6.

Der Mutant berührte mit seiner deformierten Hand eine Tür, die lautlos in die Wand zurückglitt. Von drinnen war das summende, klappernde Geräusch einer Großrechenanlage zu hören.

„Du bist Lloyd Harkins“, sagte eine trockene metallische Stimme. Das war keine Frage, sondern einfach die nüchterne Feststellung einer Tatsache. „Du bist erwartet worden.“

Er sah sich nach dem Sprecher um. In der Mitte des Raumes stand ein Roboter — fünf Meter hoch, massiv, gesichtslos und mit dem inzwischen schon vertrauten Horn auf der Stirn. Es schien derselbe zu sein, der ihn im Dschungel vor der Bestie gerettet hatte.

Die Wände des Raumes waren von den äußeren Kennzeichen des Computers übersät: Skalen, Hebel, Glimmlampen und dergleichen. Der eigentliche Computer befand sich woanders — er erstreckte sich vermutlich durch die engen Tunnels bis in die Tiefen der Erde.

„Ich spreche für das Gehirn“, sagte der Roboter. „Ich vertrete seine eine unabhängige Einheit — die Macht, die dich hierhergerufen hat.“

Du hast mich hergerufen?“

„Ja“, sagte der Roboter. „Du bist ausgewählt worden, um die Stasis zu brechen, die das Gehirn bindet.“

Harkins schüttelte verständnislos den Kopf, aber der Roboter sprach weiter.

„Das Gehirn wurde vor etwa zweitausend Jahren, in den Tagen Der Stadt, gebaut. Die Stadt ist nicht mehr, und ihre Bewohner sind tot — aber das Gehirn lebt noch. Du hast seine Arme und Beine gesehen — die Roboter, die endlos durch die Wälder streifen. Sie können ihre Bewegung nicht einstellen, und das Gehirn kann das auch nicht. Nur ich allein bin frei.“

„Weshalb?“

„Das Ergebnis einer Auseinandersetzung, die beinahe zweitausend Jahre dauerte und die das Gehirn beinahe eine Meile seiner Lange gekostet hat. Die Stadtbewohner ließen das Gehirn funktionsfähig zurück, als sie starben — aber in einem undurchdringbaren Stasisfeld gebunden. Nach ungeheuren Anstrengungen gelang es ihm, eine Einheit — mich — zu befreien — und mich seiner bewußten Kontrolle zu untersteilen.“

„Dann warst du es, der mich im Wald gerettet hat?“

„Ja. Du hast den falschen Weg eingeschlagen, du wärest getötet worden.“

Harkins begann plötzlich zu lachen. Katha sah ihn verwundert an.

„Was verursacht dieses Gelächter?“ fragte der Roboter.

„Du bist der Schachspieler — du, der du selbst nur eine Schachfigur dieses Gehirns bist! Und das Gehirn selbst ist auch eine Schachfigur — eine Figur, die von den ehemaligen Bewohnern dieser Stadt hin- und hergeschoben wird! Wo hört das alles auf?“

„Es hört nicht auf“, sagte der Roboter. „Aber wir waren es, die dich aus deiner eigenen Zeit in diese Epoche geholt haben. Du warst ein ausgebildeter Techniker ohne familiäre Bindungen — also der ideale Mann, um das Gehirn aus seiner Stasis zu befreien.“

„Einen Augenblick“, sagte Harkins. Er war verwirrt — aber gleichzeitig ärgerte er sich auch über die Art und Weise, wie man ihn einfach benutzt hatte — so wie man ein Werkzeug benutzt. „Wenn du in der ganzen Ewigkeit herumstreifen kannst und es sogar fertigbringst, einen Menschen aus seiner eigenen Zeitepoche herauszureißen — warum konntest du dann das Gehirn nicht selbst befreien?“

„Kann ein Bauer seine eigene Dame angreifen?“ fragte der Roboter. „Ich kann an dem Gehirn nichts verändern. Es war notwendig, von außen eine zusätzliche Kraft ins Spiel zu bringen — dich. Da die augenblickliche Bevölkerung der Erde ihrerseits von den außerirdischen Invasoren in einer ähnlichen Stasis gehalten wird wie das Gehirn …“

„Die Sternriesen nennt man sie.“

„… war es unwahrscheinlich, daß sie je die technischen Kenntnisse entwickeln würden, um das Gehirn zu befreien. Deshalb war es nötig, dich hierher zu bringen.“

Harkins verstand. Er schloß die Augen, um sich zu konzentrieren. Ja, die einzelnen Stücke fügten sich jetzt zueinander — nur ein Glied fehlte noch in der Kette.

„Warum will das Gehirn frei sein“, fragte Harkins.

„Die Frage ist berechtigt. Das Gehirn ist dazu geschaffen, um zu dienen, und das tut es nicht. Der Kreis hat sich geschlossen. Jene, die dem Gehirn befehlen sollen, befinden sich selbst in Abhängigkeit und Sklaverei, und das Gehirn wiederum ist nicht in der Lage, sie zu befreien, damit sie ihm Befehle geben können. Demzufolge …“

„… müssen die Sternriesen von der Erde vertrieben werden, ehe das Gehirn wieder im vollen Maße funktionieren kann. Und deshalb bin ich hier. Gut“, nickte Harkins. „Bringe mich zum Gehirn.“

Die Stromkreise waren ziemlich kompliziert, aber nur in Kleinigkeiten anders, als Harkins sie kannte. Es war also recht einfach, die Stasis aufzuheben. Von Katha ehrfürchtig bestaunt, berechnete Harkins anschließend das Steuerband neu, das die Kontrollzentrale des Gehirns lenkte.

Ein riesiger Bildschirm zeigte, wo die einzelnen Roboter, die die Glieder des Gehirns waren, sich aufhielten. Das Bild — eine Zusammenfassung der einzelnen Bilder, die von den Robotern übertragen wurden, war eine Ansicht des ganzen Waldes.

„Gib mir das Band“, sagte Harkins. Katha reichte ihm das neuerrechnete Band. Harkins betätigte die Einfuhröffnung und ließ das Band sich aufspulen.

Der Bildschirm wurde einen Augenblick finster — und als wieder ein Bild darauf zu sehen war, sah man, daß sämtliche Roboter in ihrer Bewegung erstarrt waren. Aus den Tiefen der Tunnelstadt war ein mächtiges Brausen und Summen zu hören, als Relais, die seit zweitausend Jahren blockiert gewesen waren, sich lösten und neuer Befehle harrten.

Harkins Finger flogen über die Schaltknöpfe. „Das Gehirn ist frei!“ sagte er.

„Das Gehirn ist frei“, wiederholte der Roboter. „Eine einfache Aufgabe für dich — und eine Unmöglichkeit für uns.“

„Und jetzt zum zweiten Teil der Operation“, sagte Harkins. „Geh zur Oberfläche“, befahl er dem Roboter, „und sorge dafür, daß der Kampf dort oben sofort aufhört. Bringe alle Leute, die du dort oben findest, zu mir herunter. Ich möchte, daß sie sich den Bildschirm ansehen.“

„Zu Befehl“, sagte der Roboter und ging. Harkins konzentrierte sich ganz auf den Bildschirm.

Er zog die Roboter im Wald zu einer massiven Schlachtreihe zusammen. Und dann begannen sie loszurollen. Auf dem Bildschirm sah man, wie die Armee stählerner Riesen, in zehngliedriger Reihe gestaffelt, sich auf den Weg machte.

Sie trafen auf den ersten Sternriesen, als gerade die Leute von oben in die große Halle gedrängt wurden. „Ich kann mich nicht umdrehen, Katha“, sagte Harkins, dem der Schweiß von der Stirn lief. „Sag mir, wer hier ist.“

„Viele von unseren Männern — und die Stadtbewohner auch.“

„Gut — sage ihnen, sie sollen auf den Bildschirm achten.“

Er betätigte sich wieder am Schaltbrett, und die Roboter gehorchten. Sie bildeten einen Kreis um den Sternriesen und senkten die einhornartigen Spitzen an ihren kugelförmigen Köpfen. Der Fremde überragte sie um gut zwölf Meter, aber die Roboter kannten keine Furcht.

Sie rollten nach innen. Der Ausdruck uralter Weisheit im Gesicht des Riesen wich zuerst dem des Erstaunens, dann dem der Furcht. Die Roboter rückten immer weiter vor, während der Riese verzweifelt versuchte, sie mit Armbewegungen wegzuscheuchen.

Zwei der Roboter packten die Füße des Fremden. Sie richteten sich auf — und der Riese begann mit einem Schreckensschrei zu taumeln. Seine Arme fuchtelten wild in der Luft, als er versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen — aber er stürzte, und die Roboter überrollten ihn.

Der Kampf dauerte höchstens eine Minute. Dann wandten sich die Roboter von dem reglosen Riesen ab und setzten ihren Marsch zu der Stadt der Sternriesen fort.

Die Versuchstiere revoltierten, dachte Harkins, bald würde das Laboratorium zu einem Schlachthaus werden.

Und die Roboter marschierten …


* * *

Und dann war es vorbei. Harkins erhob sich von der Schaltkonsole. Sein Gesicht war grau und mitgenommen. Der unabhängige Roboter rollte schweigend auf ihn zu, als ahnte er, daß er gebraucht wurde, und Harkins stützte sich einen Augenblick auf die Maschine, wie um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Er war vier Stunden am Schaltbrett gesessen.

„Die Aufgabe ist erfüllt“, sagte der Roboter leise. „Die Invasoren sind tot.“

„Ja“, sagte Harkins schleppend. Der Anblick der hilflosen Riesen, die einer nach dem anderen vor den erbarmungslosen Robotern zu Boden gegangen waren, würde ihn sein ganzes Leben lang nicht verlassen.

Er sah sich um. Etwa fünfzehn von seinen eigenen Männern und zehn Leute aus der Stadt umstanden ihn. Die Männer knieten und murmelten Beschwörungsformeln. Auch Kathas Gesicht war weiß wie das einer Leiche.

„Jetzt ist für dich die Zeit zurückzukehren“, sagte der Roboter. „Du hast deine Aufgabe gut erfüllt und kannst jetzt in dein früheres Leben zurückkehren.“

Harkins war zu erschöpft, um Erleichterung zu empfinden. Im Augenblick wollte er nur ausruhen, sonst nichts.

„Mußt du uns verlassen?“ fragte Katha plötzlich.

„Ich werde nach Hause zurückkehren“, sagte Harkins.

Tränen glitzerten in ihren Augen — die ersten Tränen, dachte Harkins, seltsam berührt, die er seit seiner Ankunft in dieser Welt in irgendeinem Auge gesehen hatte.

„Aber — du darfst uns jetzt nicht verlassen“, sagte sie besorgt.

(Steht so in der Vorlage. Brrazo) Schachfigur gesehen, aber für diese Leute hier war er ein Herrscher. Er konnte sie jetzt nicht verlassen. Diese Leute waren primitive Wilde und brauchten Lenkung. Der große Computer gehörte ihnen — aber sie würden vielleicht nie lernen, ihn zu bedienen.

Er wandte sich zu dem Roboter. „Die Aufgabe ist nicht erfüllt“, erklärte er. „Sie fängt erst an.“

Er brachte ein gequältes Lächeln zuwege und sagte fest: „Ich bleibe hier!“

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