9

Der Mann von der Staatspolizei war vor kurzem gegangen . . . Später Nachmittag. Ich lag im Bett und fühlte mich besser, und mir war besser, weil ich mich besser fühlte. Ich lag einfach nur da und dachte über die Gefahren nach, die ein Leben in Amber so mit sich brachte. Brand und ich waren beide bettlägerig durch die Lieblingswaffe der Familie. Ich überlegte, wen von uns beiden es wohl schlimmer getroffen hatte. Vermutlich ihn. Die Klinge hatte womöglich seine Niere verletzt, und er war ohnehin in schlechter Verfassung gewesen.

Ich war zweimal durchs Zimmer und wieder zurück getaumelt, ehe Bills Angestellter mit den Dokumenten kam, die ich unterschreiben sollte. Ich mußte meine Grenzen kennen – das ist immer von Nutzen. Da ich um ein Mehrfaches schneller gesundete als die Bewohner dieses Schattens, war ich der Meinung, daß ich schon wieder stehen und gehen können müßte, daß ich schon die Dinge schaffen müßte, die ein Hiesiger nach anderthalb oder zwei Tagen bewältigt. Und ich stellte fest, daß ich es konnte. Es tat weh, und beim erstenmal wurde mit schwindlig, doch beim zweitenmal ging es schon besser. Das war wenigstens etwas. Nun lag ich wieder im Bett und fühlte mich besser.

Dutzende von Malen hatte ich die Trümpfe vor mir aufgefächert, hatte Solitaire gespielt, hatte inmitten vertrauter Gesichter vieldeutige Zukunftszeichen gelesen. Und jedesmal hatte ich mich zurückgehalten, hatte ich den Wunsch unterdrückt, Random anzusprechen, ihm mitzuteilen, was geschehen war, und mich nach neuen Entwicklungen zu erkundigen. Später, später, sagte ich mir. Jede zusätzliche Stunde, die meine Geschwister schlafen, ist hier zweieinhalb Stunden lang. Zweieinhalb Stunden entsprechen sieben oder acht Stunden Heilung bei den einfachen Sterblichen in diesem Schatten. Halte dich zurück. Denk nach. Erhole dich.

Und so kam es, daß mir kurz nach dem Abendessen, als der Himmel langsam wieder dunkler wurde, jemand zuvorkam. Ich hatte bereits einem sauberen jungen Angehörigen der Staatspolizei all das mitgeteilt, was ich zu offenbaren gedachte. Ich habe keine Ahnung, ob er mir glaubte oder nicht, doch er war höflich und blieb nicht lange. Und schon wenige Minuten, nachdem er gegangen war, geschah es.

Ich lag im Bett und fühlte mich besser und wartete auf Dr. Bailey, damit er nachsah, wie es mit mir bergauf ging. Ich lag im Bett und ließ mir all die Dinge durch den Kopf gehen, die Bill gesagt hatte, und versuchte sie mit anderen Dingen zusammenzubringen, die ich gewußt oder vermutet hatte . . .

Kontakt! Jemand war schneller gewesen als ich. Jemand in Amber war ein Frühaufsteher.

»Corwin!«

Es war Random, in ziemlicher Erregung.

»Corwin! Steh auf! Mach die Tür auf! Brand ist zu sich gekommen und fragt nach dir.«

»Hast du an die Tür gehämmert, um mich zu wecken?«

»Ja!«

»Bist du allein?«

»Ja.«

»Gut. Ich bin nämlich nicht in meinem Zimmer. Du hast mich in den Schatten erreicht.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich auch nicht. Ich bin verwundet, aber ich werde es überstehen. Aber davon später mehr. Erzähl mir von Brand.«

»Er ist vor kurzem aufgewacht. Er hat zu Gérard gesagt, er müßte dich sofort sprechen. Gérard hat nach einem Dienstboten geklingelt und ihn zu deinem Zimmer geschickt. Als der dich nicht wachbekam, ist er zu mir gekommen. Ich habe ihn eben zu Gérard zurückgeschickt mit der Nachricht, ich würde dich holen gehen.«

»Ich verstehe«, sagte ich, streckte mich langsam aus und richtete mich auf. »Begib dich an einen Ort, wo man dich nicht sehen kann, dann komme ich zu dir. Ich brauche einen weiten Mantel oder so. Mir fehlt es an Kleidung.«

»Es wäre wohl am besten, wenn ich meine Gemächer aufsuchte.«

»Gut. Dann los!«

»Bis gleich.«

Stille.

Ich bewegte langsam die Beine. Ich setzte mich auf die Bettkante. Ich nahm meine Trümpfe zur Hand und schob sie in das Etui. Ich hielt es für wichtig, meine Verwundung in Amber geheimzuhalten. Selbst in ruhigen Zeiten übertüncht man seine Schwächen.

Ich atmete tief durch und stand auf, wobei ich mich am Bett festhielt. Meine kleinen Übungen machten sich nun bezahlt. Ich atmete ganz normal und öffnete die Hand. Nicht schlecht. Wenn ich langsam ging, wenn ich nicht mehr auf mich nahm als die unbedingt notwendigen Bewegungen, um den Schein zu wahren . . . Vielleicht konnte ich durchhalten, bis ich wieder voll zu Kräften gekommen war.

In diesem Augenblick hörte ich Schritte, und eine freundliche Krankenschwester erschien in der Tür, adrett, gut gebaut; sie unterschied sich von einer Schneeflocke nur insoweit, als diese alle gleich sind.

»Zurück ins Bett, Mr. Corey! Sie dürfen noch nicht aufstehen!«

»Madam!« sagte ich. »Es ist von großer Bedeutung, daß ich aufstehe. Ich muß!«

»Sie hätten sich eine Bettpfanne bringen lassen können«, sagte sie, betrat den Raum und kam auf mich zu.

Ich schüttelte müde den Kopf, als Random wieder mit mir in Verbindung trat. Ich fragte mich, mit welchen Worten sie dieses Ereignis beschreiben und ob sie das prismatische Nachfunkeln meines durch den Trumpf verschwindenden Körpers erwähnen würde. Vermutlich eine absonderliche Geschichte mehr, die sich um meinen Namen rankte.

»Sehen Sie es doch so, meine Liebe«, sagte ich zu ihr. »Unsere Beziehung war von Anfang an etwas rein Körperliches. Sie werden andere finden . . . viele andere. Adieu!«

Ich verneigte mich und warf ihr eine Kußhand zu, während ich nach Amber hinübertrat und sie mit einem Regenbogen in den Händen zurückließ. Ich taumelte und faßte Randoms Schulter.

»Corwin! Was zum Teufel . . .«

»Wenn Blut der Preis der Admiralität ist, habe ich mir gerade ein Kommando verdient«, sagte ich. »Gib mir etwas anzuziehen.«

Er drapierte mir einen langen, schweren Mantel um die Schultern, und ich schloß mit unsicheren Fingern die Schnalle am Hals.

»Alles bereit«, sagte ich. »Bring mich zu ihm.«

Er führte mich zur Tür und durch den Flur zur Treppe. Unterwegs stützte ich mich schwer auf ihn.

»Wie schlimm ist es?« erkundigte er sich.

»Ein Messer«, sagte ich und legte die Hand auf die Stelle. »Gestern abend hat mich in meinem Schlafzimmer jemand angegriffen.«

»Wer?«

»Na, du kannst es nicht gut gewesen sein, denn ich hatte mich gerade an der Treppe von dir getrennt«, sagte ich, »und Gérard war bei Brand in der Bibliothek. Ziehe euch drei von den anderen ab und stelle deine Vermutungen an. Das ist das beste . . .«

»Julian«, sagte er.

»Seine Aktien stehen in der Tat ziemlich schlecht«, sagte ich. »Fiona hat ihn mir gerade neulich abend vorgeführt, und natürlich ist es kein Geheimnis, daß er nicht gerade zu meinen Favoriten zählt.«

»Corwin, er ist fort. Er hat sich über Nacht abgesetzt. Der Dienstbote, der mich holen kam, hat gemeldet, daß Julian abgereist ist. Wonach sieht das aus?«

Wir erreichten die Treppe. Ich ließ eine Hand auf Randoms Schulter liegen und stützte die andere auf das Geländer. Am ersten Absatz hieß ich ihn stehenbleiben und rastete kurz.

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Manchmal ist es ebenso schlimm, sich zu sehr in die Position des anderen hineinzudenken, wie es überhaupt nicht zu tun. Aber mir will scheinen, daß er, wenn er wirklich der Meinung war, mich beseitigt zu haben, hier viel besser dran gewesen wäre. Da brauchte er jetzt nur noch den Überraschten zu mimen, sobald er von der Tat hörte. Sein Verschwinden aber sieht nun wirklich verdächtig aus. Ich neige zu der Auffassung, daß er verschwunden ist, weil er Angst vor Brands Enthüllungen hatte.«

»Aber du hast den Anschlag überlebt. Du bist deinem unbekannten Angreifer entkommen, der nicht sicher sein konnte, ob er dich getötet hat. Wäre ich der Täter, hätte ich längst Welten zwischen uns gebracht.«

»Das ist wohl richtig«, bestätigte ich im Weitergehen. »Ja, vielleicht hast du recht. Lassen wir die Frage im Augenblick auf sich beruhen. Jedenfalls darf niemand erfahren, daß ich verwundet bin.«

Er nickte.

»Schweigen wir wie Ambers Nachttöpfe.«

»Wie bitte?«

»Mylord, verzeiht des Vergleiches kühnen Bogen!«

»Deine Scherze tun mir sogar dort weh, wo ich nicht verwundet bin, Random. Versuch dir lieber zu überlegen, wie der Angreifer in mein Zimmer gekommen ist.«

»Das Wandpaneel?«

»Das ist von innen her verriegelt. Ich achte neuerdings darauf. Und das Türschloß ist neu und voller Tricks.«

»Ich hab´s! Doch meine Lösung setzt einen Familienangehörigen voraus.«

»Sag schon!«

»Jemand war willens, sich seelisch zu engagieren und noch einmal im Schnellgang durch das Muster zu eilen, um dich zu erwischen. Der Betreffende ging nach unten, bewältigte das Muster, ließ sich in dein Zimmer versetzen und griff an.«

»Das wäre die Lösung – bis auf eine Kleinigkeit. Wir haben das Wohnzimmer ziemlich dicht hintereinander verlassen. Der Angriff ist nicht später am Abend erfolgt, sondern unmittelbar nach meinem Eintreten. Ich glaube nicht, daß einer von uns genug Zeit hatte, um in die Tiefe zu steigen und dann auch noch das Muster zu bewältigen. Der Angreifer wartete bereits auf mich. Wenn es einer von uns war, muß er auf anderem Wege zu dir eingedrungen sein.«

»Dann hat er dein Schloß geknackt, trotz der Tricks.«

»Möglich«, sagte ich, als wir den nächsten Treppenabsatz erreichten und unseren Weg fortsetzten. »Wir machen noch einmal Pause an der Ecke, damit ich die Bibliothek ohne Hilfe betreten kann.«

»Klar.«

Und das taten wir. Ich nahm mich zusammen, hüllte mich völlig in den Mantel ein, straffte die Schultern, trat vor und klopfte an die Tür.

»Augenblick!« Gérards Stimme.

Schritte, die sich der Tür näherten . . .

»Wer ist da?«

»Corwin«, sagte ich. »Random ist bei mir.«

Ich hörte ihn über die Schulter rufen: »Möchtest du Random auch sprechen?« Und vernahm ein leises »Nein« als Antwort.

Die Tür ging auf.

»Nur du, Corwin«, sagte Gérard.

Ich nickte und wandte mich an Random.

»Später«, sagte ich zu ihm.

Er erwiderte mein Nicken und verschwand in der Richtung, aus der wir gekommen waren. Ich betrat die Bibliothek.

»Öffne deinen Mantel, Corwin!« befahl Gérard.

»Das ist nicht nötig«, sagte Brand, und ich hob den Kopf und sah, daß er mit etlichen Kissen im Rücken aufrecht auf der Couch saß und mich mit gelben Zähnen anlächelte.

»Tut mir leid, wenn ich nicht so vertrauensselig bin wie Brand«, sagte Gérard. »Ich habe aber keine Lust, meine Arbeit zunichte zu machen. Laß mich nachsehen.«

»Ich habe gesagt, daß das nicht nötig ist«, wiederholte Brand. »Er war nicht der Mann mit dem Dolch.«

Gérard wandte sich hastig um.

»Woher weißt du das?« fragte er.

»Weil ich weiß, wer es getan hat! Sei kein Dummkopf, Gérard. Ich hätte ihn bestimmt nicht kommen lassen, wenn ich Grund hätte, ihn zu fürchten.«

»Du warst bewußtlos, als ich dich herüberholte. Du kannst gar nicht wissen, wer es war.«

»Weißt du das genau?«

»Nun . . . Warum hast du es mir denn nicht gesagt?«

»Ich habe meine Gründe, gute Gründe. Ich möchte jetzt mit Corwin allein sprechen.«

Gérard senkte den Kopf.

»Hoffentlich hast du dir im Delirium nichts vorgemacht«, sagte er. Er ging zur Tür und öffnete sie. »Ich bleibe in Rufweite«, fügte er hinzu und schloß sie hinter sich.

Ich trat näher. Brand hob den Arm, und ich ergriff seine Hand.

»Es freut mich, daß du zurück bist«, sagte er.

»Ebenfalls«, erwiderte ich und setzte mich auf Gérards Stuhl; ich mußte mir große Mühe geben, mich nicht hineinfallen zu lassen.

»Wie fühlst du dich?« fragte ich.

»In einer Beziehung ziemlich mies. Aber in anderer Hinsicht besser als seit vielen Jahren. Es ist alles relativ.«

»Das gilt für die meisten Dinge.«

»Nicht für Amber.«

Ich seufzte.

»Schon gut. Ich wollte nicht spezifisch werden. Was ist eigentlich passiert?«

Sein Blick war intensiv. Er musterte mich; vielleicht suchte er nach etwas. Wonach? Vermutlich nach dem Stand meiner Erkenntnis. Oder genauer: Unkenntnis. Da Nichtvorhandenes schwer abzuschätzen war, gingen ihm seit seinem Erwachen sicher allerlei Gedanken durch den Kopf. Wenn ich ihn richtig einschätzte, interessierte er sich weniger für die Dinge, die ich kannte, als für die, die mir unbekannt waren. Er gedachte keine Information herauszurücken, die nicht unbedingt erforderlich war. Er wollte das unbedingte Minimum an Aufklärung berechnen, das er geben mußte, um sein Ziel zu erreichen. Kein Wort zuviel durfte gesprochen werden. So war er nun mal – und natürlich wollte er etwas von mir. Es sei denn . . . In den letzten Jahren habe ich mich mehr als früher davon zu überzeugen versucht, daß sich die Menschen ändern, daß die verstreichende Zeit nicht nur Dinge betont, die bereits vorhanden sind, sondern in den Menschen zuweilen auch qualitative Veränderungen hervorbringt aufgrund von Dingen, die sie getan, gesehen, gedacht und gefühlt haben. Dies wäre mir ein kleiner Trost in Zeiten wie jetzt, da alles andere schiefzulaufen scheint – ganz abgesehen davon, daß mein Weltbild erheblich aufgewertet worden wäre. Und Brand hatte ich es vermutlich zu verdanken, daß ich am Leben geblieben war und mein Gedächtnis zurückbekommen hatte – wie immer seine Gründe ausgesehen haben mochten. Also gut. Ich beschloß, zunächst das Beste von ihm anzunehmen, ohne mir allerdings eine Blöße zu geben. Eine kleine Konzession, mein Zug gegen die einfache Psychologie der Temperamente, die im allgemeinen den Beginn unserer Spiele beherrscht.

»Die Dinge sind niemals das, was sie zu sein scheinen, Corwin«, begann er. »Der Freund von heute ist der Feind von morgen, und . . .«

»Hör auf!« sagte ich ungeduldig. »Der Augenblick ist gekommen, die Karten auf den Tisch zu legen. Ich weiß zu schätzen, was Brandon Corey für mich getan hat; der Trick, mit dem wir dich schließlich zurückgeholt haben, war meine Idee.«

Er nickte.

»Ich denke mir aber, daß es gute Gründe gibt für das Aufflackern brüderlicher Gefühle nach so langer Zeit.«

»Und ich nehme an, daß du ebenfalls geheime Gründe hattest, mir zu helfen.«

Wieder lächelte er, hob die rechte Hand und senkte sie.

»Dann sind wir entweder quitt oder stehen nicht mehr in der Schuld des anderen, je nachdem, wie man solche Dinge sieht. Da mir scheint, daß wir uns im Augenblick gegenseitig brauchen, wäre es gut, uns im günstigsten Licht zu sehen.«

»Du redest um den heißen Brei herum, Brand. Du versuchst mich in deinen Bann zu ziehen. Außerdem raubst du meiner idealistischen Tat von heute den Glanz. Du hast mich aus dem Bett geholt, um mir etwas zu sagen. Also tu´s.«

»Ganz der alte Corwin«, sagte er und lachte leise. Dann wandte er den Blick ab. »Oder nicht? Ich weiß nicht recht . . . Hat es dich verändert, was meinst du? Das lange Leben in den Schatten? Nicht zu wissen, wer du wirklich warst? Als Teil von etwas ganz anderem?«

»Vielleicht«, erwiderte ich. »Ich weiß es nicht. Ja, vermutlich hat es mich verändert. Zumindest bin ich neuerdings sehr ungeduldig, sobald Familienangelegenheiten zur Sprache kommen.«

»Offen heraus, direkt, kein Blatt vor den Mund! Damit entgeht dir aber ein Teil des Vergnügens. Aber auch dieses Neue hat seinen Wert. Damit kann man die anderen nervös machen . . . man kann sein Verhalten wieder ändern, wenn es am wenigsten erwartet wird . . . Ja, das könnte wertvoll sein. Zugleich erfrischend. Na gut! Reg dich nicht auf. Damit enden die Präliminarien. All die netten Worte der Einleitung sind gewechselt. Ich werde die grundsätzlichen Dinge bloßlegen, werde dem Monstrum Unvernunft die Zügel anlegen und aus dämmrigem Dunkel die Perle vornehmster Vernunft hervorzaubern. Doch zunächst noch eins, wenn es dir recht ist. Hast du etwas Rauchbares bei dir? Es ist jetzt etliche Jahre her, und ich hätte gern mal wieder das eine oder andere üble Kraut probiert – zur Feier meiner Rückkehr.«

Ich wollte schon nein sagen. Doch ich war sicher, daß im Tisch Zigaretten lagen, von mir selbst dort zurückgelassen. Eigentlich hatte ich etwas gegen die Anstrengung, doch ich sagte: »Moment.«

Als ich mich erhob und die Bibliothek durchquerte, versuchte ich, meine Bewegungen ganz entspannt aussehen zu lassen. Während ich die Tischschublade durchwühlte, stemmte ich die Hand auf die Platte und hoffte, daß es so aussah, als stützte ich mich lässig ab und nicht so schwer, wie es tatsächlich der Fall war. Ich verdeckte meine Bewegungen mit Körper und Mantel, soweit es ging.

Schließlich fand ich die Packung und kehrte auf dem gleichen Wege zurück; unterwegs verharrte ich kurz am Kamin, um zwei Zigaretten anzuzünden. Brand ließ sich Zeit, mir seine Zigarette abzunehmen.

»Deine Hand ist ziemlich zittrig«, sagte er. »Was ist denn los?«

»Zuviel gefeiert gestern«, sagte ich und kehrte zu meinem Stuhl zurück.

»Daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht! Gewiß, dazu ist es gekommen, nicht wahr? Natürlich! Alle zusammen in einem Raum . . . Der unerwartete Erfolg der Suche nach mir, meine Rückkehr . . . Der verzweifelte Versuch seitens einer ausgesprochen nervösen und schuldbeladenen Person . . . Ja, da lag der halbe Erfolg. Ich verwundet und stumm, doch wie lange? Dann . . .«

»Du hast gesagt, du weißt, wer es getan hat. War das ein Scherz?«

«Nein.«

»Wer also?«

»Alles zu seiner Zeit, mein lieber Bruder. Alles zu seiner Zeit. Abfolge und Ordnung, Zeit und Akzent – das ist hier von großer Bedeutung. Gestatte mir, das Drama jenes Augenblicks in sicherem Rückblick zu genießen. Ich sehe mich verwundet und euch rings um mich. Ah! Was würde ich geben, um dieses Bild zu sehen! Könntest du mir vielleicht den Ausdruck auf den Gesichtern beschreiben?«

»Ich fürchte, die Gesichter waren in diesem Augenblick meine geringste Sorge.«

Er seufzte und blies Rauch aus.

»Ah, das tut gut«, sagte er. »Egal – ich kann mir die Gesichter vorstellen. Wie du weißt, besitze ich eine lebhafte Fantasie. Schock, Unbehagen, Verwirrung – hinüberwechselnd zu Mißtrauen und Angst. Dann, so sagt man mir, seid ihr alle gegangen, und der liebevolle Gérard hat mich umhätschelt.« Er schwieg, starrte in den Rauch, und eine Sekunde lang hatte seine Stimme nichts Spöttisches. »Weißt du, er ist der einzige Anständige unter uns.«

»Er steht ziemlich weit oben auf meiner Liste«, sagte ich.

»Er hat sich aufopfernd um mich gekümmert. Er hat sich immer um die anderen gekümmert.« Plötzlich kicherte er. »Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum er sich die Mühe macht. Doch ich hing gerade meinen Gedanken nach, ausgelöst durch dein leidendes Ich – ihr müßt euch dann an einen anderen Ort zurückgezogen haben, um die Ereignisse zu besprechen. Noch eine Party, an der ich gern teilgenommen hätte. All die Emotionen und Verdächtigungen und Lügen, die da herumschwirrten – und niemand, der als erster Gute Nacht zu sagen wagte! Der Tonfall muß mit der Zeit ziemlich schrill geworden sein. Jedermann bemüht höflich, doch mit geballter Faust, um den anderen ein blaues Auge zu verpassen. Versuche, die einzig schuldige Person einzuschüchtern. Vielleicht ein paar Steinwürfe auf die Sündenböcke. Aber letztlich ohne Ergebnis. Habe ich recht?«

Ich nickte, wußte ich doch zu beurteilen, wie sein Verstand funktionierte, und war inzwischen auch durchaus gewillt, ihn auf seine Weise erzählen zu lassen.

»Du weißt selbst, daß du recht hast«, sagte ich.

Daraufhin warf er mir einen prüfenden Blick zu und fuhr fort: »Doch zuletzt sind alle gegangen, um anschließend besorgt wachzuliegen oder sich mit einem Komplicen zum Pläneschmieden zu treffen. Verborgene Stürme in der Nacht. Schmeichelhaft zu wissen, daß sich jedermann Gedanken um mein Wohlergehen machte. Natürlich waren einige dagegen, andere dafür. Und in der Mitte all dieser Ereignisse tummelte ich mich – nein, ich gedieh –, beseelt von dem Wunsch, meine Anhänger nicht zu enttäuschen. Gérard hat viel Zeit darauf verwendet, mich über die jüngste Geschichte aufzuklären. Als ich genug davon hatte, ließ ich dich holen.«

»Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin jetzt hier. Was wolltest du mir sagen?«

»Geduld, Bruder! Geduld! Denk an all die Jahre, die du in den Schatten verbracht hast, ohne dich an das hier zu erinnern.« Er machte eine umfassende Bewegung mit der Zigarette. »Denk an die lange Zeit, die du, ohne es zu wissen, gewartet hast, bis es mir gelang, dich zu finden, bis ich versuchte, dein schlimmes Los zu beenden. Im Vergleich dazu sind ein paar Minuten in diesem Augenblick doch nicht gar so kostbar.«

»Man hat mir gesagt, daß du mich gesucht hattest«, sagte ich. »Darüber habe ich mich gewundert, denn nach unserem letzten Zusammensein sind wir nicht gerade in bestem Einvernehmen auseinandergegangen.«

Er nickte.

»Das kann ich nicht abstreiten«, sagte er. »Doch über solche Dinge komme ich immer wieder hinweg, früher oder später.«

Ich schnaubte ungläubig durch die Nase.

»Ich habe mir darüber klar zu werden versucht, wieviel ich dir sagen soll, wieviel du mir wohl glauben würdest«, fuhr er fort. »Hätte ich geradeheraus behauptet, meine Motive seien bis auf einige Kleinigkeiten fast ausschließlich altruistischer Natur, hättest du mir das bestimmt nicht geglaubt.

Wieder schnaubte ich durch die Nase.

»Aber es stimmt«, fuhr er fort, »und ich sage dies, um dein Mißtrauen zu besänftigen und weil ich keine andere Wahl habe. Anfänge sind immer schwierig. Wo immer ich beginne – irgend etwas hat bestimmt schon vorher stattgefunden. Du warst ja auch so lange fort. Wenn man schon irgendeinen Aspekt besonders herausstellen muß, nehmen wir am besten den Thron. Na bitte! Jetzt habe ich es gesagt. Weißt du, wir hatten uns eine Strategie zurechtgelegt, den Thron zu übernehmen. Dies geschah kurz nach deinem Verschwinden und wurde in gewisser Weise vielleicht sogar dadurch ausgelöst. Vater hatte Eric im Verdacht, dich getötet zu haben. Allerdings gab es keine Beweise. Jahre vergingen, du warst auf keine bekannte Weise erreichbar, und die Wahrscheinlichkeit wuchs, daß du tatsächlich tot warst. Eric fiel bei Vater immer mehr in Ungnade. Eines Tages, im Gefolge einer Diskussion über ein völlig neutrales Thema – die meisten von uns saßen mit am Tisch –, sagte Vater plötzlich, kein Brudermörder würde jemals den Thron erringen – und dabei sah er Eric an. Du weißt ja, wie seine Augen sich verändern konnten. Eric wurde puterrot und bekam lange Zeit keinen Bissen hinunter. Aber dann trieb Vater die Sache weiter, als wir es vorausgesehen oder uns gewünscht hatten. In aller Fairnis dir gegenüber muß ich sagen, daß ich nicht weiß, ob es ihm nur darum ging, seinen Gefühlen Luft zu machen, oder ob er seine Worte wirklich ernst meinte. Jedenfalls sagte er uns, er sei bereits mehr als halb entschlossen gewesen, dich zu seinem Nachfolger zu machen, so daß er das, was dir widerfahren war, als persönliche Maßnahme gegen sich auffasse. Bestimmt hätte er nicht darüber gesprochen, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, daß du tot warst. In den folgenden Monaten errichteten wir dir einen Zenotaph, um dieser Schlußfolgerung eine greifbare Form zu geben, und sorgten dafür, daß Vaters Gefühle gegenüber Eric nicht in Vergessenheit gerieten. Immerhin wußten wir, daß Eric nach dir derjenige war, den wir ausschalten mußten, wenn wir den Thron erringen wollten.«

»Wir! Wer waren die anderen?«

»Geduld, Corwin! Abfolge und Ordnung, Zeit und Akzent! Herauskehrung, Unterstreichung . . . Hör zu!« Er nahm eine neue Zigarette, zündete sie an der Kippe der ersten an, stach mit der brennenden Spitze durch die Luft. »Der nächste Schritt hatte zum Ziel, Vater aus Amber verschwinden zu lassen – der entscheidendste und gefährlichste Teil. Mit diesem Punkt nun begann die Uneinigkeit. Mir mißfiel der Gedanke an ein Bündnis mit einer Macht, die ich nicht ganz verstand, insbesondere eine Macht, die es den Schatten ermöglichte, einen Fuß in die Tür zu stellen. Sich Schatten nützlich zu machen, ist eine Sache; ihnen jedoch zu gestatten, uns zu gebrauchen, ist unüberlegt, wie immer die Voraussetzungen auch aussehen mochten. Ich sprach mich dagegen aus, doch die Mehrheit wollte es anders.« Er lächelte. »Zwei zu eins. Ja, wir waren zu dritt. Wir unternahmen also den nächsten Schritt. Die Falle wurde errichtet, und Vater schnappte nach dem Köder . . .«

»Lebt er noch?« fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, sagte Brand. »Ab hier begannen die Dinge schiefzulaufen, und später hatte ich eigene Sorgen, die mich in Trab hielten. Jedenfalls bestand unsere erste Maßnahme nach Vaters Verschwinden darin, unsere Position zu festigen, während wir eine gewisse Zeit abwarteten, bis es angebracht war, seinen Tod zu vermuten. Idealerweise brauchten wir dazu nur die Mitarbeit einer Person. Entweder Caine oder Julian – egal, wer. Weißt du, Bleys war bereits in die Schatten gegangen und stand im Begriff, eine gewaltige Armee zusammenzustellen . . .«

»Bleys! Er war einer von euch?«

»Allerdings. Wir wollten ihn auf den Thron setzen – natürlich so sehr unter Kontrolle, daß es de facto letztlich auf ein Triumvirat hinausgelaufen wäre. Wie ich eben sagte, zog er los, um Truppen zusammenzustellen. Wir erhofften uns natürlich eine unblutige Übernahme; andererseits mußten wir bereit sein für den Fall, daß Worte zum Siege nicht genügten. Wenn Julian uns den Landweg nach Amber eröffnete oder Caine uns das Meer freigab, hätten wir die Truppen ohne Verzögerung herbeischaffen und uns notfalls auch mit Waffengewalt durchsetzen können. Leider suchte ich mir den falschen Mann aus. Meinem Gefühl nach war Caine korrupter als Julian. Mit wohlüberlegter Vorsicht trug ich ihm die Sache vor. Zuerst schien er bereit zu sein, sich auf unsere Vorstellungen einzulassen. Doch entweder überlegte er es sich hinterher anders, oder er täuschte mich von Anfang an. Natürlich glaube ich lieber an das erstere. Wie dem auch sei – irgendwann kam er zu dem Schluß, daß er mehr zu gewinnen hatte, wenn er einen anderen Thronanwärter unterstützte – nämlich Eric. Erics Hoffnungen auf den Thron waren durch Vaters Einstellung ihm gegenüber etwas gemindert worden – doch Vater war nun fort, und unsere geplante Aktion bot Eric die Möglichkeit, sich zum Verteidiger des Throns aufzuschwingen. Zum Pech für uns brachte ihn eine solche Position wieder in Reichweite des Herrschertitels. Aber damit nicht genug: Julian machte es Caine nach und unterstellte seine Truppen Eric zur Verteidigung. Auf diese Weise bildete sich das andere Trio. Eric leistete den öffentlichen Eid, den Thron zu verteidigen, und damit standen die Fronten fest. Ich befand mich zu dieser Zeit natürlich in einer etwas peinlichen Lage. Auf mich konzentrierte sich nämlich die Feindseligkeit der anderen, da sie nicht wußten, wer meine Verbündeten waren. Dennoch konnten sie mich nicht einsperren oder foltern, denn ich wäre sofort durch den Trumpf fortgeholt worden. Und wenn sie mich töteten, mochte es von unbekannter Seite Vergeltungsaktionen geben, das wußten sie sehr wohl. Also blieb die Partie eine Zeitlang ausgewogen. Die drei erkannten auch, daß ich keine direkten Schritte mehr gegen sie unternehmen konnte. Sie bewachten mich ständig. Hieraus ergab sich ein noch raffinierterer Plan. Wieder sprach ich mich dagegen aus, und wieder wurde ich zwei zu eins überstimmt. Wir wollten dieselben Kräfte einsetzen, die wir schon gerufen hatten, um Vater zu beseitigen – doch diesmal zur Bloßstellung Erics. Wenn sich die Verteidigung Ambers, die er so zuversichtlich auf seine Fahnen geschrieben hatte, als zuviel für ihn erwies und Bleys anschließend auf der Bühne erschien und das Problem mühelos aus der Welt schaffte, dann konnte Bleys auch noch auf die Unterstützung des Volkes rechnen, sobald er hinterher die Rolle des Verteidigers übernahm und sich – nach angemessener Zeit – dazu überreden ließ, die Bürde der Krone zu tragen, zum Wohle Ambers.«

»Eine Frage«, unterbrach ich ihn. »Was ist mit Benedict? Ich wußte, daß er sich unzufrieden nach Avalon zurückgezogen hatte, doch wenn Amber wirklich in Gefahr geriet . . .!«

»Ja«, sagte er und nickte. »Aus diesem Grund zielte ein Teil unseres Plans darauf ab, Benedict mit eigenen Problemen zu konfrontieren, die ihn in Atem halten würden.«

Ich dachte an die Heimsuchung Avalons durch die Höllenmädchen. Ich dachte an seinen Armstumpf. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Brand hob die Hand.

»Laß mich die Geschichte auf meine Art zu Ende erzählen, Corwin. Natürlich kann ich mir deine Gedankengänge vorstellen. Ich spürte den Schmerz in deinen Eingeweiden, den Zwilling meiner eigenen Wunde. Ja, ich weiß von diesen Dingen und vieles mehr.« In seinen Augen stand ein seltsames Brennen, als er eine neue Zigarette in die Hand nahm und an der alten anzündete. Er zog tief und blies im Sprechen den Rauch aus. »Wegen dieser Entscheidung überwarf ich mich mit den anderen. Ich sah darin eine zu große Gefahr – sogar für Amber selbst. Ich überwarf mich mit ihnen . . .« Er beobachtete einige Sekunden lang den Rauch, ehe er weitersprach. »Aber unsere Unternehmungen waren viel zu weit fortgeschritten, als daß ich mich einfach zurückziehen konnte. Um mich und Amber zu verteidigen, mußte ich mich gegen sie stellen. Es war zu spät, auf Erics Seite umzuwechseln. Er hätte mir keinen Schutz gewährt, selbst wenn er es noch gekonnt hatte – außerdem war ich davon überzeugt, daß er unterliegen würde. Etwa zu dieser Zeit beschloß ich, gewisse neue Fähigkeiten einzusetzen, die ich mir zugelegt hatte. Ich hatte mich oft über die seltsame Verbindung zwischen Eric und Flora gewundert, auf jener seltsamen Schatten-Erde, von der sie behauptete, daß es ihr dort gefiele. Ich hatte den leisen Verdacht, daß an diesem Ort etwas sei, das ihn betraf, und daß sie vielleicht dort seine Agentin sei. Zwar kam ich nicht dicht genug an ihn heran, um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, doch ich war zuversichtlich, daß es nicht allzu viele direkte oder indirekte Nachforschungen kosten würde, um zu erfahren, was Flora im Schilde führte. Und damit behielt ich recht. Dann beschleunigten sich plötzlich die Ereignisse. Meine eigene Gruppe machte sich Sorgen über meinen Verbleib. Als ich dich aufgriff und im Schockverfahren einige deiner Erinnerungen zurückholte, erfuhr Eric von Flora, daß etwas nicht stimmte. Daraufhin suchten nun plötzlich beide Seiten nach mir. Ich war zu dem Schluß gekommen, daß deine Rückkehr die Pläne aller Beteiligten über den Haufen werfen und mich lange genug aus meiner Klemme befreien würde, um eine Alternative zur derzeitigen Entwicklung zu finden. Erics Thronanspruch wäre wieder geschwächt worden, du hättest sofort eigene Anhänger gefunden, meine Gruppe hätte das Motiv für ihre ganze Aktion verloren – und ich nahm an, du würdest dich für meinen Anteil an der Entwicklung nicht undankbar zeigen. Aber dann flohst du aus dem Porter-Sanatorium, und nun wurde es wirklich kompliziert. Wie ich später erfuhr, suchten alle nach dir – aus unterschiedlichen Gründen. Meine ehemaligen Verbündeten hatten allerdings ein besonderes As im Ärmel. Sie erfuhren, was im Gange war, machten dich ausfindig und waren als erste am Ziel. Für sie gab es eine ganz einfache Methode, den Status Quo zu erhalten, bei dem sie weiterhin im Vorteil waren. Bleys gab die Schüsse ab, die dich und deinen Wagen in den See stürzen ließen. Ich traf gerade in diesem Moment ein. Bleys zog sich sofort zurück, denn es sah so aus, als hätte er ganze Arbeit geleistet. Doch ich zog dich aus dem Wasser, und es war noch genug Leben in dir, daß sich das Zusammenflicken lohnte. Im Rückblick muß ich sagen, daß es ziemlich frustrierend war, nicht zu wissen, ob meine Behandlung tatsächlich wirksam war – ob du als Corwin oder als Corey erwachen würdest. Und auch hinterher beschäftigte mich diese Frage . . . Ich machte mich mit einem Höllenritt davon, als Hilfe eintraf. Einige Zeit später erwischten mich meine Verbündeten und steckten mich an den Ort, an dem du mich gefunden hast. Kennst du den Rest der Geschichte?«

»Nicht alles.«

»Dann unterbrich mich, sobald wir auf dem laufenden sind. Diesen Teil habe ich selbst erst später erfahren. Erics Mannen erfuhren von dem Unfall, brachten deinen Aufenthaltsort in Erfahrung und schafften dich in eine Privatklinik, wo du besser geschützt werden konntest. Um sich selbst zu schützen, ließen sie dich dort unter Betäubungsmittel setzen.«

»Warum sollte Eric mich beschützen, wo doch meine Gegenwart seine Pläne zunichte machte?«

»Inzwischen wußten sieben von uns, daß du noch am Leben warst. Das waren zu viele. Es war zu spät für das, was er am liebsten getan hätte. Noch immer lebte er mit Vaters Verdacht. Wenn dir etwas passiert wäre, während du in seiner Macht warst, hätte ihm das den Weg zum Thron endgültig versperrt. Wenn Benedict jemals davon erfuhr oder Gérard . . . Nein, er hätte es nicht geschafft. Hinterher, ja. Vorher, nein. So schrieb ihm das allgemeine Wissen um dein Überleben seine Handlungsweise vor. Er setzte seine Krönung an und beschloß, dich im Hintergrund zu halten, bis er auf dem Thron saß. Eine ausgesprochen voreilige Tat, doch ich wüßte nicht, wie er anders hätte handeln können. Was danach passiert ist, weißt du vermutlich, da du ja unmittelbar beteiligt warst.«

»Ich habe mich mit Bleys zusammengetan, als der gegen Amber vorrückte. Leider kein allzu glückliches Zusammenspiel.«

Er zuckte die Achseln.

»Oh, es hätte etwas daraus werden können – wenn ihr gesiegt hättet und wenn du Bleys irgendwie in Schach hättest halten können. Doch im Grunde hattest du keine Chance. Meine Kenntnis von den Motiven der beiden ist an diesem Punkt etwas ungenau, doch ich nehme an, daß der ganze Angriff im Grunde nur eine Finte war.«

»Wieso das?«

»Wie ich eben sagte – ich weiß es nicht. Immerhin hatten die beiden Eric dort, wo sie ihn haben wollten. Eigentlich hätte der Angriff überflüssig sein müssen.«

Ich schüttelte den Kopf. Zu viele Dinge drangen zu schnell auf mich ein . . . Ein Großteil der Tatsachen hörte sich glaubhaft an, auch wenn man die Einstellung des Erzählers berücksichtigte. Trotzdem . . .

»Ich weiß nicht . . .«, begann ich.

»Natürlich«, sagte er. »Aber wenn du mich fragst, sage ich´s dir.«

»Wer war das dritte Mitglied eurer Gruppe?«

»Natürlich dieselbe Person, die mir den Dolchstoß versetzt hat. Mächtest du raten?«

»Sag´s mir einfach.«

»Fiona. Die ganze Sache war ihre Idee.«

»Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«

»Weil du nicht lange genug stillgesessen hättest, um dir auch die anderen Dinge anzuhören, die ich sagen mußte. Du wärst losgeeilt, um sie einzusperren, du hättest festgestellt, daß sie fort ist, du hättest die anderen geweckt, eine Ermittlung in Gang gebracht und damit wertvolle Zeit verschwendet. Vielleicht tust du das alles auch jetzt noch, doch wenigstens konnte ich dich ausreichend fesseln, um dich zu überzeugen, daß ich weiß, wovon ich rede. Wenn ich dir nun sage, daß die Zeit von größter Bedeutung ist, daß du dir so schnell wie möglich auch das übrige anhören mußt, das ich zu sagen habe, wenn Amber überhaupt noch eine Chance haben soll – dann hörst du mir jetzt vielleicht zu, anstatt einer verrückten Frau nachzujagen.«

Ich hatte mich bereits halb aus meinem Stuhl erhoben.

»Ich soll sie nicht verfolgen?« fragte ich.

»Zur Hölle mit ihr – wenigstens für den Augenblick. Du hast schlimmere Probleme. Du solltest dich lieber wieder setzen.«

Und das tat ich.

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