»Sie werden die Formation nicht ändern?«, fragte Captain Desjani abermals.
»Nein, das werde ich nicht machen«, antwortete Geary mit Nachdruck und sah sie verärgert an. Wie oft hatte sie ihn das in der letzten Stunde gefragt? »Wir müssen nach einem leichten und unorganisierten Ziel aussehen.«
»Sir, bei allem Respekt, aber in dieser Formation sind wir bereits ein leichtes und unorganisiertes Ziel.« Desjani sah, wie sich seine Miene weiter verfinsterte, dennoch redete sie weiter. »Unsere Feuerkraft ist großflächig verteilt. Den Syndiks wird es möglich sein, eine Unterformation nach der anderen zu überrennen, so wie wir es mit jeder schwachen Syndik-Formation gemacht haben, der wir bislang begegnet sind.«
Sie war starrsinnig, aber schlau, und unter anderen Um-ständen hätte sie vermutlich recht gehabt. Geary zwang sich, sein Temperament zu zügeln. »Als Flotte können wir ihnen unsere Schiffe nicht in den Weg stellen. Wenn Sie bedenken, dass sie wahrscheinlich über viel größere Bestände an Raketen und Kartätschen verfügen als wir, sind sie uns hinsichtlich der Feuerkraft zu deutlich überlegen.«
»Wenn wir uns auf einen Teil der Formation konzentrieren, so wie wir es beim letzten Mal gemacht haben, als wir hier in Lakota waren…«
»Tanya, sehen Sie.« Er zeigte auf das Display. »Beim letzten Mal haben sich die Syndiks dazu verleiten lassen, sich zu verteilen, um uns zu fassen zu bekommen. Deshalb konnten wir uns auf eine Stelle konzentrieren und uns den Weg frei-schießen. Derjetzige CEO war klug genug, daraus seine Schlüs-se zu ziehen. Die Syndik-Formation ist schon jetzt sehr dicht aufgestellt.«
»Dann fliegen wir um sie herum.«
»Nicht bei dem Zustand, in dem sich unsere Brennstoffzellen befinden, und erst recht nicht, wenn wir auf die Hilfsschiffe aufpassen müssen! Die haben eine Menge Rohstoffe an Bord genommen und kommen mit so viel zusätzlicher Masse nur im Schneckentempo von der Stelle.« Desjani schaute auf das Display, da sie erkennbar nach einem anderen Argument suchte, das sie vorbringen konnte. Es kostete Geary Mühe, kühl und sachlich zu bleiben. »Der Nachteil der Syndik-Formation besteht darin, dass sie so tief und dicht aufgestellt ist, dass es für den CEO mühsam ist, die Schiffe manövrieren zu lassen. Wenn unsere Falle nicht klappt, dann werden wir den Vorteil nutzen müssen, den wir aus deren Formation ziehen können, und immer wieder die Ränder unter Beschuss nehmen.«
»Es würde eine Ewigkeit dauern, sie auf diese Weise zu zer-mürben«, betonte sie. »Dafür haben wir auch nicht genug Reserven in den Brennstoffzellen.«
Er ließ sich einen Moment Zeit, bevor er antwortete, und musterte einmal mehr das Display, auf dem die Syndik-Flotte noch acht Lichtminuten entfernt war. Sie hatte inzwischen 0,1 Licht erreicht und hielt immer noch geradewegs auf sie zu, wobei die Kastenformation jetzt mehr an einen riesigen Zie-gelstein erinnerte, der die unförmige Blase aus Allianz-Schiffen zum Ziel hatte. Natürlich hatte Desjani recht, und das wusste er auch. Ein Aufeinandertreffen zweier konzentrierter Formationen wurde fast mit Sicherheit dazu führen, dass sie von der deutlich stärkeren Syndik-Streitmacht in Stücke gerissen wurden. Aber dann würde das Ende sie wenigstens schnell ereilen. Welchen Sinn hatte es, das Ganze hinauszuzögern und über einen langen Zeitraum ein Schiff nach dem anderen zu verlieren, wenn am Ende doch die Niederlage auf sie wartete?
Die Alternative bestand darin, die Flucht zu ergreifen und vor den Syndiks ins nächste System zu springen, wobei sie wussten, dass der Feind ihnen dicht auf den Fersen sein würde. Die Allianz-Flotte würde keine Pause einlegen können, um von den Hilfsschiffen Vorräte an Bord zu nehmen. Früher oder später würde seine Flotte sich den Verfolgern stellen müssen, und das würde sehr wahrscheinlich unter schlechteren Bedingungen geschehen als jetzt. Er war gezwungen gewesen, hier im System zu verharren, damit die Hilfsschiffe neue Vorräte an Bord nehmen konnten, aber wenn es ihm nicht gelang, weitere Rohstoffe zu beschaffen, dann gingen der Flotte irgendwann die Brennstoffzellen aus. Wie es dabei aber möglich sein sollte, die Hilfsschiffe wieder mit Rohstoffen zu versorgen, ohne sich zuerst ihren Verfolgern zu stellen, darauf wusste er keine Antwort.
»Wie wollen wir sterben?«, flüsterte er Desjani schließlich zu.
Die starrte ihn ungläubig an. »Wir reden darüber, wie wir gewinnen wollen, Sir.«
»Dann kämpfen wir jetzt und hier, und wir versuchen, den Vorteil zu minimieren, den die Syndiks momentan haben.
Wenn unser Plan funktioniert, stehen unsere Chancen erheblich besser. Wenn nicht, werden wir dafür sorgen, dass die Syndiks sich den Sieg so teuer wie möglich erkaufen müssen. Eine direkte Konfrontation würde uns sehr wahrscheinlich vernichten, bevor wir ihnen ernsthaften Schaden zufügen können.«
Sie beobachtete ihn, dann nickte sie bedächtig. »Wir müssen sie wieder und wieder treffen, und da wir wissen, dass uns nicht viel Zeit bleibt, feuern wir mit allem, was wir haben.
Schließlich gibt es keinen Grund, nicht alles in die Waagschale zu werfen, was uns zur Verfügung steht. Bis hierher hat uns die Heimreise dann also nur gebracht.«
»Das könnte der Fall sein.« Er atmete tief durch und war dankbar dafür, dass er diesen Gedanken mit jemandem halte teilen können.
Desjani warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. »Werden Sie es ihr sagen?«
Ihr? Oh, Rione. »Sie ist sehr tapfer, aber ich glaube, es würde ihr nicht ganz so leicht fallen, das zu verstehen.«
»Ich glaube, da haben Sie recht, Captain Geary. Wenn wir nicht gewinnen, werden wir dafür sorgen, dass die Syndiks sich wünschen, sie hätten diesen Sieg niemals errungen, weil er sie mehr kosten wird, als sie sich jemals ausmalen können.«
Unwillkürlich begann er zu lächeln und nickte ihr zu. »Oh ja, das werden wir.«
»Geschätzte Zeit bis zur Feuerreichweite der Syndik-Verfolgerflotte eineinhalb Stunden«, meldete der Wachhabende.
Einmal mehr war alles nur eine Frage des Timings. Von seinen mittlerweile längst verstorbenen Lehrern — Offizieren, die ihre Erfahrungen über Jahrzehnte hinweg bei Flottenmanövern gesammelt hatten — war ihm eingetrichtert worden, dass die schlimmste Versuchung, mit der ein Kommandant konfrontiert wurde, darin bestand, zu früh zu handeln. Wenn man dem Gegner stunden- oder gar tagelang dabei zusah, wie er allmählich näher kam, konnte man viel zu schnell in Aktion treten und vorzeitig Änderungen vornehmen, die man sich bis zum letzten Augenblick aufsparen sollte, damit der Gegner sie zu spät erkannte, um noch darauf reagieren zu können.
Handelte man zu früh, gab man dem Gegner Zeit zu reagieren. Dann musste man erneut etwas unternehmen, und er konnte abermals reagieren. Er hatte das bei Flottenübungen miterlebt, wenn Kommandanten ihr Schiff und ihre Crew bis an den Rand der Erschöpfung trieben, noch bevor der erste Schuss abgefeuert worden war.
Er simulierte hier Unentschlossenheit und Panik, während beides unter der Oberfläche lauerte, um jeden Moment zuzuschlagen. Seine Flotte wartete auf seine Befehle. Sie vertrauten ihm, auch wenn auf vielen Schiffen sicherlich ähnliche Unterhaltungen geführt wurden wie die, die sich vorhin zwischen ihm und Desjani abgespielt hatte. Doch diese Männer und Frauen halten schon zuvor erlebt, wie er den Syndiks den Sieg vor der Nase weggeschnappt hatte, und deshalb warteten sie jetzt geduldig auf seine Befehle.
Zumindest galt das für die meisten von ihnen. Captain Casia allerdings war mit der Situation überhaupt nicht zufrieden.
»Die Syndik-Flotte ist keine fünfzig Minuten mehr von uns entfernt! Warum sind meine Schiffe immer noch mit 0,02 Licht unterwegs, und warum begleiten wir nach wie vor diese Syndik-Wracks?«
»Ihre Schiffe begleiten die Hilfsschiffe der Allianz«, stellte Geary klar.
»Wir sind dem Feind am nächsten, und jede Unterstützung ist mindestens eine halbe Stunde von uns entfernt!«
»Das ist richtig, Captain Casia.«
Casias Gesicht wurde vor Zorn rot. »Ich werde mich mit den anderen Offizieren dieser Flotte in Verbindung setzen und darauf bestehen, dass sofort eine Konferenz einberufen wird, die über Ihre Kommandotauglichkeit entscheiden soll. Wir be-nötigen einen Flottenbefehlshaber, der handelt, aber keinen, der seine Flotte untätig warten lässt, während sich ein überlegener Gegner nähert!«
Es wäre ein Leichtes gewesen, die Beherrschung zu verlieren und Casia herunterzuputzen, aber das konnte Geary sich nicht leisten. Und genauso konnte er jetzt die Ablenkung nicht gebrauchen, die eine Flottenkonferenz für ihn dargestellt hätte. Zum Glück hatte er genug über die Denkweise innerhalb der Flotte gelernt, um zu wissen, wie er mit Casia umgehen musste. »Verstehe ich das richtig, dass Sie die Ehre ablehnen, in dieser Schlacht an vorderster Front kämpfen zu dürfen?«, fragte Geary, wobei er seiner Stimme einen über-raschten Tonfall verlieh.
»Die Ehre…?« Casia verstummte und schluckte, dann fuhr er nicht ganz so aufgebracht fort: »Darum geht es nicht.«
»Ich habe die Flotte so angeordnet, dass Ihre Schlachtschiffdivision als Erste mit dem Feind zusammentrifft. Soll ich die Flotte davon in Kenntnis setzen, dass Sie sich weigern, diese Rolle zu übernehmen?«
»Ich… mein Schiff und meine Crew verdienen es zu kämpfen !«
»Und dazu werden sie auch Gelegenheit bekommen, Captain Casia. Ich bin davon überzeugt, dass die Conqueror und ihre Crew sich hervorragend schlagen werden.«
Da Casia ihm nicht widersprechen konnte, ohne sich in den Augen der anderen Offiziere zu blamieren, beendete er ohne ein weiteres Wort die Verbindung.
Geary ließ sich nach hinten sinken, rieb seine Stirn und wünschte, die Syndiks könnten sich beeilen, damit sie eher hier eintrafen. Er fühlte sich jetzt schon völlig erledigt, dabei war der Tag noch lange nicht vorüber.
»Verpflegungsriegel?«, fragte Desjani und hielt ihm ein Stück hin.
»Sagen Sie mir, dass das kein Danaka Yoruk-Riegel ist.«
»Das ist kein Danaka Yoruk-Riegel.«
»Danke.« Geary nahm den Riegel an und las das Etikett.
»Das ist ja doch ein Danaka Yoruk-Riegel. Warum erzählen Sie mir, dass es keiner ist?«
»Weil Sie mich aufgefordert haben, dass ich Ihnen das sagen soll«, erklärte sie und konnte ihr Grinsen nicht völlig unterdrücken. Ihre Laune besserte sich immer, wenn die Zeit zum Handeln näher rückte. »Das ist alles, was wir noch haben.
Sie schmecken von allen am schlimmsten, deshalb haben sich alle zuerst auf die anderen gestürzt. Wir haben auch ein paar Verpflegungsriegel der Syndiks von Sancere, die als Nächste verteilt werden.«
»Und wie schmecken die?«
»Der Chief, der sich freiwillig zum Vorkosten gemeldet hatte, ließ mir ausrichten, dass sie zumindest ein Gutes haben.« Sie zeigte auf den Riegel in Gearys Hand. »Im Vergleich zu ihnen schmecken Danaka Yoruk-Riegel kösdich.«
»Wenn ich heute schon dem Tod ins Auge sehen muss, warum muss meine möglicherweise letzte Mahlzeit ausgerechnet ein Danaka Yoruk-Riegel sein?«, beklagte er sich, riss die Verpackung auf, biss ein Stück ab und versuchte es zu schlucken, ohne davon kosten zu müssen. Es gelang ihm nicht so ganz.
Der Verpflegungsriegel schaffte zumindest eines: Während Geary ihn runterwürgte, wurde er von der heraneilenden Syndik-Flotte abgelenkt. Als er wieder auf das Display sah, stellte er fest, dass der Gegner noch vierzig Minuten entfernt war.
Noch fünf Minuten, dann geht es los. Vorfahren, ich brauche heule von euch alles, was ihr mir geben könnt. Bitte zeigt mir den Weg.
Er wandte sich in einer vernetzten Übertragung an Captain Tyrosian, Captain Cresida und Captain Casia. »Rufen Sie jetzt Ihre letzten Shuttles zurück. Captain Tyrosian, kappen Sie die Verbindungen zu den Reparaturschiffen. In vier Minuten erhalten Sie von mir die Einsatzbefehle für Ihr Schiff. Captain Cresida, Captain Casia, befolgen Sie Ihre Befehle, aber bedenken Sie dabei immer, dass Ihre vorrangige Aufgabe darin besteht, die Ihrem Kommando unterstellten Schiffe so zu befehligen, dass die Schnellen Hilfsschiffe der Flotte best-möglich geschützt werden.«
Auf dem Display sah er, wie die beiden letzten Shuttles in die Docks der Titan und der Witch zurückkehrten. Gleichzeitig wurden die Greifer und die Förderschläuche zurückgeholt, die die Hilfsschiffe mit den Syndik-Reparalurschiffen verbunden hatten. Geary überprüfte die aktuellen Vektoren der Verfolgerflotte und ließ die ausgearbeitete Manövrierlösung ablaufen, um kleine Änderungen in letzter Sekunde vorzunehmen. Die letzte Minute verstrich, und er wandte sich wieder an die Hilfsschiffe. »Captain Tyrosian, bewegen Sie Ihre Schiffe mit maximaler Beschleunigung von der Stelle. Sobald Sie die Verlustflotte hinter sich gelassen haben, drehen Sie nach Backbord null drei Grad, nach unten null ein Grad.
Informieren Sie die Commander der Titan, der Jinn und der Goblin, dass sie so steuern sollen, wie es für sie nötig ist, um sicherzustellen, dass der Vektor für den schnellsten Abfangkurs für die Syndik-Flotte genau durch das Zentrum der Verlustflotte hindurchführt.«
»Jawohl, Sir«, bestätigte Captain Tyrosian.
»Der Erfolg dieses Plans hängt von Ihnen und den anderen Hilfsschiffen ab, Captain. Ich kann Ihnen versichern, dass der Rest der Flotte zu Ihnen stoßen wird, um Sie zu verteidigen.«
Tyrosian brachte ein flüchtiges Lächeln zustande. »Ich weiß, es muss für die Syndiks glaubhaft aussehen, Sir. Wir werden Sie nicht enttäuschen.«
Wieder überprüfte er, was das Display ihm anzeigte. Die Syndiks waren noch drei Lichtminuten entfernt, also wurde die Zeitverzögerung zwischen dem, was er sah, und dem tatsächlichen Geschehen immer kürzer. War der Zeitpunkt gekommen, um weitere seiner Schiffe zu bewegen? Nein, noch nicht. Das Timing musste stimmen, damit es so aussah, als würde die Flotte wie ein wilder, in Panik geratener Haufen reagieren, in dem keinerlei Ordnung mehr herrschte, während er in Wahrheit seine Schiffe in Position brachte, um die Syndiks aus nächster Nähe zu attackieren.
Die Titan, die Witch, die Goblin und die Jinn beschleunigten qualvoll langsam, da ihre übliche Trägheit durch die Masse frisch aufgenommener Vorräte aus den feindlichen Reparaturschiffen noch ganz erheblich verstärkt wurde. Er hatte diesen Faktor bereits in seine Berechnungen einbezogen, und jetzt konnte er nur noch hoffen, dass die Schiffssysteme und seine eigenen Erfahrungen mit den Hilfsschiffen präzise genug waren, dass die nicht von den Syndiks überrannt werden konnten.
Zwischen den vier Hilfsschiffen und den Syndik-Verfolgern nahmen nun auch die vier Schlachtschiffe und Cresidas Schlachtkreuzer Fahrt auf, behielten dabei aber ihre relative Position bei. Ebenso verharrten die zwei Schweren und zwanzig Leichten Kreuzer auf ihren Positionen als Eskorte der Hilfsschiffe.
Geary verspürte ein gewisses Bedauern, als er mitansah, wie die Allianz-Schiffe die Verlustflotte hinter sich ließen, in deren Mitte das Wrack der Audacious dagegen zu protestieren schien, dass man es abermals aufgab. Keine Sorge, Lady. Wir überlassen dich nicht den Syndiks. Die werden bald feststellen, dass du noch eine letzte Überraschung; für sie auf Lager hast.
Als sich die Hilfsschiffe von der Verlustflotte gelöst hatten und eine Kursänderung vornahmen, wurde die Titan auf einmal langsamer, und die Goblin ließ sich zurückfallen, um an ihrer Seite zu bleiben. »Die Titan gibt vor, dass der Hauptan-trieb ausgefallen ist«, meldete Desjani.
Angesichts der Treffer, die die Titan bislang eingesteckt hatte, fürchtete Geary insgeheim, der Ausfall des Antriebs könnte echt sein, nicht bloß simuliert, obwohl er wusste, dass die beiden Hilfsschiffe sich lediglich an ihre Befehle hielten.
»Gut gemacht. Das sieht wirklich so aus, als hätte der Antrieb versagt. Und gemeinsam mit der Goblin sorgt sie dafür, dass die Syndiks unverändert ihrem Abfangkurs mitten durch die Verlustflotte folgen.«
»Die Warrior lässt sich ebenfalls zurückfallen, um bei der Titan und der Goblin zu bleiben.« Desjani musste ihn hingegen gar nicht darauf hinweisen, dass die Conqueror, die Majestic und die Orion weiter beschleunigten, um sich zusammen mit der Witch und der Jinn in eine geringfügig sicherere Position zu begeben.
Geary ließ sich eine Reihe von Kommentaren und Befehlen durch den Kopf gehen, die er an die Befehlshaber der Conqueror, der Majestic und der Orion richten konnte, doch er verwarf fast alles, da es ihm unprofessionell erschien, auch wenn es ihm gutgetan hätte, das eine oder andere loswerden zu können. Schließlich tippte er auf seine Kontrollen und rief die Schlachtschiffe auf einer Frequenz, auf der die gesamte Flotte mithören konnte. »Conqueror, Majestic, Orion, die Schnellen Hilfsschiffe Titan und Goblin setzen sich bewusst einer größeren Gefahr aus und können jede Unterstützung gebrauchen, die ihnen gewährt wird. Nähern Sie sich der Warrior und helfen Sie ihr, die Titan und die Goblin zu beschützen.« Wenn es nicht schon blamabel genug war für die drei Schlachtschiffe, dass sie an ihre Pflicht erinnert werden mussten, dann hatte er zumindest endlich einen plausiblen Grund, um die befehlshabenden Offiziere ihres Postens zu entheben. Aber sein Ge-fühl sagte ihm, dass selbst so schwierige Untergebene wie Captain Casia und Commander Yin sich mehr vor der Verachtung ihrer Kameraden fürchteten als vor den Syndiks, weshalb sie sich wohl gezwungen sehen würden, zur Titan und zur Goblin umzukehren.
»Wohin wollen diese Schweren Kreuzer?«, fragte Rione.
Sie konnte damit nur die Ichcahuipilli und die Rondelle meinen, die sich nun von Oesidas Schlachtkreuzern Implacable und Furious ebenso wie von den Syndiks entfernten. »Die haben den Befehl, sich in Sicherheit zu bringen, weil sich ein Großteil der befreiten Gefangenen an Bord befindet.«
»Das muss aber einige Überzeugungsarbeit gekostet haben, die beiden dazu zu bringen, diesen Befehl auszuführen.«
»Allerdings. Sie wollten nicht vor dem Kampf zurückwei-chen, und nicht mal die befreiten Verletzten waren dazu bereit.«
»Wir stellen Vektorveränderungen auf der Conqueror, der Orion und der Majestic fest«, ließ Desjani ihn wissen. »Sieht ganz so aus, als würden sie sich endlich zur Titan und zur Goblin zurückfallen lassen.«
Rione kam näher und fragte leise: »Können wir es zurück nach Hause schaffen, wenn wir die Witch und die Jinn retten, aber die Titan und die Goblin verlieren?«
»Wenn das passieren sollte, bleibt uns nichts anderes übrig«, erwiderte Geary und strahlte dabei eine Zuversicht aus, die er in Wahrheit gar nicht verspürte. Das ganze taktische Geschick der Galaxis würde ihm letztlich nicht weiterhelfen, wenn dieser Flotte die Brennstoffzellen ausgingen. Mit etwas Glück würde er noch entscheiden können, welche Schiffe er aufgeben musste, wenn es noch eine Hoffnung geben sollte, mit dem Rest der Flotte die Allianz zu erreichen.
Rione betrachtete ihn, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und kehrte auf ihren Platz zurück.
Augenblicke später meldete sich Captain Desjani zu Wort, ohne den Blick von ihrem Display abzuwenden: »Ich frage mich, wie sich das wohl auf diesen Hilfsschiffen anfühlt, wenn man sieht, dass die Syndik-Flotte auf einen zurast. Vor allem in dem Bewusstsein, dass das eigene Schiff nur über bescheidene Antriebs- und Steuerfähigkeiten verfügt, und dass die Ver-teidigungsmöglichkeiten so beschränkt sind, dass man eigentlich gar nicht in der Lage ist, sich zu verteidigen.« Sie schaute Geary an. »Wir auf unseren Kriegsschiffen sehen auf die Hilfsschiffe und ihre Besatzungen herab, dabei erfordert es eine Menge Mut, um auf einem solchen Schiff in eine Schlacht zu ziehen.« Er nickte zustimmend. »Ich würde mich immer wieder für einen Schlachtkreuzer entscheiden«, fügte sie an, »aber wenn wir zu Hause sind, haben diese Matrosen einige Drinks bei mir gut.«
»Wir könnten ein paar Kisten auf Kosten der Offiziersmesse der Dauntless rüberschicken Captain«, schlug Lieutenant Nicodeom vor. »Wir werden alle gern unseren Beitrag dazu leisten.«
»Gute Idee«, stimmte Desjani ihm zu. »Erinnern Sie mich daran, dass wir das machen, Lieutenant.«
Nach der lange dauernden und scheinbar langsamen An-näherung der Syndik-Verfolger gelangte die Konfrontation allmählich an den Punkt, an dem sich die Ereignisse mit atem-beraubender Geschwindigkeit abspielen würden. Selbst bei 0,1 Licht dauerte es seine Zeit, die immensen Entfernungen innerhalb eines typischen Sternensystems zurückzulegen. Aber sobald Schiffe, die mit dieser Geschwindigkeit unterwegs waren, sich ihrem Ziel näherten, musste man nur einmal blinzeln, und schon war alles an einem vorübergezogen. Die Sinne und das Reaktionsvermögen eines Menschen waren darauf ausgelegt, auf Dinge zu reagieren, die sich mit bestenfalls ein paar hundert Stundenkilometern von der Stelle bewegten, nicht aber auf Geschwindigkeiten, die in Tausenden von Kilometern pro Sekunde auszudrücken waren.
Geary atmete ein paar Mal tief durch, den Blick auf sein Display gerichtet. Die Unterformationen der Allianz-Flotte, die jeweils um ein bis zwei Divisionen Schlachtschiffe oder Schlachtkreuzer herum angeordnet waren, bildeten nach wie vor die Formation der ›Großen Hässlichen Kugel‹. Captain Cresidas Eskortflotte, die vier Schlachtschiffe, die übrigen Eskortschiffe sowie die Hilfsschiffe befanden sich nach wie vor unterhalb der Blase. Die abgeflachte Sphäre der Verlustflotte hing hinter den flüchtenden Hilfsschiffen im Raum; sie war im Verhältnis leicht nach oben geneigt, während sich die Allianz-Schiffe ein wenig nach unten bewegten.
Die Überraschung, die sie für die Syndiks in der Verlustflotte versteckt hatten, würde hoffentlich das Ungleichgewicht der beiden Streitmächte ein wenig ausgleichen, doch damit der Plan überhaupt Erfolg haben konnte, war es erforderlich, dass die Syndiks auf ihrem Kurs blieben und genau mitten durch die Verlustflotte hindurchflogen. Die verstreute Anordnung der Allianz-Schiffe machte es dem Gegner schwer, die Hauptachse der Schlagkraft dieser Flotte zu identifizieren, die ansonsten nämlich ein attraktives alternatives Angriffsziel gewesen wäre. Die Kugel-Formation vermittelte zudem den Eindruck einer innerlich zerrissenen Flotte, die jeden Moment auseinanderzubrechen drohte. Auf die Syndiks, die nach Gearys Verständnis immer noch militärische Effizienz danach beurteilten, wie präzise eine Formation aufgebaut war, und die ihre Reihen perfekt anordneten, musste die Allianz-Flotte wie ein nachlässiger Haufen wirken, der gar nicht so bedrohlich sein konnte.
Sobald die Syndiks näher gekommen waren, würde er seine Streitkräfte auf die Hilfsschiffe konzentrieren und die Bewegungen jeder Formation exakt auf die der anderen ab-stimmen, damit sie geschlossen ihr Ziel erreichten. Seine Schlachtkreuzer-Unterformationen lagen am weitesten vor der ›Großen Hässlichen Kugel, also waren sie auch am weitesten vom Gegner entfernt, weshalb sie als Erste kehrtmachen mussten, um die Verfolgerflotte abzufangen. Zum Glück war ein so aggressiver Zug durch die Schlachtkreuzer exakt die Art von Reaktion, die die Syndiks erwarteten.
Wenn die Überraschung gelang, würden seine konzentrierten Streitkräfte in der Lage sein, die Syndiks von mehreren Seiten gleichzeitig unter massiven Beschuss zu nehmen. Wenn sie misslang… dann würden seine Unterformationen in rascher Folge wiederholt die Ränder der feindlichen Flotte attackieren müssen und darauf hoffen, den Gegner zu zer-mürben, bevor die Allianz-Schiffe zu stark beschädigt wurden und durch die schnellen Angriffe ihre Brennstoffzellen auf-brauchten. Die Chancen, dass diese Taktik zum Erfolg führen würde, waren minimal, aber es war immer noch besser als jede Alternative, die Geary in den Sinn gekommen war.
Ihm war klar, dass ihn jeder auf der Brücke ganz genau beobachtete, doch niemand sprach ihn an. Sie wussten, dass er jegliche Ablenkung ausblendete, um den richtigen Moment zu fühlen, in dem er jede Unterformation auf ihren neuen Vektor schicken musste. Dabei war zu berücksichtigen, dass er ein zeitverzögertes Bild der Feindbewegung auf seinem Display angezeigt bekam, so dass er die Zeit, die seine verschiedenen Schiffstypen benötigten, um zu wenden und zu beschleunigen hinzurechnen musste. Ein weiterer Faktor war die Zeitverzögerung, die bei der Kommunikation mit diesen Schiffen auftrat.
»Allianz-Formation Bravo Five.«
Das war die Formation, die um Captain Duellos' vier Schlachtkreuzer herum angeordnet war. »Beschleunigen Sie auf 0,08 Licht und gehen Sie auf Abfangkurs zu den Syndik-Verfolgern.« Ihm blieb nicht genug Zeit, um den Anflug jeder Unterformation völlig exakt abzustimmen, aber er konnte ihnen die Geschwindigkeit vorgeben, die sie erreichen mussten, damit sie im richtigen Moment auf den Feind trafen. Und er konnte sich bei den meisten seiner Commander darauf verlassen, dass sie wenigstens in der Lage waren, seine Vorgaben für einen Abfangkurs in die Tat umzusetzen.
Wenige Minuten später wandte er sich an die Unterformation im Umfeld der Siebten Schlachtkreuzerdivision. »Beschleunigen Sie auf 0,09 Licht und gehen Sie auf Abfangkurs zu den Syndik-Verfolgern.« Im Verlauf der nächsten Minuten gingen ähnlich klingende Befehle an seine übrigen Schlachtkreuzer raus, dann wartete er eine Weile, ehe er auch die Schlachtschiffe mit ihren Unterformationen auf den Weg schickte. Die Schlachtschiffe waren von den Hilfsschiffen nicht ganz so weit entfernt, dafür sollten sie etwas gemächlicher beschleunigen.
Auf seinem Display konnte Geary beobachten, wie die Kugelformation allmählich zerfiel und dabei an einen Luft-ballon erinnerte, dem nach und nach die Luft ausging, da eine Unterformation nach der anderen Kurs auf die Hilfsschiffe nahm. Es sah nicht nach einer Flotte aus, die in den Kampf ziehen wollte, stattdessen erweckte das Bild den Eindruck, dass einzelne Unterformationen beschlossen halten, auf eigene Faust zu handeln.
»Sehr schön«, meinte Desjani bewundernd. »Es sieht zwar schrecklich unordentlich aus, aber ist sehr gelungen. Würde ich das aus dem Blickwinkel eines Außenstehenden betrachten, dann würde ich sagen, dass jede Formation tut, was sie will.«
»Hoffen wir, dass es auch funktioniert«, murmelte Geary.
Das Geschehen spielte sich auf einem einzelnen Pfad ab, der bis zurück zum Sprungpunkt nach Ixion verlief. Die Allianz-Unterformation mit den Hilfsschilfen in ihrer Mitte war das sich bewegende Ziel, auf das es die Kastenformation der Syndik-Verfolger abgesehen hatte, die sich schräg von oben näherte. Die Allianz-Hauptformation zerfiel allmählich und steuerte das gleiche Ziel an. Zwischen beiden Flotten lag die abgeflachte Sphäre der Verlustflotte. Als sich die Syndiks den Hilfsschiffen näherten, ließ Captain Cresida die Furious und die Implacable beschleunigen, wobei ihr durchaus bewusst war, dass ihre Schlachtkreuzer eine direkte Konfrontation mit dem Gegner nicht überleben konnten. Daher bestand ihre Aufgabe auch in erster Linie darin, den feindlichen Angriff zu stören.
Die Flugrichtung der Syndiks war ihnen durch den Kurs ihres Angriffsziels vorgegeben worden, das die Formation aus Hilfsschiffen darstellte. Die hatten Kurs und Geschwindigkeit so beibehalten, damit die direkte Linie zwischen ihnen und den Syndiks genau zwischen den beschädigt im All treibenden Schiffen hindurch verlief. Der menschliche Instinkt strebte danach, sich bei einem Angriff hinter irgendetwas zu verstecken, und das galt auch im Weltall. Auch wenn die beschädigten Schiffe als Schutz nichts taugten, wirkten die Bewegungen der Hilfsschiffe wie eine völlig natürliche Reaktion — wie ein verzweifelter Versuch, sich hinter den einzigen Objekten zu verstecken, die sich zwischen ihnen und dem Feind befanden.
Ein feindlicher Commander, der nicht so sehr davon überzeugt war, dass die Allianz-Streitkräfte ein wirrer Haufen auf der Flucht waren, der kurz vor der Niederlage stand… ein Commander, der nicht nur auf Ruhm und Karriere bedacht war, die ihm winkten, wenn er die Allianz-Flotte endlich ver-nichtete, und der nicht von der Wut über die erneuten Verluste im Lakota-System geblendet war… ein solcher Commander hätte sich vermutlich die Frage gestellt, warum man die Hilfsschiffe fast ungeschützt sich selbst überlassen hatte.
Doch das hektische Plündern der verlassenen Syndik-Schiffe bis zum letzten Moment vermittelte genau das Bild, das die Syndiks von einer Allianz-Flotte erwarteten, die dringend neue Vorräte benötigte.
So gestaltete sich die gesamte Situation ganz natürlich für jeden Beobachter, der sich nur auf den äußeren Anschein verließ und glaubte, dass die fliehenden Hilfsschiffe hinter der Verlustflotte Zuflucht suchten. Die Schlachtkreuzer der Allianz, die kehrtmachten, um sich in die Schlacht zu stürzen, entsprachen genauso den Erwartungen wie die verspäteten Reaktionen der Schlachtschiffe, die den Hilfsschiffen ebenfalls zu Hilfe zu eilen versuchten. All das passte zweifellos ganz genau zu dem, was der Befehlshaber der Syndiks sehen wollte.
Wenn alles so aussieht, als würde es genau nach Plan verlaufen, hatte Gearys zweiter befehlshabender Offizier oft gesagt, dann musst du nach dem Punkt suchen, den du übersehen hast, bevor der dir zum Verhängnis werden kann.
Der Syndik-CEO, der diesen Ratschlag wohl nie zu hören bekommen hatte, folgte unbeirrt dem direkten Kurs, da er zweifellos bereits den süßen Geschmack des Triumphs auf der Zunge verspürte. Die aufgegebenen Schiffe der Verlustflotte konnten sich nicht von der Stelle rühren und keine Waffen abfeuern, also stellten sie keine Bedrohung für Kriegsschiffe dar, die dank der genau zu berechnenden Kurse dieser Wracks sehr dicht an ihnen vorbeifliegen konnten.
Wäre da nicht Victoria Riones inspirierender Vorschlag gewesen, hätte der Syndik-CFX) mit seiner Annahme durchaus richtig liegen können. Immerhin wurden Minenfelder nach Möglichkeit versteckt und nicht offen vor dem Feind aus-gebreitet. Zudem sollten Minen kleine Objekte sein, die sich gut verbergen ließen, aber sie waren nicht so riesig wie der Antrieb eines Kriegsschiffs.
Aufmerksam verfolgte Geary den Kurs, den die Syndik-Verfolger flogen. Die Kastenformation bewegte sich mit ihrer breiten Seite voran und folgte einem Vektor, der sie mitten durch die abgeflachte Sphäre der Verlustflotte führen würde.
Da die Allianz-Hilfsschiffe einen leicht abwärts führenden Kurs eingeschlagen hatten und die Syndiks von oben kamen, lag die Verlustflotte in einer schrägen Position zwischen ihnen, was den Winkel verringerte, in dem die beiden Seite einander begegnen würden. Die Kastenformation war länger und breiter als die platte Sphäre, aber nicht ganz so tief.
Während die Syndiks weiter auf die Hilfsschiffe zuhielten, nahmen etliche Schiffe innerhalb der Formation kleinere Kurskorrekturen vor, um über und unter den Wracks hin-durchzufliegen.
Die Näherungssensoren, die man aus den Allianz-Minen ausgebaut und auf der Schiffshülle montiert hatte, nachdem deren Parameter an die zerstörerische Wirkung der mit ihnen verbundenen, improvisierten Waffen angepasst worden waren, beobachteten die herannahenden Schiffe und begannen zu berechnen, wann die Sprengladungen detonieren mussten, um jene Ziele zu erwischen, die mit fast einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit an ihnen vorbeijagen würden. Als die Syndik-Formation den richtigen Punkt erreicht hatte, lösten die Zünder eine Überladung der immer noch aktiven Antriebseinheiten in den aufgegebenen Schiffen aus. Das ließ eine Welle der Vernichtung durch die Verlustflotte rasen, die so plötzlich kam, dass die Syndik-Schiffe geradewegs hineinflogen, ohne ausreichend Zeit für ein Ausweichmanöver zu haben.
Eine ganze Region des Alls wurde in gleißendes Licht getaucht, als unzählige Antriebseinheiten fast gleichzeitig explodierten — darunter auch die der Audacious, die dem Feind einen letzten tödlichen Stoß versetzte. Ein dichtes Feld aus rasend schnellen Trümmerteilen, Partikeln und Energie dehnte sich in alle Richtungen aus und erreichte in dem Sekundenbruchteil seine maximale Ausdehnung, als die Syndik-Formation mitten hindurchraste.
Angespannt beobachtete Geary, wie der Kern der Verfolgerflotte in den gewaltigen Explosionen verschwand. Die Ränder der Kastenformation befanden sich in sicherer Position, aber der Kern war nahezu perfekt getroffen worden.
Augenblicke später wurden die Daten auf dem Display aktualisiert, da die Sensoren den aktuellen Status der Syndik-Flotte zu berechnen begann, die aus der sich immer noch ausdehnenden Flammenhölle gejagt kam.
Gedämpfter Jubel machte sich ringsum breit, Captain Desjani schnappte erfreut nach Luft, während Geary selbst einfach nur dasaß und geschockt zur Kenntnis nahm, welche Verluste dem Gegner zugefügt worden waren.
Von den Schiffen der Verlustflotte war nichts mehr übrig, die Explosionen hatten sie restlos zerstört. Auch die meisten Syndik-Jäger, die sich im Detonationsradius aufgehalten hatten, waren praktisch spurlos verschwunden, da sie in so winzige Stücke zerrissen worden waren, dass sie von den Sensoren nicht mehr erfasst wurden. Große Trümmerteile stellten die Überreste von Leichten Kreuzern sowie von Schweren Kreuzern dar, die sich im Zentrum des Infernos befunden hatten. Zwei Schwere Kreuzer am Rand der Flammenwolke waren äußerlich unversehrt geblieben, doch die Schiffssysteme waren komplett ausgefallen, sodass sie hilflos durchs All trudelten. Nur fünf Schwere Kreuzer am Rand der Explosionen hatten überlebt.
Alle Schlachtkreuzer in der Mitte der Formationen waren außer Gefecht gesetzt worden, einige von ihnen waren zerbrochen, andere hatten einen Totalausfall der Systeme erlitten.
Von den dreizehn Schlachtkreuzern, mit denen die Syndiks eben noch hatten Eindruck machen können, waren neun entweder zerstört oder nicht länger einsatzbereit.
Von den einunddreißig Schlachtschiffen waren zwanzig in die Flammenhölle geraten. Acht von ihnen waren noch intakt, aber außer Gefecht gesetzt, weitere neun hatten schwere Schäden davongetragen, die übrigen drei waren beschädigt, aber offenbar noch gefechtstauglich.
»Ich würde sagen, das Kräfteverhältnis hat sich zu unseren Gunsten verschoben«, erklärte Desjani strahlend. In ihren Augen leuchtete Kampflust auf, während sich die gegnerische Streitmacht neu zu formieren begann.
Die Chancen standen gut, dass der Syndik-CEO, der das Kommando über die Flotte hatte, bei der Zerstörung der Verlustflotte entweder ums Leben gekommen war oder zumindest auf einem Schiff festsaß, dessen Systeme ausgefallen waren, sodass er mit niemandem aus seiner Flotte Kontakt aufnehmen konnte. Ohne neue Befehle würden sich die überlebenden Kriegsschiffe an ihre letzten Anweisungen halten und weiter auf die Hilfsschiffe zufliegen. Ihre Formation erinnerte nunmehr an die Umrisse eines Kastens, da das Innere durch die Sprengung der aufgegebenen Schiffe herausgeris-sen worden war und die beschädigten Schiffe immer weiter zurückfielen.
Die Furious und die Implacable, deren aussichtsloser Sturm-lauf nun einer deutlich geschrumpften feindlichen Streitmacht galt, flogen an einer Seite der ausgehöhlten Kastenformation vorbei und konzentrierten ihr Feuer auf das führende Syndik-Schlachtschiff, das im Moment der Begegnung an ihnen vorbeizuckte. Die Eskortschiffe der Allianz-Schlachtkreuzer richteten ihrerseits das Feuer auf die leichteren Einheiten und schossen einige Jäger und zwei Leichte Kreuzer ab.
Als Captain Cresidas Kriegsschiffe davonjagten und zu einer Kurve ansetzten, um erneut die Syndiks unter Beschuss zu nehmen, begann das feindliche Schlachtschiff, das etliche Salven aus Phantomen, Kartätschen und Höllenspeeren hatte einstecken müssen, von seiner Position abzudriften. Die hinteren Antriebseinheiten arbeiteten nach wie vor mit voller Leistung, während die vordere Sektion in Stücke gerissen worden war.
»Die Furious hat mehrere Treffer abbekommen, eine Höllenspeer-Batterie und der Null-Feld-Projektor sind ausgefallen«, meldete der Gefechtswachhabende in präzisem Tonfall.
»Die Implacable hat zwei Höllenspeer-Batterien verloren und an einer Antriebseinheit leichte Schäden davongetragen.
Beide Schlachtkreuzer haben bei diesem Vorbeiflug alle Phantome und sämtliche Kartätschen aufgebraucht. Auf der Utap sind die Gefechtssysteme ausgefallen, aber sie kann weiterhin manövrieren. Die Arbakst und die Ravens Beak wurden schwer beschädigt, können aber bei ihrer Formation bleiben.«
Keine zwei Minuten später erreichten die Unterformationen nach und nach ihre Abfangpunkte. Captain Tulev führte die Leviathan, die Steadfasl, die Dragon und die Valiant von der anderen Seite gegen die Syndik-Formation. Abermals konzentrierten die Schlachtkreuzer ihr Feuer, und als sie weiterflogen, blieb ein Syndik-Schlachtschiff schwer beschädigt zurück, während einer der verbliebenen Schlachtkreuzer einen Totalausfall aller Systeme erlitt und steuerlos weitertrieb.
Captain Duellos brachte die Courageous, die Formidable und die Intrepid als Nächste an den Feind heran. Die Folge war ein weiteres Syndik-Schlachtschiff mit schweren Schäden, dann machten die fünf überlebenden Schlachtkreuzer der Sechsten und Siebten Division zwei der drei letzten feindlichen Schlachtkreuzer unschädlich.
Es folgte die Vierte Schlachtkreuzerdivision. So wichtig es auch war, dass die Dauntless ins Allianz-Gebiet zurückkehrte, hatte Geary sich nicht dazu durchringen können, sie aus der Schlacht herauszuhalten. Selbst wenn er die gesamte Schiffs-besatzung darin eingeweiht hätte, dass der Hypernet-Schlüssel sich an Bord befand, wäre die Crew dennoch nicht davon abzubringen gewesen, ihren Teil zum Kampf beizutragen, und hätte es als große Schmach empfunden, nicht an der Schlacht teilnehmen zu dürfen.
Ganz zu schweigen von der Schmach, die Tanya Desjani empfinden würde. So wie er sie einschätzte, hätte sie wohl lieber das Kommando abgegeben, anstatt sich so demütigen zu lassen.
Diese Leute waren bereit, ihm zuzuhören und von ihm zu lernen, aber wenn er den Bogen überspannte, würden sie rebellieren, weil sie das als eine Demütigung empfinden würden. Diese Tatsache musste Geary akzeptieren.
Die Dauntless, die Daring und die Victorious hielten auf einen Abschnitt der feindlichen Formation zu, in dem sich ein bereits beschädigtes Schlachtschiff und der letzte noch überlebende Schlachtkreuzer befanden. Da die Allianz-Schiffe mit fast 0,08 Licht reisten und die Syndiks immer noch mit einer Geschwindigkeit von über 0,1 Licht unterwegs waren, spielte sich der Moment des Gefechts so schnell ab, dass das menschliche Wahrnehmungsvermögen nicht mehr mitkam. Eben noch waren die Syndiks vor einem, dann befanden sie sich bereits hinter dem eigenen Schiff, während die Dauntless immer noch unter den Treffern erzitterte, die ihr in der Millisekunde zugefügt worden waren, als sie sich in Reichweite der gegnerischen Waffen befunden hatte.
»Stellenweise Ausfälle an den vorderen und den Backbord-schilden«, meldete der Wachhabende der Schadenskontrolle.
»Höllenspeer-Batterie Eins Alpha hat eine Waffe verloren.
Strukturelle Schäden an den Rahmen fünfundvierzig und hundertsiebenundzwanzig.«
»Gut«, meinte Desjani und nickte, während sie sich auf dem Display ansah, was die Salven ihrer Schlachtkreuzer angerichtet hatten. Breit grinsend merkte sie an: »Den haben wir erwischt.«
Auch Geary verzog den Mund zu einem zufriedenen Grinsen. Aus dem letzten Syndik-Schlachtkreuzer wurden Rettungskapseln ausgestoßen, und schon flog das Schiff in die Luft, als sich der Antrieb überhitzte. Das bereits beschädigte Schlachtschiff hatte weitere Treffer abbekommen und verlor allmählich an Fahrt.
Dann aber wurde er wieder ernst. Die Allianz-Schlachtkreuzer wendeten alle, um erneut zu attackieren, während die Schlachtschiffe und der Rest der Flotte noch unterwegs waren. Obwohl die Hilfsschiffe und ihre Eskorten deutlich beschleunigt hatten und eine nach oben führende Kurve flogen, blieben die überlebenden Syndik-Schiffe auf ihrem ursprünglichen Kurs. Die Hilfsschiffe und ihre Eskorten flogen in die gleiche Richtung wie ihre Verfolger, weshalb die relative Geschwindigkeit beider Gruppen deutlich niedriger war und dieses Aufeinandertreffen langsam genug ablaufen würde, um vom menschlichen Auge erfasst zu werden.
Geary bemerkte, dass Desjani ihn beobachtete, und deutete auf die Hilfsschiffe. »Wenn wir die verlieren, ist es egal, wie viele Syndik-Schiffe wir noch zerstören. Dann haben wir so oder so verloren.«
»Sie mussten das Risiko eingehen«, sagte sie leise.
»Ich weiß.«
Die Warrior, die bei Vidha und beim ersten Flug nach Lakota von den Syndiks zusammengeschossen worden war, setzte zu einer Drehung an, um die Verfolger daran zu hindern, das Feuer auf die Titan und die Goblin zu eröffnen. Zwei Syndik-Jäger glaubten offenbar, an dem schwer beschädigten Schlachtschiff vorbeihuschen zu können, aber sie mussten einsehen, dass die Warrior nicht erledigt war, da sich im nächsten Moment die wenigen noch funktionstüchtigen Höllenspeere mühelos in die nur schwach gepanzerten Jäger bohrten. Ein Leichter Kreuzer gleich hinter den Jägern versuchte, das Schiff in einen Schusswechsel zu verwickeln, aber auch er wurde erfolgreich außer Gefecht gesetzt.
Dem Leichten Kreuzer folgten jedoch zwei fast unversehrt gebliebene Syndik-Schlachtschiffe. Flugkörper wurden gestartet, die Kurs auf die Titan und die Goblin nahmen. Die Warrior und die Zerstörer an ihrer Seite zielten auf die Flugkörper und konnten den größten Teil abschießen, doch ihnen blieb dadurch keine Zeit, sich den Schlachtschiffen selbst zu widmen.
Quälend langsam änderte die Warrior abermals ihren Kurs, um sich den beiden Syndik-Schlachtschiffen in den Weg zu stellen, die ihr Feuer ganz auf das Allianz-Schiff konzentrierten und jedes System an Bord ausfallen ließen. Geary murmelte ein Stoßgebet, als er daran dachte, was dieses Sperrfeuer für die Besatzung der Warrior bedeuten musste.
Damit blieben nur noch die Conqueror, die Orion und die Majestic zusammen mit ein paar Schweren und Leichten Kreuzern sowie einigen Zerstörern. Nachdem sie den Tod der Warrior miterlebt hatte, schien die Conqueror erstarrt zu sein, da sie auf dem gleichen Kurs mit gleicher Geschwindigkeit weiterflog, während die Syndik-Schiffe sich näherten. Die Orion flog leicht nach oben, dann kehrte sie zur Conqueror zurück, als suche sie in der Nähe des unbeschädigten Schlachtschiffs Zuflucht.
Geary würde nie erfahren, was die Majestic vorhatte. Vielleicht versuchte das am weitesten zurückliegende der überlebenden Schlachtschiff zu wenden, um sich dem Gegner in den Weg zu stellen, aber vielleicht unternahm sie auch einen Fluchtversuch. Wenn er später in gnädiger Laune war, stellte er sich vor, dass die Crew und der Kommandant der Majestic vom Opfer der Warrior inspiriert ihren Kampfgeist wiedergefunden und beschlossen hatten, ihr früheres Versagen wieder-gutzumachen. Auf jeden Fall bezahlte die Crew teuer dafür, dass sie zuvor so getrödelt hatte, als es darum ging, die Waffen und Verteidigungssysteme zu reparieren.
Die Syndiks feuerten ihre letzten Flugkörper auf die Majestic ab, und die waren zu viel für das Schiff. Drei Geschosse kamen durch, trafen das Heck und löschten die Antriebseinheiten auf einen Schlag aus. Die steuerlose Majestic begann zu trudeln, und die Syndik-Schlachtschiffe änderten ihren Kurs, um so nahe an das wehrlose Ziel heranzukommen, dass sie die Höllenspeere einsetzen konnten. Kartätschen ließen die rest-liehen Schilde zusammenbrechen, dann bohrten sich die Höllenspeere durch die nur unzureichend reparierte Hülle, die zu viele Schwachstellen aufwies.
Geary beobachtete, wie immer neue Treffer aufflammten und das Schiff selbst für einen Moment hinter einer Wand aus Explosionen verschwand, da weitere Flugkörper, Kartätschen und ein erbarmungsloses Bombardement mit Höllenspeeren das Schiff buchstäblich zerrissen. Einen Augenblick später folgte eine noch größere und verheerendere Explosion, als der Antrieb der Majestic der Belastung nicht länger gewachsen war.
Der grelle Schein verblasste, zurück blieb ein auseinander-driftendes Trümmerfeld, in dem ein paar überlebende Syndik-Flugkörper vergeblich nach einem Ziel suchten.
»Verdammt sollen sie sein«, murmelte Desjani. Ob sie damit die Syndiks meinte oder möglicherweise die Crew des Allianz-Schlachtschiffs, die durch ihre Nachlässigkeit dieses Ende selbst herbeigeführt hatte, vermochte Geary nicht zu sagen.
Die Conqueror, die weiter dem gleichen Kurs folgte, feuerte auf ein paar Leichtere Einheiten, als die in Reichweite kamen.
Die Orion war wieder nach oben gedriftet und blieb in der gleichen vorgelagerten Position wie die Conqueror, womit sie sich selbst in eine fast völlig nutzlose Lage gebracht hatte, was die Verteidigung der Hilfsschiffe anging. Die Schweren und die Leichten Kreuzer sowie die Zerstörer der Allianz hatten sich dagegen von der Conqueror gelöst und bahnten sich ihren Weg zwischen Syndik-Eskorten hindurch, um die Titan und die Goblin zu erreichen. Die beiden Hilfsschiffe feuerten um sich, so gut sie konnten, was bedauerlicherweise nicht allzu viel war. Ein Syndik-Flugkörper traf die Goblin mittschiffs und brachte das Hilfsschiff zum Taumeln. Ein Jäger kam nahe genug heran, um zwei Höllenspeere auf die Titan abzufeuern, bevor der Allianz-Zerstörer Reprise von unten zur Rettung eilte und den Jäger mit ein paar gezielten Schüssen unschädlich machte.
Geary benötigte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass die Majestic womöglich nicht völlig vergeblich gestorben war.
»Als diese Syndik-Schlachtschiffe die Majestic unter Beschuss genommen haben, sind sie von ihrer bisherigen Flugbahn ab-gewichen. Das bedeutet, sie werden die Titan und die Goblin erst später erreichen.«
Desjani unterbrach ihre Arbeit mit der Steuerung der Dauntless, um ihr Display zu studieren. »Die Fünfte Schlachtschiffdivision könnte noch rechtzeitig eintreffen«, stimmte sie ihm zu.
Könnte. Er war nicht in der Lage, sich darauf zu verlassen, dass die Conqueror und die Orion bis dahin von Nutzen sein würden. Sein Blick wanderte zur anderen Seite der Syndik-Formation. Die verbliebenen feindlichen Schiffe änderten ihren Kurs, um sich der Titan und der Goblin zu nähern — und damit auch der Witch und der Jinn, die ein Stück hinter ihnen unterwegs waren. Als Folge dieser Kursänderung lösten sich die Ränder der ausgehöhlten Kastenformation auf.
Aber an diesen in sich zusammenfallenden Kanten waren auch die Allianz-Unterformationen unterwegs, die um Schlachtschiffe herum angeordnet waren. Captain Armus mit der Colossus führte die Amazon, die Spartan und die Guardian an, die eine Kante der Kastenformation zum Ziel hatten. Diese bestand im Wesendichen aus drei Schlachtschiffen, die bislang so gut wie nichts abbekommen hatten. Als es zum Kontakt zwischen den großen Schiffen kam, feuerten die Allianz-Schiffe mit allem, was ihnen zur Verfügung stand, auf das vorderste Syndik-Schlachtschiff, dann auf das zweite in der Reihe. Als sie vorübergeflogen waren, präsentierte sich das vordere Syndik-Schiff nur noch als ein Haufen Schrott, und das zweite war beschädigt worden.
Zwar hatten die Colossus und die Spartan einige Treffer einstecken müssen, aber keiner hatte allzu großen Schaden angerichtet.
Gleichzeitig prallten die leichteren Einheiten auf beiden Seiten aufeinander, wobei die nun zahlenmäßig überlegenen Allianz-Schiffe den Leichten Kreuzern und Jägern der Syndiks einen Treffer nach dem anderen zufügten.
Kurz darauf zerstörten die Relentless, die Reprisal, die Superb und die Splendid zwei Schlachtschiffe und deren Eskorten, die eine andere Kante der zunehmend chaotisch werdenden Syndik-Formation bildeten. Sie hämmerten mit ihren Waffen auf den Feind ein, verloren im Gegenzug aber den Schweren Kreuzer Vambrace.
Die Titan musste einen weiteren Treffer hinnehmen, dann feuerte ein Leichter Kreuzer der Syndiks auf die Goblin, während Allianz-Zerstörer vorbeizuckten und versuchten, den Angreifer außer Gefecht zu setzen.
Ein überlebender Schwerer Kreuzer nahm mit zwei Leichten Kreuzern und mehreren Jägern Kurs auf die Titan. »Verdammt«, flüsterte Geary.
Er hatte die Furious und die Implacable nicht im Auge behalten, die zwar ihre weite Kurve geflogen waren, dann aber nicht weitere große Schiffe der Syndiks unter Beschuss genommen, sondern sich auf die Bedrohung konzentriert hatten, die sich in unmittelbarer Nähe der Hilfsschiffe aufhielt. Nun jagten die beiden Schlachtkreuzer der Allianz vorbei und überzogen den Schweren Kreuzer mit Treffern, jagten einen Leichten Kreuzer in die Luft und zerschossen den zweiten, während die Eskorten der Schlachtkreuzer die Jäger eliminierten.
»Nicht schlecht«, lobte Desjani den Einsatz, während ihre eigene Division noch mit dem Wendemanöver beschäftigt war.
»Ich habe ja gesagt, Cresida bleibt bei den Hilfsschiffen, wenn sie weiß, dass Sie auf sie zählen.«
In dem Bemühen, den anderen Angriffen aus dem Weg zu gehen, fand sich die Orion auf einmal zwischen der Titan und der Goblin auf der einen und den beiden Syndik-Schlachtschiffen auf der anderen Seite wieder, die die Majestic ausgelöscht hatten. Da sie all ihre Munition für die Zerstörung der Majestic verbraucht hatten, versuchten sie nun, nahe genug an das Schiff heranzukommen, um die Höllenspeere einzusetzen. Dahinter bemühten sich die beiden beschädigten Hilfsschiffe, aus ihren Antriebseinheiten alles herauszuholen, um außer Reichweite zu bleiben.
Auf einmal begann die Orion, sich aus der Schusslinie zwischen den Syndiks und den Hilfsschiffen zurückfallen zu lassen, so als hätte sie ein Problem mit dem Antrieb. Die Schadensmeldungen auf Gearys Display zeigten aber keinen derartigen Schaden an. »Jetzt reicht's mir. Wenn Commander Yin diese Schlacht überlebt, dann ist sie ihr Kommando los.« Seine Augen suchten die Anzeige ab, bis er die Conqueror gefunden hatte, die immer noch so weit von der Titan und der Goblin entfernt war, dass sie nicht in der Lage war, die Hilfsschiffe vor den beiden Syndik-Schlachtschiffen zu beschützen. »Und das gilt auch für Captain Casia. Ich werde die beiden vor ein Kriegsgericht stellen.«
Desjani verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln.
»Feigheit vor dem Feind. Sie können die beiden standrechtlich erschießen lassen. Niemand könnte etwas dagegen ein-wenden, weil die Aufzeichnungen dieser Schlacht als offizieller Beweis herangezogen würden.«
In diesem Augenblick, in dem das Schicksal der Titan und der Goblin auf der Kippe stand, klang eine solche Möglichkeit wie Musik in Gearys Ohren. Wenn er diese beiden Schiffe verlor, weil Casia und Yin sich vor der Auseinandersetzung mit dem Feind drückten, würde er möglicherweise Desjanis Vorschlag nicht widerstehen können.
Höllenspeere von den Syndik-Schlachtschiffen streckten sich mit größtmöglicher Reichweite nach der Titan und der Goblin und reichten bis an deren Schilde heran, von denen Geary wusste, dass sie Attacken nicht lange standhalten konnten, zu denen zwei Schlachtschiffe selbst auf diese Entfernung fähig waren.
Die Flanconade schob sich zwischen die Syndiks und die Hilfsschiffe und lenkte für die wenigen Augenblicke das Feuer auf sich, die die feindlichen Schlachtschiffe benötigten, um den Allianz-Zerstörer in Stücke zu reißen.
Die Opfer und Manöver zeigten dennoch Wirkung, da die Zeit genügte, um die Fearless, die Resolution, die Redoubtable und die Warspite in Feuerreichweite gelangen zu lassen. Die vier Schiffe teilten die beiden Gegner unter sich auf, je zwei Allianz-Schiffe konzentrierten sich auf eines der Syndik-Schiffe, bis die Fünfte Schlachtschiffdivision endlich eintraf.
Während die Schlachtschiffe der Allianz abdrehten, verloren die Syndiks deutlich an Fahrt, da ihre Antriebssysteme Treffer abgekommen hatten. Langsam entfernten sich die Titan und die Goblin, und dann kamen Tulevs vier Schlachtkreuzer auf dem zweiten Vorbeiflug aus einer anderen Richtung und feuerten auf die gegnerischen Schlachtschiffe.
Geary blinzelte, während er versuchte, alles in sich aufzunehmen, was sich auf dem Schlachtfeld abspielte. Desjani führte die Dauntless, die Daring und die Victorious gegen ein verletztes Syndik-Schlachtschiff, anderswo gingen die Vengeance und die Revenge gegen das verbleibende Schlachtschiff vor, das um ein Haar die Titan und die Goblin zerstört hätte. Die anderen Schlachtschiffe der Syndiks, die noch kampftauglich waren, hatte man längst ihrer Eskorten beraubt, sodass sie ungeschützt jeden Treffer einstecken mussten, der auf sie abgefeuert wurde. Die Syndik-Formation war völlig zerfallen und bestand jetzt nur noch aus einer Spur aus demolier-ten Schiffen und Trümmern, die bis dorthin zurückreichte, wo sich noch vor Kurzem die Verlustflotte befunden hatte.
Die einzige organisierte Syndik-Streitmacht, die im System noch existierte, bestand aus zwei Schlachtschiffen und zwei Schlachtkreuzern, die zusammen mit ihren Eskortschiffen auf dem Weg zum Hypernet-Portal waren. »Wir haben gesiegt.«
Die Höllenspeere der Dauntless bohrten sich in das Syndik-Schlachtschiff, dann hinterließen die Null-Felder der Dauntless, der Daring und der Victorious riesige Löcher im Rumpf.
Desjani atmete tief durch, während die Dauntless sich vom ge-schlagenen Feind abwandte. Sie sah zu Geary und nickte be-stätigend. »Ja, Sir. Sie haben's geschafft.«
»Wir haben gesiegt«, wiederholte er. »Diese Flotte hat den Sieg errungen, nicht ich.«
»Sie haben dabei geholfen«, warf Rione lakonisch ein.
Geary holte tief Luft, dann wandte er sich an seine Flotte:
»An alle Schiffe der Allianz-Flotte: Lösen Sie die Formation auf und nehmen Sie die Verfolgung auf. Stellen Sie sicher, dass kein Syndik-Kriegsschiff entkommt. Zerstörer und Leichte Kreuzer, die nicht in Kämpfe mit dem Feind verwickelt sind, bergen alle Rettungskapseln unserer Schiffe.«
Das Lakota-System war nun übersät mit Wracks, Wrack-teilen und Hunderten von Syndik-Rettungskapseln. Gearys Schiffe stellten den letzten überlebenden feindlichen Schiffen nach, um sie in Stücke zu schießen, was die Menge der Trümmer und die Zahl der Rettungskapseln nur noch weiter anwachsen ließ.
Sie hatten gesiegt, aber sie hatten teuer dafür bezahlt. Die Majestic war zerstört worden, ebenso die Schweren Kreuzer Utap, Vambrace und Fascine. Die Verteidiger der Hilfsschiffe hatte ebenfalls schwere Verluste hinnehmen müssen. Neben der Flanconade waren die Leichten Kreuzer Brigandine, Carte und Ote vernichtet worden, außerdem die Zerstörer Armlet, Kukri, Hastarii, Petard und Spiculum. Die meisten anderen Schiffe hatten in unterschiedlichem Maß Schäden davongetragen und Besatzungsmitglieder verloren. Aber im Vergleich zu den Verlusten der Syndiks war das noch harmlos. Trotzdem musste Geary gegen Depressionen ankämpfen, als er darüber nachdachte, wie viele seiner Leute den Tod gefunden halten.
»Sir, die Warrior ist nicht mehr zu retten«, erklärte Desjani ernst.
Er konnte ihr nicht widersprechen, obwohl er das nur zu gern getan hätte. Die Warrior hatte so hervorragend gekämpft, ihre Crew hatte zum Schutz der Hilfsschiffe weit mehr geleistet, als es die Dienstpflicht verlangen konnte. Doch das schon zuvor beschädigte Schlachtschiff war von Treffern übersät und die Antriebssysteme waren ausgefallen. Keine Waffe war mehr einsatzbereit, und durch die Löcher im Rumpf entwich die Atmosphäre. Beim Anblick der Anzeigen, die den Zustand der Warrior auf seinem Display berichteten war Geary brutal daran erinnert worden, wie das Wrack der Audacious ausgesehen hatte. »Commander Suram«, befahl er. »Sie und Ihre Crew haben auf eine Weise gehandelt, die Ihre Vorfahren auf das Höchste ehrt. Aber die Warrior ist nicht zu retten, verlassen Sie also das Schiff.«
Lange bevor eine Antwort hätte eingehen dürfen, rief der Komm-Wachhabende: »Wir empfangen eine Audiomitteilung von der Warrior. Sehr schwach, aber wir können sie verstärken.«
Geary nahm die eingehende Nachricht an und hörte Commander Surams Stimme. Sie klang seltsam verzerrt, was an der elektronischen Verstärkung der Übertragung lag. »Alle Systeme ausgefallen, ausgenommen die Notfallkontrollen für den Antrieb. Den versuchen wir abzuschalten. Die Warrior kann den Kampf nicht fortsetzen. Etliche Rettungskapseln wurden beim letzten Schlagabtausch beschädigt oder zerstört.
Diejenigen Besatzungsmitglieder, die in den Überlebenskap-seln Platz finden können, sollen das Schiff verlassen. Auf die Ehre unserer Vorfahren.«
»Den Kampf fortsetzen?«, fragte Geary verwundert.
»Da alle Systeme ausgefallen sind, sind sie praktisch blind«, erklärte Desjani. »Mit dem bloßen Auge und der Verstär-kungsausrüstung ihrer Schutzanzüge können sie Anzeichen für einen Kampf erkennen, aber ihnen ist nicht klar, dass das unsere Schiffe sind, die die restlichen Syndiks erledigen.
Wir müssen Schiffe rüberschicken, die die Crew der Warrior an Bord nehmen können«, fügte sie rasch an. »Ich empfehle…«
»Sir«, rief ein anderer Wachhabender beunruhigt dazwischen. »Wir registrieren Anzeichen dafür, dass der Antrieb der Warrior fluktuiert. Das Notfallkontrollsystem muss ebenfalls beschädigt worden sein und kurz vor dem Totalausfall stehen.«
»Wie lange noch, bis da alles hochgeht?«, wollte Desjani wissen.
»Unmöglich zu sagen, Captain. Es könnte halten, bis sie die Abschaltung vorgenommen haben, es kann aber auch schon längst passiert sein, und wir haben nur noch nicht das Licht davon gesehen.«
Desjani sah Geary ernst an. Er nickte, weil er wusste, was zu tun war. Jedes Schiff, das sich der Warrior näherte, um die dort festsitzenden Crewmitglieder zu retten, riskierte, von der Explosion erfasst zu werden. »Wen wollten Sie für die Bergung der Crew empfehlen?«
»Die Schiffe des Zwanzigsten Zerstörergeschwaders«, antwortete sie prompt. »Die sind noch dicht beieinander, und sie befinden sich in einer guten Position. Aber die Warrior ist vom Kampfgeschehen abgedriftet, nachdem sie getroffen wurde.
Oder besser gesagt: Das Kampfgeschehen hat sich von ihr fort verlagert, und sie hat sich nicht mehr von der Stelle gerührt.
Unsere Zerstörer werden gut eine halbe Stunde benötigen, um dorthin zu gelangen und sich an die Geschwindigkeit des Wracks anzupassen.«
»Okay.« Geary tippte auf seine Kontrollen und überlegte, was er am besten sagen sollte. »An das Zwanzigste Zerstörergeschwader: Crewmitglieder der Warrior sitzen an Bord ihres Schiffs fest. Der Antrieb des Schiffs fluktuiert unkontrolliert und kann jeden Moment hochgehen. Ich bitte um Mitteilung, welche Ihrer Zerstörer sich freiwillig melden, um sich der Warrior zu nähern und eine Rettung der Uberlebenden zu versuchen.«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, auch wenn ihm die Zeit bis dahin wie eine Ewigkeit vorkam. »Sir, hier spricht Lieutenant Commander Pastak von der Gavelock. Freiwillig melden sich Arabas, Balta, Dao, Gavelock, Kururi, Sabar und Wairbi. Alle Schiffe begeben sich mit maximaler Beschleunigung zur Warrior.«
Geary überprüfte die Anzeige auf dem Display und stellte fest, dass jeder überlebende Zerstörer des Geschwaders sich freiwillig gemeldet hatte. »Sorgen Sie dafür, dass ich das nicht vergesse«, raunte er Desjani zu.
»Das werde ich machen«, versicherte sie ihm. »Hatten Sie irgendetwas anderes erwartet?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich verdammt stolz bin, diese Flotte befehligen zu dürfen.«
»Geschätzte Zeit bis zum Eintreffen der Zerstörer bei der Warrior beträgt dreiundzwanzig Minuten«, meldete der Steuer-Wachhabende.«
»Versuchen Sie, den Überlebenden der Warrior eine Nachricht zukommen zu lassen, dass die Zerstörer auf dem Weg zu ihnen sind.«
»Jawohl, Sir. Wir stehen jetzt mit den Rettungskapseln in Verbindung, die von der Warrior gestartet wurden, und werden versuchen, über sie mit dem Schiff in Kontakt zu treten.«
Geary nickte fast gedankenverloren, da er sich unwillkürlich vorstellte, was sich in diesen Sekunden an Bord der Warrior abspielen musste. Die wenigen Matrosen, die an der An-Iriebseinheit arbeiten konnten, versuchten alles, um sie unter Kontrolle zu bekommen, während die anderen in den Ruinen des Schiffs auf die Rettung oder auf den Tod warteten. »Befindet sich Commander Suram in einer der Rettungskapseln?«, fragte er, ahnte aber längst die Antwort darauf.
»Nein, Sir. Der ranghöchste Offizier in den Kapseln ist ein Lieutenant Rana, der schwere Verletzungen davongetragen hat.«
Während er die Symbole auf seinem Display betrachtete, welche die Rettungskapseln darstellten, die mit hoher Geschwindigkeit die Warrior verließen, kam es ihm mit einem Mal vor, als würde er das alles wie aus weiter Ferne miterleben.
Er fühlte sich wie betäubt, weil dieser Tag so viele Opfer gefordert hatte. Rettungskapseln waren so konstruiert, dass sie von ihrem Schiff förmlich weggeschossen wurden, da man davon ausging, dass es von entscheidender Bedeutung war, möglichst schnell das Schiff hinter sich zu lassen und in eine sichere Entfernung zu gelangen. In diesem Fall war die Annahme besonders zutreffend. »Wie lange noch, bis die Rettungskapseln die Gefahrenzone verlassen haben?«
»Fünf Minuten, Sir. Die Schätzung basiert auf dem mitge-teilten Zustand des Antriebs und auf den Werten, die wir empfangen.«
Sieben Minuten später — die Zerstörer des Zwanzigsten Geschwaders waren noch immer sechzehn Minuten von ihrem Ziel entfernt — beobachtete Geary, wie das Bild der Warrior sich zu einer unregelmäßigen Form aus Licht und Trümmern veränderte. Er bestätigte, dass die Rettungskapseln weit genug entfernt waren, um die Schockwelle der Explosion un-beschadet zu überstehen. Dann kniff er die Augen zu, atmete tief durch und rief die Gavelock. »Lieutenant Commander Pastak, ändern Sie bitte den Kurs, um die Rettungskapseln der Warrior zu bergen. Die waren noch nicht weit von ihrem Schiff entfernt, und die Druckwelle des explodierenden Antriebs könnte etliche von ihnen beschädigt haben. Ich danke Ihnen allen für Ihre Bemühungen.«
Pastaks ernste Bestätigung traf wenige Minuten später ein, dann lehnte Geary sich zurück und schloss abermals die Augen.
»Sir?«, flüsterte Desjani ihm zu.
Er schüttelte den Kopf, um ihr klarzumachen, dass er sich nicht unterhalten wollte. Einen Moment später spürte er, wie sie die Hand um sein Handgelenk legte und ihn eine Sekunde lang fest drückte, um ihm wortlos Trost zu spenden. Dann nahm sie ihre Hand wieder weg. Sie wusste, wie er sich fühlte, und aus irgendeinem Grund machte das das Ganze ein wenig erträglicher.