Luft und roten Tropfen. Der Angreifer wurde nach hinten geworfen, verlor abermals den Boden unter den Füßen und begann sich langsam in der Schwerelosigkeit zu überschlagen. Diesmal versiegte der Strom aus seinem beschädigten Anzug nicht wieder. Charity war sicher, daß er tot war.
Und sie dachte keinen Sekundenbruchteil daran, sich davon zu überzeugen.
»Skudder! Bist du verletzt?«
Eine endlose, quälende Sekunde verging, dann meldete sich Skudders Stimme in ihrem Helmmikrofon. »Nein. Ich bin okay. Macht euch keine Sorgen um mich.«
»Such dir eine Maschine«, sagte Hartmann. »Und dann nichts wie raus hier!«
Charity steckte ihre Waffe ein, schwang sich ins Cockpit der Viper hinauf und benutzte alle zehn Finger, um ebenso viele Schalter gleichzeitig umzulegen. Anders als die beiden Jets vorhin erwachte die Viper sofort zum Leben. Das Kontrollpult leuchtete auf, und fünf Meter hinter Charitys Rücken begann das Triebwerk zu grollen.
Charitys Finger legten weitere Schalter um. Das Cockpit schloß sich summend, und Sauerstoff strömte mit einem kalten Zischen in die Kabine. Charity schaltete die Sauerstoffversorgung ihres Anzuges ab, ließ den Helm aber geschlossen; eine allgemeine übliche Vorgehensweise an Bord eines Raumjägers. Im Falle eines explosiven Druckverlusts würde sie die Sekunde, die sie brauchte, um den Helm zu schließen, vielleicht nicht mehr haben.
Auf dem Kontrollpult vor ihr leuchtete ein handtellergroßer Bildschirm auf, und Hartmanns Gesicht erschien. »Wir bekommen Besuch«, sagte er knapp.
Charity hob den Blick. Der tote Riese schwebte noch immer drei Meter über dem Boden und vollführte einen behäbigen, lautlosen Tanz. In der Tür hinter ihm waren drei weitere, gleichartig gekleidete Gestalten erschienen. Sie unterschieden sich weder in Größe noch Statur von ihrem toten Kameraden, und sie reagierten auch genau so schnell und kompromißlos wie er.
Zwei von ihnen hoben ihre Laserpistolen und eröffneten sofort das Feuer, während der dritte eine übergroße, klobige Waffe hob und damit auf die Viper zielte.
Charity blinzelte, als zwei präzise gezielte Laserstrahlen unmittelbar vor ihrem Gesicht von der durchsichtigen Cockpitkanzel abprallten. Wie die gesamte Maschine war das Glas gegen Strahlen gehärtet. Laserbeschuß dieses Kaliber vermochte die Maschine nicht ernsthaft zu beschädigen.
Bei der unbekannten Waffe jedoch, die der dritte Fremde auf sie richtete, war Charity sich nicht so sicher.
Aber sie wartete auch nicht ab, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
Die Triebwerke der Viper benötigten noch ungefähr dreißig Sekunden, um warm zu laufen, doch die Waffensysteme des Jägers waren bereits voll einsatzfähig. Charitys Hand hämmerte auf den Auslöser, und unter der linken Tragfläche des Jägers fauchte eine Rakete heraus und ritt auf einem lodernden Feuerstrahl auf die drei Gestalten zu. Die Fremden versuchten nicht mehr auszuweichen. Das Raketengeschoß jagte durch die Tür, durch die Charity und die anderen hereingekommen waren, bohrte sich in die Schachtwand dahinter und explodierte.
Für eine halbe Sekunde wurde Charity vollkommen geblendet. Gleißendes, unerträglich helles Licht überflutete den Hangar, dann flog die gesamte Rückwand auseinander. Eine Wolke aus brodelndem Feuer schoß durch die riesige Halle. Die Maschine zitterte so heftig, daß Charitys Zähne schmerzhaft aufeinanderschlugen, und ein ganzer Hagelschauer von Trümmern regnete auf die Viper herab. Auf dem Pult begann eine rote Lampe zu flackern und erlosch wieder.
Als das Chaos sich legte, war die Rückwand des Hangars verschwunden, ebenso die Leichen der vier Angreifer. Rotglühendes Metall und verbogener Schrott erhoben sich dort, wo zuvor eine massive Wand aus Stahl gewesen war.
»Na, prächtig«, meldete sich Hartmann über Funk. »Sehr zuvorkommend von dir, daß du keinen Nuklearsprengkopf genommen hast. Ich schlage vor, daß wir die Tore benutzen - es sei denn, du bestehst darauf, dir den Weg nach draußen freizuballern.«
»Was, zum Teufel, haben diese Dinger geladen«, keuchte Charity. Insgeheim mußte sie eingestehen, daß sie einfach das erstbeste Geschoß abgefeuert hatte. Möglicherweise hatte sie wirklich noch Glück gehabt, kein noch größeres Kaliber erwischt zu haben...
Hartmann lachte. »Ich habe dir doch gesagt, daß diese Jäger waffentechnisch erste Sahne sind, oder? Glaubst du mir eigentlich nie?«
»Wenn ihr beide mit dem Fachsimpeln fertig seid«, mischte Skudder sich ein, »dann sollten wir vielleicht von hier verschwinden. Da draußen tut sich nämlich was.«
»Okay«, sagte Harrmann. »Also los. Sollten wir getrennt werden, versucht jeder für sich, Skytown zu erreichen.«
Die roten Kontrollichter des Triebwerks vor Charity wechselten zu grün. Sie griff nach dem Steuerknüppel, ließ die Maschine behutsam in die Höhe steigen und drehte die Viper gleichzeitig um hundertachtzig Grad, bis der Bug genau auf die offenen Hangartore deutete. Neben ihr stiegen Hartmanns und Skudders Maschinen auf lodernden Feuersäulen in die Höhe, und im gleichen Moment erkannte Charity auch, was Skudder mit seiner Bemerkung gemeint hatte. Draußen im All tat sich tatsächlich etwas.
Vor dem Hangar war eines der Rochenschiffe erschienen.
Der Pilot war unschlüssig. Er hatte insgeheim gemerkt, daß im Inneren der EXCALIBUR irgend etwas nicht nach Plan verlief, wußte aber offensichtlich nicht genau, was es war.
Charity gab ihm keine Gelegenheit, genauer nachzusehen. Eingedenk der schlechten Erfahrung, die sie gerade gemacht hatte, schoß sie diesmal keine Rakete ab, sondern feuerte mit allen vier Lasern der Viper.
Das Rochenschiff loderte blendend hell auf. Charity sah, wie sich die armdicken Lichtstrahlen funkensprühend durch das Metall fraßen. Flammen und grelle Explosionen zuckten auf, geschmolzenes Metall lief in Strömen über die Flanken des Schiffes. Die fremdartige Maschine zitterte, kippte über die linke Tragfläche ab, fing sich aber noch einmal. Dann feuerte auch Skudder seine Laser ab, und das Rochenschiff verwandelte sich in einen Feuerball, der das gesamte Schleusentor ausfüllte und die Hälfte des Hangars verschlang. Charitys Viper erbebte wie unter einem Faustschlag. Sie sah, wie drei, vier weitere Jäger von der ungeheuren Feuerwalze ergriffen und davongewirbelt wurden wie trockenes Laub. Sekundenlang kämpfte sie verzweifelt mit der Steuerung, um nicht ebenfalls gegen die Wand geschleudert zu werden. Dann hatte sie die Viper wieder unter Kontrolle.
»Ups«, sagte Skudder. »Die Dinger halten ja gar nichts aus.«
»Wenn ihr beiden euch unbedingt selbst umbringen wollt, dann wartet doch bitte damit, bis ich ein paar tausend Kilometer entfernt bin«, mischte Hartmann sich ein. »Und unterschätzt die Rochenschiffe nicht. Wir haben den Burschen überrascht, aber das funktioniert normalerweise nur einmal. Raus jetzt!«
Charity schob den Beschleunigungshebel beinahe sanft nach vorn. Trotzdem machte die Viper einen Satz, der Charity brutal in den Pilotensessel hineinprügelte, und katapultierte sich regelrecht aus dem Hangar hinaus. Die gewaltige Halle stürzte förmlich hinter Charity zurück, und sie befand sich jäh draußen im All.
Aber sie war nicht allein.
Der Ortungsalarm begann praktisch im gleichen Moment zu schrillen, als die Viper aus der EXCALIBUR hinausjagte. Ein halbes Dutzend roter Lichter begann auf dem Kontrollpult vor Charity zu flackern, und eine Computerstimme quäkte irgend etwas in ihren Helmlautsprecher, das sie nicht verstand. Die Warnung war auch nicht notwendig. Sie hatte die beiden Rochenschiffe, die mit lodernden Triebwerken auf sie zuhielten, bereits gesehen.
»Achtung, jetzt!« rief Hartmann. »Wir greifen den linken an! Alle zusammen!«
Charity fragte sich flüchtig, wer Hartmann eigentlich zum Commander ihrer kleinen Staffel ernannt hatte, gehorchte aber trotzdem sofort. Sie beschleunigte noch mehr, wartete ungeduldig, bis der Rochen im Fadenkreuz des Zielcomputers erschien und feuerte dann die Laser ab.
Die Schüsse lagen genau im Ziel. Die vier grell leuchtenden Laserbahnen vereinigten sich in dem Cockpit des Schiffes - und spritzten auseinander wie harmlose Wasserstrahlen, die auf eine Stahlplatte getroffen waren.
Gleichzeitig begann ihr Ortungsalarm noch lauter zu schrillen.
Charity fluchte, beschleunigte noch mehr und riß die Viper in einer engen Kurve herum. Irgend etwas streifte die Maschine flüchtig. Trotzdem wurde sie brutal aus dem Kurs geworfen, drehte sich für einen Moment trudelnd um drei oder noch mehr Achsen zugleich und kam gerade noch rechtzeitig wieder in eine stabile Lage, bevor Charitys Magen aus ihrem Kehlkopf herauskriechen konnte.
Als sie wieder klar denken konnte, sah sie, daß Hartmann und Skudder sich gemeinsam auf das Rochenschiff gestürzt hatten und es mit Säulen und Salven aus ihren Lasergeschützen eindeckten. Die Maschine trudelte, doch selbst die acht vereinten Laserstrahlen vermochten seinen Schutzschild nicht zu durchdringen. Aber sie schienen es dem Piloten auch unmöglich zu machen, sich zu wehren oder nennenswert zu manövrieren.
Das Energiefeld umgab den Rochen wie eine zweite, leuchtende Haut. Ströme reiner Energie glitten über die Flanken des Rochenschiffes, ohne sie wirklich zu berühren. Aber die Maschine schwankte immer stärker, und Charity glaubte bereits ein unrhythmisches Flackern in der Struktur des Schildes wahrzunehmen. Sie war zuversichtlich, daß Skudder und Hartmann den Rochen erledigen würden.
Wo aber war das zweite Raumschiff?
Wie als Antwort auf diese Frage erbebte die Viper unter einem berstenden Schlag. Ein Dutzend Alarmsirenen heulten und flackerten gleichzeitig auf. Glas zerbrach klirrend, und Charity sah, wie sich die als unzerstörbar geltende Kanzel über ihrem Kopf in ein milchiges Spinnennetz verwandelte, während die Viper herumgerissen wurde und erneut wild zu taumeln und zu trudeln begann. Der vermißte Rochen tanzte zweimal an Charity vorüber, bis sie das Schiff wieder halbwegs unter Kontrolle hatte.
Sie beschleunigte blindlings. Die Viper schoß mit solcher Gewalt nach vorn, daß sie durch den Anpreßdruck keine Luft mehr bekam und für einen Moment nichts als farbige Punkte und Feuerräder sah. Noch eine Winzigkeit mehr, und sie lief Gefahr, das Bewußtsein zu verlieren.
Ein Laserstrahl traf die Viper, hinterließ eine schwarze Brandspur auf ihrem Rumpf und zerschmolz die Bugantennen zu glühendem Schrott. Doch es gab noch eine andere, viel größere Gefahr, wie Charity nur zu gut wußte. Statt das Tempo zurückzunehmen, ließ sie die Viper deshalb in willkürlichen Sprüngen hin und her hüpfen. Der Laserstrahl verlor sein Ziel und erlosch.
Charity flog einen Salto, riß die Viper in einer engen Kehre herum und feuerte zwei Raketen auf das Rochenschiff ab. Eines der Geschosse verfehlte sein Ziel, das andere explodierte direkt über dem sonderbaren Rumpfaufbau und riß ihn ab. Glühende Trümmerstücke und brennendes Gas eruptierten aus dem Loch, aber die Beschädigung schien die Funktionstüchtigkeit der Maschine nicht ernsthaft zu beeinträchtigen. Der Pilot feuerte auf der Stelle zurück. Zwei armdicke Laserstrahlen trafen die Viper und ließen das Metall des Rumpfes wie unter Schmerzen aufschreien.
Irgend etwas explodierte. Beißender Qualm erfüllte die Kanzel. Charity war für eine halbe Sekunde blind, ehe die Ventilatoren ansprangen und den Rauch absaugten.
Als sie wieder sehen konnte, schwebte das Rochenschiff kaum hundert Meter vor ihr im All. Aus dem Loch auf seiner Oberseite drang noch immer brennendes Gas, doch die Beschädigung war nicht gefährlich. Offensichtlich aber hielt der Pilot Charitys Viper für kampfunfähig, jedenfalls betrachtete er sie als nicht mehr gefährlich genug, um ihr Schaden zufügen zu können. Charity vermutete, daß der Pilot nun in aller Seelenruhe Ziel nahm, um der angeschlagenen Viper den Todesstoß zu versetzen. Ihre Finger näherten sich dem Taktik-Computer und zogen sich wieder zurück. Der Pilot des Rochenschiffes würde es merken, wenn er von ihrem Zielradar erfaßt wurde, und augenblicklich feuern.
Charity wartete, bis der Rochen sich direkt vor dem stumpfen Bug der Viper befand, dann feuerte sie ihre Hauptwaffe ab.
Die Railgun entlud sich mit einem dumpfen, rauschenden Wusch, das sich in rasendem Tempo vom Heck bis zum Bug fortsetzte und von einer heftigen Erschütterung gefolgt wurde, die die gesamte Viper ergriff. Im ersten Moment wartete Charity vergeblich auf irgendeine Wirkung.
Dann zerbarst das Rochenschiff.
Es explodierte nicht etwa, oder brach auseinander, sondern zerplatzte wie ein Modell aus hauchdünnem Glas, das von einem Vorschlaghammer getroffen worden war. Die kinetische Energie, die das faustgroße Urangeschoß in das Schiff pumpte, war so gewaltig, daß es schneller auseinander gesprengt wurde, als die Munition und der Treibstoff explodieren konnten.
Charity kannte zwar die theoretische Wirkung der Railgun, doch die Praxis überstieg in diesem Fall jede Vorstellung.
Theoretisch bedeutete die Entwicklung der Railgun einen gewaltigen Rückschritt in der Waffentechnologie, denn statt gebündelter Hochenergiestrahlen oder selbstlenkenden Raketen verschoß die Kanone massive Urankerngeschosse, vom Prinzip her kaum anders als die gußeisernen Kanonen, mit denen sich die Panzerschiffe auf den Meeren einer vergangenen Epoche der Erde bekämpft hatten. Praktisch aber war die Wirkung der Railgun verheerender als alles, was Charity bis zu diesem Augenblick gesehen hatte, denn diese Kanone verschoß ihre Projektile nicht mit Hilfe eines Sprengsatzes, sondern beschleunigte sie mittels rasend schnell wechselnder, ineinandergreifender Magnetfelder. Die faustgroße, dreißig Pfund schwere Urankugel wurde im Heck des Schiffes beschleunigt und erreichte bis zum Verlassen des Laufes unter dem Bug eine Geschwindigkeit von mehr als vierzigtausend Kilometer in der Sekunde. Was immer den Weg eines dieser Geschosse kreuzte, wurde augenblicklich zerstört, mit ungeheurer Wucht, wobei es ganz egal war, woraus das Ziel bestand und wie es sich zu schützen versuchte.
Doch Charity hatte bislang angenommen, daß das Geschoß einfach ein Loch in das gegnerische Schiff stanzen würde, woraufhin es auseinanderbrach, explodierte oder auch nur hilflos davonzutrudeln begann. Die Wirkung aber, die sie soeben beobachtet hatte, war ungleich spektakulärer gewesen. Das Urankerngeschoß mußte einen Großteil seiner Bewegungsenergie schlagartig auf sein Ziel übertragen haben.
Charity starrte die auseinandertreibenden Trümmerteile zwei, drei Sekunden lang fassungslos an.
Trümmerstücke prasselten wie Hagel gegen den Rumpf und die Kanzel der Viper. Das Geräusch erinnerte Charity daran, daß es noch nicht vorbei war. Sie riß sich aus ihren Gedanken, beschleunigte, lenkte den Jäger in einer engen Kurve um die Überreste des Rochenschiffes herum und suchte nach Skudder und Hartmann. Überrascht stellte sie fest, wie weit sie sich während des kurzen Kampfes vom Schauplatz des zweiten Gefechts entfernt hatte. Sie konnte weder die beiden Vipern noch ihren Gegner sehen, registrierte aber ein weit entferntes, hektisches Flackern und Blitzen; das optische Echo der Laserstrahlen, die Skudder und Hartmann noch immer auf ihren Gegner schleuderten.
Charity korrigierte den Kurs der Viper, beschleunigte stark und versuchte gleichzeitig, Funkkontakt zu Hartmann oder Skudder aufzunehmen.
Keiner der beiden meldete sich. Wahrscheinlich hatten sie alle Hände voll damit zu tun, ihren Gegner im Zaum zu halten. Aber das Funkgerät blieb vollkommen tot. Charity hörte nicht einmal ein statisches Rauschen. Irgend etwas an dieser Erkenntnis war bedeutsam, das wußte Charity, aber sie hatte keine Zeit, den Gedanken weiter zu verfolgen.
Der Schauplatz des Kampfes war wieder in Sichtweite gekommen. Die beiden Vipern feuerten noch immer aus nächster Nähe auf das Rochenschiff, das mittlerweile in einem grellen, unheimlichen Licht loderte und flammende Eruptionen in alle Richtungen schleuderte. Die überlasteten Schutzschirme versuchten, die überschüssige Energie abzugeben, doch Skudder und Hartmann jagten Hitze und hochenergetisches, zerstörerisches Licht schneller in die Schirme hinein, als diese absorbieren oder zurückschleudern konnten.
Charity griff automatisch nach dem Auslöser der Railgun und zog die Hand wieder zurück, ohne die Bewegung zu Ende zu führen. Die drei Gegner waren sich zu nahe. Sie lief Gefahr, Skudder oder Hartmann zu treffen, wenn sie jetzt feuerte. Außerdem wäre es pure Munitionsverschwendung. Die Schutzschirme des Rochenschiffes mußten jeden Moment zusammenbrechen, vor allem, wenn sie das Feuer ihrer Laser dem der beiden anderen Jäger hinzufügte.
Charity lenkte die Viper in einer langgestreckten Kurve herum, um in eine günstigere Schußposition zu gelangen, reduzierte drastisch ihre Geschwindigkeit und visierte das Rochenschiff an. Im gleichen Moment entdeckte sie einen klobigen, langgestreckten Umriß, der über der stählernen Skyline der EXCALIBUR erschien und Kurs auf die kämpfenden Jäger nahm. Es war einer der Truppentransporter, die sie beobachtet hatten.
Charity schob den Beschleunigungshebel mit einem Ruck nach vorn, richtete ihre Laser auf den neu aufgetauchten Feind aus und wartete auf die Zielerfassung des Computers. So nahe bei der EXCALIBUR und den beiden anderen Jägern wagte sie es nicht, nach Licht zu feuern. Ein einziger Fehlschuß konnte verheerende Folgen haben.
Einen Sekundenbruchteil, bevor die Zielerfassung aufleuchtete, schüttelte sich das Landungsschiff, und praktisch im gleichen Moment flog Skudders Schiff wie von einer unsichtbaren Faust getroffen davon. Eine der Tragflächen brach sofort ab. Das Kanzeldach zersplitterte, und das Lodern der Triebwerke erlosch übergangslos.
Charity schlug die flache Hand mit einem Schrei auf den Feuerknopf. Das Landungsschiff glühte unter dem Einschlag der Laserbahnen auf. Einen Sekundenbruchteil später hämmerte die Raketensalve in die Schutzschirme und riß sie in einer Folge greller Explosionen auseinander. Die nächste Lasersalve traf den verglühten Rumpf des Landungsschiffes und verwandelte das Metall in flüssig davonspritzendes Magma. Der Transporter bäumte sich auf, kippte zur Seite und zerbrach in zwei Teile, als Charity eine weitere Lasersalve in den nunmehr ungeschützten Rumpf jagte.
Mit fliegenden Fingern riß sie die Viper herum und jagte auf Hartmann und das Rochenschiff zu. Gleichzeitig versuchte sie beinahe verzweifelt, Skudder zu entdecken. Seine Viper torkelte wrackgeschossen und führerlos durchs All. Charity betete, daß er noch am Leben war. Aber sie hatte keine Zeit, ihm zu Hilfe zu eilen. Das Eingreifen des Transportschiffes nahm all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Und es gab noch zwei weitere Landungsschiffe, die sich als gar nicht so harmlos erwiesen hatten, wie sie bisher glaubten.
Sie mußte den Kampf entscheiden. Jetzt.
Charity warf alle Bedenken über Bord, visierte das Rochenschiff an und feuerte. Die Viper schüttelte sich, als die Railgun ihr Geschoß ausspie, und im gleichen Sekundenbruchteil war die vordere Hälfte des Rochenschiffes verschwunden. Die andere schien sich in Zeitlupe auseinanderzufalten und in ein halbes Dutzend großer und Millionen winziger Bruchstücke zu zerbrechen. Hartmanns Laser feuerten noch einen kurzen Moment weiter und erloschen dann.
Charity verschwendete keinen Augenblick mehr auf das zerstörte Rochenschiff, sondern überließ es Hartmann, sich um mögliche weitere Gegner zu kümmern und ihr den Rücken zu decken. Die Viper ächzte, als wollte sie auseinanderbrechen, als Charity sie in eine enge Kehre zwang und gleichzeitig in Skudders Richtung beschleunigte.
Die riesenhafte Flanke der EXCALIBUR raste auf sie zu, kam immer näher, bedrohlicher näher, und glitt dann zur Seite, als Charity den Raumjäger in kaum hundert Metern Entfernung an ihr vorbeiprügelte. Skudders Schiff trudelte antriebslos vor ihr durchs All. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte Charity sehen, daß es nur noch ein Wrack war.
Charity bremste die Viper ebenso brutal ab, wie sie gerade erst beschleunigt hatte, und wurde zur Abwechslung gegen das Armaturenbrett geschleudert, statt in den Sitz gepreßt zu werden. Trotzdem jagte sie mit viel zu hoher Geschwindigkeit an Skudders Schiff vorbei. Fluchend kämpfte sie mit der Steuerung, versuchte den Raumjäger noch weiter abzubremsen und gleichzeitig zu wenden und geriet für einen Moment ins Trudeln.
Der Bildschirm vor ihr erwachte zum Leben. Hartmanns Gesicht blickte sie besorgt aus der dreidimensionalen Abbildung heraus an.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte er.
»Mit mir schon«, antwortete Charity. Sie bekam die Viper endlich wieder unter Kontrolle, verringerte ihre Geschwindigkeit auf Null und suchte nach Skudders Schiff. Sie entdeckte es vier- oder fünfhundert Meter entfernt.
»Kümmere dich um ihn«, sagte Hartmann knapp. »Ich decke euch.«
Hartmanns Schiff entfernte sich wieder, und Charity versuchte erneut, das trudelnde Wrack vor ihr einzuholen. Diesmal ging sie sehr viel behutsamer zu Werk. Sie war eine ausgezeichnete Pilotin, und die Viper erwies sich als äußerst präzise zu manövrierendes Schiff, das auf jede noch so winzige Steuerbewegung reagierte. Trotzdem mußte sie am Schluß den Computer zu Hilfe nehmen, um ihren Kurs dem ziellosen Trudeln des Wracks anzupassen.
Ihr Herz begann immer stärker zu klopfen. Sie zitterte am ganzen Leib, und ihre Handflächen und ihre Stirn waren feucht vor Schweiß. Skudders Viper schwebte jetzt genau über ihr. Charity näherte sich dem Schiff von der Unterseite, so daß sie die Pilotenkanzel nicht sehen konnte, doch allein die Zerstörungen, die sie auf den ersten Blick gewahrte, waren entsetzlich. Der schiffslange Lauf der Railgun war verbogen und zu einem Drittel aus seiner Verankerung gerissen. Einer der Flügel fehlte vollkommen; der andere sowie der Rest des Rumpfes wiesen zahllose Risse, Dellen und andere Beschädigungen auf.
Abgerissene Kabel, zerborstene Rohrleitungen und bis zur Unkenntlichkeit verbogene Maschinenteile ragten aus den zahllosen unterschiedlich großen Löchern, die im Rumpf der Maschine gähnten.
Die Viper sah aus, als wäre sie stundenlang mit schweren Vorschlaghämmern bearbeitet worden. Kein lebendes Wesen, das sich darin befunden hatte, konnte diese Verheerung überlebt haben.
Aber Skudder durfte nicht tot sein. Ganz egal, was auch passierte - Skudder durfte einfach nicht tot sein! Sie kannten sich zu lange. Sie hatten gemeinsam zu viel durchgemacht, als daß er jetzt durch einen so dummen, überflüssigen Akt willkürlicher Gewalt ums Leben gekommen sein durfte!
Skudder war viel mehr als nur Charitys bester Freund und Lebensgefährte. Ohne ihn hätte sie den Kampf gegen die Moroni möglicherweise nie durchgestanden, ja, vielleicht noch nicht einmal begonnen. Sein Anteil an der Befreiung der Erde war mindestens ebenso groß wie ihr eigener, und sei es nur, weil Skudder es gewesen war, der ihr in Augenblicken der Verzweiflung und Mutlosigkeit immer wieder neue Kraft gegeben hatte. Das Schicksal konnte einfach nicht so ungerecht sein, ihn jetzt mit einer fast beiläufigen Geste zu vernichten.
Und wenn doch?
Charity manövrierte den Jäger mit kleinen, vorsichtigen Stößen aus den Korrekturdüsen um das Wrack der anderen Maschine herum. Sie fragte sich, was sie tun würde, sollte Skudder tatsächlich tot sein. Ob sie die Kraft haben würde, weiter zu leben?
Sie wußte es nicht.
Und sie brauchte die Frage auch nicht zu beantworten. Skudder war nicht tot.
Die Oberseite der Viper bot einen fast noch schlimmeren Anblick als ihre Unterseite. Das Metall war zerhämmert und zerborsten, und wo einst das Cockpit gewesen war, gähnte ein schwarzes Loch mit unregelmäßig ausgefransten Rändern. Wie Skudder aus diesem Wrack herausgekommen war, sollte Charity auf ewig ein Rätsel bleiben. Aber er war herausgekommen. Und er war offensichtlich sogar bester Laune, denn er hockte im Schneidersitz auf der verbliebenen Tragfläche des Jägers, grinste Charity breit an und winkte mit der rechten Hand, deren Daumen er in einer uralten Geste nach oben gereckt hatte.