Vorsichtig stieg Ralph Wireman aus dem Rumpf des gelandeten C.S.O.-Raumschiffes. Mit einer seiner beinahe durchscheinenden Hände hielt er sich am Geländer der Gangway fest. Tastend schlurfte er vorwärts.
Er fühlte, wie Thomas Harmon ihn mit einer Hand am Ellbogen stützte. Vielleicht, weil er sich in letzter Zeit seiner körperlichen Hilflosigkeit so sehr bewußt geworden war, ärgerte er sich über Harmons taktvolle Hilfe. Harmon war ja schließlich selbst nicht mehr der jüngste. Er sollte sich nicht so aufspielen und Hilfe leisten, speziell eindrucksvolle Hilfe, um die man ihn nicht gebeten hatte.
Und dennoch: entsprang sie nicht nur der Güte und Rücksichtnahme? War es nicht, als sagte Tom wortlos: »Ich kann mich gut in Sie hineinfühlen?« Und war das nicht das schönste Geschenk, das ein Mensch dem andern geben kann?
Schluß damit! Er mußte auf andere Gedanken kommen. Rührung überkam ihn so leicht, seit neuestem.
Wirkten sich in den letzten Lebensjahren alle Eindrücke so sehr auf das Gefühlsleben aus? Sind die Alten deshalb so gleichmütig — so sparsam mit mehr als nur einem trüben Lächeln oder einem gezwungenen Lachen —, weil der Sturm ausgedrückter Gefühle sie ansonsten zerbrechen würde?
Zeigten sie deshalb nur ein schwaches Lächeln, war auch im Innern Lachen, Lachen — eine Welt der Freude?
Am halben Weg die Gangway hinunter blieb er stehen und Harmon mit ihm.
Lachen, dachte Ralph Wireman, kein schallendes Gelächter, kein unterdrücktes Kichern, sondern das fröhliche Lachen von Kindern, die die Welt entdecken. Werde ich die Welt jetzt neu entdecken? Werde ich ruhig dasitzen und mit meinen geschärften inneren Sinnen einen neuen Horizont sehen? Ein neues Abenteuer in Gedanken erleben, während sich auf meinem Gesicht nur ein nachdenkliches Lächeln abzeichnet. Ein Lächeln, oder Tränen, vielleicht. Tränen kommen leichter als Lachen. Tränen verbrauchen keinen Atem, Tränen verursachen keine Kieferschmerzen, wenn diese wund sind vom künstlichen Gebiß — ja, die ruhig fließenden Tränen alter Männer und alter Frauen sind auch sicher. Nicht das Schluchzen erwachsener Menschen, sondern Kindertränen; nicht zornige Kindertränen, sondern Tränen, die sie in Augenblicken kindlichen Leids vergießen: das sind die Tränen, die uns wiederkommen, wenn wir sehr alt sind.
Vielleicht, dachte Wireman, überschreiten wir aber doch einmal die Grenze. In einem Augenblick, in dem wir trotz aller Sorgfalt die Kontrolle über unsere Gefühle verlieren. Das wäre dann der Tod. Jeder von uns wird in eine private Welt eingehen: Lachen wird es geben für jene, die sich an Freude, Traurigkeit für alle, die sich an Sorgen erinnern.
Unsere Vergangenheiten, unsere Leben werden mit einem lauten Schlag enden, und dann, wenn wir Uhren und Tage hinter uns gelassen haben, sind wir in der Ewigkeit …
»Die Erde«, sagte Ralph Wireman, die Kiefern betrachtend. »Die Erde, Tom.«
»Dort ist Michael«, bemerkte Thomas Harmon.
Ralph Wireman schaute, blinzelte und streckte den Kopf vor, wie um die Entfernung zwischen sich und dem vagen, vertikalen grünen Pinselstrich auf dem großen weißen Fleck zu verringern. Denn mehr sah er nicht.
»Er spricht mit Captain Lemby.«
»Ich sehe ihn«, sagte Ralph Wireman gereizt.
Die Hacken zusammenschlagend und mit rasselnden Gewehren nahm eine Ehrengarde Aufstellung.
»Man empfängt uns, Ralph.« Harmon stieß ihn leicht an.
»Gut, gut! Ich kenne das Protokoll genauso wie Sie.«
Zu spät erinnerte sich Ralph Wireman, daß er Thomas Harmon erst vorhin in Gedanken neu eingeschätzt hatte. Schuldbewußt schaute er ihn über die Schulter an. Aber der alte Freund sah nicht beleidigt aus, nur ungeduldig.
Niemand — niemand darf mich straucheln sehen, dachte Ralph Wireman. Ich darf nicht zu langsam gehen, ich darf nicht scharf sprechen, ich darf nicht zeigen, daß es mich anstrengt … Ich muß jemand sein, auf den man sich noch eine Weile verlassen kann.
Aber es wurde immer schwieriger für ihn, diese Gedanken zu halten. Ihnen zu gehorchen, verlangte phantastische Kräfte.
Sonderbar, dachte er, daß mein Verstand so klar ist, wenn es um metaphysische Dinge geht, und so verworren, wenn er sich mit der diesseitigen Welt beschäftigen muß.
Mißbilligend schüttelte er den Kopf. Langsam war er die Gangway hinuntergestiegen, und da stand nun der Junge vor ihm. Lemby, der Bevollmächtigte der C.S.O. war zurückhaltend, und die Ehrengarde, Erdenbürger in C.S.O.-Uniformen, schaute geradeaus.
Weil alle diese Leute da waren, aber nicht teilnahmen, und nur sein Sohn zu ihm sprach, und weil er nur auf so kurze Entfernung etwas sehen konnte, war es Ralph Wireman, als wären Zeit und Raum stehengeblieben. Die Vergangenheit bestand aus einem Stück, kein Abschnitt war jünger als der andere, und erhob sich wie ein Monolith.
»Michael«, sagte Ralph Wireman.
»Wie geht es dir, Vater?« fragte Michael.
»Mir geht es gut. Deine Mutter …« Er deutete nach rückwärts. »Sie erholt sich von der Fahrt.« Er gestikulierte wieder. »Erinnerst du dich an Thomas Harmon?«
»Sehr gut. Wie geht es Ihnen, Mr. Harmon?«
»Ausgezeichnet, Michael. Ich freue mich, Sie zu sehen.«
Ja, dachte Ralph Wireman, und hörte gar nicht weiter hin, Thomas Harmon war von Michael beeindruckt und von dem, was er getan hatte. Auf ihrer Reise von Cheiron hatte er im Raumschiff des öfteren davon gesprochen.
Auf Cheiron hatte man sie zuerst in einem unbequemen Hotel gefangengehalten und ihnen dann plötzlich eine luxuriöse Fahrt zur Erde angeboten, nur weil Michael hier etwas unternommen hatte.
Aber Ralph Wireman war nicht beeindruckt von dem, was Michael getan hatte. Jeder konnte bekommen, was er wollte, wenn er der Stärkere war. Um immer mehr zu bekommen, muß man nur stärker werden.
Thomas Harmon hatte das genauso wie jeder andere auch gewußt. Aber er hatte nicht recht daran geglaubt, daß es ein unumstößliches Gesetz des menschlichen Universums war, und auch nicht, daß es auf Michael Wireman so gut wie auf jeden anderen Menschen zutreffen würde.
Er hatte dem Jungen die Gelegenheit gegeben, weil sein Verstand ihm das geraten hatte. Über den Erfolg war er dann sehr erstaunt gewesen.
Und wegen dieses Zweifels an Ihrer eigenen Intelligenz, dachte Ralph Wireman, sind Sie nicht so geeignet, Menschen anzuführen, wie ich, Tom. Aber das tut jetzt nichts mehr zur Sache — noch ein paar Wochen, oder Monate, und alles wird zu Ende sein. Wir werden eine Demarkationslinie aushandeln, die unser Gebiet von dem der C.S.O. trennen wird. Es wird Neuwahlen geben und für uns wird es aus sein.
Dann werden wir in der Sonne sitzen und auf die Ewigkeit zugehen. Sie werden in Ihre eigene, private Welt kommen und ich in meine. Nie werden wir uns dann wiedersehen, außer in Träumen.
Was aus Michael geworden war, das beeindruckte ihn, denn er wußte, daß nicht jeder das werden kann, was er werden möchte; sondern nur das, was in ihm steckt.
Nie hätte er gedacht, daß sich in Michael ein eigener Menschentyp verbarg. Auf Cheiron hatte sich durch nichts gezeigt, daß Michael das hatte, was für einen Führer so wichtig ist: Selbstvertrauen.
Selbstvertrauen ist das Wissen, daß Menschen lange nicht so klug oder selbstsicher sind, wie sie vorgeben, lange nicht so zielbewußt, wie sie zu sein scheinen; daß sie wissen, eine Führung nötig zu haben, und automatisch jenen folgen, die die Führung übernehmen; daß praktisch jeder intelligente Mann mit guter Ausbildung und gesundem Menschenverstand dafür in Frage kommt, solange er bemüht ist, sich Führungsgrundsätze anzueignen und nicht davon abzuweichen.
Aber wie viele Männer werden in jeder Generation geboren, die den festen Willen haben, eine Richtung einzuschlagen und ihr ein Leben lang zu folgen? Solch ein Mann eines so seltenen Typs erkennt natürlich, daß er über allen anderen Menschen steht, und er wird streng darauf achten müssen, daß sich dieses Bewußtsein darum, eine einmalige Gabe zu besitzen, und das fatale Gefühl, von Gott auserkoren zu sein, die Waage halten. In der einen Waagschale liegt Wohlwollen, in der anderen Tyrannei.
Auf diese Weise kann man sich auch das Verhalten berühmter Männer der Weltgeschichte erklären.
Aber zu denken, daß Michael — sein Michael — es so weit gebracht hatte!
»Wie geschah das nur, Junge?« fragte er und unterbrach damit jemanden, der gerade etwas zu Michael sagte. »Wie bist du daraufgekommen?«
Nun, da er ihm nahe genug war, konnte Ralph Wireman seinen Sohn betrachten und mit einem erfahrenen Blick beurteilen.
Ralph Wireman sah, daß er nicht sehr viel härter geworden war. Es schien, daß er nie so zäh wie sein Vater werden würde. Nur seine Art zu gehen war anders geworden. Aber durch diesen neuen, sicheren Schritt hatte sich sein ganzer Körper verändert. Jeder Muskel hatte sich anpassen müssen und dadurch ein anderes Aussehen bewirkt.
Die Züge eines Menschen werden dadurch bestimmt, wie das Licht Vertiefungen und Vorsprünge des Gesichts trifft. Der Junge trug seinen Kopf jetzt anders. Das Licht fiel daher in einem leicht geänderten Winkel auf Augen und Nase, und das sich daraus ergebende Licht- und Schatten-Muster verlieh ihm andere Züge.
»Ich glaube, ich hatte keine andere Wahl, Vater«, antwortete Michael. Obwohl es Ralph Wireman freute, daß sein Sohn die Frage verstanden und ihm geantwortet hatte, während all die andern verblufft dastanden, so war es doch eine sonderbare Antwort, und Ralph Wireman überlegte, ob sie einander wirklich verstanden hatten.
Er grübelte darüber nach, während er und Harmon anderen Leuten vorgestellt wurden, die ihn gar nicht interessierten. Da waren Anhänger des gestürzten Vorgängers oder neu beförderte Männer, die die klassischen Funktionen einer Interimsregierung ausübten: Männer ohne Schliff und Praxis, die wichtige Arbeiten gut bewältigten, nicht weil sie entsprechend geschult worden waren, sondern weil sie sich mit Leib und Seele darauf konzentrierten. Monomanie hätte eine stabilere Regierung das genannt und sie eben deswegen entfernt und wegen all der anderen Fehler, die eine erfahrene Regierung nie tolerieren könnte.
Da waren dieser Newsted, dieser Hobbs, dieser Morganson, dieser Lopert, dieser Ladislas — das ruhige, unerschütterliche Ausgleichsgewicht zum ungestümen, jungen Kommandanten …
»Ladislas Danko!« Ralph Wireman schaute entgeistert drein.
»Alter Freund«, brummte Professor Danko, ihm freundlich auf die Schulter klopfend.
»Ich war nie Ihr Freund!« sagte Wireman schrill und zog die Schulter weg.
»Ich hatte gedacht, vielleicht …« Danko zuckte die Achseln und wandte sich unangenehm berührt ab.
Erst jetzt wurde Ralph Wireman klar, daß sein früherer Gegner erschrocken war, ihn so alt zu sehen, und in guter Absicht versucht hatte, die längst vergangenen Zwistigkeiten zu begraben. Und nun war ihm Wiremans Unhöflichkeit peinlich.
Ach, laß ihn, dachte Ralph Wireman. Zu dumm, daß nicht jeder jedes Gespräch beherrschen kann; tatsächlich ist es so, daß immer nur einer die Richtung bestimmt, oder niemandem wäre gedient. Danko hatte trotz aller Freundlichkeit, versucht, ihre Bekanntschaft in eine Bahn seiner Wahl zu zwingen. Natürlich hatte er da erklären müssen, daß er nicht damit einverstanden war.
»Vater«, fragte Michael Wireman sanft, »hast du der Erde damit gedient, so mit Professor Danko zu verfahren?«
»Der Erde gedient? Natürlich, ich …« Er unterbrach sich plötzlich. Das war ja nicht so wichtig. Der springende Punkt bestand darin: Wer war hier das Oberhaupt? War das einmal geregelt und der entsprechende Zuständigkeitsbereich für jeden einzelnen genau festgelegt, dann konnte die Regierung ihre Arbeit ungehindert fortsetzen.
Oder war das bereits erledigt worden?
»Michael, hast du mir die Präsidentschaft, genommen? Du hast mir keinen Platz gelassen, nicht wahr?«
»Das ist schwer zu beantworten, Vater«, sagte Michael.
Ladislas Danko begann: »Die gesetzliche Lage ist äußerst unklar. Da ist einmal die Frage, ob der C.S.O.-Vertrag mit Hammil dem Internationalen Gesetz nach gültig war, das heißt, die weitere Frage, ob Hammil diesen Status unabhängig vom Vertrag erworben hat, wenn man bedenkt, daß seine Aktionen einen Staatsstreich gegen die Regierung im Exil dargestellt haben.
Nehmen wir an, Hammil wäre rechtmäßiger Präsident gewesen, dann taucht die Frage auf, ob Michael den Titel als legitimer Erbe erhalten hat, denn er tötete den General im Zweikampf. Oder ob er die Ordnung auf der Erde im Namen der Regierung im Exil wiederherstellte, womit er Ihre Autorität aufrechterhalten hätte; oder ob er die Macht einfach an sich gerissen oder ob er eine Gegenrevolution ausgeführt hat …«
Aber Ralph Wireman hörte gar nicht zu. Er war auch nicht schockiert oder enttäuscht. Er hatte natürlich schon lange gewußt, daß seine Position nur ein Blatt Papier war, das hinwegflattern würde beim ersten Wind, der über die Erde fegte. Aber daß Michael es sein mußte, den er nicht verstand, dessen Beweggründe er nicht kannte, dessen Führungsgrundsätze er nicht geprüft hatte, kurz und gut, nicht zu wissen, in welche Hände seine Autorität gefallen war, das verwirrte ihn und machte ihn unsicher.
Immer wußte ich, was ich tat, dachte er. Ich plante und führte die Pläne aus, meistens. Wollte ich nicht schon einmal aufgeben, vor Jahren, an Bord des Raumschiffs? Aber jeder Mensch hat Totpunkte im Leben, dann verliert er das Vertrauen zu seinen Plänen.
Aber nur vorübergehend. Er macht weiter. Wer kann sagen, warum ich meine Meinung änderte?
Änderte ich sie wirklich? Wenn ich mich nicht erinnern kann, ist es dann überhaupt geschehen, oder vermute ich das nur? Wer kann sagen, ob ich immer wußte, was ich tat? Wer kann sagen, daß alles immer so war, wie ich es mir dachte? Ich habe nur mein Gedächtnis zur Unterstützung. Ist es perfekt, oder kommt mir das nur so vor? Hat mein Gedächtnis die Vergangenheit so aufbewahrt, daß alle unebenen Stellen mit Moos bedeckt sind und grün aussehen, schöner als sie wirklich waren?
O Gott! dachte Ralph Wireman. Ich bin der Gefangene meines Gehirns, und mein Gehirn ist menschlich — nur zu menschlich. Es versucht, Dinge freundlicher zu machen, es versucht, alles so zu arrangieren, daß mein letzter Gedanke der Freude gelten wird und nicht dem Leid. Oh! Wie wichtig mir das geworden ist! Hätte ich das nur gewußt, als ich noch jünger war. Jetzt ist es zu spät. Zuviel Vergangenheit liegt hinter mir. Wie kann ich sie jetzt ändern?
Oder habe ich sie geändert? Habe ich die Wahrheit übergangen, so daß die zeitlose Welt, in die ich eingehen werde, falsch und hohl sein wird, wo ich nicht werde ruhen können?
»Mr. Wireman«, sagte Captain Lemby zu Michael, nicht zu Ralph. »Wir haben einiges zu besprechen. Der Feind ist aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Wir müssen jetzt rasch einen Kordon errichten, um Verstärkungen abzuwehren, während der Rest hier geschlagen wird.«
Michael hörte Lemby geduldig zu. »Sicherlich, Captain«, sagte er. »Aber während Ihre Gedanken sich mit Raumschiffen beschäftigen, muß ich Sie daran erinnern, daß es mein Vater war, der es euch ermöglicht hat, diesen Sektor frei zu machen. Eben erst hat er erfahren, daß er entlastet ist und nun das Recht hat, ein wenig Atem zu holen. Spazieren wir langsam zu meinem Zelt. Bis dahin sind wir sicher soweit, uns wieder der Politik zuwenden zu können.«
Sanft legte er seine Hand auf Ralph Wiremans Arm. »Laß uns gemeinsam gehen.«
Sie saßen um den langen Tisch in Michael Wiremans Zelt, und Ralph Wireman beobachtete schläfrig seinen Sohn, der mit dem C.S.O.-Bevollmächtigten verhandelte.
»Schauen Sie«, ereiferte sich Lemby gereizt, »wir sagten gewisse Ding zu: die Blockade, die Versorgungsgüter, den Rücktransport der Mitglieder der früheren Regierung, die Anerkennung eurer Regierung. Nun, auch ihr müßt uns etwas geben. Handelskonzessionen, Entschädigungen, irgend etwas, um Himmel willen!«
»Nun, ja«, sagte Michael Wireman. »Wir sind euch für eure Hilfe dankbar. Aber ohne uns würdet ihr euren Krieg nie gewinnen.«
»Unseren Krieg? Es ist auch euer Krieg!«
»Dann sind wir Verbündete. Betrachten Sie es als ehrenhaft, unser Territorium wirtschaftlich beherrschen zu wollen, als Entschädigung für eine Hilfe, die Freunde und Verbündete normalerweise selbstverständlich gewähren? Sie selbst wiesen darauf hin, Captain; es ist auch euer Krieg. Auch ihr werdet davon profitieren.«
»Wireman, Sie werden bestimmt nicht profitieren, wenn wir die Blockade aufheben und den Feind wieder ins Land lassen! Dann würden Sie uns bestimmt gern wiederhaben und auf jeder Basis verhandeln.«
»Das können Sie nicht tun, Captain«, sagte Michael, langsam den Kopf schüttelnd. »Was erzählten Sie Ihrem Volk, zu Hause, als der Krieg begann? Daß ihr mit einem Rivalen in wirtschaftlichen Konflikt gekommen seid — oder daß ihr der unterdrückten Erde zu Hilfe eilen würdet? Ich kenne Ihre Regierung, Captain. Es ist eine gute Regierung, aber sie ist der Meinung, daß man dem gewöhnlichen Volk eine edle Absicht vortäuschen und die harte Wirklichkeit verbergen soll. Nein, Captain, Sie dürften den Feind nicht wieder hereinlassen. Ihr Volk würde sich vor Entrüstung erheben und die Regierung stürzen.«
Lemby hatte sich vorgebeugt und wie um Gehör bittend die Hand erhoben. »Mr. Wireman …«
»Tut mir leid, Captain. Ich wünschte, Ihre Regierung hätte nicht einen strebsamen Offizier für eine politische Mission ausgesucht. Ich glaube, sie wählte Sie, weil sie herausgefunden hatte, daß Hammil nicht mehr an der Macht war, und weil sie die jetzige Situation voraussah. Nun wird man allen Zorn an Ihnen auslassen und Ihnen den Rang aberkennen. Man wird Sie vor die Wahl stellen: Entweder Entehrung oder an die Front. Ich weiß, wie Ihre Entscheidung aussehen wird.«
Lemby stand gefaßt auf. »Sie zielen gut, Mr. Wireman; die Erde kann glücklich sein, Sie zu haben.«
Michael Wireman schaute auf. »Ich habe vor, mein Bestes zu tun.«
Ralph Wireman stand neben seinem Sohn und schaute vom Berggipfel hinunter. Er konnte dieses Neue an Michael noch immer nicht fassen. Er konnte es nicht verstehen.
»Jeden Tag lerne ich ein wenig dazu, Vater«, sagte Michael, müde dastehend. »Wie ich handeln muß und was zu geschehen hat. Jeder könnte das erlernen.«
»Das ist nicht wahr«, entgegnete Ralph Wireman schnell.
»Es ist wahr. Tut mir leid, Vater. Was dir schwierig erscheint, ist in Wirklichkeit nicht mehr als das, was jedes Baby lernen muß, wenn es zum erstenmal einem anderen Baby begegnet. Es muß lernen, was ihm gehört und was dem andern, und wie man diesbezüglich übereinkommen kann. Jedes Kind will zuerst immer alles für sich haben. Mit Kämpfen und Weinen werden die Grenzen schmerzvoll gezogen. Wenn das Kind dann größer ist, sieht es die begangenen Fehler ein: die Gemeinheiten, die Betrügereien, die nutzlosen Kämpfe, und muß mit dieser Erinnerung weiterleben. Es lebt weiter und läßt sich ständig von der Vergangenheit beeinflussen. Wenn es älter ist, sieht es, daß Irrtum Irrtum gebiert, daß Schande Schande zeugt und daß Betrug ebenso ein Teil der menschlichen Seele ist wie Treue. Und dann muß es lernen, damit zu leben, das ist alles.
Ein Mensch kann sich nicht selbst führen. Er kann nur etwas für andere tun, weil er sie so sieht, wie sie wirklich sind. Selbst sieht sich ein Mensch immer anders.«
Ralph Wireman faßte ihn am Arm. »Glaubst du das? Du sprichst mit mir, Michael. Ich habe berühmte Männer gekannt, ich selbst war berühmt. Ein berühmter Mann weiß, daß er berühmt ist. Ohne dieses Wissen kann er nicht wirken. Wenn ein Mann ein Führer ist, aber nicht weiß, daß er besser ist als der Rest, wie soll er da die eigenmächtigen Entscheidungen vertreten können, die er treffen muß? Nein, das wäre unmöglich!«
»Tut mir leid, Vater«, sagte Michael Wireman. Er trat den Rückweg an, langsam, damit sein Vater folgen konnte, und gemeinsam gingen sie zum Zelt zurück, in dem Michael Wiremans Mutter ruhte. Dann warteten sie auf den Hubschrauber, der sie alle in die Stadt bringen würde.