Kap. 14

Erst da bewegte sich Morgon, aus der Stille entlassen. Er sandte seinen Geist in die Dunkelheit hinaus, doch wo er auch suchte, er fand nur die Stille und das Schweigen der Nacht. Er stand auf. Worte schienen in seiner Brust und in seinen geballten Händen eingeschlossen, als wagte er nicht, sie freizulassen. Die Morgol schien zum Sprechen ebenso unfähig. Sie machte eine kleine, steife Bewegung, dann wurde sie wieder still, den Blick auf einen tanzenden Lichtreflex auf dem glänzenden Holz des Tisches gerichtet. Langsam gewann ihr Gesicht wieder Farbe. Und als Morgon sah, wie ihr Antlitz sich veränderte, löste sich endlich seine Zunge.

»Wohin ist er gegangen?« flüsterte er. »Er hat mit Euch gesprochen.«

»Er sagte — er sagte, er hätte gerade die einzige Torheit in seinem sehr langen Leben begangen.« Ihr Hände krampften sich ineinander; stirnrunzelnd blickte er auf sie nieder, während sie sich bemühte, sich zu konzentrieren. »Er sagte, er hätte nicht die Absicht gehabt, sich Euch zu erkennen zu geben, bis Ihr genug der Kräfte gesammelt hättet, für Euch selbst zu kämpfen. Er ging, weil er jetzt eine Gefahr für Euch ist. Er sagte — noch anderes.« Sie schüttelte leicht den Kopf, dann sprach sie weiter. »Er sagte, er wäre sich nicht bewußt gewesen, daß seine eigene Fähigkeit, zu leiden, Grenzen hätte.«

»Die Ebene der Winde! Er muß in Ymris sein.«

Da hob sie den Blick, aber sie widersprach nicht.

»Sucht ihn, Morgon. Ganz gleich, wie gefährlich das für Euch beide ist. Er war lange genug allein.«

»Ja, ich werde ihn suchen.« Er drehte sich um und kniete neben Rendel nieder. Sie starrte ins Feuer; erst als er sie berührte, sah sie ihn an. Etwas Wildes, nur halb Menschliches spiegelte sich in ihren Augen, so als hätte sie in die Erinnerungen des Erhabenen hineingeblickt. Er nahm ihre Hand.

»Komm mit mir.«

Sie stand auf. Er verband seinen Geist mit dem ihren und ließ ihn weit in die Nacht hinausfliegen, bis er einen Stein berührte, der, wie er sich erinnerte, jenseits der Sümpfe lag. Als Lyra den Saal betrat, um ihm sein Nachtmahl zu bringen, trat er einen Schritt auf sie zu und verschwand.

Sie standen zusammen im Nebel und sahen nichts als schattenhafte Weiße, die sie umgab wie eine Schar von Geistern. Morgon schickte wieder seinen Geist aus, hinaus aus den Nebelschwaden, über die Hügelketten hinweg, ließ ihn weiter fliegen als je zuvor. Er verankerte sich im knorrigen Herzen einer Fichte. Morgon folgte mit seinem Körper.

Als er in den von Winden gepeitschten Wäldern zwischen Herun und Ymris neben dem alten Baum stand, spürte er plötzlich, wie seine überanstrengten Kräfte nachließen. Er konnte sich kaum noch konzentrieren; seine Gedanken schienen vom Wind zerfetzt. Sein Körper, auf den er in letzter Zeit nur gelegentlich geachtet hatte, meldete seine Bedürfnisse an. Er fröstelte vor Kälte; die Erinnerung an den würzigen Duft heißen Fleisches, das Lyra in den Saal gebracht hatte, wollte ihn nicht loslassen. Episoden aus dem Leben des Harfners schössen ihm in raschen Bildern durch den Kopf. Er hörte die wohlklingende, gelassene Stimme, die mit Königen, mit Händlern und mit Ghisteslohm sprach, und er sah das Antlitz des Harfners vor sich, der immer Rätsel aufgegeben hatte, nicht mit seinen Worten, sondern mit alldem, was er nicht aussprach. Dann schoß eine Erinnerung wie sengendes Feuer durch Morgons Gedanken, und ein Laut des Entsetzens kam ihm über die Lippen. Er spürte, wie der Nordwind an ihm rüttelte.

»Ich hätte ihn beinahe getötet.« Er war außer sich über seine Blindheit. »Ich habe den Erhabenen durch das ganze Reich gehetzt, um ihn zu töten.« Dann aber bohrte sich ein scharfer, vertrauter Schmerz in sein Herz. »Er lieferte mich Ghisteslohm aus. Und dabei hätte er den Gründer mit einem Wort töten können. Statt dessen spielte er auf seiner Harfe. Kein Wunder, daß ich ihn niemals erkannte.«

»Morgon, es ist kalt.« Rendel legte einen Arm um ihn; selbst ihr Haar fühlte sich an seinem Gesicht kalt an.

Er versuchte, seinen Geist zu leeren, doch die Winde erfüllten ihn mit ihren Klagen, und er sah wieder das Gesicht des Harfners, wie es blind zum Himmel emporstarrte.

»Er war ein Herr.«

»Morgon.«

Er spürte, wie ihr Geist forschend in den seinen eindrang. Überrascht ließ er es geschehen. Sie zu spüren, beruhigte ihn; ihre eigenen Gedanken waren sehr klar. Er löste sich von ihr, blickte durch die Dunkelheit in ihr Gesicht.

»Um meinetwillen warst du nie so zornig.«

»Oh, Morgon!« Sie hielt ihn wieder umschlungen. »Du hast es selbst gesagt — du kannst aushaken. Und so braucht er dich, deshalb überließ er dich Ghisteslohm. Ich drücke das schlecht aus.« sagte sie ärgerlich, als seine Muskeln sich spannten. »Du hast gelernt zu überleben. Glaubst du, für ihn war es leicht? Jahrhundertelang in Ghisteslohms Diensten auf der Harfe zu klimpern und auf den Sternenträger zu warten?«

»Nein«, erwiderte er nach einem kurzen Schweigen und dachte an die zertrümmerten Hände des Harfners. »Er sprang mit sich selbst so erbarmungslos um wie mit mir. Aber wozu?«

»Suche ihn. Frage ihn.«

»Ich kann mich nicht einmal bewegen«, flüsterte er.

Wieder berührte ihr Geist den seinen; und da ließ er endlich seine Gedanken in ihrer Annäherung zur Ruhe kommen. Er wartete geduldig, während sie die Nacht erkundete. Schließlich berührte sie ihn. Er ging mit ihr, ohne zu wissen, wohin er ging, und da begann er zu begreifen, wieviel Geduld und Vertrauen er von ihr verlangt hatte. Sie gingen nicht sehr weit, das spürte er, doch er wartete müde und dankbar, während sie Schritt um Schritt ihren gemeinsamen Weg durch die Wälder ertastete. Bei Morgendämmerung hatten sie die nördliche Grenze von Ymris erreicht. Und dort, als die rote Sonne aufstieg, die Stürme und widrige Winde kündete, machten sie Rast.

In der Gestalt von Rabenkrähen flogen sie über Marcher hinweg. Das rauhe, wellige Grenzland schien ruhig; doch am späten Nachmittag sichteten die Krähen eine Schar bewaffneter Männer. Sie bewachten einen Zug von Handelswagen, der sich schwerfällig nach Caerweddin hin bewegte. Morgon stieß abwärts. Er fing den Geist eines der Krieger ein, als er auf der Straße landete, um nicht angegriffen zu werden, wenn er die Gestalt wechselte. Er zog sein Schwert aus der Luft, hielt die Sterne hoch, als der Mann ihn anstarrte. Unruhig flammten sie im grauen Licht auf.

»Morgon von Hed«, hauchte der Krieger.

Es war ein grauhaariger, altgedienter Krieger, mit einem von Narben durchzogenen Gesicht; seine umschatteten Augen hatten durch die Morgendämmerung und das tödliche Zwielicht vieler Felder geblickt. Er hielt den Wagenzug an, der ihm folgte, und sprang von seinem Pferd. Die Männer hinter ihm schwiegen.

»Ich muß Yrth finden«, sagte Morgon. »Oder Aloil. Oder Astrin Ymris.«

Der Mann berührte die Sterne auf seinem erhobenen Schwert mit einer ehrfürchtigen Geste, die beinahe wie ein Treueschwur wirkte. Dann riß er die Augen auf, als eine Rabenkrähe auf Morgons Schulter landete.

»Ich bin Lein Marcher, der Vetter des Herrn von Marcher«, sagte er. »Ich kenne Yrth nicht. Astrin Ymris ist in Caerweddin; er könnte Euch sagen, wo Aloil zu finden ist. Ich bringe Waffen und Proviant nach Caerweddin, wenn ich auch bezweifle, daß das noch etwas helfen wird. Ich an Eurer Stelle, Sternenherr, würde mich in diesem Land, das dem Untergang geweiht ist, nicht zeigen. Und schon gar nicht würde ich die drei Sterne zeigen.«

»Ich bin gekommen, um zu kämpfen«, erwiderte Morgon.

Flüsternd begann das Land ihm von seinen Gesetzen zu sprechen, von Legenden, von den alten Toten, die unter seinen Füßen begraben waren. Sein eigener Körper schien danach zu verlangen, sich im Wesen dieses Landes zu verlieren.

Die Augen des Kriegers wanderten über das schmale Gesicht, den kostbaren, abgetragenen Kittel, der in diesen gefährlichen, winterkalten Hügeln ein wenig absurd wirkte.

»Hed«, sagte er. Ein verwundertes Lächeln brach plötzlich durch die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in seinen Augen. »Warum nicht! Wir haben alles andere versucht. Ich würde Euch mitnehmen, Herr, aber ich glaube, allein seid Ihr sicherer. Es gibt nur einen im Reich, den zu sehen Astrin mehr verlangt als Euch, aber nicht einmal darauf möchte ich wetten.«

»Heureu. Er ist immer noch verschwunden?«

Der Mann nickte müde.

»Irgendwo im Reich zwischen den Toten und Lebendigen. Nicht einmal der Zauberer kann ihn finden. Ich glaube —«

»Ich kann ihn finden«, fiel Morgon ihm ins Wort.

Der Mann schwieg, und das Lächeln in seinen Augen wich nackter, unerträglicher Hoffnung.

»Wirklich? Nicht einmal Astrin kann das, und seine Träume sind voll von Heureus Gedanken. Herr, was — was seid Ihr, daß Ihr hier fröstelnd in der Kälte stehen und mich bewegen könnt, an Eure Macht zu glauben? Ich habe das Gemetzel auf der Ebene der Winde überlebt. Manchmal, wenn ich nachts von meinen eigenen Träumen aus dem Schlaf gerissen werde, wünsche ich, ich wäre dort gefallen.« Er schüttelte den Kopf. Seine Hand streckte sich wieder nach Morgon aus, sank dann herab, ohne ihn zu berühren. »Geht jetzt. Laß Eure Sterne niemanden sehen. Möge Euer Weg Euch wohlbehalten nach Caerweddin führen. Eilt, Herr!«

Die Krähen flogen ostwärts. Immer wieder sichteten sie lange Züge von Nachschubwagen und Pferden. Sie rasteten unter den Giebeln großer Häuser, deren Höfe angefüllt waren vom Qualm und vom Dröhnen der Schmiedeherde. Die leuchtenden Farben von-Kriegsuniformen und die dunklen, schützenden Flanken von Ackergäulen schimmerten durch den Qualm, und allenthalben sammelten sich Männer, nach Caerweddin zu marschieren. Knaben waren unter ihnen und Schafhirten, Bauern, Schmiede mit Gesichtern, die von Wind und Wetter gegerbt waren; selbst Händler reihten sich in die Schar ein. Alle wurden sie unter Waffen gestellt. Diese Beobachtungen trieben die Krähen vorwärts. Sie folgten dem Thul auf seinem Lauf zum Meer, schnitten einen dunklen Pfad durch die sterbenden Felder.

Bei Sonnenuntergang erreichten sie Caerweddin; der von windzerfetzten Wolkenstreifen durchzogene Abendhimmel leuchtete wie ein farbenprächtiges Banner. Tausend Feuer umringten die Stadt, als wäre sie unter Belagerung ihrer eigenen Streitkräfte. Doch der Hafen war frei; Handelsschiffe aus Isig und Anuin glitten ihm auf der abendlichen Flut entgegen. Das prächtige Haus der Könige von Ymris, das aus Trümmern der Städte der Erdherren errichtet war, funkelte wie ein Edelstein im letzten Licht. In den Schatten vor seinen geschlossenen Toren gingen die Krähen zur Erde nieder. Dort, auf der leergefegten Straße, wechselten sie die Gestalt.

Sie sprachen nichts, als sie einander ansahen. Morgon zog Rendel an sich, während er sich fragte, ob seine eigenen Augen auch so betäubt waren vor Müdigkeit. Er berührte ihren Geist; und als er dann in das Haus des Königs eindrang, fand er den Geist Astrins.

Der Landerbe von Ymris saß allein in einem kleinen Gemach, als Morgon vor ihm auftauchte. Er hatte gearbeitet; Landkarten, Dokumente, Nachschublisten und alle möglichen anderen Papiere lagen auf seinem ganzen Schreibpult zerstreut. Doch die Kammer lag beinahe in Dunkelheit, und er hatte keine Kerzen angezündet. Sein von Sorgen durchfurchtes, bleiches Gesicht starrte ins Feuer. Morgon und Rendel, die von der Straße in die verschwommenen Schleier von Licht und Schatten traten, erschreckten ihn nicht einmal. Er starrte sie einen Moment lang an, als besäßen sie nicht mehr Substanz als seine Hoffnung. Dann aber wandelte sich sein Gesicht; er sprang auf, so daß sein Stuhl hinter ihm krachend umkippte.

»Wo seid Ihr gewesen?«

Erleichterung, Anteilnahme und gereizte Ungeduld mischten sich in seiner Frage.

Morgon antwortete schlicht: »Ich habe Rätsel gelöst.«

Astrin kam um sein Schreibpult herum und drückte Rendel in einen Sessel. Er gab ihr Wein zu trinken, und die Starrheit in ihrem Gesicht löste sich langsam. Astrin, der halb kniend neben ihr hockte, blickte ungläubig zu Morgon auf.

»Wo seid Ihr hergekommen? Ich habe unentwegt an Euch und Heureu gedacht — nur an Euch und Heureu. Ihr seid dünn wie ein Dolch, aber wohlbehalten. Ihr seht aus — wenn ich je einen Menschen gesehen habe, der wie eine Waffe aussieht, dann seid Ihr es. Ich spüre das stumme Grollen ungeheurer Kräfte in diesem Zimmer. Woher habt Ihr sie?«

»Von überall aus dem Reich.«

Er schenkte sich Wein ein und setzte sich.

»Könnt Ihr Ymris retten?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich muß Yrth finden.«

»Yrth! Ich dachte, der wäre bei Euch.«

Morgon schüttelte den Kopf.

»Er ist davongegangen. Ich muß ihn finden. Ich brauche ihn.«

Seine Stimme war zu einem Flüstern herab gesunken. Er starrte ins Feuer, der Becher in seiner Hand erglühte golden. Astrins Stimme traf ihn wie ein Schlag, und er merkte, daß er beinahe eingeschlafen war.

»Ich habe ihn nicht gesehen, Morgon.«

»Ist Aloil hier? Sein Geist ist mit dem Yrths verbunden.«

»Nein, er ist bei Mathoms Heer. Es steht in den Wäldern an der Handelsstraße. Morgon!«

Er beugte sich vor, um Morgons Schultern zu fassen und ihn aus seiner plötzlichen, überwältigenden Verzweiflung herauszurütteln.

»Die ganze Zeit war er an meiner Seite, wenn ich nur Gespür genug gehabt hätte, mich umzudrehen und ihm ins Gesicht zu sehen, anstatt seinen Schatten über das ganze Reich zu verfolgen. Ich habe mit ihm auf der Harfe gespielt, ich habe an seiner Seite gekämpft, ich versuchte, ihn zu töten, und ich habe ihn geliebt, und in dem Augenblick, als ich ihn erkenne, verschwindet er und läßt mich zurück, so daß mir nichts anderes übrigbleibt, als ihn von neuem zu verfolgen.«

Die Umklammerung von Astrins Händen wurde plötzlich schmerzhaft.

»Was sagt Ihr da?«

Morgon, der sich erst jetzt bewußt wurde, was er gesagt hatte, starrte ihn nur stumm an. Wieder sah er das seltsame, farblose Gesicht, das sich über ihn geneigt hatte, als er sprachlos und namenlos in einem fremden Land erwacht war. Der Krieger vor ihm mit dem dunklen, knappsitzenden Kittel und dem Kettenhemd darunter, wurde wieder der Halbzauberer, der in einer Hütte am Meer wohnte und über den Trümmern der Stadt auf der Ebene der Winde Rätseln nachspürte.

»Die Ebene der Winde.« flüsterte er. »Nein. Er kann nicht ohne mich dorthin gegangen sein. Und ich bin noch nicht bereit.«

Astrins Hand wurde schlaff. Sein Gesicht war ausdruckslos, schädelbleich.

»Wen sucht Ihr eigentlich?«

Er sprach sehr vorsichtig, reihte die Wörter aneinander wie Scherben eines kostbaren Gefäßes. In diesem Moment durchzuckte Morgon der Name des Harfners; das erste dunkle Rätsel, das der Harfner ihm vor langer Zeit an einem strahlenden Herbsttag im Hafen von Thul aufgegeben hatte. Er schluckte trocken und fragte sich plötzlich, was er eigentlich verfolgte.

Rendel drehte sich in ihrem Sessel und drückte ihr Gesicht in einen Pelzumhang, der über seine Lehne hing. Ihre Augen waren geschlossen.

»Du hast so viele Rätsel gelöst«, murmelte sie. »Wo sonst als auf der Ebene der Winde gibt es ein letztes ungelöstes Rätsel?«

Sie grub sich tiefer in den Pelz, als Morgon sie zweifelnd betrachtete. Sie regte sich nicht wieder. Astrin nahm ihren Becher, ehe er ihr aus der Hand fallen konnte.

Unvermittelt stand Morgon auf und durchquerte den kleinen Raum. Er beugte sich über Astrins Schreibpult; die Karte von Ymris lag in seinen Händen.

»Die Ebene der Winde.« Die schraffierten Gebiete auf der Karte wurden scharf unter seinem Blick. Er berührte eine Insel der Finsternis in Westruhn. »Was ist das?«

Astrin, der noch immer zusammengekauert am Feuer hockte, stand auf.

»Eine alte Stadt«, antwortete er. »Sie haben fast alle Städte der Erdherren in Meremont und Tor genommen und auch in Teilen von Ruhn.«

»Ist es möglich, zur Ebene der Winde durchzukommen?«

»Morgon, ich würde allein dorthin marschieren, wenn Ihr es wollt. Aber könnt Ihr mir einen Grund nennen, den ich meinen Kriegsherren angeben kann, wenn ich das ganze Heer von Caerweddin abziehe und die Stadt unbewacht lasse, nur um für einen Haufen verfallener Ruinen in den Kampf zu ziehen?«

Morgon sah ihn an. »Kann man durchkommen?«

»Hier.« Er zog eine Linie, die von Caerweddin abwärts führte, zwischen Tor und dem dunklen Gebiet im Osten Umbers hindurch. »Allerdings nicht ganz ohne Gefahr.« Er zog die südliche Grenze von Meremont nach. »Mathoms Heer steht hier. Wenn wir nur gegen Menschen kämpften, würde ich sagen, daß sie, zwischen zwei riesigen Heeren eingeschlossen, der sicheren Niederlage entgegensehen. Aber ich kann ihre Stärke nicht berechnen, Morgon. Keiner von uns kann das. Sie erobern alles, worauf sie es abgesehen haben, gerade wie es ihnen paßt. Sie geben nicht einmal mehr vor, mit uns zu kämpfen; sie überrennen uns einfach, sobald wir ihnen in den Weg kommen. Das Reich ist ihr Schachbrett, und wir sind die Figuren, mit denen sie spielen — und die Partie, die sie spielen, scheint unbegreiflich. Gebt mir nur einen Grund, weshalb ich meine Leute nach Süden schicken soll, um bei bitterer Kälte um ein Gebiet zu kämpfen, in dem seit Jahrhunderten kein Mensch mehr gelebt hat.«

Morgon berührte einen Punkt auf der Ebene der Winde, wo vielleicht ein einsamer Turm emporragte.

»Danan zieht mit seinen Bergleuten nach Süden. Und Har mit den Vesta. Und die Morgol mit ihren Wachen. Yrth wollte sie auf der Ebene der Winde haben. Astrin, ist das gut genug? Die Landherrscher des Reiches zu schützen?« »Warum?« Seine Faust fiel krachend auf die Karte, doch Rendel rührte sich nicht einmal. »Warum?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich werde sie in Marcher aufhalten.«

»Ihr werdet sie nicht aufhalten. Es zieht sie unwiderstehlich zur Ebene der Winde, genau wie mich, und wenn Ihr auch nur einen von uns im nächsten Frühjahr lebend sehen wollt, dann marschiert mit Eurem Heer nach Süden. Ich habe die Jahreszeit nicht gewählt und auch nicht das Heer, das mir quer durch das Reich folgt. Und auch nicht den Krieg. Ich bin —« Er brach ab, als Astrins Hände sich wiederum um seine Schultern schlössen. »Astrin, ich habe keine Zeit mehr. Ich habe zuviel gesehen. Meine Möglichkeiten sind erschöpft.«

Das eine gesunde Auge hätte seinen Geist erkundet, wenn er es ihm gestattet hätte.

»Wer trifft dann Eure Entscheidungen?«

»Kommt auf die Ebene der Winde.«

Der Prinz ließ ihn los. »Ich werde kommen«, versprach er flüsternd.

Morgon wandte sich von ihm ab und setzte sich wieder.

»Ich muß fort«, sagte er müde.

»Heute nacht noch?«

»Ja. Ich will ein wenig schlafen und dann aufbrechen. Ich brauche Antworten auf viele Fragen.«

Er warf einen Blick auf Rendels Gesicht, das halb verborgen war im Pelz; nur die Konturen ihrer Wange und ihres Kinns, über das Licht hinspielte, waren unter ihrem Haar zu sehen.

»Ich werde sie schlafen lassen«, sagte er sehr leise. »Es kann sein, daß sie mir folgt, wenn sie erwacht; sagt ihr, daß sie vorsichtig sein soll, wenn sie über die Ebene der Winde fliegt.«

»Wohin geht Ihr?«

Rendels Haar verschmolz zu Feuer; seine Augen fielen ihm zu.

»Aloil suchen. einen Wind suchen.«

Er schlief traumlos und erwachte einige Stunden später. Astrin hatte Rendel zugedeckt; sie war kaum noch zu sehen unter den pelzgefütterten Decken. Astrin, der auf Fellen zwischen ihnen lag, bewachte sie. Er hatte sein Schwert gezogen, und eine Hand ruhte auf der nackten Klinge. Morgon glaubte, er wäre eingeschlafen, doch das frostige Auge öffnete sich, als Morgon aufstand. Sein Mund blieb stumm. Morgon beugte sich in wortlosem Lebewohl zu ihm hinunter. Dann flog er hinaus in die Nacht.

Die Nachtwinde umtobten ihn mit wütendem Fauchen, während er flog. Auf der Strecke zwischen Caerweddin und der Ebene der Winde wagte er nicht, seinen Geist auszusenden. Der Morgen brachte kalten, grauen Regen über Bäume und leblose Felder. Er flog den ganzen Tag, in stetigem Kampf mit den Winden. Im Zwielicht erreichte er die Ebene der Winde.

In tiefem Flug kreiste er über sie hinweg, eine mächtige Rabenkrähe, die mit bitterem Auge auf die unbeerdigten gefallenen Krieger aus Heureus Heer blickte. Nichts regte sich auf der Ebene. Nicht einmal Vögel oder kleine Aasfresser hatten sich im grimmig kalten Regen eingefunden. Überall auf der Ebene blitzten und glitzerten Waffen in der Dämmerung. Der Regen prasselte auf edelsteinbesetzte Schwerthefte nieder, auf Brustpanzer und Kettenhemden, auf Pferdeschädel und die Skelette von Menschen. Nichts sonst erspähte das Auge der Krähe, während sie langsam der verfallenen Stadt zustrebte; doch durch die einfachen Instinkte der Krähe hindurch spürte Morgon die schweigende, tödliche Warnung, die über der ganzen Ebene hing.

Langsam flog er an dem mächtigen Turm vorüber, der sich in schwindelnder Höhe in die Schwärze der Nacht hineinschraubte. Er entleerte seinen Geist von allen Gedanken, nahm nur den Duft der feuchten Erde wahr und den mühsamen, matten Rhythmus seines Flügelschlages. Er machte erst Rast, als er die Ebene und die Südgrenze von Ymris überflogen hatte und endlich die mitternächtlichen Feuer von Mathoms Heer sah, das am Fluß unweit der Handelsstraße lag. Dort ging er zur Erde nieder und suchte Zuflucht unter den mächtigen, kahlen Eichen, um bis zum Morgen zu rasten.

Der frühe Morgen überzog die Erde mit klirrender Kälte. Er fühlte es, als er die Gestalt wechselte; sein Atem gefror vor ihm zu einem kleinen, erschreckten Wölkchen. Fröstelnd folgte er dem Geruch von Holzrauch und heißem Wein zu den Feuern am Fluß. Tote Krieger von An standen Wache. Sie schienen etwas von An in ihm zu erkennen. Sie musterten ihn mit einem weißen, augenlosen Grinsen und ließen ihn ungehindert passieren.

Er fand Aloil am Feuer vor dem Zelt des Königs, wo er sich mit Talies unterhielt. Lautlos gesellte er sich zu den Zauberern und blieb an ihrer Seite stehen, sich am Feuer zu wärmen. Durch das kahle Geäst der Bäume hindurch sah er andere Feuer, sah Männer, die aus den Zelten kamen und stampfend das Blut in ihren Adern in Bewegung brachten. Pferde schnaubten die Kälte aus ihren Lungen, während sie rastlos an den Seilen zerrten, die sie hielten. Die Zelte, das Zaumzeug der Pferde, die Waffen und die Röcke der Männer zeigten alle die Kriegsfarben von Anuin: Blau und Violett, mit dem Schwarz des Schmerzes gesäumt. Die Geister der Toten trugen ihre eigenen alten Farben, wenn sie sich überhaupt die Mühe machten, sich mit der Erinnerung ihrer Körper zu bekleiden. Wie es ihnen beliebte, bewegten sie sich unter den Lebenden, doch die Lebenden, die sich inzwischen an vieles gewöhnt hatten, interessierten sich mehr für ihr Frühstück als für die Geister der Toten.

Morgon, dem endlich wieder warm geworden war, zog Aloils Aufmerksamkeit auf sich, als er begann, dem Gespräch der beiden Zauberer zu lauschen. Mitten im Satz brach Aloil ab und richtete seine blauen, brennenden Augen über das Feuer hinweg. Die grüblerische Nachdenklichkeit in seinen Augen verwandelte sich in Erstaunen.

»Morgon!«

»Ich suche Yrth«, sagte Morgon. »Astrin hat mir gesagt, daß er bei Euch ist.«

Talies, dessen schmale Augenbrauen hochgezogen waren, wollte etwas sagen. Dann aber trat er zum Zelt des Königs und öffnete die Klappe. Er rief etwas; Mathom kam auf seinen Ruf ins Freie.

»Er war eben noch hier«, erklärte Talies, und Morgon seufzte. »Er kann nicht weit sein. Wie, in Hels Namen, habt Ihr die Ebene der Winde überquert?«

»Bei Nacht. Ich war eine Rabenkrähe.« Seine Augen brachen den schwarzen, forschenden Blick des Königs von An.

Mathom riß sich seinen Umhang herunter und sagte verdrießlich: »Bei dieser Kälte gefrieren selbst die nackten Gebeine der Toten.« Er warf Morgon den Umhang um die Schultern. »Wo habt Ihr meine Tochter gelassen?«

»In Caerweddin. Sie schlief, als ich aufbrach. Sie wird mir folgen, wenn sie erwacht.«

»Über die Ebene der Winde? Allein? Ihr macht es einander nicht leicht.«

Er stocherte im Feuer herum, bis die Flammen nach den tiefhängenden Zweigen der Eiche züngelten.

Morgon zog den Umhang fester um sich und fragte: »War Yrth bei Euch? Wo ist er hin?«

»Ich weiß es nicht, ich dachte, er wäre hinausgegangen, um sich einen Becher heißen Weins zu holen. Dies ist nicht die rechte Jahreszeit für alte Männer. Warum? Ihr seht hier zwei große Zauberer vor Euch, die stehen Euch beide zu Diensten.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern warf einen fragenden Blick auf Aloil. »Ihr seid doch mit ihm verbunden. Wo ist er?«

Aloil starrte auf die brennenden Eichenscheite und schüttelte den Kopf.

»Vielleicht macht er ein Schläfchen. Sein Geist schweigt. Er ist schnell gereist.«

»Morgon, wie es scheint, auch«, warf Talies ein. »Warum ist Yrth nicht mit Euch gereist?«

Morgon, der darauf keine Antwort geben konnte, strich sich nur mit einer unbestimmten Bewegung durch das Haar. Er sah ein plötzliches Aufblitzen in den Krähenaugen.

»Zweifellos«, bemerkte Mathom, »hatte Yrth seine Gründe.

Ein Mann ohne Augen sieht wunderbare Dinge. Ihr habt in Caerweddin haltgemacht. Sind Astrin und seine Kriegsherren noch immer zerstritten?«

»Es ist möglich. Aber Astrin führt das gesamte Heer auf die Ebene der Winde.«

»Wann?« fragte Aloil. »Mir hat er davon nichts gesagt, und ich war noch vor drei Nächten mit ihm zusammen.«

»Jetzt.« Und er fügte hinzu: »Ich habe ihn darum gebeten.«

Darauf folgte ein Schweigen. Eine der Wachen, eine goldene Rüstung über den nackten Gebeinen, ritt lautlos am Feuer vorbei. Mathoms Augen folgten dem Geist.

»Also. Was sieht ein Mann mit einem Auge?« Er beantwortete die Frage selbst, und in seiner Stimme schwang der Schock plötzlicher Erkenntnis. »Den Tod.«

»Dies ist kaum die rechte Zeit für Rätsel«, stellte Aloil ungeduldig fest. »Wenn das Gebiet zwischen Umber und Tor frei ist, wird er vier Tage brauchen, um die Ebene zu erreichen. Wenn nicht — Ihr solltet Euch besser darauf vorbereiten, nach Norden zu marschieren, um ihm notfalls zu Hilfe zu kommen. Er könnte das gesamte Heer verlieren, wenn er in eine Falle gerät, ehe er die Ebene erreicht. Er könnte Ymris verlieren. Wißt Ihr auch, was Ihr tut?« fragte er Morgon. »Ihr habt beeindruckende Kräfte gewonnen. Aber seid Ihr soweit, daß Ihr sie nach eigenem Ermessen gebrauchen könnt?«

Talies legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Ihr habt das Hirn eines Ymriskriegers«, stellte er fest, »voll von Muskelkraft und Poesie. Ich bin auch kein Rätselmeister, aber jahrhundertelanges Leben in den Drei Teilen hat mich ein wenig Geistesschärfe gelehrt. Wollt Ihr endlich hören, was der Sternenträger sagt? Er zieht die Streitkräfte des Reiches auf der Ebene der Winde zusammen, und er hat nicht die Absicht, die Schlacht allein zu schlagen. Auf der Ebene der Winde! Astrin hat es gesehen. Yrth hat es gesehen. Das letzte Schlachtfeld.« Schweigend starrte Aloil ihn an. Ein Schimmer schwacher Hoffnung breitete sich widerstrebend auf seinem Gesicht aus.

»Der Erhabene!« Er richtete seinen Blick wieder auf Morgon.

»Ihr glaubt, daß er auf der Ebene der Winde ist?«

»Ich glaube«, entgegnete Morgon leise, »daß wir, wenn wir ihn nicht bald finden, ganz gleich, wo er ist, alle des Todes sein werden. Ich habe ein Rätsel zuviel gelöst.« Er schüttelte den Kopf, als beide Zauberer zugleich zu sprechen anfingen. »Kommt auf die Ebene der Winde. Dort will ich Euch alle Antworten geben, die ich weiß. Dorthin hätte ich gleich gehen sollen, aber ich dachte, ich könnte vielleicht —« Er brach ab.

Mathom vollendete den Satz für ihn.

»Ihr dachtet, Yrth wäre hier. Der Harfner von Lungold.«

Ein rauher, trockener Laut, wie das Lachen einer Krähe, kam über seine Lippen. Doch er starrte ins Feuer, als sähe er zu, wie die Flammen einen Traum zu Ende woben. Mit einer heftigen Bewegung wandte er sich dann ab, doch Morgon sah seine Augen. Sie waren schwarz und ausdruckslos wie die Augen seiner Toten, die von der Wahrheit bis auf die Knochen ausgehöhlt waren.

Im Zwielicht stand Morgon am Rande der Ebene der Winde unter den Bäumen und, wartete, während die Nacht langsam die verödete Stadt und das hohe, wispernde Gras in sich aufsog. Seit Stunden schon stand er hier, unbewegt, als hätte er Wurzeln geschlagen und wäre, ohne es selbst zu merken, zu einer kahlen, windgebeugten Eiche geworden. Der Himmel goß sternenloses Schwarz über der Welt aus, bis selbst für ihn, der im Dunkeln sehen konnte, die Edelsteinfarben des Turms von Finsternis durchdrungen zu sein schienen. Erst da rührte er sich, wurde sich wieder seines Körpers bewußt. Als er einen letzten Schritt auf den Turm zuging, teilten sich unerwartet die Wolken. Ein einziger Stern trieb durch die unergründliche Schwärze hinter ihnen.

Er stand am Fuß der Treppe und blickte aufwärts wie damals, als er an einem regnerischen Herbstnachmittag zwei Jahre zuvor den Turm das erste Mal erblickt hatte. Damals, fiel ihm jetzt ein, hatte er sich abgewandt, ohne Neugier zu spüren, ohne einen Drang, die endlosen Stufen hinaufzusteigen. Die Treppe war aus Gold, und die Legende sagte, daß sie sich vom Boden der Erde bis in alle Ewigkeit aufwärts wand.

Er senkte den Kopf, als kämpfte er gegen einen scharfen Wind an, und begann den Anstieg. Die Wände um ihn herum leuchteten in dem samtenen Schwarz, das zwischen den Sternen hing. Die goldenen Stufen wanden sich, in sanfter Steigung aufwärts führend, um das Herz des Turmes. Als er die Runde das erste Mal beendet hatte und die zweite begann, wich das Schwarz einem satten Rot. Die Winde, gewahrte er, sangen nicht mehr mit den dünnen, zornigen Stimmen des Tages; ihre Stimmen waren kraftvoll, sehnig. Die Stufen unter seinen Füßen schienen aus Elfenbein gehauen.

Er gewahrte, daß sich die Stimmen der Winde wiederum wandelten, als er die dritte Rundung erreichte. Töne schwangen in ihnen, zu denen er in der nördlichen Einöde auf seiner Harfe gespielt hatte, und seine Hände verlangten danach, ihren Gesang zu begleiten. Doch die Klänge der Harfe würden den Tod bringen, deshalb hielt er seine Hände still. Im vierten Ring schienen die Mauern aus massivem Gold und die Stufen aus Sternenfeuer gemeißelt. Endlos wanden sie sich aufwärts; die Ebene, die zerstörte Stadt entfernten sich weiter und weiter von ihm. Die Winde wurden kälter, während er stieg. Als er den neunten Ring erreichte, fragte er sich, ob er einen Berg erklomm. Der Gesang der Winde, die Stufen, die Wände um ihn herum waren klar wie, geschmolzener Schnee. Die Spiralen wurden enger und enger, und er glaubte, er müßte sich in der Nähe der Spitze befinden. Doch als er die nächste Windung erreichte, wurde er in gespenstische Finsternis gestürzt, als wären die Stufen aus Nachtwind geformt. Die Finsternis schien endlos, doch als er sie endlich hinter sich ließ, stand der Mond genau an der gleichen Stelle, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Weiter stieg er aufwärts. Die Wände schimmerten in einem wunderschönen Morgengrau; die Stufen glänzten zartrosa. Die Winde waren schneidend, erbarmungslos und tödlich. Sie rissen an ihm, bis seine eigene Gestalt zu zerfallen begann. Er stieg weiter, halb Mensch, halb Wind, und die Farben um ihn herum wandelten sich wieder und wieder, bis ihm klarwurde, wie anderen vor ihm klargeworden war, daß er bis in alle Ewigkeit durch ihr wechselndes Spiel wandern konnte.

Er blieb stehen. Die Stadt lag jetzt so tief unten, daß er sie in der Dunkelheit nicht mehr sehen konnte. Als er aufblickte, war ihm die Spitze des Turmes sehr nahe. Doch so nahe war sie, so schien es ihm, schon seit Stunden. Er fragte sich, ob er durch einen Traum wanderte, der seit Tausenden von Jahren inmitten dieser verödeten Mauern gestanden hatte. Dann erkannte er, daß es kein Traum war, sondern ein Trugbild, ein uraltes Rätsel, das an den Geist eines lebendigen Wesens geknüpft war, und daß er die Lösung dieses Rätsels ständig bei sich getragen hatte.

Leise sagte er: »Der Tod.«

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