Zwei der gepanzerten Schotte rings um die Höllenspeer-Batterie Drei Alpha an Bord des Allianz-Schlachtkreuzers Dauntlessglänzten wie neu-weil sie neu waren. Die Überreste des Originals waren herausgeschnitten worden, neues Material hatte man an ihrer Stelle eingesetzt. Die beiden anderen Seiten des Abteils hatten durch den Feindbeschuss Narben davongetragen, befanden sich aber in einem akzeptablen Zustand, sodass sie an ihrem Platz hatten bleiben können. Die Höllenspeer-Projektoren selbst wiesen deutliche Spuren von in jüngster Zeit vorgenommenen Reparaturen auf, die zum Teil auf eine Weise improvisiert worden waren, die kein Flotteninspektionsteam jemals abgenommen hätte. Allerdings hielt sich das nächste Flotteninspektionsteam irgendwo im Allianz-Gebiet auf, und das war momentan sehr weit weg. Und solange die Allianz-Flotte mitten im Territorium der Syndikatwelten in der Falle saß, zählte nur, dass die Abschussanlage wieder einsatzbereit waren, um ihre geladenen Partikelspeere auf den Gegner abfeuern zu können.
Gaptain John Geary ließ seinen Blick über die Crew dieser Batterie wandern. Gut die Hälfte der versammelten Matrosen war neu hier, da man sie von anderen Höllenspeer-Projektoren abgezogen hatte, um die Verluste auszugleichen, die die Holte im Lakota-System erlitten hatte. So wie die Batterie waren auch zwei Mitglieder der ursprünglichen Mannschaft von den Kämpfen gezeichnet. Der Mann trug einen Flex-Verband am Oberarm, der Frau klebte ein Heil-Pad auf dem Bein.
Wandelnde Verwundete, denen man Zeit zur Genesung hätte gewähren sollen, anstatt sie zurück auf ihren Posten zu schicken. Doch diesen Luxus konnte sich momentan weder die Dauntless noch ein anderes Schiff der Allianz-Flotte leisten.
Immerhin stand die nächste Schlacht unmittelbar bevor, und der Flotte drohte die völlige Auslöschung.
»Sie haben darauf bestanden, auf ihren Posten zurückzukehren«, sagte Captain Tanya Desjani leise und mit stolzer Miene zu Geary. Ihr Schiff, ihre Crew. Die Männer und Frauen hatten tapfer gekämpft und rund um die Uhr gearbeitet, um diese Batterie wieder in Gang zu bekommen, und nun waren sie wieder bereit zum nächsten Kampf.
Geary war dabei nur zu deutlich bewusst, dass es seine Entscheidungen gewesen waren, die zu den Verletzungen geführt und die diese Reparaturen erforderlich gemacht hatten. Und genauso lag es an seinen Entscheidungen, dass etliche Matrosen nicht mehr unter ihnen waren und nun auf ihre Bestat-tung warteten.
Trotzdem spiegelten sich in den Augen der versammelten Männer und Frauen Zuversicht, Stolz, Entschlossenheit und ein unbeirrbarer Glaube an Black Jack Geary wider, den legendären Helden der Allianz. Sie waren nach wie vor bereit, ihm zu folgen. Sie führten seine Befehle aus, selbst wenn diese Befehle sie wie in der gegenwärtigen Situation zurück an jenen Ort führten, an dem die Flotte zahlreiche zerstörte Schiffe hatte zurücklassen müssen. »Verdammt gute Arbeit«, erklärte Geary und war dabei bemüht, genau das richtige Maß an Emo-tionen in seine Stimme zu legen. Er wusste, er musste gleicher-maßen besorgt und beeindruckt klingen, aber beides nicht in überzogener Art und Weise. »Ich habe noch nie eine bessere Crew erlebt, und auch keine, die mit solchem Eifer ins Gefecht zieht.« Das entsprach durchaus der Wahrheit. Als man ihn aus einem hundert Jahre währenden künstlichen Schlaf geholt und an Bord der Dauntless gebracht hatte, bestand seine gesamte Kampferfahrung aus einer einzigen, völlig aussichtslosen Raumschlacht. Jetzt verließ sich eine ganze Flotte mit all ihren Matrosen auf seine Entscheidungen — ganz zu schweigen davon, dass auch noch das Schicksal der gesamten Allianz von ihm abhing.
Und möglicherweise sogar das Schicksal der ganzen Menschheit.
Nein, auf seinen Schultern ruhte keine tonnenschwere Last, überlegte er ironisch.
Geary lächelte die Crew der Höllenspeer-Batterie an. »In sechs Stunden sind wir zurück im Lakota-System, und dort werden wir Ihnen Ziele liefern, auf die Sie Ihre Waffen richten können.« Die Matrosen grinsten erwartungsvoll. »Gönnen Sie sich bis dahin noch etwas Ruhe. Captain Desjani?«
Sie nickte ihm zu. »Rühren«, befahl sie der Waffencrew.
»Für die nächsten vier Stunden haben Sie dienstfrei, und Sie haben Anspruch auf eine komplette Ration.« Das entlockte den Matrosen ein Lächeln; da die Lebensmittelvorräte allmählich schwanden, waren die Mahlzeiten reduziert worden.
»Die Syndiks werden noch bereuen, dass wir nach Lakota zurückgekommen sind«, versicherte Geary ihnen.
»Wegtreten«, fügte Desjani an, dann folgte sie Geary nach draußen. »Ich hätte nicht gedacht, dass Drei Alpha noch rechtzeitig wieder einsatzbereit sein würde«, gestand sie ihm.
»Die Leute haben fantastische Arbeit geleistet.«
»Die Leute haben ja auch einen guten Captain«, stellte er fest, woraufhin Desjani angesichts dieses Lobs beschämt wirkte, obwohl sie weitaus mehr Schlachten überlebt hatte als Geary. »Und wie sieht es sonst auf der Dauntless aus?«, fragte er. Natürlich hätte er sich alle Daten aus dem Schiffssystem holen können, um sich über den aktuellen Status zu informieren, aber ihm war es lieber, wenn er sich über solche Dinge mit einem Offizier oder einem Matrosen unterhalten konnte.
»Alle Höllenspeere sind einsatzbereit, der Null-Feld-Projektor ebenfalls, alle Gefechtssysteme in optimalem Zustand. Alle Schäden an der Hülle, die wir bei Lakota erlitten haben, sind entweder repariert oder versiegelt, bis wir uns um sie kümmern können«, ratterte Desjani sofort runter. »Wir verfügen über die volle Manövrierfähigkeit.«
»Was ist mit der Munition?«
Desjani verzog den Mund. »Phantom-Flugkörper haben wir keine mehr. Wir verfügen über dreiundzwanzig Kanister mit Kartätschen, fünf Minen, und die Brennstoffzellen verfügen noch über einundfünfzig Prozent Reserve.«
Ein Schiff sollte die siebzig Prozent nie unterschreiten, damit die Sicherheitsmarge immer noch groß genug war. Leider sah es aber auf keinem Schiff der Flotte besser aus. Die Reserven in den Brennstoffzellen bewegten sich durchweg auf einem annähernd gleichen Niveau, und Geary hatte keine Ahnung, wie er die Reserven wieder auf siebzig Prozent aufstocken sollte, selbst wenn es ihnen gelang, ein zweites Mal aus dem Lakota-System zu entkommen.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, nickte Desjani verständnisvoll. »Wir haben die Hilfsschiffe, die uns mit neuer Munition versorgen können, Sir.«
»Die Hilfsschiffe produzieren Ersatzteile und Munition, so schnell sie können. Ihre Vorräte müssen so gut wie erschöpft sein«, gab Geary zu bedenken.
»In Lakota gibt es Nachschub«, meinte sie lächelnd. »Sie können nicht scheitern.« Dann blieb sie stehen und salutierte:
»Ich muss mich noch um einige Dinge kümmern, bevor wir Lakota erreichen. Wenn Sie gestatten, Sir.«
Er konnte nicht anders, als ihr Lächeln zu erwidern, auch wenn Desjanis Vertrauen in ihn, das sie mit so vielen in dieser Flotte teilte, eine beunruhigende Wirkung auf ihn hatte.
Nachdem er im Kälteschlaf liegend gefunden worden und gerade rechtzeitig wiedererwacht war, um das Kommando über eine Flotte zu übernehmen, die in feindlichem Gebiet in eine Falle geraten war, glaubten sie alle, die lebenden Sterne hätten ihn geschickt, damit er die Allianz rette. All diese Menschen waren mit den Legenden um den großen Black Jack Geary aufgewachsen — das Idealbild eines Allianz-Offiziers, den sie als mythischen Helden verehrten. Die Tatsache, dass er gar nicht so mythisch war, schien diesen Leuten nichts auszumachen. Zumindest Desjani hatte ihn oft genug persönlich erleben können, um zu wissen, dass er kein Mythos war, und dennoch glaubte sie immer noch an ihn. Da Geary seinerseits viel von Desjanis Urteilsvermögen hielt, war zumindest das sehr beruhigend.
Vor allem im Vergleich zu jenen Offizieren in der Flotte, die ihn nach wie vor für einen Hochstapler oder für nichts weiter als einen Schatten des einstmals so großartigen Helden hielten. Diese Gruppe arbeitete unablässig daran, seine Autorität zu unterhöhlen, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass er nur sehr widerwillig das Kommando über die Flotte übernommen hatte, nachdem Admiral Bloch von den Syndiks ermordet worden war. Er hatte das Kommando nicht gewollt, weil er noch von dem Schock benebelt war, dass alles, was er gekannt hatte, inzwischen hundert Jahre in der Vergangenheit lag. Andererseits hatte er auch kaum eine andere Wahl gehabt, als das Kommando zu übernehmen, war er doch vor gut hundertjahren posthum zum Captain befördert worden, was ihn unbestreitbar zum dienstältesten Captain der Flotte machte.
Geary erwiderte Desjanis Salut. »Selbstverständlich. Die Arbeit eines Captains ist nie getan. Wir sehen uns in ein paar Stunden auf der Brücke.«
Daraufhin grinste Desjani ihn entschlossen an; sie freute sich auf den bevorstehenden Kampf mit den Streitkräften der Syndikatwelten. »Die werden nicht wissen, wo vorn und hinten ist«, meinte sie zuversichtlich, dann machte sie sich auf den Weg durch den Korridor.
Entweder die oder wir, musste Geary unwillkürlich denken.
Es war eine verrückte Entscheidung gewesen, mit einer Flotte, die nur mit knapper Not einer Falle entkommen war, eine Kehrtwende zu fliegen und in das Sternensystem zurückzukehren, aus dem sie eben erst geflohen waren. Aber die Offiziere und Matrosen an Bord der Dauntless hatten seinen Entschluss bejubelt, und zweifellos war es auf den anderen Schiffen ähnlich zugegangen. Es gab immer noch einiges am Verhalten dieser Menschen, was er nicht nachvollziehen konnte, weil zwischen ihnen und ihm ein Jahrhundert lag, aber auf jeden Fall wusste er, dass sie sich mit Eifer ins Gefecht stürzen würden. Wenn schon der Tod auf sie wartete, dann wollten sie sterben, wenn sie dem Feind in die Augen sahen und ihn angriffen, anstatt vor ihm davonzulaufen.
Natürlich ging der größte Teil der Besatzungen gar nicht erst davon aus, den Tod zu finden, weil sie darauf vertrauten, dass er sie sicher ins Gebiet der Allianz zurückbringen würde.
Mögen meine Vorfahren mir beistehen.
Victoria Rione, Co-Präsidentin der Callas-Republik und Mitglied im Senat der Allianz, wartete in Gearys Quartier auf ihn. Er hielt inne, als er sie sah. Sie hatte jederzeit Zugang zu seinem Quartier, seit sie wiederholt bei ihm übernachtet hatte. Nachdem er den Rückflug nach Lakota angeordnet halle, war Rione ihm wie zuvor schon einmal soweit wie möglich aus dem Weg gegangen. »Womit habe ich deinen Besuch verdient?«, fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern. »In fünfeinhalb Stunden werden wir wieder Lakota erreicht haben. Das könnte unsere letzte Gelegenheit für ein Gespräch sein, bevor diese Flotte vernichtet wird.«
»Ich glaube nicht, dass das die richtigen Worte sind, um mich zu motivieren«, gab Geary zurück und nahm ihr gegenüber Platz.
Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Das ist doch Irrsinn! Als du den Befehl gegeben hast, nach Lakota zurückzukehren, da wollte ich das zuerst überhaupt nicht glauben. Dann auf einmal brach um mich herum tosender Jubel aus. Ich verstehe weder deine Anweisung noch diese Reaktionen. Wieso freuen sich die Offiziere und die Matrosen so maßlos?«
Er wusste, was sie meinte. Der Flotte gingen allmählich die Brennstoffreserven aus, die Munitionsbestände waren massiv geschrumpft, die Schiffe kämpften noch mit den Schäden, die sie bei Lakota davongetragen hatten, und die Formation war gänzlich aus den Fugen geraten, als die Flotte überhastet kehrtgemacht hatte. Wenn man das Ganze rational betrachtete, dann war das tatsächlich Irrsinn, aber als sie in Ixion eingetroffen waren, hatte er gewusst, dass es der richtige Schritt war, die Flotte umkehren zu lassen. Die Erkenntnis, dass seine Schiffe bei Ixion so oder so vernichtet worden wären — entweder bei der Konfrontation mit den Syndiks oder bei dem Versuch, das Sternensystem zu durchqueren, um zu entkommen -, hatte ihm die Entscheidung leicht gemacht. »Es lässt sich nur schwer erklären. Die Leute haben Vertrauen in mich, aber auch in ihre eigenen Fähigkeiten.«
»Aber sie stürmen zurück an einen Ort, an dem sie gerade eben mit knapper Not dem Tod entkommen sind. Warum sollte sie das freuen? Das ergibt doch keinen Sinn.«
Geary überlegte, wie er das, was er nur als Gefühl wahr-nahm, in Worte fassen konnte. »Jeder in der Flotte weiß, dass er mit dem Tod konfrontiert wird. Jedem ist klar, dass er den Befehl erhalten wird, auf einen Gegner loszugehen, der sein Bestes geben wird, um ihn zu töten. Vielleicht ergibt es keinen Sinn, dass sie sich über die Rückkehr nach Lakota freuen, aber was von dem, was sie sonst tun müssen, ergibt schon einen Sinn? Es geht darum, es tun zu wollen. Es geht darum, länger und härter auf den Gegner einzuschlagen und daran zu glauben, dass man etwas bewirken kann. Diese Leute glauben, ein Sieg über die Syndiks sei von entscheidender Bedeutung für die Verteidigung ihrer Heimat. Sie glauben, dass sie die Pflicht haben, diese Heimat zu beschützen, und sie sind bereit, dafür im Kampf zu sterben. Warum? Darum!«
Rione seufzte noch schwerer als zuvor. »Ich bin nur eine Politikerin. Wir befehlen unseren Kriegern, in den Kampf zu ziehen. Ich verstehe ja, warum sie kämpfen, aber ich begreife nicht, warum sie über deinen Befehl jubeln.«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich es selbst tatsächlich verstehe, ich weiß nur, es ist so.«
»Die jubeln über den Befehl und befolgen ihn, weil du ihn gegeben hast«, fügte sie hinzu. »Wofür kämpfen diese Menschen, John Geary? Für die Chance auf eine Heimkehr? Um die Allianz zu beschützen? Oder tun sie es nur für dich?«
Unwillkürlich musste er leise lachen. »Für die ersten zwei Punkte, die im Prinzip ein und dasselbe sind. Vielleicht spielt der dritte Punkt auch noch eine kleine Rolle.«
»Eine kleine Rolle?«, schnaubte Rione verächtlich. »Und das aus dem Mund eines Mannes, dem man den Posten eines Diktators angeboten hat? Wenn wir die Rückkehr nach Lakota überleben, werden Captain Badaya und die anderen dieses Angebot wiederholen.«
»Dann werde ich es wieder ablehnen. Du erinnerst dich sicher noch daran, dass wir auf dem Weg nach Ixion in Sorge waren, man könnte mich als Befehlshaber der Flotte absetzen, sobald wir das Sternensystem erreicht haben. Wenigstens ist das ein Problem, über das man sich eher sorgen kann.«
»Glaub' nicht, dass deine Gegenspieler in den Reihen der Senioroffiziere dieser Flotte aufhören, an deinem Stuhl zu sägen, nur weil du etwas getan hast, das von den meisten bejubelt wird.« Rione tippte auf ein paar Kontrollen und eine Darstellung des Lakota-Systems erwachte über dem Tisch zum Leben. In dieser Darstellung waren die Positionen der Syndik-Kriegsschiffe als erstarrte Punkte jeweils dort zu sehen, wo sie sich in dem Moment befunden hatten, als die Allianz-Flotte nach Lakota gesprungen war. Es handelte sich um viele feindliche Schiffe, sehr viele sogar. Zahlenmäßig waren sie Gearys Flotte weit überlegen. »Du sagst, wir hätten bei Ixion einen Fluchtversuch nicht überlebt. Das mag so sein. Aber warum soll das anders aussehen, wenn wir wieder nach Lakota gelangen?«
Geary zeigte auf das Display. »Unter anderem aus diesem Grund: Hätten wir versucht, das Ixion-System zu durchqueren, dann wären die Syndiks sehr wahrscheinlich innerhalb weniger Stunden hinter uns aufgetaucht. Wir haben gerade fünfeinhalb Tage im Sprungraum hinter uns, um die Schäden zu reparieren, die uns bei Lakota zugefügt wurden, aber das wäre nicht genug gewesen. Indem wir kehrtmachten und zurückgeflogen sind, haben wir fünfeinhalb Tage gewonnen, um weitere Reparaturen vorzunehmen. Natürlich sind wir im Sprungraum eingeschränkt, was den Umfang solcher Arbeiten angeht, und einen aktuellen Statusbericht der anderen Schiffen werde ich erst erhalten, wenn wir zurück im Normalraum sind. Ich weiß aber auch so, dass Reparaturen an den Antriebssystemen bei jedem Schiff Vorrang vor allem anderen haben. Das heißt, wir werden auf jeden Fall schneller von der Stelle kommen, wenn wir zurück im Normalraum sind. Ganz zu schweigen von anderen Reparaturen an den Waffensystemen, der Panzerung und allem anderen, was sonst noch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wenn wir Lakota erreichen, haben unsere Schiffe elf Tage Zeit gehabt, um die Schäden zu beheben, die ihnen bei unserer letzten Begegnung zugefügt wurden.«
»Das ist mir schon klar. Trotzdem ändert das nichts daran, dass unsere Vorräte knapp werden und wir uns mitten in feindlichem Gebiet befinden«, wandte Rione kopfschüttelnd ein. »Bestimmt werden bei Lakota nicht so viele Schiffe auf uns warten, wie wir dort hinter uns gelassen haben, weil sie einen Teil hinter uns hergeschickt haben dürften. Aber es werden Kriegsschiffe lauern, und diejenigen, die uns gefolgt sind, werden kehrtgemacht haben, sobald ihnen klar wurde, wohin wir entkommen sind. Diese Schiffe können nur ein paar Stunden hinter uns sein.«
»Diese Schiffe mussten davon ausgehen, dass wir ihnen möglicherweise am Sprungpunkt bei Ixion auflauern«, betonte er.
»Also werden sie ein paar Stunden damit zugebracht haben, die richtige Formation einzunehmen, bevor sie uns gefolgt sind.
Sie müssen bei Ixion den Sprungpunkt mit deutlich höherer Geschwindigkeit verlassen haben, und das heißt, sie benötigten länger, um zu wenden. Da sie aber auch bei der Ankunft noch davon ausgehen mussten, dass wir sie in einen Hinterhalt locken, werden sie das Manöver als Formation beschrieben haben, was noch einmal Zeit gekostet hat, während unsere Schiffe einfach auf der Stelle kehrtmachen konnten. Wenn wir drei Stunden Vorsprung haben, könnten wir es schaffen.
Wenn uns sechs Stunden bleiben, dann stehen die Chancen gut, dass wir einen anderen Sprungpunkt erreichen und Lakota unbehelligt verlassen können.«
»Sie werden sich dann immer noch hinter uns befinden, und um unsere Vorräte ist es nach wie vor nicht gut bestellt.«
»Sie sind schneller geflogen und mussten mehr manövrieren als wir, und wenn sie keinen Zwischenstopp einlegen, um Brennstoffzellen und Munition an Bord zu nehmen, dann geraten sie selbst auch in Schwierigkeiten. Sobald wir eine Ver-schnaufpause im Normalraum einlegen können, sind unsere Hilfsschiffe in der Lage, die Brennstoffzellen und Munition zu verteilen, die sie in den letzten elf Tagen produziert haben.
Das wird uns schon weiterhelfen. Aber du musst mich nicht daran erinnern, dass unsere Vorräte in jeder Hinsicht bedenklich geschwunden sind. Die Dauntless liegt in punkto Brennstoffzellen nur knapp über fünfzig Prozent.«
»Hast du das zusammen mit deiner Captain Desjani gemacht? Den Status der Brennstoffzellen überprüft?«
Geary stutzte. Woher wusste sie, dass er mit Desjani unterwegs gewesen war? »Sie ist nicht ›meine‹ Captain Desjani. Und wir haben eine Höllenspeer-Batterie inspiziert.«
»Wie romantisch.«
»Hör auf damit, Victoria! Es ist schlimm genug, dass meine Gegenspieler in der Flotte Gerüchte ausstreuen, ich hätte was mit Desjani. Da musst du diesen Unsinn nicht auch noch wiederholen.«
Rione legte die Stirn in Falten. »Ich wiederhole überhaupt nichts. Ich habe nicht vor, deine Autorität über diese Flotte zu unterhöhlen. Aber wenn du weiterhin mit einer Offizierin gesehen wirst, der man nachsagt, dass sie…«
»Soll ich etwa der Befehlshaberin meines Flaggschiffs aus dem Weg gehen?«
»Du willst ihr nicht aus dem Weg gehen, Captain John Geary.« Rione stand auf. »Aber du musst selbst wissen, was du machst.«
»Victoria! Auf mich wartet eine Schlacht, da kann ich solche Andeutungen wirklich nicht gebrauchen.«
»Ich entschuldige mich.«
Er war sich nicht sicher, ob sie es ernst meinte oder nicht.
»Ich hoffe«, fuhr sie fort, »deine Verzweiflungstaktik hat Erfolg. Seit du das Kommando über diese Flotte übernommen hast, wechselst du immer wieder zwischen wohlüberlegten Aktionen und waghalsigen Manövern, und das hat es den Syndiks bislang nicht möglich gemacht, deinen nächsten Zug vorauszuahnen. Vielleicht funktioniert das ja auch weiterhin.
Wir sehen uns in fünf Stunden auf der Brücke.«
Er sah ihr nach, wie sie sein Quartier verließ, lehnte sich nach hinten und überlegte, was sie jetzt wohl denken mochte.
Abgesehen davon, dass sie mal seine Geliebte war und dann wieder nicht — und dass dies jetzt eine dieser »Nicht«-Phasen war, hatte sie sich als unschätzbare Ratgeberin erwiesen, da sie stets unverblümt ihre Meinung sagte. Aber sie hatte auch ihre Geheimnisse. Sicher war bei ihr nur, dass ihre Loyalität gegenüber der Allianz unerschütterlich war.
Als die Syndiks vor einem Jahrhundert einen Überraschungsangriff auf die Allianz begonnen hatten, war damit ein Krieg vom Zaun gebrochen worden, den keine von beiden Seiten gewinnen konnte. Die Allianz war zu groß und verfügte über zu viele Ressourcen, und dasselbe galt für die Syndikatwelten. Eine hundert Jahre währende Pattsituation, ein verbitterter Krieg, unzählige Opfer auf beiden Seiten. Hundert Jahre, in denen der Allianz-Legend eingetrichtert worden war, den heldenhaften John »Black Jack« Geary zu verehren, der ich im Grendel-System in einem aussichtslosen Kampf tapfer dem Feind entgegengestellt hatte. Hundert Jahre, in denen ihn jeder für tot gehalten hatte. Hundert Jahre, in denen sich die Welt, wie er sie kannte, völlig verändert hatte. Und auch die Flotte war einem Wandel unterzogen worden. Nicht nur in Form verbesserter Waffen und dergleichen — hundert Jahre Austausch von Grausamkeiten mit den Syndiks hatten aus seinen Kameraden etwas gemacht, das er nicht wiedererkannte.
Er selbst hatte sich auch verändert, als er gezwungen gewesen war, das Kommando über eine Flotte zu übernehmen, die am Rand der Auslöschung gestanden hatte. Aber zumindest war es ihm gelungen, diesen Nachfahren der Menschen, die er seinerzeit gekannt hatte, zu vermitteln, was wahre Ehre bedeutete und für welche Prinzipien die Allianz stand. Er war überhaupt nicht darauf vorbereitet, eine Flotte von dieser Größe zu befehligen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass jeder Offizier und jeder Matrose an Bord dieser Schiffe eine völlig andere Denkweise hatte als er selbst. Dennoch waren sie auf dem Weg zurück nach Hause gemeinsam so weit gekommen, dass sie nun hier waren. Deren Zuhause, korrigierte er sich, denn sein Zuhause würde er nicht wiederer-kennen. Aber er hatte ihnen versprochen, sie heimzubringen.
Das verlangte schon seine Ehre von ihm, und er würde alles unternehmen, um dieses Versprechen zu erfüllen — auch wenn es ihn das Leben kostete.
Sein Blick blieb an der Darstellung des Lakota-Sternensystems hängen. So viele feindliche Kriegsschiffe. Aber sie hatten den Syndiks bei ihrer letzten Begegnung einige schmerzhafte Schläge zufügen können. Wie schwer die Schäden und Verluste waren, hatte sich in den hektischen letzten Stunden des Gefechts nicht mehr feststellen lassen, da zu viele Trümmer die Leistungsfähigkeit der Sensoren behinderten. Und genauso konnte er nur spekulieren, was die Allianz-Schlachtschiffe Defiant, Audacious und Indefatigable in den letzten Momenten ihrer Existenz noch bewirkt hatten, als sie versuchten, die Syndik-Flotte lange genug aufzuhalten, damit die Allianz-Schiffe entkommen konnten.
Wie überzeugt war der Syndik-Befehlshaber davon gewesen, dass er der gegnerischen Flotte diesmal einen vernichtenden Schlag zugefügt hatte und dass sie jetzt nur noch blindlings davonlief? Wie viele Syndik-Schiffe waren ihnen nach Ixion gefolgt? Wie viele waren im System geblieben, um für den unwahrscheinlichen (oder — je nach Standpunkt — irrsinnigen) Fall gewappnet zu sein, dass die Allianz-Kriegsschiffe auf direktem Weg nach Lakota zurückkehren würden? Die einzige Möglichkeit, die Antwort auf diese Fragen zu erhalten, bestand darin, in die Höhle des Löwen zurückzukehren und sich selbst davon zu überzeugen, wie scharf die Zähne des Löwen noch waren.
Wieder überprüfte er die verbleibende Zeit. In viereinhalb Stunden würden sie es wissen.
Die Brücke der Dauntless war für Geary seit dem ersten Mal, als er unmittelbar nach dem Mord an Admiral Bloch hier Platz genommen hatte, zu einem vertrauteren Ort geworden. Das betraf weniger die Anordnung der Stationen, die ihm inzwischen völlig natürlich erschien, als vielmehr die Ausrüstung, die deutlich weiterentwickelt worden war, zugleich aber ein grobschlächtigeres Erscheinungsbild angenommen hatte, das Zeugnis davon ablegte, dass Zweckmäßigkeit über die Form gesiegt hatte. Vor hundert Jahren auf Gearys letztem Schiff war alles von sanften klaren Linien geprägt gewesen, die vor allem dem Zweck dienten, einen guten Eindruck zu machen.
Jenes Schiff war aber auch mit dem Gedanken gebaut worden, dass es jahrzehntelang seinen Dienst verrichten würde; eines von vergleichsweise wenigen Kriegsschiffe in einer Flotte, die anfangs noch nicht im Krieg gelegen hatte. Die Dauntless dagegen spiegelte Generationen von hastig gebauten Kriegsschiffen wider, die horrende Verluste so schnell wie möglich auszugleichen hatten. Die Lebenserwartung dieses Schiffs lag bestenfalls bei ein paar Jahren. Ecken und Kanten, fahrige Schweißnähte und unebene Flächen genügten für ein Schiff, das womöglich schon bei der ersten Begegnung mit dem Feind zerstört wurde und dann schnellstens von einem Nachfolger gleichen Namens ersetzt werden musste. Geary hatte sich noch immer nicht an diese Wegwerfmentalität bei Schiffen gewöhnt, die die Erfahrungen eines langen Krieges hatte entstehen lassen.
Wegwerfschiffe und Wegwerfbesatzungen. So viel taktisches Wissen war in hundert Jahren verlorengegangen, da zu viele erfahrene Offiziere gefallen waren, bevor sie ihr Wissen an die nächste Generation Matrosen hatten weitergeben können.
Raumgefechte waren zu Schlammschlachten verkommen, bei denen beide Seiten blindlings aufeinander zustürmten und verheerende Verluste erlitten. Es war ihm viel leichter gefallen, die grobschlächtige Bauweise der Schiffe zu akzeptieren, als die Anzahl der Gefallenen, die von dieser Flotte als Routine betrachtet worden waren.
Aber er hatte die Dauntless und ihre Crew vom Syndik-Heimatsystem bis hierher am Leben halten können, und es war ihm gelungen, sich an Bord zu Hause zu fühlen und nicht nur unentwegt an all die Menschen erinnert zu werden, die er gekannt hatte und die alle seit Langem tot waren. Die Wachhabenden kannte er inzwischen mit Namen; durch die Bank Amateure, denen er geholfen hatte, lange genug am Leben zu bleiben, um Erfahrung zu sammeln. Der größte Teil der Crew der Dauntless stammte vom Planeten Kosatka, den Geary vor buchstäblich hundert Jahren einmal besucht hatte. Da er in dieser Zukunft ganz allein war, hatte er begonnen, die Menschen um sich herum als Familie anzusehen, um zum Teil das zu ersetzen, was ihm genommen worden war.
Captain Desjani lächelte ihn an, als Geary auf die Brücke kam und sich in seinen Sessel fallen ließ, der gleich neben ihrem im Boden verankert war. Mit ihrer Blutrünstigkeil gegenüber dem Feind und ihrer Bereitschaft, zu Taktiken zu greifen, die Geary als widerwärtig empfand, hatte sie ihn anfangs abgestoßen. Aber nach und nach hatte er verstanden, was hinter ihrer Einstellung steckte, und sie hatte im Gegenzug auf ihn gehört und Ansichten übernommen, die mehr dem entsprachen, was seinen Vorfahren wichtig gewesen war.
Außerdem wussten seine Vorfahren, dass sie eine fähige Befehlshaberin war und ihr Schiff im Kampf gut zu handha-ben verstand. Inzwischen war ihre Anwesenheit eindeutig das Behaglichste, was diese Brücke zu bieten hatte. »Wir sind bereit, Captain Geary«, meldete sie.
»Daran habe ich nie gezweifelt.« Er versuchte ruhig durch-zuatmen, Selbstvertrauen auszustrahlen und in seinen Worten mitschwingen zu lassen. Auch wenn er sich vor dem fürchtete, was diese Flotte beim Verlassen des Sprungpunkts bei Lakota womöglich erwartete, wusste er, dass er unter ständiger Beobachtung stand. Die Offiziere und Matrosen um ihn herum schöpften von der Zuversicht, die er ausstrahlte.
»Fünf Minuten bis zum Sprungpunkt«, meldete der Wachhabende.
Captain Desjani strahlte nicht nur Gelassenheit und Zuver-nicht aus, sie schien beides tatsächlich zu empfinden. Allerdings war es eine Eigenart von ihr, dass sie umso ruhiger wurde, je näher das Gefecht und damit die Aussicht rückte, Syndiks abzuschießen. Wieder sah sie zu Geary und setzte ein düsteres Lächeln auf. »Wir haben in diesem Sternensystem einige Kameraden zu rächen.«
»Ja«, stimmte er ihr zu und fragte sich, ob Captain Mosko den Tod seines Schlachtschiffs Defiant womöglich überlebt halte. Sehr wahrscheinlich war das nicht. Aber Mosko war nur einer von vielen Allianz-Matrosen, die überlebt haben und in Gefangenschaft geraten sein mochten. Neben vier Schlachtschiffen und einem Schlachtkreuzer hatte die Allianz beim Kampf gegen die Syndiks im Lakota-System zwei Schwere Kreuzer, drei Leichte Kreuzer und vier Zerstörer verloren.
Vielleicht bekommen wir ja die Chance, einige Gefangene zu befreien. Die Syndiks dürften es nicht allzu eilig haben, ihre Gefangenen abzutransportieren, und womöglich können wir ja wenigstens ein paar retten.
Die Luke zur Brücke ging auf, Geary drehte sich um und sah, wie Rione hereinkam und ihren Beobachterplatz hinter ihm einnahm. Ihre Blicke trafen sich, und sie nickte ihm kühl zu, dann lehnte sie sich zurück, um sich auf ihr eigenes Display zu konzentrieren. Desjani war in ihre Arbeit vertieft und drehte sich nicht zu Rione um, was die Politikerin ihrerseits nicht zu bemerken schien.
»Zwei Minuten bis zum Sprungpunkt.«
Desjani wandte sich an Geary. »Möchten Sie noch ein paar Worte an die Crew richten, Sir?«
Wollte er das? »Ja.« Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. Seit er das Kommando über die Flotte übernommen hatte, war es viel zu oft vorgekommen, dass er sich vor einer Schlacht an die Besatzungen seiner Schiffe gewandt hatte. Er betätigte den Schalter für die interne Komm-Anlage und gab sich alle Mühe, Optimismus zu versprühen.
»Offiziere und Matrosen der Dauntless, einmal mehr habe ich die Ehre, diese Flotte und dieses Schiff ins Gefecht zu führen. Wir rechnen damit, dass sich eine Verteidigungsstreit-macht der Syndiks gleich hinter dem Sprungpunkt aufhalten wird. Ich weiß, sie werden es bereuen, dass sie auf uns gewartet haben, und wir werden Lakota nicht verlassen, solange wir nicht unsere Kameraden gerächt haben, die hier gefallen sind. Auf die Ehre unserer Vorfahren.«
Gleich danach folgte die Meldung: »Dreißig Sekunden bis zum Sprungpunkt.«
Desjanis Stimme hallte über die Brücke: »Alle Gefechtssysteme aktivieren. Schilde auf Maximum. Auf Feindkontakt gefasst machen.«
»Sprungpunkt erreicht.«
Die graue Leere des Sprungraums verschwand von einer Sekunde auf die andere, an ihre Stelle rückte die mit Sternen übersäte Schwärze des Normalraums. Das Minenfeld der Syndiks war natürlich noch da, aber die Dauntless und alle anderen Allianz-Schiffe flogen bereits eine enge Kurve nach oben, um den Minen auszuweichen. Nervös zuckten Gearys Augen über das Display, während er betete, dass die Syndiks nicht auf die Idee gekommen waren, rings um den Sprungpunkt weitere Minen zu verteilen.
Die Darstellung des Sternensystems war auf dem Stand erstarrt, in dem es sich vor nicht ganz zwei Wochen befunden hatte, wobei die Leuchtpunkte, die feindliche Schiffe darstellten, alle mit dem Vermerk »Letzte bekannte Position« versehen waren, was nichts anderes bedeutete, als dass das jeweilige Schiff sich inzwischen überall aufhalten konnte, wahrscheinlich nur nicht mehr an dieser Stelle. Plötzlich verschwanden die alten Markierungen, da die Sensoren der Holte das System zu scannen begannen und die Objekte iden-lifizierten, die sich augenblicklich hier befänden.
Geary kniff die Augen zusammen, während er versuchte, alles zu erfassen, was auf dem Bildschirm angezeigt wurde.
Unmittelbar am Sprungpunkt hielten sich keine gegnerischen Schiffe auf, aber wie es aussah, waren Syndik-Schiffe über das ganze System verteilt. Eine Menge Syndik-Schiffe. Einen Moment lang bekam Geary einen Schreck. Hatte er seine Flotte tatsächlich geradewegs zu einer überlegenen feindlichen Streitmacht zurückkehren lassen?
Aber dann konzentrierte er sich auf die Daten, die zu den Schiffen angezeigt wurden, und sofort präsentierte sich ihm ein ganz anderes Bild. Die große Ansammlung an Syndik-Schiffen in einer Entfernung von zehn Lichtminuten zum Sprungpunkt setzte sich zum überwiegenden Teil aus Reparaturschiffen zusammen, die dazwischen befindlichen Kriegsschiffe waren durchweg schwer beschädigt. Etliche Systeme wurden als abgeschaltet erkannt, da sie repariert werden mussten und die gesamte Formation, die die Form einer abgeflachten Sphäre aufwies, humpelte mit nicht mal 0,02 Licht tiefer ins System hinein.
Die etwas kleinere Formation, die sich fast dreißig Lichtminuten entfernt aufhielt, bestand aus einer Mischung voll einsatzbereiter und leicht beschädigter Kriegsschiffe, darunter aber lediglich vier Schlachtschiffe und zwei Schlachtkreuzer.
Uberall im System zwischen dem Sprungpunkt und der bewohnten Welt waren weitere Syndik-Schiffe unterwegs. Nicht ganz so schwer beschädigte, aber dennoch reparaturbedürftige Schiffe krochen durch das All, um Orbitaldocks zu erreichen, während Frachter Vorräte und Rohstoffe transportierten und zivile Schiffe zwischen den Planeten hin und her flogen. Scharen von Zielen auf einem riesigen Präsentiertel-ler, die von zu wenigen Wachposten umgeben waren, um die Allianz-Flotte davon abzuhalten, auf alles zu feuern, was sich in Reichweite befand.
Desjani stieß einen genüsslichen Seufzer aus. »Captain Geary, wir werden ihnen verdammt wehtun.«
»Sieht ganz danach aus.« Seine eigene Formation glich einem zusammengewürfelten Haufen, aber er hatte keine Zeit, erst noch Ordnung zu schaffen. Er hatte einen Vorsprung vor der Hauptflotte der Syndiks, die ihnen nach Ixion gefolgt war, aber früher oder später würde die ihnen nach-eilen, und er wollte nicht, dass die beschädigten Syndik-Kriegsschiffe und die wehrlosen Reparaturschiffe ungeschoren davonkamen.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, zeigte Desjani auf die Darstellungen der feindlichen Reparaturschiffe auf dem Display. »Erste Einschätzungen ergeben, dass sie schwer beladen sind. Selbst wenn sie versuchen sollten, die Flucht zu ergreifen, sind sie nicht schnell genug, um uns zu entkommen.«
»Zu schade, dass unsere Hilfsschiffe schneller fliegen können, weil sie nicht schwer beladen sind«, merkte Geary an, dann tauschten er und Desjani einen kurzen Blick aus, da sie beide offenbar auf die gleiche Idee gekommen waren.
»Besteht irgendeine Chance, dass wir diese Reparaturschiffe unversehrt in unsere Gewalt bringen können? Wir können zwar die Ersatzteile nicht gebrauchen, die sie herstellen, aber wenn sie Rohstoffe an Bord haben, könnten wir die auf unsere Hilfsschiffe umladen.«
Desjani rieb sich den Nacken, während sie nachdachte.
»Man sollte annehmen, dass sie ihre Maschinen auf Überhitzung einstellen werden, wenn sie ein Schiff aufgeben. Lieutenant Nicodeom«, rief sie einem der Wachhabenden zu, »Sie sind Ingenieur. Werden die ihre Reparaturschiffe sprengen, wenn wir uns ihnen nähern?«
Der Lieutenant betrachtete nachdenklich sein Display. »Ein Schiff wird üblicherweise dann zerstört, wenn es wahrscheinlich nicht mehr geborgen werden kann, Captain. In einem Sternensystem, das von uns kontrolliert wird, würden wir niemals ein Schiff sprengen, selbst wenn es noch so schwer beschädigt ist. Soweit ich weiß, verfahren die Syndiks in diesem Punkt ganz genauso.«
»Und dieses System wird von den Syndiks kontrolliert!«
Desjani sah Geary begeistert an. »Sie werden die Schiffe aufgeben, wenn wir das Feuer eröffnen, aber die Schiffe werden intakt bleiben. Die wissen, dass wir nicht in diesem System bleiben können, also werden sie darauf hoffen, ihre Schiffe bergen zu können, sobald wir abgeflogen sind. Aber sie wissen nicht, dass wir ihre Vorräte plündern wollen. Wir müssen nur aufpassen, dass sie nicht merken, was wir in Wahrheit beabsichtigen, bis wir genügend Material auf unsere Hilfsschiffe umgeladen haben.«
»Okay.« Geary versuchte ruhig zu bleiben. Das hier schien fast zu gut, um wahr zu sein, aber es würde so oder so nicht einfach in die Tat umzusetzen sein. »Wir können den Großteil der Zerstörer und der Leichten Kreuzer hinter den beschädigten Syndik-Kriegsschiffen herschicken, die allein unterwegs sind. Unsere Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer setzen wir auf die schwer beschädigten Kriegsschiffe an, die in Beglei-tung der Reparaturschiffe reisen. Einige dieser Schiffe verfügen über beträchtliche Feuerkraft, die uns gefährlich wird, wenn es ihnen gelingen sollte, die Gefechtssysteme wieder in Betrieb zu nehmen, bevor wir sie erreicht haben. Aber wir müssen auch der Syndik-Flotte einen schweren Schlag versetzen, die dreißig Lichtminuten entfernt ist, damit die…« Erst jetzt fiel ihm etwas ganz anderes auf. »Da hält sich niemand am Hypernet-Portal auf! Die Syndiks haben ihren Wachposten abgezogen.«
Desjani stockte der Atem. »Können wir…? Nein, wir werden es nicht vor den Wachposten erreichen. Sie haben uns zwar noch nicht gesehen,« — und es würde auch noch sechs-undzwanzig Minuten dauern, ehe das Licht von der Ankunft der Allianz-Flotte sie erreichte — »aber wenn es passiert, ist ihr Vorsprung noch immer zu groß.«
»Leider ja«, stimmte Geary ihr zu. Normalerweise wäre ein feindliches Hypernet-Portal keine Diskussion wert, da sie es ohnehin nicht benutzen konnten, doch an Bord der Dauntless befand sich ein Hypernet-Schlüssel der Syndiks, den ihnen ein angeblicher Syndik-Verräter zugespielt hatte, der damit die Allianz-Flotte tief ins Syndik-Territorium und so in eine tödliche Falle gelockt hatte. Die Syndiks wussten, sie durften der Allianz-Flotte nicht gestatten, mit dem Schlüssel nach Hause zu gelangen, und sie hatten schon einmal unter Beweis gestellt, dass sie notfalls ihre eigenen Hypernet-Portale zerstörten, um dieses Ziel unbedingt durchzusetzen.
Das war nicht bloß enttäuschend, sondern auch überaus riskant. »Versuchen könnten wir es trotzdem«, überlegte Desjani. »Wenn es uns nicht gelingt, sie an der Zerstörung ihres Portals zu hindern, kommen wir damit auch klar. Die Energie-Entladung, die von dem zusammenbrechenden Portal bei Sancere ausgegangen war, hat unsere Schilde auch nicht übermäßig belastet.«
Geary schüttelte den Kopf. »Nova, Captain Desjani«, er-klärte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. Sie verzog den Mund und nickte. Den Schätzungen zufolge konnte die beim Zusammenbruch eines Hypernet-Portals freigesetzte Energie von quasi nichts bis hin zu den Werten einer Nova reichen, der Gewalt eines explodierenden Sterns. Das konnte kein Schiff überleben, und es war auch kein Schiff in der Lage, vor dieser Energiewelle davonzufliegen. »Nein, das Portal ist kein realistisches Ziel.«
Bislang hatte er Desjani noch nicht darin eingeweiht, dass sie womöglich Kurs auf ein neues Ziel nehmen würden, sobald sie es ins Hypernet-System der Syndiks geschafft hatten.
Genau genommen hatte er keinem seiner Captains bislang etwas davon anvertraut. Das musste sich ändern, denn einige seiner Offiziere, darunter auch Desjani, sollten davon in Kenntnis gesetzt werden, dass es neben den Syndiks auch noch andere Feinde gab, die aktiv gegen sie arbeiteten. »Uns bleibt nur wenig Zeit, möglichst viel zu erledigen, bevor die Syndik-Streitmacht aus Ixion hier eintrifft. Wir müssen die beschädigten Schiffe mitsamt den Reparaturschiffen in unsere Gewalt bekommen, sollten so viele Schiffe wie möglich außer Gefecht setzen, und müssen unsere Hilfsschiffe dazu-holen, damit die Vorräte geplündert werden können. Außerdem ist es nötig, unsere Hilfsschiffe vor möglichen Verzweif-lungsangriffen der Syndiks zu schützen und… ähm…«
»Ich würde sagen, das reicht für den Anfang«, meinte Desjani.
Seine unorganisierte Flotte » kletterte« zwischen dem Minenfeld und dem Sprungpunkt nach oben und bewegte sich immer noch mit nur 0,05 Licht voran. Natürlich gab es im Weltraum eigentlich kein Oben oder Unten, aber Menschen benötigten diese räumlichen Bezüge, um sich im Weltall orientieren zu können. Vor langer Zeit hatte man sich darauf geeinigt, dass alles, was sich oberhalb der Ebene eines Sternensystems befand, nach oben wies, alles darunter dementsprechend nach unten. Zur Sonne hin redete man von Steuerbord, von der Sonne abgewandt von Backbord. Nur mit diesen Richtungsangaben im Hinterkopf war es möglich, dass ein Befehl auf allen Schiffen gleich verstanden wurde und niemand in die falsche Richtung flog.
Sobald die Flotte einen Punkt erreicht hatte, von dem aus sie wieder »nach unten« fliegen und sich dem Feind nähern konnte, mussten Befehle ausgegeben werden, die jedem Schiff sagten, wohin es sich zu begeben hatte. Er musste praktisch alles sofort erledigen, da es auf jede Sekunde ankam.
Hätte er bloß nicht so viel auf einmal zu regeln gehabt…
Warum machte er eigentlich alles selbst? Warum übertrug er nicht einen Teil seiner Aufgaben auf einen vertrauenswürdi-gen Offizier, von dem er wusste, dass der sein Handwerk verstand und dass der ihn seit Monaten bei der Arbeit erlebte?
"Captain Desjani, würden Sie den Plan für die Flugmanöver der Zerstörer und der Leichten Kreuzer erstellen, während ich mich um die schweren Jungs kümmere? Unsere Enterteams müssen so viele Reparaturschiffe wie möglich gleichzeitig erreichen.«
Desjanis Miene hellte sich auf, und ohne zu zögern nickte sie. »Wird erledigt, Sir. Ich verbinde unsere Manöverdisplays, damit wir die Bewegungen koordinieren können, während wir sie planen.« Sie beugte sich vor und studierte ihr Display, dann begannen ihre Finger förmlich über die Kontrollen zu fliegen.
Geary konzentrierte sich auf sein eigenes Display, um sich einen Überblick zu verschaffen, wo seine Schweren Kreuzer, Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer sich befanden, wohin er sie schicken musste und wann sie wo zu sein hatten. Seine Divisionen waren noch immer ungeordnet, was die Situation weiter verkomplizierte. Auch hatten viele Schiffe nach der letzten Schlacht bei Lakota noch nicht ihre volle Schlagkraft zurückerlangt. Die Antriebseinheiten praktisch aller Schiffe waren wieder mit voller Leistung einsatzbereit, aber selbst mit seiner Erfahrung in der Choreographie von Schiffsbewegungen hätte er in der verfügbaren Zeit niemals Ordnung schaffen können, wären da nicht die Steuersysteme gewesen, die die einfachste und schnellste Lösung vorschlugen, sobald er ein Schiff einem Ziel zugewiesen hatte. Während er damit beschäftigt war, wurden auf seinem Display zugleich Lösungs-vorschläge für die Leichten Kreuzer und die Zerstörer angezeigt, die von Desjani zugeordnet wurden. Nach wenigen Sekunden merkte er, wie er seine Arbeit der von Desjani an-passte, die ihrerseits das Gleiche bei seinen taktischen Zügen machte.
»Die Audacious befindet sich in dieser großen Gruppe aus Syndik-Reparaturschiffen und beschädigten Kriegsschiffen«, stellte sie plötzlich fest. »Zumindest, was von ihr noch übrig ist.«
Und das war nicht sonderlich viel, wie Geary erkennen musste, als er sich auf das Wrack konzentrierte. Die optischen Sensoren seiner Flotte waren empfindlich genug, um kleinere Objekte quer durch ein Sternensystem zu verfolgen, und sie konnten mühelos ein deutliches Bild von einem Schiff liefern, das gerade mal zehn Lichtminuten entfernt im Raum hing. Da alle Kommando-, Kontroll- und Gefechtssysteme ausgefallen waren und massive Schäden die Hülle erheblich deformiert hatten, war sie von den Flottensensoren nicht sofort als eigenes Kriegsschiff erkannt worden.
Das Allianz-Kriegsschiff hatte zusammen mit zwei anderen die Nachhut gebildet, als die Flotte aus Lakota geflohen war, und war dabei schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Der gepanzerte Rumpf hatte so viele Treffer einstecken müssen, das die Hülle aussah wie ein Stück Blech, das in einen Säure-regen geraten war und das man achtlos weggeworfen hatte, während es von der Säure langsam weiter zersetzt wurde. Jedes Waffensystem der Audacious war zerstört worden — entweder während des Gefechts oder unmittelbar danach und keine der Antriebseinheiten war noch in der Lage, das Schiff von der Stelle zu bewegen. Aber die Syndiks schleppten das Wrack trotzdem ab. »Was haben die vor? Warum nehmen die die Audacious mit?«
Desjani überlegte einen Moment, dann halte sie eine Idee.
»Ein Gefangenentransport. Sehen Sie? Es entweichen Wärme und Atmosphäre, was bedeutet, dass die Syndiks einige Quartiere hergerichtet haben und dass die Lebenserhaltungssysteme noch arbeiten. Ich möchte wetten, auf der Audacious wimmelt es von Kriegsgefangenen der Allianz. Wahrscheinlich ziehen sie sie zur Zwangsarbeit heran, damit sie mithelfen, deren Schiffe zu reparieren.«
»Verdammt.« Er musste den Plan anpassen. Sie mussten das beschädigte Allianz-Schiff in ihre Gewalt bekommen, bevor…
»Tanya, würden die den Antrieb der Audacious in die Luft sprengen?«
Mit ernster Miene nickte sie. »Wir haben das schon gemacht, sie ebenfalls. Ganz sicher treffen sie jetzt die ersten Vorbereitungen dafür.«
Dann hatten sie ja nichts zu verlieren. Für Geary war es einer der größten Schocks gewesen, als er miterlebt hatte, wie Flottenpersonal der Allianz den kaltblütigen Mord an Kriegsgefangenen plante, indem es alles vorbereitete, um ein feindliches Schiff zu vernichten — während alle Gefangenen noch an Bord waren! Diese Flotte — seine Flotte — würde so etwas nicht länger dulden, doch Geary wusste auch, dass das für die Syndiks sicher kein Anlass war, anders als bislang üblich zu verfahren. Er musste also nicht fürchten, die Syndiks auf Ideen zu bringen, die ihnen nicht schon längst durch den Kopf gegangen wären. Er unterbrach seine Arbeit und tippte auf die Komm-Kontrolle: »An das Personal der Syndikatwelten im Lakota-System. Hier spricht Captain John Geary, Kommandant der Allianz-Flotte. Ich mache Sie hiermit auf Folgendes aufmerksam: Sollten die Kriegsgefangenen der Allianz auf dem Schlachtschiff Audacious oder auf einem anderen Schiff durch einen vorsätzlich überhitzten Antrieb oder einen anderen Gewaltakt ums Leben kommen, dann werde ich dafür sorgen, dass jedes Schiff, jedes Shuttle und jede Rettungskapsel der Syndikatwelten in diesem System vernichtet werden.
Wenn Sie unsere Leute am Leben lassen, dann schwöre ich bei der Ehre meiner Vorfahren, dass ich Sie alle entkommen lasse. Wenn Sie sie töten, erwartet jeden Einzelnen von Ihnen der qualvollste Tod, den ich Ihnen zufügen kann.« Es würde ungefähr zehn Minuten dauern, ehe seine Nachricht die Syndik-Formation erreicht hatte, in deren Mitte sich die Audacious befand, also kurz nachdem die Syndiks das Eintreffen der Allianz-Flotte bemerkt haben würden. Er konnte nur hoffen, dass das noch genügte.
»Das sollte sie aufhorchen lassen«, murmelte Desjani, die wieder auf das Display sah und ihre Kontrollen bediente.
Geary widmete sich seinen Aufgaben, zu denen nun auch noch gehörte, die Überreste der Audacious zu schützen. Die Arbeit schien ewig zu dauern. Langgestreckte Kurven zogen sich über das Display, überschnitten sich und vollführten einen komplizierten Tanz. Tatsächlich nahm das alles nur Sekunden in Anspruch, auch wenn es um zahllose Schiffe ging, die in Position gehen sollten.
»Fertig«, sagte Desjani und schnappte nach Luft.
Nachdem er sich um den letzten Schweren Kreuzer gekümmert hatte und die vom Computersystem errechnete Lösung dargestellt wurde, nickte Geary. »Ich auch. Überprüfen wir gemeinsam noch mal alles, okay? Ich will sichergehen, dass die schweren und die leichten Schiffe so positioniert sind, dass sie sich gegenseitig unterstützen können, wenn es nötig werden sollte.«
»Ist so gut wie erledigt, Sir.«
Sein Blick wanderte über das, was er und Desjani gemeinsam ausgearbeitet hatten. Elegante Bögen, die die Flugbahnen der Schiffe darstellten, durchzogen das All und bildeten ein schön anzusehendes Bild, das nichts von den todbringenden Absichten erahnen ließ, die sich dahinter verbargen. Die Bewegungen der Zerstörer und Kreuzer waren vielleicht nicht bis zur Perfek-tion auf die der schwereren Schiffe abgestimmt, aber alles funktionierte und konnte bis zum eigentlichen Feindkontakt noch einer Feinabstimmung unterzogen werden. Immerhin hatte er in Erwägung gezogen, Desjani könnte einfach die ihr unterstellten Schiffe auf den Gegner hetzen, aber sie hatte die Flugbewegungen so koordiniert, dass die Kampfstärke eines jeden Schiffs in improvisierten Formationen maximal genutzt werden konnte. Offenbar hatte sie ihn nicht bloß bei der Arbeit beobachtet, sondern auch daraus gelernt. Gemeinsam war es ihnen gelungen, das Beste aus dem gegenwärtigen Flotten-status herauszuholen, indem sie den Pulk in zwölf Unterformationen zerlegt hatten, in deren Mitte sich jeweils mindestens ein Schlachtkreuzer oder eine Schlachtschiffdivision befanden.
»Sieht gut aus. Sehr gut sogar.«
»Das sehe ich auch so.«
»Haben die Syndik-Wachschiffe schon auf unsere Anwesenheit reagiert?«
»Noch nicht. Aber sie werden uns auch erst in… neunzehn Minuten sehen.«
Es war kaum zu fassen, dass sie sich erst seit elf Minuten im Lakota-System aufhielten. Es war nicht möglich, auf eine Reaktion zu reagieren, die sich noch nicht ereignet hatte, aber in einer Situation, in der jede Minute zählte, wäre es zweifellos ein Fehler abzuwarten, was die Syndiks unternahmen. Geary tippte wieder auf seine Kontrollen. »An alle Einheiten in der Allianz-Flotte, hier spricht Captain Geary. Die Einsatzpläne werden Ihnen jetzt übermittelt. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Kontrolle über so viele Reparaturschiffe wie möglich zu erlangen, bevor die Syndiks begreifen, dass wir diese Schiffe kapern, aber nicht in Trümmer schießen wollen. Daher müssen sich alle Einheiten, die den Befehl zum Kapern der Reparaturschiffe haben, so exakt wie nur möglich an den vorgegebenen Zeitplan halten. Es ist außerdem wichtig, dass wir auf keinem dieser feindlichen Schiffe versehentlich eine Explosion des Antriebs verursachen. Wir gehen davon aus, dass sich an Bord des Wracks der Audacious Kriegsgefangene der Allianz befinden, achten Sie also darauf, dass das Schiff keine Treffer abbe-kommt. Für alle anderen Einheiten gilt, allen Syndik-Einheiten in Reichweite maximale Schäden zuzufügen, damit sie möglichst wenig zu bergen haben, wenn wir von hier abreisen.
Setzen Sie vor allem Höllenspeere ein, und greifen Sie zu der übrigen Munition nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.«
Er schaltete auf einen anderen Kanal, auf dem er die Befehlshaberin der über die Flotte verteilten Marines erreichen konnte. »Colonel Carabali, arbeiten Sie mit den Commandern der Kriegsschiffe zusammen, die die Reparaturschiffe zum Ziel haben, und stellen Sie sicher, dass deren Enterteams entsprechende Verstärkung durch Ihre Marines bekommen.
Stellen Sie außerdem eine Eingreif truppe zusammen, die das Wrack der Audacious einnehmen und die Gefangenen befreien kann. Zeit ist der entscheidende Faktor. Ich habe Ihnen den Flotteneinsatzplan in Kopie zukommen lassen, damit Sie wissen, welche unserer Schiffe sich der Audacious nähern werden. Sie haben die Erlaubnis, Shuttles von all diesen Schiffen mit Ausnahme der Hilfsschiffe zu nutzen, um Ihre Leute zur Audacious zu bringen und Gefangene zu evakuieren. Noch Fragen?«
»Nein, Sir«, antwortete Carabali knapp. »In spätestens einer halben Stunde lege ich Ihnen meinen Einsatzplan zur Freigabe vor.«
»Danke, Colonel. Es könnte sein, dass ich dann mit den Syndik-Kriegsschiffen und der Situation insgesamt alle Hände voll zu tun habe. Wenn Sie nichts von mir hören, können Sie davon ausgehen, dass Ihr Plan genehmigt ist und dass Sie ihn umsetzen dürfen.«
»Befehl auf Widerruf , Sir?«, f ragte Carabali verdutzt.
»Ganz genau. Sie sind mein Commander für Landeeinheiten, und Sie haben bewiesen, dass Sie Ihr Fach beherrschen.
Machen Sie sich an die Arbeit und lassen Sie mich wissen, ob Sie Unterstützung durch die Flotte benötigen, um Ihre Aufgabe zu erledigen.«
Sie nickte und hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.
Dann salutierte sie zackig. »Jawohl, Sir.«
Auf dem dritten Kanal rief er die befehlshabende Offizierin der Witch, die zugleich Kommandantin der aus den Schnellen Hilfsschiffen Witch, Goblin, Jinn und Titan bestehenden Division war. »Captain Tyrosian, wir wollen die Kontrolle über möglichst viele Reparaturschiffe der Syndiks erlangen, damit wir deren Rohstoffvorräte plündern können. Gibt es irgendeine Art von Förderband, um das Zeug aus den Lagerräumen der Syndiks zu schaffen?«
Die fünf Lichtsekunden entfernte Tyrosian schien einen Moment lang wie benommen dazusitzen, während sie Geary ansah, dann begann sie plötzlich zu reden. »Wir haben Förderbänder, aber unsere Systeme werden mit deren Anlagen nicht kompatibel sein. Wir werden die Bänder der Syndiks benutzen, um die Materialien bis zu einem Umladepunkt zu befördern, und da auf unsere Bänder umladen. Dieses Umladen wird spürbar Zeit kosten.«
Mürrisch wandte Geary sich an Desjani. »Die Förderbänder unserer Hilfsschiffe passen nicht zu denen der Syndiks.«
* »Sprengen Sie ein Loch in den Rumpf und schaffen Sie unsere Förderbänder direkt in deren Lager«, erwiderte sie in einem Tonfall, als sei das die offensichtlichste Lösung.
»Hervorragende Idee«, sagte Geary und leitete sie an Tyrosian weiter.
»Das wird zu strukturellen Schäden an den Schiffen führen…«, begann Tyrosian.
»Diese Reparaturschiffe müssen nur lange genug durchhal-len, bis wir haben, was wir wollen. Ob sie danach wegen der Löcher, die wir in ihren Rumpf geschossen haben, in tausend Stücke zerfallen, ist mir egal. Das wäre mir sogar noch lieber, weil ich dann weiß, dass die Syndiks sie nicht mehr retten können.
Machen Sie Ihre Ingenieure einsatzbereit, wir müssen die Rohstoffe so schnell wie möglich umladen. Benötigen Sie Hilfe von den Marines, um Löcher in die Syndik-Schiffe zu sprengen?«
Tyrosian machte eine fast beleidigte Miene und erklärte:
»Ingenieure können Dinge besser demolieren als Marines.«
»Ich werde bei Gelegenheit einen Wettkampf arrangieren, Captain Tyrosian. Führen Sie Ihre Befehle aus und geben Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie auf Probleme stoßen.«
Geary ließ sich in seinen Sessel sinken, atmete seufzend aus und wunderte sich darüber, wie schnell es ihnen gelungen war, einen Plan zusammenzustellen. Er sah wieder zu Desjani und stellte fest, dass sie sich ebenfalls zurücklehnte und ihn angrinste. Ihr Gesicht war ein wenig gerötet, als hätte sie gerade einen Sprint zurückgelegt. »Captain Desjani, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein verdammt guter Offizier sind?«
Daraufhin grinste sie noch breiter. »Vielen Dank, Sir.«
Als Geary wieder durchatmen konnte, dachte er voller Erstaunen über das soeben Erlebte nach. Er und Desjani hatten schon viele Male zusammengearbeitet, aber noch nie so gut.
Einer hatte vorausgeahnt, was der andere beabsichtigte, sie hatten sich gegenseitig ergänzt und so sämtliche Flottenbewe-gungen geplant. Vergleichen konnte er das eigentlich nur damit, Sex zu haben, ohne tatsächlich Sex zu haben.
Abermals musterte er Desjanis gerötetes Gesicht und fragte sich, ob seine Metapher nicht ein wenig deplatziert war. Sie bemerkte seinen Blick, wurde abrupt ernst und schaute rasch zur Seite. Etwas an seiner Miene musste ihr missfällen haben.
Und nun? Nun musste er etwas anderes finden, worauf sie sich konzentrieren konnten. Zum Beispiel das sich anbah-nende Gefecht. »Wie lange noch, bis die Syndik-Wachschiffe uns sehen können?«
»Fünf Minuten«, antwortete sie wieder gefässt und ohne Gefühlsregung.
»Die große Formation aus beschädigten Schiffen und Reparaturschiffen sollte inzwischen auch auf uns reagiert haben.«
»Einige von ihnen reagieren ja auch. Sehen Sie diese Aktivitäten? Die Verbindungsleitungen zwischen einigen Kriegsschiffen und den Reparaturschiffen werden durchtrennt.
Sieht so aus, als ob die gefechtstauglichen Syndik-Einheiten in dieser Formation sich auf einen Kampf oder auf die Flucht einrichten.«
»Ich will nicht hoffen, dass auch die Reparaturschiffe einen Fluchtversuch unternehmen.« Wobei »Versuch« in dem Zusammenhang das entscheidende Wort war, denn selbst die sogenannten Schnellen Hilfsschiffe der Allianz-Flotte waren langst nicht so schnell, wie ihr Name vermuten ließ, obwohl sie angeblich so konstruiert worden waren, dass sie mit einem Kriegsschiff mithalten konnten. Diese fliegenden Fabriken waren mehrheitlich aber gar nicht in der Lage, sich ähnlich einem Kriegsschiff zu bewegen: Sie waren nur mühsam in der Lage zu beschleunigen und konnten es nicht einmal annähernd mit der Geschwindigkeit einer Kampfeinheit aufnehmen. Zudem waren diese Syndik-Reparaturschiffe mit Rohstoffen beladen, die nötig waren, um Ersatzteile, Munition und Brennstoffzellen herzustellen, was sie umso träger machte.
Die ersten Schiffe der Allianz-Flotte überwanden die Oberkante des Minenfelds, das einen direkten Flug aus dem Sprungpunkt ins System verhindert hatte. Dabei sank jedes Schiff nach unten und beschleunigte gleichzeitig Richtung Feind, was den Eindruck erweckte, als würde die Flotte wie ein umgekehrter Wasserfall über die Minen hinwegfluten.
Auch die Dauntless überwand das Minenfeld und drehte sich nach vorn. Dabei war die Beschleunigung deutlich zu spüren, obwohl die Trägheitsdämpfer vor Anstrengung heulten, als sie versuchten, die Auswirkungen auf Schiff und Crew auszugleichen. Wenn es darum ging, auf den Feind loszustürmen, vergeudete Desjani keine Zeit. »Die Syndik-Wachschiffe müssen uns inzwischen gesehen haben«, erklärte sie. »Da wir beschleunigen und Kurs auf sie genommen haben, werden wir ihre Reaktion in… zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten sehen können, je nachdem, was sie in der Zwischenzeit unternehmen.«
Nach den hektischen Aktivitäten seit dem Eintreffen im System verstrichen die folgenden zwanzig Minuten wie ein Video, das in Zeitlupe ablief. Immerhin bekam Geary damit Zeit, sich mit den Statusberichten zu beschäftigen, die von den anderen Schiffen an die Dauntless übertragen wurden. Es war seit dem überhasteten Sprung zurück nach Lakota seine erste Gelegenheit, sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie es um die Vorräte und die Reparaturen bestellt war.
Bei der letzten Schlacht im Lakota-System war die Warrior von vier Syndik-Schlachtschiffen unter Beschuss genommen worden, während sie die Hilfsschiffe beschützt hatte. Ihre Crew hatte buchstäblich bis zum Umfallen gearbeitet, um die schlimmsten Schäden zu beseitigen, die das Schiff bei Vidha erlitten hatte, doch jetzt war die Warrior abermals kaum als gefechtsbereit zu bezeichnen. Geary musste unwillkürlich den Kopf schütteln, als er sich den aktuellen Status des glücklosen Schlachtschiffs ansah. Sie konnte zwar mit der Flotte mithalten, aber an einen Kampfeinsatz war bis auf Weiteres nicht zu denken.
Die Schlachtschiffe Orion und Majestic, die bei Vidha ebenfalls schwer beschädigt worden waren, hatten bei den Reparaturen nicht annähernd so viel Einsatz gezeigt, sodass sie nach wie vor kaum als gefechtsbereit angesehen werden konnten, wenngleich sie bei dem ersten Aufenthalt im Lakota-System kaum Treffer abbekommen hatten. Die Amazon, die Indomitable, die Vengeance und die Reprisal waren ebenfalls erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden, aber ihre Crews hatten sich heldenhaft an die Beseitigung der Schäden begeben und die Zeit im Sprungraum nach Ixion und zurück nach Lakota genutzt, sodass ihre Schiffe nun wieder einsatzbereit waren.
Die Schlachtkreuzer, die schneller beschleunigen und leichter manövrieren konnten, dafür aber auf die massivere Panzerung und die stärkeren Schilde der Schlachtschiffe verzichten mussten, hatten den üblichen Preis für ihren taktischen Vorteil bezahlt. Die meisten von ihnen waren übel beschädigt worden, als sich die Flotte den Weg aus dem Lakota-System freige-kämpft hatte. Aber so wie die Dauntless war der überwiegende Teil von ihnen in der Lage gewesen, zumindest die meisten Höllenspeer-Batterien sowie die Antriebseinheiten wieder in Betrieb zu nehmen. Lediglich die Daring und die Formidable befanden sich weiterhin in einer so schlechten Verfassung, dass sie aus schweren Gefechten herausgehalten werden mussten. Geary hoffte, die Befehlshaber dieser Schiffe davon abhalten zu können, sich trotz der hoffnungslosen Unterlegenheil ihrer Kreuzer ins größte Kampfgetümmel zu stürzen.
Der Rest der Flotte, bestehend aus Schweren und Leichten Kreuzern sowie zahlreichen Zerstörern, befand sich in einem ähnlichen Zustand, allerdings halte es nicht viele schwer beschädigte Zerstörer oder Leichte Kreuzer gegeben, als die Flotte vor den Syndiks aus dem Lakota-System geflohen war: Wenn diese kleineren Schiffe schwere Treffer kassierten, dann war die Panzerung meistens nicht stark genug, um den Beschuss einzustecken. In aller Regel explodierten diese Einheiten auf der Stelle, oder sie erlitten einen Totalausf all aller Systeme. Lediglich Gearys Bemühungen, die leichten Schiffe aus dem Schussfeld zu nehmen, hatten verhindern können, dass ihre Zahl beim letzten Gefecht deutlich dezimiert wurde. Dennoch waren vier Zerstörer und drei Leichte Kreuzer beim letzten Besuch im Lakota-System vernichtet worden.
Die vier Hilfsschiffe, die für das Überleben der Flotte unverzichtbar waren, hatten den letzten Feindkontakt fast völlig unversehrt überstanden, was zum großen Teil dem beharr-lichen Einsatz der Warrior zu verdanken war. Der eine Treffer, der die Titan erwischt hatte, war in den Tagen nach dem Gefecht sofort repariert worden.
Solange er ausblendete, dass sein Schiff keine Phantome mehr besaß, dass der Bestand an Kartätschen fast völlig aufgebraucht war und dass die Brennstoffzellen in bedenklichem Maß aufgebraucht waren, schienen die überlebenden Schiffe seiner Flotte tatsächlich in einem ganz brauchbaren Zustand zu sein.
»Warum haben die Syndiks ihre Reparaturen nicht weiter vorangetrieben?«, wunderte sich Geary laut. »Die hatten genauso viel Zeit wie wir, aber ihre Schiffe sehen zum großen Teil immer noch so aus wie kurz nach der Schlacht.«
Desjani schaute ihn überrascht an. »Soweit ich weiß, verfügen sie nicht über die gleichen bordeigenen Reparatur-möglichkeiten wie wir. Stattdessen ist alles zentralisierter.
Angeblich soll das effizienter sein, weil die Besatzung auf einem Kriegsschiff damit kleiner gehalten werden kann. Es spricht viel dafür, dass vor dem Eintreffen der Reparaturschiffe kaum irgendwelche Schäden behoben wurden. Außerdem wird es eine ganze Weile gedauert haben, die Reparaturschiffe anzufordern und herfliegen zu lassen, selbst wenn die sich in einem benachbarten System aufgehalten haben sollten. Sie befinden sich noch relativ dicht an der Position, an der sie sich während der letzten Kämpfe mit unserer Flotte aufgehalten haben dürften, sodass ich fast wetten möchte, dass sie sich erst vor gut einem Tag auf ihren neuen Kurs begeben haben.«
»Vor dem Krieg waren die Syndiks uns ähnlicher«, merkte Geary an. »Ich schätze, das hat sich als Reaktion auf ihre eigenen Verluste geändert. Aber was Sie da beschreiben, ist eine Vorgehensweise für Friedenszeiten, wenn man sich den Luxus gönnen kann, darauf zu warten, dass das Reparaturteam zu einem kommt. Das mag für die Syndiks kurzfristig kostengünstiger sein, aber auf lange Sicht kann das ihrer Gefechtsbereit-schaft nur abträglich sein.«
Desjani grinste ihn an. »Heute ist es das ganz bestimmt.« Ihr fiel etwas auf und sie hielt inne. »Das Licht von der Reaktion der Wachschiffe hat uns erreicht.«
Schnell schaltete er das Display um und sah, dass zwei Schlachtschiffe auf Vektoren beschleunigten, die sie zur Allianz-Flotte führten. »Nur zwei Schiffe? Und was ist mit dem Rest?«
»Das Licht von deren Reaktionen ist noch nicht bis zu uns vorgedrungen.« Desjani überprüfte etwas. »Da sie sich uns nähern, sind die beiden Schlachtschiffe jetzt nur noch zweiundzwanzig Lichtminuten entfernt. In ein paar Minuten werden wir sehen, wie der Rest der Streitmacht reagiert.«
Es dauerte einige Minuten länger als erwartet, was Desjani zu der Vermutung veranlasste, dass der Rest der Wachschiffe sich von der Allianz-Flotte entfernte. Sie sollte recht behalten.
»Sie haben sich aufgeteilt.«
»Aufgeteilt?« Während Geary das Display betrachtete, fingen über die ganze Flotte verteilte Sensoren das zeitverzögerte Licht auf, das das Handeln der Syndik-Schiffe zeigte, und aktualisierten in rascher Folge die Anzeigen. Zwei der Schlachtschiffe, die beiden Schlachtkreuzer und die leichten Kriegsschiffe beschleunigten wie wahnsinnig und folgten dabei Vektoren, die eindeutig auf das Hypernet-Portal gerichtet waren. Sie waren immer noch achtundzwanzig Lichtminuten entfernt und beschleunigten über 0,1 Licht hinaus. Auch wenn einige der leicht beschädigten Kriegsschiffe der Wachflotte ein wenig hinterherhinkten, musste Geary dennoch keine Berechnungen durchführen, um zu wissen, dass die Allianz-Flotte sie nicht würde einholen können. »Sie werden das Hypernet-Portal verteidigen und notfalls zerstören, damit wir es ja nicht benutzen. Aber warum teilen sie eine Streitmacht auf, die bereits hoffnungslos unterlegen ist? Warum schicken sie uns die beiden Schlachtschiffe entgegen? Soll das ein Ab-lenkungsmanöver sein?« Er rechnete die Vektoren für diese zwei Schiffe durch und bekam sofort seine Antwort. Ihr Kurs führte sie zu der großen Formation aus beschädigten Kriegsschiffen und Reparaturschiffen.
»Sie wollen ihre Kameraden verteidigen«, erwiderte Desjani in nüchternem Tonfall. »Eine aussichtslose Geste, aber dieser Syndik-Commander unternimmt sie dennoch.«
Zwei Schlachtschiffe. Selbst wenn Geary auf alle Allianz-Schlachtschiffe verzichtete, die so wie die Warrior schwere Schäden erlitten halten, konnte er ihnen mindestens sechzehn Schlachtschiffe und mehr als ein Dutzend Schlachtkreuzer auf den Hals hetzen. »Das ist das, was Schlachtschiffe eben machen«, meinte Geary leise und musste an Captain Moskos Worte denken, als der mit der Defiant, der Audacious und der Indefatigable den fast sicheren Tod wählte, um die Syndiks davon abzuhalten, sich dem Rest der Flotte zu nähern. »Trotzdem ist das völlig aussichtslos. Die anderen Schiffe können nicht entkommen, ganz gleich, was diese beiden Schlachtschiffe unternehmen. Außerdem erreichen uns die beiden frühestens in vier Stunden, und dann haben wir die Formation längst abgefangen. Diese Schiffe werden völlig sinnlos geopfert.«
»Vielleicht hat der Kommandant den Befehl, sowohl die anderen Schiffe als auch das Hypernet-Portal zu verteidigen, und er muss zeigen, dass er beides versucht.«
Das klang nur allzu überzeugend. Eine Mission, die die dazu abgestellten Streitkräfte sowieso hoffnungslos überforderte, also musste auch noch ein Teil dieser Kräfte geopfert werden, damit die widersinnigen Erwartungen des Ober-kommandos auch ja erfüllt wurden. In der hundert Jahre zu-rückliegenden Zeit Gearys hatte es so etwas nur bei Manövern gegeben, mit vorgespielten Verlusten bei vorgespielten Gefechten. Doch selbst da hatte er sich gefragt, ob es bei einem echten Konflikt tatsächlich so anders sein würde, wie ihm von seinen vorgesetzten Offizieren immer wieder versichert worden war, oder ob es dann sehr wohl nach dem gleichen Muster ablaufen würde, auch wenn die Verluste nur noch höher ausfielen. Nach allem zu urteilen, was er über den Krieg gelernt und mit eigenen Augen mitangesehen hatte, entsprach Letzteres wahrscheinlich der Realität. »Also gut, Captain Desjani.
Dann wollen wir mal dafür sorgen, dass unsere Flotte ordentlich aufgestellt ist, damit wir diese Schlachtschiffe unschädlich machen können, ohne eigene Verluste hinnehmen zu müssen.«
»Captain Desjani«, rief der Maschinen-Wachhabende dazwischen. »Die Brennstoffzellen der Dauntless sind soeben unter fünfzig Prozent Reserve gesunken.«
Desjani nickte und sah zu Geary. »So wenig hatte das alte Mädchen noch nie.«
Das »alte Mädchen« war gerade einmal vor zwei Jahren zum Jungfernflug aufgebrochen, dennoch war es eine beunruhigende Meldung. Wenn es ihnen nicht gelang, diese Reparaturschiffe zu plündern, dann würde ihre Heimreise ein vorzeitiges Ende nehmen. Gebete allein konnten ein Kriegsschiff nicht zum Weiterfliegen bewegen.
Vor vierzig Minuten waren sie nach Lakota zurückgekehrt.
Bislang sah alles noch ganz gut aus. Aber wie viel Zeit würde ihnen bleiben, bis die Syndik-Verfolger hier eintrafen, um sicherzustellen, dass die Allianz-Flotte nicht noch einmal entkam?