Drei weitere Syndik-Schiffe wurden in Stücke gerissen, dann konzentrierte sich der größte Teil der Allianz-Flotte auf die Verlustflotte des Gegners. Ein erneuter Schwarm Rettungskapseln ließ erkennen, dass etliche an Bord verbliebene Besatzungsmitglieder jene stark beschädigten Kriegsschiffe verließen, die nicht mehr zu einer Gegenwehr fähig waren.
Während sich die Verlustflotte im Schneckentempo vor den Angreifern zurückzog, rückten die Allianz-Schiffe mit vergleichsweise gemächlicher Geschwindigkeit näher, die bei 0,1 Licht beziehungsweise rund dreißigtausend Kilometern in der Sekunde lag.
Aber selbst bei 0,1 Licht waren die Waffen nur für Sekun-denbruchteile in der Lage, ein Ziel zu erfassen und das Feuer zu eröffnen, weshalb automatisierte Systeme erledigten, wo-zu das Reaktionsvermögen eines Menschen nicht mehr aus-reichte.
Die Erste und die Siebte Schlachtkreuzerdivision, die jeweils aus nur drei Kriegsschiffen bestanden, eilten davon, um als Erste in Reichweite zu gelangen. Die Allianz-Schiffe näherten sich der großen, abgeflachten Sphäre der Syndik-Flotte alle von hinten und leicht von oben. Eine Sphäre war eine miserable Gefechtsformation, die vermutlich nur aus dem Grund gewählt worden war, um die Reparaturen möglichst zügig durchführen zu können. Da die in der Verlustflotte verbliebenen Schiffe keine Ausweichmanöver fliegen konnten, war es den Allianz-Kriegsschiffen möglich, unbehelligt durch die Formation zu pflügen und jedes beliebige Schiff anzugreifen. Die Courageous von Captain Duellos führte die Formidable. Und die Intrepid dicht an dem einzigen Schlachtschiff in der feindlichen Formation vorbei, das noch in der Lage gewesen War, einige Waffensysteme hochzufahren. Normalerweise hätte lieh ein Schlachtschiff eine ganze Weile gegen drei Schlachtkreuzer zur Wehr setzen können, aber in diesem Fall waren die Reparaturen an vielen Systemen erst kurz zuvor begonnen worden. Die Schilde waren löchrig, die Panzerung wies etliche Lücken auf, die man noch nicht versiegelt hatte, und der Großteil der Waffen war gar nicht einsatzfähig. Die Allianz-Schiffe entfesselten ein verheerendes Sperrfeuer. Ihre Höllenspeere letzten alles an Bord außer Funktion, was man bis dahin noch halte gebrauchen können.
Als Duellos' Schlachtkreuzer weiterzogen, nahmen sich die Op portune, die Brilliant und die Inspire einen der Schlachtkreuzer und einen in dessen Nähe befindlichen Schweren Kreuzer vor, die es beide geschafft hatten, verschiedene Waf-lensysteme wieder in Betrieb zu nehmen. Ein Wirbel aus Treffern setzte beide Syndik-Schiffe komplett außer Gefecht, während die Siebte Schlachtkreuzerdivision Duellos' Schiffen zu jenem beschädigten Schlachtkreuzer folgte, der bereits früh die Verlustflotte verlassen hatte und versuchte, sich mit den beiden Schlachtschiffen zusammenzuschließen, die weiter ihrer sinnlosen Mission entgegeneilten, die nicht länger einsatzbereiten Syndik-Schiffe schützen zu wollen.
Minuten später führte Captain Tulevs Leviathan seine Schlachtkreuzer an, um zwei weitere Schwere Kreuzer außer (iefecht zu setzen und die restlichen Waffensysteme des Schlachtschiffs unbrauchbar zu machen.
Captain Desjani war in den Zielerfassungsmodus über-gegangen und verfolgte auf ihrem Display, wie die Dauntless, die Daring und die Victorious den Abstand zu den verbliebenen Syndiks verringerten, die noch über funktionstüchtige Waffensysteme verfügten. »Dauntless und Daring, auf die Waffen zielen, Victorious alle übrigen Systeme erfassen«, befahl sie.
Die große Syndik-Formation schoss so schnell vorbei, dass Gearys Sinne gar nichts erfassen konnten, während das Display die Daten in dem Tempo aktualisierte, in dem die Er-gebnisse von den Flottensensoren erfasst und ausgewertet wurden. Der Syndik-Schlachtkreuzer wurde mit einem Symbol versehen, das besagte, dass alle Systeme ausgeschaltet worden waren, während die Wachhabenden der Dauntless die Folgen des schwachen Feindbeschusses über die Brücke riefen. »Ein Höllenspeer-Treffer an den vorderen Schilden.
Keine Schäden. Daring meldet zwei Treffer, keine Schäden.
Victorious meldet keine Treffer.«
»Das läuft viel zu glatt«, murmelte Desjani.
»Die zwei Schlachtschiffe vor uns werden schon noch genug Widerstand leisten«, versicherte Geary ihr.
»Ja, stimmt.« Ihre Miene hellte sich auf, und sie konzentrierte sich auf die nächsten Ziele ihres Schiffs.
Gut fünf Minuten später wurde die Verlustflotte von der Sechsten Schlachtkreuzerdivision getroffen. In Captain Badayas Division hatten nur die Illustrious und die Incredible überlebt, doch das war mehr als genug, um sich die beiden bereits beschossenen Schweren Kreuzer vorzunehmen, die als einzige noch funktionstüchtige Waffen besaßen. Als schließlich die beiden noch ausstehenden Schlachtkreuzer der Allianz auf die Schweren Kreuzer einprügelten, verließ ein letzter Schwall Rettungskapseln die Syndik-Kriegsschiffe in der Verlustflotte. Damit hatten nun auch die letzten Besatzungsmitglieder die Flucht ergriffen und bezeugten damit, dass alle Hoffnung auf Widerstand gegen die Angreifer der Allianz linnlos war.
»Die sprengen ihre Schiffe auch nicht in die Luft«, stellte Rione fest.
»Richtig«, stimmte Geary ihr zu. »Die gleiche Logik wie bei den Reparaturschiffen. Den Syndiks gehört dieses Sternensystem, und sie wissen, wir werden wieder von hier verschwinden. Also hoffen sie, dass sie ihre Schiffe werden bergen können, falls uns keine Gelegenheit bleibt, sie zu zerstören.
Natürlich werden wir ihnen einen Strich durch die Rechnung machen.«
Duellos' Schlachtkreuzer holten einen weiteren Schweren Kreuzer ein und nahmen ihn so massiv unter Beschuss, dass das Schiff in mehrere Teile zerbrach. Nicht weit davon entfernt befand sich der beschädigte Syndik-Schlachtkreuzer, der sich quälend langsam in Richtung der beiden Schlachtschiffe bewegte, die sich ihnen zwar tapfer näherten, jedoch immer noch weit entfernt waren. Dicht hinter Duellos' Kriegsschiffen folgten die Schlachtkreuzer der Siebten Division, die im Vorbeiflug die Überreste des Schweren Kreuzers mit einigen weiteren Höllenspeeren traktierten.
Der Syndik-Schlachtkreuzer schien sich in einer aussichtslosen Position zu befinden, aber als Duellos mit der Courageous, der Formidable und der Intrepid zum Entscheidungsschlag anrückte, begann der Feind sich genau im richtigen Moment zu liehen, um nach unten und nach Backbord zu steuern. Duellos' Schiffe waren zu schnell, um noch zeitig reagieren zu können, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als dem Schi£f ein paar Höllenspeere mit großer Reichweite hinterher-zuschicken.
Doch die Brilliant, die Inspire und die Opportune waren noch weit genug entfernt, um eine Kurskorrektur vorzunehmen, mit der sie auf das unerwartete Ausweichmanöver des Syndik-Schiffs reagieren konnten. Gleichzeitig war der Abstand so gering, dass dem Gegner keine Zeit für ein weiteres Manöver blieb, bevor sie in Reichweite gekommen waren.
Geary versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wer die Befehlshaber dieser drei Schiffe waren, doch so sehr er sich auch bemühte, es wollte ihm nicht gelingen. Warum halten diese Kommandanten bislang bei ihm keinen bleibenden Eindruck hinterlassen? Diese Frage irritierte ihn so sehr, dass er sich vornahm, einen Blick in die Akten der drei zu werfen, sobald er Zeit dafür hatte.
Der Syndik-Schlachtkreuzer drehte sich leicht, während die funktionierenden Steuerdüsen Schwerstarbeit leisteten.
Diese veränderte Position versetzte den Schlachtkreuzer in die Lage, die noch einsetzbaren Höllenspeere abzufeuern, woraufhin der Strom aus geladenen Partikeln auf die Brilliant zielte, während sie zusammen mit der Opportune und der Inspire den eigenen Vektor änderte, um nach Steuerbord und nach oben auszuweichen. Die Schilde der Brilliant flammten auf, da sie ein paar Treffer abbekamen, gleichzeitig feuerten sie und die Opportune ganze Salven von Höllenspeeren auf das Syndik-Schiff ab. Dessen geschwächte Schilde brachen sofort zusammen, sodass die folgenden Höllenspeere sich in den Rumpf fraßen, die Hülle zerschnitten, die Ausrüstung zerstörten und jedes Besatzungsmitglied töteten, das sich im falschen Moment am falschen Ort aufhielt.
Als die Leviathan, die Dragon, die Steadfast und die Valiant den Schlachtkreuzer erreichten, waren dessen Steuerdüsen komplett ausgefallen, und er konnte das Feuer nur noch mit einem einzigen Höllenspeer erwidern. Tulevs Schlachtkreuzer schossen ihre Waffen auf das Schiff ab, dann zogen sie weiter zu den Schlachtschiffen und den Leichten Einheiten, um sich ihnen anzuschließen, während hinter ihnen eine stumme Schiffshülle zurückblieb.
»Waffen und Antriebseinheiten sind komplett tot, aber Irgendwas funktioniert immer noch, und die Crew hat noch nicht das Schiff verlassen«, merkte Desjani an und redete dabei in einem fast flehenden Tonfall, damit Geary endlich den Befehl gab, die Dauntless wenden zu lassen, um dem Syndik-Kriegsschiff den Todesstoß zu versetzen.
Geary nickte, ohne den Blick vom Display zu nehmen. »Die Daring ist in der besseren Position, um das Schiff zu erledigen.
Sollen sie das übernehmen.« Desjani nickte, machte aber keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung.
Die Daring drehte sich leicht zur Seite, schoss an dem flug-unfähigen Syndik-Schlachtkreuzer vorbei und ließ eine Salve Höllenspeere auf ihn niederprasseln. Während er das Wrack hinter sich zurückließ, verging es in einer gewaltigen Explosion, als der Antrieb überhitzt wurde. »Sind da eigentlich Irgendwelche Rettungskapseln entkommen?«, fragte Geary, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er keinerlei Aktivitäten In dieser Hinsicht beobachtet hatte.
Ein Wachhabender schüttelte den Kopf. »Ein paar Kapseln wurden gestartet unmittelbar bevor der Antrieb in die Luft ging, aber die wurden alle von der Explosion erfasst.«
»So ein Bastard«, murmelte Desjani, womit sie den Befehlshaber des feindlichen Schiffs meinte, der zu lange gewartet halle, bevor er seinen Leuten gestattete, von Bord zu gehen.
»Es stört Sie, dass Syndiks sterben?«, fragte Geary, der über Desjanis Verhalten nur staunen konnte. Für Tanya Desjani war es nicht nur eine Pflicht, feindliche Schiffe zu zerstören und (Irren militärische Besatzung zu töten, sondern üblicherweise verschaffte ihr das auch eine wohlige Befriedigung ihrer Rach-sucht.
Seine Frage machte sie stutzig. »Es ist schon gut, dass diese Besatzungsmitglieder für uns keine Gefahr mehr darstellen«, erklärte sie. »Aber ihr Kommandant hatte eigentlich die Pflicht, ihnen zumindest eine Chance zu geben. Siewissen, was ich meine.«
Ja, das wusste er nur zu gut. Er selbst hatte vor hundert Jahren dem größten Teil seiner Besatzung auch diesen Befehl gegeben, als sein Kampf bei Grendel sich von verzweifelt zu hoffnungslos wandelte. »Ja, ich weiß.«
Die vorpreschenden Schlachtkreuzer der Allianz waren ganz in ihrem Element, als sie mit hoher Geschwindigkeit die leichteren Einheiten einholten und das Feuer eröffneten, das einer ganzen Reihe von Jägern und Leichten Kreuzern das Ende brachte. Fast nebenbei wurden die beiden verbliebenen Schweren Kreuzer der Syndiks in Stücke gerissen. Als er zusah, wie seine Schlachtkreuzer durch das All pflügten und feindliche Schiffe zerschossen, während die Allianz-Schlachtschiffe immer noch nicht die Verlustflotte erreicht hatten, wurde ihm auf einmal klar, wieso die besten Offiziere der Allianz so versessen darauf waren, das Kommando über einen Schlachtkreuzer zu erhalten. Ein solches Schiff zu führen, war so ruhmreich wie in früheren Zeiten der Ansturm einer Kavallerieeinheil auf einer Planetenoberfläche. Aber selbst jetzt stellte sich ihm die Frage, wie oft Schlachtkreuzer im Kampf gegen besser gepanzerte Schlachtschiffe aufgeschlitzt worden waren. Und er überlegte, ob diese Schiffe auch nur annähernd so oft ruhmreich über das Schlachtfeld gestürmt waren, wie sie auf der anderen Seite darunter hatten leiden müssen, dass ihre Panzerung eigentlich viel zu schwach war.
Hinter der Dauntless und den anderen Schlachtkreuzern hatten die Allianz-Schiffe leicht den Kurs geändert, um über die Verlustflotte hinwegzufliegen und die beiden Syndik-Schlachtschiffe abzufangen, die immer noch einige Lichtminuten von ihnen entfernt waren. Von allen Seiten schlossen sich ihnen Zerstörer und Leichte Kreuzer an, nachdem sie alle um-liegenden Syndik-Schiffe unschädlich gemacht hatten. Ganz am Ende dessen, was mit viel gutem Willen als die Flottenformation der Allianz bezeichnet werden konnte, befanden sich die vier Schnellen Hilfsschiffe, begleitet von Captain Cresidas zwei Schlachtkreuzern sowie rund zwanzig Leichten Kreuzern und Zerstörern. Im Gegensatz zu den anderen Allianz-Schiffen hatten die Hilfsschiffe ihren Kurs nicht geändert, sondern befanden sich auf direktem Abfängkurs zu den Reparaturschilfen in der Mitte der flachen Blase, die die Verlustflotte darstellte.
»Unsere führenden Schlachtkreuzer sind nur noch zwei Lichtminuten von diesen Syndik-Schlachtschiffen entfernt«, ließ Desjani ihn wissen. »Sie haben vom System die Bezeichnung Syndik-Flotte Bravo erhalten. Ich frage mich nur, warum es ihnen nicht den Namen Syndik-Selbstmordflotte gegeben hat.«
Damit hatte sie zwar grundsätzlich recht, aber Geary zeigte auf die eigenen Hilfsschiffe. »Wenn die es schaffen, sich Irgendwie den Weg zu unseren Hilfsschiffen zu bahnen, dann könnten sie uns ganz empfindlich treffen.«
Desjani schüttelte den Kopf. »Wenn es ihnen gelingen sollte, sich durch alles hindurchzukämpfen, was wir ihnen ent-gegenschleudern, dann sind deren Schilde so geschwächt, dass Cresidas Schiffe sie erledigen könnten.«
»Mir gefällt es nicht, Schlachtkreuzer gegen Schlachtschiffe antreten zu lassen«, hielt er dagegen, da er fürchtete, seine aggressiven Kommandanten könnten durch die bisherigen Erfolge übermütig werden. Andererseits brauchte er gar nicht erst zu versuchen, ihnen den Befehl zu geben, weniger aggressiv ans Werk zu gehen. Keiner von ihnen würde darauf hören.
Er beugte sich vor und tippte auf seine Komm-Kontrollen.
»An alle Schlachtkreuzerformationen! Sobald Sie im Vorbeiflug auf die Syndik-Flotte Bravo gefeuert haben, reduzieren Sie Ihre Geschwindigkeit, bis Sie sie an die der Verlustflotte angepasst haben. Dann warten Sie auf Ihre weiteren Befehle.
Auch alle Allianz-Schlachtschiffe werden ihre Geschwindigkeit an die der Verlustflotte anpassen, sobald die Syndik-Flotte Bravo vernichtet worden ist.«
Noch während er redete, verließen Shuttles die Allianz-Schiffe und nahmen Kurs auf die Verlustflotte, wobei jedes Shuttle sein genau vorgegebenes Ziel ansteuerte. Die meisten waren auf dem Weg zum Wrack der Audacious, andere näherten sich den Reparaturschiffen und den Kriegsschiffen in der unmittelbaren Umgebung, um sicherzustellen, dass die tatsächlich verlassen waren und keine Gefahr darstellten.
Die Shuttles hatten noch nicht ihr jeweiliges Ziel erreicht, da jagten Duellos' Schlachtkreuzer und die Syndik-Flotte Bravo mit einer kombinierten Geschwindigkeit von mehr als 0,2 Licht aneinander vorbei. Bei einem solchen Tempo kam es zu relativistischen Verzerrungen, die den Blick auf Objekte im Raum so veränderte, dass die Zielerfassung schwierig wurde und sich der Zeitraum, in dem man auf den Gegner feuern musste, um eine Chance zu haben, ihn auch zu treffen, auf den winzigsten Bruchteil einer Sekunde verkürzte.
Als sich die beiden Formationen wieder voneinander entfernten, konnte Geary erkennen, dass die Schilde des Syndik-Schlachtschiffs zwar geschwächt aber keine Treffer erzielt worden Waren. Die Syndiks ihrerseits hatten ihre geballte Feuerkraft ganz auf die Formidable konzentriert, da ihnen zweifellos aufgefallen war. dass das Schiff immer noch von der letzten Schlacht gezeichnet war. Die Formidable hatte etliche Treffer einstecken müsen und dabei viel von ihrer Gefechts-tauglichkeit verloren, aber zum Glück waren die Antriebssysteme nicht noch ernsthafter beschädigt worden, sodass sie mit Ihren Schwesterschiffen mithalten konnte.
Die Brilliant, die Opportune und die Inspire feuerten als Nächste auf die Syndik-Schlachtschiffe und schwächten deren Schilde noch etwas mehr, dabei bekam die Opportune jedoch mehrere hässliche Treffer ab.
Tulevs Schlachtkreuzer konzentrierten ihr Feuer auf das Syndik-Schiff in ihrer unmittelbaren Nähe, während sie den Feind an Backbord passierten. Sie brachten die Schilde dazu, an verschiedenen Stellen auszufallen, doch die Dragon musste dabei ein paar Treffer einstecken.
Desjani schickte ihre Schlachtkreuzer los, wobei Geary hoffte, dass sie nicht zu nahe an die nach wie vor gefährlichen Syndiks herangingen. Die versuchten ihr Feuer auf die bereits In Mitleidenschaft gezogene Daring zu richten, aber Desjani hatte ihre Formation so angeordnet, dass die Daring am weitesten vom Gegner entfernt war, damit sie, anders als die Formidable, verschont blieb. Die Dauntless und die Victorious bombardierten das Syndik-Schlachtschiff, dessen Schilde noch weitestgehend unversehrt geblieben waren. Es gelang ihnen, die feindliche Verteidigung weiter zu schwächen, gleichzeitig vermieden sie es, selbst weitere Treffer einzustecken.
Damit blieben die Illustrious und die Incredible ü brig, um wieder das erste Schiff unter Beschuss zu nehmen. Während die letzten beiden Schlachtkreuzer der Allianz aufhörten zu feuern, da der Feind sie längst passiert hatte, wurde deutlich, dass die Schilde der Syndik-Schiffe zwar massiv geschwächt waren, doch die Panzerung, alle Waffen sowie sämdiche übrigen Systeme waren immer noch intakt, während sie unverändert auf die Hilfsschiffe der Allianz zuhielten.
Doch als Nächstes stand ihnen die Begegnung mit den Schlachtschiffen der Zweiten, Fünften und Achten Division bevor. Zwölf Schiffe gegen zwei stellten prinzipiell ein krasses Missverhältnis der Kräfte dar. Hinzu kam noch, dass die Schilde der Allianz-Schiffe mit voller Leistung betrieben wurden, während die der Syndiks sich nur langsam erholten.
Geary grinste, als er sah, dass sich die drei Unterformationen exakt an jenen Einsatzplan gehalten hatte, der ihre Bewegungen genau aufeinander abstimmte. Die Gallant, die Indomitable, die Glorious und die Magnificent hämmerten von oben auf die Syndiks ein, Millisekunden später folgten die Relentless, die Reprisal, die Superb und die Splendid, die sich unterhalb des Gegners befänden, der Sekunden darauf an Steuerbord von der Fearless, der Resolution, der Redoubtable und der Warspite unter Beschuss genommen wurde. Dieser Feuerkraft, die in so kurzer Abfolge die Syndik-Schiffe traf, hatten sie nichts entgegenzusetzen. Zwar erwiderten sie noch das Feuer und konnten auch den einen oder anderen Treffer bei der Glorious und der Fearless verbuchen, aber als die zwölf Allianz-Schlachtschiffe weiterflogen, blieb ein Trümmerfeld an der Stelle zurück, an der sich eines der beiden gegnerischen Schiffe befunden hatte, während das andere als steuerloses Wrack weitertaumelte. Ein paar Rettungskapseln wurden aus den Überresten des Schiffs ausgestoßen, das immer weiter von seinem ursprünglichen Vektor abdriftete.
Als dreißig Sekunden später die Zehnte Schlachtschiffdivision unter Captain Armus auf den Feind traf, blieb den vier Schiffen nichts weiter zu tun, als den Raumschrott in noch kleinere Stücke zu zerschießen.
Geary atmete erleichtert auf, dann öff nete er einen Komm-Kanal, um weitere Befehle zu geben: »An alle Allianz-Schiffe mit Ausnahme der Hilfsschiff-Formation: Nehmen Sie Ihre vorgegebene Position in Relation zum Flaggschiff Dauntless ein.« Auf seinem Display erinnerte die beabsichtigte Formation an einen zerfledderten Ball, der sich oberhalb der Verlustflotte leicht über sie hinaus erstreckte, wobei die Unterfor-malionen rund um die Schlachtkreuzer und Schlachtschiffe eine grobschlächtige Sphärenform aufwiesen. Schön war das zwar nicht anzusehen, aber es würde genügen müssen.
Desjani warf ihm einen fragenden Blick zu, da sie wusste, dass er eigentlich ordentliche Formationen bevorzugte. »Wollen Sie die Brennstoffzellen schonen?«
»Das auch. So müssen unsere Schiffe möglichst wenig ma-növrieren, um ihren Platz einzunehmen. Außerdem habe ich überlegt, dass wir unsere Verfolger täuschen können. Wenn die Flotte etwas unordentlich aussieht und die Syndiks treffen ein, dann werden sie womöglich glauben, dass die Allianz-Flotte immer noch in der gleichen wirren Verfassung ist, in der sie uns gesehen haben, als wir Lakota das erste Mal verließen.«
»Werden sie das auch noch glauben, wenn sie sehen, wie wir den Syndiks in diesem System mitgespielt haben?«, fragte sie zweifelnd.
»Die Chancen standen hier gut genug, dass auch ein unorganisierter Haufen die Syndiks in die Mangel hätte nehmen können. Vielleicht lassen sie sich nicht täuschen. Auf jeden Fall können wir es uns im Moment nicht leisten, Brennstoffzellen zu vergeuden. Sobald unsere Verfolger auftauchen, müssen wir uns schnell in Bewegung setzen, und dann können wir immer noch Ordnung schaffen.«
Alle Allianz-Kriegsschiffe hatten sich um die eigene Achse gedreht, um mithilfe des Antriebs abzubremsen, damit sie nicht zu weit von den unverzichtbaren Hilfsschiffen wegdrifte-ten. Dann nahmen sie die Formation ein, der Geary im Geiste den Namen ›Große Hässliche Kugel‹ gegeben hatte. Diese Situation hatte er im Griff.
Die Syndik-Verfolger waren noch immer nicht eingetroffen, und die nächsten einsatzbereiten Syndik-Schiffe waren fast eine Lichtstunde von hier entfernt, sodass Geary sich einen Moment Ruhe gönnen konnte, um einmal tief durch-zuatmen. Es dauerte nicht lange, da gab er der Versuchung nach und schaltete sich auf die Kamera eines der Marines auf, die die Audacious zurückeroberten.
Die Shuttles hatten nicht nur dort angedockt, wo sich die externen Luftschleusen der Audacious befanden, sondern auch die Stellen genutzt, an denen große Löcher in den Rumpf geschossen worden waren. Einheiten der Marines waren in dem lautlosen Schiff ausgeschwärmt und auf alles gefasst, was ihnen dort begegnen mochte. Gearys Blick aus dem Gefechtsanzug des Soldaten, den er ausgewählt hatte, zeigte das Innere des Schlachtschiffs, das wegen der Schäden und der herrschenden Dunkelheit fremd wirkte. Der Lieutenant und sein Trupp gelangten eben zu einer Luftschleuse, die gerade so weit wiederhergerichtet worden war, dass man sie benutzen konnte. Auf dem weiteren Weg kamen Abschnitte der Schotte ins Blickfeld der Kamera, die notdürftig geflickt worden waren, damit die Atmosphäre nicht entweichen konnte.
Die Marines bewegten sich zügig durch das Schiff. Ihre gepanzerten Kampfanzüge suchten die Umgebung nach Sprengfallen ab und ihre Waffen hielten Ausschau nach möglichen fielen, während sie um Ecken bogen und sich ihren Weg durch lange Gänge bahnten, die mit Trümmern übersät waren. Kein Feind zeigte sich, keine Falle war auszumachen. Das beruhigte jedoch keinen der Beteiligten, sondern steigerte die Nervosität nur noch. Vor ihnen tauchte eine weitere Luke auf, diesmal eine verschlossene. Die Marines blieben stehen und schauten sich wachsam um, die Waffen schussbereit im Anschlag, während einer eine winzige Sprengladung anbrachte, um das Schloss in die Luft zu jagen. »Keine Betäubungsgrana-ten!«, ertönte im gleichen Moment über das Komm-System der Marines.
»Aber, Sarge, dahinter könnten…«
»Dahinter könnten unsere Leute gefangen gehalten werden, und keiner weiß, in welcher Verfassung sie sich befinden.
Wenn sie schlecht dran sind, genügt eine einzige Betäubungs-granate, um sie umzubringen. Es wird nur gezielt geschossen, und das auch nur dann, wenn ihr einen Feind eindeutig als inichen identifiziert habt. Derjenige Mistkerl, der eine Salve auf einen Kriegsgefangenen abfeuert, wird von mir höchstpersönlich erschossen. Ist das klar?« Bestätigendes Gemurmel wurde laut.
Ein Marine fasste nach der Luke und zog sie auf, während seine Kameraden ihre Waffen auf mögliche Angreifer richteten.
Einen Moment lang fürchtete Geary, der Raum hinter der Luke könnte mit toten Allianz-Matrosen übersät sein, doch dann sah er die resignierten, rebellischen und verängstigten Gesichter der Gefangenen, die sich zur Luke umdrehten.
Nach und nach setzten die Männer und Frauen ungläubige Mienen auf, als sie sahen, dass Marines der Allianz vor ihnen standen. »Die Luft da drin ist miserabel«, meldete der Marine-Lieutenant seinem Vorgesetzten. »Der CO2-Gehalt ist viel zu hoch.«
»Schafft sie alle raus«, kam der Befehl zurück. »Der Dritte Zug schließt gerade einen Evakuierungsschlauch an der letzten noch funktionstüchtigen Luftschleuse an, der mit den Shuttles verbunden wird. Los, los, raus mit allen!«
An den Uniformen der Gefangenen waren Abzeichen der verschiedensten Schiffe zu sehen. Auf den ersten Blick erkannte Geary die Symbole der Indefatigable, der Audacious, des Schweren Kreuzers Bassinet und des Zerstörers Talwar. Einige der befreiten Allianz-Matrosen grinsten breit, als die Marines sie aus dem stickigen Abteil holten, andere waren immer noch völlig verblüfft, während sie in Richtung Luftschleuse dirigiert wurden. »Erster Trupp! Säumen Sie die Gänge, damit dir Leute wissen, wohin sie müssen, und treiben Sie sie zur Eile an!«
Ein Chief Petty Officer der Defiant, der einen Arm in einer Schlinge trug, blieb kurz stehen, als er durch die Luke kam.
»Das ist das erste Mal, dass ich froh bin, einen Marine zu sehen«, sagte er zu einem der Männer, während er gierig die frische Luft im Gang einatmete. »Ich könnte Sie küssen.«
»Sorry, Chief, aber Sie sind nicht mein Typ«, gab der Marine zurück. »Versuchen Sie's mal bei meinem Kumpel da drüben.
Aber gehen Sie bitte weiter.«
Über den Komm-Kanal ging eine weitere Meldung ein:
»Hier ist noch ein Abteil, Lieutenant! Sieht so aus, als wären das auch alles unsere Leute!«
»Schafft sie raus und bringt sie zum Evakuierungsschlauch!
Los, los, los!«
Geary unterbrach die Verbindung. Zu gern hätte er weiter mitverfolgt, was sich auf der Audacious abspielte, aber er wusste, dass andere Aufgaben auf ihn warteten. Als er bemerkte, dass Desjani ihn ansah, nickte er ihr zu. »Die Marines schaffen unsere Leute von der Audacious. Sieht so aus, als ob die Syndiks zahlreiche Gefangene gemacht hätten.«
»Gut, dass sie gerettet werden können«, meinte sie und den tete auf das Display vor ihr. »Unsere Hilfsschiffe nähern sich jetzt den Syndik-Reparaturschiffen.«
Die vier Allianz-Hilfsschiffe hatten die vier großen Reparaturschiffe erreicht und gingen nun direkt über ihnen in Position. Förderschläuche wurden von der Unterseite der Schiffe herabgelassen und mit den Syndik-Schiffen verbunden, was so wirkte, als würden sich gigantische Weltraumgeschöpfe mit noch gigantischeren Kreaturen paaren. In gewisser Weise war (las ja auch der Fall.
Geary musste erst eine Weile mit den Menüs seines Displays hantieren, dann endlich gelang es ihm, ein Diagramm aufzurufen, das die Aktivitäten innerhalb der Syndik-Schiffe darstellte. Symbole zeigten Allianz-Ingenieure, die ein Schott nach dem anderen wegsprengten, bis der Weg zu den Rohstoffvorräten frei war. Mit jedem neuen Zugang, der geöffnet wurde, ließ man weitere Förderschläuche herab, um die Be-stände aufzunehmen.
»Ein sonderbar beunruhigendes Bild, nicht wahr?«, murmelte Rione, die von ihrem Platz aufgestanden war und sich jetzt über seine Schulter beugte. »Oder sieht das nur aus dem Blickwinkel einer Frau so eigenartig aus?«
Geary schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn die Förderschläuche erst mal damit anfangen, die Vorräte aus den Syndik-Schiffen zu saugen. Ich schätze, wir sind es einfach nicht gewöhnt, Parasiten von solchen Dimensionen zu erleben.«
»Haben die, was wir benötigen?«
»Zum Teil ja.« Er betrachtete das Display, auf dem etliche überlappende Fenster bis ins Detail zeigten, was die Flotte benötigte und was bislang in den Reparaturschiffen gefunden worden war. Die in kleiner Schrift gehaltenen Listen voller fremdartiger Begriffe machten es ihm unmöglich, sich ein Bild davon zu verschaffen, was da draußen geschah. »Warum können diese Dinger nicht einfach auflisten, wie viel wir von jedem Rohstoff brauchen und wie viel davon reinkommt?
Captain Desjani, könnten Sie Ihren Maschinen-Wachhabenden bitten, mir ein Display zu erstellen, das mir in einfachen Worten sagt, wie weit wir damit sind, die Lager der Hilfsschiffe aufzufüllen?«
Sie nickte und gab den Befehl weiter, dann lächelte sie zufrieden. »Es sind zwei Lastenshuttles von der Titan eingetroffen, Sir. Die Reserven in den Brennstoffzellen werden in Kürze wieder bei fünfundsechzig Prozent liegen. Wir haben außerdem sechzig Kanister mit Kartätschen erhalten, sieben neue Phantome und diverse große Ersatzteile, die wir nicht selbst herstellen konnten.«
»Hervorragend. Ist das alles, was die Titan uns schickt?«
»Wenn die Zeit es zulässt, folgt noch ein drittes Shuttle, Sir.«
Das war sogar noch besser. Unwillkürlich begann Geary zu lächeln. »Wenn wir jetzt noch etwas zu essen bekommen könnten.«
Der Maschinen-Wachhabende war zu ihm gekommen und räusperte sich, um Gearys Aufmerksamkeit zu erhalten. »Verzeihen Sie, Sir. Wenn ich kurz darf…« Mit flinken Fingern tippte er auf die Kontrollen, dann tauchte vor Geary ein Fenster mit Balkendiagrammen auf, die ihm anzeigten, welches Fassungsvermögen die Lager der Hilfsschiffe besaßen, wie viel Material man auf den Syndik-Reparaturschiffen gefunden hatte und wie viel davon bereits umgeladen worden war.
»Danke. Ahm… was zeigt dieser Balken an?«
»Lebensmittel, Sir«, entgegnete der Wachhabende auf die selbstzufriedene Art eines Mannes, der bereits eine Frage beantwortet hatte, die sein Vorgesetzter erst noch stellen wollte. »An Bord aller Syndik-Schiffe, die wir geentert haben, waren auch Lebensmittelvorräte zu finden. Soweit ich weiß, wird auf den zivilen Schiffen ganz passables Essen serviert.
Noch reicht es zwar nicht, aber wir nehmen hier noch mehr Lebensmittel an Bord.«
»Werden Proben auf mögliche Verseuchungen untersucht?«, wollte Rione wissen.
Der Ingenieur sah sie verdutzt an. »Ja, Madam Co-Präsidentin. Davon bin ich überzeugt. Das Gleiche geschieht ja auch bei den Rohstoffen, die wir aus den Lagern holen. Ich werde mich aber noch einmal vergewissern.«
»Die ganze Bandbreite. Makro, Mikro, Nano, organisch, anorganisch«, fügte sie hinzu.
»Ja, Madam Co-Präsidentin. Ich werde dafür sorgen, dass nie alles… ähm…« Der Ingenieur hielt inne, da er ins Grübeln gekommen war, ob Rione ihm und den vier Allianz-Hilfsschiffen überhaupt irgendwelche Befehle erteilen konnte.
»Kümmern Sie sich darum«, sagte Geary.
Erleichtert darüber, dass er einen Befehl von jemandem erhalten hatte, von dem er wusste, dass der tatsächlich Be-fehlgewalt besaß, salutierte der Ingenieur und kehrte hastig zu seiner Station zurück, um die Anweisung weiterzugeben.
»Entschuldigen Sie, dass ich Ihren Wachhabenden in Ver-wirrung gestürzt habe«, erklärte Rione schließlich. »Ich hätte Sie bitten sollen, ihm den Befehl zu erteilen.«
»Nicht so schlimm. Außerdem bin ich froh, dass Sie daran gedacht haben. Bei allem, was sich momentan abspielt, hätte womöglich jemand vergessen zu überprüfen, ob die Syndiks noch schnell ihre Lebensmittelvorräte vergiftet haben, bevor sie ihre Schiffe verließen.«
»Manchmal ist es ganz praktisch, eine verschlagene Politikerin an Bord zu haben, nicht wahr?« Rione kehrte zu ihrem Platz zurück, blieb dort aber stehen, als eine weitere Nachricht bei Geary einging.
Colonel Carabali machte für eine Marine einen zufriedenen Eindruck. »Wir nehmen an, dass wir im Wrack der Audacious alle Bereiche entdeckt haben, in denen Gefangene festgehalten wurden«, meldete sie. »Es ist ein Wunder, dass wir nicht auf Berge von Toten gestoßen sind, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen unsere Leute da untergebracht waren. Aber offenbar haben die höherrangigen Offiziere in jedem dieser Abteile alle Gefangenen auf Trab gehalten, damit sie sich nicht aufgeben. Meine Scouts schätzen, dass dennoch spätestens in vierundzwanzig Stunden die ersten Ge-lungenen gestorben wären. Sie müssen dringend etwas essen, und die Schwerverletzten wurden nur sehr notdürftig erst-versorgt. Leichtere Verletzungen behandelten die Syndiks gar nicht.«
»Wie viele?«, fragte Geary, während er überschlug, wie viele Besatzungsmitglieder sich auf den Schiffen der Allianz befunden haben mussten, die sie in diesem System verloren halten.
»Wir zählen noch. Schätzungsweise neunhundert Matrosen Und Offiziere und achtzehn Marines. Captain Oesida bestand darauf, die meisten von ihnen zur Furious, zur Implacable und zu den Schweren Kreuzern in der Formation zu schicken, Obwohl die Schlachtschiffe auch ein paar Leute an Bord nehmen wollten. Captain Casia hat einige Shuttles abgefangen und zur Conqueror umgeleitet.« Carabalis Tonfall ließ keinen zweifel daran, dass sie es nicht für die Aufgabe der Marines hielt, sich in die Meinungsverschiedenheiten der Flottenoffiziere untereinander einzumischen. »Während wir nicht im System waren, wurden unsere Leute teilweise offenbar auch zu anderen Syndik-Schiffen gebracht. Laut den Gefangenen, die wir befreien konnten, wurden Handelsschiffe herangezogen, um als Gefängnistransporter zu dienen. Irgendeine Chance, dass wir die noch zu fassen bekommen?«
»Eher nicht, und die Chancen sinken von Sekunde zu Sekunde.« Jeden Moment konnten die Syndik-Verfolger durch den Sprungpunkt kommen, und je mehr Zeit verstrich, umso wahrscheinlicher wurde deren Ankunft. »Wir haben hier nur zwei Handelsschiffe passiert, und die waren mit Vorräten vollgestopft. Im System registrieren die Sensoren noch einige Dutzend Syndik-Handelsschiffe, aber die befinden sich alle außer Reichweite. Und was sie an Bord haben, können wir von hier aus schon gar nicht feststellen. Da sich im System keine Arbeitslager finden, müssen wir wohl davon ausgehen, dass alle übrigen Gefangenen auf Schiffen untergebracht waren, die Lakota bereits wieder verlassen haben.«
»Verstehe, Sir. Wir bereiten uns darauf vor, von der Audacious zu verschwinden«, ließ Colonel Carabali ihn wissen. »Was machen wir mit dem Überrest des Schiffs?«
Geary verzog den Mund. So gern er dieses Schiff gerettet hätte, war die Audacious in ihrem gegenwärtigen Zustand doch nicht mehr in der Lage, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Das Schiff konnte auch nicht länger mit den anderen mithalten, und wenn sie es abschleppten, würde das für den Rest der Flotte zu einem unkalkulierbaren Risiko werden. Und sehr wahrscheinlich könnte nicht einmal die beste Werft dieses Schiff wieder auf Vordermann bringen.
Die Audacious war ein tapferes Kriegsschiff, dem jetzt nur noch ein Schicksal blühte — der Schrottplatz. Aber es wäre unsinnig gewesen, den Syndiks all das Metall zur Wiederver-wertung zu überlassen. »Können wir den Antrieb hochgehen lassen?«
»Ja, Sir, er ist noch leistungsfähig genug.«
»Dann programmieren Sie die Überhitzung für sechs Stunden ab jetzt und hauen Sie von da ab.« Sechs Stunden sollten mehr Zeit als genug sein, zumal er sich nicht vorstellen konnte, dass die Allianz-Flotte sich noch so lange mitten in der Verlustflotte aufhalten würde.
»Warten Sie!« Rione beugte sich zu Geary vor und sagte:
»Zerstören Sie die Audacious nicht einfach so.«
Seufzend wandte sich Geary an Carabali: »Befehl ist wider-rufen. Warten Sie einen Moment.« Dann drehte er sich zu Rione um. »Warum sollen wir die Audacious nicht sprengen und sie stattdessen den Syndiks überlassen?«
»Ich will gar nicht, dass Sie sie den Syndiks überlassen«, erwiderte Rione frostig. »Uns sitzen zahlreiche schlagkräftige Syndik-Kriegsschiffe im Nacken, und wir können jede verfügbare Waffe gebrauchen, um ihre Überlegenheit zu unterhöhlen. Programmieren Sie das Schiff so, dass es nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt explodiert, sondern erst dann, wenn die Syndiks an Bord gehen.«
Unwillkürlich verzog er bei der Vorstellung das Gesicht.
Aber so unappetitlich Sprengfällen auch waren, stellten sie unter den gegebenen Umständen eine durchaus akzeptable Waffe dar. Dann kam ihm noch ein anderer Gedanke. »Vielleicht sollten wir alle Schiffe so programmieren, dass sie detonieren, sobald die Syndiks sich wieder an Bord begeben.«
Desjani hörte ihn reden und warf ein: »Nur zu schade, dass ihnen das erst dann wehtun wird, wenn unser Kampf in diesem System vorüber ist.«
»Leider ja«, stimmte er ihr zu. »Aber wir können ja nicht…« Er ließ den Satz unvollendet und sah zu Desjani.
Die machte große Augen und sagte: »Bei allen aufgegebenen Syndik-Schiffen ist der Antrieb voll funktionstüchtig.
Wenn wir diese Schiffe so programmieren könnten, dass sie explodieren, wenn wir das wollen…«
»Wie Minen?«
»Ganz genau. Wie Minen. Wie riesige Minen mit Näherungssensoren. Wir müssten die Syndik-Flotte anlocken, damit sie sich in die Nähe der Verlustflotte begibt.«
»Das wäre ein gigantisches Minenfeld. Könnten wir das hin-bekommen?«, fragte er Desjani.
Sie drehte sich zu ihrem Maschinen-Wachhabenden um.
»Lieutenant Nicodeom, geben Sie mir eine Einschätzung, ob wir ein aufgegebenes Syndik-Schiff so herrichten können, damit es wie eine Mine funktioniert. Der Antrieb soll explodieren, sobald ein Ziel in Reichweite kommt.«
Der Lieutenant machte eine überraschte Miene, dann begann er zu überlegen. »Am einfachsten wäre es vermutlich, eine Sprengladung mit den Kontrollsystemen für den Antrieb zu verbinden. Das würde einige Arbeit bedeuten, Captain, weil die Programmierung der Sprengladungen angepasst werden muss, um den Wirkungsradius der Explosion festzulegen.
Dann muss die Zeitverzögerung berechnet werden, damit alle Schiffe zum richtigen Zeitpunkt gesprengt werden, und es müssen Kontrollkabel verlegt und Schnittstellen zu Kontrollsystemen der Syndiks geschaffen werden.«
»Wo finden sich in der Flotte die dafür nötigen Ressourcen?«, wollte Desjani wissen.
»Die besten Waffeningenieure der Flotte befinden sich auf den Hilfsschiffen, Captain. Und von da bekommen wir auch die Sprengladungen. Am besten ist es, wenn sich das Hilfsschiff direkt zu dem Syndik-Schiff begibt, oder Sie müssten Shuttles mit Personal und Ausrüstung zu den Schiffen schicken.«
Desjanis Lächeln wurde immer breiter. »Haben Sie das mitbekommen, Sir?«
Geary nickte und musste selbst auch lächeln. Alle vier Hilfsschiffe waren von den Syndik-Kriegsschiffen der Verlustflotte umgeben, sie befanden sich also exakt dort, wo sie gebraucht wurden. »Ich glaube, es wird Zeit, Captain Tyrosian zu informieren. Hoffentlich brauchen ihre Ingenieure für den Eilauf-trag keine allzu spezifischen Angaben.«
Wieder meldete sich Lieutenant Nicodeom zu Wort: »Captain Geary, Sir, das ist für sie eine Herausforderung. Wenn sie die Sprengladungen für jedes einzelne Syndik-Kriegsschiff gesondert konfigurieren müssen und das alles in kürzester Zeit zu geschehen hat, dann ist das genau die Art von Herausforderung, die ein guter Waffeningenieur liebt. Für die gibt es nichts Schöneres als sich eine neue Methode ausdenken zu müssen, um etwas Großes in die Luft zu jagen.«
»Danke, Lieutenant.« Geary tippte auf die Komm-Taste, um Kontakt mit Captain Tyrosian aufzunehmen, und erklärte ihr dann in aller Eile, was zu tun war. »Können Ihre Leute das erledigen, Captain?«, fragte er schließlich. »Ich weiß, es ist eine sehr komplexe Herausforderung, und es bleibt nur wenig Zeit, aber mir wurde gesagt, dass die besten Waffeningenieure so etwas zu leisten imstande sind.« Offensichtlicher konnte er es nun wirklich nicht formulieren, aber das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich auf einem Umweg an das Thema heran-zutasten. Außerdem hatte er es mit einer Ingenieurin zu tun, da waren indirekte Fragen ohnehin eher der falsche Weg.
Captain Tyrosians Augen, die manchmal einen glasigen Ausdruck anzunehmen schienen, wenn sie mit Fragen zum Ablauf irgendwelcher Prozesse konfrontiert wurde, leuchteten vor Begeisterung auf. »Aus den verlassenen Syndik-Schiffen wollen Sie Waffen machen? Mit Näherungsdetektoren? Sollen die miteinander verbunden und so aufeinander abgestimmt werden, dass eine Massenexplosion ausgelöst wird?«
»Ja, das wäre großartig.«
»Betrachten Sie es als erledigt, Sir«, verkündete Tyrosian selbstbewusst. »Wann muss alles bereit sein?«
»In etwa zwei Stunden.«
Sie zuckte sichtlich zusammen, nickte dann aber. »Es wird alles bereit sein, Sir.«
Während Tyrosians Bild verblasste, drehte sich Geary zu Rione um. »Danke für den Vorschlag.«
Rione zog beide Augenbrauen hoch. »Ihre Idee hat mit meinem ursprünglichen Vorschlag nur noch wenig zu tun.«
»Ohne Ihren Vorschlag wären wir aber nie auf diese Idee gekommen«, hielt Geary dagegen.
Desjani drehte sich zu Rione und nickte leicht, um seine Worte zu bestätigen, was die mit einem bemühten lächeln quittierte.
Geary tat so, als habe er von dieser Episode nichts mitbekommen, und betrachtete sein Sternendisplay, während er sich das Kinn rieb. »Das Problem wird darin bestehen, die Syndiks in dieses Gebiet zu locken, wenn der Moment gekommen ist. Wir müssen sie in die Falle locken, ohne dass sie merken, was wir mit ihnen vorhaben. Das wird nicht einfach werden.«
»Ich bin davon überzeugt, dass Sie das hinkriegen«, meinte Rione.
»Wir haben bereits Köder ausgelegt, die sie zur Verlustflotte locken sollen«, merkte Desjani an.
Stirnrunzelnd betrachtete er das Display. Ihm war klar, dass sie damit die Hilfsschiffe meinte. Ohne diese Schiffe war die Allianz-Flotte erledigt, da ihr die Brennstoffzellen und die Munition ausgehen würden, lange bevor sie auch nur in die Nähe des Allianz-Gebiets gekommen waren. Also war es von entscheidender Bedeutung, dass diese Schiffe ganz besonders geschützt wurden. Natürlich waren sie damit auch der beste Köder, um den Feind anzulocken. »Wir haben sie damit bei Sancere auch schon mal angelockt. Meinen Sie, die lassen sich nochmals hinters Licht führen?«
»Wir müssen es diesmal einfach nur anders anstellen«, entgegnete Desjani.
»Irgendeine Idee?«, fragte er.
Wie sich im nächsten Moment zeigte, hatte sie sogar einige Ideen. Es war nichts, was ihm uneingeschränkt zusagte, aber es genügte, um damit zu spielen und einen Plan auszuarbeiten.
Hin und wieder schaute er zu Rione, um festzustellen, ob sie auch etwas dazu beizutragen hatte, doch sie saß nur da und schaute mit versteinerter Miene auf ihr eigenes Display.
»Captain Tyrosian, stellen Sie alle Shuttles und alle Leute, die nicht damit beschäftigt sind, die Reparaturschiffe leerzuräumen oder die Sprengladungen zu platzieren, dazu ab, deutlich sichtbar die anderen Syndik-Schiffe zu plündern.«
Tyrosian, die zweifellos gerade eben dazu hatte ansetzen wollen, voller Stolz von den Fortschritten zu berichten, die ihre Leute machten, verstummte gleich wieder und sah ihn verwirrt an. »Sir?«
»Die Syndiks sollen sehen, dass wir uns völlig verzweifelt alles unter den Nagel reißen, was wir nur kriegen können«, erklärte Geary. »Lebensmittel und alles andere. Die sollen glauben, dass Sie so lange wie möglich bei der Verlustflotte bleiben, um alles einzusammeln, was Sie finden können. Wir müssen einen verzweifelten Eindruck erwecken, damit sie glauben, dass wir dringendst unsere Vorräte aufstocken müssen.«
»Wir… müssen dringendst unsere Vorräte aufstocken, Sir«, wandte Tyrosian ein.
Desjani konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen, stattdessen gab sie einen erstickten Laut von sich, den Geary lieber ignorierte. »Captain Tyrosian«, erklärte er geduldig.
»Sobald die Verfolgerflotte auftaucht, werden wir die Hilfsschiffe länger bei der Verlustflotte verweilen lassen, als es unter Sicherheitsaspekten ratsam wäre. Die Syndiks werden sich ohnehin auf Sie konzentrieren, da die vier Hilfsschiffe für sie von ganz besonderem Interesse sind. Aber wir müssen den Syndiks einen plausiblen Grund geben, wieso Sie weiter bei der Verlustflotte bleiben, obwohl der Feind anrückt.
Wenn die glauben, dass Sie Vorräte zusammensuchen, ohne die wir aufgeschmissen sind, dann haben wir den plausiblen Grund.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fragte Tyrosian: »Wir sind schon wieder der Lockvogel?«
»Ja, Captain, Sie sind abermals der Lockvogel.«
Tyrosian wirkte niedergeschlagen, nickte dennoch. »Verstehe, Sir.«
»Ich muss wohl nicht extra betonen«, fühlte er sich veranlasst zu sagen, »dass wir alles tun werden, um Ihre Schiffe davor zu bewahren, dass sie tatsächlich vernichtet werden.«
»Danke, Sir. Das weiß ich zu schätzen.«
»Ich werde Ihnen einen detaillierten Einsatzplan für Ihr Schiff zukommen lassen, sobald die Verfolgerflotte eingetroffen ist und wir ihre Bewegungsvektoren kennen. Vielen Dank, Captain Tyrosian.«
Zwanzig Minuten später waren Matrosen in Schutzanzügen damit beschäftigt, Vorräte aus den geplünderten Syndik-Schiffen auf Shuttles zu verladen, als auf einmal der Alarm ertönte, den Geary schon vor Stunden erwartet hatte.
»Die Syndik-Flotte ist durch den Sprungpunkt von Ixion gekommen«, meldete ein Wachhabender fast gleichzeitig.
Gebannt hielt Geary den Atem an, während die Flottensensoren die feindliche Streitmacht analysierten, die aus dem Sprungpunkt geflogen kam, der nun fünfzehn Lichtminuten entfernt war. Das bedeutete, dass die Syndiks bereits eine Viertelstunde lang hatten überlegen können, wie sie vorgehen sollten, ehe die Allianz-Flotte überhaupt deren Ankunft hatte sehen können.
Die Anzahl der Jäger und der Leichten Kreuzer in der Verfolgerflotte war trotz der ihnen von der Allianz-Flotte zugefügten Verluste immer noch beeindruckend groß. Dagegen hatten sich die Reihen der Schweren Kreuzer deutlich gelichtet.
Beim letzten Aufeinandertreffen in diesem System waren etliche zerstört worden und man hatte zweiundzwanzig der Schiffe bei der schwer beschädigten Flotte zurückgelassen.
Neun dieser zweiundzwanzig waren bereits vernichtet, den Rest hatte man aufgegeben. In der Verfolgerflotte befanden sich jetzt nur noch sechzehn Schwere Kreuzer.
Dann folgten die großen Kriegsschiffe aus dem Sprungpunkt. Erst zehn Schlachtschiffe, dann fünfzehn, schließlich einunddreißig. Sechs Schlachtkreuzer, dann dreizehn.
»Einunddreißig Schlachtschiffe, dreizehn Schlachtkreuzer«, zählte Desjani. »Nicht ganz so schlimm.«
»Aber die sind allesamt in einem besseren Zustand als unsere«, entgegnete Geary und ging noch einmal die Zahlen durch, obwohl er sie längst kannte. Die Allianz-Flotte verfügte noch über zweiundzwanzig Schlachtschiffe, zwei Scout-Schlachtschiffe und siebzehn Schlachtkreuzer. Dazu kamen neunundzwanzig Schwere Kreuzer. Aber etliche der Allianz-Schiffe hatten erhebliche Schäden erlitten, und auch wenn inzwischen die Munitionsvorräte aufgefüllt worden waren, mussten sie davon ausgehen, dass die Syndiks weitaus mehr Munition zur Hand hatten.
Einunddreißig feindliche Schlachtschiffe. Geary nahm sich einen Moment Zeit, um sich zu entspannen. Er wusste, er hatte diese feindliche Schlagkraft zu respektieren, ohne sich davon verrückt machen zu lassen. »Unser einziger Vorteil ist die große Zahl an Schweren Kreuzern«, sagte er schließlich.
Desjani schüttelte den Kopf. »Wir haben noch einen anderen großen Vorteil«, widersprach sie ihm. »Als dieser Syndik-Commander uns das letzte Mal gesehen hat, da waren wir auf der Flucht. Seitdem hatte er elf Tage Zeit, um dieses Bild von uns in seinem Kopf zu festigen. Nun sieht dieser Commander, welchen Schaden wir hier angerichtet haben, und das wird ihn wütend machen. Überheblichkeit und Wut sind eine Kombination, die zu gedankenlosem Handeln verleitet, Sir.«
»Dem kann ich nichts entgegensetzen«, meinte Geary.
Unwillkürlich überlegte er, ob seine eigene Überheblichkeit und seine Wut auf jene Befehlshaber in seiner Flotte, die bei jeder Gelegenheit gegen ihn arbeiteten, ihn womöglich auch zu gedankenlosem Handeln verleitet hatten, als er das erste Mal entschied, nach Lakota zu fliegen. Allerdings war das jetzt eigentlich völlig unerheblich. Nun kam es darauf an, sich die vermutliche geistige Verfassung des feindlichen Befehlshabers zunutze zu machen. »Dann wollen wir mal sehen, ob er so reagiert, wie wir das von ihm erwarten.«
Während die Minuten verstrichen, wurde zunehmend deutlicher, dass der Syndik-Kommandant tatsächlich so reagierte wie erhofft. Ob aus Gedankenlosigkeit oder nicht, spielte für den Augenblick keine Rolle. Die Syndiks veränderten leicht ihre Formation, während sie auf einen Abfangkurs zu den Allianz-Schiffen gingen. Die standardmäßige Kastenformation wurde dabei zu einer tiefen rechteckigen Form umgebaut, deren breite Seite der Allianz-Flotte zugewandt war. Diese Formation war vielseitig einsetzbar, da Länge, Breite und Tiefe an unterschiedliche taktische Situationen angepasst werden konnten, aber sie hatte auch ihre Nachteile, da die Feuerkraft nicht so leicht auf einen bestimmten Punkt in einer feindlichen Formation konzentriert werden konnte und sich auch nicht so schnell anders ausrichten ließ. Trotzdem schien es die einzige Formation zu sein, die den Syndik-Befehlshabern beigebracht wurde — oder die einzige, die sie anwenden durften.
»Sie befinden sich auf Abfangkurs zu den Allianz-Schiffen in der Verlustflotte«, merkte Desjani lächelnd an.
Geary überprüfte die verbleibende Zeit bis zum Zusammen-treffen der beiden Flotten. Die Allianz-Schiffe, die alle ihre Geschwindigkeit gedrosselt hatten, um sich genauso schnell zu bewegen wie die Verlustflotte, flogen vor den Verfolgern mit weniger als 0,02 Licht davon. Die Syndik-Schiffe hatten inzwischen 0,079 Licht erreicht. Geary gab in das Steuersystem der Dauntless ein, davon auszugehen, dass die Syndiks bis auf 0,1 Licht beschleunigen würden, und erhielt als Resultat, dass es in zwei Stunden und einundfünfzig Minuten zum Kontakt kommen würde.
Vorausgesetzt natürlich, die Allianz-Schiffe behielten Geschwindigkeit und Kurs bei. Lange Zeit hatte Gearys Plan vor-gesehen, beim Auftauchen der Verfolgerflotte die Flucht anzutreten, weil deren mutmaßliche Flottenstärke ihm gar keine andere Wahl ließ. Das hatte sich nun geändert, da der Plan mittlerweile vorsah, die Verlustflotte als Waffe gegen den Feind einzusetzen. Wenn die Syndiks nicht irgendwann aus unerfindlichen Gründen die Verfolgung aufgeben sollten, würde er sich früher oder später ohnehin dieser Streitmacht stellen müssen, und jetzt hatte er zumindest eine Chance, ihnen einen entscheidenden Schlag zuzufügen.
»Werden die uns abnehmen, dass wir hier auf sie warten?«, fragte Rione.
»Ich hoffe, sie werden glauben, dass wir überlegen, was wir am besten tun sollen«, erklärte Geary.
Ganz so, wie es im Heimatsystem der Syndiks der Fall gewesen war, als die Allianz-Flotte wertvolle Zeit vergeudet hatte, um darüber zu diskutieren, wer denn nun den Oberbefehl über alle Schiffe übernehmen sollte.
»Die Formation ›Große Hässliche Kugel‹«, fuhr er fort, »wird sie glauben lassen, dass ich nicht mehr das Kommando habe.«
»›Große Hässliche Kugel‹? Ah, verstehe. Sie simulieren Unentschlossenheit und lähmende Panik.«
»Das ist meine Absicht«, bestätigte er und hoffte insgeheim, dass beides auch nur eine Simulation blieb.
Rione kam wieder zu ihm und achtele darauf, dass das ge-räuschdämmende Feld rings um Gearys Kommandosessel aktiviert war. »Sogar mir ist klar, dass das eine sehr riskante Schlacht ist. Wie stehen unsere Chancen?«
»Kommt ganz drauf an«, antwortete er und bemerkte ihre heftige Reaktion. »Ganz ehrlich. Wenn gewisse Dinge so laufen, wie ich sie geplant habe, dann stehen unsere Chancen gut.«
»Und wenn nicht?«
»Dann sieht es düster aus. Aber früher oder später müssen wir sowieso gegen sie kämpfen.«
Sie musterte ihn einige Sekunden lang. »Ich muss Ihnen ja wohl nicht sagen, wie wichtig es ist, dass die Dauntless ins Allianz-Gebiet zurückkehrt. Nicht die ganze Flotte, sondern die Dauntless. Der Hypernet-Schlüssel an Bord kann die entscheidende Wende in diesem Krieg herbeiführen, selbst wenn wir jedes andere Schiff verlieren sollten.«
Er starrte auf das Deck. »Das weiß ich. Warum sagen Sie mir das, wenn Sie wissen, dass Sie es mir eigentlich nicht sagen müssen?«
»Weil Sie immer noch den Schwerpunkt darauf legen, einen möglichst großen Teil der Flotte nach Hause zu bringen. Sie dürfen aber nicht vergessen, worauf es ankommt.
Wenn Sie vor der Wahl stehen, die Dauntless zu verlieren, während Sie versuchen, die Flotte zu retten, oder die Dauntless nach Hause zu bringen, auch wenn noch so viele Allianz-Schiffe vernichtet werden, dann verlangt Ihre Pflicht von Ihnen, sich ganz auf das Wohl der Dauntless zu konzentrieren.«
»Ich brauche keine Vorträge zum Thema Pflicht«, brumm-te Geary. Natürlich hatte Rione mit dem recht, was sie sagte, aber es war nicht das, was er sich anhören wollte.
»Die anderen Schiffe könnten die Verfolger aufhalten, während sich eine schnelle Eingreiftruppe um die Dauntless schart, die mit so vielen Brennstoffzellen beladen ist, wie sie fassen kann, um sich auf den Weg in Richtung Allianz-Gebiet zu machen«, beharrte Rione in gefühllosem Tonfall.
»Um die Flucht zu ergreifen, wollten Sie doch sagen. Sie möchten, dass die Dauntless sich mit ein paar Schiffen da-vonstiehlt, während der Rest seinem Schicksal überlassen wird.«
»Ja!« Wieder schaute er Rione an und erkannte in ihren Augen, dass ihr selbst nicht gefiel, was sie da vorschlug, dass sie sich aber gezwungen sah, darauf zu drängen. Ihre Pflicht.
Die Pflicht gegenüber der Allianz. »Sie müssen in größeren Dimensionen denken, Captain John Geary! Wir alle müssen das! Es geht nicht um das, was wir wollen, sondern um das, was wir tun müssen.«
Abermals sah er aufs Deck. »Was wir tun müssen, um zu gewinnen. Sind wir also wieder an diesem Punkt angelangt?«
Sie erwiderte nichts. »Tut mir leid, aber dafür bin ich der falsche Held. Was Sie vorschlagen, kann ich nicht machen.«
»Es ist noch genug Zeit, um…«
»Ich habe nicht gesagt, dass es nicht machbar ist, sondern dass ich das nicht machen kann. Ich werde diese anderen Schiffe nicht ihrem Schicksal überlassen. Ich lasse nicht zu, dass über-geordnete Interessen für mich das Argument sein sollen, um diesen Männern und Frauen in den Rücken zu fallen, die mir ihr Leben anvertraut haben.«
Flehend und wütend zugleich fauchte Rione: »Die haben alle einen Eid abgelegt, für die Allianz ihr Leben zu geben.«
»Das ist richtig. Und das habe ich auch gemacht.« Schließlich sah er sie wieder an. »Aber ich kann das nicht tun, selbst wenn die Allianz dadurch den Krieg verliert. Der Preis dafür wäre zu hoch.«
Ihre Wut steigerte sich weiter. »Wir können jeden Preis bezahlen, der erforderlich ist, Captain Geary. Für unser Zuhause, für unsere Familien.«
»Soll ich das etwa ihren Familien erzählen? »Bürger der Allianz, ich habe eure Eltern, eure Partner, eure Kinder geopfert, aber ich habe es für euch getan.« Wie viele Leute würden sich wirklich auf diesen Handel einlassen? Hätte irgendjemand, der sich auf einen solchen Handel einlässt, den Sieg überhaupt verdient?«
»Wir alle lassen uns darauf ein, jeden Tag! Das wissen Sie ganz genau. Jeder Zivilist lässt sich darauf ein, wenn er das Militär in den Krieg schickt. Wir wissen, dass diese Leute ihr Leben für uns aufs Spiel setzen.«
Damit hatte sie auch recht, allerdings nicht so ganz. »Diese Leute vertrauen uns, dass wir nicht sinnlos Leben vergeuden«, widersprach Geary. »Ich werde nicht das Leben der Menschen in dieser Flotte gegen einen Hypernet-Schlüssel der Syndiks eintauschen. Ich werde sie führen, und ich werde mit allem kämpfen, was mir zur Verfügung steht, um den Schlüssel nach Hause zu bringen. Aber ich werde nicht deren Leben für diesen Schlüssel abschreiben. Der Moment, in dem ich entscheide, dass jeder Preis gerechtfertigt ist, ist der Augenblick, in dem ich mein Vertrauen und das verrate, was ich als meine Pflicht ansehe. Wir werden gemeinsam siegen oder gemeinsam verlieren, und zwar auf ehrbare Weise.«
Eine Zeit lang starrte Rione ihn an, dann schüttelte sie den Kopf. »Einerseits bin ich wütend auf Sie, andererseits sehr dankbar dafür, dass ich Sie nicht überzeugen konnte. Ich bin kein Monster, John Geary.«
»Das habe ich auch nie behauptet.« Er drehte sich zum Display um, das die Bewegungen der Kriegsschiffe in diesem System deutlich anzeigte. »Aber viele Menschen werden heute aufgrund der Entscheidungen sterben, die ich bislang getroffen habe und gleich noch treffen werde. Manchmal frage ich mich, was das aus mir macht.«
»Sehen Sie Ihren Kameraden in die Augen, Captain Geary«, erwiderte sie leise. »Jenen Kameraden, die Sie nicht im Stich lassen wollen. Was sich in deren Augen spiegelt, das ist das, was Sie sind.«
Rione kehrte auf ihren Platz zurück. Geary atmete tief durch und bemerkte, dass Captain Desjani zumindest so tat, als ob sie völlig in ihre Arbeit vertieft sei. Er fragte sich, was sie sich wohl über seine Unterhaltung mit Rione zusammenge-reimt haben mochte.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, aber auch, weil die Situation es erforderte, nahm er mit Captain Cresida Kontakt auf. »Ich werde den Hilfsschiffen den Befehl geben, sich in zwei Stunden zurückzuziehen. Bis dahin werden sie weiter so tun, als ob sie in aller Hektik alles zusammenklauben, was sie finden können.«
Cresida nickte, und allein daran, wie hastig sie das machte, war ihr die Nervosität vor der bevorstehenden Schlacht anzumerken. Die einunddreißig Syndik-Schlachtschiffe und die dreizehn Schlachtkreuzer steuerten geradewegs auf ihre Schiffe zu, und als Schutz für die Hilfsschiffe standen nur zwei Schlachtkreuzer, vier Schlachtschiffe — von denen drei in unterschiedlichem Ausmaß reparaturbedürftig waren — sowie eine Schar beschädigter Eskortschiffe zur Seite. »Wir werden die Hilfsschiffe beschützen, aber wir benötigen Verstärkung.«
»Die werden Sie bekommen«, versprach Geary. »Die Furious und die Implacable. sollen sich nicht auf einen Nahkampf mit den Syndik-Schlachtschiffen einlassen. Versuchen Sie lieber, deren Angriff zu stören.« Er zitierte Ratschläge aus einem hundert Jahre alten Handbuch, das in Friedenszeiten verfasst worden war, und hatte es doch mit einer Offizierin zu tun, die Dutzende von Schlachten ausgetragen hatte.
Cresida aber nickte, als hätte Geary ihr eine geheime Weis-heit anvertraut. »Die Warrior kann nicht so gut manövrieren, um Angriffen auszuweichen. Sie wird sich den Gegnern stellen müssen. Wie es mit der Majestic und der Orion aussieht, weiß ich nicht.«
Gearys Statusanzeige der verschiedenen Schiffe sagte ihm, dass die beiden ihre Manövrierfähigkeit größtenteils zurückerlangt hatten, daher nahm er an, dass Cresidas Zweifel eher den Punkt betrafen, wie sie reagieren würden, wenn sie sich mit der Masse an Syndik-Schlachtschiffen konfrontiert sahen. Er war sich selbst nicht sicher, was dann passieren würde. »Verstehe.
Die Conqueror sollte lhnen jedenfalls keine Probleme bereiten.«
Captain Casia stand bei genauer Betrachtung über Cresida, doch Geary hatte mit äußerster Präzision seine Befehle so formuliert, dass Casias Rolle sich ausdrücklich nur auf die unmittelbare Verteidigung der Hilfsschiffe beschränkte, damit er der weitaus fähigeren Cresida nicht dazwischenfunken konnte.
»Ich hoffe, die Conqueror bereitet den Syndiks einige Probleme«, gab Cresida zurück.
»Das hoffe ich auch. Wir werden den Angriff stören, bevor er bis zu Ihnen vorgedrungen ist. Das sollte genügend Schaden anrichten, damit der Plan funktioniert.«
Cresida lächelte und erschreckte damit Geary. »Falls nicht, gibt es schlimmere Schicksale. Auf mich wartet schon jemand.«
Geary benötigte einen Moment, ehe er verstand, dass sie damit niemanden meinte, der zu Hause auf sie wartete. Sie spielte auf das an, was sie erwartete, sollte die Furious bei der Schlacht zerstört werden. »Wir brauchen Sie, Captain Cresida.
Tun Sie Ihre Pflicht, aber lassen Sie sich gesagt sein, dass die Allianz schon zu viele tote Helden hat.«
»Ja, das stimmt.« Sie nickte bekräftigend.
Dann beendete Geary die Unterhaltung und starrte aufsein Display, auf dem die Syndik-Flotte immer noch beschleunigte.
Unwillkürlich fragte er sich, wie viele weitere tote Helden die Allianz wohl zu beklagen haben würde, wenn dieser Tag vo-rüber war.