Eine gewisse Unsicherheit in der Stimme von Sir Juffin verlieh dem Abschluss dieses Kriminalfalls eine eigenartige Note. Allerdings hatten wir ihn auch noch nicht ganz gelöst.

Wir kehrten ins Haus an der Brücke zurück und brachten den bewusstlosen Hausbesitzer Gartoma Chatl Min in ein kleines Zimmer, das wir provisorisch zum Krankenlager umfunktioniert hatten. Wir entschieden uns, den alten Mann erst aufzuwecken, wenn wir ihm den Gürtel abgenommen hatten. Weitere Probleme nämlich konnten wir wirklich nicht brauchen.

»Geht ruhig alle nach Hause«, sagte Juffin freundlich. »Alle bis auf ... Max, könntest du mir noch ein wenig helfen?«

»Natürlich«, sagte ich offenherzig.

Mir hatte bereits davor gegraut, nach Hause gehen zu müssen, wo nicht nur meine flaumigen Katzen Armstrong und Ella auf mich warteten, sondern auch süße Erinnerungen, die ich nicht an mich heranlassen wollte.

Ich sah, wie andächtig Lady Melamori den Boden rund um ihre Füße musterte. Die Aussicht, nach Hause zurückzukehren, löste auch in ihr offenbar keine Begeisterung aus. Ihr Zustand war nicht besser als meiner, vielleicht gar um einiges schlimmer, weil nicht nur ich in der Nacht zuvor gefunden hatte, wonach ich lange suchte.

Ich tat das Erste, was mir in den Sinn kam, und meldete mich per Stummer Rede bei Melifaro.

»Wenn du Lady Melamori jetzt nicht nach Hause begleitest, bist du ein Volltrottel.«

Melifaro wäre vor Erstaunen beinahe vom Stuhl gefallen und musterte mich frappiert.

»Tu, was ich dir sage!«

»Was ist denn in dich gefahren, Sir Nachtantlitz? Ich dachte, die Bewohner der Grenzgebiete wären besonders eifersüchtig.«

»Ich bin da eine Ausnahme. Jetzt hör auf zu schwatzen. Ende.«

Ich ließ Melifaro und Melamori stehen und flüchtete in mein Büro. Hätte ich vielleicht doch eifersüchtig sein sollen?

Nach ein paar Minuten kam Sir Juffin zu mir.

»Hältst du wirklich die ganze Nacht durch, Max? Zum Glück bin ich nicht auf deine Hilfe angewiesen. Lass nur deinen Freund frei. Kannst du überhaupt noch ohne ihn leben?«

»Meinen Freund? Den hatte ich ja ganz vergessen!«

Ich musste in mich hineinlachen, denn ich hatte mich so daran gewöhnt, den Reeder Agon dabeizuhaben, dass mir gar nicht mehr bewusst war, ihn herumzuschleppen.

»Brauchen Sie den guten Mann sofort?«

»In etwa einer Stunde, wenn du so lange warten kannst. Lady Sotova hat versprochen, vorbeizukommen. Agon soll sich dann per Stummer Rede bei allen Gürtelträgern melden und sie ins Haus an der Brücke bestellen, wo Lady Sotova ihnen helfen wird, sich von ihrem zweifelhaften Schmuckstück zu befreien. Das ist für sie ein Klacks, wie du selbst gesehen hast.«

»Nach Hause gehe ich heute bestimmt nicht. Lady Sotova ist fantastisch, finden Sie nicht?«

Sir Juffin räusperte sich. »Ich weiß nicht recht. Womöglich. Max, wir bekommen gleich Abendessen, und deinen kleinen Freund kannst du später befreien. Wenn ich richtig verstanden habe, hast du keine Lust, nach Hause zu gehen.«

Ich zuckte die Achseln. »Das wissen Sie doch.«

»Prima - dann bin ich nicht der Einzige, der im Morgengrauen vor Müdigkeit zusammensacken wird. Bist du eigentlich noch nicht auf die Idee gekommen, es wäre leichter und angenehmer, dein Leben zu ändern, als die ganze Zeit mit feuchten Augen durchs Haus an der Brücke zu irren?«

»Darauf bin ich wirklich noch nicht gekommen. Ich bin ein ziemlicher Dummkopf, was?«

»Mitunter schon«, sagte Juffin lächelnd. »Willst du in der Altstadt bleiben? Vielleicht wäre es für dich ja besser, in die Neustadt umzuziehen? Dort hättest du die Möglichkeit, dein wahres Talent zu zeigen und A-Mobile kaputtzufahren.«

»Umzuziehen wäre eine gute Idee. Ich sollte tatsächlich mal ausprobieren, wie es ist, in der Neustadt zu wohnen. Dort hat eine nette Lady irgendwo ein Wirtshaus eröffnet. Als es ihr schlecht ging, hab ich ihr den gleichen Ratschlag gegeben, den Sie jetzt mir geben. Es ist seltsam, wie leicht man anderen raten kann, sich selbst aber oft nicht zu helfen weiß. Doch Sie tun mir Unrecht - ich habe bisher noch kein A-Mobil zu Schrott gefahren.«

»Bestimmt ist es bald so weit. Jetzt nimm diesen Schlüssel und merk dir die Adresse: Straße der gelben Steine 18. Ich hab mich bemüht, etwas Hübsches für dich zu finden, damit du dich wohl fühlst.«

»Ich schätze, dort gibt es mindestens zehn Badewannen.«

»Falsch - es sind nur acht. Viele Neubauten haben sogar noch weniger, aber ich hab so meine Grundsätze.«

»Ich möchte mich bei Ihnen aufs Allerherzlichste bedanken, damit ich nicht später - wie der Große Magister Nuflin einmal gesagt hat - vor Ihnen auf die Knie fallen muss«, rief ich errötend und begriff allmählich, was mein Chef für mich getan hatte. »Sie haben mir das Leben gerettet, Juffin. Soll ich den Saum Ihres Lochimantels küssen? Wie ich sehe, wäre Ihnen das nicht recht. Wann haben Sie in all dem Trubel eigentlich geschafft, das neue Haus für mich zu organisieren?«

»Wozu dient wohl die Stumme Rede? Und wofür hat man jüngere Mitarbeiter? Jetzt iss aber, anstatt dummes Zeug zu reden. Den Minizoo und deine übrigen Habseligkeiten kann ein Bote in deine neue Wohnung bringen,

am besten wohl Urf. Der kennt sich in deinem Haushalt doch schon aus.«

»Sie sind ja sehr gut über meine Lebensumstände informiert. Allerdings gibt es ein kleines Problem: In meinem Haus in der Straße der alten Münzen befindet sich ein Kissen, das eine Ritze zwischen den Welten abdichtet.«

Juffin kicherte erst in sich hinein, lachte dann aber schallend los. Fragend sah ich ihn an. Woher mochte seine Heiterkeit rühren?

»Das ist alles Quatsch, Max. Maba Kaloch hat bloß gescherzt. Er mag solche Witze. Du hättest dein Kissen nicht annähen müssen und kannst es mitnehmen, wohin du willst. Das Geheimnis liegt weder im noch unterm Kissen. Ach, Max, ich liebe deine unfreiwillige Komik.«

»Hab ich mich also schon wieder dumm angestellt?«

Mir wurde die Sache allmählich peinlich, obwohl der Scherz von Sir Maba gar nicht schlecht gewesen war.

»Ach, Schwamm drüber, Juffin. Ich hoffe nur, dass das Haus in der Straße der alten Münzen nach meinem Wegzug nicht neu vermietet wird. Vielleicht kehre ich ja irgendwann dorthin zurück.«

»Das wird sich zeigen. Und jetzt befrei deinen Gefangenen.«

Der Reeder Agon, den die Strapazen der letzten Tage sichtlich erschöpft hatten, meldete sich per Stummer Rede bei seinen Leidensgenossen und landete dann auf dem improvisierten Krankenlager.

Müde legte ich den Kopf auf den Tisch. Wir waren allesamt Leidensgenossen: die Opfer der Gürtelmode; die Köche, die den Ohrring Ochola tragen mussten; Melamori,

ich und die übrigen Besucher des Stadtteils Rendezvous sowie alle anderen, all die Opfer der Umstände - egal, ob sie durch Zaubersprüche oder Schicksalsschläge heraufbeschworen worden sein mochten.

»Alles halb so schlimm, mein Lieber«, hörte ich Lady Sotova sagen. Ihre Stimme riss mich aus depressiven Gedanken und versetzte mich in die hübsche Gegenwart zurück, in der mich eine Tasse frische Kamra und angenehme Arbeit erwarteten.

Ich lächelte.

»Kaum treffe ich einen netten Menschen, zeigt sich, dass Gedankenlesen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehört.«

»Ach was, Max«, wiegelte die alte Lady ab. »Du hast bloß ein finsteres und niedergeschlagenes Gesicht gemacht - wie alle Leute, die über ihre Probleme grübeln. Wo bleiben eigentlich die armen Gürtelträger?«

»Sotova, du bist fast eine Stunde früher dran als geplant«, meinte Juffin. »Hab noch etwas Geduld.«

»Du machst mir wirklich eine Freude, Juffin. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt ein paar Minuten nichts zu tun hatte.«

»Mit einer längeren Verschnaufpause kannst du leider nicht rechnen. Die Gürtelträger kommen jeden Moment. Da ist schon der Erste.«

Der Neuankömmling war derselbe Mann, den Sir Kofa und ich am Anfang der ganzen Verwicklungen im Wirtshaus Gerb Iraschi gesehen hatten. So ein Zufall!

Die kleinen Hände von Lady Sotova wirkten an den Gürtelträgern wahre Wunder. Dabei stand ihr Mund nicht eine Sekunde still: Jedem Geheilten sprach sie ihr Mitgefühl aus, machte sich dabei jedoch auf subtile Weise über ihn lustig. Danach mussten die glücklich Befreiten uns für eventuelle Rückfragen noch mitteilen, wo sie sich in den nächsten zwölf Tagen aufhalten würden. Obwohl Kurusch über so viel langweilige Arbeit sehr empört war, speicherte der treue Vogel die Informationen der Gürtelträger fleißig. Der Arme konnte ohnehin nicht anders, denn sein phänomenales Gedächtnis ließ ihn alles im Kopf behalten.

»Diese Leute werden doch keine Scherereien mit der Justiz bekommen, oder?«, wollte ich wissen.

»Natürlich nicht«, beruhigte mich Juffin. »Wie kann man jemanden verurteilen, der keinen freien Willen hat? Manchmal hast du wirklich seltsame Ideen. Der einzige Kandidat für eine Gerichtsverhandlung ist Reeder Agon, der auf eigene Initiative unerlaubte Handlungen begangen hat. Aber er soll möglichst rasch ins sonnige Tascher verschwinden, denn er ist so überflüssig wie ein Holzsplitter in der Ferse. Ach, Sotova - wir haben noch jemanden für dich, der dir bestimmt gefällt. Komm, gehen wir nach nebenan.«

Dort lag der alte Gartuma Chatl Min auf seinem Krankenlager. Erstaunt stellte ich fest, dass sein Anblick in mir keinen Widerwillen auslöste. Gleich darauf wurde der Mann entlassen. Juffin drückte ihm zum Abschied noch eine lange Liste von Handwerkern in die Hand, die ihm bei der Renovierung seines Hauses helfen konnten. Freilich war kaum damit zu rechnen, dass der alte Mann mit dieser Liste etwas anzufangen wusste.

Im Morgengrauen betrat ich mein neues Haus. Ella und Armstrong begleiteten mich durch alle sechs Zimmer und miauten dabei vorsichtig. Sir Juffin hat seltsame Vorstellungen davon, wie ein bescheidenes Häuschen auszusehen hat. Kaum hatte ich die Zimmer flüchtig inspiziert, warf ich mich aufs Bett und schlief wie ein Stein. Diesmal träumte ich nicht von Melamori. Sie schien schon zu meiner Vergangenheit zu gehören.

Gegen Mittag weckte mich Kofa Joch per Stummer Rede.

»Ich warte im Goldenen Widder auf Sie, Sir Max. Ich schätze, Sie finden den Weg dorthin.«

»Juffin meint aber, die Küche dort sei furchtbar«, opponierte ich halbherzig.

»Das dürfen Sie nicht ernst nehmen. Juffin gehört zu den schlimmsten Snobs von Echo - wie alle Provinzler, die seit über hundert Jahren in der Hauptstadt leben. Hier gefällt es Ihnen sicher. Übrigens erwartet Sie auch Ihr Schuldner.«

»Schuldner? Sir Kofa, bitte lassen Sie mich schlafen.«

»Es ist Kapitän Gjata. Sie haben ihm doch das Leben gerettet, und er will sich nun erkenntlich erweisen. Ehrlich gesagt, Sir Max - ich will nicht neidisch sein, aber dieser Gjata hat ein ernstes Gesicht und genauso ernste Absichten. Er ist bereit, dreihundert Jahre auf Sie zu warten - Hauptsache, er kann seine Schulden begleichen. Je schneller Sie kommen, desto mehr kriegen Sie zu essen. Ende.«

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